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Drittes Kapitel

Rings herum schneebedeckte Berge, das augenblendende Glitzern des Alpenschnees, die warme Behaglichkeit des Bergschlosses und das Klavier: das schien das Paradies zu sein, ein Ruheplatz für die in quälende Unrast geratene Seele.

So war es auch, – zwei Tage lang. Dann brach das Unglück herein. Als sie sich am dritten Tage in lustiger und froher Stimmung abends um sechs Uhr zu Tisch setzten, ließ die alte Tante, die sonst kein Wässerchen trübend ihren Tabak schnupfte und mit einem Buch am Kamin saß, eine flüchtige Bemerkung fallen, daß Graf Miramont hier immer gefroren habe.

»Wer ist Miramont?« fragte Franzi.

»Ein guter Bekannter von uns«, antwortete die Gräfin hastig, »er war voriges Jahr im Winter hier zu Besuch.«

»Auch im Sommer«, ergänzte der alte Graf, »Miramont ist ein sehr netter Mensch.«

Dann sprachen sie von etwas anderem. Als Franzi mit der Gräfin allein war, lenkte er das Gespräch nochmals auf diesen Grafen Miramont. Anfangs antwortete sie geduldig: Miramont sei ein vornehmer Mann aus Paris und ein guter Freund des Grafen. Er hätte ihn im vorigen Winter und einmal auch im Sommer hier besucht. Franzi hatte aber auf jede Antwort zwei neue Fragen. Wie alt war dieser Miramont? Es stellte sich heraus, daß er einunddreißig Jahre alt war. Wenn er einunddreißig Jahre alt war, wie konnte er dann ein so guter Freund des alten Grafen sein? Und wenn er nur ein oberflächlicher Bekannter Adèles war, woher wußte sie so genau, daß er einunddreißig Jahre alt war, nicht mehr und nicht weniger? Adèle verlor die Geduld und brach das Gespräch über dieses Thema schroff ab. Franzi fühlte sich durch ihren Tonfall verletzt, die Stimmung wurde gespannt.

In der traulichen Stille des Fremdenzimmers bestürmte er sie noch in dieser Nacht mit neuen Fragen über Miramont. Unverheiratet? Ja, ledig. Verliebt in jemanden? Das könnte doch nur Miramont selbst beantworten. Seit wann kannten sie sich? Ungefähr seit drei bis vier Jahren. War er auch schon früher in Marlioz? Ja. Öfters? Öfters.

»Mein Liebling«, flüsterte die Frau mit der verhaltenen Stimme der verbotenen Schäferstunden, »quäle mich doch nicht mehr mit diesem Unfug. Komme ich zu dir, damit wir uns von diesem Miramont unterhalten? Warum sprechen wir nicht von uns beiden?«

Für den Augenblick ließ Franzi es dabei bewenden. Aber am anderen Morgen konnte er kaum die Gelegenheit erwarten, wo er wieder alle die neuen Fragen vorbringen konnte, die während der Nacht in ihm reif geworden waren. Der Verdacht machte ihn hellhörig. Mit der Aufmerksamkeit eines Untersuchungsrichters nahm er die Antworten Adèles entgegen, und beim kleinsten Widerspruch packte er zu. Mit jedem Schritt versank die Frau tiefer in den Morast beschwichtigender Lügen. Franzi ging hartnäckig und unbeirrt vor wie ein Strafrichter, der alle Beweise der Schuld schlüssig in den Händen hält und dem es nur noch darauf ankommt, den Angeklagten zu überführen. Am dritten Tage gestand Adèle ermüdet, daß sie die Geliebte des Grafen Miramont gewesen sei.

Franzi wunderte sich über sich selbst. Das Eingeständnis erregte ihn über alle Maßen. Zu Beginn ihrer Freundschaft hatten sie sich einige wenige liebestrunkene Tage geschenkt. Aber dieser Rausch war bald verflogen. Seitdem dachte er mit Zuneigung und mit dem gesunden Verlangen eines jungen Mannes au die schöne Frau, verspürte auch eine gewisse Dankbarkeit ihr gegenüber, trotzdem nahmen aber seine musikalischen und religiösen Betrachtungen, seine Freunde und Helfer, Berlioz, Chopin und Lamennais, in seinem Herzen einen viel wichtigeren Platz ein als die begehrenswerte Gräfin. Deshalb wäre es jetzt das Natürlichste von der Welt gewesen, überlegen und klug mit den Achseln zu zucken, nachdem er von den früheren Liebschaften der Frau Kenntnis gewonnen. Es war ja auch kaum denkbar, daß er für die an der Seite eines greisen Gatten lebende kokette Schöne den ersten Fehltritt bedeutet hätte. Er war aber nicht fähig, mit der Achsel zu zucken, sondern fühlte verwundert, wie in seinem Herzen eine stechende, brennende Wunde aufsprang. Wie einer, der einen Mückenstich durch Reiben reizt, sich infiziert und von dieser lebensgefährlichen Wunde in ein schweres Fieber fällt, so verbrachte er Stunden in zähneknirschendem, schlaflosem Herumwälzen. Und nur über sich selbst war er grenzenlos verwundert: er war eifersüchtig auf die Vergangenheit einer Frau, die er nicht liebte. Wie war das möglich?

Ihre Nächte wurden zu sinnlosen Qualen. Ausfragen, weinende Geständnisse, sehnsüchtiges Verlangen nacheinander, – Versöhnung … Wieder Ausfragen, wieder weinende Geständnisse und wieder Versöhnung … Franzi bohrte störrisch in seinem Schmerz herum. War auch noch ein anderer da? Adèle leugnete heftig. Mit einer leichten Lüge gab er sich aber nicht zufrieden. Er verlangte furchtbare Schwüre und als sich Adèle widersetzte, folterte er sie von neuem mit seinen Fragen. Nach und nach preßte er so noch einen Namen aus seiner Geliebten heraus und noch einen. Mit hämischer Siegesfreude sammelte er die erpressten Geständnisse: es gab eine Zeit, da Adèle mit dem einen noch nicht gebrochen hatte und schon wieder einem anderen angehörte. Dann war es wahrscheinlich jetzt auch so.

»Gestehe doch, daß du mich mit ihm betrogen hast. Er war genau so hier wie ich. Während du mir Briefe schriebst, hast du ihm angehört.«

»Nein, nein …«

»Doch, doch. Gestehe es nur …«

Er forderte das Geständnis, er bettelte darum, er redete ihr zu, er erpresste sie. Und endlich gestand sie: ja, Miramont war heute noch ihr Geliebter. In dieser Nacht hatte Franzi in der maßlosen Aufgewühltheit, in die er sich selbst hineingetrieben hatte, Selbstmordgedanken. Obgleich er wußte, daß er im Grunde seines Herzens in diese Frau nicht verliebt war. Und doch riß er sie wieder in seine Arme, sie, die er unbändig haßte. Seine Qualen konnten nur die Küsse dieser Frau mildern. In den Nächten aber peinigten sie sich mehr, als daß sie ihre Sehnsucht in heißen Umarmungen stillten. Am Tage schleppten sie sich schläfrig mit heißem Kopf, in nervöser Gereiztheit herum. Die alte Tante schnupfte zufrieden in ihrer Ecke am Kamin, der alte Graf war ahnungslos vergnügt. Er hörte mit großer Freude dem Klavierspiel zu, und ging dann zu seinen Leuten, um für den am nächsten Tage stattfindenden Jagdausflug Anordnungen zu treffen.

Franzi hatte die Herrschaft über seine abgespannten Nerven schon völlig verloren, als Adèle ihm eines Tages mit blassem Gesicht erzählte, daß Miramont nächste Woche zu Besuch käme. Er habe sich unerwartet angemeldet, sei bereits unterwegs und es bestünde daher keine Möglichkeit, ihm mitzuteilen, daß sein Kommen unerwünscht sei. Franzi erwiderte kein Wort, preßte die Lippen zusammen und setzte sich ans Klavier, denn das Klavier war immer der einzige, letzte Ausweg, seine Erregung zu dämpfen. Dann erwartete er die Nacht und teilte seiner Geliebten mit, daß er am nächsten Tage abreise: er werde mit dem Schlitten nach Genf fahren und dort auf den nächsten freien Platz in der Postkutsche warten. Er habe sich dazu entschlossen und sei nicht umzustimmen. Die Gräfin weinte heftig, bat ihn aber nicht, zu bleiben.

»Küßt du mich nicht noch einmal, zum letzten Male?«

Statt jeder Antwort umarmte er sie mit wildem Zorn. Er preßte sie an sich, als wollte er sie erwürgen, und küßte sie, um ihr Schmerz zu bereiten. Im Kuß zischte er einen hämischen Fluch zwischen die blassen Lippen der Frau:

»Jetzt betrügst du ihn mit mir! Ich weiß, daß du in Wirklichkeit nur ihn liebst. Sei's drum. Aber es soll dir sehr schwer fallen, ihm in die Augen zu sehen …«

Am Tage darauf erbat er unter einem nichtigen Vorwand einen Schlitten von dem Grafen und fuhr weg. Und in Paris, wo er mit gekräftigten Nerven und mit freien, gelösten Gedanken hätte ankommen sollen, traf er aufgewühlt und zu Tode erschöpft wieder ein.

Vor allem mußte er sich nun um ferne Unterrichtsstunden kümmern, denn dieser Ausflug in die Alpen hatte ihn in Schulden getrieben. Zu alledem kam noch, daß er sich mit seiner Mutter überwarf, die über die furchtbare Zerrüttung seiner Nerven ganz außer sich war und ihm auch wegen der vernachlässigten Unterrichtsstunden heftige Vorwürfe machte. Es gab Tage, an denen Mutter und Sohn kein einziges Wort miteinander sprachen.

Gesellschaften besuchte er nicht. Er übernahm wesentlich mehr Unterrichtsstunden als bisher, und seine ihm noch verbleibende freie Zeit verteilte er auf seine drei Freunde. Aber auch mit denen war nicht alles in Ordnung. Nur Chopin ging ruhig und ausgeglichen seiner Arbeit nach. Erst vor kurzem hatte er drei seiner Werke veröffentlicht, und jetzt arbeitete er an einer g-moll-Sonate. Franzi hätte ihm am liebsten alles gestanden, aber seine Kavalierspflicht gebot ihm zu schweigen, obwohl ein jeder ganz genau wußte, wo er gewesen war. Deshalb erzählte er nur, daß er eine große seelische Erschütterung erlebt habe. Chopin klopfte ihm mit aufrichtigem Mitgefühl auf die Schulter, konnte aber doch eine kleine ironische Bemerkung nicht unterdrücken:

» Niema jak polka!« Er wiederholte diesen Ausruf, den er auch sonst oft im Munde führte.

»Es geht nichts über die Polin!« Franzi verstand diese auf die Gräfin Plater gemünzte Anspielung sofort. Er schwieg und beneidete den schlichten, ruhigen, nur seiner Musik lebenden Polen, den er in einer so sonnigen Ruhe wiedersah.

Um so mehr war aber mit seinen beiden anderen Freunden los. Der Abbé Lamennais empfing ihn vergrämt und niedergeschlagen. Er konnte sich kaum des Wiedersehens mit dem jungen Freunde freuen. Der Papst hatte sich mit dem Selbstmord des »Avenir« und mit der Huldigungsadresse der Lamennais-Anhänger nicht begnügt. Er hatte eine noch stärkere Demütigung gefordert.

Berlioz lebte in den stürmischen Tagen seiner unbändigen Sehnsucht nach der englischen Schauspielerin. Er schien fast unzurechnungsfähig. In Franzis Wohnung schluchzte er, über den Tisch gebeugt, und verfluchte die Minute, in der er Harriet Smithson zum ersten Male erblickt hatte. Am nächsten Tage war er schon wieder bei Franzi und berichtete verzweifelt und nach Atem ringend, daß Harriet, dieser vom Himmel auf die Erde herabgeschwebte Engel, sich den Fuß gebrochen habe, aber derartig verschuldet sei, daß es nicht einmal für den Arzt reiche. Man müsse ein Konzert zu ihren Gunsten zustande bringen, und zwar so schnell als möglich. Alle Freunde an Deck!

Franzi half gerne. Henry Herz, ebenfalls ein Klavierkünstler, Chopin und er traten zugunsten der kranken Schauspielerin auf. Es wurde ein großer Erfolg, sie schwammen förmlich im Applaus. Er hörte sich den Sturm der Begeisterung gleichmütig und unbeteiligt an. Er fühlte sich unsagbar leer, ausgebrannt. In seinen schlaflosen Nächten fragte er sich immer wieder, was es bloß für einen Zweck habe, weiterzuleben …?

Eines Abends mußte er eine Unterrichtsstunde bei einer Familie des Faubourg erteilen. Die vornehme Hausfrau, die Marquise La Valette, stellte einen Gesangschor junger Mädchen zusammen und bat ihn, einen Choral von Weber einzustudieren. Liebenswerte, zwitschernde, zarte Wesen waren diese mit hochadeligen Kronen gezierten Engelchen. Hinter seinem Rücken kicherten sie, vor ihm schlugen sie züchtig die Augen nieder. Unter ihren Wimpern blitzte aber der Übermut ausgelassener junger Hunde und die ungeschickte Schelmerei halbwüchsiger Jungfräulein. Er ließ sich jedoch nicht aus seiner gedrückten Stimmung bringen und kleidete sie, seiner Gewohnheit gemäß, in ein literarisches Gewand: man lebte ja in einem von Weltschmerz erfüllten Zeitalter, dem der bezaubernd schöne Lord Byron seinen Stempel aufgeprägt hatte. An dieses Vorbild hatte er sich zu halten. Er gab im Stillen zu, daß sein Benehmen nicht echt war; aber er wußte auch, daß alles das, was er in eine künstlerische Pose kleidete, aufrichtig war.

Die Noten einer der kleinen Gräfinnen waren verlorengegangen. Mit der Wohnung vertraut, ging er in den gegenüberliegenden kleinen Salon, um dort die Stimmpartie schnell nochmals abzuschreiben. Als er wieder in das Musikzimmer zurückkehrte, fand er noch eine Dame vor, die in der Zwischenzeit gekommen war.

»Erlauben Sie, meine Liebe, daß ich Ihnen Litz vorstelle. Gestatten Sie, lieber Litz, daß ich Sie mit der Gräfin D'Agoult bekannt mache.«

Die fremde Dame reichte ihm die Hand. Franzi kannte ihren Namen, und da er mit den Verhältnissen der vornehmen Gesellschaft vertraut war, wußte er, daß diese Frau aus dem exklusivsten Kreise des Faubourg stammte, aus jenem Kreis, der, die Gepflogenheiten anderer Herzoginnen und Gräfinnen verachtend, sich der Einladung bürgerlicher Personen steif verschloß. Alsbald loderte in ihm der alte, aus Empfindlichkeit, der Angst, erniedrigt zu werden, und angeborenem Stolz gemischte Hochmut auf, der der Ausdruck seiner seelischen Haltung war, wenn er solchen hochgestellten Persönlichkeiten begegnete. Er nahm sofort neben der Gräfin Platz, um ja nicht als unterwürfig eingeschätzt zu werden, und suchte nach einigen passenden Worten zur Hervorhebung des gesellschaftlichen Unterschiedes, um nicht von den anderen den Vorwurf seiner niedrigen Geburt, und sei es auch nur durch einen Blick, entgegennehmen zu müssen.

»Ich freue mich außerordentlich, daß ich Gelegenheit habe, Sie kennenzulernen, Gräfin. Einem so einfachen Bürger wie mir wird selten eine solche Auszeichnung zuteil, und ich kann diesen Augenblick deshalb gebührend würdigen. Interessiert Sie die Musik?«

»Oh, sehr. Im Internat, wo ich erzogen worden bin, habe ich den Chor geleitet. Ich habe in der Kapelle die Orgel bedient und auch die Soli gesungen. Heute noch könnte ich den Sanctus, O Salutaris und Veni Creator singen. Ich spiele auch heute noch fleißig Klavier, wenn in der Anwesenheit eines weltberühmten Künstlers überhaupt von meinem Spiel die Rede sein kann. Wie ich sehe, üben Sie einen Choral von Weber.«

»Ja, und zwar mit Begeisterung. Die jungen Damen lieben dieses Stück sehr, und auch ich habe es gerne. Ich finde, daß er ein geistreicher Tonsetzer ist. Wen bevorzugen Frau Gräfin?«

»Ihren Vorgänger Mozart. Ich spiele sehr oft aus Idomeneo und Don Giovanni.«

Während sie sich über die Musik unterhielten, betrachtete er die Gräfin D'Agoult aufmerksam. Sie war eine auffallende Schönheit, vor allem durch die in ihrer Erscheinung vereinten Farben. Das Schönste an ihr war ihr Haar. Es war voll, goldblond, duftig schimmernd. Sie trug es in der Mitte gescheitelt, auf beiden Seiten über die Ohren gekämmt und hinten zu einem prächtigen Knoten geflochten. Ihre Augen waren ganz dunkelblau, der schmale, wunderschön gezeichnete Mund dunkelrot. Der tiefe Ausschnitt ihres Kleides zeigte mandelmilchweiße Haut. Ihre Gestalt mit den schmalen Hüften und dem vollen Busen weckte Erinnerungen an Rubens. Sie war wunderbar schön! Schöner als irgendeine seiner Bekannten. Nur die Gräfin Delphine Potocka, den unschuldigen Schwarm Chopins, konnte man ihr vielleicht gleichstellen.

»Die Musik ist der einzige wahre Trost auf Erden«, sagte sie mit dunkler Stimme. »Ohne Musik könnte man wahrscheinlich gar nicht leben. Sie bringt mich immer nahe zu … zu …«

»Zu Gott«, fiel ihr der Künstler ins Wort, während er den schnellen und abwägenden Blick der Frau auf seinem Gesicht fühlte, »jede Kunst führt zu Gott. Nur wer das Schöne wahrhaftig liebt, kann ein Gottgläubiger sein. Ich glaube, ich darf in Ihnen, Gräfin, einen Gefährten meines sehr tiefen und starken Glaubens erblicken …«

»Oh, ja. Ich bin tief religiös. Nach meiner Auffassung …«

Die Hausfrau trat dazwischen:

»Es wäre vielleicht gut, wenn …«

Franzi sprang sogleich auf und trat zum Klavier. Sie begannen mit der Probe. Sein Ohr haschte immer wieder nach der neuen Stimme hinter seinem Rücken, dieser vollen, sinnlichen, reifen Stimme mitten unter den unschuldig schrillen Mädchenstimmen. Wie die schlanke Frau selbst war diese betörende Stimme. Der Chorgesang war verklungen. Beim letzten Takt wandte er sich zur Seite und traf sicher die Augen der Gräfin. Sein Blick war der Blick des Mannes unter der Maske des Künstlers. Kühn, heiß, angriffslustig und zündend. Das Gesicht der Frau überzog sich mit einer zarten Röte, wie sie nur Rosen auf echtem Porzellan eigen ist.

Franzi spielte noch einzelne Teile aus seiner für Klavier überarbeiteten Symphonie von Berlioz. Dann nahm er Abschied. Auf dem Gesicht der Gräfin D'Agoult war das Entzücken über das bewunderungswürdige Klavierspiel deutlich zu lesen.

»Gute Nacht, Monsieur Litz.«

Das war alles. Franzi verließ enttäuscht das Palais. Bei solchen Gelegenheiten pflegte man ihn sonst höflich zu einem Besuch aufzufordern. Diese glanzvolle Gräfin unterließ es.

Er zog die Schultern hoch und ging langsam nach Hause. Aber er spielte umsonst den Gleichgültigen, diese begehrenswerte Frau ging ihm nicht wieder aus dem Sinn. Er ärgerte sich über sich selbst. Bei einer Gräfin hatte er sich doch eben erst den Mund verbrannt. Warum fing er schon wieder an, sich um eine neue Gräfin zu quälen und dazu noch so jämmerlich hoffnungslos? Er nahm sich ernstlich vor, an diese hochmütige Dame, die ihn noch nicht einmal zu einem Besuch aufforderte, wie es sich doch gehört hätte, nicht mehr zu denken. Es gab eben Häuser, deren Schwellen zu überschreiten viel schwerer war, als in das Schloß des Königs Louis Philipp Eintritt zu finden. Das wußte er ja schon lange. Trotzdem schlief er niedergedrückt und traurig ein.

Anderntags ging er mißgestimmt seinen Unterrichtsstunden nach und kehrte unlustig wieder nach Hause zurück. Dort erwartete ihn ein Brief. Auf dem Umschlag eine neunzackige Krone, im Brief selbst:

 

»Mein Herr, mit Ihrem Besuch würden Sie eine Freude bereiten der aufrichtigen Bewunderin Ihrer Kunst, der

Gräfin D'Agoult.«

 

Franzi rief aufgeregt seine Mutter aus der Küche:

»Mutter, um halb sieben kommt Chopin. Richten Sie ihm bitte aus, daß ich in einer dringenden Angelegenheit weggehen mußte. Er soll nur gleich zu Franchomme gehen, ich komme später nach.«

»Zu wem soll er gehen?«

»Ach, mein Gott, zu Franchomme, dem Cellisten, er weiß das schon. Geben Sie mir jetzt bitte meinen neuen Frack …«


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