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Romulus

 

1. Das Rebhuhn und der Fuchs

Das Rebhuhn saß hoch an einem sichern Ort. Da kam der Fuchs und sprach zu ihm: »Wie schön ist deine Gestalt! Deine Läufe sind hellrot wie Rosen und dein Schnabel wie Korallen. Aber im Schlafe bist du noch schöner!« Das Rebhuhn glaubte ihm und schloß die Augen – und mit einem Satze raubte es der Fuchs. Aber das Rebhuhn sprach unter Tränen: »Bei deinen trefflichen Künsten flehe ich dich an, daß du mich erst beim Namen nennst. Dann magst du mich fressen!« Als aber der Fuchs das Rebhuhn beim Namen nennen wollte, mußte er das Maul öffnen – und das Rebhuhn entwich. Traurig sprach der Fuchs: »Was mußte ich auch reden?« Antwortete das Rebhuhn: »Was mußte ich die Augen schließen, da mir doch kein Schlaf kam?«

Denjenigen, die reden, wo sie's nicht Not haben und, wenn sie wachen sollten, schlafen.

 

2. Der Kranich und die Krähe

Der Kranich und die Krähe hatten einander zugeschworen, daß der Kranich die Krähe gegen andere Vögel verteidigen wolle und daß ihm dafür die Krähe als Seherin die Zukunft eröffnen solle. Als sie nun zusammen öfters den Acker eines Bauern heimsuchten und das gesäte Korn gänzlich ausrupften, sah das der Besitzer mit Schmerzen und sagte zu seinem Jungen: »Gib mir einen Stein!« Da warnte die Krähe den Kranich, und sie waren vorsichtig. Auch am andern Tag warnte die Krähe den Kranich, er solle sich vor Mißgeschick hüten, da sie hörte, daß jener einen Stein forderte. Da erwog der Mann, daß die Krähe Sehergabe besitze, und sagte dem Jungen: »Wenn ich dir sage: ›Gib mir ein Brot!‹, so gib mir einen Stein.« Er ging nun auch zu dem Jungen und verlangte ein Brot, aber jener gab ihm einen Stein. Damit warf er den Kranich und zerschmetterte ihm ein Bein. Da fragte der verwundete Kranich die Krähe: »Wo sind nun deine göttlichen Vorzeichen? Warum hast du mich nicht gewarnt, daß mir das zustoßen sollte?« Sie antwortete: »Meine Weisheit verdient keinen Vorwurf, aber schändlich sind die Listen aller Schlechten, die anders denken als sie reden.«

Denjenigen, die durch Versprechungen die Unschuldigen verleiten und nachher kein Bedenken tragen, sie zu mißhandeln.

 

3. Das Pferd und der Mensch

Man sorge dafür, daß wir nicht selbst betrogen werden, während wir andere zu schädigen suchen.

Pferd und Hirsch lebten miteinander in Feindschaft. Da nun das Pferd sah, daß der Hirsch in allen Dingen besser gebaut sei, höher, mit schlankerem und zierlicherem Körper, mit stattlichem Geweih, da ging es von Scheelsucht angestachelt zum Jäger. Und zu ihm sprach es: »In der Nähe weilt ein prachtvoller Hirsch. Wenn du ihn mit deinem Jagdspieß durchbohrst, so wirst du herrliches Fleisch zur Nahrung haben. Auch seine Hörner, sein Fell und seine Knochen wirst du um nicht geringen Preis verkaufen können.« Von Habgier getrieben, fragte der Jäger: »Aber wie werden wir den Hirsch fangen können?« Und das Pferd sprach zum Jäger: »Ich will dir anzeigen, wie du durch meine Hilfe den Hirsch fangen kannst. Setze dich auf mich, und wenn ich ihn eingeholt habe, so schleudere den Jagdspieß auf ihn. Hast du ihn dann verwundet und getötet, so ist die Jagd zu Ende, und wir beide werden uns freuen.« Daraufhin bestieg der Jäger das Pferd und scheuchte den Hirsch auf und sprengte hinter ihm her. Aber der Hirsch vergaß die ihm von der Natur verliehenen Gaben nicht, streckte seine raschen Beine, sprang über Berg und Tal und floh unverletzt schnellen Laufes in den Wald. Als aber das Pferd merkte, daß es vom starken Schweiß sehr angegriffen und von der Müdigkeit ganz gebrochen war, soll es so gesprochen haben: »Was ich erreichen wollte, mißlang mir. Steige also ab und lebe wie früher!« Aber der Reiter droben sprach: »Du kannst mir nicht entlaufen, weil du den Zaum im Munde trägst, und keine Sprünge machen, weil dich der Sattel belastet. Und wenn du nach mir treten willst, so habe ich die Geißel in der Hand.«

Die Fabel schilt diejenigen, die sich selbst knechteten, während sie andern schaden wollten.

 

4. Der Adler und die Weihe

Die Pointe der Fabel kommt im Deutschen nicht recht heraus. Im Lateinischen ist der Adler (aquila) als weiblich und als Königin der Vögel gedacht, die Weihe (milvus) als männlich.

Da der Adler sich traurig auf den Baum setzte, auf dem schon die Weihe saß, fragte ihn die Weihe: »Warum sehe ich dein Angesicht so traurig?« Und jener antwortete: »Wie soll ich nicht traurig sein, da ich eine ebenbürtige Ehegenossin suche und nicht finden kann?« Da sagte die Weihe: »Nimm mich, da ich dir überlegen bin, wie du es verlangst.« Drauf der Adler: »Was also kannst du erjagen?« Die Weihe: »Oft habe ich einen Strauß erjagt und mit meinen Fängen zerrissen.« Als der Adler das hörte, gab er sich zufrieden und nahm die Weihe zur Ehe. Als aber die Zeit, die man der Hochzeitsfeier gewidmet hatte, vorbei war, sagte der Adler zu ihr: »Nun gehe hin und hole uns Beute, so wie du versprochen hast.« Da flog die Weihe in die Höhe und brachte eine abscheuliche Maus zurück, die schon ganz in Verwesung übergegangen war. »Hältst du so dein Versprechen?« fragte der Adler. Da antwortete die Weihe: »Und wenn du mir auch das unmöglichste Versprechen hättest entreißen wollen, ich hätte dir alles zugesagt, nur um die Ehe mit dir durchzusetzen.«

Den Weibern, die einen reicheren Gatten erstreben und sich so den Unwürdigsten zugesellen.

 

5. Die Schwalbe und die Vögel

Wer nicht auf guten Rat hört, wird den Schaden am eigenen Leib spüren, wie folgende Fabel beweist.

Einst sahen die Vögel, wie Lein gesät und eingepflügt wurde, aber sie alle legten dem kein Gewicht bei. Nur die Schwalbe durchschaute die Sache, berief eine Versammlung und erstattete dort Bericht, daß damit den Vögeln Unheil drohe. Aber die Vögel verkannten das und verlachten die Schwalbe. Als aber das Kraut aus der Erde kam und Frucht trug, sagte die Schwalbe wieder: »Das ist ein übles Ding. Auf, laßt es uns ausreißen! Denn wenn es herangereift ist, machen die Menschen Netze daraus, um uns mit ihren Händen fangen zu können.« Aber jetzt wie vorher verlachten alle den Rat der Schwalbe und verachteten ihre Worte ganz und gar. Das bedachte die Schwalbe und siedelte zu den Menschen über, auf daß sie unter ihrem Dache sicher wäre. Aber die andern Vögel, die ihren Rat verlacht hatten, fallen nun immer in der Menschen Netze.

 

6. Die Nachtigall und der Habicht

Wer andern nachstellt, hüte sich, daß er nicht selbst gefangen werde.

Der Habicht setzte sich in ein Nachtigallennest, um von da nach einem langohrigen Hasen auszuspähen. Da sah er plötzlich neben sich die zarten Jungen der Nachtigall. Aber schon kam diese selbst mit Futter für ihre Brut herbei und bat ihn, ihre Jungen zu verschonen. »Ich will deinen Wunsch erfüllen,« sprach jener, »wenn du mir schön vorsingst.« Obgleich ihr die Sinne zu schwinden drohten, sang jene notgedrungen. Doch der beutegierige Habicht brach den Vertrag und sagte: »Du hast eben nicht schön gesungen.« Und damit ergriff er eines der Vögelchen und begann es zu zerreißen. Aber von der andern Seite war der Vogelsteller herangetreten, hob leis die Rute hinan, so daß der Habicht am Leim klebte, und zog ihn zur Erde hernieder.

 

7. Der zärtliche Esel

Niemand lasse sich auf Dinge ein, die ihm nicht anstehn.

Der Esel sah, daß der Herr täglich sein Hündchen streichelte, daß er es vom eigenen Tisch fütterte und daß auch die ganze Familie ihm viel Schönes schenkte. Da soll er so gesprochen haben: »Wenn mein Herr dieses unsauberste aller Tiere so liebt und mit ihm die ganze Familie, wieviel mehr noch wird er mich lieben, wenn ich mich ihm in Gehorsam und Liebe zugetan zeige. Denn ich bin viel besser als der Hund und in vielen Dingen nützlicher. Ich werde mit dem Wasser heiliger Quellen getränkt, und mir wird saubere Speise gereicht. Ich habe ein Anrecht auf ein besseres Leben und auf die höchsten Ehren.« Wie er gerade so philosophiert hatte, sah er den Herrn ins Haus kommen. Er lief ihm rasch mit lautem Freudengeschrei entgegen, blieb vor ihm stehen, sprang in die Höhe und legte ihm die Vorderbeine auf beide Schultern. Dann beleckte er ihn mit seiner Zunge und besudelte ihm das Gewand mit dem Speichel, der aus seinem Maule floß. Dabei drückte das schwere Gewicht seines Körpers den Herrn fast zu Boden. Wie nun durch das Schreien des Herrn das ganze Hausgesinde zusammengeströmt ist, da greifen sie zu Knütteln und Steinen und machen den üppigen Esel mürbe. Schließlich schleppten sie den Esel mit zerbrochenen Rippen und zerwalkten Gliedern halbtot an seine Krippe.

Die Fabel lehrt, daß kein Unwürdiger sich vordrängen soll, um eines Besseren Stelle einzunehmen.

 

8. Der Wolf und der kranke Esel

Der Wolf besuchte den kranken Esel, betastete seinen Körper und fragte ihn, welche Glieder ihn am meisten schmerzten. Da sprach das Langohr: »Diejenigen, die du berührst.«

So sind schlechte Menschen, auch wenn sie sich stellen, als wollten sie uns nützen, und heuchlerisch wohlwollende Worte sprechen, immer mehr darauf aus, uns zu schaden.

 

9. Der Löwe und der Mensch

Es ist ein Zeichen wahrer Tüchtigkeit, mit Taten zu beweisen, nicht mit Worten. Aber höre davon folgende Fabel.

Als der Mensch und der Löwe miteinander stritten, wer stärker sei, und für diese Streitfrage einen Beweis suchten, kamen sie zu einem Grabmal. Auf diesem war abgebildet, wie ein Löwe von einem Menschen erwürgt wurde. Der Mensch zeigte also jenem diesen Beweis im Bilde. Der Löwe aber antwortete: »Das ist von einem Menschen gemalt. Wenn die Löwen malen könnten, würdest du oft genug gemalt sehn, wie der Löwe den Menschen erwürgt. Aber ich werde dir ein wahrhaftiges Zeugnis geben.« Und der Löwe führte den Menschen in ein Amphitheater und zeigte ihm dort tatsächlich, wie ein Mensch von einem Löwen erwürgt wurde, und sagte: »Das ist kein gemalter Beweis, sondern ein Beweis in Tatsachen.«

(Der Mensch antwortete: »Du hättest gesiegt, wenn du mir nicht einen an einen Pfahl gebundenen Menschen gezeigt hättest. Nimm also an, daß du in der Tat unterlegen bist, und lerne Maß halten und einsehen, daß der Löwe vom Menschen gefesselt wird, damit er sich nicht wild und unbändig gebärdet.«)

 

10. Die durstige Krähe

Was man nicht mit Gewalt erreicht, erreicht man mit Klugheit.

Eine durstige Krähe fand eine zur Hälfte mit Wasser gefüllte Flasche und wollte sie umwerfen. Aber die Flasche stand so fest, daß sie sie nicht erschüttern konnte. Da erfand die Krähe folgenden Kunstgriff. Sie nahm Steinchen und warf sie in die Urne, und infolge der vielen Steine floß allmählich das Wasser in der Urne über. Und so konnte die Krähe ihren heißen Durst löschen.

 

11. Die Schnecke und der Spiegel

Eine Schnecke fand einen Spiegel und gewann ihn lieb, da er so gar schön glänzte. Sofort kroch sie über die ganze Spiegelfläche und beleckte sie überall. Aber sie erreichte dadurch nur, daß sie seinen hellen Glanz durch ihren schmutzigen Schleim entstellte. Als nun der Affe den Spiegel so beschmutzt fand, sagte er: »Wer sich von solchem Volk betasten läßt, verdient sein Los.«

Den Frauen, die sich törichten und ganz unnützen Männern verbinden.

 

12. Der Affenkaiser

Schlechte Menschen pflegen von jeher Trug und Schmeichelei gern zu sehen, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Redlichkeit aber zu tadeln, worüber uns die unten folgende Fabel belehrt.

Zwei Menschen, ein verlogener und ein wahrhaftiger, machten eine Reise miteinander. Wie sie nun so wanderten, kamen sie ins Affenreich. Als man sie dort gesehn hatte, befahl derjenige, der sich zum Obersten aller Affen gemacht hatte, sie festzunehmen und auszufragen, was sie von ihm dächten. Vorher aber ließ er alle die andern abgeschmackten Affen antreten, rechts und links vor ihm, in langer Reihe, und für sich selbst einen Thron gegenüberstellen, so wie er es einst den Kaiser hatte tun sehn. So also ließ er sie antreten. Nun wurden jene beiden Menschen vor die Menge geführt. Der Oberste der Affen aber fragte: »Wer bin ich?« Da sagte der Lügner: »Du bist der Kaiser.« Und wieder fragte er: »Und die, die du hier vor mir stehn siehst, was sind die?« Wieder antwortete der Lügner: »Das sind deine Würdenträger, deine Hauptleute und Exerziermeister und die übrigen Beamten.« Dafür ließ der Affe, der mit seiner Bande von ihm wahrheitswidrig gelobt worden war, ihn belohnen, weil er ihm geschmeichelt und von ihnen allen geschwindelt hatte. Der andere aber, der wahrhaftige Mensch dachte bei sich: »Wenn jener, der von Natur verlogen ist und in allem gelogen hat, so empfangen und belohnt worden ist, wie wird es mir ergehn, wenn ich die Wahrheit sage?« Während er noch so bei sich dachte, fragte jener Affe, der als Kaiser gelten wollte: »Sprich du, wer bin ich und die, die du hier vor mir siehst?« Aber jener, der die Wahrheit immer geliebt hatte und gewohnt war, sie immer zu sagen, sprach: »Ein Affe bist du, und diese alle hier sind Affen wie du.« Sofort erging der Befehl, ihn mit Zähnen und Krallen zu zerreißen, weil er die Wahrheit gesagt hatte.

 

13. Die Hämmel und der Metzger

Verwandte und Freunde, die nicht einträchtig zueinander halten, gehen elend zugrunde, wie das die untenfolgende Fabel lehrt.

Als die Hämmel und die Widder dichtgedrängt beieinander waren und merkten, daß der Metzger unter sie trat, stellten sie sich, als ob sie ihn nicht sähen. Als sie aber wahrnahmen, daß einer von ihnen von des Fleischers mörderischer Hand ergriffen, weggeschleppt und getötet wurde, bekamen sie auch so noch keine Angst und sprachen sorglos zueinander: »Mich rührt er nicht an, dich rührt er nicht an, lassen wir ihn also den nur wegschleppen, den er hat.« Auf diese Weise blieb schließlich nur noch einer übrig. Als dieser sah, daß nun auch er weggeschleppt werde, soll er so zum Metzger gesprochen haben: »Wir verdienen es, daß wir von einem Manne alle einzeln niedergemetzelt werden, da wir jetzt erst zur Vernunft kommen und nicht, als wir noch alle beieinander waren und dich in unsere Mitte treten sahen, dich mit Kopfstößen umgestürzt, zertreten und getötet haben.«


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