Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Die Mittagsglocke brachte die Gäste zusammen, und das gemeinsame Tafeln regte bald die Geister wieder an, nur Richard blieb trotz der Nähe der Braut einsilbig, und Herr von Wiek schien verdrießlich zu sein. Helene war anwesend, aber nicht ihr Vater. Nachdem man beim Champagner dem Brautpaar ein Hoch gebracht, erhebt sich Herr von Wiek, sieht seine Tochter an, welche ihm verständnißvoll zunickt, und dann die schöne Helene, seine Nachbarin. Diese hält die Wimpern niedergeschlagen.

Papa Wiek ist sehr roth im Gesicht; das Dessertmesser in seiner Rechten klappert ans Glas, denn die Hand zittert.

Aller Augen richten sich auf ihn. Eine Weile hört man den Regen, den Wind …

Endlich findet der Aufgeregte Laut und Wort:

»Meine Damen und Herren – Sie waren gestern die freudigen Zeugen eines freundlichen Familienereignisses – oder vielmehr die freundlichen eines freudigen – ja – Unterdessen hat sich – was Sie ebenfalls überraschen wird – wie es mich selbst überrascht, ja, ich möchte sagen, erschüttert hat – denn in meinem Alter – obwohl ich, was meine Gesundheit anbelangt und Elast – Elastzizi – Elast icität – ja – um aber auf besagte Ueberraschung zurückzukommen, so erlauben Sie mir, Ihnen meine liebenswürdige, hochbegabte Nichte in der Person des Fräulein Waldemar vorzustellen!«

»Möge,« fährt er fort und hat, indem er die Hand Helenens ergreift und das Mädchen zu sich emporzieht, mit der frei werdenden Herzenswärme auch das Wort leichter fließend; »möge Dein Eingang gesegnet und dies Haus Deine zweite Heimath sein. Gottes Fügung schickt Dich mir eben in den Tagen, die mich an die Einsamkeit des Alters mahnten. Freilich werde ich auch Dich nicht an mich ketten können, aber mein Herz hat Dich für immer gefunden, meinem Herzen bist Du fortan nächst Wanda das theuerste, holdeste Gut. Lohne diese meine Zärtlichkeit dadurch, daß Du bei mir glücklich bist, Helene!« ……

Herr von Wiek sieht seine Umgebung durch einen Flor und beginnt, gleichsam um sich der Wirklichkeit zu versichern, Alle der Reihe nach zu umarmen. Seine Tochter schluchzt am Busen Helenens; diese selbst aber kann nicht weinen. »Sei überzeugt,« hatte der eigene Vater gesagt, »daß Dein Onkel nicht dem Herzen folgt, sondern den Umständen sich fügt. Wenn Du zufällig häßlich und schlecht erzogen wärest, würde er Dich trotz meiner Diplomatie und seiner Gutmüthigkeit verläugnen …«

Gleichwohl leuchten ihre Augen in feuchtem Schimmer, sie feiert ja den ersten Erfolg!

Richard Holberg aber feierte einen Sieg über sich selbst. Hatte er sich schon vor der Tafel das Wort abgenommen, keine Vergleiche zwischen dem Meteor und seiner Braut anzustellen, so will er sich jetzt für immer binden. Er tritt zu den beiden Mädchen, schlingt mit mehr Gutmüthigkeit, als Grazie den linken Arm um Wanda und streckt die Rechte Fräulein Waldemar hin.

»Gestatten Sie auch mir, Sie willkommen zu heißen,« spricht er. »Seien Sie meinem Herzensschatz, meiner Braut eine treue Freundin!«


Nun war Herrn von Wiek der Alp von der Brust. Er hatte die innigste Ueberzeugung, sehr gut zu sein, sein strahlender Edelmuth gab auch Helenen, auf welche der Schatten ihres Vaters fiel, wieder freundlichere Farben. Der greise Herr weidete sich am Anblick der beiden Mädchen und verzichtete, um ihrer Nähe sich zu freuen, sogar auf die Cigarre. Außer ihm blieb der ältere Holberg bei den Damen zurück. Die übrigen Herren begaben sich, die Einen in den Billardsaal, die Anderen in ein mit türkischen Teppichen, Vorhängen und Divans behaglich ausgestattetes Erkerzimmer, um bei Kaffee, Liqueuren und Cigarren zwanglos zu plaudern.

Die Dämmerung drohte früh in völlige Nacht überzugehen. Man brachte daher Lampen in die Salons und zündete die bunte Ampel im Erker an.

Bei Schein derselben saßen Egon Holberg, der Arzt von Möln, der Diplomat – Legationsrath Burg – und dessen Geheimsecretär Titus.

Letzterer war ein koboldartiger, uralter Jüngling, lederfarben und so dürr, daß kein Schneider der Welt ein Kleid ihm »sitzen« machen konnte. Er war nicht ohne Talent und hatte mannigfache Kenntnisse, doch die Angst um das liebe Brod hielt sein leibliches und geistiges Wachsthum nieder, eine Angst, welche zu der winzigen Maschine, die geheizt werden sollte, in gar keinem Verhältniß stand; sie war ihm mit zahllosen Runzeln und Fältchen ins Gesicht geschrieben und krümmte seinen Nacken, und er klammerte sich ihretwegen an seinen Chef wie an den letzten Brodlaib in einer Hungersnoth. Zwar hatte er einen Familiennamen; doch dieser dünkte dem Legationsrath zu lang, und Titus mußte auf seinen Taufnamen »hören«. Nur noch heimlich in der Nacht dachte er zuweilen an seinen Vaternamen, er erschrak und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Er ging schon am Morgen im Frack, oder richtiger, ging schon Morgens in den Frack. Da jedoch nicht so sehr das Kleid den Mann, als der Mann das Kleid macht, so sah sein Anzug immer rostig, schäbig und schlumpig aus, und man war stets in Versuchung, das Kerlchen mittelst des Frackhenkels, der hinten immer hervorguckte, an den nächsten den besten Nagel zu hängen und auszuklopfen.

»Waren Sie in diesem Erker schon bei schönem Wetter?« wendete sich der Arzt an Egon. »Die Aussicht hier auf die See ist herrlich.«

»Herr von Holberg,« bemerkte der Legationsrath, »hat hier nie an Anderes, als ans Rauchen gedacht.«

»Nun ja,« entgegnet Egon, »mein Grundsatz ist: Alles zu seiner Zeit. Nach Tisch ist mir die schönste Gegend ungeheuer gleichgiltig. Außerdem wiegt das Blatt unseres Gastfreundes einen Ocean auf.«

»Wahr! Wiek's Cigarren sind vortrefflich,« sagte Burg; »finden Sie nicht auch, Titus?«

Dem ist der Brand längst ausgegangen. Nichtsdestoweniger pafft er jetzt mit eingezogenen Backen.

»Vortrefflich!« stöhnt er. »Das heißt – Herr Legationsrath rauchen ebenfalls einen Taback, der – Ach Gott!«

»Apropos vom Rauchen,« richtete Holberg an den Doctor das Wort, »könnten Sie nicht meinem Bruder das ewige Cigarettenrauchen untersagen? Ich bin überzeugt, daß nur der schwarze Kaffee und türkische Taback an seiner Hypochondrie Schuld sind … Wie finden Sie seinen Zustand?«

Der Arzt schob die Brille etwas höher. »Im Ganzen recht befriedigend,« sagte er. »Wenn er sich mehr Bewegung machen möchte –«

»Seit wann ist denn Ihr Bruder Patient?« fragte Burg. »Ein Herkules wie er!?«

Titus richtete sofort den Blick eines Instructionsrichters auf Richard's Bruder.

»Ah bah,« versetzte dieser, »wenig Bewegung, dickes Blut, eingebildete Sorgen …« Er lachte auf. »Wenn ich wie er eine Million in Aussicht hätte –«

»Sie betrachteten die Welt mit helleren Augen, als er; das glaub' ich,« versetzte der Arzt mit der Vertraulichkeit, die Egon als bon garçon Jedem gestattete. Aber Burg entgegnete:

»Geld kann uns das Leben wohl genußreicher, uns selbst jedoch nicht genußfähiger machen. Wenn zum Beispiel Sie, lieber Titus, zufällig eine Million erbten –«

Titus zog die Augenbrauen und die Stirnhaut in die Höhe.

»Nun,« fragte Egon ihn scherzend, »lieben Sie denn nicht auch das Jeu und den Wein und die Frauen?«

»Ach Gott,« stöhnte der Andere.

»Ich halte Sie für einen kleinen Tartüffe. Haben Sie ihn bei Tisch nicht beobachtet, lieber Burg? Herr Titus machte der niedlichen Gesellschafterin, Mademoiselle Sophie, in einer Weise den Hof –«

Titus hatte mit seiner Tischnachbarin nicht zwanzig Worte gewechselt, dennoch wand er sich unter dem forschenden Blick seines Gebieters wie ein Schuldbewußter.

»Haben Sie Heirathsgedanken?« fragte Burg. »Dann müssen Sie sich beeilen! Wir kehren morgen in die Residenz zurück, und die Herrschaften reisen nach Helmburg. Wer weiß, wann Sie die Dame wiedersehen?«

»Ja, Ihre Coeurdame,« sagt Egon.

»Steht Ihre Abreise fest?« fragte der Arzt, an letzteren gewendet, und machte damit den Qualen des Secretärs ein Ende.

»Ja; Bruder Richard wünscht seiner Braut die alte Helmburg und unsern Onkel, der auch eine Antiquität ist, zu zeigen. Anfangs nächster Woche sagen wir der See Adieu und ziehen in die Berge.«

»Ich habe keine Ahnung, wo Helmburg liegt.«

»Helmburg,« antwortete sofort der Legationsrath, »Marktflecken in der b…schen Provinz O………, 1744 Einwohner; dabei das gräflich Helm'sche Schloß, bis 1803 Abtei.«

»Wird Herr von Wiek seine Nichte mitnehmen?«

»Ich hoffe doch!« rief Egon lachend. »Das war eine Ueberraschung, wie? capital! Solche Nichten kann man sich gefallen lassen.«

»Verlieren Sie nur Ihr Herz nicht!«

»Bah, ein armer Edelmann wie ich – Und offen gestanden, sie hat mir zu viel Geist … Aber –« Er wirft plötzlich ungeduldig die Cigarre fort und steht auf, »wie denken Sie über eine Partie Whist?«

»Mit Strohmann,« fiel der Doctor ein, »denn Herr Titus spielt nicht. Doch eine Bedingung: Es darf nicht der Grundstein zu einem Tempel sein! Das war ja heillos gestern! Und Sie sind der Verführer.«

»Ich bezahlt' es theuer genug! Doch – kommen Sie!«


Herr Waldemar wartete im Boudoir, das Helenen eingeräumt worden, auf seine Tochter. Ohne Ungeduld. Er hat sich bequem auf das Sopha hingestreckt und liest, die Lampe neben sich, in einer Taschenausgabe von La Rochefoucauld's Maximen.

Endlich – nach elf Uhr – tritt Helene ein.

»Nun, wie gefällst Du Dir in den neuen Verhältnissen?« fragt Waldemar, indem er sich erhebt.

Er schaut ihr in die leuchtenden Augen.

»Onkel Wiek ist sehr liebenswürdig gegen mich,« erwiedert Helene, »und Wanda – meine Cousine, ist nur eitel, nicht ehrgeizig.«

»Sie hat's auch nicht nöthig. Enfin, Du bist, wo Du hingehörst. Dein Onkel hat Dich öffentlich anerkannt, er nimmt Dich in sein Haus … Nun habe ich meinerseits die conditio sine qua non zu erfüllen: mich zu verbannen. Ich erwartete Dich nur, um Dir Lebewohl zu sagen.«

» Müssen wir scheiden?«

»Vorläufig ja. Doch nach aller Wahrscheinlichkeit nicht auf ewig; ich denke noch manches Jahr zu leben. Du stehst im Frühling. Nutze die Zeit! Laß Dich vom Affect anregen, nicht hinreißen! Handle niemals im Affect! Binnen einem Jahre suche ich Dich auf; dann mußt Du – Nun, denke in Helmburg darüber nach! Und hast Du Dir ein Ziel gesetzt, verfolg' es ohne Erbarmen gegen Dich und Andere! Und so – leb' wohl!«

Er drückte Helenens Hand und küßte ihre reine Stirn.

Da Helene ihn wenigstens hinabgeleiten wollte, lehnte er es lächelnd ab und ging allein … Sie öffnete das Fenster, aber der Thorweg lag nicht auf dieser Seite. Durch Nacht und Nebel sah sie die See ans Ufer schlagen. Der windgepeitschte Regen traf ihr Gesicht. So schloß sie denn das Fenster und horchte in den Corridor hinaus … Jetzt ein dumpfes Rollen. Ein Wagen fuhr von dannen.

Helenens Lehrjahre sind zu Ende.


Egon war noch mit dem Bruder auf dessen Zimmer gegangen, um zu plaudern. Allein es kam nicht zum Plaudern. Der Aeltere blies dicke Rauchwolken aus dem Tschibuk, der Jüngere war wider seine Gewohnheit nachdenklich.

»Nun hast Du schließlich doch die armen Verwandten!« sprach Egon endlich.

Der Andere, zur Gluth im Pfeifenkopf niederblickend, zuckte nur die Schulter.

»Alles in Allem,« fuhr daher Egon fort, »können wir mit dem weiblichen Zuwachs zufrieden sein. Diese Waldemar – oder was ist denn nun ihr wahrer Name? – sie könnte ein Herzogthum repräsentiren. Aber auch stolz ist sie wie eine Herzogin und kühl bis ans Herz hinan.«

Sein Bruder blickte rasch empor. »Eine große Seele, sag' ich Dir!«

»Seele?« rief Egon spöttisch. »Ich halte Zehn gegen Eins, sie hat nicht mehr Seele, als eine Marmorvenus.«

Er gähnte. »Gute Nacht – Und wenn Du bei Kasse bist, borge mir morgen fünfzig Louisd'or.«


Am längsten brannte im Zimmer des Legationsraths Licht. Er arbeitete mit seinem Secretär bis Eins. Aber Herr Titus fand, trotzdem er so spät entlassen wurde, in seinem Thurmgemach nicht so bald den Schlaf, denn Egon Holberg's leicht hingeworfenes Wort ließ einen Pfeil in seinem Herzen.

Herr Titus sieht plötzlich die »niedliche Gesellschafterin Mademoiselle Sophie« in anderem Lichte.

»Ach Gott,« seufzte er nach langer Ueberlegung, »ein Haushalt für Zwei! Und Alles so theuer! … Freilich könnten wir dann im Hause waschen, und ich will sie nur gleich fragen, ob sie kochen kann …«



 << zurück weiter >>