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Vierzehntes Kapitel

Angenehme Dinge pflegen sich reihenweise zu ereignen. Unangenehme auch. Nach dem Rausche all der Feste, Triumphe und Huldigungen war es mit einem Male, als hätte man das Ganze durchgeschnitten. Als ob ein geheimer Zusammenhang der Geschehnisse ihm zeigen wollte, wie gut er es zu Hause habe und wieviel Widerwärtigkeiten ihm begegnen müßten, sobald er seinen Fuß aus seiner Heimat setzte.

In Dresden, wohin er von Wien her kam, ging noch alles gut. Schumann kam aus Leipzig herüber, um ihn kennenzulernen. Sie fanden großen Gefallen aneinander und unterhielten sich stundenlang über die neuen Wege der Musik, wenn man es als Unterhaltung bezeichnen darf, daß Franzi mit lebhaften Gesten und sprudelndem Redeschwall seinen Standpunkt schwungvoll darlegte und der schweigsame Schumann wortlos und nachdenklich neben ihm saß. Der revolutionäre Musiker machte einen nachhaltigen Eindruck auf ihn. Aus dem flackernden Blick seines klaren Gesichtes, seinen rührenden linkischen Bewegungen sprach eine geheimnisvolle Zerstreutheit, eine seltsame, träumerische Versunkenheit in einer anderen Welt, wie man das an übermäßig feinsinnigen und empfindsamen Menschen oft beobachten kann.

Das Dresdner Konzert verlief ebenfalls noch glänzend. Das Publikum war begeistert, und die Kritik feierte ihn mit begeisterten Worten. Schumann selbst schrieb: »So rief ihm denn die ganze Versammlung bei seinem Eintritt begeistert zu, worauf er anfing zu spielen. Nun rührte der Dämon seine Kräfte; als ob er das Publikum prüfen wollte, spielte er erst gleichsam mit ihm, gab ihm dann Tiefsinnigeres zu hören, bis er es mit seiner Kunst, gleichsam jeden Einzelnen, umsponnen hatte, und nun das Ganze hob und schob, wie er eben wollte. Diese Kraft, sich ein Publikum zu unterjochen, es zu heben, zu tragen und fallen zu lassen, mag wohl bei keinem Künstler, Paganini ausgenommen, in so hohem Grad anzutreffen sein. In Sekundenfrist wechselt Zartes, Kühnes, Duftiges, Tolles: das Instrument glüht und sprüht unter seinem Meister. Es ist nicht mehr Klavierspiel dieser oder jener Art, sondern Aussprache eines kühnen Charakters überhaupt, dem zu herrschen, zu siegen das Geschick einmal statt gefährlichen Werkzeugs das friedliche der Kunst zugeteilt.«

In Leipzig war alles plötzlich aus. Franzi hatte jetzt einen Impresario, einen sehr streitsüchtigen, aber auch außerordentlich geschickten und erfinderischen Mann, namens Belloni, der dauernd auf den Beinen war. Und nun machte dieser Belloni trotz seiner Geschicklichkeit bei der Vorbereitung des Leipziger Konzertes ein paar arge Fehlgriffe. So unterlief ihm in den Pressebekanntmachungen die unglückliche Redewendung, daß es für Leipzig eine große Ehre sei, Liszt in seinen Mauern zu begrüßen. Daneben setzte er die Eintrittspreise auf das Doppelte der sonst in Leipzig üblichen Preise fest. Schon das erzürnte die verwöhnten und selbstbewußten Leipziger. Zu alledem gesellte sich noch ein nicht zu unterschätzender Feind, der Vater von Clara Wieck, ein alter Musikprofessor, der Schumann haßte und mit ihm alles, was er lobte. Der erboste Musikprofessor versorgte deshalb von vornherein die Presse mit feindseligen und aufreizenden Mitteilungen. Und endlich ging Belloni in seiner Geldgier so weit, der Presse die Freikarten zu versagen.

Franzi fiel durch. Frostige Gleichgültigkeit empfing ihn, kaum eine Hand rührte sich zum Beifall. Er hatte das Gefühl, als ob alles um ihn ins Wanken geraten wäre. Anderntags blätterte er die Zeitungen durch und wurde blaß über die unglaublichen Berichte. Sein Mißerfolg machte ihn krank. Er legte sich zu Bett und verschob sein zweites Konzert. Schumann kam, um ihn zu trösten, – umsonst. Die alten, guten Freunde Hiller und Mendelssohn ließen ihn auch jetzt nicht im Stich und verweilten stundenlang an seinem Bett, – umsonst, es kam kein Leben in ihn. Franzi schämte sich, daß ihn der Mißerfolg so in die Knie gezwungen hatte, und behauptete, sich erkältet zu haben. Einige Tage blieb er noch im Bett, unterdessen versuchten die Freunde mit Aufbietung aller Kräfte, die Stimmung der auf die Traditionen ihres Gewandhauses pochenden Leipziger zu beeinflussen. Einigermaßen gelang das auch. Beim zweiten und dritten Konzert spendete man bereits starken Beifall. Das war aber längst nicht genug Balsam auf die Wunde des jungen Löwen. Die giftige Spitze des Pfeiles blieb im Fleisch stecken. Lange Zeit vermochte er die schmerzliche Verwunderung darüber, daß auch er durchfallen könne, nicht zu überwinden.

Auch in Paris erwartete ihn nichts als Unannehmlichkeiten. Seine geheime Hoffnung, der Liebe zwischen Marie und Bulwer seinen Segen erteilen zu können, zerrann schon am ersten Tage. Das Wiedersehen machte Marie rein verrückt. Neben den braven Durchschnittsmenschen stand der weltberühmte, bezwingende Mann, und sie zögerte nicht einen Augenblick mit ihrer Entscheidung. Ungestüm warf sie sich in die Arme ihres einstigen Geliebten. Franzi umschlang die ihm vollständig gleichgültig gewordene Frau, die inzwischen schon einem anderen gehört hatte, der er aber keine Vorhaltungen machen durfte …

Die französischen Zeitungen waren voll von gehässigen Anspielungen. Man zeichnete Karikaturen von ihm mit dem Ehrensäbel. Man verfaßte Spottgedichte und verhöhnte den Säbel. Anfänglich wollte er persönlich in jeder Redaktion vorsprechen, um zu erklären, daß die Franzosen die symbolische Bedeutung dieses Säbels mißverstanden hätten. Davon mußte er jedoch ablassen, denn dann hätte er von früh bis abends nichts anderes tun müssen als Erklärungen abgeben. In den Zeitungen erschien sogar eine Mitteilung, wonach er und einige andere berühmte Musiker bei der französischen Regierung um die Verleihung des Kreuzes der Ehrenlegion nachgesucht hätten. Aufgebracht gab er bekannt, daß er sich zwar über die Auszeichnung sehr freuen würde, aber viel zu stolz sei, darum zu bitten. Zur selben Zeit erhielt er aus Ungarn die Nachricht, daß seine Nobilitierung ins Wasser gefallen war. Kaiser Ferdinand, besser gesagt die Umgebung des Kaisers, versagte die Zustimmung, da man den Adel nur für militärische oder für Verdienste im öffentlichen Leben zu verleihen pflege. Die Musik sei jedoch kein Verdienst im öffentlichen Leben …

Er war zusammengebrochen, lustlos, mürrisch und außerstande, zu arbeiten. Am liebsten wäre er gestorben. Dann wurde es Gott sei Dank wieder anders, und neue Freuden lachten ihm.

Seine Konzerte in Paris verliefen wieder glänzend. Frauen wurden vor Aufregung ohnmächtig, Handschuhe, die er auf dem Klavier ablegte, wurden von heraufstürzenden Schwärmern gestohlen und in tausend Stücke gerissen, damit jeder ein Fetzchen als Erinnerung behalten konnte. Sein Nachruf auf Paganini erregte in literarischen Kreisen großes Aufsehen. Er nahm darin Stellung zu den Pflichten der Virtuosität und den Geboten des Geschmackes, die von der Technik nicht überschritten werden durften. Der letzte Satz des Artikels wurde zu einem geflügelten Wort: » Genie oblige – Begabung verpflichtet.« Keiner ahnte, daß dieser Ausspruch von dem Stolz diktiert war, der sich vor der eitlen Enttäuschung über den versagten Adelsbrief in das kraftvolle Selbstbewußtsein seiner Begabung geflüchtet und das Gebot » Noblesse oblige« auf seine Verhältnisse abgewandelt hatte …

Die drei Kinder wohnten bei Großmutter Liszt, die ihre Enkel anbetete. Tausend kleine Geschichtchen konnte sie dem Vater von ihnen erzählen, wenn er sie besuchte, um mit den Kleinen zu spielen. Alle drei entwickelten sich sehr gut, sie waren gesund, lieb und immer fröhlich. Ihre ganze Welt war die Großmutter; ihre Mutter bekamen sie wochenlang, ihren Vater monatelang nicht zu Gesicht.

»Die armen kleinen Waisen«, entfuhr es einmal Mutter Liszt, als ihr Sohn zu Besuch war.

»Tatsächlich, Waisen«, erwiderte er ruhig und gar nicht beleidigt, »eine Mutter habe ich ihnen wirklich nicht gegeben! Aber dafür habe ich ihnen die liebste und beste Großmutter gegeben! Denken Sie doch, daß es Ihre Kinder sind. Statt meiner, der ich aus dem Nest geflogen bin.«

»Wie lange bleibst du jetzt hier?«

»Ich muß schon wieder weg. Erst nach London, von dort nach Brüssel, dann nach Baden-Baden, Wiesbaden, Ems und Frankfurt.«

»Was für ein Leben! Du überarbeitest dich! Das hältst du nicht mehr lange aus!«

»Was soll ich machen? Ich brauche Geld. Marie gibt unheimlich viel aus.«

Die Mutter preßte die Lippen hart aufeinander. Und er wußte, welche Worte diese zusammengepreßten Lippen verschwiegen: »Hast du eine Gräfin nötig gehabt?« Aber keines sagte einen Ton. Franzi schämte sich. Nicht, weil er sein Leben an Maries Leben geknüpft hatte, – das hatte wohl so sein müssen, und wenn er diese sieben Jahre von vorn beginnen müßte, er würde wohl genau wieder so handeln. Aber er schämte sich vor der sauberen Schlichtheit und der reinen Kraft seiner Mutter. Er lebte jetzt mit Marie in einem teueren Hotel, in dem sie sich eine ganze Zimmerflucht hatten einrichten lassen. Sinnlos vergeudeten sie das Geld, besonders für Kleider, Parfüm und hundert andere unnütze Kleinigkeiten verschwendete Marie Unsummen. Und diese alte Frau erzog die Enkel der Frankfurter Millionärin in einer engen kleinen Wohnung. Sie feilschte wegen zwei Sous eine halbe Stunde lang beim Fleischer und lief ihre alten Füße wund, um die Omnibuskarte zu sparen. Sie brauchte mit den drei Kleinen in einem ganzen Monat soviel, wie die reiche Marie an einem einzigen Tage ausgab. Deswegen schämte sich Franz so maßlos. Aber davon sprach er nicht. Er küßte seine Mutter und die Kinder, dann ging er wieder fort, um abermals monatelang nicht zurückzukommen … Um abermals in einer rüttelnden Postkutsche und in schlaflosen Nächten in kahlen Hotelzimmern an seine seßhaften Freunde zu denken, an den neben George Sand dahinsiechenden, immer ätherischer und durchgeistigter werdenden Chopin … an den im trauten Heim mit unerschütterlichem Glauben und leidenschaftlicher Hingabe komponierenden Berlioz … an Victor Hugo, der sich in eine wunderschöne, kleine Schauspielerin unsterblich verliebt und um ihretwillen blind sein Heim aufgegeben hatte … an Sainte-Beuve, der dadurch endlich die seit Jahren qualvoll ersehnte Gunst von Frau Hugo gewonnen hatte … an Musset, der in grenzenlosem, unstillbarem Schmerz um George zum Trinker geworden war.

Sein kreuz und quer durch Europa führendes Zigeunerleben beschenkte ihn ab und zu mit neuen Freunden. In Brüssel lernte er einen interessanten, auffallend hübschen jungen Mann, den Fürsten Felix Lichnowsky kennen. Dieser junge Aristokrat, ein Verwandter des durch Beethovens Widmungen unsterblich gewordenen Lichnowsky, bot in seinem Wesen ein seltsames Gemisch von bezwingender Liebenswürdigkeit, unglaublichem Leichtsinn, ständiger innerer Unruhe, rückhaltloser Zärtlichkeit und Wildheit. Den berühmten Künstler überschüttete er sogleich mit stürmischen Geständnissen seiner schwärmerischen Zuneigung. Innerhalb weniger Tage gewannen sie einander so lieb, daß sie, wie Castor und Pollux, ewig zusammenbleiben wollten. Als Franzi aus Brüssel nach Paris zurückkehren wollte, nötigte er den Fürsten, um jeden Preis mit ihm zu kommen. Der hatte aber keinen einzigen Franken in der Tasche. Er besaß zwar ausgedehnten Grundbesitz und ein schönes Schloß, durch seine Lebensweise geriet er jedoch ständig in Geldverlegenheiten. Franzi zwang ihm ein Darlehen auf, er hatte ja genug Geld, das konnten sie getrost zu zweit verbrauchen. Von da ab wurde Fürst Felix zu seinem treuen Schatten.

In Paris erhöhte Franzi das Darlehen auf zehntausend Franken. Lichnowsky schwamm in Seligkeit, vergeudete das Geld und glänzte. Er eroberte alle auf den ersten Blick. Seine männliche Schönheit wurde in Paris schnell bekannt, neben Franzis sprichwörtlicher Blondheit wurde er der » beau brun«. Er spendete bei den Konzerten den heftigsten Beifall, er verkündete in jeder Gesellschaft aufs eifrigste Franzis Ruhm, er schickte Marie Blumen, er eroberte die drei Kinder mit Leckereien und mit überschwenglichem Lob für ihren Sohn sogar auch Mutter Liszt. Dann mußte Franzi nach London reisen und der Fürst nach Spanien, weil die zehntausend Franken ausgegeben waren. Er hoffte, sich dort als Freund der karlistischen Partei Geld verschaffen zu können.

In London erwartete Franzi der Salon der Lady Blessington und der des Grafen D'Orsay. Lady Blessington war Londons George Sand, allerdings mit dem Unterschied, daß ihre Begabung wesentlich geringer, ihr Salon dafür aber um so größer war. Die englische Aristokratie hatte sich zwar langsam von diesem Salon zurückgezogen, da aber dort viele interessante Gestalten aus der Künstlerwelt anzutreffen waren, fanden sich auch einige Earls, Viscounts, Lords und Baronets, ja sogar einige Ladies, die, wie von einer verbotenen Frucht naschend, diese Empfänge mitmachten, nicht ganz so interessant wie die ständigen Besucher, aber von besserem Ruf. Franzi wurde der Löwe beider Salons, man nannte ihn auch: » the pianolion«. Aber auch in den Häusern des Hochadels, die mit Künstlern sonst keinen Verkehr pflegten, empfing man ihn, und nachdem er eine Einladung an den Hof bekommen und vor der in jugendlicher Schönheit erstrahlenden Königin Viktoria gespielt hatte, ja, von ihr sogar durch eine längere Audienz ausgezeichnet worden war, öffneten sich vor ihm die Tore auch der konservativsten Häuser. Zum Wochenende lud man ihn auf ländliche Schlößer, sieghaft genoß er das Leben auf dem Gipfel des Erfolges. Von da ab sehnte er sich immer wieder nach London zurück.

In Ems spielte er vor der dort zur Erholung weilenden Zarin, die ihn mit einem Brillantring beschenkte und nach Rußland einlud. In Hamburg gab er sechs Konzerte mit überwältigendem Erfolg. Überall Triumphe, eine begeisterte Presse und Frauen, Frauen und abermals Frauen. Er sehnte sich aber immer wieder nach London zurück. Und nach Lichnowsky, den er gern wieder bei sich haben wollte. Lichnowsky konnte ihn aber nicht begleiten, dafür begleitete ihn Marie auf seiner zweiten Reise nach London. Vergeblich hatte er versucht, ihr abzuraten. Franzi wußte genau, aus manchen Gründen sogar nur allzu genau, daß das kein gutes Ende nehmen würde. Er wagte auch einige Bemerkungen darüber, daß die Steifheit Londons und die Unerbittlichkeit seiner gesellschaftlichen Vorschriften für eine Frau in so heikler Lage verhängnisvoll werden könne. Zuerst widersprach ihm Marie, dann machte sie ihm eine große Szene, endlich bekam sie einen Weinkrampf, – Franzi ergab sich. Sie reisten zusammen nach London.

Marie hatte ihre eigenen Pläne. Sie baute auf Lady Blessington. Von Bulwer hatte sie ein Empfehlungsschreiben für sie und war sehr stolz, nicht auf den Nimbus ihres weltberühmten Geliebten angewiesen zu sein. Ihrer Sache war sie ganz sicher. Sie stiegen in verschiedenen Hotels ab, denn schließlich war sie ja noch immer die Gräfin D'Agoult. Der Pariser Klatsch schien von hier aus in so weiter Ferne zu liegen …

Aber schon am dritten Tage fand Franzi Marie weinend in der Vorhalle des Hotels. Lady Blessington hatte auf ihren Empfehlungsbrief überhaupt nicht geantwortet. Da Marie der Meinung war, daß hier nur ein Mißverständnis vorliegen könnte, ließ sie sich bei der Lady melden. Die Lady ließ jedoch einfach ausrichten, daß sie außerordentlich bedauere, die Gräfin nicht empfangen zu können, da sie sich nicht wohlfühle.

»Das hat mir diese verrufene Frau angetan, dieses große Nichts, diese talentlose Person …«

Franzi erwiderte nichts, holte einen Brief aus seiner Tasche und legte ihn vor Marie hin. Es war eine Einladung. Lady Blessington bat Mister Francis Liszt, anderntags sechs Uhr bei ihr zu dinieren.

»Gehen Sie hin?« rief Marie entsetzt.

»Ich werde nicht hingehen, ich werde absagen. Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, daß ich dieses Gebaren hier nicht aufrecht erhalten kann. Ein Künstler kann in London das Haus der Lady Blessington nicht entbehren. Das ist eine durchaus nüchterne geschäftliche Erwägung. Als ich letztesmal hier war, hat sie mir die Erfolge meiner Konzerte in der Gesellschaft vorbereitet.«

»Franzi, wenn Sie ohne mich hingehen, weiß ich nicht, was ich tue.«

»Ich bedauere Sie aus ganzem Herzen, Marie, diese kleine Lektion verdienen Sie aber. Sie hätten mich um Rat fragen müssen und durften nicht so leichtfertig nach Ihrem Kopf handeln. Wenn Sie einmal mit nach London gekommen sind, hätte ich schon einen Weg gefunden, die größten Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen. Jetzt müssen Sie aber selbst sehen, woran Sie sind.«

»So? Das werden wir ja sehen. Reden wir nicht mehr davon, ich habe noch andere Trümpfe. Ich werde es schon Ihnen und der Lady Blessington zeigen. Diese Bestie!«

»Seien Sie nicht ungerecht und denken Sie ein wenig nach. Lady Grosvenor oder Lady Mountbatton können sich leisten, Sie einzuladen. Ihre gesellschaftliche Position ist unantastbar. Lady Blessington aber muß hundertmal mehr aufpassen. Was sind im übrigen Ihre sogenannten Trümpfe?«

»Überlassen Sie das jetzt nur mir. Wohin gehen wir jetzt?«

»Ich begleite Sie ins Britische Museum, wo Sie den ganzen Vormittag verbringen können. Ich habe einiges Geschäftliche zu erledigen. Punkt ein Uhr erwarte ich Sie am Eingang des Museums, dann gehn wir frühstücken.«

»Soll ich den ganzen Vormittag allein im Museum verbringen?«

»Das tut mir leid, liebe Marie, ich habe es Ihnen aber gleich gesagt, daß ich nicht nach London komme, um mich zu zerstreuen.«

Marie schluckte. Sie verbrachte den ganzen Vormittag allein im Museum. Von den Einladungen sprach sie nicht wieder. Nach zwei Tagen erfuhr Franzi, worin der Trumpf Maries bestanden hatte. Es war beim Grafen D'Orsay. Der Graf empfing ihn mit auffallender, ja sogar verdächtiger Liebenswürdigkeit. Dann schickte er sich an, ihm das Unangenehme zu eröffnen.

»Hören Sie mal, old chap, ich muß eine sehr heikle Sache mit Ihnen besprechen. Ich habe einen Brief erhalten, in dem mir mein Bekannter Bulwer die Gräfin D'Agoult unter ihrem schriftstellerischen Decknamen Daniel Stern empfiehlt. Ich stehe zu Ihnen in einem so aufrichtigen Freundschaftsverhältnis, daß ich wohl keine Umschweife zu machen brauche. Wenn ich Sie daran erinnern darf, war ich es, der Ihnen bei Ihrem letzten Londoner Aufenthalt dazu verholfen hat, vor Ihrer Majestät der Königin Viktoria spielen zu dürfen. Versuchen Sie deshalb bitte, der Gräfin, die meine Frau und ich schätzen, von einem Auftreten in der Londoner Gesellschaft abzuraten. Diese Stadt mit ihren Scheinsitten muß man nehmen, wie sie ist. Der Gräfin könnte schmerzliche Unbill widerfahren, und ich möchte sie, wenn auch als unbekannter Verehrer, so doch als Ihr wahrer Freund, vor bitteren Erfahrungen bewahren.«

Das war deutlich genug. Franzi durfte nicht länger zögern. Graf D'Orsay durfte keinesfalls sein Feind werden; denn wenn er sein erstes Konzert bei Hofe zustande bringen konnte, so konnte er auch das zweite vereiteln. Mit Lady Blessington mußte man ebenfalls vorsichtig verfahren, weil sie großen Einfluß auf die gesamte Musikkritik hatte. Er versuchte also, sich in Güte mit Marie auseinanderzusetzen. Er fing es sehr feinfühlig an, denn an den Umständen, die Marie in London unmöglich machten, fühlte er sich selbst schuldig. Er versuchte ihr klarzulegen, daß sie sowohl sich selbst als auch seiner Karriere schade, wenn sie noch immer Unmögliches mit Gewalt durchzusetzen versuche. Aber Marie ließ nicht locker. Sie hatte angeblich weitere Trümpfe. Durch Diplomaten, die ihren Bruder Maurice und dessen Frau, die Herzogin Montesquieu-Fézensac, noch aus seiner Londoner Dienstzeit kannten, versuchte sie sich Geltung zu verschaffen. Sie fand auch eine oder zwei Familien, die irgendeinen Schönheitsfehler aufwiesen und glaubten, sich etwas freier verhalten zu dürfen. Das war aber noch viel schlimmer, als wenn ihr nichts gelungen wäre. Franzi und Marie begannen getrennte Wege zu gehen. Immerfort mußte er Anspielungen über die unmögliche Gesellschaft der Gräfin D'Agoult hören. Die bloße Anwesenheit Maries hatte ihm im übrigen schon sichtlich geschadet. Die Türen der besten und einflußreichsten Häuser verschlossen sich vor dem Manne, der seine Geliebte offiziell nach London gebracht hatte. Die Einladung an den Hof ließ immer länger auf sich warten, bis endlich zur Gewißheit wurde, daß sie diesmal überhaupt nicht erfolgen werde.

Da setzte er sich abermals mit Marie zusammen, um zu retten, was noch zu retten war. Nach großen Schwierigkeiten einigte er sich endlich mit ihr, nach Richmond überzusiedeln. Das sei ein wunderbarer Ort, ruhig und vornehm, für ihre mitgenommenen Nerven sehr wohltuend. Er würde seine Zeit zwischen Richmond und London aufteilen.

Diese Lösung kam aber schon zu spät. In den einflußreichen Häusern mied man ihn, seine Konzerte wurden von den führenden Persönlichkeiten kaum noch besucht und galten nicht mehr als unversäumbare Ereignisse. Belloni, bisher nur an ausverkaufte Häuser gewöhnt, raufte sich die Haare, Franzi wurde nervös und beinahe wieder krank, geringer Erfolg brachte ihn stets über Gebühr aus der Fassung.

Einmal begleitete er Marie von Richmond aus zu einem Rennen in Ascot. Sie begegneten unzähligen Bekannten, die ihm alle zuwinkten, aber, sobald sie Marie erblickten, nicht zu ihm hinkamen. Dieses Erlebnis sprach für sich. Verbittert bestiegen sie ihren Wagen und zankten sich den ganzen Weg entlang bis Richmond heftig und mit funkelnden Augen. Sie schieden im bösen. Sie trennten sich. Franzi blieb nicht in Richmond, er fuhr sofort nach London zurück. Von dort schrieb er Marie am anderen Tage: »Gestern haben Sie auf dem ganzen Weg von Ascot bis Richmond kein Wort ausgesprochen, das nicht eine Verletzung, eine Beleidigung gewesen wäre. Aber wozu auf so traurige Dinge zurückkommen, wozu so im einzelnen alle Wunden unseres Herzens aufzählen … Leben Sie wohl. Ich fühle mich außerordentlich müde. Ich möchte dennoch länger mit Ihnen reden, aber die Erinnerung an Ihre Worte hemmt mich und läßt mich erstarren. Gute Nacht, schlafen Sie gut. Eine Menge Gedanken bewegen und bedrücken mich. Werde ich mit Ihnen reden können? Ich weiß es nicht, aber vielleicht wird dieses eine Mal noch mein Wort Sie überzeugen? Leben Sie wohl, ich verzweifle nicht.«

Marie verließ England. Franzi folgte bald nach. Er sah vom Schiff nicht nochmals auf dieses Land zurück, das ihm diesmal soviel Bitterkeit gebracht hatte. Er mußte in Hamburg, in Kopenhagen, in Kiel, in Cuxhaven Konzerte geben. Mit Christian VIII., dem König von Dänemark, freundete er sich an. Das Geld strömte ihm wieder in unvorstellbaren Mengen zu.

In Paris traf er Marie wieder. Seit London hatten sie nicht einmal Briefe miteinander gewechselt. Das Wiedersehen jagte sie von neuem einander in die Arme. Marie fand nirgends mehr Halt, sie verlor sich, ihr war nur dieser eine Mann geblieben. Franzi vermochte sich von der Verantwortung für ihr aufgewühltes Leben nicht zu befreien. Ohne Liebe, lustlos, traurig und niedergeschlagen, unschlüssig und ratlos blieben sie unter matten, erzwungenen Küssen einer zerrütteten Ehe abermals beisammen. Der Sommer kam und die Kinder hatten Erholung nötig. Irgend jemand gab ihnen den Rat, das auf der kleinen Insel Nonnenwerth im Rhein leerstehende malerische Klostergebäude zu mieten.

Sie richteten sich auf der kleinen entzückenden Insel ein. Die Insel war herrlich und der Sommer gesegnet und heiter. Die drei Kinder tollten laut und vergnügt unter den dichtbelaubten Bäumen herum. Und die Eltern trugen das furchtbare fressende Gift der Gleichgültigkeit und Langweile in ihrem Herzen. Marie saß untätig herum, sah stumpf vor sich hin, sie ging ihrem vierzigsten Lebensjahr entgegen, eine trostlose Verzweiflung beherrschte sie. Franzi aber brauchte sich nur ans Klavier zu setzen, dann leuchteten seine Augen plötzlich auf, jede Sekunde des Weltalls gehörte ihm …


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