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Fabeln und Schwänke aus später Zeit

 

1. Der Löwe und Prometheus

Der Löwe beklagte sich leidenschaftlich bei Prometheus: »Du hast mich groß und schön geschaffen. Meine Kinnbacken wappnetest du mit Zähnen und meine Füße mit Klauen und machtest mich auch sonst stärker als die andern Tiere. Bei alledem aber fürchte ich mich vor dem Hahn!« Und Prometheus antwortete: »Was machst du mir unberechtigte Vorwürfe? Von mir hast du alles, was der Schöpfer dir mitgeben konnte. Aber deine Seele ist schlaff in diesem einen Falle.« Da beweinte der Löwe sein Los, verfluchte seine Feigheit und erklärte schließlich, er wolle sterben. Und wie er dazu fest entschlossen war, begegnete er dem Elefanten, redete ihn an und ließ sich in ein Gespräch mit ihm ein. Als er aber sah, daß dieser immerfort seine Ohren bewegte, fragte er ihn: »Was hast du? Warum kannst du dein Ohr nie stillhalten?« Und der Elefant, um den gerade eine Mücke herumschwirrte, antwortete: »Siehst du das kleine Ding dort herumsummen? Wenn das in das Innere meines Ohres eindringt, bin ich tot!« Da sprach der Löwe: »Was brauche ich nun noch zu sterben, da ich um so viel glücklicher bin als der Elefant, wie der Hahn mächtiger ist als die Mücke. Und doch hat die Mücke die Gewalt, auch einen Elefanten einzuschüchtern.«

 

2. Der Esel und der Wolf

Der Esel hatte sich einen Dorn in den Fuß getreten und stand lahm am Wege. Als er aber den Wolf erblickte, sprach er zu ihm: »O Wolf, ich sterbe vor Schmerzen und muß entweder dir zum Opfer fallen oder den Geiern und Raben. Nun bitte ich dich nur um eine Gunst: zieh mir erst den Dorn aus dem Fuß, damit mein Tod weniger qualvoll ist.« Der Wolf schnappte mit den Vorderzähnen zu und zog den Dorn heraus. Er hatte die Zähne noch aufeinander gebissen, als ihm der Esel, aller Schmerzen ledig, einen Tritt gab, der ihm Nase und Stirn zerschmetterte, und davon floh. Da sprach der Wolf: »Das geschieht mir recht. Das Fleischerhandwerk habe ich erlernt – was wollte ich jetzt den Roßarzt spielen?«

 

3. Hund / Fuchs und Hahn

Hund und Hahn schlossen Freundschaft und gingen gemeinsam auf die Wanderschaft. So kamen sie einst bei Einbruch der Nacht in eine waldige Gegend. Dort legte sich der Hund in der Höhlung eines alten Baumstamms schlafen, während der Hahn sich oben in die Zweige setzte. Als die Nacht vorbei war und die Sonne aufging, krähte der Hahn fröhlich, wie er das gewohnt ist. Das hörte der Fuchs und hoffte ihn zu verspeisen. Er lief also an den Baum heran und rief zu ihm hinauf: »Du bist ein wackrer Vogel und den Menschen höchst nützlich. Steig nun herab, damit wir die Frühmette miteinander singen und uns gegenseitig erbauen.« Der Hahn aber sprach: »Lieber Freund, wecke erst den Pförtner, der unten im Wurzelwerk des Baums haust, damit er die Glocken läutet Im Original: damit er das Holz anschlage. Gemeint sind die länglichen Holzbretter (σήμαντρα), die mit hölzernem Hammer angeschlagen werden und im Orient bis in die Neuzeit statt der Glocken im Gebrauch waren, in der Karwoche noch jetzt benutzt werden..« Der Fuchs lief begierig dahin. Da sprang der Hund heraus, packte den Fuchs und riß ihn in Stücke.

 

4. Gute Ausrede

Ein Mann rüstete einst ein Festmahl, um einen trauten Freund zu bewirten. Sein Hund aber lud einen andern Hund dazu ein und sprach zu ihm: »Komm her, Freund, und speise mit mir.« Der Hund kam, sah das großartige Mahl und sprach bei sich im stillen: »Potz Tausend! Welch herrliches Glück ist mir da ganz unerwartet erschienen. Ich werde mich hier bis zum Überdruß satt essen und morgen den ganzen Tag keinen Hunger haben.« So dachte er bei sich und wedelte freudig mit dem Schwanze, denn er verließ sich auf seinen Freund. Da sah der Koch den Hund dastehn und mit dem Schweife wedeln. Und er packte ihn von hinten an den Beinen und warf ihn zur Türe hinaus auf die Straße. Der Hund aber lief laut brüllend von dannen. Da begegnete ihm ein anderer Hund und fragte ihn: »Nun, wie war's mit dem Festmahl?« Der aber antwortete: »Ich bin von alledem, was es dort zu trinken gab, so betrunken, daß ich nicht einmal weiß, wie ich auf die Straße gekommen bin.«

 

5. Vergebliche Bemühung

Die Frau eines Trunkenbolds sann lange nach, wie sie nur ihrem Mann sein Laster abgewöhnen könne. Schließlich kam sie auf folgenden Einfall. Als er wieder einmal vom Rausch betäubt wie ein Toter dalag, nahm sie ihn auf die Schulter und trug ihn auf den Friedhof in die Leichenkammer. Dort legte sie ihn nieder und ging dann weg. Als sie aber meinte, jetzt könne er wohl wieder nüchtern sein, kam sie wieder und klopfte an die Türe. Der Mann fragte: »Wer klopft da?« Sie antwortete: »Ich bin der Diener, der den Toten das Essen bringt.« Und jener sprach: »Was plagst du mich mit Essen? Bring mir zu trinken, mein Bester, das ist mir viel wichtiger!« Da zerschlug sich die Frau die Brust und rief aus: »O weh, mir Armen! So hat auch nicht einmal die List mir geholfen. Du läßt dich nicht belehren, sondern es wird immer schlimmer mit dir: die Trunkenheit scheint jetzt bei dir zum Dauerzustand zu werden!«

 

6. Der Dieb als Werwolf

In einem Gasthaus war ein Dieb abgestiegen und wartete schon mehrere Tage auf die Gelegenheit, etwas zu stehlen. Aber es zeigte sich keine Gelegenheit. Nun sah er eines Tags, wie der Wirt einen schönen neuen Leibrock anzog – denn es war ein Festtag – und sich vor dem Gasthaus auf eine Bank setzte. Weit und breit war niemand zu sehn. Da trat der Dieb heran, setzte sich neben ihn und fing an, ihm allerlei zu erzählen. Nachdem er so längere Zeit geredet, gähnte er laut und fing dabei zu heulen an, wie ein Wolf. »Was soll das heißen?« fragte der Wirt. »Nun, ich will dir's sagen«, antwortete der Dieb, »aber bitte, hebe meine Kleider auf, denn die werde ich hier lassen. Denn, mein Herr, ich weiß nicht, woher das kommt. Wohl wegen meiner vielen Sünden. Wenn ich so dreimal gegähnt und geheult habe, werde ich zum Wolf und fresse Menschen.« Und mit diesen Worten riß er wiederum den Mund weit auf und heulte zum zweitenmal. Als der Wirt das hörte, glaubte er ihm und bekam Angst. Und er stand auf und wollte fliehen. Aber der Dieb hielt ihn am Rock fest und redete ihm zu: »Warte doch, o Gebieter, und nimm meine Kleider an dich, damit ich sie nicht verliere.« Und indem er so sprach, sperrte er wieder den Mund weit auf und begann zum drittenmal zu gähnen. Der Wirt aber befürchtete, er möchte ihn fressen, ließ den Rock in seiner Hand und flüchtete eilig ins Haus, dessen Tür er von innen verriegelte. Der Dieb aber nahm seinen Rock und machte sich davon.

 

7. Der betrogene Buhler

Ein Mann pflegte sich heimlich zu einer Frau zu schleichen und mit ihr zu buhlen. Er hatte mit ihr aber als Zeichen, damit sie ihn erkenne, ausgemacht, er wolle wie ein Hund bellen, wenn er komme, und dann solle sie ihm die Türe öffnen. Und das tat er nun jede Nacht. Ein anderer aber sah ihn nachts den Weg zu ihr schleichen, und da er seine Schelmerei kannte, schlich er ihm eines Nachts heimlich von weitem nach. Der Buhler ahnte nichts, und als er an die Türe kam, tat er wie immer. Der ihm nachfolgte, sah alles mit an und ging dann in sein eigenes Haus zurück. In der folgenden Nacht aber brach er früher auf und kam als erster zu der verbuhlten Frau. Als er nun wie ein Hündchen bellte, verließ sich jene darauf, daß es ihr Buhler sei, löschte das Licht, damit niemand ihn sehe, und öffnete die Tür. Und der ging hinein und buhlte mit ihr. Nach kurzer Zeit aber kam ihr erster Buhler und bellte draußen wie ein Hündchen nach seiner Gepflogenheit. Als aber der drinnen den draußen wie ein Hündchen bellen hörte, trat er selbst von innen an die Haustüre und bellte mit starker Stimme wie ein ganz großer Hund. Der draußen aber merkte, daß der drinnen stärker sei als er, und zog ab.


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