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[5]

Am nächsten Tag spielte sich folgendes ab.

Die vier kamen von den Tennisplätzen jenseits der Camburger Brücke. Sie gingen hintereinander, da sich zu beiden Seiten des schmalen Pfads grundlose Felder dehnten. Zuerst Viktor, dann Margot, dann Irmgard, dann Heinz. Da kamen ihnen, ebenfalls im Gänsemarsch, verschiedene »Pommern« entgegen, die nach der Röte ihrer Gesichter einen ausgedehnten Frühschoppen hinter sich hatten. Unglücklicherweise waren die Pommern eine Kartellverbindung der Münchener Franken, von denen Viktor sich nach kurzer Aktivität nicht gerade in Ehren getrennt hatte.

Der baumlange voranschreitende Student war schon im Begriff gewesen beiseite zu treten, als er Viktor erkannte und mit finsterer Angriffslust auf ihn losschritt.

Wenn Viktor einen Zusammenstoß vermeiden wollte, mußte er ausweichen. Er tat dies, nötigte dadurch aber auch die anderen zu demselben Manöver. Margot rettete sich auf einen Stein. Die ahnungslos erschrockene Irmgard jedoch trat mit ihren weißen Schuhen bis über die Knöchel ins Wasser.

Jetzt erst bemerkte Heinz die Ursache der Verwirrung.

»Das ist ja unerhört!« fuhr er den Pommer an. »Als Herr hätten Sie die Pflicht gehabt, den Damen auszuweichen.«

Der Student riß seine Mütze herunter.

»Ich bitte um Ihre Karte.«

»Hier! Ich wiederhole, daß ich Ihr Benehmen flegelhaft finde.«

Nach Austausch der Karten gingen die Studenten weiter, indem sie um den drohend stehen bleibenden Heinz einen kleinen Bogen machten. Mit Genugtuung hörte dieser ihre Schuhe im Sumpf patschen.

Kaum halten sie sich entfernt, als Margot ihm die Hand schüttelte.

»Bravo! Bravo! Das haben Sie tadellos gemacht. Diese Flegel von Studenten! Viktor, du hast ja einfach gekniffen!«

»Ich bin doch nicht blödsinnig!« erwiderte der wütend. »Ich werde mich doch nicht mit diesen besoffenen Studikern einlassen. Da hätte ich ja eine Keilerei riskiert.«

»Ach was, Keilerei! Heinz, Sie haben sich blendend benommen. Jetzt werden Sie uns zu Ehren eine Schlägermensur ausfechten. Oder ...,« ihre Augen blitzten vor kriegerischem Mut ... »oder vielleicht gar eine Säbelforderung?«

»Selbstverständlich ist das 'ne Säbelkiste.« Und spöttisch fügte Viktor hinzu: »Ja, Parsifal, die Sache wird eklig.«

Dieser zuckte nur die Achseln. Als er aber Irmgards bläst erschrockenes Gesicht bemerkte, lachte er:

»Ach was, viel wichtiger sind Fräulein Raumers Schuhe.«

Auf dem Heimweg entrüstete man sich noch eifrig über das schlechte Benehmen der Studenten. Die drei brachten Irmgard nach Haus. Heinz wartete einen Augenblick im Flur. Wirklich erschien sie gleich darauf im Garten.

»Ich hab' solche Angst um dich. Wenn du nun verwundet wirst?«

»Dann sieht man doch wenigstens, daß ich Akademiker bin.«

»Wenn du nur auf Schläger losgehst, ist es nicht so schlimm. Aber auf Säbel ...«

»Ach, so schlimm wird's ja nicht.«

»Gib mir gleich ein Zeichen. Wenn's nur Schläger sind, stell' eine weiße Rose ans Fenster. Bei Säbeln ...«

»Stell' ich 'ne rote Schwertlilie hin. Ach, du liebe, ängstliche, kleine Irmgard! Paß auf, es verläuft noch alles ganz harmlos.«

Sie mußte ins Haus.

Heinz aber begab sich zu seinem Freund Brandis, der der wohllöblichen Verbindung der Zimbern angehörte, und fragte, ob er bei ihnen Waffen belegen dürfe?

Brandis hörte sich den Handel schmunzelnd an. Alle seine Schmisse glühten vor Freude förmlich auf. Er versicherte, wenn auch der Pommer als arger Raufbold und Holzer verschrien sei, so würde Heinz doch seinen Mann stehen. Natürlich würde er ihm gern in allem behilflich sein.

Am nächsten Morgen erschien ein Pommer bei Heinz und überbrachte ihm unter den gehörigen Formalitäten eine Forderung auf Säbel sine.

Heinz aber stellte eine weiße Rose ans Fenster.

Von nun an stand er jeden Morgen um fünf Uhr auf und paukte von sechs bis acht.

Ein Etwas in ihm versuchte eine ernste Miene aufzustecken und ihm zuzuraunen: Heinz, Musterschüler, primus omnium, Stipendiat für Altphilologie, Stolz deiner Lehrer, Hoffnung deiner Eltern ... was ist aus dir geworden? ... Aber mit dem Leichtsinn seiner zwanzig Jahre lachte er diesen trockenen Gesellen fort. Im Grunde war er furchtbar stolz. Und meinte es das Schicksal nicht auch wirklich gut mit ihm, daß es ihm erlaubte, für die Ehre seiner Dame dieses Abenteuer zu bestehen? Da mußte er denn einige Schulden mit in Kauf nehmen. Denn auf solche Extravaganzen war sein schmales Stipendium nicht berechnet.

Was seine Eltern betraf, so hätte seine Mutter ihn ja gleich verstanden. Sein guter Alter aber hatte sich zu sehr in die Vorstellung versteift, daß er als eifriger Bücherwurm in den Kollegs Hosenböden blank scheuerte. Deshalb beschloß er, sie lieber bei seiner Rückkehr mit allem zu überraschen. Die Mensur sollte nämlich erst gegen Semesterschluß steigen.

Über den Tag selbst hatte Heinz sich von Viktor strengstes Schweigen ausgebeten, was dieser auch versprach und prompt brach. Margot brannte darauf, ihren Helden fechten zu sehen. Irmgard hatte zuerst abgelehnt. Sie, die ein Tröpfchen Blut schon einer Ohnmacht nahe brachte, schauderte bei dem Gedanken an diese Schlächterei. Aber dann war es ihre Angst selbst, die sie mitgehen hieß. In den letzten Nächten hatten so blutige Träume sie gepeinigt, daß sie sich sagte, die Wirklichkeit müsse gnädiger sein. Und ganz auf dem Grund ihrer Mädchenseele brannte auch das reine, warme Liebesgefühl: in der Stunde der Gefahr bei ihm zu sein.

So nahmen die drei ein Auto und fuhren nach dem hochberühmten Bierdörfchen Winzerla hinaus.

Im Tanzsaal eines Bauerngasthofs wurde gepaukt.

Die Burschen hatten sich eben zur Mensurberatung zurückgezogen. An den Wänden unter Girlanden von Papierrosen saßen nur die Füchse, gossen aus Gieß- und Waschkannen Lichtenhainer Bier in ihre Holzkrüge und hämmerten dazu Skatkarten auf den Tisch. Jemand hatte dem Orchestrion einen Groschen in den Schlitz gesteckt, das einen dröhnenden Militärmarsch herunterrasselte.

Da und dort standen Gruppen von Bauern, in Miststiefeln, aus halblangen Pfeifen und Nasenwärmern schmauchend, während sie die eben beendete Mensur und die Aussichten der nächsten erörterten. Es gab unter ihnen alte Stammgäste, die schon die Väter der jetzigen Burschen hatten fechten sehen und kritischere Richter waren als die Studenten selbst, mit denen sie auf du und du standen.

Bei dem Höllenlärm, in der mit Blut-, Bier- und Tabaksdunst erfüllten Luft wurde Irmgard gleich nach Ohnmacht zumute. Aber sie wollte den Liebsten nicht durch eine Elendsmiene erschrecken. Die roten Papierrosen sollten nicht Blut bedeuten, sondern Sieg ... seinen Sieg. So verzehrte sie tapfer ein Brötchen und trank sogar einen Tropfen Bier.

Derweil saß Heinz in dem erstickend engen und vollen Konventszimmer der Zimbern, nackt bis auf eine Leinenhose und die Halsbandage. Ein alter Couleurdiener, erfahren in allen Pfiffen und Kniffen, bandagierte seinen Oberarm. Vor einer Schale mit dampfendem Wasser stand in Hemdärmeln und Gummischürze der Paukarzt. Der Sekundant befand sich schon in vollem Wichs und ließ sich kodaken. Ein anderer Student bezahlte zigarettenrauchend einem Bundesbruder seine Schulden, die dieser auf kleine Papierfetzen wie auf Scheckformulare aufnotiert hatte. Ein Schleppfuchs mußte springen und Kännchen herbeitragen.

Während man jetzt Heinzens Handgelenke umwickelte, focht ein Zimber ihm vor.

»Versuch' doch mal dies! 'n bißchen kippen, schwupp weg!«

»Wenn ich dir raten soll, schlägst du überhaupt keine Dessins,« sagte sein Freund Brandts. »Die Hauptsache ist, daß du stehst.«

»Wer 'ne Terz würde ich doch versuchen.«

»Und du, Heiling, daß du beim Pommern nur auf Haltung achtest. Immer monieren! Nur nischt durchgehen lassen. Hast ja sonst die Klappe weit genug auf.«

»Donnerwetter, ihr komprimiert mir ja das Gehirn!« murrte Heinz, den die Paukbrille einschnürte. »So kann ich unmöglich 'ne Stunde stehn.«

»Brauchst du ja auch nicht. Stich ihn doch gleich ab!«

Kühl schauernde Erregung überrieselte seine Haut wie sein Inneres. Weniger wegen der Mensur. Gleich einer Lektion, die zum alles beherrschenden Gedanken wird, hatte er sich die letzten Tage wiederholt: Steh wie ein Amboß! Mag kommen, was will ... Aber dahinter, unterdrückt und dennoch heftig, vibrierte die Erwartung! ob Irmgard wohl da sei?

Unmöglicher Gedanke! Er hatte ja Viktor das Schweigewort abverlangt. Aber dessen vielsagendes Lächeln gestern hatte ihn stutzig gemacht. Phantastische Einbildung! Es entsprach so gar nicht Irmgards Zartsinn, dieser Schlächterei beizuwohnen. Und dennoch! Ihm zuliebe? ... Er wünschte es gar nicht. Er würde ruhiger stehen, wenn er sie nicht im Saal wußte. Und dennoch! Ganz in seiner Tiefe zitterten Sehnsucht und Hoffnung.

Nun geleitete man ihn hinaus.

Seine Augen schweiften umher. Aber durch die Paukbrille beengt sahen sie nur Couleurmützen und Bauernköpfe. Da, gerade als er seinen Platz erreichte, gewahrte er den ihm so wohlbekannten weißen Florentiner.

Großäugig, blaß blickte Irmgard ihn an. Aber sie lächelte. Da neigte auch er lächelnd den Säbel.

»Er hat mich bemerkt! Er hat mir ein Zeichen gegeben,« flüsterte Margot aufgeregt.

Der Sekundant des Pommern bat den Unparteiischen, Silentium zu gebieten.

»Nu kannste aber e mal e hibsches Schlachtfest sähn, Karle,« sagte ein alter Bauer hinter Irmgard.

»Das will 'ch glooben, daß da Blut fließt. Der Blonde tut mir leid,« griente der andere.

»Bevor ich Silentium für die Parteien erteile,« schnarrte der Unparteiische, »mache ich die Herren Paukanten darauf aufmerksam, daß sie im Begriff stehen, eine strafbare Handlung zu begehen. Ich fordere sie daher zur Versöhnung auf. Zum ersten, zum zweiten, zum dritten. Ich konstatiere, daß mein Versöhnungsversuch mißlungen ist.«

Heinz wurde seinem Gegner auf Säbellänge gegenübergestellt. Ein Schleppfuchs hielt seinen bandagierten Arm wagerecht.

»Was wollen wir wetten, Karle, daß der Blonde abgestochen wird? E Fuffziger gegen e Zähner?«

»Ich sage gar nischt. Erscht will 'ch 'n schlagen sähn.«

Vor Irmgards Augen verrann alles in wogende Ferne. Jetzt zuckte sie zusammen. Ein scharfer Ruf hatte die Luft zerrissen: »... su! ... Fert'g!«

Die Couleurdiener rissen den Paukanten die Mützen herunter, die Schleppfüchse gaben ihnen die Arme frei.

»Los!«

Ein schwaches metallisches Dröhnen.

»Halt!«

Wie aus einer Ohnmacht sah sie auf. Heinz war unverletzt.

»Warum halt?« fragte der Unparteiische.

»Die kommentmäßige Zahl der Hiebe wurde geschlagen.«

»Ich konstatiere das,« sagte der Unparteiische.

Die Säbel wurden desinfiziert. Wieder die bange, herzumschnürende Stille, in die gleich drei scharfen Pfeilen die Rufe: »... su! ... Fert'g ... Los!« eindrangen. Wieder das Dröhnen. Wieder das überraschend schnelle: »Halt!«

Nach dem dritten Gang gab es eine Bandagenpause.

Heinz war unverletzt. Sein Gegner hatte einen Streifhieb über die Stirn. Sein Blut lief am Ohr hinunter und tropfte auf den blutgetränkten Pappbelag des Fußbodens.

»Wie is es mit' e Fuffziger?«

»Da mußte noch was druffläge, Karle. Der Blonde schlägt recht hibsch.«

»Er steht famos,« sagte Viktor zu Irmgard, »aber er müßte rascher schlagen.«

»Nu, wenn der nich e höllisches Tempo schlägt, dann habe ich noch keenen fechten gesähn,« wandte der alte Bauer sich belehrend um.

Wieder kreuzten sich blitzend die Säbel. Jetzt schien der des Gegners Heinz treffen zu wollen, da fuhr die Klinge des Sekundanten dazwischen:

»Halt! War die Stellung kommentmäßig?«

»Nein.«

»Lag's an der Wucht der Gegenhiebe?« fragte der andere.

»Ich konstatiere das.«

Im fünften Gang bekam Heinz eine Hochquart, doch war sie halb abgefangen. Immerhin quoll das Blut in dicken Strömen über seine Paukbrille, bis der Arzt es oberflächlich abwischte. Fast bei jedem Gang rügte sein Sekundant die Haltung des Gegners. Auch der alte Bauer war mit ihm unzufrieden.

»Was is denn mit den heite los? Er soll'n doch 'ne Prim 'nein hauen, daß 'n de Hirnschale zerplatzt.«

Immer dröhnender wuchteten die Säbel. Man spürte den kochenden Ingrimm der Fechtenden, von denen es wie eine Hitzwelle über die ganze, Kopf an Kopf gedrängte Menschenmasse wogte.

Irmgard war auf einen Stuhl gestiegen. Sie begann an Heinzens Sieg zu glauben.

Dessen Gegner bekam gleich darauf einen Blutigen über die Backe. Der Arzt sprang hinzu und versuchte seinen Finger durch die Wunde zu stecken. Aber noch war die Backe nicht ganz durchgeschlagen.

Wieder dies scharfe knallende »... su! ... Fert'g! ... Los!« ... und gleich darauf von beiden Seiten: »Halt!«

Ein dunkler Blutstrom schoß und quoll aus Heinzens weißer Brust, die ein Hieb querüber getroffen hatte. Ein breiter Fleischlappen hing herunter.

Irmgard sah gerade noch den Arzt hinzueilen, dann sank sie auf dem Stuhl zusammen und bedeckte ihr Gesicht. Aber dann raffte sie sich wieder auf. Das Blut strömte und strömte ... doch schon ging es weiter.

»E Teifelskerle! Hat nicht gemuckt!« zischelte der alte Bauer und spukte zum Zeichen seiner Hochachtung aus.

Das Gesicht von Heinzens Gegner war unter roten Bächen kaum noch zu erkennen. Beide standen in breiten Lachen. Auf dem Boden zu ihren Füßen floß ihrer beider Blut friedlich zusammen.

Und es ging mit qualvoller Langsamkeit weiter. Die Säbel dröhnten. Die scharfen Rufe knallten dazwischen. Neue Blutbäche bildeten sich. Und noch immer kein Ende. Und wieder die Stimme von Heinzens Sekundant:

»War die Haltung kommentmäßig?«

»Nein.«

»Der Säbel verfing sich.«

»Ich habe nichts bemerkt,« erklang nach sekundenlangem Zögern die Stimme des Unparteiischen.

In der aufgeregten Stille eine noch tiefere Stille ... ein Aussetzen des Atems ... eine Leere ... die Entscheidung.

»Dann bitte ich in der Korona anzufragen, Herr Unparteiischer,« sagte jetzt der Sekundant des Pommern.

»Ich frage in der Korona an, ob sich drei mensurehrliche Burschen finden, die gesehen haben, daß die inkommentmäßige Haltung am Verfangen lag.«

Wieder atemverhaltenes Schweigen, doch kaum noch in Spannung. Jedermann wußte, der lange Pommer hatte den Kampf verloren. Auf die schmählichste Art. Wegen schlechter Haltung.

»Herr Unparteiischer, ich führe ab,« murmelte dessen Sekundant.

»Ich konstatiere das. Mensur ex! Silentium ex!« erwiderte der Unparteiische.

Aber Irmgard wurde ihres Siegers kaum froh. Zwei bange, endlose Stunden mußte sie warten, bis ein Trupp von Zimbern den todblassen Heinz hinausgeleitete.

Sie konnte ihm kaum zuwinken. Dann fuhr das Auto mit ihm davon.


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