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9.

Noch blinkte kein Sonnenfünkchen am Turmhahn der Kirche, als der alte Tann sich erhob. Seiner Frau, die schlaftrunken die Augen öffnete, brummte er zu, er ginge in den Garten.

Ihm wurde immer leicht und froh zumute, wenn er das Tor im Staketenzaun, der sein Stück Land umschloß, hinter sich zugemacht hatte. Er nannte es sein, wenn es auch eigentlich der Schule gehörte. Aber er hatte es aus der Wüstenei voller Scherben, Asche und Unrat erst zu dem schmucken Gärtlein, das es jetzt war, umgearbeitet. Da durfte er es wohl als das seine betrachten. Wenn auch ... Vor zwei Jahren war in der Stadtverordnetenversammlung der Plan erwogen worden, auf dem Grundstück eine Mädchenschule zu bauen. Da hatte er böse Tage durchgemacht.

Warum ihm das gerade heute einfiel?

Er stieß einen Laut aus, halb Seufzer, halb Fluch. Der wüste Schwarm der Nachtgedanken sollte ihn nicht wieder überfallen.

Erst mal die Pfeife angesteckt! Dann trat er passend ans Tomatenbeet. Wie das glühte zwischen den grünen Blättern! Er befühlte einige Früchte. Sie saßen wahrhaftig schon ganz locker und reif am Stengel.

Nun wollte er noch ein Gericht Frühkartoffeln ausmachen. Dazu sollte seine Frau noch ein saftiges Stück Ochsenfleisch einkaufen. Das gab dann einen schönen Willkommensschmaus für seinen Jungen.

Während er die Hacke schwang und aus dem gelockerten Erdreich wie aus Nestern voller Eier die schweren grauschaligen Knollen hervorwühlte, beschäftigten sich seine Gedanken ohne Unterlaß mit Heinz.

Pflastern und verbinden und Tiere ausweiden war schon des Knaben Leidenschaft gewesen. »Unsern Doktor« hatte die Mutter ihn einmal genannt. »Du, red' nicht solches Zeug,« hatte der Pedell gebrummt.

Aber jetzt stellte sich heraus, es war doch die Wahrheit gewesen. Das Interesse des Jungen steckte tiefer, als einer von ihnen geahnt hatte. Es war ihm angeboren. Ererbt! Er war eben seines Vaters Sohn.

Der Pedell riß tief an der in den Boden eingetriebenen Hacke, daß fast das Holz zerbrach. Nun war sie heraus! Aber statt die Kartoffeln aufzulesen, schwang er sein Gerät von neuem, noch höher und wuchtiger, riß wieder aus allen Leibeskräften, bis er plötzlich gebückt ganz stille hielt, wie ein ermatteter Fisch an der Angel.

Seines Vaters Sohn!

Wofür er ein halbes Menschenalter gelebt, was sein Glück und seinen Stolz ausgemacht hatte, war ein Irrtum gewesen. Heinz war nicht sein Junge. Er gehörte dem andern. Und der streckte nun seine Hände nach ihm aus.

Und du, sagte der alte Mann sich, du kannst und darfst ihn nicht halten. Du mußt dem Jungen sagen, woran er ist. Du darfst seinem Glück nicht im Wege stehen. Das wäre ein Unrecht und Betrug gegen ihn.

Nach einer Weile wischte er sich den Schweiß von der gefurchten Stirn und las die Kartoffeln zusammen. Sie bildeten einen stattlichen Berg. Seine Frau sollte sie nachher holen. Ein reichliches, schönes Mittagessen. Das Beste, was er dem Jungen bieten konnte ... Und doch wie wenig im Vergleich zu dem, was Heinz bei dem andern fand.

Da würde er ohne Sorge, mit reichsten Mitteln ausgestattet, sich der neuen Wissenschaft widmen können. Würde die beste Protektion finden. Denn der Professor war ja, wie Heinz erzählt hatte, ein hochangesehener und einflußreicher Mann. Weit würde er es mit dessen Hilfe bringen ... und ihn vergessen, wohl gar sich seiner schämen.

Nein, dazu kannte er Heinz zu gut. Er würde sich dankbar seiner erinnern. Seines Pflegevaters! ... Nur eben sein Sohn, sein Junge, die Sorge und der Stolz seiner Zukunft, das liebste und teuerste Stück seiner selbst ... das würde er nicht mehr sein.

Es war seine Gewohnheit, Schweres gleich auszuführen.

Zu Haus fand er seine Frau damit beschäftigt, den Morgenkaffee zu bereiten. Er fragte nach den Kindern. Sie schliefen noch fest, erwiderte sie. In einer halben Stunde wollte sie mal hingehen und anklopfen.

»Gut! Dann haben wir ja Zeit. Nun höre mal zu, Marie! Es ist wegen dem Jungen seiner Zukunft.«

Und er setzte ihr auseinander, was er für seine Pflicht hielt.

Frau Tann hatte im allgemeinen zu viel Respekt vor ihrem Mann, um ihm zu widersprechen. Aber gegen dies Vorhaben sträubte sich ihr einfacher, klarer Sinn. Warum nicht der Entwicklung ihren natürlichen Lauf lassen? Heinz hatte die Freundschaft des Professors Guhnott gewonnen. Der wollte ihm helfen. Es fügte sich ja alles aufs beste.

»Der Jung' soll wissen, wer sein Vater ist.«

Seine Frau ging langsam auf ihn zu. Unter einem Lächeln der Liebe errötend, schlang sie wie in den Tagen der Jugend ihre Arme um seinen Hals.

»Arnold, als du mich damals nahmst, wußtest du, was du nahmst. Mich und das Kind, das ich unter dem Herzen trug. Und wir gehören dir, eins so gut wie das andere.«

Er nickte stumm und strich ihr sacht über den Kopf. Ihr einst so krauslockiges Haar war glatt geworden. Aber blond und dicht war es noch immer. Und reich an Fröhlichkeit und Güte war ihr Herz geblieben. Ein Jungbrunnen für ihren alten Mann.

Dann blickte er zum Fenster hinaus. Und ihm fiel ein, daß da vor vielen Jahren ein Bauer mit einem Rotkehlchen darin gestanden hatte, das er im Herbst im Wald gefunden hatte. Im Frühling darauf hatte er es trotz Heinzens und seiner Frau Widerspruch fliegen lassen.

»Diesmal tu nur so, wie ich dir sage! Er soll wissen, woran er ist. Dann mag er selbst die Entscheidung treffen. Aber er soll später nicht sagen können, ich hätte mich seiner Zukunft in den Weg gestellt.«

Den Tag darauf kam Heinz tief verstimmt von einem Besuch bei dem Direktor zurück. Er hatte erfahren, daß an einen Fortbezug des Stipendiums nicht zu denken war. Und der sonst so wohlwollende alte Herr war bei der Nachricht einfach außer sich geraten.

»Ach, Mutter,« sagte Heinz niedergeschlagen. »Es geht doch recht schnurrig auf der Welt zu. Dumme Streiche verzeihen einem die Leute leicht. Aber wenn man das Rechte tun will, wird man angeranzt wie ein Verbrecher. Der Alte tat gerade so, als wenn ich das Kuratorium der Stiftung bestohlen hätte. Es fehlte nur noch, daß er verlangte, ich sollte das Geld zurückzahlen. Wenn ich nur wüßte, ob sich Vater noch immer so schroff ablehnend verhält?«

»Nein, Jung', der ist mit dir einverstanden.«

»Was?«

»So schwer es ihm auch geworden ist. Und noch mehr, Jung' ...«

Sie blickte ihren Sohn an, als suchte sie in seinem Innern zu lesen, und schloß dann die Tür zum Nebenzimmer.

»Was ich dir zu sagen habe, braucht kein anderer zu hören.«

»Was denn?«

Aber statt fortzufahren, strich sie ihm nur stumm durchs Haar. Ein fiebrischer Schein brannte in ihren Augen.

»Nun bist du so ein großer, erwachsener Mensch. Und wie lang' ist es her, daß du noch auf meinem Schoß gesessen hast!«

»Wenn du nur wüßtest, Mutter, wie oft ich mich danach gesehnt habe, meinen Kopf auf deinen Schoß zu legen. Alles, was mir passierte, im Guten wie im Schlimmen, das haben meine Gedanken zuerst dir anvertraut.«

»Wirklich?«

»Ja, Mutter, dir, der Allervertrautesten.«

»Und doch kennst du mich nicht einmal ganz,« murmelte sie.

»Wen sollte ich wohl besser kennen als dich?«

»Jung', ich muß dir was sagen, was du noch nicht weißt. Dein Vater will's.«

»Betrifft es dich?«

Ihre Schultern hoben sich, wie um etwas Schweres herauszustoßen.

»Ja, mich.«

Sie stand auf, öffnete mit einem Schlüssel die oberste halbrunde Tür eines Mahagonisekretärs und entnahm ihm einen Kasten von altertümlicher Arbeit.

Wie war sie blaß! Nie hatte Heinz seine Mutter so gesehen. Obwohl sie ihre Haltung bewahrte, strahlte ein Schein wie bleiches Feuer aus ihrem verfärbten Gesicht.

»Das ist ja der Kasten, Mutter. Weißt du noch? Als kleiner Junge habe ich mal versucht, ihn aufzumachen. Es ist das einzige Mal, daß ich Prügel von dir bekommen habe. Seitdem enthielt er für mich immer etwas Schlimmes.«

Der kurze Fieberansturm von Angst, der Frau Tanns Inneres getrübt hatte, war vorüber. Unter dem feuchten Schimmer glänzten ihre Augen wieder rein und tief.

»Nichts, was uns auseinander bringen könnte, mein Jung'. Oder ich müßte dich ganz schlecht kennen. Aber schwer wird es dich treffen. Und ich hätte es dir nicht gesagt, wenn dein Vater es nicht wollte ... Ehe ich ihn heiratete, hatte ich einen andern Mann lieb ... Und dessen Kind bist du.«

Verstört sah Heinz die Mutter an, murmelte: »Das versteh' ich nicht,« kehrte sich dann mit einem Ruck von ihr ab und stand da mit keuchender Brust. Immer wieder durchlebte er diese letzten Worte, und jedesmal war es ein jähes Emporgerissen- und jähes Zu-Boden-geworfen-werden.

Dann, als der Sinn sich ihm endlich eingehämmert hatte, dachte er plötzlich an seine Mutier, stürzte auf sie zu und preßte sein Gesicht an ihres. Sie hielten sich umschlungen mit immer neuen konvulsivischen Bewegungen, als müßten sie sich vergewissern, daß sie nur noch fester miteinander verbunden waren.

Endlich entnahm Frau Tann dem Kasten das zuoberst liegende Bild.

»Das ist dein Vater.«

»Wer ist das?«

»Kennst du ihn nicht?«

»Doch nicht Professor Guhnott?«

»Doch.«

Da entfiel ihm das Bild in der Reflexbewegung der Hand, bei dem Gedanken, daß der Mensch ihm entglitten war in unerreichbare Tiefe, daß er ihn verloren hatte für immer, daß er nie wieder mit dem hohen, reinen Gefühl von früher an ihn denken könnte.

Seine Mutter nahm die Photographie wieder auf. Dann erzählte sie ihm mit kurzen, stockenden Worten das Schicksal ihrer Liebe und seiner Geburt.

Er unterbrach sie:

»Warum sagst du nur das alles?«

»Dein Vater wollte es.«

»Warum?«

Sie gab ihm die Gründe an.

»Er denkt, ich soll zu Guhnott gehen? Will er mich denn los sein?«

»Nein, es ist ja nichts als die zärtlichste Liebe. Ihm bricht das Herz dabei. Versteht doch nur!«

»Ich versteh's nicht.«

Sie wiederholte alles.

Er hörte zu, mit erregten, leidenden und widersprechenden Bewegungen.

Endlich sprang er auf.

»Laß mich heraus, Mutter. Ich muß zu mir selber kommen. Allein muß ich sein.«

Er stürmte fort.

Aus seiner ganzen sicheren, schönen, mit ihm verwachsenen Empfindungswelt fühlte er sich herausgerissen, aus diesem seelischen Besitz, dessen er sich so wenig bewußt geworden war wie seines Herzens oder seiner Lungen, und der ihm doch zu seinem Leben und seinem Wohlsein so notwendig wie diese war. Statt dessen aber lastete auf ihm mit angsterregendem Druck die Ahnung des ungeheuren Schicksals, in dessen Gewalt die wehrlosen, kleinen Menschen sind. Und die unversuchte und ungetrübte Jugend seiner zwanzig Jahre schrie in ihm auf mit egoistischem Schmerz: Warum hat sie mir das gesagt? Was nützt es mir? Ich hätte es nie erfahren sollen!

Im Wald warf er sich nieder und starrte düster mit saugendem Blick den hellen, grünen Aufbau der Tannen an, die geschwisterlich vereint, breit und fest dem Erdreich entwuchsen, von der lichten Hand der Sonne umstreichelt.

Da wurde es allmählich ruhiger in ihm. Aber zugleich begann das Grübeln. Die Empfindungen gegenüber dem, den er bis heute Vater genannt hatte, traten fremdartig vor ihn hin. Was je an Kritik und Unstimmigkeit sich in ihm geregt, stellte sich jetzt ihm dar, grell und vergrößert. Wir beide sind nicht vom selben Blut, dachte er. Haben andere Wünsche, andere Maßstäbe. Sind im Grunde einander fremd.

Und im selben Augenblick dachte er an Guhnott, sah ihn in den Operationssaal treten, gefolgt von seinen Assistenten, den Schwestern und Pflegern, dem ganzen Troß. Und ringsum die Schar der Hörer. Es lag etwas Königliches in dieser Macht.

Und der nächste an seiner Seite zu sein, dazu hättest du das Recht. Du als sein Sohn! Und hast ihn jetzt verloren. Kannst ihm nie wieder frei und herzlich in die Augen sehen, dem Mann, der deine Mutter verlassen hat.

Trotz allem, was sie ihm erzählt hatte, quoll so viel demütigende Bitterkeit aus diesem Gedanken, daß er aufstöhnend sich zurückwarf und seine Augen mit den Händen bedeckte.

Wieder starrte er sehnsüchtig den Tannenhang an, dessen Stämme jetzt nicht mehr von der Sonne beschienen waren. Ihr Gezweig wob sich nun zusammen zu einem schönen, lieblich ernsten Kleid des Berges unter dem lichten Himmel.

Und etwas von dem tiefen, satten, wunderbar erquickenden Grün hatte das an sich, was jetzt in Heinzens Seele stand: Guhnott hat deine Mutter verlassen, aber Vater hat sich ihrer angenommen. Ihrer und auch meiner. Ich war ihm nichts Fremdes, sondern er hat mir alle seine Liebe gegeben, wie wenn ich sein eigenes Kind wäre.

Dieses Bewußtsein und das ganze ehrfürchtige Staunen, das darin lag, alle Scham über seinen eigenen Undank, aber auch alle Sehnsucht, sich dieser neuen Liebe wert zu zeigen, nahm Heinz nach Hause mit.

Seine Mutter hatte inzwischen das, was sie mit dem Sohn gesprochen, ihrem Mann mitgeteilt, indem sie hinzufügte, Heinz würde, wie sie es auch gar nicht anders erwartet hätte, ihn nie und nimmer verlassen.

Da war der Alte zuerst wie unter einem Blitz der Freude zusammengezuckt, hatte dann aber geknurrt:

»Er wird sich schon eines Besseren besinnen. Sonst wäre er ja der größte Esel.«

Wie gern wäre Heinz gleich nach seiner Heimkehr dem alten Mann, der seine Aufregung hinter einem bärbeißigen, finsteren Wesen verbarg, um den Hals gefallen. Aber das soeben Erlebte machte an diesem Abend alle drei befangen. Es lag wie ein leiser Schleier zwischen Mutter und Sohn und wie ein dichterer Nebel zwischen Heinz und seinem Vater. Die beiden verlangten mit sehnsüchtigen Herzen zueinander und wußten doch den Weg nicht. Waren einander näher gekommen als jemals früher und blickten sich doch an wie Fremde.

Denn Heinz mußte sich mit dieser neuen Innigkeit, die so anders war als das selbstverständliche und egoistische Kindesgefühl, erst abfinden. Was er an Vaterliebe von dem Heger seines Lebens erfahren hatte, drang mit so starkem Strahl in seine Seele, daß sie erst mählich in scheuen Schauern sich daran gewöhnen konnte.

Der Alte aber mit seiner ungelenken, rauhen Güte lag die ganze Nacht in schwerem Ringen zwischen dem sehnsüchtigen Ja seines Herzens und dem trotzigen Nein seines Verstandes.

Erst die Mutter vermochte den Ausgleich zu schaffen, indem sie am nächsten Morgen noch einmal mit Heinz sprach und ihm sagte, wenn er entschlossen wäre, daß alles wie früher, und daß dies Haus auch fernerhin sein Vaterhaus bleiben sollte, dann möchte er das seinen Vater wissen lassen; denn der zergräme sich in stummer Bangigkeit, den Sohn zu verlieren.

Da ging in Heinz erst die frohe Gewißheit auf, daß seines Pflegevaters Liebe nicht nur Geben, sondern auch Empfangen gewesen war.

Aber die Auseinandersetzung war gar nicht so leicht

Es war nach Feierabend, als Heinz seinen Vater stellte. Der saß im Sorgenstuhl und studierte, eine Stahlbrille auf dem Nasenende, seine Zeitung. Beim Eintreten seines Sohnes stieß er extra dicke Rauchwolken aus.

»Guten Abend, Papa.«

»'n Abend.«

Heinz mußte unwillkürlich husten.

»'s is dir wohl zu stark, mein Kraut?«

»I ne. Wenn du gestattest, stecke ich mir auch 'ne Pfeife an.«

»Wenn dir mein Tabak nicht zu kommun ist.«

»Ne, ne. Ich rauche ihn ja selbst immer. Und viel länger, als du ahnst. Als Junge habe ich mir nämlich schon manche Handvoll gemaust und feste gequalmt. Nun schmecken mir die besten Zigarren nicht so gut wie dein alter Knaster. Gewohnheit, Papa. Gewohnheit ist überhaupt 'ne komische Sache.«

»Scheinst ja riesig vergnügt, Jung'!«

»Ja, gewiß. Warum auch nicht?«

»Da bist du wohl endlich zu Rand gekommen mit deinem Entschluß? 's ist auch das einzig Richtige.«

»Freilich das einzig Richtige. Ich bleibe hier. Was geht mich Professor Guhnott an? Ich habe an einem Vater genug.«

Da fuhr der Pedell auf, als hätte ihn jemand gegen den Magen gestoßen.

»Was redst du da für ungewaschenes Zeug, du dummer Bengel? Ist das eine Art und Weise zu antworten?«

»Also nun kann's ja losgehn,« erwiderte Heinz und fühlte auf einmal eine fröhliche Überlegenheit in sich, indem er dachte: Nun heißt es aber kräftig zugehauen, damit ich durch alles Gestrüpp dem Alten ans Herz gelange.

Der Pedell hatte drei Stimmen in seiner Kehle. Ein rauhes Brummen für den Alltag. Ein mächtiges Kommandodonnern für die Fälle, wo es energisch sein hieß. Wenn ihn aber wirkliche Erregung übermannte, so stand ihm nur eine dünne, hohe Kopfstimme zur Verfügung.

In diesem wenig imponierenden Ton schnaubte er jetzt heraus, daß Heinz sich sein Stipendium verscherzt hätte und Geld herbeigeschafft werden müßte. Ihn könne man auf den Kopf stellen, es fiele nichts heraus. Und Schulden wolle er nicht aufnehmen. An seinem Grab solle niemand sagen: Der Kerl ist mir mit so und so viel durchgebrannt. Also müsse Heinz sich an eine andere Tür wenden. Wo die sei, wisse er ja.

»Aber ich tu's nicht,« trotzte Heinz. »Mir ist nicht bange um die Zukunft.«

Zugleich drang er tapfer durch allen Pfeifenqualm durch und schlang seinen Arm um des Alten widerspenstigen Hals.

»Überhaupt, Papa, wie kann man nur so gut sein wie du und so schlecht von andern denken? Ich sollte dich verlassen, seitdem ich weiß, was du für Mutter und mich getan hast? Du lieber, guter Papa. Du bist ja doch mein wahrer Vater, mein einziger.«

Aber der Pedell sträubte sich und suchte den Sohn von sich abzuschütteln wie der Keiler die Rüde.

»Red' doch nicht solches Zeug!« fauchte er. »Ein dummer Junge bist du. Solltest Gott danken, wenn andere Leute für dich handeln. Dir kann kein Mensch aus der Patsche helfen als der Professor Guhnott. Und es ist wahrhaftig nicht zu viel verlangt, daß er es tut. Es fragt sich nur: Wie bringen wir's ihm bei, daß du sein Sohn bist?«

»Ich bin nicht sein Sohn,« schrie Heinz und schlug auf den Tisch, daß die Tabaksdose in die Höhe sprang. »Zwanzig Jahre bin ich dein Sohn gewesen. Nun lasse ich mich nicht einfach herausschmeißen. Ich habe ein Recht hier zu sein. Das ist mein Vaterhaus hier und nirgendwo anders.«

In diesem Augenblick steckte Frau Tann den Kopf zur Türe herein.

»Müßt ihr denn so fürchterlich schreien? In der Küche sitzt ganz verschüchtert Karl und fragt, warum ihr euch so zankt.«

Damit verschwand sie wieder.

Heinz ging auf seinen Vater zu.

»Papa!«

Da war der Pedell es, der seinen Sohn an sich zog. Und wie schon oft beugte Heinz sich herunter und erblickte unter sich den stachlig gesträubten Schnurrbart und die schwarzen, runden Nasenlöcher, aus denen auch ganz ansehnliche Büschel hervorstarrten, hatte diesmal aber nicht das mindeste, leis komische Gefühl dabei.

»Jung', Jung',« murmelte der Alte. »Du bist doch mein Jung'.«


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