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Achtes Kapitel.

Die Postkutsche, die in jener Nacht an Helmburg vorüberfuhr, hatte nur einen Passagier. Als um die Bergkuppen dort noch Morgennebel wallten, rollte sie bereits in der lang gestreckten Ebene, und da die Helmburger Glocken den Grafen zur Frühmesse luden, mahnte ein weniger harmonisches Geläut den Reisenden, die Landstraße mit dem Schienenstrang, die Postklepper mit dem Dampfroß zu vertauschen. Mit verschlafenen Augen und gelbem Gesicht steigt er, ein ältlicher Herr in Schwarz, in den zur Abfahrt bereiten Schnellzug, der ihn an Wald und Feld, an Dörfern und Städten vorbei, über Ströme und durch Tunnels trägt, Tag und Nacht und wieder einen Tag lang, nur nach Minuten gezählte Rast gönnend, so gut sich eben im Getümmel einer Eisenbahnstation rasten läßt. – –


Eine Hauptstadt im Norden, die zwar noch nicht Weltstadt, doch groß genug ist, daß auch im Sommer trotz der vielen aufs Land Geflüchteten das Leben in den Straßen nicht minder lärmt, der Strom nicht träger schleicht.

Staub auf dem Wege, Rauch über den Dächern – eine heiße, mit Kohlendunst durchsetzte Luft – auf den Fahrdämmen endlose Wagenreihen, auf dem Trottoir Arbeiter und Müssiggänger, Eilige, Schlendernde, Lungernde, Männer, Frauen, Kinder – Laden an Laden, vor ihren Schaufenstern Gaffer, drinnen zungengewandte Händler und feilschende Kunden – an den Fenstern der Wohnungen nach dem Wetter oder nach einem Straßenauflauf Auslugende, alte und junge, häßliche und hübsche, aufgeregte und müde Gesichter – und überall, zwischen Himmel und Erde, Rädergerassel, Wirrsal von Stimmen und Lauten in allen Tonarten, Lärm von Menschen, Thieren, Maschinen, schrecklichen Klavieren und wimmernden Leierkasten; Arbeit und Müssiggang, Freud und Leid sich zu einem Höllenconcert vereinigend.

Dies Chaos – für den Träumer ein Hexensabbath, für den Strebenden ein Eldorado, für den ländlicher Stille Gewohnten ein rasender Wirbel, für den Eingeborenen tiefste Einsamkeit.

Ja, tiefste Einsamkeit – wenigstens für solche Männer wie er, der – in einer dieser niemals ruhigen Straßen wohnend – sich jetzt von seinem Arbeitstisch erhebt und aus dem Fenster auf die wogenden Massen gegenüber mit dem gleichgiltigen zerstreuten Blicke sieht, mit dem etwa ein Landpfarrer, nachdem er seine Sonntagspredigt ausgearbeitet hat, auf das Sperlingsgezänk vor seinem Hause schaut.

Legationsrath Burg hatte für seine wenigen Ferienwochen Monate lang doppelte Arbeit und in diesem Sommer mehr, denn je. Seitdem er von Wiek zurück ist, beginnt er sein Tagewerk mit dem Glockenschlag Fünf, und nächtlich fällt aus seinem Arbeitszimmer noch Licht, wann auch der ausdauerndste Vergnügling sich längst in die Kissen vergrub.

Dieses Arbeitszimmer entspricht nicht etwa der gewöhnlichen Vorstellung von Gelehrtenstuben mit nothdürftigem Geräth und Ueberfluß an Staub und Maculatur, sondern ist ein großes, helles, bequem und reich ausgestattetes Gemach. Die Tapeten und Vorhänge, die modernen divanartigen Sitzmöbel, wie der Schreibtisch und die Bibliothek zeigen ebensowohl den guten Geschmack des Besitzers wie die gute Zucht seiner Diener, größte Reinlichkeit, Ordnung ohne Pedanterie.

Einige antike Vasen von edelster Form stehen auf dem Kaminsims; ein schöner Stich, das Porträt Friedrich's des Großen im jugendlichen Alter, und die Büste seines Chefs sind für den Legationsrath wohl mehr, als nur künstlerischer Schmuck.

Die Aktenschränke und Burg's Secretär, Herr Titus, sind in das Nebenzimmer verwiesen.

Aus diesem steckte eben derselbe Herr Titus jetzt den Kopf herein und wisperte: »Herr Legationsrath!

»Was giebt's?«

»Stör' ich?«

»Je nachdem.«

»Man wünscht Sie zu sprechen.« Damit wand er sich um die Thür und reichte eine Karte hin, und so wichtig dünkte ihm der Besuch, daß er nicht wie sonst im Allerheiligsten die grünwollenen Schreibärmel abstreifte, sondern mit hochgezogenen Brauen den Eindruck studirte, den der Name des Gastes auf seinen Chef machte. Dessen blasses Gesicht färbte sich in der That etwas lebhafter.

»Annehmen oder abweisen?«

»Annehmen, selbstverständlich!« erwiederte der Andere hastig.

»Aber ich dächte –«

»Was, mein lieber Titus?«

»Daß Sie endlich zu diniren wünschen –«

»Das hat Zeit.«

»Ach Gott, Herr Legationsrath! Sie opfern sich auf!« Er legt sein Gesicht in hundert Falten und hebt den Stahlfederhalter feierlich gegen die Stubendecke, so daß Burg ihn mit einiger Ungeduld an den Besuch mahnen muß.

Titus verschwand, und der Angemeldete trat ein – der Gebirgsreisende, der Herr in Schwarz, der Vater Helenens.

»Nun, was bringen Sie Gutes?« begann Burg, nachdem Beide Platz genommen hatten.

»Gutes wohl weniger, aber Mancherlei. Ich habe mir erlaubt, meine Reiseeindrücke schriftlich niederzulegen.«

Der Rath warf einen flüchtigen Blick auf das Manuscript, das ihm Jener darreichte, und sagte:

»Ich freue mich jedes Mal über Ihre Handschrift. Sie ist wahrhaft classisch.«

Herr Waldemar zuckte die Schultern. »Das beweist nur, daß ich Muße habe.

»Auch in Schwaneck?«

»Sie sind grausam, Herr Rath; so Jemanden gleich beim Wort zu nehmen! Indeß, ich hatte auch in Schwaneck Muße die Fülle. Meine Mission war ja so leicht. Die Hofbeamten, die Sommergäste, die Bauern – Alle liebe, gute, einfältige Leute, die das Herz auf der Zunge tragen und in der ersten Stunde schon aus der Schule schwatzen.«

»Kamen Sie mit dem König selbst in Berührung?«

»Das stand nicht in meiner Instruction …«

Eine Pause, während Rath Burg in der Denkschrift blätterte. Dann richtete er über einem plötzlichen Einfall den Blick wieder auf Waldemar.

»Mußten Sie auf der Rückreise nicht über Helmburg?«

»Ueber Helmburg, Herr Rath.«

»Besuchten Sie die Ihrigen?«

»Auch davon stand Nichts in meiner Instruction … Wann war's doch? – ja, vorgestern Nacht fuhr ich vorbei.«

»Das war jedenfalls ein Opfer für Sie.«

»Warum? Ich bin kein zärtlicher Vater. Und was mein Verhältniß zum Schwager betrifft –«

»Ich weiß … Doch – ohne Ihnen einen Rath geben zu wollen – ein so schönes, begabtes Mädchen wie Fräulein Waldemar verdiente einen liebevolleren Vater.«

»Die zärtlichen Eltern sind nicht immer die besten. Ich erzog sie ohne Empfindsamkeit, ohne Vorurtheil, ohne Ziererei.«

»Ich möchte wohl wissen, was das in Ihrem Sinne heißt? Hoffentlich nicht: ohne Gemüth, ohne Religion.«

»Herr Rath, Ihnen gegenüber spreche ich offen, denn Sie sind ein aufgeklärter Mann. Wie? sollte die Umwälzung alles Wissens ganz ohne Einfluß auf die sittlichen Grundsätze geblieben, sollten die alten ethischen Ideen nicht auch veraltet sein?«

»Es giebt Sittengesetze, welche ewig sind.«

»Wollen Sie mir sie nennen? … Alle Ideale der Menschheit erwiesen sich wandelbar, keine religiöse Weltanschauung war noch von Dauer. – Jetzt stehen wir wiederum vor einer Krise, und da ich an das Alte nicht mehr glaube und aber kein Prophet bin, um das Neue vorauszusehen, so gab ich meinem Kinde eine exacte Erziehung.«

»Wenn Sie nur glücklich damit wird.«

»Wenn nicht, so kann sie das Unglück ertragen da sie weiß, daß Alles Zufall, Mummenschanz und Posse ist. Der Zufall spielt mit uns; gut denn, nehmen wir's auch mit ihm nicht ernst!«

»Wenn Alle wie Sie dächten –«

»Haben Sie davor keine Furcht! Die Blinden und Schwachen werden immer die Mehrheit sein.«

»Sie sind ein Revolutionär.«

»Ja, aber einer, wie jede Regierung sie brauchen kann.«

Die Frivolität des bejahrten Mannes erregte weniger den Unwillen, als das Mitgefühl des Anderen, der durch Waldemar's Erscheinung an das waldumkränzte Wiek und an Helene erinnert wurde. »Haben Sie niemals daran gedacht,« sprach er, »daß Sie in solchem Dienst bald auch verbraucht sein dürften? Ein Mann von Ihren Fähigkeiten war am Ende doch zu Besserem, als zur wenn auch schwierigen, immerhin untergeordneten Rolle eines geheimen Agenten bestimmt.«

Waldemar schielte nach dem Legationsrath hin. Die Vertraulichkeit desselben, der sonst nur von den Geschäftsobjekten, nie von dem Geschäft als Object geredet hatte, überraschte ihn. »Ich könnte sagen,« er, »daß es mir unbenommen bleibe, aus einem Rollenfach ins andre überzugehen, oder auch, daß wir in einem gewissen Sinn alle geheime Agenten seien, aber ich will mich nicht Ihnen gegenüber in ein günstigeres Licht setzen. Als ich noch jung war, nannte man mich einen genialen Menschen. Glauben Sie mir, das ist das Schlimmste, was man Einem nachsagen kann Dergleichen Naturen fehlt nämlich zum Genius immer Eins: der Heroismus. Ich war nicht groß genug, um die allgemeine Strömung umzugestalten, und zu genial, um nicht eine Ausnahme vom Strom zu sein. Meine Ausnahmestellung ist Etwas, wenn auch nur das Einzige, was ich mit den Großen gemein habe.«

Burg stand auf. »Ich werde Ihr Memoir lesen,« sprach er, »und Seiner Excellenz heute noch Bericht erstatten … Es wäre möglich, daß ich schon morgen die gleiche Reise wie Sie mache – und meine Instruction,« setzte er lächelnd hinzu, »wird Nichts gegen einen Besuch auf der Helmburg einwenden. Das erlaubet der spartanische Vater doch, daß ich Fräulein Waldemar von ihm grüße?«

»Der Gruß wird ihr durch den Boten süß,« entgegnete der Andere mit einer leichten Verneigung.

»Wie verstehen Sie das?«

»Glauben Sie denn, daß meine Helene in der Gesellschaft der Holberge sich wohl fühle?«

»Und doch haben Sie dieselbe für sie gesucht?«

»Die Gelegenheit zum Glück hat nicht immer ein freundliches Gesicht.«

»Also ehrgeizig, wenn auch nur als Vater ehrgeizig sind Sie doch! … Und so hat denn auch der Schlimmste ein Häkchen, das ihn ans große Ganze knüpft.«

Waldemar sah den Rath mit den Augen zwinkernd an, als wenn er etwa sagen wollte: Ein Haruspex Antiker Wahrsager, der Blitze deutete und vor allem aus den Eingeweiden von Opfertieren weissagte. muß das Lachen bezwingen, wenn er den andern sieht.

Dann trennten sich die Beiden …

Burg blieb in düsterer Stimmung zurück. Was soll aus dem Kinde eines solchen Vaters werden? fragte er sich, und die holde verführerische Gestalt Helenens stieg lebendiger denn je vor seiner Seele auf … »Und doch,« rief er verzweiflungsvoll, »ist Ihre Schule nicht auch die meine? Was glaube, liebe, hoffe denn ich?!«

Er trat vor die Büste seines Chefs. Ein Schimmer des Sonnenballs, welcher gluthroth im grauen Gewölk über den gegenüberliegenden Häusern stand, färbte den Marmor, allein an den Abendfrieden erinnernd, denn in den Straßen tönte das Menschengetöse ununterbrochen fort.

Die Arme verschränkend, betrachtete Burg den gewaltigen Kopf des berühmten Staatsmanns.

Vor dem da, sagte er sich, bestehen der Alte und ich gleich schlecht die Probe. Der Cyniker Waldemar wägt zu wenig, wogegen ich zuviel erwäge. Wie das der Unterschied zwischen uns, so ist unser gemeinsames Merkmal, daß wir beide uns niemals zur Vorstellung von dem rein Uneigennützigen erheben können, während dieser Dritte da eben desbalb groß ist, weil – – Aber da flüstert mir, ich fürchte: der Neid, den Trost zu, daß schließlich der Strom der Zeit auch die Führer führt.



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