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siehe Bildunterschrift

Odysseus bietet dem Kyklopen den Weinbecher.
Statue nach Baumeister, Denkmäler des kl. Altertums

Homer

Die Grundlage jeder metrischen Übersetzung muß auch heute die Übersetzung von Joh. Heinrich Voß sein, in der Form der ersten Ausgabe von 1781. Neben ihr sind hier herangezogen die von Rud. Alex. Schröder 1911 und die schöne Nachdichtung von Hans Georg Meyer 1905.

 

1. Das Eiland der Kalypso

Zeus beauftragt Hermes, der Kalypso den Befehl zu überbringen, den Odysseus in seine Heimat zu entlassen.

Also wollte es Zeus und willig erwies sich der schnelle
Bote der Götter. Er legte die goldenen göttlichen Sohlen
an, die über die Fläche des Meers, die unendlichen Länder
leicht ihn tragen auf Flügeln des Windes, er griff zu dem Stabe,
welcher die Augen der sterblichen Menschen, sowie er gebietet,
bald im Schlafe verschließt, bald wieder vom Schlafe sie aufweckt.
Diesen ergreifend schwang sich hinunter der eilende Hermes.

Über Pierien Landschaft in Makedonien am Nordwestabhang des Olymps, des Götterbergs. glitt er dahin, dann schoß er zur Tiefe,
schwebte dahin nun über den Wogen, der Möve vergleichbar,
wenn sie nach Fischen durchspähet des nimmer ruhenden Meeres
finstere Buchten und oft mit den Fittichen taucht in die Salzflut.
Also wandelte über die Wogen der eilende Hermes.

Wie er zur Insel gelangte, die weit ab liegt in der Ferne,
stieg er vom bläulichen Meere hinan zum Gestade und ging nun,
bis er zur Höhle gekommen, in welcher die lieblich gelockte
Nymphe Kalypso wohnte. Er traf sie in ihrer Behausung.
Lodernd stieg von dem Herde die Flamme auf, weit durch die Insel
wallte der harzige Duft vom Holze der Zedern, des Weihrauchs
würzige Glut. Es ertönte dazu der erhabenen Göttin
liebliche Stimme von drinnen: sie wandelte singend am Webstuhl
auf und nieder und webte, das goldene Schiffchen in Händen.
Rings um die Höhle erhob sich ein Hain von grünenden Bäumen,
silbernen Pappeln und Erlen, dahinter die schwarzen Zypressen.
Vieles Gevögel umschwebte die Höhle und hauste im Dickicht:
Eulen und Habichte schossen hervor, laut schrieen die Seekrähn.
Aber die Wände der mächtigen Höhle umrankte ein Rebstock
rings sie mit üppigen Zweigen umhüllend und prangenden Trauben.
Auch vier Quellen entsprangen daselbst mit schimmerndem Wasser
nachbarlich nebeneinander und schlängelten hierhin und dorthin.
Saftige Wiesen ergrünten, durchwirkt von Veilchen und Eppich.
Selbst ein Gott sah staunend die Pracht und freute sich ihrer,
wenn er der Insel sich nahte. So stand und staunte der Götter
eilender Bote. Doch als er das Bild in der Seele genossen,
trat er hinein in die Grotte. Sofort erkannte Kalypso
ihn, die erhabene Göttin. Es kennen sich alle die Götter,
wenn auch fern von den andern Unsterblichen einer sein Haus hat.
Doch den Odysseus erblickte er nicht, den erhabenen Dulder,
drinnen; er saß fernab an dem Meere, so wie er gewohnt war,
und zerriß sich das Herz mit Jammern, Klagen und Seufzen.

 

2. Das Kyklopenmärchen

Auch in das Land der Kyklopen, der übermütigen Frevler,
kamen wir. Diese vertrauen dem Schutz der unsterblichen Götter,
und so bestellen sie nie mit den eigenen Händen die Feldflur.
Aber auch ohne die Saat und die Pflege gedeihet dort alles:
Weizen und Gerste und Reben mit üppigen, strotzenden Beeren,
welche der Regen des Zeus heranreift. Aber sie kennen
auch die Versammlungen nicht, wo Recht man findet und Ratspruch
in der Gemeinde, sie hausen zerstreut in geräumigen Klüften
auf den gebirgigen Höhen. Ein jeglicher hält das Gericht ab
über die Weiber und Kinder. Es achtet dort keiner des andern.

Seitwärts liegt von dem Hafen des Lands in geringer Entfernung
waldig und flach ein Eiland dort. Unzählige wilde
Ziegen erblickt man daselbst, sie scheucht kein menschlicher Fußtritt.
Denn nie nahen sich Jäger der Insel, die sonst in den Wäldern
mühvoll klimmen hinan zu dem felsigen Kamm der Gebirge.
Saatland siehst du dort nicht und auch nicht weidende Rinder,
nimmer gepflügt und nimmer bestellt, von Menschen verödet
bietet die Insel allein Herberge den meckernden Ziegen.
Denn es gebricht den Kyklopen an rötlich geschnäbelten Kähnen.
Meister des Schiffbaus fehlen im Land, und keiner erbaut dort
Schiffe mit hohen Verdecken, die aus fernliegenden Landen
mancherlei Dinge beschafften, wie sonst wohl kundige Männer
über das Meer hin kreuzen zu anderen Stätten der Menschen.
Hätten sie die, so bebauten sie sicher das liebliche Eiland,
denn es ist trefflicher Boden und trüge zur richtigen Zeit wohl
jegliches. Üppige Wiesen erblickt man am Strande des grauen
Meeres, getränkt durch reichliche Quellen. Der Weinstock ergäbe
reichen Ertrag. Auch fände der Pflug in dem ebenen Grunde
fettesten Boden, sie mähten im Herbst tiefstehende Saaten.
Günstig ist ferner der Hafen, es brauchte der Schiffer die Anker
nicht in die Flut zu versenken, noch festzuknüpfen ein Haltseil,
sondern das Schiff läuft auf und liegt da, bis es dem Schiffer
weiterzufahren gefällt, weil günstige Winde sich auftun.
Doch in der Tiefe der Bucht strömt hell aus felsiger Grotte
treffliches Wasser hervor; Schwarzpappeln umgeben die Quelle.
Hier nun liefen wir ein, und ein Gott war unser Geleiter
durch tiefdunkele Nacht, wo alles in Schatten gehüllt war.
Nebel umgaben das Schiff ringsum, man suchte vergeblich
nach der Selene lieblichem Schein, sie bargen die Wolken.
Deshalb konnte auch keiner die Insel mit Augen erblicken.
Auch das merkten wir nicht, wie flach zum Strande die Wellen
nun anbrandeten, ehe nicht sanft aufliefen die Schiffe.
Also landeten wir und bargen die sämtlichen Segel
und entstiegen den Schiffen dann selbst am brausenden Meerstrand,
schlummerten dort ein wenig und harrten der heiligen Frühe.

Doch wie frühe vor Tage die rosige Eos heraufstieg,
da umschritten wir alle das Eiland voller Bewundrung.
Aber es scheuchten die Nymphen, des Donnerers Töchter, uns gnädig
Ziegen hervor aus den Büschen zur Mahlzeit für die Gefährten.
Hurtig entnahmen wir da von den Schiffen geschwungene Bogen
und Jagdspieße mit ragendem Schaft. Drei reisige Haufen
bildeten wir und jagten zuhauf, und reichliche Beute
gönnte die Gottheit uns. Zwölf stattliche Schiffe besaß ich:
jedes erhielt neun Ziegen und ich noch eine darüber.
Also den ganzen Tag bis spät zur sinkenden Sonne
saßen wir, reichlich am Fleische und lieblichen Weine uns labend.
Damals mangelte uns in den Schiffen der rötliche Wein nicht,
denn wir hatten genügend gefaßt in gehenkelten Krügen,
als wir die heilige Stadt zerstörten im Land der Kikonen.
Nunmehr sahen wir auch in der Nähe das Land der Kyklopen,
sahen den Rauch und hörten die Stimmen der Menschen und Tiere.
Doch als wieder die Sonne sich senkte und Dämmerung aufstieg,
ruhten wir schlafend wieder am Strande des brausenden Meeres.
Doch wie frühe vor Tage die rosige Eos heraufkam,
rief ich die Freunde zusammen zum Rate und redete also:
»Bleibt allhier und wartet geduldig, geliebte Gefährten.
Denn mit dem eigenen Schiffe will ich und den eigenen Mannen
ausziehn, daß ich dort drüben der Menschen Gesinnung erkunde,
ob sie frevelhaft sind und ungesittet und rechtlos
oder den Fremdlingen hold und rechtlicher frommer Gesinnung.«
Also sprach ich und trat in das Schiff und befahl den Gefährten
selbst auch einzusteigen und loszulösen die Seile.
Schnell dann stiegen sie ein und reihten sich über die Bänke,
und sie schlugen im Takt mit den Rudern die weißliche Meerflut.
Als wir sodann zu dem nahegelegenen Strande gelangten,
sahen wir dort an dem äußersten Rande des Meers eine Felskluft,
mächtig gewölbt, umschattet von Lorbeergebüschen. Es schliefen
Ziegen und Schafe in ihr zur Nachtzeit. Außen herum lief
rings von gehauenen Steinen, von Stämmen gewaltiger Fichten
und starkwipfliger Eichen die hochaufragende Brustwehr.
Dort nun hauste ein Mann von riesigem Wuchse. Er pflegte
immer abseits die Herde zu weiden und nahte den andern
niemals, denn es erfüllte sein Herz ruchlose Gesinnung.
Groß auch war zum Entsetzen das Scheusal, keinem vergleichbar,
welcher vom Brote sich nährt, nein, gleich dem bewaldeten Gipfel
hochaufsteigender Berge, der fern von den andern emporstarrt.
Nunmehr hieß ich die andern Gefährten am Meere verweilen,
um mir das Schiff zu bewachen. Ich selber erwählte von allen
Mannen die tapfersten zwölf und schritt dann fürder. Sie trugen
einen gewaltigen Schlauch mit schwärzlichem, lieblichem Weine.
Maron schenkte ihn mir, ein Priester, der Sohn des Euanthes,
der dem Apollo diente, solange noch Ismaros Stadt an der thrakischen Küste. feststand,
weil wir sein mit dem Sohne geschont und mit der Gemahlin,
ehrfurchtsvoll, denn er wohnte im heiligen, schattigen Laubhain
Phoibos Apolls. Drum schenkte er uns die erlesensten Gaben,
schenkte mir sieben Talente von kostbar geschmiedetem Golde,
dann einen Mischkrug, ganz aus lauterem Silber, und endlich
füllte er selber in zwölf schönhenklige Krüge den Wein uns,
süß und unvermischt, ein Trank für Götter. Es wußte
auch kein Sklave um ihn in dem Hause und keine der Mägde,
einzig er selbst und die Frau und die treue Schaffnerin. Trank er
nun von dem schwärzlichen Weine, dem honigsüßen, so goß er
einen Becher des Weins auf zwanzig Maße des Wassers,
und vom Mischkrug strömte sodann solch göttlicher Duft aus,
daß wohl keiner dem Trunke sich gerne versagte. Von diesem
füllten den mächtigen Schlauch wir voll und trugen ihn mit uns.
Speise auch barg ich im ledernen Sack, denn es ahnte das Herz mir,
daß ich daselbst einem Riesen mich nahe von mächtiger Stärke,
solch einem wilden Gesellen, der Recht nicht achte noch Satzung.
Rasch zu der Höhle gelangten wir nun, doch trafen wir nicht ihn
drinnen, er trieb auf die Weide bereits die gewaltigen Herden.
Also traten wir ein und betrachteten alles mit Staunen.
Siehe da strotzten von Käse die Körbe und in den Gehegen
drängten sich Lämmer und Ziegen, doch waren sie sorglich geschieden,
Spätlinge dort und die Frühlinge hier und die mittlern besonders.
Ringsum trieften von Molken die Töpfe, die Bütten und Eimer,
die er zum Melken gebrauchte, die trefflich geglätteten. Nunmehr
baten mich erst die Gefährten, vom Käse zu rauben und eilig
fürder zu ziehn, dann schnell zu dem Schiffe die Lämmer und Zicklein
aus den Gehegen zu treiben und rasch zu durchsteuern die Salzflut.
Aber ich hörte sie nicht – und traun, sie rieten das Beste!
Denn ich begehrte ihn selber zu sehn und zu üben das Gastrecht –
ach, nicht sollt' ich des Wirtes mich freuen, noch auch die Gefährten!
So nun zündeten Feuer wir an und opferten, nahmen
selbst auch Käse und speisten und saßen da, seiner gewärtig,
als er das Vieh heimtrieb. Er trug eine mächtige Ladung
trockenen Holzes herbei, damit er das Mahl sich bereite.
Drin in der Höhle warf er es ab, da erscholl ein Getöse,
daß wir zum äußersten Winkel der Felskluft ängstlich entwichen.
Er nun trieb in die Höhle die weiblichen Tiere zum Melken,
aber die Widder und Böcke verwahrte er draußen im Vorhof
in der geräumigen Hürde. Dann schwang er den mächtigen Torstein
hoch in die Höhe und wälzte den wuchtigen leicht vor die Öffnung.
Zwanzig und mehr vierrädrige Wagen von trefflicher Bauart
hätten den Stein niemals vom Boden gerissen – mit solchem
wuchtigen Felsen verschloß wie spielend die Höhle der Riese.
Alsdann saß er und melkte die Schafe und meckernden Ziegen,
alles der Ordnung gemäß, und legte die Jungen ans Euter.
Nunmehr ließ er die Hälfte der Milch allmählich gerinnen,
ballte sie dann zu Käse und barg sie in niederen Körben,
aber die andere Hälfte der Milch verwahrt' er in Töpfen,
um beim Mahle zu trinken und falls ihm sonst es beliebe.

Doch nachdem er so alle Geschäfte mit Eifer vollendet,
zündete Feuer er an und sah uns. Also begann er:
»Fremdlinge, sprecht, wer seid ihr? Wo wagtet ihr euch auf die feuchten
Pfade des Meeres? Führt Handel euch her? Betreibt ihr den Seeraub?
Vielerlei Volk durchkreuzt ja das Meer, nicht achtend des eigenen
Lebens, um Beute zu machen bei andersredenden Völkern.«
So der Kyklop. Da bebte uns allen das Herz vor Entsetzen
über die grimmige Stimme und über ihn selber, den Unhold.
Aber ich faßte mich dennoch und redete also erwidernd:
»Wir sind Griechen, o Herr, vom troischen Ufer verschlagen,
irrten wir über die Fluten des Meers in mancherlei Stürmen.
Heimwärts wollten wir kehren, doch andere Wege und Bahnen
trieben wir. Also fügte es wohl Zeus' waltender Ratschluß.
Kriegsvolk nennen wir uns von des Atreus Sohn, Agamemnon,
dessen gewaltiger Ruhm jetzt hoch zum Himmel emporsteigt.
Denn er zerstörte die mächtige Stadt, er vertilgte die Völker
alle umher. Wir aber, die deinen Knieen genaht sind,
bitten dich, uns zu bewirten und uns das Geschenk zu gewähren,
das zu verlangen des Gastfreunds Recht heißt unter den Menschen.
Scheue die Götter, o Bester, du siehst Schutzflehende vor dir.
Zeus ist der rächende Hort schutzflehender, reisender Gäste,
Zeus, der der Gastliche heißt und rechtlichen Wanderern beisteht.«
Also sprach ich. Doch jener erwiderte grausamen Herzens:
»Töricht bist du, o Fremder, wo nicht von ferne du herkommst,
daß du mich mahnest die Götter zu fürchten und sie zu verehren.
Nichts ja gilt den Kyklopen der aegisschwingende Zeus, nichts
alle die seligen Götter, denn weit vortrefflicher sind wir.
Wahrlich ich schone dich nicht noch die deinigen, weil ich die Strafe
fürchte von Zeus, wo nicht mir das eigene Herz es gebietet.
Aber verkünde mir doch: wo bargst du dein treffliches Fahrzeug?
Ferne am Strand oder hier in der Nähe? Das laß mich erfahren!«
Also sprach er, der Arglist voll. Doch er täuschte den Klugen
nicht, ich entgegnete ihm sogleich mit den listigen Worten:
»Ach, mein Schiff, das zerbrach mir der Ländererschüttrer Poseidon,
der an die Klippe es warf an dem Vorgebirge der Insel,
als ein gewaltiger Sturm vom Meere zum Lande uns hintrieb.
Nur mit diesen allein entrann ich dem jähen Verderben.«
Also sprach ich. Doch nichts entgegnet' er grausamen Herzens,
sondern er sprang in die Höhe und griff mit den mächtigen Händen
zwei der Gefährten und schmetterte sie zu Boden wie junge
Hunde, es spritzte das Hirn ringsum, Blut netzte den Boden.
Drauf zerriß er sie Glied um Glied und bestellte das Mahl sich.
So wie ein Leu im Gebirge verschlang er sie, alles verzehrend,
Eingeweide und Fleisch, ja selbst die markigen Knochen.
Aber wir weinten und hoben beschwörend die Hände zu Zeus auf,
als wir das Gräßliche sahen und unsere Ohnmacht erkannten.

Als nunmehr der Kyklope den mächtigen Wanst sich gefüllet,
menschliches Fleisch einschlingend und drauf den lauteren Milchtrank,
ruhte er lang durch die Höhle gestreckt in der Mitte der Schafe.
Aber ich plante zunächst im mutigen Herzen, ich wollte
leise heran mich schleichen und erst mit den Fingern die Stelle
tastend erspähn, wo dünn nur das Zwerchfell liegt um die Leber,
und mit dem Schwerte sodann ihm die Brust durchbohren. Es hielt mich
aber zurück ein zweiter Gedanke: auch so war der Tod uns
allen gewiß. Wie wäre es möglich mit unseren Händen
weg von der Türe zu wälzen den Felsblock, den er davorschob?
Also saßen wir weinend und harrten der heiligen Frühe.

Aber wie frühe vor Tage die rosige Eos heraufstieg,
zündete Feuer er an und melkte die herrlichen Tiere,
alles der Ordnung gemäß, und legte die Jungen ans Euter.
Doch wie er alle Geschäfte mit Eifer vollendet, da griff er
wiederum zwei der Gefährten heraus und fraß sie zum Frühmahl.
Als er geschmaust nun, trieb er ins Freie die stattliche Herde,
leicht von der Tür weghebend den mächtigen Felsen. Dann schob er
ebenso leicht ihn wieder davor, als ob er den Köcher
rasch mit dem Deckel verschlösse. Dann ließ er draußen den Lockruf
gellend erschallen und führte zu Berge die stattliche Herde.
Aber ich blieb und erwog in dem argesersinnenden Herzen,
wie ich mich rächte an ihm, wenn Ruhm mir verliehe Athena.
Dieser Gedanke erschien mir zuletzt aus vielen der beste:
drinnen lag in dem Pferche des Unholds mächtige Keule,
jetzt noch ein grünender Stamm von Olivenholz, den er getrocknet
später zu tragen gedachte. Er dünkte uns etwa beim Ansehn
gleich dem gewaltigen Maste des zwanzigrudrigen Lastschiffs,
das breitbäuchig die Fracht durch tiefe Gewässer dahinträgt:
Diesem erschien er an Breite, erschien er an Dicke vergleichbar.
Davon hieb ich ein Klafter herunter, und dies den Gefährten
reichend, gebot ich den Pfahl rings glatt zu behauen. Sie taten's
willig sogleich, nun trat ich heran und spitzte ihn vornen
zu, und glühte den Pfahl dann hart in dem lodernden Feuer.
Diesen verbarg ich sodann voll Sorgfalt unter dem Miste,
der in der Höhle umher in unendlicher Menge zerstreut lag.
Nunmehr hieß ich die Freunde, das Los miteinander zu werfen,
welche daran sich wagten, mit mir den geschwungenen Pfahl ihm
tief in das Auge zu bohren, sobald ihm der Schlummer genaht war.
Aber es wählte die viere das Los, die ich selber am liebsten
hätte erkoren; ich trat freiwillig als fünfter zu ihnen.

Jetzt am Abend kam er, der Hirt mit der wolligen Herde.
Aber er trieb sie hurtig hinein in die räumige Höhle
allezusamt und ließ nicht ein einziges draußen im Vorhof,
sei's, daß es ihm ein Gott so eingab, sei's, daß von selbst er
Argwohn faßte. Sodann verschloß er die Tür mit dem Felsblock,
setzte sich nieder und melkte die Schafe und meckernden Ziegen,
alles der Ordnung gemäß, und legte die Jungen ans Euter.
Doch wie er alle Geschäfte mit Eifer vollendet, da griff er
wiederum zwei der Gefährten heraus und fraß sie zum Nachtmahl.
Nunmehr trat ich hervor und hielt einen Napf in den Händen
voll schwarzfunkelnden Weins und redete so zu dem Unhold:
»Trinke, Kyklop, nun Wein, nachdem du Menschen verspeist hast,
daß du erfährst, wie köstlichen Wein wir im Schiffe besaßen.
Dir gedacht' ich damit zu opfern, wofern du aus Mitleid
uns in die Heimat entließest. Jedoch du rasest ja sinnlos.
Gräßlicher Mann, wie soll dir ein anderer nahen in Zukunft
aus den Geschlechtern der Menschen? Du handelst nicht so, wie es recht ist!«
Also sprach ich. Er nahm und trank und freute sich mächtig
über das süße Getränk und forderte gleich noch ein zweites.
»Gib mir noch eines, mein Bester, und sage mir auch, wie du heißest,
gleich auf der Stelle erhältst du sodann ein Geschenk, das dich freun wird.
Auch in dem Land der Kyklopen gebiert ja das fruchtbare Erdreich
wohl großtraubigen Wein, und Zeus schickt Sonne und Wachstum,
aber der deine, der schmeckt nach Ambrosia wahrlich und Nektar.«
So der Kyklop, und ich reichte von neuem den funkelnden Wein ihm,
dreimal schenkt' ich ihm voll und dreimal trank er in Torheit
leer das Gefäß. Doch wie nun der Wein ihm die Sinne umnebelt,
redete so ich zu ihm und begann mit den schmeichelnden Worten:
»Meinen berühmten Namen begehrst du zu wissen? Du sollst ihn
hören, Kyklop. Doch gib das Geschenk auch, wie du versprachest!
›Niemand‹ heißt mein Name. Denn Niemand hießen zu Haus mich
Vater und Mutter, so hießen mich auch die gesamten Gefährten.«
Also ich selbst. Doch jener entgegnete grausamen Herzens:
»Wahrlich den Niemand freß ich zuletzt nach seinen Gefährten,
alle die andern vorher. Dies soll dein Ehrengeschenk sein.«
Sprach's, und rücklings fiel er zu Boden und lehnte zur Seite
seinen gewaltigen Nacken, den feisten. Ihn packte des Schlummers
alles bezwingende Kraft. Doch jetzt entströmten dem Schlunde
Wein und menschliches Fleisch, das trunkenen Mutes er ausbrach.
Schnell nun stieß ich den Pfahl in den glimmenden Haufen von Asche,
daß er zu glühen begänne, und redete meinen Genossen
herzhaft zu, daß keiner zurück jetzt wiche vor Zagheit.
Rasch fing Feuer der Pfahl in der Glut, so grün er auch aussah.
Furchtbar glühte die Spitze. Da trat ich hinzu, und ich trug ihn
hin zu dem Riesen. Es reihten sich rechts und links die Genossen,
aber gewaltigen Mut goß uns in die Seele ein Dämon.
Sie nun stießen die Spitze des Ölbaums ihm in das Auge,
aber ich stemmte mich gegen das Ende und gab ihm die Richtung,
so wie der Schiffsbaumeister dem Bohrer von oben die Richtung
gibt, indes die Gesellen am Riemwerk ziehen, von beiden
Seiten es fassend, damit sich beständig drehe der Bohrer –
also drehten den feurigen Pfahl wir im Auge des Riesen,
und rings troff das gewirbelte Holz von dem siedenden Blute.
Wimpern und Brauen versengte ihm völlig der feurige Gluthauch,
während zischend der Apfel des Augs mit der Wurzel herausrann.
So wie Schmiede das Eisen am Holzbeil oder der Streitaxt
tauchen in kühlendes Wasser, das laut aufzischend emporbraust,
– denn nur so vermögen dem Eisen sie Härte zu geben –
also zischte das Auge des Riesen am glühenden Ölbaum.
Fürchterlich brüllte er jetzt laut auf, daß der Felsen umher scholl
und wir, bebend vor Angst, uns flüchteten. Rasch aus dem Auge
riß er den Pfahl, den blutüberströmten. Dann warf aus der Hand er
ihn auf die Erde und raste vor Wut umher in der Höhle.
Nunmehr rief die Kyklopen er an, laut brüllend, die nahe
hausten in felsigen Höhlen im sturmdurchtobten Gebirge.
Jene vernahmen die Stimme und kamen von daher und dorther,
und um die Höhle sich drängend, erforschten sie, was ihn betrübe:
»Was doch geschah, Polyphemos, zuleide dir, daß du so brülltest
durch die ambrosische Nacht und uns aufwecktest vom Schlummer?
Raubt dir die Herden vielleicht ein Mensch durch freches Beginnen,
oder bedroht er dich selbst durch Arglist oder Gewalttat?«
Doch Polyphem, der Gewaltige, schrie drauf so in der Höhle:
»Niemand mordet mich, Freunde, durch List und nicht mit Gewalttat!«
Aber zur Antwort riefen sie ihm die geflügelten Worte:
»Tut dir keiner ein Leid und bist du allein in der Höhle –
Krankheit, wie sie uns Zeus, der erhabene, sendet, der kann man
nimmer entgehn. Doch bete du nur zu dem Vater Poseidon!«
Riefen's und eilten davon. Doch inniglich lachte das Herz mir,
daß sie die List mit dem Namen getäuscht, den klug ich ersonnen.

Doch der Kyklope, vor Schmerz laut stöhnend und jämmerlich winselnd,
tappte umher mit den Händen und schob von der Türe den Felsen,
setzte sich dann dort nieder und tastete rings mit den Händen,
ob er nicht einen ergriffe, der unter die Herden sich mischend,
ihm zu entrinnen versuche. So gar dumm, hoffte er, sei ich.
Aber ich grübelte nach, was jetzt am besten zu tun sei,
wie ich vom Tod die Genossen und mich gleich ihnen befreie.
Tausend Listen ersann ich und tausend Ränke – es ging ja
jetzt an das Leben uns allen, und fürchterlich drang die Entscheidung.
Dieser Gedanke erschien mir zuletzt aus vielen der beste.

Stattliche Widder standen im Pferche mit buschigem Wollhaar,
groß und trefflich genährt, mit bläulich schimmerndem Vließe.
Diese nun flocht ich zu dreien mit biegsamen Gerten zusammen
heimlich, die Zweige entnahm ich dem Lager, auf welchem zum Schlafe
nachts der Kyklope sich streckte, das rechtlos denkende Scheusal.
Unter den mittleren band ich sodann je einen der Freunde,
während zum Schutze zwei andere Widder zur Seite ihm schritten.
Aber ich selbst erwählte den weitaus stärksten von allen
Widdern und griff ihn am Rücken. Dann glitt ich, zur Seite mich schiebend,
unter den zottigen Bauch und wühlte mich tief in das Fell ein.
Dort nun hielt ich mich fest und hing ausdauernden Herzens.

Aber wie frühe vor Tage die rosige Eos heraufstieg,
stürzten die Böcke begierig hinaus zu der lockenden Weide,
aber es blökten die Schafe und Ziegen mit strotzenden Eutern
harrend, daß der Gebieter sie melke. Doch grimmige Schmerzen
duldend betastete jener von oben die Rücken der Tiere,
wie sie zum Ausgang enteilten. Der Dummkopf ahnte durchaus nicht,
daß ich sie unter die Leiber der wolligen Widder gebunden.
Langsam wandelte jetzt mein Widder als letzter zur Türe
schwer, mit Wolle beladen, mit mir und meinen Gedanken.
Als er den Rücken ihm klopfte, erkannt' ihn der Riese und sprach so:
»Widderchen, liebes, was trabst du als letzter doch heute zum Ausgang?
Niemals bliebst du zurück sonst hinter den andern. Du eiltest
immer als erster mit mächtigen Sätzen zur blumigen Wiese
oder zum strömenden Bache, du warst auch abends der erste,
wenn ihr heimwärts eiltet zum Stall. Jetzt bist du der letzte!
Wahrlich du grämst um das Auge des Herrn dich, das ihm ein Unhold
raubte, nachdem er durch Wein ihn betört, mit der feigen Genossen
Hilfe, der Niemand! Doch dem Verderben entrann er mitnichten.
Wenn du doch Sprache besäßest und dächtest wie ich, daß du mir es
kündetest, wo er sich jetzt vor meiner Rache versteckt hält,
ja dann wollt' ich ihn packen und ihn an die Wände der Höhle
schmettern, daß rings das Gehirn auf dem Boden verspritzte. So fänd' ich
Trost in dem Leid, das der nichtige Schuft mir geschaffen, der Niemand.«

Damit ließ er den Widder ins Freie entwandeln. Doch als wir
uns von der Höhle und seinem Gehöfte ein wenig entfernt sahn,
löste ich mich von dem Widder und löste dann auch die Gefährten.
Nunmehr trieben wir hurtig die trippelnde Herde der feisten
Schafe hinweg und blickten dabei oft ängstlich nach rückwärts,
bis wir zum Schiffe gelangten. Es grüßten uns jubelnd die Freunde,
die wir dem Tode entrannen, doch laut ertönte die Klage
um die Gebliebenen. Doch ich verbot durch Zeichen und Winken
jedem zu klagen und hieß sie die Herde der wolligen Schafe
rasch in das Schiff einladend hinaus in die Fluten zu steuern.
Schnell nun stiegen sie ein und reihten sich über die Bänke,
und sie schlugen im Takt mit den Rudern die weißliche Meerflut.

Als wir jedoch so weit uns entfernt, wie die Stimme des Menschen
reicht, rief laut den Kyklopen ich an mit den höhnenden Worten:
»Also war, o Kyklop, mit nichten der Mann doch ein Schwächling,
dessen Gefährten du drin in der Höhle, du Unhold, hinabschlangst.
Endlich mußten ja wohl die entsetzlichen Taten dich treffen,
Schrecklicher, der du es wagst, in dem eigenen Hause die Gäste
aufzufressen. Nun straften dich Zeus und die anderen Götter.«
Also ich selbst. Da ergrimmte der Riese noch stärker im Herzen,
und von dem nächsten Gebirg brach ab er den Gipfel und warf ihn
hoch durch die Luft. Vor dem Kiele des dunkelgeschnäbelten Schiffes
fiel er ins Meer, hoch rauschte die Flut um den stürzenden Felsblock.
Rückwärts trieb zum Gestade das Schiff die gewaltige Brandung
nahe ans Ufer heran. Da ergriff ich den mächtigen Schaltbaum
fest mit den Händen und stieß es zur Seite. Nun hieß die Genossen
ich in die Ruder sich werfen, damit der Gefahr wir entrönnen.
Eifrig ermahnte ich sie durch Blicke und Winke. Sie stürzten
sich mit Gewalt in die Ruder und ruderten. Als wir jedoch nun
doppelt so weit wie zuvor uns von dem Gestade entfernt sahn,
wollte den Riesen ich wieder verhöhnen. Es suchten die Freunde
mir es zu wehren mit schmeichelnden Worten mich alle umdrängend:
»Schrecklicher, willst du aufs neue den Wüterich reizen? Wozu nur?
Glaubten wir uns nicht alle schon wieder dem Tode verfallen,
als sein gewaltiger Wurf zum Strande hinschwemmte das Fahrzeug?
Wahrlich er hätte die Balken des Schiffs und die Knochen der Mannschaft
fast mit dem zackigen Felsen zermalmt. So weiß er zu schleudern.«
So die Gefährten, doch konnten sie nicht mir den Willen bezwingen,
sondern ich rief aufs neue hinüber mit grollendem Herzen:
»Höre, Kyklop! Wenn je dich befragte der Sterblichen einer,
wegen der schmählichen Blendung des Auges, so gib ihm zur Antwort:
Dessen beraubte mich einstens der Städtezerstörer Odysseus,
er, des Laertes Sohn, der in Ithakas Eiland zu Haus ist.«

Also ich selbst. Er aber entgegnete klagenden Tones:
»Wehe, so ging das uralte Orakel ja doch in Erfüllung!
Denn einst lebte bei uns ein Prophet, so groß wie gewaltig,
Telemos, Eurymos' Sohn, der erprobteste Deuter der Zukunft,
der weissagend im Land der Kyklopen in Ehren ergraute.
Der nun sagte mir alles voraus für die künftigen Zeiten,
daß von Odysseus' Hand ich dereinst mein Auge verlöre.
Aber ich dachte mir immer, es käme ein herrlicher Recke
schön von Gestalt und mit mächtiger Kraft und Stärke gerüstet.
Jetzt hat ein windiger Wicht, so ein Knirps, so ein schwächlicher Weichling
mir mein Auge geblendet, nachdem er mit Wein mich berauscht hat.
Aber so kehre doch um! Ich will dich beschenken, Odysseus,
will dir Geleite erflehen vom Ländererschüttrer Poseidon,
der mich erzeugte und gerne sich rühmt mein Vater zu heißen.
Leicht auch wird er mich heilen, gefällt es ihm. Denn er vermag es
besser als einer der seligen Götter und sterblichen Menschen.«

Also der Riese. Doch ich entgegnete höhnenden Sinnes:
»Könnt' ich so sicher dich nur des Leibs und des Lebens berauben
und in des Hades Behausung dich senden, wie keiner dir jemals
wieder das Auge verleiht – auch nicht der Ländererschüttrer.«
Also ich selbst. Doch jener erhob im Gebete die Hände
hoch zum bestirnten Himmel und wandte sich so an Poseidon:
»Höre mich, Länderumspanner, Poseidon, dunkelgelockter!
Bin ich fürwahr dein Sohn und rühmst du dich meinen Erzeuger,
dann laß nicht heimkehren den Städtezerstörer Odysseus.
Ist es ihm aber bestimmt, zurückzugelangen zur Heimat
in sein ragendes Haus und wiederzusehen die Freunde,
laß ihn spät heimkehren und elend. Alle Gefährten
soll er verlieren und selbst auf fremdem Schiffe nach Hause
kehren und auch in dem Hause des Unheils Fülle erfahren.«
Also flehte er laut. Sein Flehen erhörte der Meergott.

Wiederum warf er nunmehr ein noch viel größeres Felsstück
hoch durch die Luft und setzte die ganze, unheimliche Kraft ein.
Aber es fiel diesseits von dem dunkelgeschnäbelten Schiffe
nieder, es hätte beinahe das Steuer des Schiffes zerschmettert.
Hochauf rauschte die Flut um den stürzenden Felsblock. Doch vorwärts
trieb uns die mächtige Brandung vom Lande hinweg nach der Insel.

Als wir so zu der Insel gelangt, wo die ragenden Kiele
unserer Schiffe am Strande sich reihten und wo die Gefährten
trauernd saßen und unsere Rückkehr ständig ersehnten,
ließen das Schiff wir fest auffahren im Sande der Dünen,
und dann stiegen wir selber heraus an der rauschenden Brandung.
Nunmehr holten wir auch das erbeutete Vieh aus dem Kielraum
und verteilten es. Jeder erhielt den gebührenden Anteil.
Aber den Widder bestimmten für mich die gepanzerten Mannen,
ehe das Teilen begann. Ich bracht' ihn am Ufer dem Zeus dar,
ihm, dem Kroniden, dem wolkenumhüllten, der allen gebietet.
Sorglich verbrannt' ich die Schenkel des Tiers. Doch nahm er das Opfer
nicht an, sondern er dachte daran, wie die ragenden Schiffe
allezusamt er vernichte zugleich mit den trauten Gefährten.

 

3. Menelaos und der Meergreis

Menelaos berichtet dem Telemach, wie er den Proteus Ein Dämon, der die Vielgestaltigkeit des Meeres darstellen soll und daher wie dieses jeder Wandlung fähig ist. überlistete.

Damals hielten mich fest in Ägypten die Götter, wie sehr ich
auch nach der Heimat mich sehnte: ich hatte die richtigen Opfer
nicht vollendet, so wie es sich ziemt. Dort liegt eine Insel
vor des Aigyptos Fluten inmitten des brausenden Meeres.
Pharos nennt man das Eiland. In einem Tage erreicht es
leicht von Ägypten ein Schiff, wenn günstig vom Lande der Wind weht.
Schön ist der Hafen und tief. Dort holen die Schiffer sich frisches
Wasser, bevor sie ins Weite das leicht hingleitende Schiff trägt.
Hier nun hielten die Götter mich fest. Nie wehte in zwanzig
Tagen ein Wind von der Küste zur See hin, wie er den Schiffen
gutes Geleite verheißt auf der Meerflut mächtigem Rücken.
Aber es wäre die Kraft und der Mut den Männern geschwunden,
hätte mich nicht mitleidig der Himmlischen eine gerettet,
Eidothea, die Tochter des meerebeherrschenden Proteus.
Mitleid rührte ihr Herz: sie traf mich, wie ich umherschlich
einsam; denn es umirrten die andern die Insel und suchten
Fische mit Angeln zu fangen. Es quälte uns nagender Hunger.
Nahe heran nun trat sie zu mir und redete also:

»Bist du denn gar so töricht, o Fremdling, oder so sorglos?
Oder verweilst du mit Absicht hier und freust dich der Leiden?
Kannst du den Weg zum Ziele der Fahrt nicht finden, und siehst du
nicht, wie deinen Gefährten das Herz im Leibe sich abhärmt?«
Also jene, und ich entgegnete solches erwidernd:
»Gerne verkünd' ich es dir, o Unsterbliche, wer du auch sein magst.
Nicht mit Willen verweile ich hier. Ich habe gesündigt
wohl an einem der Götter, die hoch den Olympos bewohnen.
Aber verkünde mir du – denn alles erkennt ja die Gottheit –
Wer der Unsterblichen fesselt mich hier? Wer hemmt mir die Pfade?
Sprich, wie gelange ich heim auf des Meers fischwimmelnden Fluten?«
Also ich selbst, da erwiderte schnell mir die herrliche Göttin:

»Traun, dies will ich, o Fremder, der Wahrheit gemäß dir berichten.
Proteus weilt, der Ägypter, dahier, ein unsterblicher Meergreis,
göttlicher Weisheit voll, ein Gebieter im Reiche Poseidons,
welcher die sämtlichen Tiefen der Meere durchspähet. Er ist auch
– also heißt es – mein leiblicher Vater. Vermöchtest du diesen
hier zu beschleichen, der sagte die Fahrt und die Maße des Wegs dir
heimwärts über des Meers fisch wimmelnde schwärzliche Fluten.
Dieser verkündet dir auch, o Göttlicher, falls du es wünschest,
was sich an Gutem und Bösem in deinem Palaste begeben,
seit dich die lange, die leidige Fahrt von der Heimat hin wegtrieb.«
Also jene, und ich entgegnete solches erwidernd:
»Sage du selbst: wie fange ich ihn, den unsterblichen Meergreis,
daß er mich nicht entdeckt und meiner Bedrohung zuvorkommt?
Denn nur schwer überwältigt ein Mensch die unsterbliche Gottheit.«

Also ich selbst. Da erwiderte schnell mir die herrliche Göttin:
»Traun, dies will ich, o Fremder, der Wahrheit gemäß dir berichten.
Wenn zu der Höhe des Himmels die Sonne am Mittag heraufkommt,
dann entsteigt aus der salzigen Flut der untrügliche Meergreis,
unter des Westwinds Wehn von den schwärzlichen Wogen umkräuselt,
kommt und streckt sich zum Schlaf hier aus in den Grotten des Ufers.
Um ihn lagern sich scharend die Kinder der Amphitrite,
alle die schwärzlichen Robben, dem rauschenden Meere entstiegen:
weithin duften sie aus die herben Gerüche der Salzflut.
Dahin will ich dich führen, so bald wie Eos heraufkam,
und zu den Tieren dich lagern. Du wähle dir drei der Gefährten
unter den besten der Männer an Bord der geschnäbelten Schiffe.
Doch ich verkünde dir auch die verderblichen Künste des Greises.
Erst durchwandert der Alte die Scharen der liegenden Robben,
zählt an den Fingern sie ab, durchmustert sie alle und legt sich
mitten hinein in die Herde, so wie bei den Schafen der Hirt ruht.
Sehet ihr nun, daß er eben im Schlafe die Augen geschlossen,
dann, o Fremder, beweist, daß Mut euch weder noch Kraft fehlt.
Haltet ihn fest am Boden, so sehr er zu fliehen sich abmüht,
mag er in Wasser, in Feuer, in allerlei Tiere sich wandeln,
haltet ihn fest und gebet nicht nach und bedrängt ihn nur stärker.
Redet er aber zu euch und nimmt er die erste Gestalt an,
so wie er war, als ihr ihn zuerst im Schlafe erblicktet,
dann laßt ab von Gewalt und löset dem Greise die Fesseln.
Frage ihn dann, o Held, wem du von den Göttern verhaßt bist
und wie heim du gelangst durch des Meers fischwimmelnde Fluten.«
Also sprach sie und tauchte hinab. Hoch rauschte die Flut auf.

Aber gar vieles erwog ich im Herzen, indem ich zurückging
dorthin, wo sich die Schiffe erhoben im Sande der Dünen.
Als ich jedoch hinab zu dem Strand und den Schiffen gelangt war,
nahmen wir alle das Mahl. Dann stieg die ambrosische Nacht auf,
und wir ruhten im Schlafe am Strande des brausenden Meeres.

Doch wie frühe vor Tage die rosige Eos heraufstieg,
ging ich allein zum Ufer der viel durchfahrenen Meerflut,
und ich erflehte die Hilfe der Götter in warmem Gebete.
Drei der Genossen erkor ich mir dann, in gar manchen Gefahren
längst schon trefflich erprobt. Jetzt stieg aus der Tiefe des Meeres
Eidothea hervor. Sie trug vier Felle von Robben,
die sie, den Vater zu täuschen, soeben getötet. Sie grub nun
Lager im Sande der Dünen für uns und harrete unser, –
und wir kamen heran und naheten mutig der Gottheit.
Nebeneinander legte sie uns und hüllte um jeden
eines der Felle. Das war ein entsetzliches Warten, denn gräßlich
setzte der Dunst uns zu von den meersalzduftenden Robben.
Wer wohl lagerte gern bei den Tieren der gräßlichen Tiefe!
Aber die Göttin half und ersann ein herrliches Labsal:
Jeglichem legte sie selbst Ambrosia unter die Nase,
dessen erquickende Düfte den schlimmen Geruch übertäubten.
So verbrachten den Morgen wir dort ausdauernden Herzens.
Jetzt entstiegen dem Meere die Robben in wimmelnden Scharen,
nebeneinander sich lagernd am Strande des brausenden Meeres.
Mittags stieg dann der Greis aus der Flut und ging an den feisten
Robben entlang und besah sie und zählte sie alle behutsam.
Uns auch zählte er mit in den Reihen der Tiere und ahnte
gar nichts von dem Betrug. Zufrieden legt' er sich nieder.
Aber nun brachen mit lautem Geschrei wir hervor und ergriffen
fest mit den Händen den Greis. Da dachte er aller der Künste.
Siehe, zuerst als Löwe erschien er mit stattlicher Mähne,
dann als Schlange, als Panther, sodann als mächtiges Wildschwein,
floß nun als Wasser dahin und ragte als Baum in die Lüfte.
Aber wir hielten ihn fester nur stets ausdauernden Herzens.
Also ermüdeten wir den Zauberer, und er begann nun:
»Welcher Unsterbliche gab dir, o Atreus' Sohn, doch den Plan ein,
daß du mich listig bezwangest im Hinterhalt? Wessen bedarfst du?«
Also der Gott, und ihm entgegnet' ich: »Alter, das weißt du
selber am besten. Was suchst du der Antwort so zu entrinnen?
Lange verweile ich hier und vermag nicht den Weg von der Insel
hin zu dem Ziele der Fahrt zu entdecken, es schwindet die Kraft mir.
Darum verkünde mir du – denn alles erkennt ja die Gottheit –
Wer der Unsterblichen fesselt mich hier? Wer hemmt mir die Pfade?
Sprich, wie gelange ich heim auf des Meers fischwimmelnden Fluten?«

Also ich selbst, und willig erzählte mir alles der Meergreis.


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