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Lukian

In der heiteren Laune und der Eleganz des Ausdrucks ist immer noch die Übersetzung von Wieland vorbildlich. Neben dieser ist gelegentlich die von Th. Fischer eingesehen; für die »Wahre Geschichte« auch die von Pauly und Schwabe.

 

1. Der Lügenfreund

(Tychiades [= Lukian] erzählt dem Philokles eine Unterhaltung, die er am Krankenbett des Wunderpriesters Eukrates mit diesem, seinen Besuchern, den Philosophen Kleodemos, Deinomachos und Ion, und dem Arzte Antigonos gehabt hat. Die Unterhaltung war auf Wundergeschichten gekommen, und alle suchten den ungläubigen Tychiades durch selbsterlebte oder wohlbezeugte Wunder zu ihrem Glauben zu bekehren.)

… »Die Geschichte von der Bildsäule«, fuhr Eukrates fort, »kannst du von meiner ganzen Familie hören. Denn sie ist allen meinen Hausgenossen, jung wie alt, in unzähligen Nächten erschienen.« »Von welcher Bildsäule?« fragte ich. »Hast du nicht beim Hereinkommen in unseren Hof eine prachtvolle Bildsäule gesehen, das Werk des Demetrios, den sie den Menschenschöpfer Attischer Erzgießer um die Wende des 5. Jahrh. v. Chr., der berühmt war wegen seines Realismus; daher auch der Beiname. Der Pelichos galt als sein bestes Werk. nennen?« »Den Diskuswerfer, der sich ganz nach der Vorschrift beim Losschleudern niederbückt und nach der Hand zurücksieht, mit der er die Scheibe abschleudern will? Das eine Knie ist etwas eingebogen, und man glaubt schon zu sehen, wie er sich nach dem Wurfe wieder aufrichten wird.« »Den nicht,« antwortete Eukrates, »das ist ja der Diskobol des Myron. Auch den Jüngling neben ihm meine ich nicht, der sich die Binde ums Haupt schlingt, das schöne Werk des Polyklet. Und auch nicht die Standbilder rechts vom Eingang, die Tyrannenmörder des Kritios und Nesiotes. Aber vielleicht hast du neben dem plätschernden Brunnen eine andere Gestalt gesehen, mit etwas vorhängendem Bauch, halbnackt, nur mit einem übergeworfenen Mantel, mit im Winde flatternden Barthaar und hervortretenden Adern – eine ganz individuelle Schöpfung. Es soll Pelichos, der Feldherr aus Korinth sein.« »Beim Zeus,« sprach ich, »ich sah so einen, rechts neben der Statue des Kronos. Es hängen Ehrenbänder an der Bildsäule und vertrocknete Kränze, und an ihre Brust sind goldene Blätter angeklebt.« »Jawohl,« sagte Eukrates, »ich habe ihn so vergolden lassen, da er mich zum drittenmal rettete, als ich am Fieber zu sterben drohte.« »So war also der treffliche Pelichos auch Arzt?« fragte ich. »Spotte nicht, sonst wird er bald hinter dich kommen. Ich weiß, was diese von dir verlachte Bildsäule vermag. Glaubst du nicht, daß er auch imstande ist, ein Fieber zu schicken, wenn er es zu vertreiben vermag?« »Nun wohl,« sagte ich, »so möge die Bildsäule uns gnädig sein und wohlgesinnt, wenn sie so mächtig ist. Was habt ihr Hausbewohner alle sie denn nun aber eigentlich treiben sehen?«

»Sobald es Nacht wird«, sagte jener, »steigt sie von ihrem Sockel herunter und durchkreist das Haus. Wir alle sind ihr schon gelegentlich begegnet und haben sie singen hören; sie hat aber noch niemandem ein Leid getan. Man muß ihr nämlich nur aus dem Wege treten, dann geht sie vorbei und tut denen nichts, die sie gesehen haben. Oft badet sie sich auch und amüsiert sich die ganze Nacht im Brunnen, so daß man das Wasser nur so klatschen hört.« »Sieh nur zu,« sagte ich, »daß es nicht etwa Talos, der Sohn des Minos aus Kreta Ein eherner Riese mit einer einzigen Ader, die an der Ferse mit einem Nagel geschlossen war. Er lief täglich dreimal um Kreta herum, und wenn Fremde sich nahten, machte er sich glühend und tötete sie in seiner Umarmung. Medea bezauberte ihn und zog ihm dann den Nagel aus der Ferse, so daß er verblutete. ist, und nicht Pelichos. Denn auch jener, der Umwandler Kretas, war aus Bronze. Wäre die Bildsäule aber nicht aus Erz, sondern aus Holz, so könnte sie gerade so gut ein Werk des Daidalos Daidalos, d. h. der Künstler, soll als erster den starren Holzbildern Leben verliehen haben, indem er die bis dahin übliche geschlossene Beinhaltung aufgab und zur Schrittstellung überging. sein wie eines des Demetrios. Denn sie läuft, wie du behauptest, ja ebenso von ihrer Basis davon.« »Sieh nur zu, Tychiades,« versetzte er, »daß dich dein Spott nicht noch einmal reut. Denn ich weiß nur zu gut, was jenem widerfuhr, der ihr die Obolen Kupfermünzen im Werte von c. 13 d. raubte, die wir ihr alle Neumond zu opfern pflegen.« »Solch ein Tempelschänder verdiente auch die allerschlimmste Strafe,« fiel Ion ein. »Aber erzähle, wie sie ihn strafte, Eukrates. Ich möchte es gern hören, mag auch Tychiades noch so ungläubig sein.«

»Es lagen,« erzählte der nun, »viele Obolen zu ihren Füßen, außerdem waren Silbermünzen und silberne Blätter mit Wachs an ihrer Hüfte angeklebt als Votivgaben oder Dankgeschenke für Heilung von solchen, die vom Fieber befallen und von ihr davon befreit worden waren. Nun hatten wir als Pferdeknecht einen gottverfluchten libyschen Sklaven. Der wollte das alles nachts stehlen und nahm es weg, als er sah, daß die Bildsäule einmal schon von ihrem Sockel herabgestiegen war. Nun aber paß auf, wie Pelichos sich rächte und den Libyer entlarvte, als er bei seiner Rückkehr merkte, daß er bestohlen war. Die ganze Nacht irrte jener in unserem Hof im Kreise umher und konnte den Ausgang nicht finden, wie wenn er in ein Labyrinth geraten wäre. Am frühen Morgen wurde er dann mit seinem Raube in der Hand ertappt. Er erhielt dann eine tüchtige Tracht Prügel und starb auch nicht lange nachher eines elendiglichen Todes. Denn er wurde von da an, wie er berichtete, jede Nacht geprügelt, so daß man am Morgen noch die Striemen sah. – So, nun verspotte den Pelichos, Tychiades, und sage, ich rede sinnloses Zeug, da ich so alt sei wie König Minos.« »Aber Eukrates,« sagte ich, »solange das Erz Erz ist und Demetrios von Alopeke es gegossen hat, der ein Menschenbildner war, aber keine Götter schuf, werde ich mich vor der Bildsäule des Pelichos nicht fürchten. Denn ich hätte mich nicht einmal vor dem lebenden Pelichos gefürchtet, wenn er mir gedroht hätte.«

Danach sagte der Arzt Antigonos: »Auch ich, Eukrates, habe einen ehernen Hippokrates, ungefähr von der Höhe einer Elle. Der rumort aber nur im ganzen Hause herum, wenn die Lampe vor ihm erloschen ist. Er wirft meine Büchsen um, gießt die Heilmittel ineinander und stößt die Türe ein, namentlich, wenn wir das Opfer vergessen, das wir ihm alljährlich darzubringen pflegen.« »So verlangt also auch schon der Arzt Hippokrates,« sagte ich, »sein Opfer und wird zornig, wenn er nicht zur rechten Zeit wie eine Gottheit ersten Ranges sein vollwertiges Opfermahl erhält! Der könnte doch zufrieden sein, wenn man ihm ein gewöhnliches Totenopfer aus Honig und Wein darbrächte oder sein Haupt bekränzte.«

»Nun höre folgendes Gesicht«, sagte Eukrates, »das ich vor fünf Jahren hatte. Ich habe Zeugen dafür. Es war zur Herbstzeit, und ich hatte die Winzerknechte um die Mittagsstunde entlassen und ging eben allein in den Wald, um etwas im stillen zu überlegen. Als ich nun tiefer im Wald drinnen war, hörte ich zunächst Hundegebell und meinte, mein Sohn Mnason amüsiere sich und jage mit seinen Freunden im Dickicht, wie er das oft zu tun pflegte. Dem aber war nicht so. Denn kurz darauf entstand ein Erdbeben, eine Donnerstimme erscholl, und ich sah ein furchtbares Weib sich nahen, das beinahe ein halbes Stadion [300 Fuß] hoch war. Sie trug eine Fackel in der Linken und in der Rechten ein zwanzig Ellen langes Schwert. Unten war sie schlangenfüßig, und oben sah sie der Gorgo Furchtbares Wesen mit Schlangenhaaren und versteinerndem Blick. gleich, so fürchterlich war ihr Blick und Antlitz. Statt der Haare ringelten sich ihr Schlangen um Haupt und Hals oder hingen von den Schultern über die Arme herab. Merkt ihr nicht, Freunde, wie mich jetzt noch bei der Erzählung der Schauder packt?« Mit diesen Worten zeigte uns Eukrates, daß selbst die Härchen an seinem Arme sich vor Schrecken emporsträubten. Ion, Deinomachos, Kleodemos und ihr Anhang starrten ihn vornübergebeugt mit aufgerissenen Mäulern atemlos an und verrichteten in der Stille ein Stoßgebet zu diesem unglaublichen Koloß einer Frau von 300 Fuß Höhe, diesem Riesenpopanz. Ich aber dachte bei mir: »Was sind das doch für Leute, die unsere Jugend ihrer Weisheit wegen aufsucht, und die die Menge bewundert! Sie unterscheiden sich ja doch nur durch ihr graues Haar und den langen Philosophenbart von den kleinen Kindern, ja sie sind der Lüge noch zugänglicher als diese.« Deinomachos aber sprach: »Sage mir doch, Eukrates, wie groß waren die Hunde der Göttin?« »Größer als indische Elefanten, auch schwarz wie diese, mit struppigem, schmutzigen Zottelpelz. Bei diesem Anblick blieb ich stehen, erhob die Hände und drehte zugleich den Siegelring, den mir der arabische Zauberer geschenkt hatte, nach der Innenfläche der Hand. Hekate aber, denn sie war es, stampfte mit ihren Schlangenfüßen auf den Boden, und sogleich tat sich ein gewaltiger Schlund auf, so groß wie die Unterwelt selbst. Gleich darauf sprang sie selbst hinein und verschwand. Ich aber faßte mir ein Herz und beugte mich über den Rand, indem ich mich an einem Baum in der Nähe festhielt, damit mir nicht schwindlig würde und ich kopfüber hinabstürzte. Da sah ich den ganzen Hades, den Feuerstrom, den Totensee, den Kerberos, die Toten, – so deutlich, daß ich einzelne Personen erkennen konnte. Auch meinen Vater sah ich ganz genau; er hatte noch die Kleider an, in denen wir ihn bestatteten.« »Was aber taten die Toten?« fragte Ion. »Was denn anderes, als daß sie nach Stämmen und Sippen geordnet sich mit Freunden und Verwandten auf der Asphodeloswiese gelagert die Zeit vertrieben.« Anspielung auf die Schilderung bei Homer, Odyssee XI. »Und da sollen,« triumphierte Ion, »die Epikuräer weiter dem heiligen Platon und seinem Phaidon widersprechen! Sahst du nicht den Sokrates selbst und den Platon unter den Toten?« »Den Sokrates ja, aber nicht so recht deutlich. Ich erriet ihn nur an seinem vorhängenden Bauch und seinem Kahlkopf. Den Platon aber erkannte ich nicht. Denn man muß den Freunden gegenüber, meine ich, die Wahrheit sagen. Gerade hatte ich das alles genau in Augenschein genommen, da schloß sich der Schlund wieder, und es kamen auch einige meiner Diener, um mich zu suchen. Auch Pyrrhias, der dort steht, war dabei, und sie kamen gerade an, als die Kluft sich noch nicht ganz geschlossen hatte. Sag an, Pyrrhias, ob ich nicht die Wahrheit rede.« »Ja, beim Zeus,« sagte Pyrrhias, »ich habe auch noch Hundegebell aus dem Schlund heraufgehört, und es schien mir auch ein Feuerschein wie von Fackeln daraus hervorzuleuchten.« Da mußte ich lachen über den Zeugen, der uns von freien Stücken noch Hundegebell und Fackelschein darein gab.

Kleodemos aber sagte: »Das ist durchaus nichts Unerhörtes, was du da schautest, und nichts, was nicht auch schon andere gesehen hätten. Auch ich habe, als ich vor nicht langer Zeit krank lag, ein ganz ähnliches Gesicht gehabt. Es behandelte mich damals hier unser Freund Antigonos. Es war der siebente Tag, und die Fieberglut ärger als der Scirocco. Alle hatten mich verlassen und die Türe hinter sich geschlossen und warteten draußen. So hattest du es angeordnet, Antigonos, um zu versuchen, ob ich nicht einschlafen könnte. Da tritt plötzlich, während ich wach daliege, ein wunderschöner Jüngling in weißem Gewand an mich heran, heißt mich aufstehen und führt mich durch einen Erdschlund in den Hades. Ich merkte das sofort, als ich den Tantalos, Tityos und Sisyphos sah und viele andere, die ich jetzt nicht aufzählen will. Als ich aber zur Stätte des Gerichts kam – Aiakos war da und Charon und die Moiren Schicksalsgöttinnen gleich den römischen Parzen. und Erinyen –, saß da ein königlicher Mann, es war wohl Pluto, und verlas die Namen derer, die sterben sollten, weil sie den Termin ihres Lebens überschritten hatten. Der Jüngling, der mich hergebracht hatte, stellte mich nun vor ihn. Pluto aber wurde ärgerlich und sagte: ›Weg mit ihm! Sein Faden ist noch nicht abgesponnen. Hole lieber den Schmied Demylos, der lebt schon über seine Spindel hinaus!‹ Ich sprang freudig auf und war sofort des Fiebers ledig. Nun verkündete ich allen, daß Demylos sterben werde, der in unserer Nachbarschaft lebte und, wie ich erfuhr, auch krank lag. Und richtig, nach kurzer Zeit hörten wir, wie die Seinen die Totenklage um ihn anstimmten.«

»Was ist da Wunderbares dabei?« sagte Antigonos. »Ich kenne einen, der zwanzig Tage nach seiner Beerdigung wieder aufstand. Ich habe den Mann vor und nach seinem Tode behandelt.« »Und wie war denn das möglich,« fragte ich, »daß der Mann während zwanzig Tagen nicht verweste und auch nicht Hungers starb? Du mußt da ja geradezu einen zweiten Epimenides Epimenides von Kreta, sagenhafte Figur, soll in der diktäischen Grotte einen vieljährigen Schlaf getan haben und mehrere Jahrhunderte alt geworden sein. in Behandlung gehabt haben!«

Während dieser Unterhaltung kamen die beiden Söhne des Eukrates aus der Ringschule heim. Der ältere war schon über das erste Jünglingsalter hinaus, der andere aber etwa 15 Jahre alt. Sie begrüßten uns und setzten sich dann neben ihren Vater. Nun begann Eukrates wieder, wie wenn ihm beim Anblick der Söhne etwas eingefallen wäre. »So wahr ich Freude an diesen beiden erleben will« – und dabei legte er seine Hand auf sie –, »so wahr ist das, Tychiades, was ich dir jetzt erzählen will. Wie sehr ich meine selige Frau, die Mutter dieser Kinder, liebte, wissen alle, und ich habe es auch durch mein Verhalten gegen sie zu ihren Lebzeiten und auch nach ihrem Tode bewiesen. Denn damals habe ich ihren ganzen Schmuck und ihr Lieblingskleid mit ihr verbrannt. Sieben Tage nun nach ihrem Tode lag ich auf diesem Ruhebett so wie jetzt und suchte mich über meinen Kummer zu trösten, indem ich in der Stille Platons Phaidon las. Da kommt plötzlich die Demainete leibhaftig herein und setzt sich dahin, wo jetzt Eukratidas« – und damit wies er auf den jüngeren Sohn hin – »sitzt.« Der Junge, der schon beim Anfang der Erzählung ganz gelb geworden war, schauderte jetzt nach Kinderart heftig zusammen. »Ich«, fuhr Eukrates fort, »umarmte sie unter Jammern und Klagen. Sie aber verbot mir zu weinen und beschwerte sich, daß ich zwar sonst alle ihre Wünsche erfüllt hätte, aber die eine ihrer goldenen Sandalen nicht mit verbrannt hätte. Diese sei nämlich unter die Kleidertruhe gefallen, und deshalb hatten wir sie nicht finden können und nur die andere verbrannt. Während wir uns noch so unterhielten, fing unser verwünschtes Malteserhündchen, das unter dem Ruhebett lag, zu bellen an, und auf dieses Gebell hin verschwand sie. Die Sandale aber fand sich richtig unter der Kleidertruhe und wurde nachträglich verbrannt. Nun, Tychiades, vermagst du so handgreiflichen Tatsachen gegenüber, die sich fast alltäglich ereignen, deinen Unglauben aufrechtzuerhalten?« »Nein, beim Zeus!« entgegnete ich, »vielmehr sollte man die Zweifler, die sich so hartnäckig der Wahrheit verschließen, wie kleine Kinder überlegen und mit einer goldenen Sandale verprügeln!«

Während wir noch so sprachen, trat der Pythagoräer Arignotos ein. Ihr kennt ja den Mann mit dem wallenden Haar und dem feierlichen Gesicht, den sie wegen seiner Weisheit hoch preisen und sogar »den Heiligen« nennen. Als ich den sah, atmete ich auf. Denn der weise Mann, sagte ich mir, wird ihnen mit ihrem Wundergewäsch schon den Mund stopfen und ihre Lügen wie mit einem zweischneidigen Schwert durchhauen. Ja, es ist nicht anders: Fortuna selbst hat ihn mir in ihrer Gnade als einen deus ex machina zugesandt. Kleodemos machte ihm Platz, und er setzte sich und fragte zuerst nach dem Befinden des Kranken. Als ihm Eukrates geantwortet hatte, es gehe ihm schon wieder besser, sagte er: »Ihr waret wohl gerade am Philosophieren? Ich hörte so etwas beim Hereintreten, und die Unterhaltung schien mir gerade ganz interessant zu sein.« »Ja,« erwiderte Eukrates, »wir wollten gerade diesen Mann mit dem steinernen Herzen« – und damit deutete er auf mich – »davon überzeugen, daß es Geister und Gespenster gibt und daß die Seelen der Abgeschiedenen auf Erden umgehen und erscheinen, wem sie wollen.« Ich meinerseits ward nun rot und schlug aus Respekt vor Arignotos die Augen nieder. »Vielleicht,« ergriff nun dieser das Wort, »ist Tychiades der Ansicht, bloß die Seelen derer gingen um, die eines gewaltsamen Todes starben, so wenn jemand sich erhängt hat, wenn er enthauptet, gekreuzigt oder auf ähnliche Weise aus dem Leben befördert wurde. Hingegen die nicht, die auf dem üblichen Wege das Dasein verließen. Sagt er nämlich das, so möchte ich ihm nicht so ganz Unrecht geben.« »Nein, beim Zeus,« antwortete Deinomachos, »er behauptet, so etwas gäbe es überhaupt nicht, und niemand habe dergleichen gesehen.«

»Wie?« rief Arignotos aus und sah finster auf mich, »du glaubst nicht an die Existenz von Dingen, die sozusagen die ganze Welt geschaut hat?« »Damit habt ihr meinen Unglauben selbst entschuldigt,« gab ich zurück, »ich bin eben der einzige, der nichts der Art gesehen hat. Hätte ich das, so würde ich natürlich ebenso gläubig sein wie ihr.« »Nun wohl,« sagte Arignotos, »wenn du einmal nach Korinth kommst, so erkundige dich nach dem Hause des Eurybatides. Und wenn man es dir gezeigt hat – es liegt nicht weit vom Kraneion Vorstadt im Westen Korinths. –, so gehe hinein und sage dem Türhüter Tibios, du wollest die Stelle sehen, wo der Pythagoräer Arignotos habe nachgraben lassen und den Geist ausgetrieben und dadurch das Haus wieder bewohnbar gemacht habe.«

»Was war denn das für eine Geschichte, Arignotos?« fragte Eukrates. »Das Haus war lange Zeit unbewohnbar; denn wenn einer dort wohnen wollte, wurde er von einem furchtbaren Gespenst dermaßen erschreckt, daß er sofort floh. Es war daher auch schon am Verfallen; das Dach war eingestürzt, und es fand sich kein Mensch, der den Mut gehabt hätte es zu betreten. Als ich das hörte, packte ich meine Bücher zusammen – ich besitze eine ganze Bibliothek ägyptischer Zauberbücher – und ging um die Schlafenszeit dorthin. Mein Gastfreund widersetzte sich vergebens und suchte mich fast mit Gewalt zurückzuhalten, denn er war überzeugt, daß ich dem Tod in den Rachen liefe. Ich aber nahm ein Licht mit mir und ging ganz allein in das Haus. Im größten Zimmer stelle ich das Licht auf den Boden, setze mich daneben und fange ruhig zu lesen an. Der Geist kommt und meint, er habe es mit einem aus der großen Menge zu tun, der sich leicht werde einschüchtern lassen. Er erscheint mir also in scheußlicher Gestalt, ganz behaart und schwärzer wie die Nacht. Er sucht mir von allen Seiten beizukommen, um mich aus der Fassung zu bringen – bald war er ein Hund, bald ein Stier, bald ein Löwe. Ich aber greife zu meinen schauerlichsten Beschwörungsformeln und setze ihm in ägyptischer Sprache zu. So bannte ich ihn endlich in einen dunkeln Winkel des Hauses. Dann merkte ich mir die Stelle, wo er verschwunden war, und schlief den Rest der Nacht. Am andern Morgen hatten die Leute mich schon aufgegeben und vermuteten mich tot zu finden wie die andern vor mir – da trete ich plötzlich unvermutet in ihre Mitte und bringe dem Eurybatides die frohe Meldung, daß sein Haus gespensterfrei sei und er es künftig ohne Furcht bewohnen könne. Dann führte ich ihn und die vielen andern, die die wunderbare Geschichte hergeführt hatte, an den Ort, wo ich den Geist hatte verschwinden sehen. Dort hieß ich sie nun mit Hacke und Spaten nachgraben. Als sie es taten, fand man eine Klafter tief unter der Erde ein wohlerhaltenes Totengerippe. Wir bestatteten es, und seit der Zeit wird das Haus nicht mehr von Gespenstern heimgesucht.«

So sprach Arignotos, ein Mann von übernatürlicher Weisheit, vor dem alle die höchste Ehrfurcht empfanden – und nun war keiner unter den Anwesenden, der mich nicht für einen ausgemachten Dummkopf gehalten hätte, da ich immer noch an der Wahrheit von Dingen zweifelte, die Arignotos selbst bestätigt hatte. Ich aber ließ mich weder durch seine Prophetenmähne noch durch seinen großen Namen einschüchtern, sondern rief aus: »Ist es möglich! Auch du, Arignotos, auf den die Wahrheit ihre ganze Hoffnung setzte, auch du bist ganz erfüllt von Dunst und Hirngespinsten! Ja, das Sprichwort behält doch recht: Einen Schatz glaubten wir zu finden, und Kohlen fanden wir!« »Nun,« entgegnete Arignotos, »wenn du weder mir Glauben schenkst, noch dem Deinomachos oder dem Kleodemos oder auch dem Eukrates selbst, so nenne uns doch einen Mann, der mehr Glauben verdient und der deine Ansicht teilt!« »Beim Zeus,« sprach ich, »den kann ich euch nennen. Der von allen hochverehrte Demokrit aus Abdera Demokritos aus Abdera, Philosoph des fünften Jahrhunderts, der Begründer der Atomenlehre. war fest überzeugt, daß nichts derartiges möglich sei. Er ließ sich in ein Grabmal außerhalb der Stadt einschließen und verbrachte dort seine Zeit, tags wie nachts, schreibend und philosophierend. Nun wollten ihm einige junge Leute einen Streich spielen und ihn in Angst versetzen. Sie legten schwarze Leichengewänder an und setzten sich Totenmasken auf, zogen dann hinaus und tanzten so einen tollen Reigen um ihn herum. Der aber fürchtete sich nicht vor ihrer Maskerade, sondern sah nicht einmal von der Arbeit auf und sagte nur, indem er ruhig weiterschrieb: ›Nun hört einmal auf mit euren Dummheiten!‹ So fest war er davon überzeugt, daß die Seele nach ihrer Trennung vom Leibe nicht weiter existiere.« »Damit beweist du nur,« sagte nun Eukrates, »daß auch Demokrit unverständig war, wenn er diese Ansicht hegte. Ich aber will euch noch eine Geschichte erzählen, die ich nicht vom Hörensagen weiß, sondern die ich selbst erlebt habe. Vielleicht wirst dann sogar du, Tychiades, wenn du sie angehört hast, von ihrer Wahrheit bezwungen werden.«

»Als ich mich als junger Mann in Ägypten aufhielt, wohin mich mein Vater Studierens halber geschickt hatte, bekam ich Lust den Nil hinaufzufahren nach Koptos, um den wunderbaren Laut zu hören, den die Memnonsäule bei Sonnenaufgang ertönen läßt. Das habe ich nun auch gehört, und zwar nicht nur einen sinnlosen Laut wie die große Menge, sondern Memnon selbst tat den Mund auf und gab mir ein Orakel in sieben Hexametern, die ich euch rezitieren würde, wenn uns das nicht zu weit führte. Auf der Rückfahrt nun trug es sich zu, daß ein Mann aus Memphis mit auf dem Schiff war, ein Schriftgelehrter von bewundernswerter Bildung, der die ganze Weisheit Ägyptens kannte. Er soll 23 Jahre in den unterirdischen Grüften gelebt haben und dort von Isis selbst in der Magie unterwiesen worden sein.« »Du sprichst von Pankrates Pankrates (oder Panchates), ein ägyptischer Magier und Dichter, gab dem Kaiser Hadrian bei dessen Aufenthalt in Alexandria eine Zaubervorstellung. Verse von ihm sind in einem Papyrus von Oxyrhynchos erhalten. meinem Lehrer,« unterbrach ihn Arignotos, »einem wahrhaft heiligen Mann. Nicht wahr, er war kahl geschoren, trug leinene Kleider und sprach kein ganz reines Griechisch? Weiter: ernstes Gesicht, lange Gestalt, Hakennase, vorstehende Lippen, etwas dünne Beine?« »Ganz recht, gerade von eben diesem Pankrates. Zuerst wußte ich nicht, was das für ein Mann war. Dann aber sah ich, daß er, so oft das Schiff hielt, allerlei Zaubereien verübte. So ritt er auf den Krokodilen und schwamm mitten unter den Ungeheuern herum, die großen Respekt vor ihm hatten und ihm mit den Schwänzen zuwedelten. Da erkannte ich freilich, daß er ein heiliger Mann war, und erwies ihm allerlei Freundlichkeiten, so daß er mit mir vertraut wurde und mir alle seine Geheimnisse mitteilte. Er überredete mich dann auch, alle meine Diener in Memphis zurückzulassen und mit ihm allein weiterzureisen. An Bedienung solle es uns nicht mangeln, sagte er. Das ging dann folgendermaßen zu.

Wenn wir in ein Wirtshaus kamen, nahm er den Türriegel oder den Besen oder die Mörserkeule, legte dem Ding Kleider an und sprach eine Zauberformel. Von da an schien das Ding allen Leuten ein lebendiger Mensch zu sein. Er ging weg, holte Wasser, kochte das Frühstück und trug es auf und wartete uns auch sonst auf wie der beste Bediente. Hatten wir aber seine Bedienung nicht länger nötig, so sprach mein Mann eine andere Zauberformel, und der Besen wurde wieder zum Besen und die Mörserkeule wieder zur Mörserkeule. Obgleich ich mir nun alle mögliche Mühe gab, gelang es mir nicht, ihm dies Kunststück abzulernen. Denn damit hielt er hinter dem Berge, obgleich er sonst der gefälligste Mensch war. Eines Tages aber trat ich, da es dunkel im Zimmer war, unbemerkt ganz nahe an ihn heran und hörte die Formel, die nur aus drei Silben bestand. Er wollte damals gerade auf den Markt gehen und gab der Mörserkeule noch einen Auftrag.

Am andern Tag nun, als er wieder auf dem Markt zu tun hatte, verwandle auch ich die Mörserkeule mit den drei Silben zum Diener und befehle ihr Wasser zu holen. Sofort bringt sie einen Krug mit Wasser. »Schön,« sage ich, »das genügt, also werde gefälligst wieder zur Mörserkeule.« Die aber gehorcht mir nicht, sondern holt weiter Wasser, immer mehr Wasser, bis endlich das ganze Haus im Wasser schwamm. Mir wurde bange bei der Sache. Zudem fürchtete ich, Pankrates könne, wenn er dazu käme, die Geschichte übel nehmen; und das tat er dann auch. So packte ich denn ein Beil und zerhieb die Keule von oben nach unten in zwei Stücke. Aber nun ergriffen beide Teile einen Krug und liefen davon und statt eines Wasserträgers hatte ich nun zwei. In diesem Augenblick kam Pankrates hinzu, sah die Bescherung und gab ihnen wieder die alte Gestalt wie vor der Beschwörung. Dann aber verschwand auch er, und ich weiß nicht, wohin er sich gewandt hat.« – »Du aber,« fragte Deinomachos, »verstehst auch jetzt noch das Kunststück, aus einer Mörserkeule einen Menschen zu machen?« »Beim Zeus, ja, aber nur zur Hälfte!« entgegnete Eukrates. »Da ich sie jedoch nicht in den alten Zustand zurückversetzen kann, wenn sie erst einmal zum Menschen geworden ist, so liefen wir Gefahr, daß das ganze Haus unter Wasser gesetzt würde.«

Da fing mir an die Geduld auszugehn …

 

2. Das Schiff (oder: Die Wünsche)

(Vier Freunde, Lykinos, Timolaos, Samippos und Adeimantos, kommen vom Piraeus zurück, wo sie ein kolossales Schiff angestaunt und allerlei Betrachtungen über das Glück des Besitzers angestellt haben.)

Timolaus. – Wir haben noch ein tüchtiges Stück Weges bis zur Stadt zurück. Wie wär's, wenn wir den in vier Teile zerlegten und jeder von uns erzählte uns sein Teil lang, was er sich wohl von den Göttern wünschen würde. Dann würden wir die Beschwerden des Weges weniger spüren und hätten das Vergnügen, uns wachend die schönsten Träume zu verschaffen und es uns wohlsein zu lassen, solange wir wollen. Denn jedem steht das Maß seiner Wünsche völlig frei, und wir wollen annehmen, die Götter gewährten uns alles, wenn das auch sonst dem Lauf der Dinge widerspricht. Die Hauptsache dabei ist: man wird erkennen, wer seine Wunschkraft und seinen Reichtum am besten verwertet. Denn nun wird es sich zeigen, wie er sich als Reicher benehmen würde.

Samippos. Recht so, Timolaos, ich schließe mich dir an, und wenn die Reihe an mich kommt, werde ich nach Herzenslust drauflos wünschen. Ob Adeimantos einverstanden ist, brauchen wir gar nicht zu fragen, denn der steht schon mit einem Fuße in »seinem« Schiff. Aber auch Lykinos muß zustimmen.

Lykinos. O, ich werde dem allgemeinen Besten gewiß nicht im Wege stehen. Also schwelgen wir nur im Reichtum, wenn euch das Spaß macht.

Adeimantos. Aber wer wird anfangen?

Lykinos. Du, Adeimantos. Dann kommt Samippos und dann Timolaos. Wenn ihr mir nur das letzte halbe Stadion vor dem Tor übrig laßt, so will ich euch doch alle mit meinen Wünschen noch überflügeln.

Adeimantos. Nun, ich kann mit meinen Wünschen immer noch nicht von dem Schiffe loskommen. Aber ich will mir, da uns das ja freisteht, noch weiteres dazu wünschen, was Hermes in Erfüllung gehen lassen möge. Also das Schiff wäre mein, mit aller Ausrüstung und der gesamten Ladung, auch den Matrosen und den Frauen, den hübschen Pagen des Kapitäns vor allem inbegriffen. Aber all der Weizen, der im Kielraum liegt, soll zu Gold werden. Für jedes Weizenkorn ein Goldstück!

Lykinos. Da wird dein Schiff untergehen, Adeimantos. Denn Goldstücke und Weizenkörner wiegen gar ungleich.

Adeimantos. Sei nicht so neidisch, Lykinos! Wenn du daran bist, magst du dir den ganzen Berg Parnes Höchster Berg Attikas, n. von Athen. da drüben in Gold wünschen, und ich werde schweigen.

Lykinos. Ich tat's ja nur der Sicherheit willen, damit wir nicht alle mit dir ertrinken. Und auf uns käme es ja noch nicht einmal so sehr an, aber es wäre doch schade, wenn der hübsche Kleine ertränke, der sicher nicht schwimmen kann.

Timolaos. Nur keine Sorge, Lykinos! Den würden sicher Delphine auf den Rücken nehmen und ans Land tragen.

Adeimantos. Auch du, Timolaos, stimmst in die Witzelei des Lykinos ein, und du hast doch selbst die Sache in Vorschlag gebracht?

Timolaos. Ja du hättest eben die Geschichte etwas glaubhafter machen müssen! Du konntest ja den Schatz unter deinem Bett finden und wärest dann auch der Schwierigkeit überhoben, das Gold vom Schiff in die Stadt zu bringen.

Adeimantos. Da hast du recht. Also der ganze Schatz soll vor dem Steinbild des Hermes in meinem Hof gefunden werden Bekanntes Märchenmotiv; vgl. oben Babrios 22. S. 47., tausend Scheffel geprägten Goldes. Dann ist das erste, wie Hesiod Werke und Tage 405. sagt, ein Haus, das ich mir höchst prächtig bauen werde. Weiter kaufe ich mir alle Landgüter um die Stadt herum zusammen und den ganzen Strand von Eleusis. Einiges übrigens auch am Isthmos, falls ich einmal Lust habe, die Spiele dort anzusehen. Aber das Gebiet von Sikyon kaufe ich ganz, und wo es sonst ein baumreiches, gutbewässertes, fruchtbares Gefilde in Hellas gibt – all das soll bald dem Adeimantos gehören. Euch aber lassen wir dann von lauterem Golde speisen, und die Becher sollen nicht so leicht sein wie die des Echekrates, sondern jeder mindestens 2 Talente schwer.

Lykinos. Da möchte ich den Mundschenken sehen, der dir einen so schweren Becher wohlgefüllt reichen kann, oder dich selbst, wenn du eine solche Sisyphuslast stöhnend emporstemmst.

Adeimantos. Mensch, ich bitte dich, pfusche mir nicht immer in meine Wünsche hinein! Ich will auch Tische und Ruhebetten von schwerem Golde haben, und wenn du nicht still bist, sollen auch die Diener selbst von Gold sein.

Lykinos. Dann sieh nur zu, daß dir nicht auch Speise und Trank zu Gold wird wie dem Midas und du elend in deinem Reichtum auf die großartigste Weise dich zu Tode hungerst.

Adeimantos. Wenn du nachher dran bist, kannst du ja deine Wünsche logischer gestalten. Ich aber wünsche mir auch purpurne Gewande und die ganze Lebenshaltung so üppig wie möglich. Ich werde schlafen, solange ich will, und dann werden mich meine Freunde umdrängen und mir ihre Bitten vortragen. Alles wird sich vor mir bis zur Erde neigen, und schon frühmorgens wird man vor meinen Türen auf- und abwandeln, um mir seine Aufwartung zu machen. Dann werden auch Kleainetos und Demokritos kommen, die hochnäsigen Herrn, und wenn sie dann vor den andern hineinwollen, dann werden ihnen meine sieben Türhüter, riesengroße Barbaren, die Türe vor der Nase zuwerfen, wie sie es jetzt andern machen. Ich selbst aber werde, wenn es mir beliebt, wie die aufgehende Sonne hereintreten und für einige von ihnen auch nicht einen Blick übrig haben. Ist jedoch einer unter ihnen, der so arm ist, wie ich es war, ehe ich den Schatz fand, so werde ich ihn freundlich begrüßen und ihn auffordern, nach dem Bade zu der bei mir üblichen Stunde bei mir zu speisen. Die Reichen aber werden vor Neid ersticken, wenn sie meine Pferde und Wagen sehen und all die hübschen Pagen, gegen 2000, die Blüte der gesamten Jugend. Dann wird man wie gesagt auf Gold – denn das gemeine Silber paßt sich nicht für mich – bei mir speisen: Seefische aus Spanien, Wein aus Italien, Öl wieder aus Spanien, Honig von hier, aber er darf nicht mit Feuer geläutert sein, an Wildbret Eber und Hasen von überall her, an Geflügel Fasanen aus Kolchis, Pfauen aus Indien und Hähne aus Numidien. Meine Köche aber sollen die reinen Virtuosen in Kuchen und Saucen sein. Wenn ich einen Becher oder eine Schale verlange, um einem zuzutrinken, so soll der, den ich so auszeichne, austrinken und dann das Gefäß mitnehmen dürfen. Was man jetzt so reiche Leute nennt, die werden gegen mich nur arme Schlucker sein, und namentlich Diorikos wird nicht mehr in der Prozession sein silbernes Schüsselchen und Becherchen vor sich hertragen, wenn er sieht, wie bei mir nur die Sklaven Silbergeschirr berühren. Gegen die Stadt aber will ich mich ausnehmend freigiebig erweisen: jeden Monat lasse ich Geld verteilen, den Bürgern 100 Drachmen [80 Mk.] und jedem Zugezogenen die Hälfte. Dann lasse ich herrliche Theater und Bäder bauen, und das Meer wird in einem ungeheuren Kanal bis ans Doppeltor geleitet. Dort soll der Hafen sein, damit mein Schiff ganz nahe der Stadt ankern kann und schon vom Töpfermarkt aus den Leuten in die Augen fällt. Und was nun euch, meine Freunde, anbetrifft, so werde ich meinem Schatzmeister Befehl geben, dem Samippos 20 Scheffel gemünzten Goldes zuzumessen, dem Timolaos 5 Metzen, dem Lykinos aber nur eine einzige und die knapp gemessen, weil er ein Schwätzer ist und sich unterstanden hat, über meinen Wunsch zu spotten.

Das also wäre das Leben, was ich mir wünschte: reich sein im Übermaß und alle Lüste und Genüsse bis zum Grunde auskosten. – So, nun habe ich gesprochen, und Hermes möge den Wunsch in Erfüllung gehen lassen.

Lykinos. Weißt du auch, Adeimantos, daß dein ganzer Reichtum an einem dünnen Faden hängt? Der kann leicht reißen, und dann ist es vorbei, und du besitzest, wie man zu sagen pflegt, Kohlen statt eines Schatzes.

Adeimantos. Wie meinst du das, Lykinos?

Lykinos. Ich meine, daß es sehr unsicher ist, wie lange du bei deinem ganzen Reichtum leben wirst. Wer weiß, ob du nicht, wenn der goldene Tisch schon vor dir steht, ehe du den indischen Pfau oder den numidischen Hahn gekostet hast, dein liebes Seelchen aushauchst und fortmußt, um all das den Raben und Geiern zu überlassen. Soll ich dir all die Leute aufzählen, die wegmußten, ehe sie ihren Reichtum genossen hatten: weißt du nicht auch, daß ein neidischer Dämon andere noch bei Lebzeiten all ihrer Schätze beraubt hat? Hast du nie von Kroisos und Polykrates gehört, die noch viel reicher waren als du und doch in kurzer Zeit alle ihre Schätze verloren? Doch davon einmal ganz abgesehen – wer verbürgt dir denn eine gute und dauerhafte Gesundheit? Siehst du nicht, wie viele Reiche ein elendes Dasein unter Schmerzen dahinschleppen? Die einen sind lahm, die anderen blind oder leiden an einer inneren Krankheit. Daß du z. B. nicht doppelt so reich sein wolltest, wie Phanomachos, wenn es dir ginge wie ihm, der leben muß wie ein gebrechliches Weib, das weiß ich, wenn du es auch nicht eingestehst. Und nun habe ich noch nicht einmal von den Nachstellungen gesprochen, die der Reichtum mit sich bringt, daß du nie vor Räubern und Mördern und vor dem Haß des Pöbels sicher sein wirst.

Adeimantos. Immer mußt du mir widersprechen, Lykinos. Dafür sollst du nun auch nicht einmal eine Metze Gold erhalten, da du meinen Wunsch bis zuletzt verächtlich machst.

Lykinos. Du handelst schon ganz wie die Reichen, die ihre Versprechungen gewöhnlich nicht halten. Aber nun fange du zu wünschen an, Samippos.

Samippos. Ich stamme, wie ihr wißt, aus dem Festland, von Mantineia in Arkadien. Daher wünsche ich mir kein Schiff, denn ich könnte ja damit doch nicht vor meinen Mitbürgern renommieren. Andrerseits werde ich auch den Göttern gegenüber nicht so kleinlich sein und sie um einen Schatz bitten, um abgezähltes Gold. Sie können ja alles, auch was uns das Größte zu sein scheint, und das Gesetz des Timolaos erlaubt uns ja, im Wünschen nicht zaghaft zu sein und anzunehmen, daß sie alles gewähren. Also: Ich will ein König sein, aber nicht wie Alexander, der Sohn des Philipp, oder Ptolemaios oder Mithridates oder sonst einer, der durch Erbfolge ein Reich erhielt. Nein, ich fange als Räuberhauptmann an und wünsche mir nur 30 Spießgesellen, aber beherzte und zuverlässige Leute. Aus diesen 30 sollen dann nach und nach 300 werden, dann 1000 und bald darauf 10 000. So soll es fortgehen, bis ich eine Kriegsmacht von 50 000 Schwerbewaffneten und 5000 Reitern beieinander habe. Ich will ihr Führer sein, für den jeder einzelne gestimmt hat, weil sie mich für den geeignetsten halten, Leute zu kommandieren und jede Gelegenheit richtig auszunutzen. Schon dadurch werde ich mächtiger sein als alle Könige, weil ich von meinem Heere zum Kommando berufen bin wegen meiner eigenen Tüchtigkeit und nicht als der Erbe eines anderen, der sich aus eigener Kraft eine Krone erwarb. Denn sonst stünde meine Herrlichkeit so ungefähr auf der gleichen Stufe wie der Schatz des Adeimantos; auch ist es bei weitem angenehmer, sich selbst seine Machtstellung zu verdanken.

Lykinos. Alle Wetter, du gibst dich nicht mit Kleinigkeiten ab. Nach freier Wahl von einer Heerschar von 50 000 zum Befehlshaber gemacht werden, das heißt doch noch ein Wunsch! Wunderbar, daß Arkadien Im Altertum das Land der Söldner und Reisläufer wie im Mittelalter die Schweiz. so ganz im stillen einen solchen König und Feldherrn hat heranwachsen lassen! Nun wohl – regiere drauf los und ziehe zu Felde mit deinen wohldisziplinierten Massen von Fußvolk und Reiterei. Vorwärts, denn ich möchte gern hören, wo alle diese ehrenwerten Arkadier hinwollen und welchen Unglücklichen ihr erster Besuch gilt.

Samippos. Also höre, Lykinos – oder besser, ziehe mit uns, ich werde dich zum General meiner 5000 Reiter machen.

Lykinos. Ich danke für diese Ehre, o großer König, und werfe mich vor dir in den Staub mit auf den Rücken gelegten Händen, wie das die Perser tun, aus lauter Respekt vor deiner hohen Tiara und deinem Diadem. Aber ich muß dich bitten, lieber einen dieser stämmigen Gesellen hier zum Reitergeneral zu machen. Ich tauge verflucht schlecht zum Kavalleristen und habe bisher auch noch niemals ein Pferd bestiegen. Es wäre wirklich zu befürchten, daß ich beim ersten Trompetensignal vom Roß stürze und von all den Hufen zu Brei zertreten werde. Vielleicht ist auch mein Pferd mutiger als ich, beißt in den Zaum und trägt mich mitten unter die Feinde. Zum mindesten müßte man mich an den Sattel schnallen, wenn ich obenbleiben und die Zügel in der Hand behalten soll.

Adeimantos. Nun, Samippos, dann werde ich deine Reiterei kommandieren, und Lykinos soll auf dem rechten Flügel beim Fußvolk stehn. Es scheint mir auch billig, daß ich das beste Teil kriege, da ich dich mit so viel Scheffeln gemünzten Goldes bedacht habe.

Samippos. Da müssen wir die Reiter selbst fragen, ob sie dich zum General haben wollen. Ihr Reiter, wer damit einverstanden ist, daß Adeimantos das Kommando erhält, soll die Hand erheben!

Adeimantos. Du siehst, Samippos, sie haben alle für mich gestimmt.

Samippos. Also gut, führe du die Reiterei und Lykinos den rechten Flügel. Timolaos, du kommst auf den linken Flügel, und ich selbst übernehme die Mitte, denn so machen es auch die Perserkönige, wenn sie persönlich zu Felde ziehen. Laßt uns nun also dem Zeus, dem Beschützer der Könige, ein feierliches Opfer bringen und dann durchs Gebirge auf Korinth vorgehn. Ganz Griechenland bezwingen wir dann ohne Schwertstreich – denn kein Mensch wird es wagen, einer solchen Heeresmacht entgegenzutreten. Dann schiffen wir uns auf Dreiruderern ein und verladen unsere Pferde auf Transportschiffe – im Hafen von Korinth sind die ja stets segelfertig, und dort gibts auch Proviant und was wir sonst noch brauchen – und fahren übers Ägäische Meer nach Ionien. Dort opfern wir der großen Artemis und nehmen die unbefestigten Städte ohne Mühe. Dann setzen wir überall Statthalter ein und marschieren auf Syrien zu durch Karien, dann durch Lykien, Pamphylien, Pisidien und beide Kilikien, bis wir an den Euphrat kommen.

Lykinos. Mich aber, großer König, mache gefälligst zum Statthalter von Griechenland und laß mich hier bleiben. Ich bin etwas furchtsamer Natur und könnte es auch vor Heimweh nicht aushalten, wenn ich so weit weg müßte. Denn du willst vermutlich gegen die Armenier und Parther ziehen, streitbare Völker, die unangenehm sicher zielen. Daher übergib lieber einem anderen den rechten Flügel und laß mich deinen Antipater Alexanders Freund, den dieser als Statthalter in Griechenland zurückließ, als er gegen Dareios zog. in Griechenland spielen. Denn sonst schießt mich armen Kerl, wenn ich an der Spitze deiner Phalanx einherziehe, sicher bei Susa oder Baktra einer mit seinem Pfeil durch und durch, an einer Stelle, wo ich ungepanzert bin.

Samippos. Was, Lykinos, du Memme, du willst noch desertieren, nachdem du bereits auf der Stammrolle stehst? Das ist offenbare Fahnenflucht und wird nach dem Gesetz mit dem Tod bestraft. – Also, wir sind jetzt am Euphrat. Wir haben eine Brücke über den Fluß geschlagen und das Land im Rücken ist vollständig sicher. Denn jedes Volk hat von mir seinen Statthalter bekommen, und einige Generale sind auch seitwärts ausgebogen, um uns inzwischen Phönikien, Palästina und Ägypten zu unterwerfen. Also, Lykinos, gehe du zuerst mit dem rechten Flügel über den Fluß, dann komme ich und dann Timolaos. Den Beschluß machst du, Adeimantos, mit der Reiterei. Solange wir durch Mesopotamien zogen, trat uns der Feind nirgends entgegen, sondern die Leute übergaben uns willig die Städte und Burgen ohne Widerstand. So sind wir bis nach Babylon gekommen und befinden uns jetzt unerwartet schon zwischen seinen berühmten Mauern und beherrschen die Stadt. Jetzt aber hat der Großkönig, der bisher in Ktesiphon verweilte, von unserm Anmarsch gehört. Er zieht uns nun wohlgerüstet nach Seleukia entgegen und beordert auch noch ungeheure Massen von Reitern, Bogenschützen und Schleuderern herbei. Unsere Späher melden uns, daß bereits 1000 mal 1000 Mann kampfbereit seien, darunter 200 000 Mann berittene Bogenschützen. Und doch ist der König von Armenien noch nicht eingetroffen und auch die Völker vom Kaspischen Meere und die Baktrer noch nicht, sondern es sind sozusagen nur die Leute aus der Umgegend und den Vorstädten der Residenz. So leicht wird es dem Großkönig, Millionen auf die Beine zu bringen. Es ist also hohe Zeit, daß wir jetzt Kriegsrat halten.

Adeimantos. Meine Ansicht ist, daß ihr mit dem Fußvolk auf Ktesiphon zu vorstoßt und daß wir mit der Reiterei hierbleiben, um Babylon zu decken.

Samippos. Also auch du wirst zur Memme, wackerer Adeimantos, wenn du der Gefahr ins Antlitz schauen sollst? Was ist deine Meinung, Timolaos?

Timolaos. Mit der ganzen Armee auf den Feind loszugehn! Wir dürfen nicht warten, bis er sich noch besser rüstet und noch mehr Bundesgenossen aufbietet. Nein, während er noch im Anmarsch ist, müssen wir über ihn herfallen.

Samippos. Wohl gesprochen! Und deine Meinung, Lykinos?

Lykinos. Das will ich dir sagen. Wir sind jetzt gründlich müde von unserm Spaziergang. Denn wir sind am frühen Morgen zum Piraeus hinuntergegangen, und jetzt sind wir schon wieder 30 Stadien [5 km] gegangen, während die Sonne in voller Mittagsglut am Himmel steht. Deshalb ist meine Meinung, wir setzen uns hier unter die Ölbäume, etwa auf diese umgestürzte Säule, und ruhen uns aus. Später können wir dann den Rest des Wegs vollenden.

Samippos. Du glaubst also wirklich, mein Bester, du wärest noch in Athen, während du doch vor den Mauern von Babylon, umringt von einem ungeheuren Heer, im Kriegsrat sitzest, um über den Schlachtplan zu beraten.

Lykinos. Ach, danke schön für die Erinnerung! Ich war wieder nüchtern geworden und wollte meines Herzens Meinung nicht verhehlen!

Samippos. So laßt uns denn angreifen, wenn's beliebt! Zeigt euch als Männer in der Gefahr und nicht unwürdig der heldenhaften Gesinnung der Vorfahren! Seht, die Feinde rücken schon an! »Ares, der Sturmgott!« laute die Parole. Wenn die Trompete bläst, so schlagt den Speer an den Schild und geht mit Hurrah im Sturmschritt auf den Feind los, daß wir bald in Speerwurfweite kommen und nicht vorher zuviel Leute durch ihre Pfeile verlieren. Seht, wir sind schon mitten im Gefecht! Timolaos auf dem linken Flügel hat seine Gegner schon geworfen, das sind eben Meder. Aber mir gegenüber hält das Zentrum stand – das sind nämlich Perser, und der Großkönig ist bei ihnen. Die ganze Reiterei der Feinde stürzt sich nun auf unsern rechten Flügel. Also Lykinos, zeige ihnen, was ein Held ist, und befiehl den Deinen, die Attacke aufzunehmen.

Lykinos. Oh, ist das ein Unglück! Muß die ganze Reiterei gerade auf mich einsprengen! Aber wenn es gefährlich wird, so gehe ich zum Feinde über und rette mich da drüben in die Palästra. Ihr könnt dann hierbleiben und weiterfechten, solange ihr Lust habt.

Samippos. Tu' das ja nicht, denn du siehst, auch deine Leute sind schon siegreich. Ich aber werde jetzt einen Zweikampf mit dem Großkönig ausfechten. Denn er fordert mich persönlich heraus, und es wäre feige, sich hinter seine Leute zu verkriechen.

Lykinos. Nun, beim Zeus, du wirst gleich eine Wunde abhaben. Denn es ist ja Ehrensache für einen König, sich beim Kampf um die Krone eine Wunde zu holen.

Samippos. Da hast du recht! Aber die Wunde ist nur leicht und an einer Stelle, wo sie gut zu verdecken ist, so daß mich auch späterhin die Narbe nicht entstellen wird. Hast du aber gesehn, wie ich auf ihn einsprengte und mit einem Lanzenstoß ihn und sein Pferd durchbohrte? Samippos ahmt hier und im folgenden Alexander nach, der ebenso in der Schlacht bei Issos auf Dareios einstürmte – vgl. die Darstellung auf dem bekannten Mosaik in Pompeji – und zahlreiche Städte nach seinem Namen benannte – Alexandria usw. Nun habe ich ihm den Kopf abgehauen und mir die Königskrone aufgesetzt. Seht, wie alle Völker sich vor mir in den Staub werfen und mich anbeten! Das heißt, nur die Barbaren sollen sich in den Staub werfen, über euch herrsche ich nach Hellenenart und beanspruche nur den Titel Oberster Feldherr. Und nun könnt ihr euch selbst sagen, wie viele Städte ich erbauen und nach meinem Namen benennen werde, wie viele andere ich mit Sturm nehmen und von Grund aus zerstören werde, wenn sie gegen meine königlichen Rechte nur im geringsten aufmucken werden. – Vor allem aber werde ich jetzt dem reichen Kydias zu Leibe rücken, der einst mein Nachbar war und an meinem Äckerlein die Grenze immer weiter verrückte, bis mir schließlich gar nichts mehr übrig blieb.

Lykinos. Nun höre aber auf, Samippos! Denn du wirst nach einem solchen Sieg doch in Babylon ein Fest feiern wollen, und außerdem hast du längst über die Zahl deiner Stadien hinaus geherrscht. Nun ist's an Timolaos, sich zu wünschen, was sein Herz begehrt.

Samippos. Aber was sagst du zu meinem Wunsche, Lykinos?

Lykinos. Unstreitig, du herrlichster aller Könige, zeugt er von einer größeren Energie, als der des Adeimantos; aber er brachte dir auch reichliche Mühen. Jener schlemmte und setzte seinen Zechgenossen goldene Trinkgefäße vor, je zwei Talente an Gewicht. Du aber ließest dich im Zweikampf verwunden und lebtest Tag und Nacht in Angst und Sorgen. Denn du mußtest dich ja nicht nur vor den Feinden fürchten, sondern ebenso vor tausend heimlichen Nachstellungen, vor dem Neid und Haß deiner Umgebung. Du sahst ja nur Schmeichler um dich, Leute, die dir Wohlwollen heuchelten, weil sie dich fürchteten, oder etwas von dir erhofften, aber keinen einzigen wahren Freund. Und deshalb kamst du zu keinem rechten Genuß deiner Herrlichkeit. Ein bißchen Ruhm, ein golddurchwirkter Purpurmantel, eine weiße Stirnbinde und Trabanten mit Spießen vor dir her – das ist alles. Sonst aber hast du unendliche Mühe und nichts als unerfreuliche Beschäftigungen. Denn entweder mußt du mit den Abgesandten feindlicher Staaten verhandeln oder deinen Untertanen Recht sprechen oder ihnen neue Steuern aufhalsen. Und dann ist immer noch irgendein Volk im Reich abgefallen und ein anderes von draußen her im Anzuge. So jagt ein Argwohn und eine Befürchtung die andere, und du wirst von allen andern glücklich gepriesen – bloß nicht von dir selbst. Und weiter, empfindest du das nicht auch als eine Demütigung, daß du ebenso krank wirst wie der gemeinste deiner Untertanen, daß das Fieber nicht vor deinem königlichen Leib halt macht und der Tod nicht vor deinen Trabanten? Nein, plötzlich steht er da, wenn es ihm gut scheint, und schleppt dich weg ohne Rücksicht auf dein Wehklagen und ohne Respekt vor deinem Diadem. Und je höher du throntest, desto tiefer stürzest du jetzt herab und wandelst dieselbe Straße wie die große Menge und wirst ebenso vom Tode in der Heerschar der Toten fortgetrieben wie die andern. Höchstens hinterläßt du einen mächtigen Grabhügel mit ragender Säule oder eine Pyramide mit schön regelmäßigen Flächen. Aber was hast du selbst von diesen nachträglichen Ehren? Denn auch die Bildsäulen und die Tempel verfallen, die die Städte errichteten, die dir einen Kult weihten, und auch dein großer Name verhallt in kurzer Zeit, und niemand kümmert sich mehr um all das. Und gesetzt auch, man dächte deiner noch so lange, – was für einen Genuß hättest du davon, da dir jede Empfindung abgeht?

Aber jetzt ist die Reihe an dir, Timolaos, und von deiner Klugheit und Weltkenntnis erwarten wir, daß du die andern weit hinter dir zurückläßt.

Timolaos. Nun denn, sieh zu, Lykinos, ob an meinem Wunsch etwas zu mäkeln ist oder zu bessern. Freilich, einen Goldschatz und Säcke voll Gold oder auch königliche Herrlichkeit, die, wie du richtig einwendest, mit Kriegen und Ängsten erkauft werden muß, werde ich mir nicht wünschen. All das ist so unsicher und so vielen Anfeindungen ausgesetzt, daß die Last daran bei weitem die Lust übertrifft.

Ich also wünsche, daß mir Hermes zu guter Stunde begegne und mir einige Ringe schenke, die mit Zauberkräften begabt sind. Einer soll machen, daß ich immer kräftig und gesund und unverwundbar und jedem Schmerz unzugänglich bin. Ein weiterer soll die Kraft haben, den Träger unsichtbar zu machen, wie der, den Gyges besaß. Ein anderer soll mir die Kraft von mehr als 10 000 Männern geben, so daß ich allein mit Leichtigkeit eine Last aufheben kann, die diese nur mit Mühe bewegen können. Dann will ich einen, der mich im Fluge hoch über die Erde erhebt. Ein anderer gibt mir die Macht, alle Leute in Schlaf zu versenken und die Türen zu öffnen, allen Schlössern und Riegeln zum Trotz. Der mächtigste aber und mir liebste von allen Ringen soll mich beliebt machen bei schönen Knaben und Frauen, bei ganzen Völkern, ja überhaupt bei allen Menschen. Es soll keinen geben, der mich nicht immer voll Liebe im Munde führt, ja viele Frauen sollen aus Liebesgram um mich sich selbst aufhängen. Ebenso sollen die Knaben um meinethalb in Wahnsinn verfallen, und der soll sich glücklich schätzen, dem ich nur einen Blick zuwerfe, der aber, den ich übersehe, soll ebenfalls aus Liebesgram zugrunde gehn. Kurz, Hyakinthos, Hylas, Phaon Schöne Jünglinge der Sagenwelt. Hyakinthos war Geliebter der Aphrodite, den Hylas raubten die Nymphen, und um des Phaon willen stürzte sich Sappho ins Meer. sollen gar nichts gegen mich sein. Und diese Zauberkraft will ich nicht nur kurze Zeit genießen, ich will nicht an die Dauer eines Menschenlebens gebunden sein. Nein, ich will 1000 Jahre in steter Jugendfrische leben, indem ich das Alter ungefähr alle 17 Jahre abstreife wie die Schlange die Haut. Dann wird mein Glück vollkommen sein. Denn alles, was andere besitzen, steht mir zur Verfügung, da ich Türen sprengen, Wächter einschläfern und ungesehen eintreten kann. Gibt es aber bei den Indern oder den Hyperboräern Fabelhaftes Volk im äußersten Norden. etwas Wunderbares zu sehen, etwas Herrliches zu erwerben oder etwas Schönes zu essen oder zu trinken, so brauche ich mir das nicht erst kommen zu lassen, sondern ich fliege selbst hin und genieße alles nach Herzenslust. Wer könnte sich außer mir rühmen, den indischen Greifen gesehen zu haben oder den Vogel Phönix? Ich wäre der einzige, der über die Quellen des Nils Bescheid wüßte, und darüber, wieviel Land auf der Erde noch unbewohnt ist. Ich wüßte auch, ob in der Tat Antipoden die südliche Erdhälfte bewohnen. Weiter könnte ich die Natur der Gestirne, der Sonne und des Mondes näher sehen, da ich vom Feuer nicht zu leiden hätte. Den größten Spaß aber würde es mir machen, wenn ich noch am gleichen Tag in Babylon melden könnte, wer diesmal in Olympia gesiegt habe. Habe ich Lust, so kann ich in Syrien frühstücken und in Italien zu Abend essen. Hätte ich einen Feind, so könnte ich mich an dem rächen, indem ich ihm unsichtbarerweise einen ordentlichen Felsblock auf den Kopf fallen ließe, der ihm den Schädel zerschmetterte, meinen Freunden aber zeigte ich mich erkenntlich, indem ich ihnen, während sie schlafen, Geld vors Bett regnen ließe. Wenn ich irgendwo einen übermütigen Frevler oder einen reichen Tyrannen wüßte, so kriegte ich den beim Schopfe und ließe ihn aus einer Höhe von beiläufig 12 Stadien [2000 m] auf Felsen herunterfallen. Meine Liebschaften könnte ich ganz ungestört aufsuchen, ich käme ungesehen zu ihnen und schläferte alles ein – bloß sie nicht. Und was denkt ihr von dem Vergnügen, außer Schußweite von oben herab einer Schlacht zuzusehen! Wenn es mir paßt, so ergreife ich die Partei der Besiegten, schläfere die Sieger ein und gebe denen, die eben noch flohen, einen vollständigen Sieg. Um es kurz zu sagen, die ganze Menschheit wäre ein Spielzeug in meiner Hand, alles wäre mein, und alle hielten mich für einen Gott. Das wäre die höchste Glückseligkeit, die mir niemand rauben noch mindern könnte und die ich in einem langen Leben mit Gesundheit genießen wollte.

Nun Lykinos, was hast du an diesem Wunsche auszusetzen?

Lykinos. Nichts, Timolaos. Es wäre ja auch zu gefährlich, mit einem Manne anzubinden, der fliegen kann und stärker ist, als unser zehntausend. Bloß eine Frage erlaube mir. Hast du in allen den Völkern, über die du hinwegflogst, einen einzigen Mann gesehen, der so verrückt war, daß er bei deinen Jahren auf einem kleinen Ringe reiten, Berge mit seiner Fingerspitze versetzen und mit deinem Glatzkopf und deiner Stülpnase alle Welt in sich verliebt machen wollte? Und weiter, warum genügt zu dem allen nicht ein Ring? Warum überlädst du dich so mit Zauberringen, daß deine linke Hand der Last nicht mehr gewachsen ist und du auch noch die rechte zu Hilfe nehmen mußt? Und doch fehlt dir noch der wichtigste von allen Zauberringen, nämlich einer, der dir dein krankes Hirn gehörig ausputzte. Oder glaubst du, ein besonders scharfer Trank Nießwurz Nießwurz (helleborus) galt als Heilmittel gegen Wahnsinn. tut's auch?

Timolaos. Zum Glück mußt du ja auch einen Wunsch aussprechen. Nun werden wir ja wohl von dir, der uns alle so schikaniert hat, erfahren, was ein wirklich untadliger Wunsch ist.

Lykinos. Wie, ich? Ich bin des Wünschens quitt. Seht, hier sind wir am Doppeltor. Du, trefflicher Samippos, mit deinem Zweikampf vor Babylon und du, Timolaos, mit deinem Frühstück in Syrien und deinem Abendessen in Italien, habt die mir bestimmten Stadien mit draufgehn lassen, und ich bin euch dankbar dafür. Denn mir würde es wenig Spaß machen, wenn mein windiger Reichtum so rasch verflöge und ich wieder ärgerlich in mein trocknes Brot beißen müßte. So aber wird es nunmehr euch gehen, wenn ihr aus euren königlichen Schatzkammern herausgetreten seid und eure Diademe abgelegt habt. Ihr werdet wie aus einem holden Traum erwachen und die rauhe Wirklichkeit sehr unangenehm empfinden, wie Schauspieler, die auf dem Theater Könige gespielt haben und zu Hause gewöhnlich hungern müssen. Und doch waren sie eben erst Kreon und Agamemnon. Natürlich werdet ihr jetzt über euer Tageslos klagen und schelten. Namentlich dir, Timolaos, wird es zumute sein wie dem Ikaros, als ihm die Flügel abschmolzen und er vom Himmel auf die Erde stürzte, wenn dir die Zauberringe von den Fingern gleiten und du wieder zu Fuß gehen mußt. Mir aber ist das mehr wert als alle Schätze und ganz Babylon, daß ich so herzlich über eure Wünsche lachen durfte. Wahrlich, meine Freunde, die ihr euch für Philosophen ausgebt, ihr habt mich schwer enttäuscht.

 

3. Wahre Geschichte

Ich schiffte mich einmal bei den Säulen des Herakles (Gibraltar) ein und fuhr bei günstigem Winde hinaus in den westlichen Ozean. Der eigentliche Grund und Zweck dieser Reise lag nur in meinem Fürwitz, es gelüstete mich neue Dinge kennenzulernen, und ich wollte gerne wissen, wo der Ozean aufhört und was für Menschen jenseits desselben wohnen. In dieser Absicht hatte ich sehr viel Proviant und einen genügenden Vorrat Trinkwasser an Bord genommen und hatte mir fünfzig meiner Altersgenossen, die ebenso dachten wie ich, zugesellt; für eine große Menge Waffen war gesorgt, und gegen hohen Lohn hatte ich mir den besten Steuermann, den ich finden konnte, verpflichtet; dazu war mein Schiff, ein Schnellsegler, in Erwartung einer langen und gefahrvollen Fahrt besonders stark gebaut.

Den ersten Tag und die erste Nacht, solange das Land noch in Sicht blieb, ging es bei günstigem Winde in ziemlich ruhiger Fahrt voran; kaum aber war am nächsten Morgen die Sonne aufgegangen, da wurde der Wind stärker, die Wogen gingen immer höher, der Himmel verfinsterte sich, und wir waren nicht einmal mehr imstande das Segel einzuziehen. So mußten wir das Schiff gänzlich vom Winde treiben lassen und wurden volle neunundsiebzig Tage lang vom Sturme umhergeworfen. Am achtzigsten Tage aber brach auf einmal die Sonne durch, und wir sahen in geringer Entfernung eine hohe, bewaldete Insel vor uns liegen, um welche die Wogen, deren Ungestüm sich fast ganz gelegt hatte, friedlich anplätscherten. Wir hielten nun auf sie zu, gingen an Land und froh, nach so langer Not endlich gerettet zu sein, blieben wir lange Zeit dort am Strande liegen. Erst nach geraumer Zeit erhoben wir uns wieder, jedoch teilten wir uns jetzt: dreißig Mann wurden ausgesondert und mußten als Wächter beim Schiffe bleiben, die andern zwanzig sollten sich mit mir aufmachen, um das Innere der Insel zu erkunden.

Wir waren etwa drei Stadien (gegen 600 m) weit vom Meer weg durch einen Wald vorgedrungen, als wir einer ehernen Säule mit einer Inschrift in griechischen, aber halb erloschenen und verwitterten Buchstaben ansichtig wurden. Sie lautete: »Bis hierher sind Herakles und Dionysos gekommen.« Auch fanden sich in der Nähe zwei Fußspuren im Felsboden, die eine ein Plethron (30 m) lang, die andere etwas kürzer, diese rührte meines Erachtens von Dionysos, jene größere von Herakles her. Da fielen wir andächtig auf die Knie und beteten, ehe wir unseren Weg fortsetzten. Wir waren aber noch nicht weit gekommen, als wir vor einem Flusse standen, der statt Wassers einen dem Chier ganz ähnlichen Wein führte, und zwar strömte er so voll und tief dahin, daß man ihn sogar da und dort hätte mit Schiffen befahren können. Um so mehr waren wir jetzt geneigt, der Inschrift jener Säule Glauben zu schenken, da wir so augenscheinliche Beweise vor uns sahen, daß Dionysos hier gewesen. Da ich nun auch den Ursprung des Flusses erkunden wollte, verfolgte ich seinen Lauf gegen die Quelle hin, fand aber diese nicht, sondern nur eine Menge großer Weinstöcke, die voll Trauben hingen. Unten an jedem Stock rann der Wein in helleuchtenden Tropfen herab, und aus diesen vielen kleinen Rinnsalen bildete sich dann der Fluß. Auch viele Fische waren in dem Flusse zu sehen, die ganz die Farbe und den Geschmack des Weines hatten. Wir fingen einige, aßen sie und wurden davon ganz berauscht: kein Wunder! Denn als wir sie aufschnitten, fanden wir sie innen voller Hefe. Später jedoch kamen wir auf den Gedanken, andere, im Wasser lebende Fische mit diesen Weinfischen vermischt zu genießen, wodurch denn das Übermaß des Weingenusses gemildert war.

Nachdem wir hierauf an einer seichten Stelle den Fluß überschritten hatten, stießen wir auf Reben von ganz wunderbarer Art: der Teil am Boden, der Stamm, war aus dickem, starkem Holze, weiter aufwärts aber waren es Frauen, die bis auf die Hüften herab alles in der größten Vollkommenheit zeigten, etwa wie unsere Maler die Daphne darstellen, wie sie in dem Augenblick, da Apoll sie festhalten will, zum Baume wird. Aus ihren Fingerspitzen aber sproßten Zweige, die voller Trauben hingen, und sogar um ihre Köpfe wanden sich statt der Haare Ranken mit Weinlaub und Trauben. Und wie wir näherkamen, begrüßten sie uns und hießen uns willkommen, wobei die eine lydisch, die andere indisch, die meisten jedoch griechisch sprachen. Sie küßten uns auch auf den Mund, wer aber einen solchen Kuß bekam, war auf der Stelle berauscht und wie von Sinnen. Die Früchte aber wollten sie sich nicht abpflücken lassen, sondern schrien vor Schmerz laut auf, wenn man etwa eine abreißen wollte. Einige bezeugten sogar Lust sich mit uns in Liebe zu einen, und zwei meiner Gefährten, die sich mit ihnen eingelassen hatten, konnten sich nicht wieder losmachen, sondern blieben in der peinlichsten Stellung an ihnen haften und wuchsen und wurzelten dergestalt mit ihnen zu einem Stocke zusammen, daß auch ihnen die Finger in Zweige ausliefen und Weinranken sie umgaben und fast gar auch sie schon Trauben trugen. Da verließen wir sie und flüchteten auf das Schiff, wo wir unsern zurückgelassenen Gefährten alles erzählten, besonders auch, wie übel den beiden Freunden die Liebelei mit den Rebenjungfrauen bekommen war.

Hierauf nahmen wir Krüge, holten Wasser und schöpften zugleich auch Wein aus dem Flusse, und nachdem wir die Nacht in der Nähe am Strande zugebracht hatten, lichteten wir am andern Morgen bei mäßigem Winde die Anker. Aber um die Mittagszeit, als die Insel bereits unseren Blicken entschwunden war, überfiel uns plötzlich ein Wirbelsturm, der das Schiff im Kreise herumdrehte und wohl 3000 Stadien (über 500 km) hoch in die Lüfte emporhob, es aber nicht wieder auf dem Meer absetzte, vielmehr fuhr, wie es hoch oben in den Lüften schwebte, ein neuer Windstoß daher, der das Schiff mit geblähten Segeln eilends davonführte. Sieben Tage und sieben Nächte dauerte diese Luftfahrt, bis wir endlich am achten eine Art großer Erde in der Luft erblickten, die gleich einer glänzenden, kugelförmigen Insel mit hellem Lichte leuchtend vor uns lag. Wir fuhren auf sie zu, legten an und gingen ans Land; und als wir uns näher umsahen, fanden wir, daß die Insel bewohnt und wohl angebaut war. Bei Tag konnten wir von dort aus nichts weiter sehen, aber sobald die Nacht einbrach, zeigten sich noch viele andere Inseln in der Nähe, größere und kleinere und alle feuerfarb; und unten in der Tiefe lag eine andere Erde mit Städten, Flüssen, Meeren, Wäldern und Bergen – vermutlich also die von uns bewohnte Erde.

Schon waren wir entschlossen noch weiter vorzudringen, als wir auf eine Anzahl Roßgeier, wie sie dort heißen, stießen, die sich sogleich unserer Personen bemächtigten. Diese Roßgeier sind Männer, die auf riesigen Geiern reiten und diese Vögel wie Pferde zu lenken wissen; die Geier selbst sind wahre Riesentiere und haben gewöhnlich drei Köpfe, wie groß sie sind, mag man daraus abnehmen, daß jede ihrer Schwanzfedern länger und dicker ist als der Mastbaum eines Frachtschiffes. Diese Geierreiter haben den Auftrag, das ganze Land zu umfliegen und jeden Fremden, den sie etwa antreffen, festzunehmen und vor den König zu führen. So erging es natürlich auch uns. Wie der König uns sah, schloß er aus unserem Äußeren und unserer Kleidung, was für Landsleute wir wären, und so war seine erste Frage: »Die Herren sind Griechen?« Wir bejahten. »Wie habt ihr es denn gemacht, fuhr er fort, eine so gewaltige Strecke in der Luft zurückzulegen und zu uns heraufzukommen?« Da erzählten wir ihm den ganzen Verlauf unserer Reise, worauf er wieder das Wort nahm und auch seine Geschichte erzählte, er sei ebenfalls ein Mensch namens Endymion gewesen, aber einstmals im Schlafe von unserer Erde entführt und auf diese hier versetzt worden, wo er nun als König herrsche. Und zwar sei diese Erde dieselbe, die uns da unten als Mond erscheine. Übrigens sollten wir guten Mutes sein und keine Gefahr besorgen; man werde uns mit allem versehen, was wir nötig hätten. »Wenn ich erst den Krieg, den ich eben gegen die Einwohner der Sonne zu führen im Begriffe bin, glücklich beendigt habe, sollt ihr bei mir das glücklichste Leben führen, das sich nur immer denken läßt. Wenn ihr aber Lust habt, an dem Kriegszuge, den ich jetzt vorhabe, teilzunehmen, so werde ich jedem von euch einen Geier aus dem königlichen Marstalle und die sonstige Ausrüstung zur Verfügung stellen. Morgen rücken wir ins Feld.« »Gut«, sagte ich, »wir machen mit, die weil du es für gut findest.«

(Nachdem unsere Reisenden an dem abenteuerlichen und wechselvollen Kriege zwischen den Mondleuten und Sonnenbewohnern teilgenommen und die recht absonderlichen Merkwürdigkeiten des Mondes und seiner Bewohner eingehend kennen gelernt haben, setzen sie ihre Luftreise fort, die sie u. a. über den Morgenstern und den Tierkreis weiterführt).

Die folgende Nacht und den nächsten Tag hindurch waren wir mit gleichem Kurs immer abwärts gesteuert und kamen gegen Abend bei der sogenannten Lampenstadt (Lychnopolis) an. Diese Stadt liegt im Luftraum zwischen dem Bereich der Plejaden und der Hyaden, jedoch viel niedriger als der Tierkreis. Hier stiegen wir ans Land, erblickten jedoch keinen Menschen; dagegen sahen wir eine Menge Lampen hin- und herlaufen, die sich offenbar auf dem Markte und am Hafen zu schaffen machten. Die meisten waren klein und unscheinbar, das waren sozusagen die Armen, einige wenige, die in besonders hellem und glänzendem Lichte erstrahlten, gehörten offenbar zur Zahl der großen, vielvermögenden Herren. Jede hatte ihren eigenen Lampenpfahl, der ihr zur Wohnung diente, und ihren eigenen Namen wie wir Menschen; wir hörten sie auch eine Art Sprache sprechen. Wiewohl sie uns nichts zu Leide taten und uns sogar gastfreundlich einluden, war uns doch unheimlich bei ihnen zu Mute, und keiner von uns getraute sich dort zu essen oder zu schlafen. – Mitten in der Stadt steht ihr Rathaus, wo ihre Bürgermeisterin die ganze Nacht hindurch sitzt und eine Lampe nach der andern mit Namen vor sich ruft; wer nicht gehorcht, wird wegen Fahnenflucht zum Tode d. h. zum Ausgelöschtwerden verurteilt. Wir standen nahe genug, um den ganzen Vorgang mitanzusehen, und konnten auch hören, wie die Lampen sich verteidigten und allerhand Entschuldigungen vorbrachten, weswegen sie sich verspätet hätten. Bei dieser Gelegenheit erkannte ich unsere eigene Hauslampe; ich redete sie an und erkundigte mich, wie es zu Hause stehe, und sie erzählte mir alles, was sie von dort wußte.

Selbige Nacht blieben wir noch in der Lampenstadt, aber am nächsten Tage lichteten wir die Anker und fuhren an den Wolken vorbei weiter. Nach drei Tagen sahen wir schon ganz deutlich den Ozean wieder, aber Land konnten wir keines erblicken außer jenen Inseln in der Luft, die in feurigem, überirdischem Lichte erstrahlten. Am vierten Tage ließ der Wind allmählich nach und legte sich schließlich ganz, da sanken wir wieder aufs Meer hinab.

Wer beschreibt unsere Freude und Wonne, als wir endlich wieder Wasser unter uns fühlten! In heiterster Stimmung hielten wir ein festliches Mahl, soweit es unsere Vorräte gestatteten, und dann sprangen wir ins Wasser, um nach Herzenslust darin zu schwimmen; denn es herrschte vollkommene Windstille, und das Meer war spiegelglatt.

Aber eine solche Wendung zum Besseren scheint oftmals nur der Vorbote noch größeren Unheils zu sein! Nur zwei Tage war unsere Fahrt bei gutem Wetter glatt weitergegangen, als wir mit Anbruch des dritten plötzlich gegen Osten eine Menge Walfische und andere Seeungetüme vor uns sahen, unter denen das größte, ein Walfisch, wohl 1500 Stadien (etwa 270 km) lang war. Dieses Untier schwamm mit solchem Ungestüm auf uns zu, daß das Meer schon weit vor ihm her und auf allen Seiten schäumend aufwogte; die Zähne, die uns sein offener Rachen sehen ließ, waren höher, als die größten Phallossäulen Nach einer Mitteilung Lukians (Über die syrische Göttin cap. 16) muß man annehmen, daß in manchen Tempeln Phallossäulen, d. h. große Nachbildungen des männlichen Gliedes, als Fruchtbarkeitssymbole aufgestellt waren. bei uns, dabei so spitz wie Schanzpfähle und weiß wie Elfenbein. Wir aber vermeinten, unser letztes Stündlein sei gekommen, und auf alles gefaßt umarmten wir einander noch einmal: da war das Ungetüm schon da und schlang uns mitsamt dem Schiffe auf einen Zug hinunter. Jedoch hatte es zum Glück nicht für nötig gefunden, uns erst mit den Zähnen zu zermalmen, sondern das Schiff rutschte einfach durch die Lücken seiner Zähne ins Innere hinab.

Wie wir nun drin waren, umgab uns zuerst eine so dichte Finsternis, daß wir rein nichts sahen, als aber nach einer Weile der Rachen wieder aufgähnte, sahen wir uns in einer riesigen Höhle von solcher Weite und Höhe, daß eine Stadt von 10 000 Einwohnern bequem darin Platz gefunden hätte. Überall lagen große und kleine Fische und sonst viele zermalmte Tiere und Schiffssegel und Anker, menschliche Gebeine und Warenballen umher. In der Mitte dagegen war eine förmliche Hügellandschaft, die sich vermutlich aus dem vielen Schlamm, den das Tier verschluckt hatte, gebildet hatte. Hier waren allerlei Bäume, ja ein ganzer Wald emporgewachsen, auch fehlte es nicht an Kräutern und Gemüsen, so daß man durchaus den Eindruck eines wohlangebauten Landes hatte; sein Umfang betrug 240 Stadien (40 km). Wir sahen auch verschiedene Seevögel, wie Möwen und Eisvögel, die auf den Bäumen ihre Nester hatten.

Zuerst konnten wir lange Zeit nur weinen. Allmählich erst gelang es den Mut der Gefährten wieder aufzurichten; wir machten vor allen Dingen unser Schiff durch Stützen fest, dann machten wir selbst uns daran die Feuerhölzer aneinander zu reiben und entzündeten so ein Feuer, woran wir aus dem Fleisch von allerhand Fischen, das ja in Hülle und Fülle vor uns lag, eine Mahlzeit kochen konnten; Trinkwasser hatten wir ja noch vom Morgenstern her an Bord.

Wie wir am folgenden Morgen aufstanden, erblickten wir, so oft der Walfisch zufällig den Rachen aufsperrte, bald Land und Berge, bald nichts als Himmel, öfters auch wieder Inseln; daran erkannten wir, daß er sich mit großer Geschwindigkeit in allen Teilen des Meeres herum bewegte. Mit der Zeit wurden wir des neuen Aufenthalts gewohnter; da nahm ich sieben meiner Gefährten mit mir und zog in der Absicht alles genau zu erforschen in den Wald. Ich war noch nicht fünf Stadien weit gekommen, da entdeckte ich einen Tempel, der laut Inschrift dem Poseidon geweiht war; etwas weiterhin kam ich an viele Grabhügel mit Denksäulen und nicht weit davon an eine Quelle des klarsten Wassers. Zudem hörten wir auch noch einen Hund bellen, sahen in der Ferne Rauch aufsteigen und meinten auch etwas wie ein Gehöft zu erkennen. Wir verdoppelten also unsere Schritte und standen bald vor einem alten Mann und einem Jüngling, die gar emsig in einem Gemüsegarten arbeiteten und eben dabei waren, Wasser aus jener Quelle dorthin zu leiten. Erfreut und zugleich erschrocken blieben wir stehen; aber auch jenen mußte es wohl gerade so zu Mute sein, denn zunächst standen sie vor uns da, ohne einen Laut von sich zu geben; erst nach einer Weile begann der Alte: »Wer seid ihr, Fremdlinge? Seid ihr etwa Seegötter oder unglückliche Menschen gleich uns? Denn auch wir sind Menschen und Erdensöhne, jetzt aber sind wir Meerwesen geworden, die im Bauche dieses Ungeheuers eingeschlossen die See durchschwimmen, ohne auch nur recht zu wissen, was mit uns vorgeht. Manchmal kommt es uns vor, als wären wir längst gestorben, wiewohl wir noch zu leben überzeugt sind.« Darauf erwiderte ich: »Alter Vater, auch wir sind Menschen. Erst seit kurzem sind wir hier angekommen, da wir samt unserem Schiffe verschlungen worden sind. Und jetzt haben wir uns aufgemacht und wollten gerne herausbekommen, was dieser Wald enthält, der uns sehr groß und dicht vorkam. Gewiß war es ein guter Gott, der uns zu dir führte; jetzt, da wir dich gesehen, wissen wir, daß wir nicht allein in diesem Walfisch eingeschlossen sind. Aber berichte uns doch dein Schicksal und sage uns, wer du bist und wie du hierher kommst.« Aber der Alte meinte, ehe er uns nicht, so gut er es vermöchte, gastlich bewirtet habe, wolle er uns nichts erzählen noch auch uns um etwas fragen, und damit nahm er uns bei der Hand und führte uns in seine Wohnung, die er sich gemacht hatte. Sie war für seine Bedürfnisse bequem genug und mit Matratzen und allem Übrigen versehen. Erst nachdem er uns dort Gemüse, Früchte und Fische vorgesetzt und Wein eingeschenkt hatte und wir ordentlich satt waren, erkundigte er sich nach unseren Erlebnissen. Ich erzählte ihm alles hübsch nacheinander, den Sturm, die Abenteuer auf der Insel, die Luftfahrt, den Krieg und alles Übrige bis zum Augenblick unseres Hinabrutschens in den Walfisch. Da erstaunte er über die Maßen und erzählte dann auch seinerseits seine Geschichte. »Meine Freunde«, so begann er, »ich stamme aus Cypern. Mit meinem Sohne, den ihr vor euch seht, und mit vielen Sklaven war ich auf einer Handelsreise von meiner Heimat nach Italien begriffen. Auf einem stattlichen Schiffe, dessen Trümmer ihr vielleicht vorn im Rachen des Walfisches gesehen habt, führte ich reiche Ladung mit mir dorthin, und in glücklicher Fahrt waren wir bis auf die Höhe von Sicilien gelangt. Dort aber packte uns ein furchtbarer Sturm, der uns binnen drei Tagen in den offenen Ozean abtrieb; hier aber kamen wir leider dem großen Walfisch in den Weg, der das Schiff mit Mann und Maus verschlang. Dabei kamen alle unserer Leute ums Leben, nur wir zwei blieben übrig. Nachdem wir unsere Toten begraben hatten, erbauten wir dem Poseidon einen Tempel und fristen seitdem unser Leben in dieser Weise, indem wir unseren Gemüsegarten bestellen und uns daneben von Fischen und Baumfrüchten nähren. Wie groß der Wald ist, seht ihr selbst, er enthält auch eine Menge Weinstöcke, die einen vortrefflichen Wein geben; auch unsere Quelle mit ihrem herrlichen, kühlen Wasser werdet ihr vielleicht gesehen haben. Unser Lager bereiten wir aus Blättern, Holz zum Feueranmachen haben wir im Überfluß; auch auf Vögel machen wir Jagd, wenn solche hereingeflogen kommen, ja wenn wir auf die Kiemen des Ungeheuers hinausgehen, so können wir lebende Fische fangen und auch baden, so oft wir Lust dazu haben. Überdies liegt nicht sehr weit von hier ein See mit salzigem Wasser, der zwanzig Stadien im Umfang hat und Fische aller Art enthält; auch hier können wir zuweilen schwimmen oder auf einem kleinen Nachen, den ich mir gezimmert habe, rudern. Auf diese Weise sind uns, seitdem wir verschluckt worden sind, volle 27 Jahre vergangen. Und alles Übrige wäre vielleicht noch erträglich gewesen, wenn nur nicht unsere Nachbarn und Angrenzer, diese unverträglichen, rohen Gesellen, uns so gar viel Not und Gefahr bereiteten.« »Wie?« rief ich, »gibt es denn in diesem Walfisch noch andere Bewohner?'« »O sehr viele«, erwiderte der Alte, »aber lauter feindselige, abenteuerlich gestaltete Geschöpfe. Im westlichen Teil des Waldes gegen den Schwanz des Walfisches zu wohnen die Tarichanen (Salzfischler), ein streitbares, trotziges und gefräßiges Volk mit Aalaugen und Krebsgesichtern. Auf der anderen Seite an der rechten Wand hin hausen die Tritonomendeten Der Name, in dessen erstem Teil sicher die Tritonen, jene fischleibigen Meeresgötter, stecken, ist im übrigen noch unerklärt., deren obere Hälfte einem Menschen, deren untere einer Eidechse gleicht, diese sind übrigens nicht so böse und gewalttätig wie die andern. Linker Hand wohnen die Karkinockeiren (Krebsarme) und Thynnokephalen (Thunfischköpfe), diese beiden Stämme sind mit einander verbündet und befreundet. Die Mitte des Landes haben die Paguriden (Schalschwänze) und Psettopoden (Schollenfüßler) inne, ein streitbares und außerordentlich schnellfüßiges Volk. Die östliche, dem Rachen zunächst liegende Gegend ist, weil sie leicht vom Meere überspült wird, großenteils unbewohnt. Trotzdem habe ich hier meine Wohnung, wofür ich den Schollenfüßlern noch einen jährlichen Tribut von 500 Stück Austern entrichten muß. So ist also dies Land beschaffen; für uns aber heißt es zusehen, daß wir im Kampfe mit so viel Völkerschaften uns am Leben erhalten.« »Wieviel Mann sind es denn eigentlich?« fragte ich. »Mehr als tausend.« »Und was für Waffen führen sie?« »Nur Fischgräten.« »Nun gut«, meinte ich, »da wäre es doch das Beste, mit ihnen herzhaft anzubinden, da wir bewaffnet sind und sie nicht. Schlagen wir sie, so werden wir fürderhin hier ohne Angst hausen.«

Der Vorschlag gefiel dem Alten, und wir begaben uns also zu unserem Schiffe zurück, um uns zu rüsten. Den Anlaß zum Kriege sollte aber die Nichtbezahlung des gerade fälligen Tributs abgeben. Und richtig, jene schickten Gesandte, um den Tribut einzufordern; Skintharos aber, so hieß der Alte, jagte die Boten mit einer hochfahrenden Antwort davon. Hierüber wurden zunächst die Schollenfüßler und Schalschwänze so aufgebracht, daß sie mit vielem Lärm zum Angriff heranrückten. Wir aber waren auf diesen Angriff gefaßt und erwarteten ihn unter Waffen. 25 von meinen Leuten hatte ich vorausgesandt mit dem Befehle, sich in einen Hinterhalt zu legen und scharf aufzupassen, bis die Feinde vorbeigezogen wären, dann sollten sie vorbrechen. Und so geschah's: während sie dann die Feinde im Rücken angriffen und auf sie einhieben, traten wir übrigen, ebenfalls 25 Mann stark, denn auch Skintharos und sein Sohn fochten mit, ihnen von vorn entgegen und hielten uns in dem gefährlichen Kampfe, der sich entsponnen, so stark und mutig, daß es uns schließlich gelang, sie aus dem Felde zu schlagen und bis in ihre Schlupfwinkel zu verfolgen. Von den Feinden fielen 170, von den unsrigen nur einer, unser Steuermann, dem die Rippe einer Seebarbe den Rücken durchbohrt hatte. Jenen Tag nun und die folgende Nacht kampierten wir auf dem Schlachtfelde, nachdem wir das trockene Rückgrat eines Delphins als Siegeszeichen aufgerichtet hatten. Am folgenden Tage erschienen auf die Kunde von dem Vorgefallenen auch die anderen Feinde; den rechten Flügel nahmen die Salzfischler ein, ihr Führer war Pelamos, den linken die Thunfischköpfe, die Krebsarme das Zentrum. Die Tritonomendeten, die es mit keinem Teile verderben wollten, verhielten sich ruhig. Wir rückten den neuen Feinden bis an den Poseidontempel entgegen, dort kam es zur Schlacht unter großem Geschrei, von dem der ganze Walfischbauch wie eine gewaltige Höhle widerhallte. Auch diese Gegner konnten wir dank unserer überlegenen Bewaffnung in die Flucht schlagen, verfolgten sie bis in den Wald hinein und blieben fortan die Herren des Landes.

Nach kurzer Zeit schickten sie Herolde an uns ab, um ihre Toten abzuholen und Friedensvorschläge zu machen; wir aber fanden es nicht für geraten uns darauf einzulassen, sondern rückten folgenden Tags abermals gegen sie ins Feld und machten alle samt und sonders nieder mit Ausnahme der Tritonomendeten. Als diese nämlich sahen, wie wir hausten, liefen sie davon, wischten zu den Kiemen hinaus und sprangen ins Meer. Wir aber durchstreiften das ganze, nunmehr von den Feinden gesäuberte Land und wohnten seitdem unangefochten beisammen. Unsere Zeit brachten wir zumeist mit Jagd und Leibesübungen zu, pflegten unsere Reben, holten die Früchte von den Bäumen und lebten ganz wie Leute, die in einem großen Kerker, aus dem kein Entrinnen möglich ist, sich's recht wohl und behaglich sein lassen. Ein Jahr und acht Monate brachten wir auf diese Art hin.

Aber am fünften Tage des neunten Monats beim zweiten Maulaufreißen des Walfisches, (denn dies tat er alle Stunden einmal, so daß wir immer die Stunden danach zählten), beim zweiten Maulaufreißen also hörten wir plötzlich lautes Geschrei und Getöse, wie von Kommandorufen und Ruderschlägen. In großer Aufregung wagten wir uns bis zum Rachen des Ungeheuers vor und sahen dort, hinter seine Zähne tretend, das abenteuerlichste Schauspiel, das mir in meinem ganzen Leben vorgekommen: gewaltige Riesen, jeder ein halbes Stadion (90 m) hoch, kamen auf großen Inseln wie auf Galeeren herangefahren. Ich weiß, man wird meine Erzählung unglaublich finden, ich will aber doch berichten, was ich erlebt. Die Inseln waren nicht sehr hoch, aber ziemlich lang, jede hatte ungefähr hundert Stadien im Umfang, und auf jeder fuhren etwa 120 jener Riesen heran. Von diesen saßen die einen auf beiden Seiten der Insel hintereinander und schafften mit gewaltigen Cypressenbäumen, an denen sie alle Äste und alles Laub gelassen hatten, die Insel wie mit Rudern vorwärts. Hinten aber, gewissermaßen auf dem Hinterdeck, stand auf einem hohen Hügel ein Steuermann, der ein ehernes Steuerruder regierte, das wohl fünf Stadien lang war. Auf dem Vorderteil aber standen ihrer ungefähr vierzig in Waffen zum Kampfe bereit, die in allem wie Menschen aussahen, nur daß ihnen statt des Haupthaars Feuerflammen auf dem Kopfe loderten, daher sie denn auch keine Helme brauchten. Die Stelle der Segel aber vertrat auf jeder dieser Inseln ein dichter Wald, in dem der einfallende Wind sich fing und die Insel so fortbewegte, wie der Steuermann wollte; bei den Ruderern stand ein Rudermeister, der den Takt angab, und so fuhren sie rasch rudernd wie Kriegsschiffe dahin.

Anfangs sahen wir nur zwei oder drei solcher Inseln; nach und nach aber kamen ihrer wohl 600 zum Vorschein, die sich gegen einander aufstellten, um sich eine regelrechte Seeschlacht zu liefern. Viele rannten mit den Vorderteilen hart gegen einander an, viele wurden auch durch Rammstoß in den Grund gebohrt, wieder andere verwickelten sich ineinander, und es kam zu hartnäckigen Kämpfen, und sie ließen sich nicht leicht wieder los. Denn die auf dem Vorderteil postierten Krieger bewiesen allen nur möglichen Mut, sprangen auf die feindliche Insel, machten nieder, was ihnen in den Wurf kam, und gaben keinen Pardon. Statt der eisernen Enterhaken schleuderten sie gegeneinander riesige, an Taue gebundene Polypen, die den Wald der feindlichen Insel mit ihren Fangarmen umschlangen und diese so festhielten. Als Wurfgeschosse, mit denen sie schwere Wunden beibrachten, dienten Austern so groß wie die Heuwagen und Schwämme vom Umfang einer Ackerhufe. Der Führer der einen Flotte hieß Aiolokentauros (Sturmkentaur), der der anderen Thalassopotes (Meersäufer). Den Anlaß zum Kampfe hatte, wie es schien, ein Raubzug gegeben, denn es hieß, Thalassopotes habe dem Aiolokentauros viele Herden Delphine geraubt; soviel konnte man wenigstens aus den gegenseitigen Zurufen abnehmen, in denen die Namen der beiden Könige immer wieder vorkamen. Schließlich blieb die Partei des Aiolokentauros Sieger: nachdem sie gegen 150 Inseln der Feinde in Grund gebohrt und drei andere samt der Mannschaft erobert hatten, machten die übrig Gebliebenen kehrt und suchten das Weite. Die Sieger verfolgten sie noch eine zeitlang, kehrten aber mit Einbruch des Abends um und wandten sich wieder zu der Stelle zurück, wo noch die Wracks aus der Seeschlacht trieben, von denen sie die meisten in ihre Gewalt bekamen, ebenso konnten sie auch einige der ihrigen wieder beiholen; aber auch von ihrer Seite waren nicht weniger als achtzig Inseln untergegangen. Dann errichteten sie auf dem Kopfe des Walfisches ein Siegesmal der Inselschlacht, indem sie eine der feindlichen Inseln dort an einem Pfahl fest machten. Die Nacht verbrachten sie neben dem Ungeheuer, nachdem sie ihre Inseln mit Tauen daran festgebunden oder sich dicht daneben vor Anker gelegt hatten, denn sie führten auch sehr große und starke Anker aus Glas bei sich. Tags darauf brachten sie ein feierliches Opfer auf dem Rücken des Walfisches dar, wo sie auch ihre Toten begruben, und schließlich fuhren sie vergnügt und eine Art Siegeslieder singend von dannen. So war der Verlauf dieser Inselschlacht.

Seit dieser Zeit nun dünkte mir der Aufenthalt im Walfisch und das Leben, das wir führten, ganz unerträglich, so daß ich beständig Mittel und Wege suchte, wie wir herauskommen könnten. Der erste Plan, auf den wir verfielen, war, uns durch die rechte Seite einen Ausweg zu graben, auf dem wir entwischen konnten. Wir machten uns auch ans Werk und gruben drauf los; als wir aber wohl fünf Stadien weit gegraben hatten und immer noch kein Ende abzusehen war, standen wir von diesem Vorhaben ab; statt dessen beschlossen wir den Wald anzuzünden, denn dadurch dachten wir, müßte der Walfisch doch zu Grunde gehen, und dann werde es uns ein Leichtes sein, herauszukommen. Wir fingen also damit an, daß wir den Teil, der dem Schwanz am nächsten lag, in Brand steckten. Volle sieben Tage und sieben Nächte brannte der Wald, ohne daß das Ungetüm die Hitze zu spüren schien; erst am achten und neunten bemerkten wir, daß ihm übel war, denn es öffnete den Rachen träger und matter als gewöhnlich, und wenn es ihn einmal auftat, so klappte es ihn gleich wieder zu. Am zehnten und elften ging es immer mehr mit ihm zu Ende und es roch schon recht übel. Am zwölften Tage aber fiel uns noch knapp zur rechten Zeit ein, wenn man nicht beim Maulaufreißen die Backenzähne mit Balken auseinandersperre, so daß es den Rachen nicht mehr schließen könne, so würden wir Gefahr laufen, in dem toten Körper eingeschlossen zu bleiben und elend zu Grunde zu gehen. Wir sperrten ihm also mit großen Balken den Rachen auseinander und machten dann unser Schiff seefertig, indem wir einen möglichst großen Vorrat von Trinkwasser und sonstigen Bedarf an Bord schafften; zum Steuermann wurde Skintharos bestimmt.

Am nächsten Tag war das Untier ganz tot; wir aber zogen das Schiff den Rachen herauf, schoben es durch die Zahnlücken, befestigten es mit Tauen an den Zähnen und ließen es ganz sachte ins Wasser hinab. Hierauf bestiegen wir den Rücken des Walfisches und brachten dort bei dem Siegesmal dem Poseidon ein Opfer dar. Noch drei Tage mußten wir einer Windstille wegen dort oben zubringen, am vierten endlich segelten wir ab. Beim Weiterfahren stießen wir auf eine Menge Leichen aus der Seeschlacht; einige, die gegen unser Schiff herangetrieben wurden, maßen wir und staunten über die ungeheure Größe dieser Leiber.

Einige Tage ging unsere Fahrt bei günstigem Wetter glücklich vonstatten, dann aber setzte ein starker Nordwind ein, der so grimmige Kälte brachte, daß die ganze See fest gefror und zwar nicht nur an der Oberfläche, sondern wohl 400 Klafter tief! Wir verließen daher das Schiff und ergingen uns auf der Eisfläche. Da aber der anhaltende scharfe Frostwind uns auf die Dauer unerträglich wurde, halfen wir uns nach dem guten Rate des Skintharos auf folgende Weise: wir gruben in das gefrorene Wasser eine sehr geräumige Höhle und blieben dreißig Tage lang darin, indem wir ein gutes Feuer unterhielten und uns von den Fischen nährten, die wir beim Graben gefunden hatten. Da uns aber nach und nach die Lebensmittel ausgingen, kamen wir wieder heraus, machten unser eingefrorenes Schiff wieder flott, spannten die Segel aus und glitten nun sanft und leicht wie auf dem Wasser über das Eis dahin. Am fünften Tage fiel warmes Tauwetter ein die Kälte hörte auf, und alles wurde wieder zu Wasser.

Nachdem wir ungefähr 300 Stadien weit gefahren waren, kamen wir in ein neues Meer, das nicht mehr von Wasser, sondern von lauter Milch war. Auch eine weiße, mit Weinreben bewachsene Insel war darin zu sehen. Die Insel aber war eigentlich ein riesiger, fester Käse, (wie wir in der Folge erkannten, da wir davon aßen), der einen Umfang von 25 Stadien hatte. Die Reben hingen voller Trauben; wenn wir jedoch die Beeren ausdrückten, so bekamen wir nicht Wein, sondern Milch zu trinken. In der Mitte der Insel war ein Tempel errichtet, der, wie die Inschrift angab, der Nereide Galatea (»Gala«, die Milch) geweiht war. Solange wir uns also dort aufhielten, diente uns das Land als Speise und Zukost, die Traubenmilch aber war unser Getränke …

Nach einem Aufenthalte von fünf Tagen auf dieser Insel lichteten wir am sechsten unter einer leichten Brise, die das Meer sanft kräuselte, die Anker. Am achten Tage, da wir schon nicht mehr durch das Milchmeer fuhren, sondern uns bereits wieder in salzigem, blaugrünem Meerwasser befanden, sahen wir eine Menge Menschen über das Meer hinlaufen; sie waren in allem Übrigen, an Körperbildung und Größe uns ähnlich, nur daß sie Füße aus Kork hatten, daher sie denn auch, wie mich dünkt, den Namen Phellopoden (Korkfüßler) trugen. Wir unsresteils machten große Augen, als wir sie so hübsch trocken, aufrecht und ohne alle Furcht über die Wogen hinspazieren sahen. Sie kamen sogar auf uns zu, begrüßten uns auf griechisch und teilten uns mit, daß sie sich eben auf dem Heimweg nach ihrer Vaterstadt Phello (Korkheim) befänden. Eine Zeit lang leisteten sie uns Gesellschaft, indem sie neben unserem Schiffe herliefen, hernach aber wünschten sie uns eine glückliche Reise und wandten sich nach links hin. Und wirklich war unter mehreren Inseln, die bald darauf sichtbar wurden, eine linker Hand, ganz in unserer Nähe, die sich als die Insel Phello, das Ziel jener Reisenden, erwies: wir sahen dort eine Stadt, die auf einem ungeheuren, runden Korkblock erbaut war … Uns gerade gegenüber, aber in einer Entfernung von mindestens 500 Stadien, lag eine einzelne, breite und niedrige Insel. Als wir allmählich näher kamen, umfächelte uns eine wunderliebliche, süßduftende Luft, gleich jener, die nach dem Zeugnis des Geschichtsschreibers Herodot dem Reisenden vom glücklichen Arabien entgegenweht. Es war uns, als ob uns der süße Duft von Rosen und Narzissen, von Hyazinthen, Lilien und Veilchen, dazu von Myrten, Lorbeer und Weinblüten auf einmal umfinge. Entzückt von diesen Wohlgerüchen und voll froher Ahnung eines Glückes nach so langem Ungemach waren wir bald nahe genug an der Insel und konnten ringsum eine Menge sicherer und geräumiger Buchten und verschiedene silberhelle Flüsse, die sich in sanftem Lauf mit dem Meere vereinigten, unterscheiden, dazu grüne Auen und Haine und zahlreiche Singvögel, die sich teils am Ufer, teils von den Zweigen hören ließen. Eine leichte, milde Luft umfloß das ganze Land: mit sanfter Bewegung durchwehte ihr süßer Hauch den Hain und brachte in den bewegten Zweigen ein anhaltendes, melodisches Singen und Klingen hervor, etwa wie wenn auf einsamer Höhe der Wind auf einer Hirtenflöte spielt (die ein Hirte dem Pan dort aufgehängt hat). Mitunter vernahm man auch ein lauteres Getön vermischter Stimmen, es war aber kein unangenehmer Lärm, sondern klang wie von einem fernen Gastmahle, wo die einen Musik machen, die andern das Flöten- oder Zitherspiel mit Beifallrufen und Händeklatschen begleiten.

Bezaubert von all diesen Eindrücken fuhren wir dem Lande zu, und nachdem wir angelegt, verließen wir das Schiff, in dem nur Skintharos mit zwei Gefährten zurückblieb. Wir anderen waren noch nicht weit über eine blühende Wiese fortgegangen, als wir einigen Wächtern und Strandhütern in die Hände liefen, die uns sogleich mit Rosenketten, (den stärksten Fesseln, die man hier kennt), fesselten und vor ihren Hauptmann führten. Unterwegs erfuhren wir von ihnen, daß wir uns auf der sogenannten Insel der Seligen befänden und der Kreter Rhadamanthys hier herrsche.

(Unsere Reisenden werden vor den Rhadamanthys gebracht, der eben Gerichtssitzung abhält, und erhalten schließlich die Erlaubnis, sieben Monate auf der Insel zu verweilen).

Sobald diese Entscheidung gefällt war, fielen die Rosenketten von selbst von uns ab, wir waren frei und wurden sogleich in die Stadt und von da zur Tafel der Seligen geführt. Die Stadt ist aus lauterem Golde, und eine smaragdene Ringmauer umgibt sie. Jedes ihrer sieben Tore ist aus einem einzigen Zimtbaum gearbeitet; der Boden der Stadt und das ganze Pflaster innerhalb der Ringmauer ist von Elfenbein. Die Tempel aller Götter sind aus Beryll erbaut, darinnen stehen mächtige Hochaltäre, jeder aus einem riesigen Amethystblock, auf denen die großen Staatsopfer dargebracht werden. Rings um die Stadt fließt ein Strom des herrlichsten Rosenöls, hundert königliche Ellen (etwa 50 m) breit und fünfzig tief, so daß er bequem schiffbar ist. Ihre Bäder sind Paläste aus Krystallglas, sie werden mit Zimtholz geheizt, und in den Wannen ist statt gemeinen Wassers erwärmter Tau.

Die Kleidung der Bewohner besteht aus sehr feinen, purpurnen Spinnweben. Sie selbst aber haben eigentlich keine Leiber, sondern unberührbar und ohne Fleisch und Bein haben sie nur die Gestalt und Erscheinung eines Leibes, aber sie können, wennschon sie körperlos sind, doch stehen und sich bewegen und denken und sprechen; kurz es sind gewissermaßen bloße Seelen, die da umhergehen und sich mit dem Scheine eines Körpers umkleidet haben, gleichsam aufrechtwandelnde, hellfarbige Schatten, die man nur, solange man sie nicht berührt, für körperhaft halten könnte. Niemand wird dort älter, sondern er bleibt auf der Altersstufe, auf der er beim Hinkommen war. Auch wird es bei ihnen weder Nacht noch ganz heller Tag, sondern ein milder Dämmerschein, wie er in der Morgenfrühe vor Sonnenaufgang herrscht, erfüllt dort die Erde. Auch kennen sie nur eine Jahreszeit, denn bei ihnen ist ewiger Frühling und Zephyr der einzige Wind, der hier weht. Das ganze Land prangt daher mit allen Blumen und zahmen, schattigen Bäumen jeder Art. Zwölfmal des Jahres tragen ihre Reben; ja die Granat- und Apfelbäume und überhaupt die Obstbäume tragen, wie man uns versicherte, sogar dreizehnmal, da sie in einem Monate, der bei ihnen der Minosmonat heißt, zweimal Früchte tragen. Anstatt des Weizens wachsen aus den Spitzen der Ähren dort fertige Brötchen wie Schwämme hervor. Rings um die Stadt entspringen 365 Quellen mit Wasser und ebensoviele mit Honig, ferner 500, jedoch etwas weniger ergiebige, mit köstlichem Salböl; überdies gibt es sieben Flüsse mit Milch und acht mit Wein.

Der Ort, wo sie tafeln, liegt außerhalb der Stadt in dem sogenannten Elysischen Gefilde. Das ist eine wunderschöne Wiese, umgeben von einem dichten Haine von allerlei Bäumen, in deren kühlem Schatten die Seligen auf Blumenpolstern bei Tische liegen. Zephyre bedienen sie und bringen alles her, was sie verlangen. Nur zum Weineinschenken braucht man sie nicht, denn rings um die Tafel stehen große gläserne Bäume vom reinsten Krystallglas, die statt der Früchte allerhand Becher von verschiedener Gestalt und Größe tragen. Wenn nun einer sich zur Tafel begibt, bricht er sich einen oder ein paar solcher Becher ab und stellt sie vor sich hin, worauf sie sich augenblicklich von selbst mit Wein füllen. So ist also für das Getränke gesorgt. Man bringt auch keine Kränze mit, sondern Nachtigallen und andere Singvögel holen Blumen von den benachbarten Wiesen herbei und lassen sie auf die Tafelnden herabschneien, während sie singend über ihren Häuptern herumfliegen. Und zu den Salben kommen sie auf folgende Weise: dichte Wolken, die sich mit den wohlriechenden Essenzen aus jenen Quellen und jenem Flusse vollgesogen haben, sammeln sich über den Speisenden und träufeln unter dem gelinden Drucke sanfter Winde ihre Wohlgerüche wie einen zarten Tau auf diese herab.

Während der Mahlzeit ergötzen sie sich an Musik und Gesang. Am liebsten singen sie die Gedichte des Homer, der auch selbst mitschmaust, er hat seinen Platz über dem Odysseus. Den Beginn des Konzerts machen dann Knaben- und Jungfrauenchöre, bei denen Eunomos von Lokri, Arion von Lesbos, Anakreon und Stesichoros vorsingen und mitmachen. Wenn diese aufhören, folgt ein zweiter Chor von Schwänen, Schwalben und Nachtigallen, und wenn diese fertig sind, dann hebt mit dem Wehen der Abendlüfte der ganze Hain an zu klingen und zu flöten. Am meisten aber trägt folgendes zur fröhlichen Stimmung bei: neben der Tafel entspringen zwei Quellen des Lachens und der Lust; aus beiden trinkt jeder zu Beginn der Mahlzeit, so bringen sie dann die ganze Zeit vergnügt und lachend hin.

(Es folgt eine längere Aufzählung der berühmten Personen, die der Erzähler auf der Insel der Seligen kennen lernte, und die mit diesen geführten Gespräche sowie einige weitere Erlebnisse) … Sechs Monate unseres Aufenthalts waren bereits verflossen, aber gegen Mitte des siebenten passierte eine böse Geschichte. Der Sohn unseres Skintharos, Kinyras, ein hübscher, stattlicher Bursche, war schon seit geraumer Zeit in die Helena verliebt, und es war nur gar zu deutlich, daß auch sie in rasender Leidenschaft für den Jungen erglühte. Während der Tafel war ein ewiges Zunicken und Zutrinken zwischen den beiden, und wenn alles noch sitzen blieb, stand unser Pärchen allein auf und spazierte im Walde herum. Endlich wußte sich Kinyras in seiner Leidenschaft nicht mehr zu helfen und faßte den Entschluß, die Helena zu entführen und mit ihr zu entfliehen. Die Schöne war damit ganz einverstanden, sie wollten sich schleunigst nach einer der nächstgelegenen Inseln, nach Korkheim oder der Käseinsel, davonmachen und hatten auch schon seit geraumer Zeit drei der Beherztesten unter meinen Gefährten mit ins Geheimnis gezogen und eidlich verpflichtet. Kinyras Vater hingegen durfte nichts von der Sache erfahren, denn jener wußte, daß er ihn daran verhindern würde. So wurde denn der Anschlag ganz nach dem Plane ausgeführt: einstmals zur Nachtzeit, (ich selbst war nicht um den Weg, denn ich war über der Tafel eingenickt), holten sie, ohne daß es eine Seele merkte, die Helena und fuhren mit ihr in aller Eile auf und davon.

Um Mitternacht wachte Menelaos auf, und wie er das Bett seiner Gemahlin leer fand, erhob er ein großes Geschrei, holte seinen Bruder Agamemnon und eilte mit diesem zum Palast des Rhadamanthys. Mit Tagesanbruch meldeten die Späher, sie sähen das Schiff, das aber schon recht weit entfernt sei. Sofort bemannte Rhadamanthys eine Barke, die aus einem einzigen Stück Asphodill gezimmert war, mit fünfzig Helden, um den Flüchtigen nachzusetzen, und diese ruderten so scharf, daß es ihnen gegen Mittag gelang sie einzuholen, als sie eben im Begriffe waren, in die Milchsee unweit der Käseinsel einzufahren. Um ein Haar also wären sie entkommen. Jetzt aber wurde ihr Schiff mit Rosenketten an der Barke festgemacht, und so ging die Fahrt zurück. Helena schämte sich sehr und verhüllte unter Tränen ihr Antlitz im Schleier. Aber an den Kinyras und seine Gesellen richtete Rhadamanthys nur die Frage, ob sonst noch jemand um ihren Anschlag gewußt habe, als sie dies verneinten, ließ er sie erst mit Malven geißeln und dann, an den Schamgliedern gebunden, an den Ort der Gottlosen abführen.

Es wurde aber auch beschlossen, daß wir vor Ablauf der festgesetzten Zeit die Insel verlassen sollten, nur den folgenden Tag durften wir noch hier zubringen.

(Rhadamanthys gibt dem Lukian beim Abschiede noch gute Weisungen für die ferneren Abenteuer und eine Malvenwurzel als Talisman für Augenblicke höchster Gefahr. Die Weiterreise führt dann zur Insel der Verdammten, von da zur Insel der Träume und zu weiteren Abenteuern, von denen noch zwei hier mitgeteilt werden).

Beim Weiterfahren begegneten uns höchst absonderliche Wunderzeichen: die geschnitzte Gans, die (als Zierrat) hinten an unserem Schiffe angebracht war, fing auf einmal an die Flügel zu schlagen und laut zu schnattern, und unser Steuermann Skintharos, der längst schon einen Kahlkopf hatte, bekam auf einmal seine Haare wieder; was aber das Allerseltsamste war: der Mastbaum unseres Schiffes fing an auszuschlagen, Zweige zu treiben und oben in seinem Wipfel Feigen und dunkle, wenn auch noch nicht ganz reife, Trauben zu tragen. Man kann sich leicht denken, wie bestürzt uns der Anblick dieses Wunder machte und wie wir die Götter anflehten, das Unheil, das uns diese abenteuerlichen Erscheinungen ankündigten, von uns abzuwenden.

Wir waren aber noch nicht 500 Stadien weit gefahren, als wir einen ungeheuren, dichten Wald von Fichten und Zypressen vor uns sahen. Anfangs hielten wir es für festes Land, aber es war ein abgrundtiefes, mit Bäumen überwachsenes Meer. Und wiewohl die Bäume keine Wurzeln hatten, so standen sie dennoch fest und aufrecht da oder schienen vielmehr so auf uns zuzuschwimmen. Je näher wir kamen und je deutlicher wir alles wahrnahmen, um so ratloser wurden wir, was wir anfangen sollten. Zwischen den Bäumen hindurchzufahren war unmöglich, denn sie standen zu dicht und geschlossen neben einander, aber auch wieder umzukehren erschien recht mißlich. Daher stieg ich auf den höchsten Baum, um zu erspähen, wie es jenseits des Waldes aussehe, und fand, daß er sich über fünfzig Stadien (9 km) und noch etwas weiter erstrecke und dann wieder ein neues Meer komme. Da faßten wir den Entschluß, unser Schiff auf die Kronen der ungemein dicht stehenden Bäume hinaufzuheben, um es so womöglich in das andere Meer hinüberzuschaffen. Gedacht, getan. Wir befestigten ein starkes Tau am Schiffe, stiegen auf die Bäume und zogen es mit unendlicher Mühe zu uns hinauf. Als wir es glücklich auf den Wipfeln oben hatten, spannten wir alle Segel auf und fuhren nun, einen kräftigen Wind im Rücken, so flott darüber weg als ob wir noch auf dem Meere schifften.

… Nachdem wir so den Wald glücklich überwunden hatten und wieder ans Wasser kamen, ließen wir unser Schiff wieder in gleicher Weise auf dieses hinab und fuhren nun durch klare, spiegelhelle Fluten dahin, bis wir vor einer gewaltigen Kluft halt machen mußten, die sich durch Auseinandertreten der Wassermassen gebildet hatte, gerade wie man oft auf dem Lande Spalten sehen kann, die infolge von Erdbeben entstanden sind. Wiewohl wir sofort alle Segel einzogen, ließ sich unser Schiff nur mit Mühe zum Stehen bringen und wäre beinahe in den Abgrund gestürzt. Es war ein erstaunlicher, unbeschreiblicher Anblick, als wir uns überbogen und sahen, daß es wie an einer steil abgeschrofften Wasserwand wohl 1000 Stadien tief senkrecht hinunterging. Bei weiterer Umschau entdeckten wir aber in mäßiger Entfernung rechts eine Brücke aus Wasser, die über den Abgrund führte und auf der das Wasser vom einen Meer zum anderen strömte und so die Oberfläche der beiden Gewässer mit einander verband. Wir ruderten also auf diese Brücke zu und kamen auch, eigentlich wider alles Erwarten, glücklich hinüber; ein halsbrecherisches Stück Arbeit war es freilich gewesen.

… Am Abend legten wir an einem ziemlich kleinen Eiland an, das von Weibern bewohnt war, die wir der Sprache nach für Griechinnen hielten. Sie kamen auf uns zu, nahmen uns bei der Hand und hießen uns gar freundlich willkommen. Alle waren schön und jung, trugen bis auf die Füße reichende Schleppgewänder, sonst aber waren sie ziemlich hetärenmäßig aufgetakelt. Die Insel hieß Kabbalusa, die Hauptstadt Hydramardia. Als nun diese Frauenzimmer jede einen von uns mit sich als Gast in ihre Wohnung nahmen, blieb ich meinerseits ein wenig zurück, denn mir schwante nichts Gutes, und richtig, wie ich genauer Umschau halte, sehe ich eine Menge Menschenknochen und Schädel herumliegen. Aber sofort ein Geschrei zu erheben, meine Gefährten zusammenzurufen und zu den Waffen zu eilen hielt ich nicht für geraten, vielmehr zog ich meine Malvenwurzel hervor und richtete ein inbrünstiges Gebet an sie, mir doch aus diesen Nöten herauszuhelfen. Nicht lange hernach, als meine Wirtin sich geschäftig um mich bemühte, bemerkte ich, daß unter ihrem Gewande keine Weiberbeine, sondern Eselshufe hervorsahen. Darauf gehe ich sogleich mit gezücktem Schwerte auf sie los, bemächtige mich ihrer und binde sie; da mußte sie mir denn, wenn auch ungern, alle meine Fragen beantworten. Sie seien Meerweiber, erfuhr ich, Onoskeleen (Eselsfüßlerinnen) genannt, und fräßen die Fremdlinge, die in ihr Land kämen. »Wir machen sie erst trunken, sagte sie, wenn sie dann auf dem Lager neben uns eingeschlafen sind, überfallen wir sie.« Als ich das vernommen, ließ ich das Weib gebunden dort liegen, ich aber rannte auf das Dach und rief mit lautem Geschrei meine Gefährten zusammen. Sobald sie beisammen waren, entdeckte ich ihnen alles, zeigte ihnen die herumliegenden Gebeine und führte sie zu meiner Gefangenen hinein. Die aber ward augenblicks zu Wasser und war nicht mehr zu sehen; als ich trotzdem den Versuch machte und das Schwert ins Wasser stieß, da wurde dieses zu Blut.

Da rannten wir in aller Eile zu unserem Schiffe und fuhren davon. Und als der nächste Morgen graute, erblickten wir ein festes Land vor uns, von dem wir vermuteten, es werde das Land sein, das dem von uns bewohnten Erdteil gegenüber liegt. Unser erstes war auf unsere Kniee zu fallen und unser Gebet zu verrichten; hierauf überlegten wir, was nun werden sollte. Die einen wollten nach kurzer Landung einfach wieder umkehren und zurückfahren, andere hingegen meinten, wir sollten das Schiff hier zurücklassen, selbst aber ins Innere eindringen, um das Land und seine Bewohner kennen zu lernen. Während wir noch so hin und her überlegten, überfiel uns ein heftiger Sturm, der das Schiff mit solcher Gewalt an die Küste schmetterte, daß es in Trümmer ging. Wir selbst hatten große Not uns mit Schwimmen zu retten: außer unseren Waffen und den wenigen Dingen, die einer sonst noch an sich raffen konnte, war uns nichts geblieben.

Das ist es also, was mir bis zu meiner Ankunft in besagtem anderen Weltteile … begegnet ist. Was nun weiter in diesem Lande erfolgte, werde ich in den folgenden Büchern erzählen.


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