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Geschichten von Kroisos

 

3. Kroisos und Solon

Nach dem Tode des Königs Alyattes übernahm sein Sohn Kroisos im Alter von 35 Jahren die Herrschaft von Lydien. Er hatte nach und nach alle Völker Kleinasiens bis zum Halys hin unterworfen und ihre Lande zum lydischen Reiche geschlagen, und seine Hauptstadt Sardes wurde eine der reichsten Städte der Welt. So kamen denn alle hellenischen Weisen jener Zeit einer nach dem anderen dorthin, unter ihnen auch der Athener Solon. Der hatte den Athenern auf ihr Geheiß Gesetze gemacht und war dann zehn Jahre auf Reisen gegangen, angeblich, um die Welt zu besehen, in Wahrheit aber, damit er nicht gezwungen werde, eines der Gesetze, die er gegeben, aufzuheben. Von sich aus durften die Athener dies nicht tun, sie waren nämlich durch hohe Eide gebunden, zehn Jahre lang nach den Gesetzen, die ihnen Solon gegeben hatte, zu leben.

Deshalb also, und zugleich um die Welt zu sehen, war Solon auf Reisen gegangen, kam zuerst zu Amasis nach Ägypten und schließlich auch nach Sardes zu Kroisos, der den Fremdling sogleich gastlich in seinem Schlosse aufnahm. Am dritten oder vierten Tage danach führten Diener auf Kroisos' Geheiß den Solon in den Schatzkammern umher und wiesen ihm alle die gewaltigen, reichen Schätze. Wie er nun alles angeschaut und mit Muße betrachtet hatte, fragte ihn Kroisos also: »Mein Gastfreund aus Athen, es ist ja zu uns mancherlei Kunde über deine Person gedrungen von deiner Weisheit und deinen Fahrten, wieviele Länder du schon aus Wissensdrang besucht hast, dich darin umzusehen; drum wandelte mich jetzt Lust an, dich zu fragen, ob du schon den Glücklichsten von allen Menschen gesehen hast.« So fragte er, in der Hoffnung, selbst dieser glücklichste Mensch zu sein. Solon aber gab, ohne im geringsten zu schmeicheln, der Wahrheit die Ehre und sagte: »Mein König, das ist Tellos aus Athen.« Und da Kroisos sich über die Rede verwunderte und sogleich weiterfragte: »Wieso erklärst du denn den Tellos für den glücklichsten«? erwiderte jener: »Tellos lebte erstlich inmitten eines blühenden Staatswesens, hatte schöne und wackere Söhne und sah von ihnen allen wieder Kinder aufwachsen, die sämtlich am Leben blieben. Zum anderen aber ward ihm, nachdem er nach unserem Maßstab in recht guten Verhältnissen gelebt hatte, noch ein gar herrlich Lebensende. Denn einst lieferten die Athener ihren Nachbarn bei Eleusis eine Schlacht, da war auch Tellos mit ins Feld gezogen, half die Feinde in die Flucht schlagen und fand dabei den rühmlichsten Tod. Und die Athener bestatteten ihn auf Staatskosten an der Stelle, wo er gefallen war, und ehrten ihn höchlich.«

Aber mit dieser Erzählung von Tellos und seinem großen Glücke hatte Solon den Kroisos noch mehr gereizt, so daß er ihn fragte, wer der zweite sei, den er nach jenem gesehen habe; denn er erwartete, jedenfalls wenigstens den zweiten Preis davonzutragen. Doch Solon erwiderte: »Kleobis und Biton. Das waren zwei Jünglinge in Argos, beide hatten auskömmlich zu leben, und dazu besaßen sie solche Körperstärke, daß beide in gleicher Weise Kampfpreise gewannen. Und zudem erzählte man noch folgende Geschichte von ihnen: einst fand in Argos ein Fest der Hera statt, bei dem ihre Mutter unter allen Umständen mit einem Gespann ins Heiligtum der Göttin fahren mußte. Da nun die Ochsen nicht rechtzeitig vom Felde heim gekommen waren und die Stunde drängte, spannten sich die Jünglinge selbst ins Joch und zogen den Wagen, auf dem ihre Mutter saß. So zogen sie diese 45 Stadien [etwa 8 km] weit, bis sie im Heiligtum ankamen. Und nachdem sie solches vor den Augen der Festversammlung vollbracht, wurde ihnen das beste Lebensende zu teil: an diesen hat der Gott gezeigt, daß für den Menschen der Tod weit besser sei denn das Leben. Denn während die Männer aus Argos herumstanden und die Jünglinge glücklich priesen ob ihrer Stärke, die Frauen aber die Mutter, der solche Söhne geschenkt worden, trat die Mutter überglücklich über die Tat und den Ruhm vor das Götterbild und betete, die Göttin möge dem Kleobis und Biton, ihren Söhnen, die sie so hochgeehrt hätten, das Beste verleihen, so ein Mensch erlangen könne. Also betete sie, die Jünglinge aber legten sich, nachdem sie geopfert und geschmaust hatten, im Heiligtum selbst zum Schlafen nieder und standen nicht mehr auf, sondern das wurde ihr Ende. Die Argiver aber ließen Standbilder von ihnen machen und weihten sie nach Delphi, in der Überzeugung, daß sie die trefflichsten Männer gewesen seien.

So erteilte denn Solon diesen den zweiten Preis der Glückseligkeit, Kroisos aber rief hitzig: »Aber mein Glück, o Fremdling aus Athen, das wirfst du so weg als ein Nichts, daß du uns nicht einmal so wert hältst wie Leute ohne Amt und Stellung?« Doch Solon antwortete: »Ich weiß, daß die Gottheit durchaus neidisch ist und gerne Wirrsal stiftet im menschlichen Leben, über das du mich fragst. Denn in der Länge der Zeit muß man gar vieles mit ansehen, was man nicht wünscht, vieles auch erleben. Auf siebenzig Jahre setze ich die Grenze des menschlichen Lebens, diese siebzig Jahre machen 25 200 Tage, Schaltmonate nicht gerechnet. Wenn aber jedes zweite Jahr um einen Monat verlängert werden soll, damit eben die Jahreszeiten stimmen und zur gehörigen Zeit sich einstellen Solon legt seiner Rechnung ein Jahr von 360 Tagen = 12 Monaten zu 30 Tagen zugrunde; um dann den Unterschied gegen die wirkliche Dauer von 365¼ Tagen auszugleichen, fügt er jedes zweite Jahr einen freilich zu großen Schaltmonat ein., dann gibt das im Lauf der 70 Jahre 35 Schaltmonate, und die Zahl der Tage in diesen Monaten beträgt 1050. Von all diesen Tagen in den 70 Jahren – es sind 26 250 Tage – bringt keiner zum vorhergehenden auch nur ein gleiches Ding herzu. So ist also, o Kroisos, der Mensch eitel Zufall. Ich sehe nun wohl, daß du schwer reich bist und auch König über viele Menschen. Aber das, wonach du mich fragst, das sage ich noch nicht von dir, ehe ich erfahren, daß du dein Leben gut vollendet hast. Der schwer reiche Mann ist ja keineswegs glücklicher als der, so von der Hand in den Mund lebt, es sei denn, daß ihm das Schicksal vergönnte, in vollem Wohlstand und gutem Glücke sein Leben zu enden. Denn viele überaus reiche Menschen sind unglücklich, und viele sind bei mäßigem Besitz glücklich. Nun aber hat der, so überreich, aber zugleich unglücklich ist, nur zwei Dinge voraus vor dem, der glücklich ist, dieser aber vor dem Reichen und zugleich Unglücklichen viele. Der erstere ist freilich besser imstande, ein Gelüste zu befriedigen und ein etwa hereinbrechendes schweres Verhängnis zu tragen, der andere aber hat folgendes voraus: ein Verhängnis zu tragen und ein Gelüste zu befriedigen ist er zwar nicht gleich jenem imstande, allein derlei hält ja sein gutes Glück von ihm fern; dafür aber bleibt er verschont von Gebrechen, Krankheit und Leiden, hat treffliche Kinder und ist von schöner Gestalt. Wenn er nun zu alledem noch sein Leben gut endigen wird, dann ist er jener Mann, den du suchst, und wohl wert, glücklich zu heißen. Bevor er aber geendigt hat, soll man an sich halten und nicht sagen: »er ist glücklich«, sondern nur: »es geht ihm gut«. Freilich das alles zusammen zu haben, das ist für einen Menschen unmöglich, gleichwie auch kein Land hinreicht, sich selbst alles zu liefern, sondern eines hat es, anderes wieder entbehrt es, welches aber am meisten hat, das ist das beste. So ist auch kein Mensch für seine Person vollkommen, denn das eine hat er, anderes wieder entbehrt er. Wer aber zeitlebens das meiste hat und dann noch ein selig Ende nimmt, der ist in meinen Augen berechtigt, o König, jenen Namen zu erhalten. Bei jeglichem Ding aber gilt es, auf das Ende zu schauen, wie es ablaufen wird: vielen hat ja der Gott das Glück nur gezeigt, um sie dann von Grund aus zu stürzen.«

So sprach Solon, doch dem Kroisos redete er gar nicht zu Dank, und er entließ ihn, ohne ihm noch irgendwelche Beachtung zu schenken: denn er kam ihm als ein rechter Tor vor, da er, ohne auf das Glück der Gegenwart zu achten, ihm riet, auf das Ende jedes Dinges zu schauen.

 

4. Atys und Adrastos

Nachdem Solon weg war, traf den Kroisos Gottes Rache schwer, vermutlich, weil er sich eingebildet hatte, er sei der glücklichste aller Menschen. Im Schlafe erschien ihm plötzlich ein Traum, der ihm das Leid, das ihn an seinem Sohne treffen sollte, wahrheitsgetreu anzeigte. Er hatte nämlich zwei Söhne, von denen hatte der eine einen körperlichen Schaden – er war taubstumm –, der andere aber, namens Atys, war unter seinen Altersgenossen in allen Stücken bei weitem der erste. Von diesem Atys nun zeigte das Traumgesicht dem Kroisos an, daß er ihn durch eine eiserne Lanzenspitze, die ihn träfe, verlieren würde. Als der König erwachte und sich von dem Traume Rechenschaft gab, erfaßte ihn ein Grauen und er führte seinem Sohne eine Frau zu; und während dieser sonst gewohnt gewesen war, die Lyder im Kriege anzuführen, schickte er ihn jetzt bei keiner Gelegenheit mehr zu solchem Tun aus; auch ließ er Wurfspieße und Lanzen und alles der Art, was die Menschen sonst noch zum Kriege gebrauchen, aus der Männerwohnung wegschaffen und in den Rüstkammern zu Haufen aufbewahren, auf daß kein an der Wand hängendes Stück auf seinen Sohn herabfallen könne. Als nun sein Sohn bereits verheiratet war, kam ein Mann nach Sardes, der in schweres Verhängnis verstrickt und dessen Hände durch Blutschuld befleckt waren, ein Phryger aus königlichem Stamme. Der kam in das Haus des Kroisos und flehte um Entsühnung nach den dort üblichen Bräuchen, und Kroisos entsühnte ihn auch. (Die Entsühnung ist bei den Lydern ganz ähnlich wie bei den Griechen.) Nachdem nun Kroisos die üblichen Bräuche vollzogen hatte, wollte er wissen, woher jener komme und wer er sei, und sprach: »Lieber Mann, wer bist du, und aus welchem Teile Phrygiens bist du hierher an meinen Herd gekommen? Welchen Mann oder welche Frau hast du erschlagen?« Der Fremdling antwortete: »O König, ich bin des Gordios Sohn, des Midas Enkel und heiße Adrastos. Den eigenen Bruder hab ich unabsichtlich erschlagen und bin nun hier, vom Vater vertrieben und aller meiner Habe beraubt.« »Da bist du ein Nachkomme befreundeter Männer«, erwiderte Kroisos, »und Freunde sind's, zu denen du gekommen bist. Bleibe bei uns, und es soll dir an nichts fehlen. Dieses Unglück aber mußt du so leicht wie möglich tragen, dann wirst du am besten darüber hinwegkommen.« Da nahm denn Adrastos seinen Aufenthalt im Hause des Kroisos.

Um diese Zeit trat in der Gegend des mysischen Olymps ein Eber auf, ein gewaltiges Ungetüm, das, aus diesem Gebirge hervorbrechend, die Felder der Myser verwüstete. Wohl rückten die Myser öfter gegen den Eber aus, aber sie konnten ihm nichts antun, während er ihnen übel mitspielte. Und schließlich kamen Boten von den Mysern zu Kroisos und sprachen also: »O König, ein Eber ist in unserem Lande erschienen, ein ganz gewaltiges Ungetüm, das unsere Felder verwüstet, und trotz alles Mutes und Eifers können wir es nicht erlegen. So bitten wir dich also jetzt, gib uns deinen Sohn mit auserlesenen Jünglingen und Hunden mit, auf daß wir das Land von ihm befreien können.« Also baten diese. Aber Kroisos gedachte des Traumes und sprach folgende Worte zu ihnen: »Was meinen Sohn anlangt, so erwähnt ihn nicht mehr, ich würde ihn euch schwerlich mitgeben, denn er ist jung verheiratet, und darauf stehet jetzt sein Sinn. Jedoch auserlesene lydische Jünglinge und die ganze Meute meiner Jagdhunde will ich mitschicken und werde den Ausziehenden anbefehlen, allen Eifer darauf zu verwenden, daß sie mit euch zusammen das Land von dem Tiere befreien.« So lautete sein Bescheid, und die Myser waren's zufrieden. Da trat Kroisos Sohn ein, der ihre Bitte gehört hatte. Während jedoch der König es abgelehnt hatte, ihnen seinen Sohn mitzugeben, sprach der Jüngling also zu ihm: »Mein Vater, einst war es für uns die herrlichste, edelste Tat, zu Kriegen und Jagden auszuziehen und sich Ruhm zu holen. Jetzt aber hältst du mich von beiden ausgeschlossen und hast doch keinerlei feiges oder verzagtes Wesen bei mir wahrgenommen. Mit welchen Blicken soll ich da den Leuten unter die Augen treten, wenn ich zum Markte gehe oder vom Markte komme? Wie werde ich vor den Bürgern dastehen, wie vor meinem jungen Weibe? Was wird sie von dem Manne denken, mit dem sie hauset? Drum laß mich also entweder zur Jagd ausziehen oder überzeuge mich durch Gründe, daß es besser für mich sei, wenn man's so hält.« Darauf erwiderte Kroisos: »Mein Sohn, nicht weil ich feiges oder sonst irgend unliebsames Wesen an dir wahrgenommen hätte, handle ich also; nein, ich hatte eine Erscheinung im Schlafe, die zu mir trat und mir ankündigte, daß du nur kurze Zeit leben werdest: eine eiserne Lanzenspitze werde dir Verderben bringen. Diese Erscheinung ist schuld, daß ich deine Hochzeit so eifrig betrieben habe und dich auch nicht zu diesem Unternehmen aussende, denn ich will Wache halten und versuchen, ob ich vielleicht dich mit List durchbringen kann, wenigstens solange ich lebe. Denn siehe, du bist der einzige Sohn, den ich habe, den andern, taubstumm wie er ist, kann ich leider nicht rechnen.« Darauf erwiderte der Jüngling: »O Vater, es ist allerdings verzeihlich, daß du nach einem solchen Traumgesicht um mich Wache hältst; doch du hast den Traum nicht recht verstanden, und sein wahrer Sinn ist dir nicht aufgegangen, drum laß mich ihn dir deuten. Der Traum, so behauptest du, sage, daß ich von einer eisernen Lanzenspitze umkommen werde. Wo aber hat ein Eber Hände, und wo eine eiserne Spitze, die du so fürchtest? Ja, wenn er gesagt hätte, daß mir Verderben drohe von einem Zahne oder einem anderen Dinge, so diesem ähnlich ist, dann freilich hättest du so handeln müssen, wie du handelst, so aber heißt es: von einer Lanzenspitze! Da also unser Kampf nicht gegen Männer geht, so laß mich ziehen.« Darauf erwiderte Kroisos: »Mein Sohn, deiner Deutung des Traumes muß ich mich fügen. Nun ich also, von dir überwunden, anderen Sinnes geworden, will ich dich auf die Jagd ziehen lassen.« Nach diesen Worten ließ aber Kroisos den Phryger Adrastos zu sich kommen und sagte ihm folgendes: »Adrastos, als du von bösem Schicksal, das ich dir nicht zum Vorwurf mache, geschlagen warst, da habe ich dich entsühnt und in mein Haus aufgenommen, wo ich dir allen Unterhalt gewähre. Nun ist es auch deine Schuldigkeit, nachdem ich zuerst Gutes an dir getan, mir mit Gutem zu vergelten; darum bitte ich dich heute, da mein Sohn sich zur Jagd aufmacht, du mögest sein Hüter werden, damit nicht unterwegs etwa Räuber und Bösewichte auftauchen können und er Schaden nehme. Zudem gebührt es sich auch für dich, dahin zu gehen, wo du durch deine Taten Ruhm erwerben kannst, denn so haben's deine Väter gehalten, und so entspricht es überdies deiner Heldenstärke.« Darauf antwortete Adrastos: »Mein König, aus anderen Gründen würde ich zu solchem Abenteuer nicht ausziehen, denn wen ein solches Schicksal getroffen, für den schickt es sich weder, sich jungen und glücklichen Gesellen anzuschließen, noch ist es mein eigener Wunsch, und auch vielfache andere Rücksichten würden mich zurückgehalten haben. Nun aber, da du mich antreibest, dem ich doch gefällig sein muß (denn es ist meine Schuldigkeit, dir Gutes mit Gutem zu vergelten), so bin ich bereit dies zu tun, und du darfst erwarten, daß dein Sohn, den zu hüten du mich aufforderst, soviel vom Hüter abhängt, dir unversehrt heimkehre.«

Also antwortete Adrastos dem Kroisos. Danach zogen sie ab in Begleitung auserlesener Jünglinge und Hunde. Als sie nun beim Olymposberg ankamen, suchten sie das Untier auf, und wie es gefunden war, umstellten sie's im Kreise und schleuderten ihre Wurfspieße danach. Da nun geschah es, daß der Gastfreund, eben der Adrastos, welchen Kroisos vom Morde entsühnt hatte, da er seinen Speer nach dem Eber warf, diesen verfehlte, dafür aber des Kroisos Sohn traf. So erfüllte dieser, von der Lanzenspitze getroffen, den Wortlaut des Traumes. Und sogleich lief einer davon, dem Kroisos das Geschehene zu melden, und als er nach Sardes gekommen, zeigte er ihm den Hergang des Kampfes und das Todesgeschick seines Sohnes an. Da war Kroisos vom Tode seines Sohnes tief erschüttert, aber noch leidenschaftlicher wohl empfand er es, daß ihn der Mann getötet, den er selbst vom Morde entsühnt hatte. Außer sich über das Unheil rief er in furchtbaren Worten zu Zeus dem Entsühner und nahm ihn zum Zeugen für das, was ihm der Gastfreund angetan hatte, dann rief er auch zum Gott des häuslichen Herdes und der Freundschaft, mit welchen Benennungen er immer Zeus meinte: den Gott des Herdes rief er, weil er den Fremdling in sein Haus aufgenommen und damit, ohne es zu wissen, den Mörder des eigenen Sohnes ernährt hatte, den der Freundschaft aber, weil er den Mann, den er als Hüter mitgesandt, nun als ärgsten Feind erfunden hätte.

Danach kamen die Lyder und brachten den Toten getragen, hinter ihnen folgte der Mörder. Dieser übergab sich, vor den Leichnam tretend, dem Kroisos, streckte seine Hände gegen ihn aus und forderte ihn auf, er solle ihn noch über dem Leichnam hinschlachten; er erwähnte sein früheres Unglück und wie er jetzt auch noch zu diesem den, der ihn damals entsühnt hatte, zugrunde gerichtet habe: für ihn gebe es kein Weiterleben. Als Kroisos dies hörte, da jammerte ihn des Adrastos trotz des großen Unglücks im eigenen Hause, und er sprach zu ihm: »Mein Freund, du hast eine vollkommene Buße geleistet, da du dich selbst zum Tode verurteilst. Aber nicht du bist in meinen Augen an diesem Unheil schuld, außer daß du unfreiwillig die Tat begangen hast; nein, es war wohl einer der Götter, der mir ja auch schon lange vorher anzeigte, was geschehen sollte.«

Kroisos bestattete nun seinen Sohn, wie es sich geziemte. Aber Adrastos, des Gordios Sohn und des Midas Enkel, der, wie erwähnt, des eigenen Bruders Mörder gewesen und jetzt an dem Entsühner zum Mörder geworden war, ließ es um das Grabmal erst leer von Menschen und stille werden; dann aber trat er in dem Bewußtsein, am schwersten von allen Menschen, die er selbst kannte, vom Schicksal geschlagen zu sein, auf den Hügel und schlachtete sich selbst über dem Grabe des Atys.

 

5. Des Kroisos Ausgang

Zwei Jahre lang saß Kroisos, seines Sohnes beraubt, in tiefem Leide. Später aber, als die Herrschaft des Astyages, Kyaxares Sohn, von Kyros, dem Sohne des Kambyses, vernichtet worden war und die persische Macht zunahm, da machten diese Ereignisse der Trauer des Kroisos ein Ende, und er machte sich ernstliche Sorgen, ob er wohl, ehe die Perser zu groß würden, dem Wachstum ihrer Macht Einhalt tun könnte. In solchen Erwägungen stellte er sogleich die Orakel in Hellas und auch das in Libyen auf die Probe, indem er an die einzelnen Stätten Boten schickte, die einen sollten nach Delphi gehen, andere nach Abai In Abai war ein Orakel des Apollo, in Dodona des Zeus. – Amphiaraos hatte auf Anstiften seiner Frau, die durch ein goldenes Armband bestochen war, am Zuge der Sieben gegen Theben teilgenommen; auf der Flucht ward er von der durch Zeus' Blitz gespaltenen Erde verschlungen. Man glaubte, daß er an jener Stelle Böotiens unter der Erde weiter lebe und den Menschen durch Träume Orakel gebe. – Ebenfalls in Böotien lag das Höhlenorakel des Trophonios. – Die Branchiden waren ein Priestergeschlecht, das dem Orakel des Apollo zu Didymai bei Milet vorstand. in Phokis, andere nach Dodona, wieder andere wurden zu Amphiaraos und zu Trophonios gesandt, und andere zu den Branchiden im milesischen Land. Das waren die griechischen Orakelstätten, zu denen Kroisos um einen Spruch schickte; aber auch nach Afrika zu Ammon Das Orakel des Zeus Ammon war in der Oase Siwah westlich von Ägypten. schickte er andere Männer, um den Gott zu befragen. So schickte er in der Welt umher, um herauszubringen, was die Orakel wüßten. Stellte sich dann heraus, daß sie die Wahrheit wüßten, so wollte er sie zum andern Mal beschicken und fragen, ob er einen Kriegszug gegen die Perser unternehmen solle. Und den Lydern, die er zur Prüfung der Orakel aussandte, gab er den Auftrag, sie sollten vom Tage ihres Aufbruches aus Sardes an die Tage zählen und am hundertsten Tage, von da an gerechnet, die Orakel aufsuchen und ihnen die Frage vorlegen, was der Lyderkönig Kroisos, des Alyattes Sohn, in diesem Augenblick tue. Dann sollten sie die Bescheide der einzelnen Orakel sich aufschreiben lassen und ihm überbringen. Was nun die übrigen Orakel geantwortet haben, das wird von keiner Seite berichtet, in Delphi aber waren die Lyder kaum ins Innere des Heiligtums eingetreten, um den Gott zu befragen und ihren Auftrag auszurichten, da gab die Pythia in Hexametern folgenden Bescheid:

»Wahrlich ich kenne des Sandkorns Zahl und die Maße des Meeres,
Selber den Stummen versteh ich, vernehme des Schweigenden Sprache.
Duft umschwebt mich soeben, als ob zusammen mit Lammfleisch
Kochte im Kessel das Fleisch der stark umpanzerten Schildkröt',
Erz ist unter den Stücken, es deckt auch Erz sie von oben.«

So lautete der Spruch der Pythia. Die Lyder ließen ihn aufschreiben und machten sich damit gleich auf den Rückweg nach Sardes. Als nun auch von allen übrigen Seiten die Gesandten mit ihren Sprüchen eintrafen, da entfaltete Kroisos jedes Schriftstück und beschaute es. Und keines von allen war ihm recht; als er aber den Spruch von Delphi hörte, nahm er ihn sogleich mit frommem Gebete an, und ihm deuchte, das Orakel in Delphi sei das einzige, weil es herausgefunden hatte, was er selber getan. Denn nachdem er die Boten an die Orakelstätten ausgesandt, um anzufragen, hatte er den entscheidenden Tag abgewartet und setzte dann folgendes ins Werk, das man unmöglich so herausfinden und ausdenken konnte: er schlachtete nämlich eine Schildkröte und ein Lamm und kochte selber beide zugleich in einem ehernen Kessel, über den er auch einen ehernen Deckel breitete.

So also lautete der Spruch, den Kroisos aus Delphi empfing. Was nun die Antwort vom Orakel des Amphiaraos anlangt, so weiß ich nicht zu sagen, was dieser den Lydern nach Vollziehung der üblichen Bräuche (nicht einmal davon hat man ja Kunde) für einen Bescheid gegeben hat, nur das weiß ich, daß Kroisos zur Ansicht kam, auch dieser Gott besitze ein untrügliches Orakel.

Danach versuchte Kroisos, den Gott in Delphi durch große Opfer gnädig zu stimmen: es wurden von jeder Art opferbarer Tiere 3000 Stück dargebracht, dazu ließ er vergoldete und versilberte Ruhebetten, goldene Trinkschalen, purpurne Mäntel und Leibröcke zu einem hohen Scheiterhaufen aufschichten und diesen verbrennen in der Hoffnung, den Gott dadurch noch mehr zu gewinnen. Und an alle Lyder erging ein Gebot, jeder solle mit seiner Habe sich am Opfer beteiligen. Und als das Opfer vollendet war, ließ er unermeßlich viel Gold schmelzen und daraus Halbziegel schmieden, an der Langseite sechs, an der Schmalseite drei Handbreiten lang und eine Handbreite hoch, im ganzen hundertundsiebzehn Stück, und zwar vier darunter aus gediegenem Gold, jeden dritthalb Talente Das Talent, die griechische Gewichtseinheit, = 60 Minen, war in den verschiedenen Staaten verschieden schwer, 20-30 kg; das lydische Goldtalent wog über 25 kg. schwer, die übrigen Halbziegel aus Weißgold, je zwei Talente schwer. Auch ließ er eines Löwen Bild aus gediegenem Golde verfertigen von zehn Talenten Gewicht.

Als alles fertig war, sandte Kroisos diese Weihgeschenke nach Delphi und dazu noch folgende: zwei gewaltig große Mischkessel, einen aus Gold und einen aus Silber, der goldene ist 8½ Talente und dazu noch 12 Minen schwer, der silberne ist so groß, daß er 600 Amphoren Großer Tonkrug mit zwei Henkeln; hier ein Hohlmaß, etwa 39 Liter. faßt, wenn die Delphier ihn jeweils am Erscheinungsfeste Die Delphier feiern im Frühjahr die Wiederkehr des im Winter abwesend gedachten Apollo. zum Mischen des Weines verwenden. Nach ihrer Angabe ist es ein Werk des Theodoros von Samos Berühmter Erzgießer des sechsten Jahrh. v. Chr., und auch ich glaube dies, denn er ist offenbar nicht ein Werk des ersten besten. Ferner schickte er vier silberne Fässer hin und zwei Weihwasserkessel, einen aus Silber und einen aus Gold. Noch viele andere Weihgeschenke, die nicht bezeichnet sind, hat Kroisos zugleich mit diesen nach Delphi gesandt, so besonders neben einigen gegossenen, runden Silberwerken ein drei Ellen hohes Bild einer Frau aus Gold, das, wie die Delphier sagen, die Bäckerin des Kroisos vorstelle. Außerdem weihte Kroisos auch noch den Halsschmuck und die Gürtel seiner Frau. Das sind die Geschenke, die er nach Delphi gesandt hat; dem Amphiaraos aber, von dessen Trefflichkeit und Leidensgeschichte vgl. Anm. 2 zu S. 108. er erfahren hatte, weihte er einen Schild und eine Lanze, beide ganz aus massivem Golde, so daß auch der Lanzenschaft gleichermaßen von Gold war.

Die Lyder, welche diese Geschenke in die Tempel bringen sollten, wies der König an, den Orakeln die Frage vorzulegen, »ob Kroisos gegen die Perser ins Feld ziehen und ob er etwa noch ein befreundetes Heer dazu gewinnen solle«. Als nun die Lyder, am Ziel ihrer Reise angekommen, die Weihgeschenke dargebracht, befragten sie die Orakel also: »Kroisos, der König der Lyder und anderer Völker, hat, dieweil er sich überzeugt hat, daß dies hier die einzigen wirklichen Orakel auf der Welt sind, euch würdige Geschenke gegeben für eure Enthüllungen; jetzt fragt er euch abermals, ob er gegen die Perser ins Feld ziehen, und ob er etwa noch ein verbündetes Heer dazu gewinnen soll.« So lautete ihre Frage, und beider Orakel Antworten liefen auf das gleiche hinaus, denn beide verkündeten dem Kroisos, wenn er gegen die Perser ins Feld ziehe, so werde er ein großes Reich zerstören. Zugleich rieten sie ihm, er solle die Mächtigsten unter den Hellenen ausfindig machen und sie sich zu Freunden gewinnen.

Als nun dem Kroisos die Orakelsprüche überbracht und kundgegeben wurden, freute er sich über die Maßen, und in der sicheren Hoffnung, das Königreich des Kyros zu vernichten, schickte er wiederum nach Delphi und beschenkte die Delphier, deren Zahl er erkundet hatte, Mann für Mann mit zwei Goldstücken. Die Delphier ihrerseits schenkten dem Kroisos und den Lydern als Gegengabe das Recht, das Orakel außer der Reihe zu befragen, Steuerfreiheit und Ehrenplätze im Theater und auch jedem von ihnen, der es wolle, das Bürgerrecht in Delphi für ewige Zeiten.

Und nach seiner Schenkung an die Delphier befragte Kroisos das Orakel zum dritten Mal, denn nachdem er die Wahrheit des Orakels verkostet hatte, konnte er nicht genug davon bekommen. Und seine Frage lautete diesmal »ob seine Herrschaft lange dauern werde?« Und die Pythia weissagte ihm also:

»Doch wenn über die Meder als König gebietet ein Maultier,
Dann, weichfüßiger Lyder, entfliehe zum kiesigen Hermos,
Halte nicht stand, und scheue dich nicht als Feiger zu gelten.«

Als diese Worte einliefen, freute sich Kroisos weitaus am allermeisten, in der Hoffnung, es werde unmöglich ein Maultier an Stelle eines Mannes König der Meder sein, also werde weder er selbst noch seine Nachkommen jemals der Herrschaft verlustig gehen. Alsdann trug er Sorge, nachzuforschen, welches die Mächtigsten der Hellenen seien, die er zu Freunden gewinnen könne, und dabei fand er, daß die Lakedaimonier und die Athener den Vorrang hatten, die einen im dorischen, die andern im jonischen Stamm. Um jene Zeit aber waren die Lakedaimonier im Kriege bei weitem überlegen, und bereits war ihnen auch der größte Teil des Peloponneses unterworfen. Nachdem Kroisos das alles in Erfahrung gebracht hatte, schickte er Boten mit Geschenken nach Sparta, die um die Bundesgenossenschaft der Spartaner werben sollten, und trug ihnen auf, was sie sagen sollten. Die gingen nun hin und sprachen: »Kroisos, der König der Lyder und anderer Völker, der uns geschickt hat, spricht also: ›Ihr Lakedaimonier, dieweil der Gott mir durch sein Orakel geraten hat, ich soll mir den Griechen zum Freunde gewinnen, ihr aber, wie ich vernehme, in Griechenland voransteht, so rufe ich euch gemäß dem Orakel auf, denn ich bin gewillt, euer Freund und Bundesgenosse zu werden ohne Falschheit und Hinterlist‹.« Also lautete die Botschaft der Herolde des Kroisos, die Lakedaimonier aber, die auch schon von dem Götterspruch, der dem Kroisos geworden, gehört hatten, freuten sich über die Ankunft der Lyder und schlossen unter Treuschwüren Freundschaft und Bündnis mit ihnen.

Aber Kroisos hatte den Sinn des Orakels verfehlt und wollte einen Kriegszug nach Kappadokien unternehmen in der Hoffnung, den Kyros und die Macht der Perser zu stürzen. Während er nun mit den Vorbereitungen für den Feldzug gegen die Perser beschäftigt war, gab ein Lyder, namens Sandanis, der auch vorher schon für einen klugen Mann galt, seit diesem Ratschlag aber vollends einen Namen in Lydien hatte, dem Kroisos folgenden Rat: »Mein König, du bereitest dich, gegen Männer zu ziehen, die lederne Hosen tragen, und auch ihr übriger Anzug ist ganz von Leder, und essen nicht, soviel sie wollen, sondern nur, soviel sie haben, denn das Land, das sie bewohnen, ist rauh. Zudem trinken sie auch keinen Wein, sondern sind Wassertrinker und haben nicht einmal Feigen zum Naschwerk noch sonst irgend etwas Gutes. Und wenn du nun siegst, was willst du ihnen, die ja rein nichts haben, nehmen? Zum andern aber, im Falle der Niederlage, bedenke, was du alles verlieren wirst. Denn haben sie erst das Gute bei uns gekostet, so werden sie gar sehr darauf aus sein und sich nicht mehr wegdrängen lassen. Ich für meinen Teil bin den Göttern dankbar, daß sie den Persern nicht in den Sinn legen, gegen die Lyder zu Felde zu ziehen.« Also sprach Sandanis, doch den Kroisos überzeugte er nicht, vielmehr zog dieser gegen das kappadokische Land, das jenseits des Halysflusses lag und zum Perserreiche gehörte. Als er nun mit seinem Heere den Fluß überschritt und an den Ort kam, der Pteria heißt und die stärkste Feste in Kappadokien ist, da lagerte er sich mit dem Heere und verheerte die Felder der Syrier. Die Stadt Pteria nahm er ein und verkaufte die Bewohner als Sklaven und ebenso machte er es mit den umliegenden Städten, wie er auch die Syrer, die doch unschuldig waren, von Haus und Hof vertrieb.

Kyros aber sammelte sein Heer und zog alle Völker, die das Gebiet bis zur Grenze bewohnten, an sich, um dem Kroisos entgegenzutreten. Bevor er aber mit dem Heere aufbrach, schickte er Herolde zu den Ioniern und versuchte, sie zum Abfall von Kroisos zu bringen; doch die Ionier blieben fest. Als nun Kyros in der Gegend von Pteria angekommen war und sich Kroisos gegenüber gelagert hatte, da versuchten beide daselbst ihre Stärke aneinander gewaltiglich, und war eine harte Schlacht, in der viele auf jeder Seite fielen, bis schließlich die Nacht hereinbrach und die Kämpfenden trennte, ohne daß ein Teil gesiegt hätte. So also verlief der Kampf der beiden Heere.

siehe Bildunterschrift

Kroisos auf dem Scheiterhaufen:
Vasenbild nach Furtwängler-Reichhold

Kroisos aber war mit der Stärke seines Heeres sehr unzufrieden, – und in der Tat war sein Schlachtheer viel kleiner gewesen als das des Kyros – damit also unzufrieden, zog er, als auch Kyros am folgenden Tage keinen neuen Angriff versuchte, nach Sardes ab. Seine Absicht war, die Ägypter dem Eide gemäß herbeizurufen (denn auch mit Amasis, dem König von Ägypten, hatte er noch früher als mit den Lakedaimoniern ein Bündnis geschlossen), dann auch nach den Babyloniern zu senden (denn auch mit diesen bestand ein Bündnis, ihr Herrscher war um jene Zeit Labynetos), ebenso auch den Lakedaimoniern zu entbieten, sie sollten zur ausgemachten Frist sich einstellen. Wenn er dann alle diese vereinigt hätte und sein eigenes Heer versammelt wäre, so gedachte er, den Winter vorbeigehen zu lassen, und mit dem Frühjahr gegen die Perser zu ziehen. Dies also war seine Meinung. So schickte er denn nach seiner Ankunft in Sardes Herolde an die Bundesgenossen ab mit der Ansage, sie sollten auf den fünften Monat sich in Sardes versammeln. Vom Heere aber, das bei ihm war und sich mit den Persern geschlagen hatte, ließ er alle Söldner auseinandergehen; denn daß Kyros nach so unentschiedenem Kampfe wirklich noch gegen Sardes marschieren könne, der Gedanke kam ihm nicht.

Kyros dagegen, der gleich beim Abzug des Kroisos nach der Schlacht bei Pteria in Erfahrung gebracht hatte, daß dieser vorhabe, sein Heer aufzulösen, fand bei weiterer Überlegung, es sei das richtige für ihn, so schnell er könne, gen Sardes zu marschieren, noch ehe die Macht der Lyder sich zum zweitenmale gesammelt habe. Und wie es ihm richtig schien, so machte er's auch schleunig: er führte sein Heer nach Lydien und war so selbst als Bote zu Kroisos gekommen, der nun freilich, da die Dinge so wider Erwarten und Voraussicht liefen, nicht mehr aus und ein wußte. Trotzdem aber führte er die Lyder in die Schlacht, und war zu dieser Zeit kein Volk in Asien mannhafter und tapferer als das lydische; sie pflegten zu Pferde zu kämpfen, trugen lange Lanzen und waren von Haus aus vortreffliche Reiter.

Die beiden Heere trafen in der Ebene zusammen, die groß und kahl vor der Stadt Sardes liegt. Da nun Kyros die Lyder in Schlachtordnung erblickte, da tat er aus Besorgnis vor ihrer Reiterei auf Anraten des Meders Harpagos folgendes: alle Kamele, die seinem Heere mit Proviant und anderen Dingen beladen folgten, nahm er zusammen, ließ ihnen die Lasten abnehmen und Männer in Reiterkleidung aufsitzen; nachdem diese alle gerüstet waren, mußten sie vor dem anderen Heere der Reiterei des Kroisos entgegenrücken; hinter den Kamelen sollte dann das Fußvolk kommen, und erst hinter diesem stellte er die gesamte Reiterei auf. Als alle aufgestellt waren, ermahnte er sie, ohne Schonung jeden Lyder, der ihnen in den Weg komme, zu töten, den Kroisos aber dürften sie nicht töten, selbst wenn er sich gegen seine Gefangennahme zur Wehr setze. Das schärfte er ihnen ein. Die Kamele aber stellte er aus dem Grunde der Reiterei gegenüber, weil das Pferd vor dem Kamele scheut und es weder aushält, seine Gestalt zu sehen, noch seinen Geruch zu wittern. Gerade darum also war dies ein kluger Kniff, damit dem Kroisos seine Reiterei nichts nütze, auf die der Lyder doch so besonders stolze Hoffnungen gesetzt hatte. Und wirklich, als die Heere zur Schlacht gegen einander rückten, hatten die Pferde nicht so bald die Kamele gewittert und zu Gesicht bekommen, als sie kehrt machten, und so war dem Kroisos die Hoffnung vernichtet. Gleichwohl hielten sich die Lyder auch dann nicht feige, sondern sobald sie erkannten, was vorging, sprangen sie von den Pferden und kämpften zu Fuß mit den Persern weiter. Erst nach großen Verlusten auf beiden Seiten wandten sich die Lyder zur Flucht, wurden schließlich in die Feste zurückgedrängt und dort von den Persern belagert.

So sahen sie sich denn eingeschlossen. Kroisos aber vermeinte, die Belagerung werde sich lange hinziehen, und schickte aus der Feste heraus neue Boten an seine Verbündeten. Denn die zuerst ausgesandten sollten die Bundesgenossen auffordern, sich über fünf Monate in Sardes zu versammeln; jetzt schickte er sie aus mit der Bitte um schleunige Hilfe, da er belagert sei. Solche Botschaft sandte er wie zu den anderen Verbündeten, natürlich auch nach Sparta, aber der Herold aus Sardes traf dort mit seiner Bitte um Hilfe ein, während die Spartaner gerade in einen Krieg mit Argos verwickelt waren. Trotzdem waren sie, als der Bote kam, zur Hilfssendung entschlossen. Und schon waren sie mit ihren Rüstungen fertig und Schiffe lagen bereit, da kam eine zweite Botschaft, daß die Feste der Lyder erobert sei und Kroisos in Gefangenschaft schmachte. Damit war ihren Rüstungen zu ihrem großen Leidwesen ein Ende gesetzt.

Sardes aber wurde folgendermaßen erobert: nachdem sich die Belagerung schon 14 Tage hingezogen hatte, ließ Kyros seinem Heere durch Reiter, die er herumschickte, verkündigen, er werde dem, der zuerst die Mauer ersteige, Geschenke geben. Darauf versuchten es die Krieger, aber ohne Erfolg, so daß die andern das Wagnis aufgaben; aber ein Marder vgl. zu S. 88., namens Hyroiades, versuchte den Anstieg auf der Seite der Burg, wo kein Wächter aufgestellt war; denn man hegte keinerlei Befürchtung, daß die Burg jemals an dieser Seite erobert werden könne, so schroff und unangreifbar fällt sie dort ab. Nun hatte jener Hyroiades tags zuvor gesehen, wie ein Lyder an dieser Stelle der Burg herabstieg, um seinen Helm, der ihm heruntergerollt war, wieder zu holen; das hatte er wohl bemerkt und sich eingeprägt. Jetzt war er denn selbst dort hinaufgestiegen, und ihm nach versuchten es auch andere von den Persern. Und als so der Anstieg einer ganzen Menge gelungen war, war Sardes genommen, und die ganze Stadt wurde verheert.

Kroisos selbst aber erging es also: er hatte einen Sohn, dessen ich schon früher Erwähnung tat, der sonst ohne Fehl war, aber stumm. In den früheren Zeiten des Glückes hatte Kroisos sonst alles Erdenkliche mit ihm getan und hatte auch Leute nach Delphi gesandt, um das Orakel seinetwegen zu befragen. Und die Pythia hatte ihm folgenden Spruch getan:

»Lyder, du König von vielen, und doch so törichter Kroisos,
Wünsche dir nicht, die Stimme des Sohnes, nach der du dich sehnest,
In dem Palaste zu hören! Es ist dir besser, du hörst sie
Nimmer, denn erstmals spricht er am Tage entsetzlichen Unheils.«

Bei der Einnahme der Feste nun kam ein Perser, der den Kroisos nicht erkannte, auf ihn zu und wollte ihn töten, und der König war infolge seines großen Unglücks so stumpf geworden, daß er, wiewohl er jenen auf sich losgehen sah, gleichgültig sich hätte von ihm erschlagen lassen; aber als sein Sohn, eben der Stumme, den Perser auf ihn eindringen sah, da wurde ihm vor Angst und Not die Stimme gelöst, daß er in den Ruf ausbrach: »Mensch, töte den Kroisos nicht!« Das war der erste Laut, den er von sich gab, von da an aber behielt er die Sprache die ganze Zeit seines Lebens.

So hatten also die Perser Sardes in ihre Gewalt bekommen, und Kroisos selbst war ihr Gefangener. Nach einer Herrschaft von vierzehn Jahren und einer Belagerung von ebensoviel Tagen hatte er nach dem Orakel seine eigene große Macht vernichtet. Nun führten ihn die Perser vor Kyros. Der aber ließ einen großen Scheiterhaufen errichten und den Kroisos in Fesseln darauf bringen und zweimal sieben Lyderknaben neben ihn, vielleicht in der Absicht, diese einem unbekannten Gotte als Erstlinge von der Beute darzubringen oder auch um ein Gelübde zu erfüllen; vielleicht hatte er auch von Kroisos gottesfürchtigem Wesen gehört und ihn darum auf den Scheiterhaufen gesetzt, weil er wissen wollte, ob einer der Götter ihn vor dem Schicksal, lebendig verbrannt zu werden, bewahren werde. Also tat Kyros. Dem Kroisos aber sei, als er oben stand, trotz seines großen Unglücks, in den Sinn gekommen, es möchte doch wohl ein Gott dem Solon jenen Ausspruch eingegeben haben, daß keiner der Lebenden glücklich sei. Und in solchen Gedanken habe er nach langem Schweigen aus tiefer Brust gestöhnt und bis zu dreien Malen den Namen »Solon« gerufen. Und Kyros, der es gehört, habe durch die Dolmetscher den Kroisos fragen lassen, wen er damit anrufe, worauf die mit dieser Frage zu ihm hingetreten seien. Kroisos aber habe auf ihre Frage zunächst eine Weile geschwiegen, hernach aber, als man ihn drängte, gesagt: »einen Mann, mit dem ins Gespräch zu kommen mir für alle Herrscher wertvoller deuchte, denn große Schätze.« Da sie aber nicht verstanden, was er meinte, fragten sie abermals nach dem Sinn seiner Worte, und drangen in ihn und setzten ihm zu, bis er endlich berichtete, wie vordem Solon aus Athen zu ihm gekommen sei, seinen ganzen Reichtum angeschaut und mit jenen Äußerungen gering geachtet habe, wie ihm ferner alles ganz so abgelaufen sei, wie Solon gesagt, dessen ganze Rede ebenso sehr auf ihn selber gehe, wie auf die ganze Menschheit, und am meisten auf die, so sich selbst für glücklich hielten. Und während Kroisos dies berichtete, war der Scheiterhaufen bereits angesteckt und brannte an den äußersten Enden. Da hörte Kyros von den Dolmetschern die Erzählung des Kroisos und wurde anderen Sinnes in der Erwägung, daß er, selber ein Mensch, einen anderen Menschen, der an Glück ihm nicht nachgestanden, lebend den Flammen übergebe. Dazu wurde ihm vor der Vergeltung bange, und er dachte daran, daß nichts auf Erden fest stehe, und so befahl er, das brennende Feuer in aller Eile zu löschen und den Kroisos und seine Begleiter herabzuholen. Aber die Diener, die dies versuchten, wurden des Feuers nicht mehr Meister. Da habe Kroisos, so erzählen die Lyder, die Sinnesänderung des Kyros bemerkt, und als er sah, wie sie alle das Feuer zu löschen suchten, aber sein nicht mehr Herr wurden, mit lauter Stimme den Apollo angerufen: wenn er ihn je durch Geschenke erfreut hätte, so möge er ihm jetzt beistehen und aus dieser Not erretten. Und wie er so unter Tränen den Gott angerufen habe, da hätten aus heiterem Himmel und unbewegter Luft sich plötzlich Wolken zusammengeballt, ein Unwetter sei losgebrochen und ein so heftiger Regen niedergegangen, daß der Scheiterhaufen ausgelöscht wurde. Daran habe denn Kyros erkannt, daß Kroisos ein guter Mann und ein Liebling der Götter sei, habe ihn vom Scheiterhaufen herabsteigen lassen und ihm die Frage vorgelegt: »Kroisos, welcher Mensch hat dich dazu beredet, gegen mein Land zu Felde zu ziehen und lieber mein Feind, denn mein Freund zu werden?« Darauf Kroisos: »O König, das hab' ich getan durch dein gutes und durch mein böses Geschick; Schuld daran aber war der Gott der Griechen: der hat mich zum Feldzug verleitet. So unverständig ist ja niemand, daß er lieber Krieg als Frieden wählte. Denn im Frieden begraben die Söhne ihre Väter, im Krieg aber die Väter ihre Söhne. Aber es mag wohl welchen von den Göttern so gefallen haben, daß dies also gehe.« So sprach Kroisos. Kyros aber löste seine Fesseln, setzte ihn an seine Seite und ließ ihm alle Fürsorge angedeihen; und sein Anblick erfüllte ihn selbst und alle, die um ihn waren, mit Bewunderung. Und Kroisos konnte dem Kyros manchen Rat geben. Als nun dieser zu ihm sagte: »Kroisos, bitte dir eine Gabe aus, die du sogleich bekommen möchtest« erwiderte jener: »O Herr, am liebsten wird es mir sein, wenn du erlaubst, daß ich dem Gott der Griechen, den ich geehrt wie keinen der Götter, diese Fesseln sende und ihn befrage, ob es bei ihm Brauch sei, die, so ihm Gutes erweisen, zu betrügen?« Kyros aber fragte, was er dem Gotte vorzuwerfen habe, daß er auf eine solche Bitte verfalle. Da erzählte ihm Kroisos von all seinen Plänen und den Antworten der Orakel, insbesondere auch von seinen Weihgeschenken, und wie er dann durch den Orakelspruch verleitet den Feldzug gegen die Perser unternommen habe, und endigte seine Erzählung von neuem mit der Bitte, ihm zu erlauben, daß er dem Gotte diese Vorwürfe mache. Da sagte Kyros lachend: »Ja, mein Kroisos, das sei dir gewährt, wie auch alles andere, was du künftig immer begehren magst.« Als Kroisos das gehört hatte, schickte er einige Lyder nach Delphi mit dem Auftrag, die Fesseln auf die Schwelle des Tempels zu legen und zu fragen, ob sich der Gott nicht schäme, durch seine Orakel den Kroisos zum Feldzug gegen die Perser verleitet zu haben, da er erwarten durfte, des Kyros Macht zu vernichten, – so aber seien die Erstlinge von der Beute beschaffen, die ihm zugefallen, und dabei sollten sie die Fesseln zeigen. Und sie sollten ferner noch fragen, ob bei den griechischen Göttern Undank Brauch sei?

Als nun die Lyder nach Delphi kamen und ihren Auftrag ausrichteten, habe, so erzählt man, die Pythia also gesprochen: »Dem bestimmten Verhängnis zu entgehen ist unmöglich, selbst für einen Gott. An Kroisos aber hat sich im fünften Geschlecht die Sünde seines Vorfahren erfüllt, der, ein Kriegsknecht der Herakliden, der Tücke eines Weibes nachgebend, seinen Herrn ermordet und dessen Stellung eingenommen hat, die ihm nicht zukam Gemeint ist Gyges, vgl. S. 97.. Wiewohl nun Apollo bemüht war, daß das Unglück von Sardes erst zur Zeit der Söhne des Kroisos und nicht an Kroisos selber sich erfülle, so war er doch nicht imstande, die Schicksalsschwestern abzulenken. Soviel jedoch diese nachgaben, soviel hat er zugunsten des Kroisos fertig gebracht: um drei Jahre nämlich hat er die Eroberung von Sardes hinausgeschoben. So wisse denn Kroisos, daß er drei Jahre später gestürzt ward, als eigentlich vom Schicksal bestimmt war. Und dann ist er ihm auch, als er verbrannt werden sollte, zu Hilfe gekommen. Was aber den Orakelspruch anlangt, so erhebt Kroisos seinen Vorwurf mit Unrecht, denn der Gott sagte ihm vorher, wenn er gegen die Perser ziehe, so werde er ein großes Reich zerstören. Dem gegenüber hätte Kroisos, wenn er gut beraten sein wollte, nochmals schicken und fragen sollen, ob der Gott sein eigenes Reich oder das des Kyros meine. Nun er aber den Spruch nicht erfaßt noch auch wiederum angefragt hat, mag er sich selbst für schuldig erklären. Und so hat er auch das, was ihm Apollo auf seine letzte Anfrage geantwortet hat, das mit dem Maultier, ebensowenig verstanden. Kyros war ja dieses Maultier, der von zwei Eltern ungleichen Stammes entsproßt war, von einer edleren Mutter und einem geringeren Vater, denn sie war eine Mederin, die Tochter des Mederkönigs Astyages, er aber wohnte als ein Perser und Untertan der Meder der eigenen Herrin bei und stand doch in allen Stücken unter ihr.« Das war die Antwort der Pythia an die Lyder, die von diesen nach Sardes gebracht und dem Kroisos ausgerichtet wurde. Und da er sie vernommen, sah er ein, daß die Schuld bei ihm und nicht bei dem Gott liege. –

 

6. Der Meisterdieb

Der Ägypterkönig Rhampsinit besaß, wie man erzählt, solchen Reichtum an Geld, daß keiner der später lebenden Könige ihn überbieten oder auch nur ihm nahe kommen konnte. Um nun seine Schätze in Sicherheit aufbewahren zu können, ließ er sich ein steinernes Gemach erbauen, das nur mit einer Wand an der Außenseite des Palastes lag. Der Baumeister aber hatte mit arger List folgende Vorrichtung ausgedacht: einen Stein in der Wand richtete er so ein, daß zwei Männer oder auch einer ihn mit Leichtigkeit herausnehmen konnten. Als nun die Kammer fertig war, verwahrte der König seine Schätze darin. Nach Verlauf einiger Zeit berief der Baumeister, der sein Ende nahen fühlte, seine beiden Söhne zu sich und erzählte ihnen, wie er für sie gesorgt habe, daß sie reichlich zu leben hätten, und welchen Kunstgriff er beim Bau des königlichen Schatzhauses angebracht hätte. Er beschrieb ihnen alles genau, wie der Stein herauszunehmen sei, unter Angabe der nötigen Maße; wenn sie dies alles beachteten, so fügte er noch bei, würden sie Verwalter des königlichen Schatzes sein. Damit endigte er sein Leben; die Söhne aber machten sich ungesäumt ans Werk, gingen in der Nacht zum Königsschlosse hin, machten den Stein an der Wand ausfindig, der sich auch leicht herausheben ließ, und holten sich eine Menge Schätze heraus.

Als aber der König eines Tages die Schatzkammer öffnete, sah er mit Staunen, daß die Behälter der Schätze nicht ganz voll waren; da aber die Siegel am Eingang unversehrt und die Schatzkammer wohlverschlossen war, wußte er nicht, wem er die Schuld geben sollte. Als er aber bei einer zweiten und dritten Öffnung sah, wie die Schätze immer weniger wurden (denn die Diebe setzten ihre Beutezüge unentwegt fort), da machte er's also: er ließ Schlingen anfertigen und sie rings um die Behälter, in denen die Schätze waren, anbringen. Nun kamen die Diebe gerade wie vorher, der eine schlüpfte ins Gemach hinein, kaum aber war er auf den Behälter zugegangen, so sah er sich sogleich von der Schlinge gefangen. Als er nun seine üble Lage erkannte, rief er sofort seinen Bruder, klärte ihn über alles auf und sagte, er solle eiligst hereinschlüpfen und ihm den Kopf abschneiden, damit er nicht, wenn man ihn sehe und erkenne, auch noch den Bruder mit verderbe. Und diesem leuchtete die Rede ein, daß er tat, was der andere verlangte; dann fügte er den Stein wieder in die Mauer und ging mit dem Kopfe seines Bruders nach Hause.

Wie es nun Tag ward und der König in die Schatzkammer trat, sah er voll Entsetzen den Leichnam des Diebes ohne Kopf in den Schlingen stecken, und doch war das Gemach unbeschädigt und zeigte weder einen Eingang noch einen Ausschlupf. Und da er sich die Sache nicht erklären konnte, tat er folgendes: er ließ den Leichnam des Diebes an der Mauer aufhängen, stellte Wächter daneben mit dem Befehl, wenn sie jemanden bei diesem Anblick weinen oder jammern sehen, so sollten sie den festnehmen und vor ihn führen. Da nun der Leichnam so aufgehängt war, ging es der Mutter des Diebes sehr zu Herzen, sie besprach sich mit dem überlebenden Sohn und gebot ihm, er müsse es auf irgendeine Art zuwege bringen, den Leichnam seines Bruders herunter zu kriegen und heimzuschaffen; wenn er das nicht tue, werde sie, so drohte sie, selber zum König gehen und ihn anzeigen, daß er die Schätze habe. Als aber die Mutter den überlebenden Sohn so hart anließ, und für all seine Gegenreden taub blieb, ersann dieser folgende List: er säumte Esel auf, belud sie mit Schläuchen voll Wein und trieb sie dann vor sich her. Wie er nun an die Stelle kam, wo die Wächter vor dem aufgehängten Toten standen, zog er an den herabhängenden Zipfeln von zwei oder drei Schläuchen herum, bis sie aufgingen und der Wein davonströmte. Da erhob er ein gewaltiges Geschrei und schlug sich vor den Kopf, als wisse er nicht, zu welchem von den Eseln er sich zuerst wenden sollte. Die Wächter aber hatten kaum den vielen Wein, der da auslief, gesehen, als sie schon mit Töpfen in der Hand auf die Straße rannten, um den verschütteten Wein aufzufangen und als gute Beute heimzubringen; jener aber schimpfte auf sie ein und tat sehr zornig. Als ihn dann die Wächter zu begütigen suchten, stellte er sich, als ob er ruhiger werde und sein Zorn verrauche, und zuletzt trieb er seine Esel aus dem Wege und schirrte sie wieder zurecht. Da gab denn nun ein Wort das andere, und wie nun einige mit ihm scherzten und ihn zum Lachen brachten, schenkte er ihnen noch einen Schlauch dazu, worauf die Wächter sich ohne weiteres an Ort und Stelle lagerten, um zu zechen, und wollten auch ihn mit dabei haben und sagten, er solle dableiben und mit ihnen trinken; da willigte er denn ein und blieb. Und wie sie ihm beim Umtrunk so freundlich begegneten, gab er ihnen noch einen zweiten Schlauch dazu. Die Wächter ließen sich's brav schmecken, so daß sie, über und über betrunken, schließlich an der Stelle, wo sie gezecht hatten, vom Schlafe übermannt sich hinstreckten. Der Dieb aber konnte nun – es war schon tief in der Nacht – den Leichnam seines Bruders herabnehmen und schor zum Schimpf noch allen Wächtern den rechten Backenbart ab; dann lud er den Leichnam auf die Esel und trieb diese nach Hause. So hatte er erfüllt, was ihm die Mutter geboten.

Als aber dem König gemeldet wurde, der Leichnam des Diebes sei gestohlen, da gebärdete er sich gar zornig, und da er um jeden Preis herausbringen wollte, wer eigentlich hinter all diesen Listen stecke, tat er folgendes, was ich freilich nicht glauben kann: er ließ seine Tochter wie eine Dirne in einer Bude Platz nehmen und gab ihr auf, jeden Besucher ohne Unterschied anzunehmen; doch ehe sie miteinander verkehrten, müsse ihr ein jeder den klügsten und zugleich ruchlosesten Streich seines Lebens erzählen; wenn dann einer die Geschichte von dem Diebe erzähle, den solle sie festhalten und nicht hinauslassen. Als nun die Tochter nach dem Gebot des Vaters tat, merkte der Dieb wohl, worauf das hinauslaufe. Da nahm er sich vor, den König an Verschlagenheit noch zu übertreffen und tat also: er schnitt von einer frischen Leiche den Arm an der Schulter ab und nahm ihn unter dem Mantel mit. So kam er zur Königstochter hinein, und als sie ihm die gleiche Frage vorlegte wie den anderen, erzählte er ihr als seine ruchloseste Tat, daß er seinem Bruder, der im Schatzhaus des Königs sich in einer Schlinge gefangen, den Kopf abgeschlagen habe, als seine schlaueste, daß er die Wächter trunken gemacht und den aufgehängten Leichnam des Bruders herunter genommen habe. Als sie das hörte, griff sie nach ihm, der Dieb aber streckte ihr im Dunkeln den Arm des Toten hin, den sie erfaßte und festhielt, in der Meinung, seinen Arm festzuhalten. Doch er ließ den Arm fahren und entwischte schnell zur Tür hinaus.

Wie nun vollends dieser Streich dem König hinterbracht wurde, da entsetzte er sich über die Verschlagenheit und Kühnheit des Menschen; zuletzt aber ließ er in alle Städte eine Botschaft ausgehen und verkündigen, in der er dem Diebe Straflosigkeit zusicherte und ihm auch große Belohnung verhieß, wenn er vor sein Angesicht komme. Da faßte auch der Dieb Vertrauen und stellte sich ihm, Rhampsinit aber bewunderte ihn höchlich und gab ihm seine Tochter zur Frau, ihm als dem gescheitesten aller Menschen; denn die Ägypter, meinte er, gingen über die anderen Menschen, der aber noch über die Ägypter.

 

7. Pheros

Nach dem Tode des Sesostris, heißt es, sei sein Sohn Pheros König von Ägypten geworden. Der habe sich in keinen Kriegszug eingelassen, aber ihn habe das Unglück getroffen, zu erblinden, und das sei so gekommen: als der Nil damals auf seinen höchsten Stand, nämlich 18 Ellen, gestiegen war und die Felder überflutet hatte, brach ein Sturmwind los, so daß der Fluß hohe Wellen warf. Da habe der König in frevlem Mute eine Lanze genommen und mitten in die Wirbel des Stromes geschleudert – doch kaum getan, sei er an den Augen erkrankt und erblindet.

Zehn Jahre nun sei er blind geblieben, im elften sei ihm eine Weissagung aus der Stadt Buto zugekommen, »die Zeit der Strafe sei abgelaufen, und er könne wieder sehend werden, wenn er sich die Augen mit dem Urin einer Frau wasche, die nur mit ihrem Manne Umgang gehabt und von keinem anderen erkannt worden sei.

Da habe er es erst mit seiner eigenen Frau versucht, danach, als die Sehkraft nicht wiederkam, der Reihe nach mit allen andern. Als er dann schließlich sehend geworden, habe er alle Frauen, mit denen er die Probe gemacht hatte, außer der, durch deren Harn er die Sehkraft wiedererlangt hatte, in einer Stadt zusammengebracht, die noch heute Erythrebolos [d. i. »die rote Scholle«], genannt wird; und als sie alle dort beisammen waren, habe er sie mitsamt der Stadt verbrannt. Die aber, durch deren Harn er sehend ward, nahm er selbst zur Frau.

Und zum Dank für die Befreiung von seinem Augenleiden stellte er in allen namhaften Heiligtümern Weihgeschenke auf; darunter sind besonders zu nennen die sehenswerten Werke im Tempel des Sonnengottes, zwei steinerne Obelisken, jeder aus einem Stück bei einer Länge von hundert und einer Breite von acht Ellen.

 

8. Amasis

Den König Amasis verachteten die Ägypter anfangs und hielten keine großen Stücke auf ihn, denn er war eigentlich ein Mann aus dem Volke gewesen, und zwar aus keinem angesehenen Hause; hernach aber wußte er sie durch schlaues und einsichtiges Wesen zu gewinnen. Unter seinen zahllosen Schätzen hatte er auch ein goldenes Becken, in dem Amasis selbst wie alle seine Gäste immer die Füße wuschen. Dies Becken ließ nun Amasis zerschlagen und ein Götterbild daraus machen, das er am geeignetsten Platze der Stadt aufstellte. Nun gingen die Ägypter zu diesem Bilde und verehrten es höchlich. Als dann der König von diesem Verhalten der Leute erfuhr, rief er die Ägypter zusammen und legte ihnen dar, daß dies Bild aus dem Fußbecken gemacht sei, in das die Ägypter vorher hineingespien und gepißt hätten und hätten ihre Füße darin gewaschen, jetzt dagegen verehrten sie's höchlich. Nunmehr also, fuhr er fort, sei er im gleichen Falle wie das Fußbecken. Denn wenn er auch vorher ein gewöhnlicher Mann gewesen sei, jetzt sei er doch ihr König; und sie sollten ihn ehren und müßten Sorge für ihn tragen. Auf solche Weise gelang es ihm, die Ägypter zu gewinnen, so daß sie es für recht fanden, ihm zu dienen.

Mit seinen Geschäften aber hatte er sich's so eingerichtet: frühmorgens bis zu der Zeit, da der Markt sich füllt, erledigte er eifrig die vorkommenden Geschäfte, von da an aber trank er, verspottete seine Zechgenossen und erging sich in leichtfertigen Scherzen, so daß seine Freunde ein Ärgernis daran nahmen und ihm Vorstellungen machten. »O König,« sagten sie, »du hast dich schlecht in der Gewalt und läßt dich allzu niedrig sinken. Ernst müßtest du auf ernstem Throne sitzen und den ganzen Tag deinen Geschäften widmen, dann wüßten die Ägypter, daß sie von einem bedeutenden Manne beherrscht werden, und dein Ruf wäre besser. So aber ist dein Benehmen ganz und gar nicht königlich.« Hierauf erwiderte Amasis ihnen also: »Wer einen Bogen besitzt, spannt diesen, wenn er ihn gebrauchen muß; doch nach dem Gebrauch spannt er ihn ab. Denn bliebe er die ganze Zeit hindurch gespannt, so würde er zerspringen, so daß man ihn, wenn's Not tut, nicht mehr gebrauchen könnte. So ist eben auch der Mensch beschaffen. Wollte er immerzu ernsthaft arbeiten und sich nicht auch teilweise wieder in Scherzen ausspannen, so würde er unvermerkt entweder ein Narr oder ein Stumpfsinniger werden. Dessen bin ich mir bewußt, und so gebe ich jedem sein Teil.« Das war die Antwort, die er seinen Freunden gab.

Es heißt auch von Amasis, er sei, als er noch ein gemeiner Mann war, ein rechter Zechbruder und Spottvogel gewesen, der sich ganz und gar nicht um ernsthafte Dinge kümmerte. Und wenn ihm dann jeweils über dem Trinken und Wohlleben die Mittel ausgingen, so ging er wohl auch umher und verlegte sich aufs Stehlen. Wenn dann die Bestohlenen behaupteten, er habe ihre Sachen, während er jedoch leugnete, so führten sie ihn vor das nächste beste Orakel, das ihnen gerade paßte. Natürlich wurde er in vielen Fällen von dem Orakel überführt, in vielen aber kam er auch durch. Nachdem er nun König geworden, machte er's also: alle Götter, die ihn freigesprochen hatten, daß er kein Dieb sei, um deren Heiligtümer kümmerte er sich nicht und schenkte nichts zu ihrer Ausstattung, ging auch nicht hin, um zu opfern, denn die seien nichts wert und ihre Orakel seien trügerisch. Alle aber, die ihn als Dieb gefaßt hatten, für die hatte er ganz besondere Fürsorge, weil sie in Wahrheit Götter wären und untrügliche Orakel gewährten.

 

9. Kambyses und Psammenit

Der Perserkönig Kambyses hatte einst Psammenit, den König von Ägypten, besiegt und seine Hauptstadt Memphis erobert. Am zehnten Tage nach der Eroberung wollte er dem Besiegten eine rechte Schmach antun, da mußte dieser mit anderen Ägyptern in der Vorstadt niedersitzen, wo dann Kambyses seine Seelenstärke folgendermaßen auf die Probe stellte: er schickte die Tochter des Königs in Sklavenkleidung mit einem Eimer zum Wasserholen hinaus und mit ihr noch andere auserlesene Jungfrauen, Töchter der ersten Männer, in gleicher Tracht wie die Königstochter. Als nun die Jungfrauen unter lautem Jammern und Weinen an ihren Vätern vorbeigingen, da schrien alle laut auf und weinten auch, da sie sahen, wie übel man ihre Kinder behandelte, Psammenit aber blickte hin, sah es wohl und senkte sein Antlitz zur Erde. Als nun die Wasserträgerinnen vorübergegangen waren, schickte Kambyses zum andern den Sohn des Psammenit hinaus mit zweitausend Ägyptern gleichen Alters, und hatten alle einen Strick um den Hals und einen Zaum im Munde. So sah nun Psammenit die Knaben vorübergehen, merkte auch, daß man seinen Sohn zum Tode führe; während aber die andern Ägypter, die dabeisaßen, weinten und außer sich waren, machte er's wieder ebenso wie bei seiner Tochter. Als dann auch diese vorüber waren, traf es sich, daß ein älterer Mann aus der Zahl seiner Trinkgenossen, der um seine ganze Habe gekommen war und nun als ein Bettler die Soldaten um Almosen anging, an Psammenit, dem Sohne des Amasis, und den Ägyptern, die dort in der Vorstadt saßen, vorbeikam. Wie Psammenit den sah, da weinte er laut auf, rief den Freund beim Namen und schlug sein Haupt.

Nun aber waren etliche unter den Wächtern, die alles, was er jedesmal tat, dem Kambyses anzeigten. Der wunderte sich über dies Benehmen, schickte einen Boten und ließ also fragen: »Mein Herr Kambyses fragt dich, o Psammenit, warum du beim Anblick deiner Tochter in so traurigem Aufzug und deines Sohnes auf seinem Todeswege weder geschrien noch geweint hast, den Bettler dagegen, der doch, wie er hört, kein Angehöriger von dir ist, solcher Teilnahme gewürdigt hast?« So ließ Kambyses fragen; die Antwort aber lautete: »O Sohn des Kyros, mein häusliches Unglück war zu groß zum Weinen, das Leiden des Freundes aber, der an der Schwelle des Alters aus großem Wohlstand heraus an den Bettelstab gekommen ist, das war der Tränen würdig.«

Und da diese Antwort dem Kambyses hinterbracht wurde, dünkte es ihm und allen, die bei ihm waren, wohlgesprochen, und dem Kroisos seien, wie die Ägypter erzählen, die Tränen gekommen (denn auch dieser war dem Kambyses nach Ägypten gefolgt), und ebenso auch den anwesenden Persern; selbst den Kambyses wandelte eine Regung des Mitleids an, und er gab sogleich Befehl, den Sohn aus der Zahl der zum Tode Bestimmten zu retten und den Psammenit selbst aus der Vorstadt zu ihm zu holen. Den Sohn freilich fanden die Boten nicht mehr am Leben, vielmehr war er zuerst hingerichtet worden; den Psammenit aber hießen sie aufstehen und führten ihn vor Kambyses. Dort verbrachte er fortan sein Leben, ohne ein weiteres Leid zu erfahren.

 

10. Kambyses und seine Schwester

Dem Kambyses war auch seine Schwester nach Ägypten gefolgt, mit der er zusammenlebte, wiewohl sie seine rechte Schwester von beiden Eltern war. Nun war es zwar vor jener Zeit bei den Persern keineswegs bräuchlich, mit den eigenen Schwestern zusammenzuleben, aber Kambyses hatte sich in jene Schwester dermaßen verliebt, daß ihn die Lust anwandelte, sie zu heiraten. Weil aber sein Vorhaben wider den Brauch war, verfuhr er also: er berief die königlichen Richter und legte ihnen die Frage vor: gibt es ein Gesetz, daß jeder beliebige mit seiner Schwester zusammenleben darf? (Die königlichen Richter sind persische Männer, die zu dem Amte auserlesen bleiben bis an ihren Tod, oder bis eine Ungerechtigkeit an ihnen erfunden wird. Diese sprechen den Persern Recht, sind Ausleger der väterlichen Gesetze und sind für alles zuständig.) Auf die Frage des Kambyses nun gaben sie eine gerechte und doch unverfängliche Antwort, indem sie erklärten, sie fänden kein Gesetz, das es gutheiße, wenn ein Bruder mit seiner Schwester zusammenlebe; sie hätten jedoch ein anderes Gesetz gefunden, wonach dem König der Perser freistehe zu tun, was er wolle. So hoben sie aus Furcht vor Kambyses das Gesetz nicht auf, sondern um nicht selbst über der Wahrung des Gesetzes umzukommen, machten sie ein anderes Gesetz ausfindig, das ihm zur Seite stand, wenn er eine seiner Schwestern heiraten wollte. Es heiratete also damals Kambyses die Geliebte; aber schon nach kurzer Zeit nahm er eine andere Schwester zur Frau. Die jüngere war's, die ihm nach Ägypten gefolgt war und dort getötet wurde.

Über ihren Tod aber geht eine doppelte Sage. Die Griechen erzählen, Kambyses habe einmal ein Löwenjunges mit einem jungen Hunde kämpfen lassen, wobei auch diese Frau zugeschaut habe. Wie nun das Hündchen zu unterliegen drohte, habe dessen Bruder, auch ein junger Hund, sich losgerissen und sei ihm beigesprungen, und es seien dann die Hunde, da sie zu zweit waren, über den jungen Löwen Meister geworden. Und Kambyses habe mit Vergnügen zugeschaut, während die Schwester an seiner Seite weinte. Das war dem Kambyses nicht entgangen, und als er sie fragte, warum sie weine, habe sie geantwortet: beim Anblicke des Hundes, der seinem Bruder geholfen, seien ihr die Tränen gekommen, denn sie habe an Smerdis Bruder des Kambyses, den dieser hatte töten lassen. denken und sich sagen müssen, daß für den kein Helfer aufstehen werde. Um dieses Wortes willen, sagen die Griechen, habe Kambyses sie umgebracht. Die Ägypter aber berichten, die Frau habe, als man bei Tische saß, einen Lattich genommen, ihn ringsum entblättert und dann ihren Mann gefragt, ob der entblätterte oder der volle Lattich schöner sei, und auf seine Antwort: »Der volle«, habe sie gesagt: »Und doch hast du einst diesen Lattich dir zum Vorbild genommen, als du des Kyros Haus entblättert hast.« Da sei er voll Wut aufgesprungen und habe der Schwangeren einen Tritt gegeben, worauf sie an einer vorzeitigen Geburt verstorben sei.

 

11. Kambyses und Prexaspes

So raste Kambyses gegen seine eigenen Angehörigen, nicht weniger aber auch gegen die übrigen Perser. Zu Prexaspes, der bei ihm in hohen Ehren stand und die Boten vor ihn führte und dessen Sohn sein Mundschenk war, was auch keine kleine Ehre ist, soll er folgendes gesagt haben: »Prexaspes, was bin ich nach der Meinung der Perser für ein Mann, und was für Reden führen sie über mich?« Worauf jener antwortete: »O Herr, in allem übrigen lobt man dich höchlich, nur dem Weine, sagen sie, seiest du zu sehr ergeben.« So sagte jener von den Persern, Kambyses aber entgegnete erzürnt: »Jetzt also behaupten die Perser, ich sei dem Weine ergeben und sei von Sinnen und nicht bei Verstand, dann waren also auch ihre früheren Reden nicht wahr.« Früher hatte nämlich Kambyses in einer Sitzung die anwesenden Perser und den Kroisos gefragt, was für ein Mann gegen seinen Vater gehalten er nach ihrer Meinung sei, und damals antworteten sie, er sei trefflicher als sein Vater, denn er besitze alles, was jener, und habe noch Ägypten und das Meer dazugewonnen. So hatten die Perser gesprochen; Kroisos aber, der dabeisaß und kein Gefallen an dem Urteil hatte, sprach also zu Kambyses: »Mir will es allerdings scheinen, daß du deinem Vater nicht gleich bist; denn noch hast du keinen solchen Sohn, wie jener einen in dir hinterlassen hat.« Das hörte Kambyses mit Freuden und lobte das Urteil des Kroisos. An dies Lob dachte er also jetzt und sprach zornig zu Prexaspes: »Nun merke wohl, ob die Perser die Wahrheit sagen oder ob sie selbst, so sie solches behaupten, von Sinnen sind. Gesetzt nun, ich träfe diesen deinen Sohn, der hier im Vorhof steht, mitten ins Herz, so ist doch offenbar, daß nichts an dem ist, was die Perser sagen; fehle ich ihn aber, so darfst du behaupten, daß die Perser die Wahrheit reden und ich nicht bei Troste sei.« Nach diesen Worten spannte er den Bogen und schoß auf den Knaben, und als der getroffen niederstürzte, gab er Befehl, man solle den Knaben aufschneiden und nach dem Schusse sehen. Und als sich ergab, daß der Pfeil im Herzen stak, sagte er lachend und voll Freude zum Vater des Knaben: »Prexaspes, daß ich nicht rasend bin, wohl aber die Perser von Sinnen sind, das ist traun offenbar geworden. Nun aber sage mir, wen in aller Welt sahst du schon so trefflich schießen?« Worauf Prexaspes, der die Raserei des Mannes sah und für sein Leben fürchtete, antwortete: »Gott selber könnte, wie mich deucht, nicht so gut schießen.«

So machte es Kambyses damals; mir aber ist es vollkommen klar, daß er in hohem Grade wahnsinnig war, denn sonst hätte er es nicht gewagt, mit dem, was heilig und bräuchlich ist, seinen Spott zu treiben. Denn wenn man allen Menschen aufgäbe, aus allen Bräuchen sich die besten auszuwählen, so würden jeweils alle nach vorausgegangener Prüfung wieder ihre eigenen wählen, so sehr ist jeder überzeugt, daß die eigenen Bräuche die besten sind. Darum ist nicht anzunehmen, daß ein anderer als ein Wahnsinniger mit solchen Dingen seinen Spott treibt. Daß aber wirklich alle Menschen es mit ihren Bräuchen so halten, das kann man neben vielen anderen Beweisen besonders auch aus folgender Geschichte abnehmen: Dareios berief einmal während seiner Herrschaft die Griechen, so bei ihm waren, und fragte sie, um welchen Preis sie sich wohl dazu verstünden, ihre toten Väter zu verspeisen? Da erklärten sie, um keinen Preis täten sie das. Da berief Dareios die sogenannten Kallatier, einen indischen Stamm, der seine Eltern zu essen pflegt, und fragte sie, in Anwesenheit der Griechen, denen die Antwort verdolmetscht wurde, um welchen Preis sie sich's wohl gefallen ließen, ihre toten Väter zu verbrennen? Da schrien die laut auf und verwahrten sich vor solcher Sünde.

siehe Bildunterschrift

Orpheus.
Vasenbild nach dem 50ten Winckelmannprogramm 1890, Halle

Parallele zu Arion, Herodot 15, S. 139

So also hält's die Welt mit dem Brauch, und mir scheint der Dichter Pindar recht zu haben, wenn er sagt, der Brauch sei König über alle.

 

12. Die Frau des Intaphernes

Gleich nach der Verschwörung der sieben vornehmen Perser, durch die der falsche Smerdis Ein Magier hatte sich für Smerdis ausgegeben und nach Kambyses' Tode der Herrschaft bemächtigt; er wurde nach kurzer Herrschaft von Dareios und sechs anderen Fürsten der Perser getötet. gestürzt und Dareios auf den Thron erhoben wurde, traf einen der Verschworenen, Intaphernes, das Geschick, daß ihm ein Frevel auf folgende Weise den Tod brachte. Er wollte einst in die Königsburg eintreten, weil er etwas mit dem König zu verhandeln hatte. Nun hatten diejenigen, die zusammen mit Dareios sich gegen den falschen Smerdis erhoben hatten, das Vorrecht, unangemeldet beim König einzutreten, wofern dieser nicht gerade bei einer seiner Frauen war. So hielt es denn Intaphernes nicht für nötig, sich anmelden zu lassen, sondern als einer der Sieben wollte er einfach hineingehen. Allein der Türhüter und der Anmelder ließen es nicht zu und bedeuteten ihm, der König sei eben bei einer seiner Frauen. Intaphernes jedoch vermeinte, sie lögen ihn an, und tat folgendes: er zog seinen Säbel, hieb ihnen Ohren und Nase ab, steckte diese an den Zügel seines Pferdes, schlang ihnen den um den Hals, und schickte sie so weg. Die aber zeigten sich dem König und erzählten ihm den Grund, warum sie solches erlitten hätten. Da bekam Dareios Angst, die Sechs hätten das auf gemeinsame Verabredung getan, ließ also einen nach dem andern vor sich kommen und erforschte ihren Sinn, ob sie mit der Tat einverstanden wären. Da er sich aber überzeugte, daß Intaphernes ohne ihr Einverständnis gehandelt habe, ließ er ihn selbst samt allen seinen Kindern und Verwandten verhaften, in der festen Meinung, daß jener mit seinen Angehörigen einen Anschlag gegen ihn geplant habe, weshalb er sie auch aufgriff und ins Gefängnis warf zur Hinrichtung.

Da ging die Frau des Intaphernes immer hinaus vor das Tor des Königs mit Weinen und Wehklagen; und da sie dies fortwährend tat, bewegte sie das Herz des Dareios zum Mitleid, daß er ihr durch einen Boten sagen ließ: »Frau, der König Dareios vergönnt dir, einen deiner gefangenen Verwandten zu retten, du darfst wählen, welchen von allen du willst.« Darauf ging die mit sich zu Rate und gab folgende Antwort: »Schenkt mir der König nur das Leben eines einzigen, so wähle ich mir den Bruder aus allen heraus.« Da Dareios dies erfuhr, wundert' er sich über diese Antwort und ließ ihr sagen: »O Frau, der König fragt dich, was du dabei dachtest, daß du deinen Mann und deine Kinder fahren ließest und deines Bruders Erhaltung vorzogst, der dir doch fremder ist, als deine Kinder und deinem Herzen weniger lieb als dein Mann?« Darauf erwiderte sie: »Einen andern Mann könnte ich, so Gott will, wieder bekommen, und auch andere Kinder, sollte ich diese verlieren; aber da mein Vater und Mutter nicht mehr am Leben sind, so könnte ich auf keine Weise mehr einen andern Bruder bekommen. Das dacht' ich in meinem Sinn, als ich diese Antwort gab.«

Und dem Dareios deuchten die Worte der Frau wohlgesprochen, er gab ihr den frei, den sie sich ausgebeten, dazu noch den ältesten Sohn, so viel Freude hatte er an ihr. Die andern aber ließ er alle töten.

 

13. Polykrates

Dem Polykrates, des Aiakes Sohn, war es gelungen, sich zum Herrn von ganz Samos zu machen; darauf schloß er mit Amasis, dem Könige von Ägypten, Gastfreundschaft, schickte ihm Geschenke und empfing von ihm Gegengaben. Und in kurzer Zeit hob sich mit einem Schlage die Macht des Polykrates und war in aller Munde durch ganz Ionien und das übrige Griechenland hin, denn wohin er auch seine Heeresmacht richtete, es ging ihm immer alles glücklich vonstatten. Er hatte hundert Fünfzigruderer und tausend Bogenschützen, mit denen raubte und plünderte er allenthalben ohne Unterschied. Denn auch dem Freunde, sagte er, werde er einen größeren Gefallen erweisen, wenn er ihm wiedergebe, was er genommen, als wenn er ihm überhaupt gar nichts genommen habe. So hatte er ein gut Teil der Inseln erobert und auch viele Städte des Festlandes. Dabei nahm er auch die Lesbier, die mit ihrem ganzen Heere den Milesiern helfen wollten, nach einem Seesieg gefangen, und sie mußten ihm als Gefangene den ganzen Graben rings um die Stadtmauer von Samos ausheben.

Das große Glück des Polykrates blieb wohl auch dem Amasis nicht unbekannt, aber es machte ihm Sorge, und als es immer höher und höher stieg, schrieb er folgenden Brief und sandte ihn nach Samos: »So spricht Amasis zu Polykrates. Wohl ist es erfreulich zu erfahren, daß es einem lieben Gastfreunde wohlgehe, mir aber will dein großes Glück nicht gefallen, denn ich weiß, wie neidisch die Gottheit ist. Und es ist mir wohl lieber für mich selbst wie für alle, so mir am Herzen liegen, wenn nur ein Teil der Unternehmungen glückt, ein anderer wieder scheitert und so die Lebenszeit in wechselnden Umständen verläuft, als durchweg im Glücke. Denn noch von keinem hab' ich gehört und weiß ich, der nicht, nachdem er in allem Glück hatte, zuletzt ein ganz und gar schlimmes Ende genommen hätte. Drum folge mir jetzt und tue einmal also gegen dein Glück: denke nach, was du als dein wertvollstes Gut erkennst, dessen Verlust deinem Herzen am wehesten tun wird; das wirf so von dir, daß es nicht mehr unter Menschen kommen kann. Und falls danach dein Glück noch nicht mit Leid wechselt, so suche weiter auf die von mir angeratene Weise Abhilfe zu schaffen.«

Als Polykrates dies gelesen und bedacht hatte, wie gut des Amasis Rat sei, suchte er unter seinen Kleinodien nach, wessen Verlust ihm wohl im Herzen am wehesten tun würde, und da fand er folgendes: er hatte einen goldenen Siegelring mit einem Smaragd, den er immer trug, ein Werk des Theodoros von Samos, des Sohnes des Telekles Vgl. Anm. 7.. Da ihm nun gut dünkte, diesen wegzuwerfen, machte er's also. Er bemannte einen Fünfzigruderer und ging selbst an Bord, dann befahl er in See zu stechen, und als er weit von der Insel weg war, zog er den Siegelring ab und warf ihn vor den Augen aller, die mit auf dem Schiff waren, ins Meer. Danach fuhr er zurück, und als er wieder zu Hause war, fühlte er sich recht unglücklich.

Aber am fünften oder sechsten Tage danach begegnete ihm folgendes. Ein Fischer, der einen großen, schönen Fisch gefangen hatte, wollte dem Herrscher damit ein Geschenk machen. So ging er denn mit dem Fische an die Türe des Palastes und sagte, er wolle den Polykrates sprechen. Da ihm dies gewährt wurde, übergab er ihm den Fisch mit den Worten: »Mein König, den hab ich gefangen und hielt es nicht für recht, ihn auf den Markt zu bringen, wenn ich schon von meiner Hände Arbeit leben muß; nein, ich fand, der sei deiner wert und deiner Herrlichkeit, so bring ich ihn denn dir zum Geschenke.« Worauf Polykrates erfreut über diese Rede antwortete: »Das war recht wohl getan, du verdienst doppelten Dank, für deine Rede wie für deine Gabe, und wir laden dich zum Mahle.« Der Fischer, für den dies etwas Großes war, ging nach Hause; die Diener aber schnitten den Fisch auf und fanden in seinem Bauche den Siegelring des Polykrates. Kaum hatten sie den erblickt, so nahmen sie ihn heraus und brachten ihn voll Freude zu Polykrates, und während sie ihm den Siegelring einhändigten, berichteten sie auch, wie er sich gefunden. Und da er vermutete, daß die Sache sich nicht ohne göttliche Fügung so zugetragen, schrieb er den ganzen Verlauf, was er mit dem Ringe gemacht und wie es ihm damit ergangen war, in einen Brief und sandte diesen nach Ägypten.

Als Amasis das Schreiben des Polykrates gelesen hatte, da erkannte er, es sei unmöglich, daß ein Mensch den andern vor einem bevorstehenden Schicksal bewahre, und es werde mit Polykrates, der in allem Glück habe und sogar das Weggeworfene wiederfinde, kein gutes Ende nehmen. Und schickte einen Herold nach Samos und ließ ihm die Gastfreundschaft aufsagen. Dies tat er aber aus dem Grunde, damit, wenn ein furchtbar und gewaltig Geschick den Polykrates ergreife, es ihm nicht in der Seele weh tun müsse um seinen Gastfreund.

Späterhin aber begab sich folgendes: Der Perser Oroites, den Kyros als Statthalter in Sardes eingesetzt hatte, wurde von einem ruchlosen Verlangen erfaßt; ohne daß ihm Polykrates etwas getan oder auch nur mit einem unbedachten Worte ihn gekränkt hätte, ja ohne daß er ihn überhaupt vorher gesehen hatte, begehrte er, ihn in seine Gewalt zu bekommen und zu verderben.

So schickte also Oroites von Magnesia am Maeander, wo er damals saß, den Lyder Myrsos, des Gyges Sohn, mit einer Botschaft nach Samos. Er kannte aber den Sinn des Polykrates, – dieser ist nämlich unseres Wissens der erste Grieche, dessen Sinn auf Seeherrschaft stand, abgesehen von Minos aus Knossos und wer etwa sonst noch vor diesem Herr übers Meer war, aber in der geschichtlichen Zeit ist Polykrates der erste –, und er wiegte sich in großen Hoffnungen, Herr zu werden über Ionien und die Inseln. Weil nun Oroites von diesen seinen Absichten Kenntnis hatte, schickte er ihm eine Botschaft des Inhalts: »Oroites spricht also zu Polykrates. Ich erfahre, daß du nach großen Dingen trachtest, daß jedoch dein Vermögen nicht mit deinen Gedanken im Einklang steht. Nun aber tue folgendes, so wirst du dich emporbringen und zugleich mich erretten. Der König Kambyses trachtet mir nämlich nach dem Leben, wie man mir ganz sicher meldet. Wenn es dir nun gelingt, mich samt meinen Schätzen herüberzuholen, so sollst du einen Teil davon selber haben, die andern laß mich behalten; dann wirst du dank diesen Schätzen Herr über ganz Hellas werden. Und wenn du mir wegen der Schätze nicht glauben willst, so schicke mir den zuverlässigsten Menschen, den du hast; dem will ich sie zeigen.«

Das vernahm Polykrates mit Freuden und war willens darauf einzugehen, und mochte ihn wohl gar sehr nach den Schätzen gelüsten. So schickte er fürs erste einen seiner Bürger, den Maiandrios, des Maiandrios Sohn, der sein Schreiber war; der sollte nachschauen. Oroites aber tat auf die Nachricht, daß jemand zum Nachsehen zu erwarten sei, folgendes: er füllte acht Truhen mit Steinen bis auf ein ganz schmales Stück am Rande, dann breitete er oben Gold über die Steine, schnürte die Truhen wieder zu und hielt sie bereit. Nun kam Maiandrios, sah alles und gab danach dem Polykrates Bericht. Und dieser schickte sich zur Abreise an trotz der dringenden Abmahnungen der Seher wie der Freunde, ja trotzdem auch seine Tochter noch folgendes Traumgesicht hatte: es kam ihr vor, ihr Vater schwebe in der Luft und werde von Zeus gebadet und von Helios gesalbt. Auf diesen Traum hin bot sie alles auf, damit Polykrates nicht zu Oroites reise, ja als er schon an Bord des Fünfzigruderers ging, warnte sie ihn noch mit ahnungsvollen Worten. Da drohte er ihr, wenn er gesund heimkomme, so solle sie noch lange Jungfrau bleiben; sie aber betete, das möge in Erfüllung gehen, lieber wolle sie ja lange Zeit Jungfrau bleiben und dafür den Vater behalten. Doch Polykrates war taub gegen jeden Rat und fuhr zu Oroites, nahm auch viele seiner Gefährten mit, insbesondere den Arzt Demokedes aus Kroton, Sohn des Kalliphon, der zu seiner Zeit der erste in seiner Kunst war. Als aber Polykrates sich in Magnesia einfand, kam er auf elende, weder seiner Person, noch seiner Gesinnung angemessene Weise ums Leben; denn abgesehen von den Herrschern der Syrakusier ist auch nicht einer der übrigen griechischen Fürsten würdig, an großzügigem Wesen mit Polykrates verglichen zu werden. Oroites ließ ihn auf eine nicht wiederzugebende Art umbringen und dann ans Kreuz heften. Von den Begleitern entließ er alle Samier mit der Weisung, sie sollten ihm dankbar sein, da sie nun frei seien; dagegen alle Fremden und Knechte aus dem Gefolge behielt er als Sklaven zurück. So erfüllte sich an Polykrates, da er aufgehängt war, das Traumgesicht seiner Tochter vollständig: denn von Zeus wurde er gebadet, so oft es regnete, und von Helios gesalbt, indem sein eigener Leib Feuchtigkeit ausschwitzte.

Solch ein Ende nahm also das große Glück des Polykrates.

 

14. Geschichten von Kypselos und Periander

Amphion, ein vornehmer Korinther, hatte eine lahme Tochter, mit Namen Labda. Und da keiner der korinthischen Edelleute sie zur Frau haben wollte, so nahm sie Eetion, Echekrates' Sohn, ein Lapithe aus dem Gau Petra. Aber weder von dieser Frau noch von einer andern bekam er Kinder, darum reiste er nach Delphi, um den Gott wegen Nachkommenschaft zu befragen, und gleich beim Eintreten redete ihn die Pythia mit folgenden Worten an:

»Niemand ehret, Eetion, dich, dem Ehre gebühret.
Schwanger ist Labda; sie wird dir gebären den rollenden Felsblock,
Welcher die Fürsten zermalmt und Recht einst schafft in Korinthos.«

Wie die Bakchiaden, die damals in Korinth herrschten, diesen Spruch vernahmen, verstanden sie ihn wohl, hielten sich aber ruhig, entschlossen, das zu erwartende Kind des Eetion umzubringen. Und sobald Labda niederkam, schickten sie zehn aus ihrer Mitte in den Gau, wo Eetion wohnte, die sollten das Kindlein töten. Die kamen nach Petra und traten in die Wohnung des Eetion ein und verlangten nach dem Kindlein. Labda aber ahnte den Grund ihres Kommens nicht, sie glaubte vielmehr, sie verlangten es aus freundschaftlicher Gesinnung für den Vater, so brachte sie's und gab es einem der Männer in die Hände. Nun hatten die unterwegs ausgemacht, der erste, der das Kindlein bekäme, solle es gegen den Boden schleudern. Wie es nun Labda herbeibrachte und ihm übergab, da fügte es die Gottheit, daß das Kindlein den Mann, der es hielt, anlächelte, und als er das sah, da wurde ihm weich ums Herz, daß er's nicht töten konnte; mitleidig übergab er's dem zweiten, der dem dritten, und so wanderte es bei allen zehn Männern von Arm zu Arm herum, und wollt' es keiner umbringen. So gaben sie denn der Mutter das Kind zurück und gingen wieder hinaus. Wie sie aber vor der Tür standen, da fuhr jeder über den andern mit Vorwürfen her, insbesondere beschuldigten sie den, der das Kind zuerst bekommen hatte, weil er nicht, wie ausgemacht, gehandelt habe, bis sie nach einer Weile beschlossen, wieder hineinzugehen und alle zusammen den Mord auszuführen. Aber es sollte aus Eetions Stamm Unheil für Korinth erwachsen: Labda hatte dicht hinter der Türe gestanden und das alles angehört, jetzt bekam sie Angst, sie möchten andern Sinnes werden, das Kindlein zum zweitenmal nehmen und wirklich töten; da nimmt sie's und verbirgt es am verstecktesten Orte, den sie finden konnte, in einem Mehlkasten, wohl wissend, daß sie, wenn sie umkehrten und sich zum Suchen wieder einstellten, alles durchforschen würden. Und so geschah es auch. Sie kamen und suchten, und da es nicht zum Vorschein kam, beschlossen sie, heimzugehen und den andern, die sie abgesandt, zu sagen, sie hätten alles nach ihrem Auftrage ausgeführt. Und gingen heim und sagten so. Eetions Sohn aber wuchs danach heran, und weil er dieser Gefahr entronnen war, bekam er von der Kypsele [so heißt auf griechisch der Kasten] den Namen Kypselos.

Als aber Kypselos, zum Manne gereift, das Orakel in Delphi befragte, bekam er einen zwiefach günstigen Spruch, der ihn so mutig machte, daß er einen Anschlag auf Korinth wagte und es wirklich gewann. So lautete dieser Spruch:

»Glücklich der Mann, der eintritt heute in meine Behausung,
Kypselos ist es, Eetions Sohn, einst Herr in Korinthos,
Kypselos selbst und die Söhne, doch nimmer die Söhne der Söhne.«

Das also war das Orakel. Nachdem aber Kypselos die Herrschaft erlangt hatte, zeigte er sich als einen Mann von der Art, daß er viele Korinther vertrieb, viele ihres Vermögens, noch weit mehr aber des Lebens beraubte.

Nachdem dieser dreißig Jahre geherrscht und sein Leben glücklich beschlossen hatte, wurde sein Sohn Periander sein Nachfolger in der Herrschaft. Nun war Periander anfangs milder als sein Vater; seitdem er aber durch Boten mit Thrasybulos, dem Tyrannen von Milet, verkehrte, wurde er noch viel blutgieriger als Kypselos. Er hatte nämlich einen Herold an Thrasybul gesandt und fragen lassen, wie er sich wohl die größte Sicherheit schaffen und seine Stadt aufs beste beherrschen könne. Thrasybul führte nun den Boten des Periander vor die Stadt hinaus, bis sie zu einem bebauten Felde kamen. Während er nun durch das Saatfeld hinging, fragte er den korinthischen Herold über den Anlaß und den Zweck seiner Sendung und fing damit immer wieder von vorn an, zugleich riß er immerzu jede hervorragende Ähre, die er sah, ab und warf sie weg, bis er solchermaßen das Saatfeld, gerade wo es am schönsten und üppigsten stand, verdorben hatte. So ging er bis ans Ende des Feldes und entließ dann den Herold ohne ein Wort der Aufklärung. Wie der nun nach Korinth heimgekehrt war, war Periander begierig, den Rat zu vernehmen, doch jener erklärte, Thrasybul habe ihm keinen gegeben; er müsse sich wundern, zu was für einem Mann er ihn da geschickt habe, das sei ja geradezu ein Verrückter, der sein eigen Hab und Gut verderbe, und erzählte, was er von Thrasybul gesehen. Periander aber, der die Sache verstand und begriff, daß Thrasybul ihm riet, die hervorragenden Bürger zu töten, verübte von da an jede Schlechtigkeit gegen die Bürger. Was Kypselos mit Töten und Verbannen noch übriggelassen hatte, mit dem räumte Periander vollends auf.

[Auch seine eigene Frau Melissa hatte Periander im Zorne getötet, und] um dieser Frau willen zog er späterhin allen korinthischen Frauen an einem Tage die Kleider aus. Er hatte nämlich zu den Thesproten an den Acheronfluß Boten ans Totenorakel geschickt wegen eines Pfandes von einem Gastfreunde. Da erschien der Schatten Melissas, und sagte, sie gebe ihm kein Zeichen und keine Auskunft, wo das Pfand liege. Denn sie friere und sei ohne Kleider. Denn die Kleider, die er ihr bei der Bestattung mitgegeben habe, hülfen ihr nichts, da sie nicht mit verbrannt worden seien. Und ein Zeugnis, daß sie die Wahrheit sage, solle ihm dies sein: Periander habe sein Brot in den kalten Ofen geschoben.

Wie nun dies dem Periander hinterbracht wurde (denn das Wahrzeichen war überzeugend für ihn, da er den Leichnam der Melissa beschlafen hatte), ließ er sogleich den öffentlichen Befehl ergehen, alle korinthischen Frauen sollten sich ins Heraheiligtum begeben. Da vermeinten die, es handle sich um ein Fest, und gingen in ihrem schönsten Schmucke hin, er aber hatte heimlich seine Kriegsknechte aufgestellt und zog ihnen allen, Freien wie Sklavinnen, ohne Unterschied, die Kleider aus, häufte diese in einer Grube auf und verbrannte sie unter Gebeten an Melissa. Und als er danach zum zweiten Male hinsandte, zeigte der Schatten der Melissa ihm den Ort, wo das Pfand des Gastfreundes lag.

Es geschah aber in der Zeit nach der Tötung seiner Frau, daß zu diesem Unglück sich noch ein weiteres gesellte. – Er hatte von Melissa zwei Söhne im Alter von 17 und 18 Jahren. Diese ließ ihr Großvater mütterlicherseits, Prokles, der Beherrscher von Epidauros, zu sich kommen und nahm sie als Kinder seiner Tochter, wie billig war, liebevoll auf. Aber als er sie wieder entließ, sagte er ihnen zum Geleit noch folgendes: »Kinder, wißt ihr auch, wer eure Mutter getötet hat?« Dies Wort blieb auf den Älteren ohne Eindruck, dem Jüngeren aber, mit Namen Lykophron, schnitt diese Rede so sehr ins Herz, daß er, nach Korinth heimgekehrt, seinen Vater als Mörder seiner Mutter nicht anredete, noch auch darauf einging, wenn dieser ein Gespräch mit ihm begann, und auch auf seine Fragen keine Antwort gab. Da übermannte zuletzt den Periander der Zorn, so daß er ihn aus dem Hause stieß.

Hernach fragte er dann den älteren Bruder, was der Großvater eigentlich mit ihnen gesprochen hätte, und der berichtete nur, er habe sie liebevoll aufgenommen; jenes Wortes aber, das Prokles beim Abschied zu ihnen gesprochen, gedachte er nicht, weil es ihm nicht zu Herzen gegangen war. Periander aber behauptete, das könne gar nicht anders sein, jener müsse ihnen etwas zugeraunt haben, und drang mit Fragen in ihn, bis er sich wieder an das Wort erinnerte und es nun auch sagte. Jetzt wußte Periander Bescheid; entschlossen, keine weiche Nachsicht zu zeigen, schickte er einen Boten zu den Leuten, wo der vertriebene Sohn sich aufhielt, und verbot diesen, ihn im Hause zu behalten. Und wie nun dieser so vertrieben in ein anderes Haus ging, ward er jeweils auch aus diesem wieder ausgetrieben, denn Periander schreckte die, so ihn aufnahmen, durch Drohungen und befahl, ihn auszusperren. Also vertrieben suchte er immer wieder ein anderes befreundetes Haus auf, wo er denn, wenn auch mit Ängsten, als Sohn des Periander aufgenommen wurde.

Schließlich ließ aber Periander öffentlich ausrufen: Wer seinen Sohn ins Haus aufnehme oder ihn anrede, der müsse dem Apollo eine fromme Buße entrichten, unter Angabe der bestimmten Summe. Auf diese Ankündigung hin wollte natürlich niemand mehr mit dem Jünglinge reden noch ihn ins Haus aufnehmen; ja auch er nahm sich nicht das Recht, das Verbot zu übertreten, sondern trieb sich hartnäckig in den Säulengängen umher. Am vierten Tag erblickte ihn Periander, ganz verkommen vor Schmutz und Hunger; da jammerte ihn sein, daß er vom Zorne abließ und zu ihm hintrat und ihn anredete: »Mein Sohn, welches ist die bessere Wahl, das Leben, das du jetzt führst oder die Anwartschaft, als ein dem Vater willfähriger Sohn die Herrschaft und die Güter, die ich jetzt habe, zu bekommen? Wie konntest du, der mein Sohn und ein König des gesegneten Korinthos ist, das Leben eines Landstreichers wählen, und im Zorn dich gegen den stellen, gegen den du's am wenigsten durftest? Und wenn wirklich ein Unglück vorgefallen ist, das deinen Verdacht gegen mich erregt hat, so bin ich's, dem dies Unglück zugestoßen ist, und ich trage für meinen Teil um so schwerer daran, weil ich die Tat selbst verübt habe. Du aber hast jetzt erfahren, um wieviel besser es ist, beneidet zu werden, als bemitleidet, zugleich auch, was es heißt, sich vom Zorne gegen die Eltern und die Stärkeren übermannen zu lassen – drum geh wieder nach Hause.« Mit diesen Worten suchte ihn Periander zu beschwichtigen, doch jener antwortete dem Vater nichts, als: »Du hast dem Gotte eine fromme Buße zu entrichten, da du mit Lykophron gesprochen hast.« Da sah Periander ein, daß er gegen das Elend seines Sohnes ohnmächtig sei und es nicht überwinden könne, so schickte er ihn aus seinen Augen auf einem Schiffe fort nach Kerkyra, das auch zu seinem Reiche gehörte. Danach zog er gegen seinen Schwiegervater Prokles, als den Hauptschuldigen an diesem Unglück, zu Felde und es gelang ihm, Epidauros einzunehmen, und auch den Prokles selbst lebend in seine Gewalt zu bekommen.

Als aber im Laufe der Zeit Periander gealtert war und erkennen mußte, daß er nicht mehr imstande sei, die Geschäfte zu übersehen und zu verwalten, schickte er nach Kerkyra und ließ den Lykophron zurückrufen zur Übernahme der Herrschaft (denn bei dem älteren Sohne sah er dazu keine Möglichkeit und fand ihn offenbar zu stumpfsinnig dafür). Aber Lykophron würdigte den Überbringer der Botschaft noch nicht einmal einer Gegenrede. Jedoch Periander, der von dem Jüngling nicht lassen konnte, schickte abermals zu ihm, und zwar des Jünglings Schwester, seine eigene Tochter, denn dieser, dachte er, werde er wohl am ehesten folgen. Die kam denn und sagte: »Mein Bruder, willst du lieber, daß die Herrschaft an andere falle und auch des Vaters Vermögen zerrissen werde, als heimkommen und all das selber haben? Kehre nach Hause zurück und höre auf, dich selbst zu strafen. Stolz ist ein schlimmes Gut; heile nicht Schlimmes mit Schlimmem. Viele ziehen die Billigkeit der Gerechtigkeit vor; viele haben schon, die Mutter suchend, den Vater verloren. Herrschaft ist ein gefährlich Ding, das da zahlreiche Liebhaber hat; der Vater aber ist ein Greis, der das Leben hinter sich hat. Gib nicht Fremden das Gut, das dein Eigen ist!« So sprach sie zu ihm in herzbewegenden Worten, wie sie's der Vater gelehrt. Er aber gab die Antwort, er werde nimmer nach Korinth kommen, solange er höre, daß der Vater am Leben sei. Das richtete die Schwester aus; da schickte Periander zum dritten einen Herold ab und war bereit, selbst nach Kerkyra zu gehen, dafür sollte Lykophron nach Korinth kommen und sein Nachfolger in der Herrschaft werden. Da der Sohn darauf einging, so schickte Periander sich an, nach Kerkyra zu fahren, jener aber nach Korinth. Aber als die Kerkyräer davon genaue Kunde bekamen, wollten sie verhindern, daß Periander in ihr Land komme, und töteten den Jüngling.

Dafür rächte sich dann Periander, [indem er dreihundert kerkyräische Knaben, Söhne der ersten Männer, nach Sardes an den König Alyattes schickte zur Verschneidung].

 

15. Arion

Periander, des Kypselos Sohn, habe auch, so erzählen die Korinther und die Lesbier bestätigen es, das größte Wunder miterlebt, indem Arion aus Methymna auf einem Delphin bei Tainaron ans Land gesetzt worden sei. Er war einer der ersten Sänger jener Zeit, zugleich auch, soweit wir wissen, der erste Mensch, der einen Dithyrambus Lebhaftes Chor- und Tanzlied zu Ehren des Dionysos. gedichtet, benannt und in Korinth aufgeführt hat.

Dieser Arion nun, der die meiste Zeit bei Periander zugebracht, bekam, erzählt man, einmal Lust, nach Italien und Sizilien zu fahren. Nachdem er dann dort große Schätze erworben, wollte er wieder von Tarent aus nach Korinth zurückkehren, und weil er zu niemand so viel Zutrauen hatte, wie zu den Korinthern, mietete er dort ein Schiff von korinthischen Männern. Doch als sie die offene See erreicht, faßten diese den bösen Plan, den Arion ins Meer zu werfen und seine Schätze zu behalten; er aber merkte es und flehte sie an, sie möchten ihm das Leben schenken, seine Schätze wolle er ihnen gerne lassen. Allein die Schiffer ließen sich nicht erweichen, sondern geboten ihm, entweder sich selbst zu töten, damit er ein Grab auf dem Lande erlange, oder unverzüglich ins Meer hinauszuspringen. So in die äußerste Not gedrängt, bat Arion sich aus, wenn also ihr Entschluß unabänderlich sei, so möchten sie ihm gestatten, in vollem Schmucke sich aufs Verdeck zu stellen und dort noch ein Lied anzustimmen; wenn er ausgesungen habe, versprach er sich selbst umzubringen. Voll Freude, den trefflichsten Sänger der Welt zu hören, zogen jene sich vom Hinterdeck nach der Mitte des Schiffes zurück. Arion aber legte seinen ganzen Schmuck an und trat, die Leier in der Hand, aufs Verdeck, dort sang er einen Lobgesang auf Apollo nach der »hohen Weise« »Nomos orthios«, eine ernste, altertümliche Weise zu Ehren Apollos, von Terpander (im siebenten Jahrh. v. Chr.) erfunden. ganz zu Ende und stürzte sich dann im vollen Schmucke, wie er war, ins Meer. Und darauf fuhren jene nach Korinth weiter; den Sänger aber habe, sagt man, ein Delphin auf den Rücken genommen und nach Tainaron getragen. Dort sei er ans Land gestiegen und in seinem Schmucke nach Korinth gezogen, wo er dann den ganzen Vorfall erzählt habe. Periander habe es aber zuerst nicht recht geglaubt und den Arion in Gewahrsam gehalten und nicht entlassen, zugleich aber auch auf die Schiffer ein Auge gehabt; sobald sie eingetroffen waren, ließ er sie rufen und legte ihnen die Frage vor, ob sie etwas von Arion zu berichten hätten. Da jene nun antworteten, er sei wohlbehalten in Italien, und sie hätten ihn bei gutem Befinden in Tarent verlassen, trat Arion in der Tracht hervor, wie er ins Meer gesprungen war, und da konnten jene, bestürzt und überführt, nicht mehr leugnen. Solches erzählen die Korinther und die Lesbier; auch steht auf Tainaron ein ehernes Weihgeschenk von Arion, nicht gar groß, das einen Menschen auf einem Delphin darstellt Diese Gruppe hat ohne Zweifel dort gestanden; es ist denkbar, daß die Sage erst aus dem Denkmal herausgesponnen wurde..

 

16. Das Wunder der Helena

Agetos, ein vornehmer Spartaner, hatte eine Frau, die war bei weitem die schönste von allen Frauen in Sparta, dabei war sie aus der häßlichsten die schönste geworden.

Als Kind nämlich war sie gar häßlich anzusehen gewesen, und der Amme ging es nahe, wie sie als reicher Leute Tochter doch so mißgestaltet sei. Als sie dann auch noch merkte, wie die Eltern sich über das Aussehen des Töchterchens grämten, sann sie auf Abhilfe und dachte sich folgendes aus. Sie trug das Kind Tag für Tag in das Heiligtum der Helena, so im sogenannten Therapne oberhalb des Phoebeischen Heiligtums liegt. Dahin trug's die Amme allemal, stellte es vor das Bild der Göttin und betete zu ihr, sie möchte das Kindlein von seiner Häßlichkeit erlösen. Und wirklich eines Tages, erzählt man, sei der Amme beim Weggehen aus dem Heiligtum eine Frau erschienen, die habe sie gefragt, was sie da im Arme trage, worauf sie sagte, ein Kindlein. Da habe die Frau es sehen wollen, die Amme aber habe dies verweigert, denn die Eltern hätten ihr verboten, das Kind irgend jemand sehen zu lassen. Doch die habe durchaus verlangt, sie müsse es ihr zeigen. Da nun die Amme sah, wie angelegentlich es der Frau darum zu tun sei, das Kleine zu sehen, da habe sie's eben endlich gezeigt: die Frau aber habe den Kopf des Kindes gestreichelt und gesagt, es werde die schönste unter allen Frauen Spartas werden. Und von diesem Tage an habe sich ihr Aussehen verändert. Und wie sie herangewachsen war, heiratete sie Agetos, des Alkeides Sohn, [später aber wurde sie die Frau des Königs Ariston und Mutter des Königs Demaratos].

 

17. Alkmeon von Athen

Die Alkmeoniden, die in Athen von altersher eine glänzende Stellung einnahmen, gewannen seit Alkmeon und dann wieder seit Megakles erst recht an Ansehen. Alkmeon nämlich, des älteren Megakles Sohn, pflegte den Lydern, die von Kroisos aus Sardes an das delphische Orakel gesandt wurden, behilflich zu sein und freundlich an die Hand zu gehen. Von den Lydern, die die Orakel aufsuchten, hatte dann Kroisos seine Verdienste um ihn erfahren und lud den Mann zu sich nach Sardes. Wie er dort hinkam, bewilligte ihm der König so viel Gold zum Geschenk, als er mit seinem eigenen Körper auf einmal heraustragen könne. So war des Königs Geschenk; Alkmeon aber hatte sich zu diesem Zweck folgendermaßen ausstaffiert: er zog ein großes, weites Gewand an und machte sich daran noch einen tiefen Bausch zurecht und an die Füße zog er hohe Jagdstiefel, die weitesten, die er finden konnte. So angetan ging er in die Schatzkammer, in die man ihn wies. Dort warf er sich auf einen Haufen Goldstaub und stopfte sich zuerst soviel Gold um die Waden, als die Stiefel fassen konnten, danach füllte er den ganzen Bausch des Gewandes mit Gold, sogar die Haupthaare bestreute er ringsum mit Goldstaub, noch anderen nahm er in den Mund. Wie er dann das Schatzhaus verließ, konnte er seine Stiefel kaum schleppen und sah allem eher ähnlich als einem Menschen, denn sein ganzer Mund war vollgestopft und überall aufgeschwollen. Bei diesem Anblick mußte Kroisos lachen und machte ihm nicht nur alles dies zum Geschenk, sondern schenkte ihm dazu obendrein nochmals ebensoviel. So ist der gewaltige Reichtum dieses Hauses erwachsen, und Alkmeon konnte dann einen Rennstall halten und gewann einen Sieg in Olympia.

 

18. Die Brautwerbung des Hippokleides

Ein Menschenalter später brachte Kleisthenes, der Tyrann von Sikyon, dies Geschlecht noch weiter in die Höhe, so daß es einen noch größeren Namen in Hellas bekam denn zuvor. Dieser Kleisthenes, Sohn des Aristonymos, Enkel des Myron und Urenkel des Andreas, hatte eine Tochter namens Agariste, für die wollte er den trefflichsten unter allen Hellenen herausfinden, um sie ihm zur Frau zu geben. Darum ließ er bei den olympischen Spielen, in denen damals sein Viergespann siegte, durch den Herold verkündigen: wer von den Hellenen sich würdig erachte, des Kleisthenes Eidam zu werden, der solle innerhalb sechzig Tagen oder auch früher nach Sikyon kommen; in einem Jahre, vom sechzigsten Tage an gerechnet, werde dann Kleisthenes die Hochzeit vollziehen. Da zogen alle Hellenen, die auf sich selbst, wie auf ihr Vaterland stolz waren, als Freier dorthin; und Kleisthenes hatte eigens für sie eine Rennbahn und einen Ringplatz errichten lassen. Von Italien kam da Smindyrides, Hippokrates Sohn, aus Sybaris, der es in weichlicher Üppigkeit allen andern Menschen zuvorgetan hat (Sybaris war damals in seiner höchsten Blüte), aus Siris Damasos, Sohn des sogenannten weisen Amyris. Die kamen aus Italien; vom ionischen Golf kam Amphimnestos, des Epistrophos Sohn, aus Epidamnos. Der kam vom ionischen Golf. Aus Aetolien kam Males, der Bruder jenes Titormos, der an Körperkraft alle Hellenen übertraf, aber vor der Gemeinschaft der Menschen in die äußersten Winkel Aetoliens geflohen war. Aus dem Peloponnes kam Leokedes, ein Sohn des Pheidon, des Tyrannen von Argos, des Pheidon, der den Peloponnesiern die Maße gemacht hat und der bekanntlich der frevelhafteste aller Hellenen war, also daß er die Kampfrichter der Eleer verjagt und die olympischen Spiele selbst geleitet hat. Dessen Sohn kam und dazu Amiantos, Lykurgos Sohn aus dem arkadischen Trapezus, und aus der Stadt Paios in Azanien Laphanes, Euphorions Sohn, der nach einer in Arkadien umlaufenden Erzählung die Dioskuren als Gäste in seinem Hause beherbergt hatte und von da an alle Menschen gastlich aufnahm, und aus Elis Onomastos, des Aigaios Sohn. Die also kamen aus dem Peloponnes selbst; aus Athen aber kamen Megakles, der Sohn jenes Alkmeon, der bei Kroisos gewesen war, und dann Hippokleides, des Tisandros Sohn, einer der reichsten und schönsten jungen Männer der Stadt. Von dem damals blühenden Eretria kam Lysanias, der war der einzige aus Euboea. Und aus Thessalien kam Diaktorides aus Krannon, aus dem Hause der Skopaden, von den Molossern aber Alkon.

So viel Freier stellten sich ein. Wie diese nun am bestimmten Tag sich versammelten, ließ sich Kleisthenes erst von einem jeden Heimat und Geschlecht sagen; danach behielt er sie ein Jahr lang bei sich und erprobte ihre Mannhaftigkeit, Gemütsart, Bildung und Charakter, indem er mit jedem besonders wie mit allen gemeinsam verkehrte. Die jüngeren unter ihnen führte er auch hinaus auf die Turnplätze; auch stellte er sie, und das war für ihn das Wichtigste, beim gemeinsamen Mahle auf die Probe. Und solange er sie bei sich hatte, gab er sich die ganze Zeit hindurch mit ihnen ab, und bewirtete er sie dabei herrlich. Und am meisten von den Freiern gefielen ihm wohl die, so aus Athen gekommen waren, und von denen gab er wieder dem Hippokleides, Tisandros Sohn, den Vorzug, sowohl wegen seines mannhaften Wesens, wie auch, weil er von Hause aus mit den Kypseliden in Korinth verwandt war.

Als nun der entscheidende Tag für die Hochzeitsfeier und für die Erklärung des Kleisthenes selbst, wen er aus allen wähle, gekommen war, da brachte Kleisthenes ein Opfer von hundert Rindern dar und gab den Freiern, wie auch allen Einwohnern Sikyons, einen festlichen Schmaus. Wie sie nun mit dem Mahle fertig waren, ließen sich die Freier um die Wette in musikalischen und sonstigen Vorträgen hören. Während das Trinken weiterging, rief Hippokleides, der durchaus den Ton angab, dem Flötenspieler zu, er solle ihm eine Tanzweise blasen, und als dies geschah, tanzte er. Und er selbst mochte sich im Tanzen recht wohl gefallen; Kleisthenes aber sah das ganze Treiben mit scheelen Augen an.

Darauf nach einer Weile befahl Hippokleides, man solle einen Tisch hereintragen. Der wurde gebracht, und nun führte er darauf erst spartanische Tänze auf, danach andere und zwar attische, zum dritten aber stellte er sich mit dem Kopf auf den Tisch und hantierte mit den Beinen in der Luft. Schon bei den Tänzen der ersten und zweiten Art wies Kleisthenes mit Abscheu den Gedanken von sich, daß etwa Hippokleides noch sein Eidam werden solle, so schamlos fand er das Getanze; doch hielt er sich noch zurück, um nicht gegen ihn loszubrechen. Wie er ihn aber so mit den Beinen hantieren sah, konnte er sich nicht mehr halten und rief: »O Sohn des Tisandros, nun hast du richtig die Heirat vertanzt!«, worauf Hippokleides flugs: »Das ist dem Hippokleides Wurst«. Daher kommt diese Redensart. Kleisthenes aber gebot Schweigen und sprach zu ihnen allen also: »Ihr Männer, die ihr um meine Tochter freit, ich muß euch alle loben und möchte, wenn es möglich wäre, gern euch allen gefällig sein und mich weder für einen Auserwählten entscheiden noch die übrigen verwerfen. Aber es ist ja nicht möglich, wo nur für eine Jungfrau die Entscheidung zu treffen ist, nach dem Sinne aller zu handeln; so geb ich denen von euch, die von dieser Heirat Abstand nehmen müssen, je ein Talent Silber zum Geschenke, für den hohen Sinn, der sie antrieb, eine Tochter aus meinem Hause zu freien, und zur Entschädigung für das Fernsein vom Hause. Aber dem Megakles, Alkmeons Sohn, verlobe ich meine Tochter Agariste nach den Gesetzen der Athener.« Und nachdem Megakles das Jawort gegeben, war die Heirat von Kleisthenes abgeschlossen.

siehe Bildunterschrift

Skythenbilder.

Streifen von einem Silbergefäß nach dem recueil d'antiquités de Scythie II

Das war der Hergang bei der Freierwahl; und so wurden die Alkmeoniden berühmt über ganz Hellas hin.

 

19. Vom Ursprung der Skythen

Die Griechen, so am Schwarzen Meere wohnen, berichten folgendes vom Ursprung der Skythen. Als Herakles die Rinder des Geryones wegtrieb, kam er auch in das Land, das heute die Skythen bewohnen, damals eine menschenleere Wüste. Vom Winter und eisiger Kälte überfallen, wickelte er sich in sein Löwenfell und schlief so ein. Während dieser Zeit aber verschwanden durch göttliche Schickung seine Pferde, die er, ins Joch des Wagens gespannt, hatte weiden lassen. Nach dem Erwachen suchte Herakles die Pferde durchs ganze Land hin und kam schließlich in das sogenannte Waldland »Hylaia« [so hieß ein Landstrich am linken Ufer des heutigen Dnjepr]. Dort fand er in einer Höhle eine Schlangenjungfrau, ein Doppelwesen, das oberhalb des Gesäßes ein Weib, unterhalb eine Schlange war. Verwundert über ihren Anblick fragte er sie, ob sie etwa verlaufene Pferde gesehen hätte, worauf sie erwiderte, sie habe sie selber und werde sie ihm erst zurückgeben, wenn er bei ihr geschlafen habe. Das tat denn Herakles um dieses Lohnes willen; sie aber schob die Rückgabe der Pferde noch weiter hinaus, denn sie wünschte sich des Umgangs mit dem Helden möglichst lange zu erfreuen. Schließlich aber, als er darauf bestand, die Pferde heimzunehmen und abzuziehen, gab sie ihm diese mit den Worten: »Da sind die Pferde, ich habe sie dir, als sie mir zugelaufen waren, gerettet, du aber hast mir den Lohn dafür gewährt, denn ich habe drei Söhne von dir. Nun lehre mich, was ich tun soll, wenn die groß geworden sind. Soll ich sie hier ansiedeln (denn ich allein habe die Gewalt über dieses Land) oder dir zuschicken?« So sagte sie, er aber erwiderte darauf: »Wenn du siehst, daß die Knaben zu Männern erwachsen sind, so wirst du wohl mit folgendem das Richtige treffen. Schaue auf die Söhne, und welcher von ihnen diesen Bogen so spannt und mit diesem Gürtel sich gürtet, den mache zum Bewohner dieses Landes. Welcher aber die von mir anbefohlenen Werke mangelhaft vollbringt, den sende aus dem Lande fort. Wenn du also tust, wirst du selbst Freude haben, und meinen Willen erfüllen.« Darauf spannte Herakles den einen seiner Bogen (denn bis dahin trug er zweie), und wies ihr seinen Gürtel vor, alsdann übergab er ihr den Bogen und den Gürtel, der ganz oben am Schluß eine flache goldene Trinkschale hatte; hierauf zog er ab. Als aber die Söhne, die sie bekam, zu Männern herangewachsen waren, gab sie ihnen Namen, den ältesten nannte sie Agathyrsos, den folgenden Gelonos und den jüngsten Skythes. Dann vollzog sie jenen Auftrag nach der Vorschrift, die sie sich wohl gemerkt hatte. Und in der Tat, zwei von den Söhnen, Agathyrsos und Gelonos, waren nicht imstande, das aufgegebene Stück zu vollbringen, die mußten außer Landes gehen, von der Mutter verstoßen; der jüngste aber, Skythes, brachte es fertig, und verblieb im Lande. Und von Skythes, des Herakles Sohn, stammen alle Könige der Skythen von jeher. Auf jene Trinkschale aber geht es zurück, daß die Skythen bis zum heutigen Tage Schalen am Gürtel tragen.

Dies erzählen die Griechen, so am Schwarzen Meere wohnen.

Aus den Alexandergeschichten des Chares von Mytilene

 

20. Odatis und Zariadres

Hystaspes hatte einen jüngeren Bruder Zariadres, beide waren nach der Sage ihrer Landsleute Söhne der Aphrodite und des Adonis. Hystaspes herrschte über Medien und die angrenzenden Länder, Zariadres über das Land oberhalb der Kaspischen Tore bis zum Don. Über die Marather jenseits dieses Stromes herrschte ein König Homartes, der eine Tochter namens Odatis hatte. Diese erblickte, wie in den Geschichtsbüchern aufgezeichnet ist, einst den Zariadres im Traume und verliebte sich in ihn, und ganz ebenso erging es ihm mit ihr.

Beide verzehrten sich von dem Augenblicke an, da sie die Erscheinung im Traum gesehen hatten, in Sehnsucht nacheinander, denn Odatis war die schönste aller Jungfrauen Asiens, aber auch Zariadres war ein schöner Mann. Nun sandte Zariadres Botschaft an Homartes und warb mit allem Ernste um die Hand der Jungfrau. Homartes aber verweigerte seine Einwilligung, weil er keine Söhne hatte, er wollte sie deshalb einem seiner Verwandten geben. Und bald darauf lud er die Großen seines Reiches, seine Freunde und Verwandten zusammen ein, um die Hochzeit zu feiern, sagte aber dabei nicht vorher, wem er seine Tochter geben wolle. Als nun das Zechgelage in vollem Gange war, rief der Vater die Odatis in den Kreis der trunkenen Gesellschaft und sagte, so daß alle Gäste es hörten: »Jetzt feiern wir deine Hochzeit, meine Tochter Odatis. Schau dich also hier im Kreise um und betrachte dir alle, dann nimm eine goldene Schale, fülle sie und gib sie, welchem du willst: dessen Frau wirst du werden und seinen Namen tragen.« Da blickte sie alle im Kreise an und ging weinend davon; denn sie hatte voll Sehnsucht erwartet, den Zariadres zu erblicken, dem sie Botschaft gesandt hatte, daß ihre Vermählung bevorstehe. Er aber hatte sich aus seinem Heerlager am Don ganz heimlich aufgemacht und den Fluß überschritten, und war niemand bei ihm denn ein Wagenlenker; noch in der Nacht war er aufgebrochen und durcheilte auf seinem Wagen eine große Strecke Landes, gegen achthundert Stadien [140 km] weit. In der Nähe des Dorfes angekommen, in dem die Hochzeitsfeier stattfand, ließ er den Lenker samt dem Wagen irgendwo zurück und zog selbst in skythischer Tracht weiter. So kam er in den Hof, erblickte Odatis, die am Schenktisch stand und unter Tränen langsam den Trank in der Schale mischte, trat zu ihr hin und sagte: »Odatis, so bin ich denn bei dir, wie du gewünscht hast: ich bin Zariadres.« Wie sie des schönen fremden Manns gewahr wurde, der dem im Traume Gesehenen so ganz glich, da gab sie hocherfreut ihm die Schale; darauf entführte er die Odatis in Eile, brachte sie zu seinem Wagen und floh mit ihr davon. Die Pagen und Dienerinnen, die um die Liebe ihrer Herrin wußten, waren verschwiegen, und als der Vater von ihnen Auskunft forderte, erklärten sie, sie wüßten nicht, wohin sie sich begeben hätte.

Die Geschichte dieser Liebe ist bei den Barbaren in Asien wohlbekannt und vielbewundert, und in Tempeln und Königshallen so gut wie in Bürgerhäusern finden sich Gemälde, die sie darstellen. Und die meisten Fürsten geben ihren Töchtern den Namen Odatis.


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