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Neuntes Kapitel.

An einem Nachmittag machten die jüngeren Gäste der Helmburg einen Ausflug in die Berge, die Damen und die beiden Brüder; als Führer ging der gräfliche Leibjäger mit.

Da der Kühlung spendende Wald auf dem ganzen Wege sie nicht verließ, stiegen sie ohne Beschwerde bergan und waren überrascht, als sie, auf einer grünen Matte angelangt, wo im Hintergrunde eine Sennhütte sich an einen noch höher steigenden Felsenwürfel, den Mönchstein, lehnte – als sie dort das wie von Waldeswogen emporgehobene Schloß tief, tief unter sich erblickten.

Die Sennerin, vom Jäger aus der Arbeit aufgeschreckt, empfing die hohen Gäste knixend und stotternd, aber der jüngere Holberg war sofort der leutselige Herr, der es nicht verschmäht, mit Stallknecht und Kuhmagd eine Unterhaltung anzuknüpfen.

Was er und das »Dirndel« in der Mundart der Gebirgsbauern einander fragten und antworteten, übersetzte er seinen Damen, welche den Dialog natürlich hochkomisch fanden, und später machte er den witzigen Führer durch Stube, Stall und Milchkammer der kleinen Alpenwirthschaft.

Richard aber, dem der Athem schwerer ging, als den Anderen, hatte sich sogleich nach der Ankunft auf die Bank vor der Hütte niedergesetzt und blickte, den Kopf auf die Hand gestützt, über das Wiesengrün auf die gegenüber liegenden, grellbeleuchteten Felsenwände und lauschte auf die Stimmen im Hause, welche nur zuweilen ein Geläut der Heerdeglocken von nahen Triften unterbrach.

Er schloß die Wimpern und fühlte nur noch das heiße, helle Licht und war ganz Ohr:

Das ist der flotte Egon, der seine Zähne zeigt, wenn er spricht, denn er spricht nur, um zu plaudern, das die etwas kokette Kindlichkeit seiner Braut, das die zwitschernde Mademoiselle, und jetzt tönt die ruhige und doch so schmeichelnde, tiefe und doch so sammetweiche Stimme Helenens.

Plötzlich vernahm er die letztere dicht neben sich.

»Warum immer allein, Herr von Holberg?«

Warum immer allein? Gab sein Traum der Frage, die er selber sich oft vorlegt, die süße Trösterstimme? Nein, das Wunderbare ereignete sich: Helene suchte ihn auf, läßt sich an seiner Seite nieder und sieht ihm ins Antlitz, mit einem Blick – – Er starrte sie mit großen Augen an.

»Warum sind Sie immer so traurig?« sprach, da er nicht antwortete, Helene fort. »Ist der Tag, ist die Welt hier nicht schön?

»Ja,« erwiederte er, sein Auge in das ihrige senkend.

»Ich fürchte, Sie haben mich im Verdacht, daß ich die Schönheit der Natur nicht empfinde. Aber muß man denn immer gleich Beifall klatschen? Ist sie denn nur ein Schauspiel?«

Sie ließ, unter seinem Blick erröthend, das Auge in die Weite schweifen.

»Wie herrlich muß es hier am Morgen sein!«

»Ich denke, daß erst in diesem Augenblick die Sonne aufging.«

Da neigte sich ihr Gesicht wieder zu ihm, ganz nah und lächelte.

»Das konnte Ihr Bruder sagen.«

»Dann hätte es Ihnen geschmeichelt.«

»Nein, dann hätte ich es nicht gehört.«

»Egon findet doch sonst immer dankbare Hörer?«

»Man ist ihm dankbar, weil er unterhält. Doch wie er die Welt leicht nimmt, wiegt auch sein Wort leicht … Aber was rede ich da! Wenn Sie das Ihrem Bruder wieder sagten …«

Richard sprang plötzlich auf.

Sie verstummte – doch die Lippen lächelten noch, die Grübchen in den Wangen verschwanden nicht.

Er fuhr sich über die Stirn – eine Geberde, die er seit einiger Zeit häufig machte. Was ist denn das! Die unnahbare Juno kennt auch das reizende Spiel, die holderen Künste der Liebesgöttin!? Sie verwirrt nicht nur, sondern verlockt!?

»Ich störe Sie,« sagte Helene, sich gleichfalls erhebend.

»Sie – mich! … Aber, mein Gott – ich faß' es noch nicht. Ich glaubte mich von Ihnen gefloh'n, verachtet –«

Ihr Gesicht wurde ernst, sie legte erschrocken, um Einhalt flehend, ihre Hand auf seinen Arm.

»Wie können Sie denken –!«

»Ja, Sie hassen mich, sonst würden Sie dem entsetzlichen Kampf, den ich kämpfe, ein Ende machen, und Sie verachten mich, weil Sie meine Ohnmacht in diesem Kampfe sehen.«

Er suchte mit zitternden Händen ihre Rechte, welche sie ihm alsbald entzog. Dabei wendete sie das Gesicht von ihm, doch sah er die Gluth, die ihren Hals und unterm Flor den Nacken röthete.

Da wurden Beide durch dumpfes Donnern erschreckt, das sich von fernen Gipfeln wälzte. Gleich darauf erschien die Gesellschaft auf der Schwelle der Hütte.

»War das nicht Donner?« fragte Egon, zum noch heiteren Himmel aufblickend.

Wanda flüchtete sich angstvoll an die Seite ihres Verlobten.

»Ach, Richard,« jammerte sie, »es wird doch kein Gewitter kommen?«

Jener antwortete nicht, und nun sah sie sein entflammtes Auge auf Helene gerichtet, die mit Egon nach den Wetterzeichen ausspähte.

Die Eifersucht regte sich im jungen Herzen.

»Richard,« sagte Wanda und stieß ihren Sonnenschirm auf den Boden – und wer will dafür bürgen, daß sie nicht auch mit dem Füßchen stampfte! – »Richard, hörst Du? ein Gewitter kommt! Wir müssen aufbrechen.«

Er warf einen Blick auf das Gesichtchen, das trotzig zu ihm aufblickte, und brach in ein wildes Gelächter aus.

»Ein Wetter?« rief er, mit verzerrten Zügen. »Mir recht! Der Blitz tödtet wenigstens schnell.«

»Richard, ich begreife Dich nicht,« flüsterte Wanda, welche Schmerz und Wuth zu weinen reizten. »Was soll ich, was werden die Anderen denken!«

Er blickte wiederum auf sie und ergriff ihre Hand und kniete vor ihr nieder:

»Vergieb!«

Die Uebrigen standen erstaunt und rathlos; Egon allein fand das Gebahren seines Bruders mehr komisch, als beunruhigend.

»Das ist der Platz, wo Du hingehörst,« rief er, »zu den Füßen Deiner Braut! … Wo stecktest Du denn während der ganzen Zeit? … Aber – brechen wir auf! Der Himmel hat uns gewarnt! Da – der Wind erhebt sich.«

Ueber die Furcht vor dem Gewitter, das abermals sich ankündigte, vergaß Wanda selbst ihre Eifersucht. Während sie hastig den Hut aufsetzte und von Sophien sich das Kleid schürzen, vom Diener den Shawl umhängen ließ, stand Richard wieder gedankenversunken da. Ein scheuer Blick seines Auges suchte Helene und floh sie wieder.

»Der Himmel hat uns gewarnt,« flüsterten seine Lippen.


Das wilde Heer der Wetterwolken ward vom Winde schnell über die Berge gejagt, dann aber zauderte es, ballte und trennte sich, wechselte Farbe und Gestalt.

So erreichte denn die Gesellschaft ihr Daheim, bevor das Gewitter niederging.

Welch ein düstres Daheim! Unwillkürlich dachte so ein Jeder von ihnen, die jetzt beim Fallen der ersten schweren Tropfen über den völlig verfinsterten Hof eilten.

Der schwärzlichgraue Himmel, so drohend, so grimmig, daß sein zeitweiliges Aufflackern ein Erbleichen der Wuth zu sein schien – und die Berge waren mit ihm im Bunde, ihr Haupt hüllend in das Gewölk. Aber der Wald, den sie tragen, wogte und rauschte, und das Gras am Wege ahmte ihm nach und bewegte sich hin und her.

Nur das Schloß lag im allgemeinen Aufruhr todtenstill – opfergeduldig, in der Erwartung des Wetterkeils ………

Ah, welch ein Aufathmen, nachdem das Gewitter mit seiner entsetzlichen Glorie vorübergezogen, das aus allen Klüften aufgeschreckte Echo beruhigt war, und des Himmels reinstes Blau durch die letzten Wolkenzügler lachte.

Die Fenster im Schloß wurden rasch dem Licht und Duft geöffnet.

Wanda schien zwar dem Frieden noch nicht zu trauen. Sie trat verstört und furchtsam in den Salon, wo die Herren und Helene während des Gewitters weilten, indessen sie mit ihrer Gesellschafterin sich in ihr Zimmer geflüchtet hatte, wo sie die Läden schließen ließ, um die Blitze nicht zu sehen, den Kopf in die Kissen vergrub, um den Donner nicht zu hören.

Sie reichte Papa Wiek die Wange zum Kusse hin und versicherte dem Grafen, daß der Blitz irgendwo gezündet haben müsse. Denn einmal sei ein Schlag gewesen, ein Schlag –

»Aber, wo ist denn Richard?«

Ihr Blick traf dabei Helene, welche, ein Buch auf dem Schoße, im Erker saß.

Niemand konnte sagen, wo Richard sei.

Wanda gerieth in Unruhe.

»Aber, Herzensschatz,« beschwichtigte der alte Wiek seine Tochter, »Richard wird auf seinem Zimmer sein.«

»Und ich,« sagte Egon, »ich halte Zehn gegen Eins, daß Richard trotz Blitz und Donner auf irgend einem Sopha eingeschlafen ist. Die Bergtour hat ihn ermüdet. Ich kenne meinen Bruder.«

»Das wollen wir gleich erfahren,« sagte der Graf, die Klingel ziehend.

Der Diener kam, ging und kehrte wieder.

Herr von Holberg war nicht auf seinem Zimmer.

Sollte er bei Unwetter ins Freie gegangen sein?!

Egon hielt seinen Bruder auch dessen fähig.

»Bitte, Fräulein, meinen Hut, meinen Hut, meinen Schirm!« rief Wanda bestürzt. »Ach, lieber Papa, komm' mit mir! Egon, begleiten Sie uns!«

Ihre Aufregung theilte sich den Anderen mit.

Auch Helene erklärte sich zum Aufbruch bereit.

Da stürzte ein Diener mit der Nachricht ins Zimmer, daß Herr von Holberg aus der Kirche über den Hof gegangen komme, und Richard folgte denn auch dem Boten auf dem Fuße.

Er gab seiner Braut, die ihn mit einem Freudenschrei und dann mit Vorwürfen empfing, mürrisch zu, daß er während des Gewitters in der Kirche gewesen.

Allgemeines Erstaunen.

Egon mußte auflachen über den frommen Bruder, wofür ihn Fräulein von Wiek strenge zurechtwies. Was da zu lachen sei? Wahrlich, wo wäre man denn sicherer, als unter Gottes Dach?!

Der Graf sah seinen Neffen kopfschüttelnd an.


Bevor der Thee servirt wurde, begab sich die Gesellschaft ins Freie.

Das Rinnsal der Wege zwang die Damen ihre Kleider zu schürzen, und Wanda zeigte ihr Füßchen nicht ohne Koketterie.

Helene schritt vor dem Brautpaar her.

»Sie hat doch einen größeren Fuß, als ich,« dachte Fräulein von Wiek ……

Ein Regenbogen überbrückte die das Thal eingrenzenden Höhen.

Bei seinem Anblick klaschte Wanda in die Hände und fand das Naturschauspiel »himmlisch«.

Ihr Verlobter schaute sie finster an und dann auf Helene. Diese, jetzt hinter ihnen, stand am Waldesausgang, von der Abendgluth beschienen, ruhig lächelnd da.


Nach dem Thee wurde wie gewöhnlich musicirt. Helene jedoch kehrte, sobald die Lichter angezündet waren, zu ihrer Lectüre zurück.

Egon näherte sich der Lesenden.

»Darf man fragen, welcher Autor so glücklich ist?«

»O ein sehr gelehrter Autor und ein interessantes Buch. Aber noch interessanter für Sie, als für mich!«

»Für mich? Da wäre ich neugierig. Denn meine Schande zu gestehen, bin ich kein Bücherfreund. Darf ich sehen?«

»Gewiß.«

Sie schlug den Buchtitel auf, und Holberg blickte ihr über die Schulter.

»Die Geschichte Derer von Helm?! Und das können Sie lesen? Das muß ja zum Sterben langweilig sein.«

»Wenn Ihr Onkel das hörte –«

»Ah bah, ich bin und bleibe ein Holberg.«

»Gleichviel. Das Buch interessirt mich. Ich bin eben bei der Stiftung des Majorats … Ihr Ahnherr,« setzte sie scherzend hinzu, »Ihr Ahnherr war ein weiser, vorsichtiger Mann. Keine Frau, kein Wahnsinniger und – kein Verschwender soll Majoratserbe werden können.«

»Steht das drin?«

»Ja, so lautet die Urkunde. Frauen, Narren und Verschwender sind ausgeschlossen.«

»Dann könnte ich niemals Majoratserbe werden.«

»Ist es denn in der That mit Ihrem wirthschaftlichen Sinn so schlecht bestellt?«

»Trostlos, sag' ich Ihnen. Ich hasse das Geld, und deshalb geb' ich es immer schleunigst aus.«

»Vielleicht ändern Sie sich mit der Zeit.«

»Niemals; und wenn ich zum Beispiel so reich wie mein Bruder würde, wollte ich es Ihnen beweisen.«

»Wieso?«

»Indem ich alle meine Schätze Ihnen zu Füßen legte.«

»Hüten Sie sich, daß ich Sie eines Tages beim Worte nehme!«

»O thäten Sie das,« sagte Egon mit veränderter Stimme, leise und inniger …



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