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Siebzehntes Kapitel

Baron Spiegel, Hofmarschall des Großherzogs von Sachsen-Weimar, faßte das Besprochene nochmals zusammen:

»Wenn wir uns also richtig verstanden haben, Meister, so kann ich Seiner Hoheit von unserer Besprechung folgendes melden: Sie sind damit einverstanden, mindestens drei Monate im Jahr in Weimar zu verbringen, während der Rest des Jahres zu Ihrer alleinigen Verfügung bleibt. Sie können nach Belieben reisen und Konzerte geben. Sie übernehmen hier die Veranstaltung von Orchester-Konzerten, die Sie selbst zu leiten wünschen, Sie stellen aber die Bedingung, daß der Weimarer Musikdirektor, Herr Chelard, in seinem Wirkungskreise in keiner Weise beeinträchtigt wird. In Ordnung? Jetzt noch zwei Fragen. Welchen Titel wünschen Sie für Ihr Tätigkeitsfeld?«

»Ich danke, Exzellenz, keinen. Ich begnüge mich mit meinem Namen?«

»Das ist eine seltene Antwort bei uns. Und von welchen materiellen Ansprüchen kann ich Seiner Hoheit berichten?«

»Das überlasse ich ganz Seiner Hoheit. Ich stimme schon im voraus dem zu, was Seine Hoheit gutheißen.«

»Das ist eine noch seltenere Antwort. Ich werde mir erlauben, Sie in zwei bis drei Tagen nochmals um eine Unterredung zu bitten.«

Franzi kam gerade zu großen Feierlichkeiten nach Weimar: Karl Alexander, der junge Erbgroßherzog, brachte seine Frau nach Hause, Sophie, die Tochter des Königs der Niederlande, die zwar nicht besonders hübsch, aber sehr liebenswürdig und sehr, sehr reich war. Der Sohn war dem Beispiel seines Vaters gefolgt, der den auf die Tochter entfallenden Teil vom Vermögen des Zaren nach Weimar gebracht hatte, er füllte dieses Vermögen durch einen beträchtlichen Teil des Reichtums der niederländischen Dynastie nicht unwesentlich auf. Der Vater lebte in einem ungetrübten Familienglück, der Sohn erhoffte dasselbe. Die Hochzeit wurde im Lande der Braut gefeiert, von dort kamen die jungen Leute schon als Ehepaar zurück. Jubel in Weimar, die Häuser prangten im Fahnenschmuck, der kleinste Amtsdiener und auch der Bürstenbindergehilfe rieben sich glücklich die Hände und frohlockten: »Vorzüglich haben wir uns verheiratet!« Der Hochzeitsvater vergaß aber auch inmitten der Festlichkeiten und Umzüge jenes Staatsgeschäft nicht, das ihm seine Frau auf die Seele gebunden hatte: Liszt sei hier. Man müsse ihn unter allen Umständen hier behalten, das sei im Interesse des kulturellen Weltranges von Weimar unbedingt erforderlich. Dieses Jahrhundert habe keinen weltberühmten Schriftsteller hervorgebracht, der es wert wäre, an den Hof gezogen zu werden, es habe jedoch einen weltberühmten Musiker geboren, demzufolge müsse man sich also auf die Musik verlegen.

Nach drei Tagen wurde Franzi eine Ehren-Urkunde ausgehändigt.

 

»Wir, Karl Friedrich, von Gottesgnaden Großherzog zu Sachsen etc., etc., haben die gnädigste Entschließung gefaßt, den dermalen hier anwesenden Klaviervirtuosen Dr. Franz Liszt zu Unserem Kapellmeister im außerordentlichen Dienste zu ernennen, dergestalt jedoch, daß hierdurch die Verhältnisse des Kapellmeisters Chelard unberührt bleiben und der Kapellmeister Liszt nur bei seiner Anwesenheit hier die Kapelle zu seinen Leistungen aufzufordern und zu benutzen hat. Wir setzen Unser Hofmarschallamt hiervon zu seiner Nachachtung in Kenntnis und sind demselben in Gnaden gewogen.

Weimar, 2. November 1842.

Karl Friedrich
v. Fritsch v. Gersdorff.«

 

So wurde also Dr. Franz Liszt Hof-Kapellmeister in Weimar. Er bekam ein Orchester zur Verfügung und durfte damit während dreier Monate des Jahres machen, was er wollte. Er hatte große Pläne. Ganz genau wußte er freilich vorderhand noch nicht, was er wollte. Er wußte nur, daß er unter allen Umständen seine noch ungeformten Pläne verwirklichen würde. Er dachte sich ungefähr, hier von Weimar aus eine vollständig neue musikalische Strömung ausgehen zu lassen, die er aber noch nicht genau zu beschreiben in der Lage war. Zunächst fühlte er alles nur in seinen kribbelnden Fingerspitzen und in seiner kampfesmutigen Seele. Dieses Gefühl setzte sich aus verschiedenen und voneinander ganz getrennten Bestandteilen zusammen. Aus jener Begeisterung zum Beispiel, in die er seinerzeit bei den Vorträgen von Fétis geriet, als der unermüdliche Musikgelehrte erklärte, daß das Gehör des Menschen sich weiter entwickeln müsse, daß die Zeit kommen müsse, in der die bisher noch abgelehnten Harmonien als schön und kunstvoll anerkannt würden. Dann beseelte und trieb ihn auch die kühne Musik von Berlioz vorwärts. Und schließlich forderte der nimmermüde, ewig schöpferische Trieb Erfüllung, die bis jetzt noch niemals verspürten Stimmungen auf die einzig mögliche, also bis jetzt auch noch nie dagewesene Art wiederzugeben. Dabei stellte sich auch heraus, in welch hohem Maße der Kreis seiner Schriftstellerfreunde in Paris auf ihn gewirkt hatte, wie sehr auch sein Geist sich unter dem Einfluß Victor Hugos den Bestrebungen angepaßt hatte, die starren und hemmenden Regeln aus dem Wege zu räumen und in sich die Gebote seines Berufes auf der Grundlage dessen, was er zu sagen hatte, neu festzulegen. Das Stärkste und Tiefste in seiner Seele war jedoch dieses wilde Freiheitsgefühl, dieser leidenschaftliche und trotzige Widerspruchsgeist, der sofort aufflammte, sobald er irgendeine willkürliche Macht zu fühlen glaubte, sei es in dem Urteil hochmütiger großer Herren, sei es in einer ungerechten öffentlichen Meinung oder in der Form tyrannisch anmutender Überlieferungen. Wie die Lunge Luft braucht, so brauchte er Freiheit. Die suchte er auch in der neuen Musik, und danach sehnte er sich. Er ahnte vorerst noch gar nicht, wie er diesen Kampf mit den Waffen des Weimarer Orchesters durchführen könnte. Kühne, interessante Kompositionen schwebten ihm vor, die einmal aus seiner Feder fließen würden, sobald sein Zigeunerleben aufgehört hätte, oder aber Kompositionen, die er aus den Schubladen unbekannter junger Tondichter hervorholte …

So ein junger Tondichter sollte bald seinen Weg kreuzen. Anschließend an Weimar ging er abermals auf die Wanderschaft. Jena, Koburg, Gotha, Frankfurt, Köln, Aachen, Amsterdam, Leyden und noch viele andere Städte, bis er endlich wieder nach Berlin kam. Seine Erfolge blieben auch diesmal nicht aus, wohl aber die hysterischen Nebenerscheinungen des vorigen Jahres. Die Raserei trat nicht wieder ein und bestätigte damit, daß derartige Triumphe von Massenpsychosen und in ihrem Umfange vom Zufall abhängen.

Eines Tages neckte ihn die berühmte Sängerin Frau Schröder-Devrient, die er in der Gesellschaft traf und die wegen ihrer spitzen Zunge und ihrer Meckereien bekannt war:

»Na, Sie haben Ihre Prüfung schön bestanden, das muß man schon sagen.«

»Ich? Wieso? Warum?«

»Heute Abend unterhielt ich mich mit dem Autor des ›Rienzi‹, den wir jetzt gerade proben. Sie reden doch immer so große Töne, wie gerne Sie jungen Begabungen helfen. Nun, teurer Meister, dieser Tondichter Richard Wagner erzählte mir, daß er bei Ihnen in Paris war, Sie ihn aber so wenig beachtet haben, daß es wirklich eine Schande ist.«

»Richard Wagner? Ein Mann dieses Namens war nie bei mir. Ich habe den Namen auch noch nie gehört. Hier muß ein Irrtum vorliegen.«

»Hier liegt aber kein Irrtum vor. Er erzählte mir ganz ausführlich, daß er bei Ihnen eine größere Gesellschaft vorfand, als er Sie vormittags besuchte. Sie berichteten lang und breit von Ihrer Reise nach Ungarn und haben ihn überhaupt nicht beachtet. Dieser Wagner ist aber eine außerordentliche Begabung.«

Franzi schüttelte wortlos den Kopf. In dieser Darstellung kannte er sich nicht wieder. Zu Menschen, die sich an ihn wandten, war er stets liebenswürdig und zuvorkommend, das gab es gar nicht anders. Der Gedanke, daß er jemanden ohne seinen Willen verletzt haben sollte, war ihm unerträglich. Er mochte sein Gedächtnis aber noch so anstrengen, auf einen Mann namens Richard Wagner konnte er sich überhaupt nicht besinnen.

Einige Tage darauf mußte er eine Probe mit Frau Schröder-Devrient gemeinsam besuchen. Er holte sie in ihrer Wohnung ab. Als er durch den Salon schritt, konnte er dem offenen Klavier nicht widerstehen. Er intonierte die berühmte Baß-Passage aus der Rache-Arie der Donna Anna. Auf diese humorvolle Anmeldung, daß er da sei, rief ihm die Hausfrau aus einem anderen Zimmer zu:

»Kommen Sie nur näher, Sie kommen gerade zur rechten Zeit.«

Franzi trat ein. Er fand einen fast gleichaltrigen, blauäugigen Mann von kleiner Statur in der Gesellschaft der Künstlerin vor. Frau Schröder-Devrient entgegnete mit schelmischer Freude:

»Ich stelle Ihnen einen alten Bekannten, Richard Wagner, den Komponisten des ›Rienzi‹, vor.«

Franzi betrachtete den Fremden. Ganz langsam begann es in ihm zu dämmern, daß er dieses markante Kinn irgendwo schon einmal gesehen hatte. Er trat auf ihn zu und reichte ihm beide Hände.

»Ist es wahr, daß ich Sie beleidigt habe? Wenn das wahr ist, so seien Sie versichert, daß es nicht mit Absicht geschah. Ich bitte von ganzem Herzen um Verzeihung.«

Wagner sah die Sängerin mit vorwurfsvollem Blick an. Nur sie konnte geplaudert haben. Dann wandte er sich verstört an Franzi:

»Bitte … von einer Beleidigung kann gar keine Rede sein … mir hatte es bloß weh getan, daß … ich weiß gar nicht …«

»Waren Sie tatsächlich bei mir in Paris?«

»Ja, vor zwei Jahren. Ich hätte gern eine engere Bekanntschaft geschlossen … es waren aber so viele Gäste bei Ihnen, und ich bin so ungeschickt … Sie haben mich selbstverständlich gar nicht beleidigt, Sie haben mir sogar eine Karte zu Ihrem Konzert geschenkt … Ich war aber sehr niedergeschlagen, weil … weil Sie sich nicht mit mir beschäftigt haben … ich hätte mich mit Ihnen gerne über Musik unterhalten, ich fing auch an davon, Sie wandten sich aber zu den anderen … und …«

Wagner stotterte gequält. Franzi umarmte ihn und klopfte ihm auf die Schulter.

»Dieserhalb bitte ich nochmals um Verzeihung. Nicht wahr, Sie tragen es mir nicht mehr nach, und es herrscht wieder Friede zwischen uns? Wir werden uns noch viel über Musik unterhalten. Ich werde ›Rienzi‹ unbedingt ansehen, ich habe schon sehr viel Schönes darüber gehört. Leider muß ich mich jetzt aber sehr beeilen, da wir schon zu spät zur Probe kommen.«

»Rienzi« sah er sich aber nicht an. Er verschob es von einemmal zum anderen. Was er von der neuen Oper gehört hatte, machte keinen besonderen Eindruck auf ihn. Er schob es immer wieder auf, dann vergaß er es. Er hatte sehr viel mit seinen eigenen Konzerten zu tun, mit den Einladungen zum Hof, mit allen möglichen Dingen, und wenn er sich ein wenig freie Zeit stehlen konnte, so komponierte er hinter sorgfältig versperrten Türen. Unter solchen unruhigen Verhältnissen konnte er seine großen Symphoniepläne vorläufig noch nicht verwirklichen, für kleinere Kompositionen hatte er aber sehr viele Einfälle. Er schrieb viele Lieder und ergötzte sich von neuem an ungarischen Melodien. Von den Rhapsodien waren bei dem Wiener Verlag Haslinger schon zwei Hefte erschienen, jetzt hatte er Stoff für zwei weitere beisammen. Er hatte auch einen nach ungarischen Motiven komponierten Marsch geschrieben, dem er den Titel »Ungarische Eroica« gab. Diese »Eroica« spielte er jetzt dem König in Berlin vor. Seiner Majestät gefiel die Komposition so gut, daß er schon am Tage darauf anordnete, diesen ungarischen Marsch in das Programm der preußischen Militärkapellen einzureihen.

Als er diesmal aus Berlin wegfuhr, begleitete ihn keine Wagenreihe und keine Reiterschar. Deswegen reiste er aber nicht minder vornehm. Sein eigener geräumiger Reisewagen war fertiggeworden. Seit er die prächtige Kutsche des Grafen Kasimir Esterházy gesehen hatte, konnte er den Wunsch nach einem solchen Gefährt nicht mehr unterdrücken. Es war ganz prächtig geworden. Tagsüber war es als kleiner Salon zu benutzen, in dem er seinen Reisegefährten Tee anbieten konnte, als ob er zu Hause wäre. Während der Nacht konnte man ein bequemes Bett darin herrichten. Das Reisen in diesem Wagen war eine wahre Lust. Nach und nach war ihm nämlich die mit Stroh aufgeschüttete Postkutsche voller Flöhe, in der man sich nicht anständig ausstrecken konnte und angezogen mit zerschundenen Gliedern schlafen mußte, wenn das der schlechten Federung wegen überhaupt möglich war, unbequem und zu einer Qual geworden. Der prächtige Wagen beförderte den Beherrscher des Klaviers zunächst nach Warschau. Er hatte noch nicht ausgepackt, als er sich schon an den Schreibtisch setzte und an Chopin schrieb, den lieben guten Freund, der jetzt als Geliebter George Sands seine Tage in Paris verbrachte, das kärgliche Einkommen vom Verkauf seiner Kompositionen durch Stundengeben zu erhöhen suchte und sich während des Sommers immer in Nohant aufhielt. Franzis Besuch in Warschau wurde von der ersten bis zur letzten Minute ein leidenschaftliches Bekenntnis seiner freundschaftlichen Zuneigung zu Chopin. Ab und zu sann er über das seltsame Spiel des Schicksals nach. Chopin sehnte sich immer nach Warschau, war aber als Revolutionär gebrandmarkt und konnte deshalb nicht in seine Heimat zurück, und er konnte wann und solange er wollte in Pest leben und irrte trotzdem heimatlos in der Welt umher. Diese Liebe, mit der er des Ungarlandes gedachte, war der frohe und stolze Bruder der wehmütigen und unter einer grausamen Tyrannei leidenden Heimatliebe Chopins. In die Vortragsfolge seiner Warschauer Konzerte nahm er kaum etwas anderes als Chopinsche Musik auf. Und das polnische Publikum, das mit schmerzlichem Stolz an seine in Paris lebenden beiden großen Landsleute, an Chopin und Mickiewiez dachte, hörte aus den Chopin-Vorträgen des Klavierkünstlers die geheimnisvollen Botschaften der Flüchtlinge heraus. Die duftigen Passagen der Mazurken und Polonaisen, der in den reichen Arabesken pulsende starke nationale Herzschlag, die aus Paris in die Heimat herübertönende musikalische Trauer wirkten in dem von russischen Soldaten mit aufgepflanztem Seitengewehr bewachten, schweigenden Warschau wie ein kraftvoller politischer Aufruf, wie eine mit erhobenem Haupte gesungene Freiheitshymne. Die Beifallsstürme, die dem Künstler entgegendonnerten, galten deshalb auch dem polnischen Nationalgedanken. Auch das war ein außerordentlicher Erfolg, aber in Art und Farbe wieder ganz anders, als Franzis sämtliche anderen denkwürdigen überwältigenden Erfolge. Die einstigen Erfolge in Paris waren die Siege des fassungslosen Staunens über das Wunderkind; sie trugen den nicht ganz künstlerischen Charakter einer Schaustellung, einer Kuriosität. Der Erfolg in Pest war die Begeisterung der nationalen Zugehörigkeit, der Berliner Erfolg war eine sonderbare Raserei der Mode und Massenpsychose, und dieser Erfolg in Warschau war der Dank einer Nation an die wundertätigen Hände, die wohltuend ihre Wunden streichelten.

Wenngleich Franzi nicht politisierte, so machte er doch aus seiner besonderen Liebe zu den Polen kein Geheimnis, obwohl man ihn schon vor Spionen warnte, die um ihn herum seien. Wenn man von Warschau nach St. Petersburg gehen wolle, täte man besser daran, auf seine Äußerungen zu achten … Er zuckte nur mit den Schultern und lächelte. Das »Nun erst recht« erwachte wieder in ihm. Er betonte in den Konzerten seinen Chopin-Kult noch auffallender, ja er ging in seiner Kühnheit sogar so weit, anläßlich eines dichtbesuchten Hauskonzertes die Melodie des » Jeszcze Polska nie zginela!« (Noch ist Polen nicht verloren!) zu wählen, als er über frei gewählte Themen improvisierte. Den Zuhörern blieb der Atem weg. Totenstille. Er spielte ungezähmt, mit unbekümmerter Lust und Laune wie ein mit seiner Lieblingspuppe spielendes kleines Mädchen, er schmückte die Melodie aus, drehte und wendete sie hin und her und ließ sie selbstgefällig erglänzen. Den Zuhörern traten die Tränen in die Augen, ringsherum blitzten die weißen Flecke der Taschentücher immer häufiger auf. Ein unbeschreiblicher Beifall folgte. Tags darauf erzählte man ihm flüsternd, daß der Warschauer Polizeipräsident Abramowitsch von dem Vorfall Kenntnis erhalten habe und ihn zweifellos nach Petersburg weitermelden werde. Franzi zuckte abermals nur mit den Schultern.

Die ihm diese Nachricht zugetragen hatte, war eine Frau, strahlend schön und zwanzig Jahre alt. Sie war die Tochter einer in russische Dienste getretenen deutschen gräflichen Familie. Ihr in Warschau wohnender Vater war der Graf Nesselrode. Komtesse Marie wurde, als sie sechzehn Jahre zählte, mit einem steinreichen griechischen Diplomaten namens Calergis verheiratet, sie gebar ihm eine kleine Tochter und verließ kurz darauf ihren Mann wieder.

Seit drei Jahren irrte sie ruhelos in der Welt umher, war bald in Paris, bald in Baden-Baden, bald tauchte sie in Warschau bei ihrem Vater auf, dann wieder in St. Petersburg, wo ihr Onkel väterlicherseits Minister war. Zur Zeit hielt sie sich in Warschau auf und war sehnsüchtig bemüht, jede freie Viertelstunde des großen Künstlers für sich in Anspruch zu nehmen. Sie spielte selbst ausgezeichnet Klavier und hätte sogar in einem Konzert auftreten können. In dieser sonderbaren Warschauer Welt führte sie ein doppelseitiges politisches Leben. Durch ihren Onkel stand sie dem Zarenhofe sehr nahe, wo man sie auch gerne sah. Ihre Mutter aber war eine Polin, und das Blut der Mutter sprach immer aus ihren Gefühlen. Sie war eine prächtige Erscheinung, hoch gewachsen, mit vollen Schultern, goldblondem Haar und blauen Augen. Ihr Herz war zwanzig Jahre alt und einsam. Der Familienrat hatte sie einst ihrem Mann zugeführt, sie war aber in ihrem ganzen Leben noch nie verliebt gewesen. Jetzt, nachdem sie den bezaubernden Künstler kennengelernt hatte, war sie schon im ersten Augenblick verloren, und der große langhaarige Klavierdämon griff hingerissen nach der Wonne, die ihm das Leben bot.

»Ich habe große Angst um Sie«, sagte die Frau am letzten Abend ihres Beisammenseins, »Sie sind in Ihren Taten und Äußerungen ein wenig unbedacht. In Petersburg wird man sicherlich über Ihre Polenfreundschaft sprechen, und ich sehe schon voraus, daß Sie sich nicht in acht nehmen werden. Ich weiß ganz bestimmt, daß Abramowitsch genaue Berichte über Sie gemacht hat. Ich habe die Angelegenheit mit zehn Briefen auszugleichen versucht. Aber mein Einfluß am Hofe wird wahrscheinlich ganz umsonst sein, Sie werden alles selbst verderben. Versprechen Sie mir, daß Sie auf der Hut sein wollen!«

Franzi antwortete mit den letzten heißen Abschiedsküssen. Er gab noch ein Konzert in Krakau, dann fuhr er nach Petersburg. Hier war auch nicht das geringste davon zu merken, daß er etwas auf dem Kerbholz haben sollte. Die Vorbereitungen zum ersten Konzert am Hofe waren ungestört im Gange. Das Konzert rückte heran, und noch immer war nichts eingetreten, was auf irgendwelche Unstimmigkeiten schließen lassen konnte. Zum Konzert erschien der Zar persönlich. Franzi spielte.

Während des Spieles störte ihm eine halblaut geführte Unterhaltung die verzauberte Ruhe, die er sonst gewöhnt war. Der Zar unterhielt sich mit seinem hinter ihm sitzenden Adjutanten. Franzi spielte weiter, der Zar sprach weiter. Das ging eine ganze Weile so, Franzi hoffte in jeder Sekunde, daß die Unterhaltung abgebrochen würde. Sie wurde aber nicht abgebrochen. Der Flügeladjutant erwiderte irgend etwas, der Zar fing abermals an zu reden. Franzi wurde blaß. Inmitten eines Taktes hörte er plötzlich auf zu spielen. Er legte beide Hände auf die Knie und wartete. Es währte Sekunden, ehe der Zar bemerkte, daß keine Musik mehr erklang. Er drehte sich um und war überrascht. Er wartete. Der Künstler fing aber noch immer nicht wieder zu spielen an.

»Was ist denn los?« erkundigte sich endlich der Zar.

»Solange Majestät sprechen«, erwiderte Franzi kühn, »hat jeder zu schweigen.«

Eine quälende Spannung lag in der Luft. Der Hofstaat rührte sich nicht in seiner entsetzten Starrheit. Der Zar sah den Künstler an und wollte etwas erwidern, er schwieg jedoch. Franzi spielte weiter. Als das Stück zu Ende war, erhob sich der Zar, winkte seinem Adjutanten und entfernte sich in dessen Begleitung. Sonst verließ niemand das Konzert. Franzi setzte die Vortragsfolge fort.

Am anderen Tage erfuhr er dann, daß er die Gunst des Zaren verloren hatte. Nicht nur dieser Kühnheit wegen, weil er es gewagt hatte, den mächtigen Herrscher zurechtzuweisen, sondern auch, weil man dem Zaren jetzt über seinen Aufenthalt in Warschau umfassend Meldung erstattet hatte. Größeres Unheil entstand aber nicht daraus. Der Zar besuchte allerdings keines seiner Konzerte mehr, außerdem war es nicht zu bezweifeln, daß man ihn beobachten und seine Briefe kontrollieren ließ, denen man deutlich ansah, daß sie gewaltsam geöffnet worden waren. Die Zarin blieb ihm jedoch auch weiterhin zugetan. Am Hofe bildeten sich in der Liszt-Frage zwei Parteien, das heißt, die schon seit Jahren bestehende imperialistische, polenfeindliche Partei wandte sich kühl von dem Künstler ab, während ihm die eine friedliche Lösung anstrebende Partei um so begeisterteren Beifall spendete. Vereinzelt fanden sich vornehme Höflinge, die ihn den Verlust der Allerhöchsten Gunst fühlen lassen wollten. Ein mit unzähligen Orden geschmückter General blieb einmal vor ihm stehen und erkundigte sich herablassend:

»Haben Sie schon an einer Schlacht teilgenommen?«

»Noch nie. Haben Sie schon einmal ein Klavierkonzert gegeben?«

Der General konnte auf diese schlagfertige Erwiderung nichts entgegnen. Der Künstler gab auch anderen, die ihn herausforderten, ihren Teil, und so ließen sie ihn bald in Ruhe. Seine festgelegten öffentlichen Konzerte waren vorüber. Das Zusammensein mit Adolf Henselt war ihm eine reine Freude. Das Geld schwoll zusehends auf seiner Bankeinlage an. Vor seiner Abreise fand er noch Mittel und Wege, zu zeigen, daß seine Polenfreundschaft noch lange keinen Russenhaß bedeutete. Bei seinem fünften Konzert, als die Reihe an das freie Phantasieren kam, begann er unerwartet über Themen aus Glinkas Oper »Das Leben für den Zaren« zu improvisieren. Er legte sich mächtig hinein und brachte eine Phantasie zustande, die diesem Konzert den größten Erfolg seiner russischen Reise sicherte.

Ungestört konnte er nach Moskau reisen, wo er sich mit Michael Glinka anfreundete. Diese Stadt machte einen noch viel tieferen Eindruck auf ihn als Petersburg. Moskau kam ihm viel echter, viel russischer vor. Auch das Leben war hier ganz anders, die Gebräuche ursprünglicher und unverbildet, die Volkstrachten farbenprächtiger. In Petersburg verkörperte der Deutsche Henselt die russische Musikkultur, hier herrschte dagegen der liebenswürdige, gemütvolle, bärtige Glinka selbst.

»Warte nur, mein Täubchen«, der russische Komponist machte ihn neugierig, »wenn du völkisches, insbesondere aber Zigeunerleben sehen willst, werde ich dir zu Ehren in meinem Hause ein echtes Fest veranstalten.«

Er hielt sein Wort. Der Hausherr überraschte den eintretenden Gast gleich damit, daß er ihm Rock und Weste abnahm und ihm ein farbiges Tuch in die Hand drückte, das er sich nach der Art der russischen Zigeuner um den Hals binden mußte. Der geräumige Salon der großen Wohnung war vollkommen mit Tannengrün ausgeschmückt, zwischen den Ästen lugte hier und da zerfetzte Leinewand hervor, so daß die Wände überhaupt nicht sichtbar waren. Das ganze Bild ahmte das Gelage einer Zigeunerkarawane tadellos nach. In der Mitte des Saales hatte man drei dicke Wagenleisten zusammengestellt und oben fest zusammengebunden, das war das Gestell für einen großen Kupferkessel, der an einer Kette hing. Rings herum bunte Teppiche, Sessel gab es nicht, man mußte auf den Teppichen sitzen. Der Hausherr hatte ungefähr vierzig Gäste geladen, Schriftsteller, Musiker, Maler und vornehme Mäzene. Im benachbarten Zimmer sang ein unsichtbarer Chor russische Volksweisen. Auch Zigeuner kamen zum Vorschein, Franzi fragte sie durch einen Dolmetscher aus und beschäftigte sich mit ihnen. Das Abendessen wurde den Gästen in irdenen Schüsseln gereicht, und nach dem Abendessen machte sich der Dichter Kukolnik mit großer Sachkenntnis daran, einen Crambambuli zu brauen. Er füllte den Kessel mit Sekt, französischem Rotwein und Rum, dann gab er Rosinen und allerlei andere Gewürze dazu und brannte das Gemisch an. Die Lampen wurden ausgelöscht. Ein züngelnder, blauer Flammenschleier schwebte über dem Kessel, die gespensterhafte Flamme malte sonderbare Schatten und Lichter auf die Gesichter, draußen erklangen Volksweisen …

»Findest du nicht«, fragte Franzi den Gastgeber, »daß die ungarische Volksmusik der euren sehr ähnelt?«

»Ich kenne sie viel zu wenig, aber das wenige, was ich kennengelernt habe, war sich tatsächlich sehr ähnlich. Das ist auch gar kein Wunder, die Ungarn stammen ja auch aus Asien. Asien ist unsere Mutter, wir sind Brüder.«

»Denkst du nicht auch, daß an dieser Ähnlichkeit die Zigeuner beider Länder ihren Teil haben?«

»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber trink jetzt.«

Franzi trank gerne und viel. Bereits während seines Aufenthaltes in Rußland im vorigen Jahr hatte er sich an den starken Alkohol gewöhnt. Die scharfen Gewürze der russischen Küche und die oft unerträgliche Kälte machten ihm den Wodka, insbesondere aber den Kognak, unentbehrlich. Das Trinken selber mochte er gar nicht besonders. Aber er liebte das Feuer, das der Alkohol in seine Adern strömte, den beschwingten Rausch, der das Leben, das Schicksal und die Sorgen so leicht und so liebenswürdig einfach erscheinen ließ. Auch jetzt trank er reichlich. Die behagliche Plauderstimmung, die auf das Verrinnen der Zeit nicht achtete, tat ihm wohl. Er fühlte sich hier ganz heimisch. Das Gespräch kam auch auf die russische Literatur. Glinka erzählte lange und spannend von dem romantischen Schicksal Puschkins, der ein guter Freund von ihm gewesen und vor einigen Jahren im Duell gefallen war.

»Wo lebt Gogol?« fragte Franzi.

»Auch hier in Moskau. Ich hätte ihn gerne für dich eingeladen, aber er nimmt keine Einladungen mehr an. Er hat sich vollständig der Religion hingegeben. Er kommt mit niemandem mehr zusammen, sitzt meist vor heiligen Ikonen und betet bußfertig und reumütig von morgens früh bis spät in die Nacht hinein.«

»Was ist das für eine Sünde, die ihn bedrückt?«

Glinka sah Franzi verwundert an.

»Wir sind doch allesamt arme Sünder vor Christus, gemein und Schweine. In ganz wenigen von uns steckt die wirkliche Kraft zur Reue und der Wille, rein zu leben. Mein liebenswerter Freund Nikolai Wasiljewitsch ist zu dieser Kraft gelangt. Wir aber wälzen uns weiter im Morast unserer abscheulichen Sünden. Trinke, mein Täubchen.«

Und er trank. Die Rede Glinkas kam ihm sonderbar vor. Was er sprach, hatte er unbedingt mit aufrichtiger Gläubigkeit und trotzdem fröhlich gesagt. Bei der blauen Flamme des Crambambuli sann Franzi auf dem Teppich liegend nach. Diese waren griechisch-katholisch, wie er römisch-katholisch. Ihr Glaube unterschied sich in allem, aber der Kern auch ihres Gottsuchens war die Sehnsucht nach dem Reinen und die Reue. Er dachte jetzt oft an die mystische, weihrauchduftende Zeit seiner Kindheit, als er noch Mönch werden wollte. Das Zigeunerleben von Land zu Land, von Stadt zu Stadt, von Straße zu Straße begann ihn zu ermüden, der Zauber der tobenden Erfolge zog ihn kaum noch an, und in seiner Übersättigung und Müdigkeit kehrte er oft zu diesen Kindheitserinnerungen und jugendlichen Sehnsüchten zurück. Er wußte jetzt aber genau, daß er nie mehr Mönch werden konnte. Sein einst so vollkommener, unerschütterlicher Glaube war von der Klügelei des reifenden Geistes angenagt. Und außerdem hätte er nie mehr auf die Wonnen verzichten können, mit denen ihn die Gunst der Frauen überschüttete. Auf die Liebe hätte er schon verzichten können, nicht aber auf die Liebkosung. Jetzt aufspringen, hinausrennen aus dem ganzen bisherigen Leben, sich mit einer umfassenden Beichte vor den gütigen Vater werfen, – wie schön müßte das sein … Dann müßte man aber auch beichten, daß man die Frau seines Mitmenschen zur Sünde begehrte, die herrliche Frau Solnzew. Auf sie verzichten …? Nein, nein …

Solnzew war Staatsrat in Moskau, Mitglied der vornehmen Gesellschaft. Ihm gehörte diese herrliche Frau. Ein schlankes Wesen mit weitgeöffneten Augen, kastanienbraunem Haar, das die Natur so wunderbar schuf, zart wie ein Hauch und trotzdem voll und dicht. Der Schatten slawischer Empfindsamkeit verschleierte geheimnisvoll ihre Augen, und die hingebungsvolle Schwärmerei stand ihr ebensogut wie die kleinliche Lüge. Franzi ergriff ein sehnsüchtiges Verlangen nach dieser Frau, der Staatsrat hütete sie aber mit wilder Eifersucht. Es war ganz und gar unmöglich, sich allein zu treffen. Bis zur letzten Minute hoffte er, daß sie doch noch so geschickt sein würde, irgend etwas zu erfinden. Aber die Stunde der Abreise nahte, und er konnte sich von dieser Frau nicht einmal verabschieden. Seine an Mißerfolge nicht gewöhnte männliche Eitelkeit war in hellstem Aufruhr, als er mit den beiden Bärenjungen seinen prächtigen Wagen bestieg. Ein Herr in Moskau hatte ihm diese possierlichen kleinen Tiere zum Geschenk gemacht, und Franzi beschloß, sie seinen Kindern mit nach Hause zu nehmen.

Als er nach Petersburg kam und vor dem Chausseehaus hielt, fuhr zur selben Zeit ein anderer Postwagen vor. Und wer stieg aus? Frau Solnzew.

»Sind Sie es denn wirklich? Das ist ja wunderbar. Mein Herz springt mir fast aus der Brust, so freue ich mich! Wie kommen Sie hierher?«

»Ich muß nach dem Ausland reisen«, erwiderte die Dame bis über die Ohren errötend, »ich bekam ein Telegramm. Ich fahre in einer Familienangelegenheit nach Hamburg.«

»Und wann reisen Sie weiter?«

»In drei Tagen, bis dahin habe ich sehr viel zu erledigen.«

»Großartig. Dana fahren wir zusammen. Steigen Sie in meinen Wagen ein, ich fahre Sie in die Stadt. Nein? So sehen Sie sich doch wenigstens meinen schönen Wagen an.«

Frau Solnzew bewunderte die seltene Sehenswürdigkeit. Der Wunsch, in diesem herrlichen Gefährt reisen zu können, stand ihr auf dem Gesicht geschrieben. Sie hatte aber Angst, daß die Nachricht nach Moskau gelangen und ein Gerede darüber entstehen könnte. Auf alle Fälle vereinbarten sie eine Zusammenkunft in der Stadt.

Franzi hatte sich ursprünglich vorgenommen, noch zehn Tage in der russischen Hauptstadt zu bleiben. Diesen Plan gab er jetzt sofort auf. Er wollte unter allen Umständen mit dieser Frau zusammen weiterreisen. Bezüglich der Pässe bestand jedoch die Verordnung, daß jeder Ausländer, der das Land wieder verlassen wollte, acht Tage vor seiner Abfahrt verpflichtet war, seinen Paß abstempeln zu lassen. Das war ein Unglück. Anderntags ließ Franzi bei einer Abendgesellschaft der Jussupows niedergeschlagen den Kopf hängen.

»Was ist denn los mit Ihnen, Meister?« fragte ihn eine junge Dame.

Franzi erzählte, was ihm fehlte. Er müsse unbedingt reisen, aber er habe Schwierigkeiten mit seinem Paß.

»Ach, wenn es weiter nichts ist. Schicken Sie mir Ihren Paß morgen auf schnellstem Wege, Papa wird ihn mir zuliebe außer der Reihe sofort erledigen. Ich sehe, Sie wissen gar nicht, wer mein Vater ist. Es ist nicht schön von Ihnen, daß Sie sich daran nicht mehr erinnern. Ich bin die Tochter des Polizeiministers Graf Benckendorff.«

»Wollen Sie das wirklich für mich tun? Ich danke Ihnen vielmals. Der Paß wird morgen früh bei Ihnen sein, Komtesse.«

Dem tiefen, zärtlichen Blick des Mädchens sah man an, daß sie dem großen Künstler zuliebe tausend Pässe erledigen würde. Am anderen Tage um die Mittagsstunde war der abgestempelte Paß tatsächlich in Franzis Händen. Am vereinbarten Tage fuhr er ab. Allein. An der nächsten Poststation aber stieg Frau Solnzew, die von Petersburg gleichfalls allein abgereist war, in seinen Wagen.

Nun reisten sie zu zweit in der prächtigen Kutsche weiter. Eine Station vor der Grenze bestieg die Frau abermals eine Postkutsche, jenseits der Grenze trafen sie sich wieder. Solange, bis ihre Wege sich trennten. Franzi wollte auf das Gut des Fürsten Felix Lichnowsky in dem preußisch-schlesischen Dorf Krzizanowitz. Dort erwarteten ihn außer dem Hausherrn Graf Alexander Teleki und Graf Bethlen. Diesen Besuch wollte er nicht versäumen. Also trennte er sich von der schönen Frau, mit der er eine so entzückende Hochzeitsreise durch Rußland machen durfte.

Anschließend an den Besuch im fürstlichen Schloß gab er noch ein Konzert in einer deutschen Stadt, dann fuhr er nach Paris. Er hatte Marie versprochen, den Sommer mit ihr zu verleben. Über die Bärenjungen waren die Kinder ganz aus dem Häuschen. Sie tobten vor Freude. Marie zeigte jedoch keine besondere Seligkeit. Sie fand es nur selbstverständlich, daß sie jetzt wieder beisammen sein sollten. Sie küßte den heimkehrenden Franzi, wie es gleichgültige Ehefrauen zu tun pflegen. Dann fuhren sie mit den Kindern auf die idyllische Insel im Rhein.

Das war nun sein Leben. Von einem Sommer bis zum andern, von Nonnenwerth bis Nonnenwerth ein ewiges Wandern, Konzerte, tausend und abertausend neue Gesichter und inmitten der unzähligen neuen Bekannten die größte Einsamkeit. Und an der Seite dieser ihm völlig fremd gewordenen Frau der noch quälendere Schmerz des vollkommen Alleinseins …

Auf der Insel vergingen Tage, ohne daß sie außer den notwendigsten Fragen und Antworten miteinander gesprochen hätten. Wenn er auch Marie gerne etwas erzählen wollte, so hätte er doch der Verständlichkeit wegen so weit ausholen müssen, daß er lieber schwieg. Er sah, daß es Marie mit ihm ebenso ging. Nachts, wenn er manchmal nicht schlafen konnte, stierte er staunend in die Finsternis und grübelte … Was war denn das eigentlich für eine verwünschte unsichtbare Kraft, die sie aneinander fesselte?

Jetzt waren es gerade zehn Jahre, daß sie sich zum ersten Male angehört hatten. Dieser Jahrestag fiel aber keinem von beiden ein.


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