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Aus Aelians »Bunten Geschichten«

 

1. Ein Vater / der den eigenen Sohn zum Tode verurteilen lässt

Ein Mann aus dem Stamme der Marder Volksstamm in den südwestlichen Randgebirgen des iranischen Hochlands. namens Rhakokes hatte sieben Söhne, von diesen tat der jüngste, der Kartomes hieß, seinen Brüdern viel Böses an. Anfangs versuchte der Vater, ihn durch Vorstellungen zurechtzuweisen und zur Ordnung zu bringen, doch ohne Erfolg. Als nun die Richter aus der Gegend an die Stätte kamen, wo der Vater des Jünglings wohnte, da packte jener das Bürschlein und führte es, die Hände auf den Rücken gefesselt, vor die Richter. Dort legte er alles eingehend dar, wessen der Jüngling sich gegen ihn unterfangen hatte, erhob Klage gegen ihn und verlangte von den Richtern seine Hinrichtung. Doch diese entsetzten sich und sprachen sich selbst das Recht ab, ein solches Verdammungsurteil auszusprechen; daher verwiesen sie beide vor den Perserkönig Artaxerxes.

Als nun Rhakokes auch dort seine Rede wiederholte, nahm der König das Wort und sprach: »So fühlst du dich stark genug, den eigenen Sohn vor deinen Augen hinrichten zu sehen?« »Ganz gewiß«, war die Antwort. »Denn wenn ich in meinem Garten die bitteren Auswüchse der Lattichstauden abbreche und wegnehme, kränkt sich die Pflanze durchaus nicht, nein, sie sproßt nur noch freudiger und wird größer und süßer. So werde auch ich, o König, wenn ich sehe, daß der Schädling meines Hauses und seiner Brüder vertilgt und seinen Schlechtigkeiten gegen sie ein Ende gemacht wird, sowohl selber gedeihen, wie auch die übrigen Glieder meines Geschlechtes in gleichem Glücke sehen.«

Ob dieser Rede lobte Artaxerxes den Rhakokes und machte ihn zu einem der königlichen Richter, »denn«, sagte er zu den Anwesenden, »wer sich bei den eigenen Kindern so gerecht erweist, der wird gewiß auch in fremden Angelegenheiten ein gewissenhafter und unbestechlicher Richter sein.« Aber auch dem Jüngling erließ er für diesmal die verdiente Strafe, bedrohte ihn aber mit der schwersten Art der Todesstrafe für den Fall, daß er nach seinen früheren Freveln sich wieder bei neuen betreten lasse.

 

2. Chariton und Melanippos

Ich will euch eine Tat von Phalaris Tyrann von Agrigent in Sizilien (um 560 v. Chr.), dessen Grausamkeiten sprichwörtlich geworden waren. erzählen, die nicht recht zu seinem Charakter stimmt, denn sie zeugt von sieghafter Menschenliebe und scheint darum seinem Wesen fremd.

In Agrigent lebte Chariton, ein Mann empfänglich für alles Schöne, der auch vom Zauber blühender Jünglingsschönheit besonders lebhaft ergriffen wurde. So war er besonders zu Melanippos in glühender Liebe entbrannt, einem Jüngling von trefflichem Geiste und ausnehmender Schönheit. Diesen Melanippos, der ebenfalls aus Agrigent war, hatte Phalaris einmal gekränkt: in einem Rechtsstreit, den er gegen einen persönlichen Freund des Tyrannen hatte, griff dieser mit dem Befehle ein, die Klage einzustellen, und als der Jüngling sich nicht fügen wollte, bedrohte er ihn mit den schlimmsten Folgen eines etwaigen Ungehorsams. So siegte also der Gegner wider alles Recht durch solch gewaltsamen Machtspruch des Phalaris; sogar die Klageschrift ließen die Beamten verschwinden.

Über diese Vergewaltigung erbittert ließ der Jüngling seiner Entrüstung gegen seinen Liebhaber freien Lauf und verlangte von diesem, er solle sich an einem Attentat auf den Tyrannen beteiligen; auch suchte er die größten Hitzköpfe unter den jungen Leuten, deren Geneigtheit zu einem solchen Unternehmen ihm wohlbekannt war, zur Teilnahme an der Verschwörung zu gewinnen. Da nun Chariton ihn in seinem leidenschaftlichen Feuer und lodernden Zorne sah und zugleich darüber klar war, daß die Furcht vor dem Tyrannen jeden ihrer Mitbürger davon abhalten werde, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen, so erklärte er ihm, das sei schon längst auch sein Begehren gewesen, er trachte mit allem Eifer danach, die Vaterstadt aus der Knechtschaft, in die sie geraten, zu befreien; aber es wäre gefährlich, wenn so etwas unter die Leute käme. Darum verlangte er von Melanippos, er solle die genauere Erwägung ihm anheimstellen und es ihm überlassen, den zum Handeln geeigneten Zeitpunkt abzuwarten. Der Jüngling gab sich damit zufrieden, und somit hatte Chariton das ganze Wagestück auf seine Schultern genommen. Den Geliebten wollte er nicht mit dabei haben, damit im Falle der Entdeckung nur er bestraft würde und er nicht auch jenen in gleiche Not bringe. Sobald die Gelegenheit ihm günstig schien, machte er sich, mit einem Dolche bewaffnet, gegen den Tyrannen auf. Aber da die Leibwächter gegen solche Anschläge sehr scharf aufpaßten, wurde er ertappt. Phalaris ließ ihn ins Gefängnis werfen und foltern, damit er seine Mitverschworenen angebe, doch Chariton blieb standhaft und fest bei allen Martern. Dies zog sich ziemlich lange hin, währenddessen aber war Melanippos zu Phalaris hingegangen und hatte diesem gestanden, daß er nicht nur mit Chariton gemeinsame Sache gemacht habe, sondern daß von ihm sogar der Gedanke des Attentats ausgegangen sei. Auf die Frage des Tyrannen nach seinen Beweggründen erzählte er die Geschichte von Anfang an und die Niederschlagung seiner Klage und gestand, wie übermäßig hart er diese Kränkung empfunden habe. Phalaris aber erließ voll Bewunderung beiden die Strafe und befahl ihnen nur, noch selbigen Tages nicht allein die Stadt Agrigent, sondern auch ganz Sizilien zu verlassen, dagegen erlaubte er ihnen, die rechtmäßigen Einkünfte aus ihrem Eigentum weiter zu beziehen.

Diese beiden und ihre Freundschaft hat später die Pythia in folgenden Versen gepriesen:

»Göttlicher Freundschaft Vorbild wurdet ihr sterblichen Menschen,
Chariton und Melanipp, glücklich nenn' ich das Paar.«

Also nannte der Gott ihre Liebe eine göttliche Freundschaft.

 

3. Makareus

In Mytilene lebte ein Priester des Dionysos, Makareus mit Namen, der war dem Anscheine nach ein sanftmütiger und braver Mann, in Wirklichkeit aber einer der ruchlosesten Menschen. Als zu dem einst ein Fremder kam und eine Menge Goldes zum Aufbewahren bei ihm hinterlegte, grub Makareus im geheimsten Winkel des Tempels ein Loch in den Boden und verscharrte dort das Gold. Nach einiger Zeit kam der Fremde wieder und verlangte sein Gold zurück. Da führte ihn jener ins Innere des Tempels, wie wenn er's ihm da geben wollte, und ermordete ihn. Dann grub er das Gold aus und verscharrte an seiner Stelle den Leichnam des Fremden. Und nun vermeinte er, die Tat verbleibe dem Gott ebenso verborgen wie den Menschen; – aber es sollte ganz anders kommen.

Kurze Zeit darauf wurde das alle drei Jahre wiederkehrende große Hauptfest des Gottes gefeiert, bei dem Makareus ein glänzendes Opfer darbrachte. Während er nun mit dem Zug der Bacchanten zu tun hatte, waren seine beiden Söhne im Hause zurückgeblieben. Die wollten die priesterlichen Handlungen des Vaters nachahmen: sie traten vor den Altar, auf dem noch das Fleisch der Opfertiere brannte: der jüngere Knabe hielt den Hals hin, der ältere aber ergriff ein aus Versehen liegen gebliebenes Messer und schlachtete damit seinen Bruder wie ein Opfertier. Bei diesem Anblick erhoben die Leute im Hause ein lautes Geschrei, so daß die Mutter es hörte und herausstürzte. Kaum hatte sie den einen Sohn tot, den anderen mit dem blutüberströmten Messer in der Hand erblickt, da riß sie ein halbverbranntes Scheit Holz vom Altare und erschlug damit ihren Knaben. Auf die Kunde von diesem Unglück verließ Makareus die Feier, rannte voll Zorn und Wut, wie er war, ins Haus zurück und erschlug mit dem Thyrsusstab, den er noch in der Hand hielt, sein Weib. Das Gerücht verbreitete diese Greuel allenthalben; Makareus wurde verhaftet und gestand auf der Folter den ganzen Frevel, den er im Tempel verübt hatte, dann gab er noch unter den Martern seinen Geist auf. Sein armes Opfer aber, das auf so verbrecherische Weise ums Leben gekommen, erhielt auf Befehl des Gottes von Staatswegen ein ehrenvolles Begräbnis. Es hat also Makareus seine Tat durch eine wie der Dichter Ilias 4, 162. sagt »nicht zu tadelnde« Strafe gebüßt; »mit eigenem Haupte, dem Haupte der Frau und dem Haupte der Kinder.«

 

4. Rhodopis

Rhodopis war, wie die Ägypter erzählen, eine sehr schöne Hetäre. Als sie einmal badete, da verschaffte ihr die Glücksgöttin, die so gerne das Seltsame und Unerwartete herbeiführt, eine Ehrung, die sie, wenn auch nicht um ihrer Gesinnung, so doch um ihrer Schönheit willen verdiente. Während sie sich im Bade befand und die Dienerinnen ihre Kleider bewachten, schoß ein Adler herab, ergriff einen ihrer Schuhe und flog mit seinem Raube davon bis nach Memphis, wo eben der König Psammetich Gericht hielt. Dort ließ er den Schuh dem König in den Schoß fallen. Die anmutigen Linien des Schuhes und die zierliche Arbeit daran erregten ebenso des Königs Verwunderung wie die Tat des Vogels, er gab also Befehl, in ganz Ägypten nach der Trägerin des Schuhes zu forschen. Sie wurde gefunden, und er machte sie zu seiner Gemahlin.

 

5. Hanno

Der Karthager Hanno war so übermütig, daß er sich nicht in den Grenzen der menschlichen Natur halten wollte, sondern darauf sann, Gerüchte über sich zu verbreiten, als sei er ein höheres Wesen, und war doch ein Mensch wie andere. So kaufte er denn eine große Anzahl Singvögel zusammen, hielt sie in einem dunklen Raum und lehrte sie nur immer den einen Satz nachsprechen: »Hanno ist ein Gott«. Als dann die Vögel diese Worte, die einzigen, die sie hörten, gut sprechen konnten, ließ er sie nach allen Richtungen davonfliegen, in der Erwartung, nunmehr müsse das Lied von Hanno aus Vogelmund überall hin dringen.

Allein kaum waren denen einmal die Schwingen gelöst und die Freiheit gewonnen, da kehrten sie wieder in ihre alten Wohnplätze zurück und sangen, wie ihnen der Schnabel gewachsen war und wie's die Musen den Vögeln eingeben. Von Hanno aber und dem, was sie in der Gefangenschaft gelernt, wollten sie nichts mehr wissen.

 

6. Die schöne Aspasia

Aspasia von Phokäa Diese Aspasia ist nicht identisch mit der berühmten Geliebten des Perikles, die ein Menschenalter früher lebte; wohl aber hat sie Kyros nach dieser Aspasia genannt., die Tochter des Hermotimos, hatte ihre Mutter bei der Geburt verloren. So wuchs sie ohne Mutter auf und wurde zwar in Armut, aber doch züchtig und streng erzogen. Sie hatte andauernd den nämlichen Traum, der ihr Gutes prophezeite und ein künftiges Glück andeutete, das sie an der Seite eines schönen und wackeren Mannes finden werde.

Noch als Kind bekam sie einmal im Gesicht dicht am Kinn ein Gewächs, das sehr garstig anzusehen war, so daß Vater und Tochter darüber recht betrübt waren. Daher ging jener zu einem Arzte und zeigte ihm das Kind. Der Arzt versprach auch Heilung, aber gegen eine Belohnung von drei Goldstücken. Als aber der Vater sagte, so viel habe er nicht, erwiderte jener, er bekomme seine Heilmittel auch nicht geschenkt. Darüber war Aspasia natürlich recht traurig und ging weinend von dannen; und als sie darauf den Spiegel vornahm und sich darin beschaute, war sie erst recht betrübt. Vor Herzeleid berührte sie gar keine Speise mehr, bis sie endlich in willkommenen Schlaf verfiel. Aber im Schlafe erschien ihr eine Taube, die sich in eine Frau verwandelte und zu ihr sprach: »Sei getrost und gib den Ärzten mit samt ihren Mitteln den Laufpaß, nimm dafür alle welken Rosenkränze der Aphrodite, so viele du findest, zerreibe sie und mache davon einen Umschlag auf das Gewächs.« Das Mägdlein tat, wie ihr geheißen, und siehe, das Gewächs verschwand: Aspasia, der die schönste der Göttinnen ihre Holdseligkeit wieder geschenkt hatte, war wieder die Schönste unter ihren Gespielinnen.

Ihr war eine Fülle der Reize verliehen, wie keiner anderen Jungfrau jener Zeit. Ihr Haar war blond und leicht gekräuselt, die Augen groß, die Nase leicht gebogen, die Ohren ganz allerliebst, ihre Haut zart. Die Farbe ihrer Wangen glich den Rosen, so daß die Phokäer sie noch in den Kinderjahren »schön Rottraut« Im Original: »Milto«, d. h. die Rötel- oder Mennigfarbene. nannten. Ihre Lippen schimmerten rot, und die Zähne waren weißer als Schnee; die Füße und Knöchel fein gebaut, so wie Homer in seiner Sprache die schönsten Frauen »schlankfüßig« nennt. Dazu hatte sie eine süße, liebliche Stimme: wer sie sprechen hörte, konnte wohl meinen, eine Sirene zu vernehmen. Sie war auch ganz frei von aller weiblichen Vielgeschäftigkeit und Fürwitz, dergleichen Eigenschaften ja der Reichtum gerne mit sich bringt; Aspasia aber war in Armut unter den Augen ihres gleichfalls armen Vaters herangewachsen, sie brauchte sich keinerlei überflüssigen Schmuck und Zutat für ihre Schönheit zu borgen.

Einstmals kam Aspasia zu Kyros, dem Sohne des Dareios Dareios Nothos 424-404 v. Chr. und der Parysatis, dem Bruder des Artaxerxes, jedoch nicht aus eigenem Antrieb oder weil ihr Vater sie aus freien Stücken hingesandt hatte, sondern sie war gewaltsam gezwungen worden. Dies kam öfters vor, wenn Städte erobert waren oder Tyrannen oder Statthalter sich Gewalttaten erlaubten. So hatte auch einer der Statthalter des Kyros Aspasia mit anderen Jungfrauen zusammen dem Kyros zuführen lassen, und sehr bald erhielt sie dank ihrem schlichten Wesen und sittsamen Auftreten und ihrer unverkünstelten Schönheit den Vorzug vor den übrigen Nebenfrauen des Fürsten. Ganz besonders aber trug ihr kluger Verstand dazu bei, daß Kyros sie mehr als alle liebte; oftmals holte er in dringenden Fällen ihren Rat ein und brauchte es nie zu bereuen, ihn befolgt zu haben.

Das erstemal, als Aspasia zu Kyros kam, hatte er eben gespeist und wollte nach persischer Sitte zum Trinken übergehen. Denn wenn die Perser zur Genüge gegessen haben, so rüsten sie sich zum Trinken, als gälte es einem Feinde, und überlassen sich dann ganz dem Weine und dem Zechen. Mitten im Gelage nun werden dem Kyros vier griechische Jungfrauen vorgeführt, unter denen sich auch unsere Aspasia aus Phokäa befand. Alle waren aufs schönste geschmückt; den drei anderen hatten ihre Frauen, die sie ans Hoflager begleitet hatten, die Haare durchflochten und das Gesicht mit Schminke und anderen Mitteln schön gemacht. Auch waren sie von ihren Lehrmeistern unterwiesen worden, wie man dem Kyros unter die Augen treten, auf welche Weise man sich bei ihm einschmeicheln müsse, daß man sich, wenn er herantrete, nicht abwenden, seine Berührungen nicht übelnehmen, sich seinen Küssen nicht entziehen dürfe; kurz, lauter Künste und Belehrungen, wie sie sich so recht für Dirnen und Buhlerinnen eignen, die aus ihrer Schönheit ein Gewerbe machen. So suchte denn jede die andere durch ihre Schönheit auszustechen. Aspasia dagegen wollte weder ein kostbares Gewand anziehen, noch hielt sie's für recht, ein buntdurchwirktes Tuch umzulegen, auch verstand sie sich nicht zum Baden; vielmehr verwahrte sie sich hoch und heilig, flehte zu allen Griechengöttern als den Beschützern der Freiheit, rief den Namen ihres Vaters an und verfluchte ihn und sich; denn sie war fest überzeugt, wenn sie ein für sie so ungewohntes Schleppkleid und zugleich so übermäßig reichen Putz anlege, so bedeute das offenkundige und zugestandene Sklaverei. Schließlich aber wurde sie durch Schläge genötigt, die Kleider anzulegen, und fügte sich, wenn auch voll Betrübnis darüber, daß man sie zwinge, sich nicht wie eine Jungfrau, sondern wie eine Buhlerin zu gebaren. Und während die andern nun bei ihrem Eintritt den Kyros lächelnd und mit erkünstelter Heiterkeit anblickten, schlug Aspasia die Augen zu Boden, flammende Röte bedeckte ihr Antlitz, ihre Augen füllten sich mit Tränen, und ihr ganzes Benehmen zeigte, wie sehr sie sich schämte. Und als Kyros die Mädchen aufforderte, neben ihm Platz zu nehmen, da gehorchten die anderen und zwar ganz munter, die Phokäerin aber blieb taub gegen seinen Befehl, bis der Statthalter, der sie eingeführt hatte, sie zum Sitzen nötigte. Als nun Kyros die Mädchen anfaßte und ihre Augen, Wangen und Finger genauer betrachtete, ließen sich die andern dies ruhig gefallen, Aspasia aber nicht, sondern sowie jener sie nur mit der Fingerspitze berührte, schrie sie laut auf und drohte, es werde ihm übel bekommen, wenn er sich solches unterstehe. Das machte dem Kyros große Freude. Als sie nun aber, wie er gar ihre Brüste betastete, sich erhob und zu fliehen versuchte, da bewunderte des Dareios Sohn ganz gegen die persische Art ihr adliges Wesen ausnehmend. Mit einem Blick auf den Vermittler sagte er: »Das ist die einzige Freie und Unverdorbene, die du gebracht hast, die andern aber sind nach ihrem Aussehen und noch mehr nach ihrem Wesen feile Dirnen.« Aus diesem Grunde gewann nun Kyros die Aspasia lieber als alle die Weiber, mit denen er bisher verkehrt hatte. Und wie er bald in feuriger Leidenschaft für sie entbrannt war, so sah er sich auch von ihr wieder geliebt; so innig wurde die Neigung der beiden, daß der Unterschied des Standes fast verschwand und ihre Verbindung in der Herzenseintracht und Treue ganz einer griechischen Ehe glich.

Der Ruhm der Liebe des Kyros zu Aspasia verbreitete sich bis nach Ionien und über ganz Griechenland; der Peloponnes war voll von Erzählungen über die beiden, aber auch bis zum Großkönig war ihr Ruhm gedrungen. Man war fest davon überzeugt, Kyros habe seit seiner Verbindung mit ihr sich von jeder anderen Frau ferngehalten. Dadurch kamen Aspasia die alten Traumbilder wieder in Erinnerung, jene Taube und ihre Mahnungen und die Verkündigungen der Göttin, und sie war überzeugt, Aphrodite sei von Kindesbeinen an ihre Schutzgöttin gewesen, daher brachte sie dieser Göttin Weihegaben und Dankopfer dar. Zuerst ließ sie ihr ein goldenes Standbild von genügender Größe errichten, und um dieses als Bild der Aphrodite kenntlich zu machen, eine mit Edelsteinen besetzte Taube daneben aufstellen; und jeden Tag suchte sie sich mit Opfern und Gebeten ihre Huld zu erhalten. Auch ihrem Vater Hermotimos schickte sie viele ansehnliche Geschenke und machte ihn zu einem reichen Manne. Sie selbst aber lebte immer sittsam und bescheiden, wie die griechischen und persischen Frauen versichern.

Als aber Kyros in der Schlacht gegen seinen Bruder bei Kunaxa. 401 v. Chr. fiel und sein Lager erobert wurde, wurde auch Aspasia mit der übrigen Beute gefangen. Doch war sie nicht von ohngefähr und zufällig den Feinden in die Hände gefallen, vielmehr hatte König Artaxerxes, dem ihr Ruhm und ihre Tugend wohl bekannt war, sie mit großem Eifer suchen lassen. Als man sie nun aber in Fesseln vor ihn brachte, wurde er böse und ließ die Schuldigen ins Gefängnis werfen, zugleich gab er Befehl, ihr kostbaren Schmuck anzulegen. Doch sie sträubte sich, jammerte und weinte, und erst unter vielem Drängen mußte man sie fast mit Gewalt dazu nötigen, das vom König gesandte Kleid anzulegen, so heftig war ihre Trauer um Kyros. Aber als sie's angelegt, erschien sie wiederum als schönste der Frauen, daß Artaxerxes sogleich in zärtlicher Liebe zu ihr entbrannte. Er gab ihr den Vorrang vor allen seinen Frauen und bemühte sich durch überschwengliche Ehren um ihre Gunst. Er schmeichelte sich, sie dahin zu bringen, daß sie Kyros vergesse und ihn nicht weniger lieben lerne, als sie jenen geliebt hatte. Diese Hoffnung ging auch in Erfüllung, aber erst nach langem Harren. Denn in Aspasias Herzen war die zärtliche Liebe für Kyros zu fest gewurzelt, und die Wirkung so starken Liebeszaubers war nicht so leicht daraus zu vertilgen.

Einige Zeit darauf starb der Eunuche Tiridates, der blühendste und schönste Jüngling in ganz Asien, den der Tod ereilte, als er kaum aus den Knabenjahren ins Jünglingsalter eingetreten war. Der König, der, wie es hieß, diesen Jüngling heiß geliebt hatte, überließ sich schwerster Trauer und heftigstem Schmerze, und in ganz Asien herrschte aus Rücksicht auf den König allgemeine Trauer.

Niemand wagte es, ihm zu nahen und ein Wort des Trostes zu bringen, denn man war überzeugt, sein Schmerz über das Leid, das ihn betroffen, sei unheilbar. So vergingen drei Tage. Da legte Aspasia Trauerkleidung an und trat dem König, als er sich ins Bad begab, mit weinenden Augen, den Blick zu Boden gesenkt, entgegen. Betroffen von ihrem Anblick fragte er sie, warum sie komme. Da sagte sie: »König, ich sah dein Leid und deinen Schmerz und bin gekommen dich zu trösten, wenn es dir erwünscht ist; ist es dir aber zuwider, so will ich wieder fortgehen.« Da freute sich der Perser sehr über ihre fürsorgliche Teilnahme und befahl, sie solle hingehen und ihn in ihrem Gemache erwarten. Das tat sie denn; als er dann vom Bade zurückkehrte, ließ er Aspasia über ihr schwarzes Gewand noch die Kleidung des Eunuchen anziehen. Und auch des Jünglings Gewandung stand ihr wohl, noch mehr aber leuchtete der Glanz ihrer eigenen blühenden Schönheit dem Liebhaber entgegen. Und nachdem sein Jammer solchergestalt einmal bezwungen war, war es sein Wunsch, sie möchte so lange, bis die Gewalt seiner Trauer geschwächt sei, in dieser Tracht vor ihm erscheinen – ein Wunsch, den sie ihm gerne erfüllte.

So war sie die einzige nicht nur unter allen Frauen Asiens, nein auch unter den Söhnen und Verwandten des Königs, der es gelang, den Artaxerxes in seinem leidenschaftlichen Schmerze zu trösten und zu heilen: ihrer liebevollen Sorgfalt hatte der König nicht widerstehen, ihren verständigen Trost nicht zurückweisen können.


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