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Fünftes Kapitel

Die Gräfin war in Croissy und sie schrieben sich häufig. Es waren aber keine echten, aufrichtigen Briefe, es war Theater. Er schrieb nicht das, was er wirklich sagen wollte, sondern spielte eine ihm aufgezwungene Rolle, und in den Briefen der Gräfin war auch etwas Gezwungenes und Gekünsteltes.

Endlich machte er sich an die Niederschrift der Berlioz-Phantasie. Die Arbeit ging nur langsam vorwärts. Und wenn ihn das Bild der betörenden Gestalt der Gräfin nicht störte, empfand er eine große Freude an der herrlichen, königlichen Sicherheit und Überlegenheit, mit der er alles Geschehene dieser Welt in der Sprache des Klaviers wiederzugeben vermochte. Paganini beschäftigte seine Gedanken längst nicht mehr. Er war fest überzeugt, daß er das Klavier ebenso beherrschte wie Paganini seine Geige.

Da tauchte Adèle in Paris auf. Sie schrieb ihm, er möge sie bei ihrer Freundin, Madame Laborie, besuchen. Die vertrauten, verschnörkelten Schriftzüge ließen mit einem Male die Erinnerung an alle vergangenen Qualen, an die wilden Umarmungen und an die vielen mit peinigenden Verhören verbrachten und jetzt so unglaubhaft scheinenden Nächte aufflammen. Die Luft des Gastzimmers im Schloß zu Marlioz schlug ihm in die Nase, der Geruch des Reisigs, das im Kamin knisterte, und der ein klein wenig muffige Lavendelduft der Bettbezüge. Franzi kannte Madame Laborie nicht, fand sich aber in ihrer Wohnung ein.

Adèle war schön und begehrenswert wie immer. Er verlangte nach ihr und haßte sie zugleich. Frau Laborie ließ nach einigen höflichen Redensarten die beiden unter einem durchsichtigen Vorwand allein. Sie waren beide verlegen und musterten sich gegenseitig mit schiefen Blicken. Sie wußten nicht, was sie miteinander anfangen sollten und wie es überhaupt mit ihnen stand. Endlich griff Adèle nach der altbewährten Waffe: sie begann zu weinen.

»Franzi, ich bin so unglücklich …«

»Warum?« fragte er, sie absichtlich quälend, »ist mit Herrn Miramont etwas geschehen?«

»Sprechen Sie doch nicht von ihm. Ich habe den Augenblick verflucht, in dem ich ihn kennengelernt habe. Ich leide so schrecklich und sterbe förmlich vor Sehnsucht nach einem einzigen guten Wort … Kannst du mir verzeihen, Franzi?«

»Nein«, entgegnete er und schüttelte den Kopf, »nie!«

»Gefalle ich dir nicht mehr? Das ist ja das Furchtbare, daß ich mich nach dir sehne, so heiß wie früher, und dich gleichzeitig hasse. Es war nicht recht, jetzt hierher zu kommen.«

Sie mußten leise sprechen, denn Frau Laborie hielt sich im Nebenzimmer auf. Sie hatte unter taktvoller Wahrung der Moral einen Türspalt offen gelassen. Die Gräfin schluchzte herzerweichend und flehte flüsternd um Vergebung. Ebenso leise flüsternd beantwortete er jedes Geständnis mit einer grausamen Anklage und jede Träne mit einer quälenden, hämischen Erinnerung. Eine Stunde währte dieses von Vorwürfen, Tränen und heimlichem Verlangen erfüllte Wiedersehen. Dann ergab sich Franzi, er vereinbarte eine Zusammenkunft mit ihr für den nächsten Nachmittag. Bis dahin verzehrte er sich in aufgeregten, verworrenen Grübeleien. Er fühlte, daß er irgendwie mit dieser Frau noch nicht fertig war. Die Begierde lebte noch in ihm, wenn sie sich bisher auch in einem Winkel seiner Seele gut versteckt hatte. Aber beim ersten Wort Adèles, beim ersten Ton ihrer gurrenden Stimme kam alles wieder zum Vorschein und zeigte seine fürchterliche Macht. Er wußte schon, daß ihn dieser Nachmittag in die Arme Adèles zurückführen würde. Und er wußte auch, daß er mit großem Einsatz spielte. Es war möglich, daß diese Liebesbegegnung ihn endgültig an diese Frau ketten und er dann rettungslos in eine von rasenden Eifersuchtsqualen und seelischen Demütigungen erfüllte Zukunft stürzen würde. Aber es war auch möglich, daß sein Verlangen noch einmal, nur noch ein einziges Mal, gestillt werden wollte, und daß er dann die qualvolle Abhängigkeit von der Gräfin Laprunarède endgültig überwunden haben würde. Er wußte nur nicht, wo er sich mit ihr treffen sollte. Hunderterlei Möglichkeiten und abenteuerliche Pläne gingen ihm durch den Kopf, aber er verwarf sie alle.

Tags darauf um die Mittagsstunde ging er in die Wohnung Chopins, in das versteckte Haus der Rue Anachorètes. Er wußte, daß Chopin, der für sein Leben gern Ausflüge machte, für drei Tage aufs Land gegangen war.

»Können Sie mir«, fragte er den Wirt Chopins, »die Schlüssel zur Wohnung des Herrn Chopin aushändigen? Ich übernehme die Verantwortung.«

Der brave Bürger, ein kleines Männlein mit einem Bauche wie eine Spinne, sah ihn unschlüssig an. Aber dann zuckte er mit den Schultern. Er wußte ja, daß dieser Herr der beste Freund von Chopin war. Wortlos reichte er ihm die Schlüssel. Franzi steckte sie hastig in seine Tasche, eilte fort und suchte einen Mietswagen.

Als sie zu zweit eintraten und die Tür der Wohnung von innen verschlossen, übermannten Franzi plötzlich die häßlichsten Gewissensbisse und Bedenken. Am liebsten wäre er wieder hinausgerannt und hätte das ganze unbedachte Abenteuer rückgängig gemacht. Aber dazu war es zu spät. Adèle fiel ihm sofort um den Hals und drückte ihn leidenschaftlich an sich, um endlich den Wiedersehenskuß zu empfangen. Dabei fing sie gleich zu weinen an.

»Weine nicht. Nimm Platz.«

Die Gräfin trocknete ihre Tränen, setzte sich und schaute sich um. Sofort erwachte ihre weibliche Neugier. Sie erhob sich und fragte, wen alles die Bilder an der Wand darstellten. Auf dem Klavier lagen in musterhafter Ordnung die Noten. Sie blätterte darin. Am Schreibtisch wühlte sie zwischen den mit altjüngferlicher Ordnungsliebe geschichteten Papieren und deutete auf Briefe, Bücher und Schriftstücke. Franzi mußte sie sogar zweimal ermahnen. Endlich wurde er nervös.

»Bist du mein oder Chopins Gast? Ich kann dann wohl gehen?«

Das genügte. Sie fielen sich in die Arme. Und ohne die Vergangenheit wieder heraufzubeschwören, ohne die alten Qualen wieder wachgerufen zu haben und ohne lästige Fragen nach der Zukunft zu stellen, suchten sich ihre Lippen mit stummer Sehnsucht. Und in dem lodernden Feuer ihres Taumels fragte die Frau mit bebenden Lippen:

»Liebst du mich?«

»Nein«, antwortete Franzi zornig, preßte sie aber dabei so heftig an sich, daß sie vor Schmerz aufstöhnte …

Ein Wagen brachte sie zurück zur Wohnung der Frau Laborie. Im Wagen sprachen sie so gut wie nichts. Als sie angelangt waren, fragte die Frau mit einer Scheu, die schon die niederschmetternde Antwort ahnte:

»Ich muß morgen verreisen. Schreibst du mir? Soll ich dir schreiben?«

»Schreibe nicht.«

Ihre Hände lagen währenddessen ineinander. Dann hielt der Wagen. Beim Aussteigen weinte Adèle wieder. Sie grüßte nicht, sie blickte sich auch nicht um und schlüpfte ins Tor. Und Franzi fühlte, daß er von dieser Frau nun endgültig geheilt war.

Zu Hause erwartete ihn ein Brief: die Gräfin D'Agoult lud ihn nach Croissy ein. Sie gab ihm den Tag an, nannte ihm die bequemste Reisegelegenheit und beschrieb ihm den zum Schloß führenden Weg. Franzi dachte nur eine Sekunde an seine einstige Geliebte zurück, und auch das nur mit dem Gefühl, daß seit diesem Augenblick Jahre vergangen sein müßten, obwohl er sie vor anderthalb Stunden noch in den Armen gehalten.

Croissy lag nicht weit von Paris, insgesamt sechs Meilen. Am frühen Nachmittag fuhr er ab, und bei eintretender Dämmerung kam er an. Der Wagen bog zu einem mächtigen Schloß ein, einem prunkvollen, hochmütigen Gebäude, das an seinen vier Ecken je einen Turm trug. Es war von einem alten Festungsgraben umgeben, in dem jetzt kein Wasser mehr floß, an dessen Wänden sich vielmehr Efeu hochrankte. Und in dem grasbewachsenen einstigen Flußbett ästen Damhirsche, die beim Poltern des herannahenden Wagens nicht einmal hochblickten.

Der Gast wurde nicht von einem Mitglied der Familie, sondern von einem zeremoniellen, düsteren und trotz seiner Unterwürfigkeit hochnäsigen Kammerdiener empfangen. Dieser winkte einem Lakaien, der das Gepäck besorgen sollte, dann schritt er einen breiten Treppenaufgang voran. Zwischen Ahnenbildern, starrenden Ritterrüstungen und Marmorbüsten kamen sie nach einer schier endlosen Wanderung durch die mit Gobelins behangenen Gänge zum Gastzimmer. Dort machte sich der bepackte Lakai sofort daran, alles zu ordnen, während sich der Kammerdiener verbeugte:

»Die Gräfin erwartet Monsieur.«

Abermals schritt der Kammerdiener hoheitsvoll voran, denselben Weg zurück. Im Erdgeschoß öffnete er eine Türe und ließ Franzi eintreten. Er fand die Gräfin in der Gesellschaft zweier kleiner, engelhaft schöner Mädchen.

»Willkommen, mein Herr. Erlauben Sie, daß ich Sie meinen Töchtern vorstelle. Die ältere, Louise, ist ein sehr artiges, kleines Mädchen, sie wollte nur heute ihre Suppe nicht essen. Und das ist Claire, ebenfalls ein sehr braves Kind, es steckt nur manchmal seinen Finger in den Mund.«

Die kleinen Komtessen machten einen tadellosen Knix vor dem Gast.

»Sind Sie gut gereist? Wie fühlen Sie sich? Sind die kleinen Fieberanfälle vorüber? Ja? Gott sei Dank! Jetzt sehen Sie sich vielleicht erst einmal bei uns um. Zuvor wollen wir die Kinder aber der Mademoiselle übergeben.«

Benommen und unschlüssig folgte er der Gräfin, die ihn durch Gänge und Säle führte und in einem fort erklärte. Sie erzählte, daß dieses Haus einst von Colbert erbaut worden und die Schlange, die man hier überall in Stein gemeißelt oder in Eisen gegossen sähe, sein Wappentier gewesen sei. Die Gräfin hatte erst vor kurzem das Gut von der Herzogin de La Tremouille gekauft. »Das ist das Billardzimmer, die Gemälde sind von Oudry. Das ist der große Salon. Den Kronleuchter hat Colbert von Ludwig XVI. geschenkt bekommen. Die Konsolen sind aus orientalischem Alabaster, die Vasen aus Porphyr …« Der Fußboden war mit eingelegten Mustern verziert, überall Statuen, Gemälde, Gold, Kristall, Antiquitäten … Eine Pracht ohnegleichen.

»Nein, nein, wir gehen nicht in dieser Richtung, dort liegen meine Privaträume. Wir gehen jetzt hier weiter, damit ich Ihnen die Bibliothek zeigen kann.«

Franzi blickte auf den Gang zurück. Plötzlich fühlte er sein Herz schwer werden. Er war zum ersten Male den Kindern der Gräfin begegnet. Wie ein Blitzschlag traf es ihn, daß er sie als Mutter sah, die für ihre Kinder lebte. Seit er sie kannte, überlegte er sich jetzt zum ersten Male, daß die Gräfin nicht nur eine von Literatur und Musik plaudernde und religiöse Probleme erörternde, abstrakte schöne Seele war, sondern eine Frau, die wie andere Frauen ihr Privatleben hatte. Wie wenn man unter ihm den Boden einer künstlich erbauten Welt weggezogen hätte, so entglitt die neben ihm herschreitende, herrliche Frau auf einmal in die unerreichbare Ferne eines in sich abgeschlossenen, ihm unzugänglichen Familienlebens. Er hielt sich noch keine zehn Minuten im Schloß zu Croissy auf und schon hatte er hoffnungslos auf diese blonde Schönheit verzichtet. Und als Folge dieses Verzichtes regte sich in ihm sogleich eine feindselige Kampfeslust.

›Was geht mich das an‹, dachte er bei sich und sah die gleich einem Fremdenführer predigende Frau gar nicht an, ›wenn du nicht die Meine sein kannst, dann bist du eben ein fremder Mensch für mich. Dann bist du eben eine vornehme Dame, eine von diesen Hunderten, die auf unseren Köpfen herumtreten, die mit dem anmaßenden, empörenden Hochmut eures Staubes und eures Reichtums auf unseren Köpfen herumtreten …‹

Später tauchten noch mehr Gäste auf, die bisher spazieren gegangen waren, die Marquise Gabriac, Baron Meyendorff und andere. Franzi kannte sie alle. Eine allgemeine, fröhliche Unterhaltung setzte ein. Nur er war in dieser Gesellschaft gereizt und verbissen. Er teilte nach rechts und links kalte, stichelnde Bemerkungen aus, entschlossen, wenn er zurechtgewiesen würde, sofort nach Paris zurückzufahren. Es wies ihn aber niemand zurecht. Er stellte im Gegenteil überrascht fest, daß seine Bissigkeit und seine prahlerische üble Laune wie ein schwerer Druck über der Gesellschaft lasteten. Dann setzte er sich ans Klavier und ließ an ihm seine zähneknirschende Wut aus. Er spielte den Hexentanz aus der »Phantastischen Symphonie« von Berlioz. Der Komponist hätte sein Werk jetzt kaum wieder erkannt. Mit ohrenbetäubendem Gekreische schmückte er jedes Thema aus, bösartige Dissonanzen ließ er in unmöglichem Rhythmus tanzen.

»Schön, nicht wahr?« fragte er nach der Seite gewandt mit hämischem Lächeln.

Die Zuhörer waren verlegen, keiner getraute sich eine Meinung zu äußern. So verging auch das Diner, zu dem sie sich um halb sieben Uhr niedersetzten. Er allein führte das Wort. Er war ironisch, ungläubig und gefiel sich in überraschenden Behauptungen, an die er selbst am allerwenigsten glaubte.

»Was ist denn mit Ihnen?« fragte die Gräfin, »ich erkenne Sie nicht wieder.«

»Ich erkenne mich selbst nicht wieder«, sprudelte ihm die Offenherzigkeit aus dem Munde.

Trotzdem spielte er diese sinnlose, selbstquälerische Komödie weiter. Und erst recht, als er nach dem Diner im Salon einen Blick des Baron Meyendorff auffing. Dieser Blick war nicht zu mißdeuten: vertraulich und anbetend zugleich ruhte er auf dem Antlitz der Hausfrau. Nur darüber konnte man im Zweifel sein, ob diese Anbetung schon Erhörung gefunden hatte oder jetzt erst erwartete. Also so stehen wir? Nun, sei's drum! Wie ein trotziger Spieler, der sich an einem Mißgeschick damit rächt, daß er das ihm noch verbliebene Geld sinnlos in den Rachen sicheren Verlustes wirft, bemühte er sich, herzlos, ungläubig und als Teufelskerl zu erscheinen. Und als sich alles zur Ruhe begab, verabschiedete er sich mit ungehöriger Oberflächlichkeit von der Gräfin. Im Dunkel seines Zimmers machte er sich dann die bittersten Vorwürfe und verachtete sich selbst.

»Ich habe mich benommen«, gestand er sich voller Scham, »wie ein minderwertiger Lakai bei Ausbruch der Revolution.«

Am Tage darauf legte sich zwar seine voreilige, leichtfertige Unrast, die Bitterkeit aber blieb. Vormittags sahen sie sich den Park und das Eselsgespann der Kinder an. Er hatte für alles nur giftige Bemerkungen. Beim Gabelfrühstück behauptete er, daß die einzige anständige Staatsform die Republik sei. Der zaristische Meyendorff ließ vor Schreck seine Gabel auf den Teller fallen. Aber schon nach zehn Minuten verkündete der unter den Aristokraten sitzende Klavierkünstler mit der mächtigen Haarmähne, daß es nichts Widerlicheres gäbe, als die Masse, und daß nur ein Ministerpräsident seinen Posten verdiene, der sofort schießen lasse.

Zuerst begegnete die Gräfin D'Agoult dem sonderbaren Benehmen des Gastes mit der gütigen Nachsicht einer gewandten Hausfrau. Dann befiel sie aber langsam eine gewisse Unruhe, die immer stärker und stärker wurde. Endlich saß sie blaß und schweigsam im Kreise ihrer Gäste da. Wer sie genau beobachtete, konnte sehen, daß sogar ihre Hände zitterten.

Am Morgen des dritten Tages trafen sie sich zufällig im Park. Gezwungen und zögernd begannen sie zu plaudern. Sie waren weit entfernt vom Schloß, in diese Gegend kam keine Menschenseele. In einer dicht bewachsenen Laube stand eine Bank, auf der sie sich niederließen. Die Sonne strahlte hell und ihre durch die Äste dringenden Strahlen zeichneten kleine, gleichmäßige, glitzernde Lichtkreise auf den Kiesweg.

»Ich muß nun langsam an die Heimfahrt denken«, sagte Franzi unerwartet.

»Warum wollen Sie so schnell nach Paris zurück? Fühlen Sie sich hier nicht wohl?«

»Ich fühle mich hier so wie überall. Einsam.«

»Einsam? Ist denn niemand hier, der Ihnen nahesteht?«

»Niemand.«

Voller Schadenfreude sah er der stolzen Gräfin ins Gesicht, ob es ihm auch gelungen war, ihr Schmerz zu bereiten. Die Lippen der Gräfin bebten, sie versuchte zu lächeln, begann aber plötzlich zu weinen. Mit klagendem Schluchzen barg sie das Gesicht in den Händen. Sofort traten auch Franzi die Tränen in die Augen. Er wollte nach der Hand der Frau greifen, aber er wagte es nicht. Da glitt er von seinem Sitz auf die Knie.

»Gräfin, verzeihen Sie mir. Ich bin wahnsinnig, ich weiß nicht, was ich sage.«

Die Gräfin schluchzte wortlos weiter. Sie wollte ihre Tränen verbergen und wandte sich ab.

»Sagen Sie, daß Sie mir verzeihen, sonst … sonst … nehme ich mir das Leben.«

Die Frau reichte ihm schweigend und abgewandten Gesichtes ihre von Tränen feuchte Hand und erwiderte den Druck. Da fragte er leise und schüchtern mit versagender Stimme:

»Lieben Sie mich?«

Die Gräfin nickte und schluchzte weiter. Er sprang selig auf, umfaßte mit dem rechten Arm ihre Schultern und versuchte mit der linken Hand ihren Kopf zu sich zu wenden. Da kam die Frau zu sich und sah sich entsetzt um.

»Mein Gott, was machen Sie? Wenn mich jemand sieht, bin ich verloren.«

Er erhob sich ebenfalls und stellte sich neben sie. Ganz nahe. Er fühlte den Duft ihres gepflegten blonden Haares.

»Hierher kommt niemand. Lieben Sie mich? Sagen Sie mir, daß Sie mich lieben.«

Die wunderbaren blauen Augen sahen ihn an.

»Ich liebe Sie. Aber Sie lieben mich nicht. Sie tun mir nur weh.«

»Und warum habe ich Ihnen weh getan? Weil ich von diesen entsetzlichen Qualen ganz kopflos geworden war. Denn es ist unbeschreiblich, was ich Ihretwegen schon seit Wochen leide. Seit Monaten. Von dem Augenblick an, wo ich Sie zuerst sah. Sie haben mir gleich so gut gefallen, daß ich dachte, ich müßte den Verstand verlieren.«

Sie setzten sich beide wieder auf die Bank, und die Gräfin trocknete ihre Tränen.

»Daß ich Ihnen gefallen habe, bedeutet gar nichts. Sie werden mich hoffentlich nicht für zu überheblich halten, wenn ich Ihnen sage, daß ich den Männern meistens gefalle. Das habe ich aber gar nicht nötig. Ich sehne mich nach etwas anderem. Und danach auch vergeblich.«

»Wonach sehnen Sie sich? Und warum vergeblich?«

»Wonach ich mich sehne? Nach jenem großen Gefühl, das ich unter Liebe verstehe. Kleine Koketterie, sich verstecken müssende, unwürdige Verhältnisse, vorübergehende Abenteuer, alles das hasse ich. Ich suche das große Gefühl, das einzige, ein ganzes Leben ausfüllende Gefühl. Und das werde ich nie finden. Aber gebe Gott, daß ich es auch nie finde.«

»Warum nie? Ich suche doch auch dasselbe. Ich will auch so lieben. Unter Millionen von Menschen finden sich vielleicht zwei, die das verstehen. Das ist die einzige, erhabene Seligkeit, die der Mensch von Gott geschenkt bekommt. Die wollen Sie nicht finden?«

»Was für ein Kind Sie doch sind. Was soll ich denn damit anfangen, wenn ich sie finde? Ich bin bis auf den Grund meiner Seele eine anständige Frau und religiös. Ich weiß, daß dieses unser Gespräch eine schwere Sünde ist. Und ich weiß auch, was meine Pflicht ist: Sie seltener zu sehen. Immer seltener. Wenn Sie mir gleichgültig wären, wäre das ja auch leicht. So aber muß ich vor Ihnen flüchten, solange es noch nicht zu spät ist.«

»Und glauben Sie, daß es noch nicht zu spät ist? Bei mir ist es schon längst zu spät. Ich würde jetzt ohne Sie zugrunde gehen.«

»Ich weiß es nicht. Ich muß es versuchen. Diese Minute war herrlich, wunderbar. Von diesem Augenblick werde ich jahrelang zehren. Wir dürfen aber nicht mehr unter vier Augen zusammenkommen. Ich habe Pflichten. Versprechen Sie, daß Sie mir helfen werden! Versprechen Sie es!«

Franzi sah die Frau unverwandt an. Sie kam ihm noch tausendmal schöner vor als je. Er schwieg, nicht weil er um eine Antwort verlegen war, sondern um den Angriff vorzubereiten. Im nächsten Augenblick riß er sie auch schon mit unbändiger Kraft an sich. Mit versengenden Küssen drängte er von den halb geöffneten roten Lippen die ersterbenden Seufzer der Abwehr zurück.

»Was machen Sie mit mir? Ich hätte Sie nicht hierher nach Croissy bitten dürfen.«

»Aber jetzt bin ich da. Sehen Sie doch ein, daß es jetzt schon viel zu spät ist, uns vor dem Übermaß unserer Gefühle zu retten. Es war uns so bestimmt. Es mußte so kommen. Und Sie werden die Meine sein.«

»Nein«, rief die Gräfin erschrocken, »nein! Lieber sterbe ich! Passen Sie auf, es kommt jemand.«

Schritte wurden hörbar. An der Laube kam eine Magd vorbei, die sie untertänig grüßte.

»Wenn sie zwei Minnten früher gekommen wäre … entsetzlich … gehen wir.«

»Gut, aber zuvor sagen Sie mir noch, wann wir diese Unterredung fortsetzen können. Ich muß Ihnen noch sehr, sehr viel sagen. Und muß Sie noch sehr, sehr viel fragen. Eins frage ich gleich: was ist zwischen Ihnen und Meyendorff?«

»Ach, der gute Baron! Haben Sie auch bemerkt, wie er mich ansieht? Er hat um meine Hand angehalten und behauptete, in Rom soviel Einfluß zu haben, daß er die gültige Scheidung durchsetzen könne, wenn ich es wolle. Armer Junge, er ist wirklich sehr liebenswürdig, wenn er bloß nicht ein so großer Narr wäre. Wissen Sie, wie die Marquise und ich ihn unter uns nennen? › Thoughtless‹. Solange wir ihn kennen, hat er noch nie einen eigenen Gedanken aufgebracht.«

»Dann müssen Sie mich › Thoughtful‹ nennen. Wann kann ich Sie heute Nachmittag sprechen?«

»Warten Sie. Nach dem Gabelfrühstück legt sich jeder ein wenig schlafen. Seien Sie um zwei Uhr bei der kleinen Brücke, wo die Allee beginnt. Wissen Sie, welche Allee ich meine?«

»Ich weiß. Jetzt schnell noch einen Kuß.«

»Das ist ausgeschlossen. Auf Wiedersehen.«

Die goldblonde Erscheinung huschte davon. Er setzte sich wieder auf die Bank, um sich seines Sieges zu freuen. War es wirklich ein Sieg? Vielleicht sollte er nie über dieses Geständnis hinauskommen, vielleicht war dieser flüchtige Kuß das Einzige, was ihm diese Liebe schenkte? Meyendorff hatte natürlich um ihre Hand angehalten. Welches Schicksal erwartete ihn, den Musiker? Er würde berechtigt sein, unter seinen Geheimnissen auch die Erinnerung aufzubewahren, daß eine der vornehmsten Frauen des Landes ihm ein oder zweimal ihre Lippen überlassen hatte. Er würde in diesem Hause als Gast weiter verkehren, zu dem Inventar eines Salons des Faubourg gehören. Man würde ihn einst als den Schützling der Gräfin D'Agoult verbuchen. Und die schönste Frau würde, mit ihren Freundinnen wetteifernd, sich stolz unter ihnen umsehen: den Berühmtesten und den Interessantesten hätte sie unter ihren Möbeln. Denn nicht nur der nach Bekanntschaft mit Aristokraten lechzende Bürger hat seinen Snobismus, sondern auch die neunzackige Krone: die schmückt sich gern mit Künstlern. Nein, nein, nein! Diese Frau mußte die Seine werden, koste es, was es wolle.

Er erhob sich und ging unter den Bäumen auf und ab. Er dachte darüber nach, ob er in diese Frau verliebt sei oder nicht. Aber er vermochte es nicht zu entscheiden.

Pünktlich um zwei Uhr trafen sie sich am vereinbarten Platz. Die Frau nahm ihn mit zu einem Spaziergang weit hinaus in die offenen Felder. Das war eine Enttäuschung. Er hatte gehofft, daß sie ihn zu irgendeinem lauschigen Versteck führen würde, wo sie sich küssen könnten. Aber der lange Spaziergang war auch sehr schön. Ihre vertrauten Geständnisse überstürzten sich. Wann ihre Liebe erwacht sei, fragten sie sich und riefen alle Einzelheiten der ersten Begegnung wieder wach. Franzi vernahm mit Entzücken, daß die Gräfin seiner bereits mit Liebe gedachte, als sie ihm noch die strengste und würdigste Miene der vornehmen Dame zeigte. Dann sprachen sie von ihren Kinderjahren. Die Gräfin war wie ausgewechselt. Sie erzählte lebhaft und geistreich von sehr gut beobachteten Erlebnissen. Franzi konnte sich nicht satt an ihr sehen und hätte ihr bis in alle Ewigkeit zuhören können.

»Waren Sie schon einmal in Mortier? Das ist ein kleines Dorf in der Gegend von Tours. Dort wohnten meine Eltern in einem kleinen Schloß. Wenn ich allein bin, denke ich gern an diese Jahre zurück. Ich hatte dort einen großen Käfig, in dem ich sämtliche Vogelarten der dortigen Gegend sammelte. Da war ein Zeisig, eine Amsel, ein Stieglitz, eine Lerche, ein rotköpfiger Würger, ein Specht, – alle in dem einen großen Käfig. Ich weiß heute noch, wie ich mir in jedem Frühjahr die größte Mühe gab, die kleinen Rebhühner, die die Bauern beim Mähen der Felder fanden und auf den Hof brachten, mit Ameiseneiern hochzupäppeln. Es ist mir aber nie gelungen. Dann hatte ich auch zwei Angorahasen, einen weißen und einen schwarzen. Die vermehrten sich unglaublich, und jedes Häschen war verschieden schwarz und weiß gefleckt. Auch eine Ziege gehörte mir, die schon meckerte, wenn sie mich von weitem sah. Und ein kleines Reh hatte ich auch. Es wurde mit den Schafen auf die Weide getrieben. Und das Eselgespann nicht zu vergessen … Dann züchtete ich auch Raupen und konnte es kaum erwarten, bis sich der Schmetterling aus der Larve entpuppte. Und dann meine Pflanzen. Du lieber Gott! Ich habe andauernd gesät, gegossen, gepfropft und allerlei Versuche gemacht. Die Ernte, die Weinlese, das Dreschen, das Pflügen, die Schafschur … was waren das alles für große Ereignisse. Nie wieder werde ich so froh sein, wie damals, nie …«

»Warum sagen Sie das? Nehmen Sie sich lieber vor, so glücklich zu werden, wie es noch keine Frau auf der ganzen Welt war.«

»Sie wissen doch selbst, daß das unmöglich ist … Aber was mir eben noch einfällt, ist eine von mir selbst erdachte und erbaute Landschaft. Stellen Sie sich vor, ich habe dort in Mortier eine Landschaft aufgebaut. Verstehen Sie das nicht? Dann muß ich es Ihnen erzählen. In einem Zimmer des Schlosses stand ein großer Tisch aus Fichtenholz, der zu nichts benutzt wurde. Ich bat ihn mir von meiner Mutter aus, und sie überließ ihn mir. Zuerst bedeckte ich ihn vollkommen mit lehmiger Erde. Dann nahm ich ein Holzmesser und markierte alles, was ich mir vorgestellt hatte: hier sollte ein Wald sein, dort ein Hügel, eine Wiese und so weiter. Den Wald stellte ich aus kleinen Ästchen zusammen, die ich in die Erde hineinsteckte. Für die Wiese holte ich mir Grasbüschel aus dem Park, die ich ganz kurz schnitt, damit die Wiese nicht höher war als der Wald. Auch eine Landstraße habe ich angelegt aus Kieselsteinen. Ganz herrlich war aber meine Höhle. Die machte ich aus einer großen Muschel, die ein Nachbar, ein gewisser Chevalier de Lonley, von der Insel Martinique mitgebracht hatte. Sogar einen Teich legte ich an: er bestand aus einem Stück Spiegelglas. Meinem Vater gefiel meine Landschaft so gut, daß er mir aus Pappe und Korkstückchen ein Schloß baute. Er strich es auch noch bunt an, daß es aussah, wie aus Ziegelsteinen gebaut. Mitten im Wald errichteten wir noch eine Einsiedlerhöhle und am Ufer des Teiches eine Fischerhütte. Das Schloß konnten wir von innen mit einer winzigen Kerze erleuchten. Am Balkon brachten wir ein Transparent an: ›Es lebe der König!‹ Sehen Sie, das habe ich ganz vergessen, dem armen Karl X. zu erzählen. Er hätte sich sicherlich darüber gefreut.«

»Ich habe ihn auch gekannt. Ich habe noch vor ihm Klavier gespielt.«

»Waren Sie aufgeregt? Ich war schrecklich aufgeregt, als ich bei Hofe vorgestellt wurde. Das war gleich nach meiner Hochzeit im Jahre achtundzwanzig. Vor allem setzten wir uns mit Monsieur Abraham in Verbindung. Wissen Sie, wer das war? Nein? Das war der Anstandslehrer am Hofe, den die Herzogin von Angoulême in die Tuilerien kommen ließ, weil jedermann in den napoleonischen Zeiten die alten bourbonischen Zeremonien vergessen hatte. Sind Sie der Herzogin von Berry begegnet?«

»Selbstverständlich. Ich darf mich sogar vielleicht dessen rühmen, daß sie mich sehr gern mochte.«

»Dann können Sie sich vielleicht auch noch daran erinnern, wie eifrig sie bestrebt war, ihre neapolitanische Lebhaftigkeit vergessen zu lassen und sich nach Bourbonenart zu benehmen. Auch sie wurde von Abraham unterrichtet. Jede kleinste Bewegung hat er mit ihr einstudiert, – monatelang. Ich erhielt drei Unterrichtsstunden. Er brachte mir bei, wie man sich von dem Könige zu verbeugen hat und wie man sich mit der langen, vom Hofe vorgeschriebenen Schleppe so bewegt, daß man dem König niemals den Rücken dreht. Ich kann Ihnen sagen, das war nicht leicht. Stundenlang mußte man zu Hause diese unauffällige Fußbewegung üben, mit der man die Falten der Schleppe ordnet, damit sie schön auf dem Teppich aufliegt. Dann kamen die drei tiefen Verbeugungen: die erste beim Eintritt in die Galerie, an deren Ende der König inmitten seines Gefolges stand. Dann folgten zehn Schritte, die man ganz genau bemessen mußte, und nach dem zehnten Schritt kam die zweite Verbeugung, dann mußte man abermals zehn Schritte gehen, aber auch der König kam einem dann schon ein wenig entgegen, und endlich mußte man sich zum dritten Male verbeugen. Nach der Audienz aber kam erst die wirklich schwere Aufgabe: mit der langen, schweren Schleppe mußte man zu einer anderen Türe, die der Eingangstür gegenüber lag, rückwärts wieder hinausgehen. Sie glauben nicht, wie oft ich das zu Hause geübt habe, damit ich nicht an der Wand statt an der Türe ankäme und nicht stolperte, denn dann wäre ich unweigerlich rücklings hingefallen. Zwischendurch mußte ich mir immer die Ratschläge der beiden Commères anhören.«

»Was für Commères?«

»Man muß zwei Damen um die Einführung bei Hofe bitten. Meine Patronessen waren die Frau Vicomte D'Agoult, die Großtante meines Mannes, die seinerzeit erste Hofdame der Herzogin von Berry war, und die Herzogin Montmorency-Matignon. An mein Kleid kann ich mich heute noch erinnern. Ich hatte es aus silberdurchwirktem, weißem Tüll anfertigen lassen und trug einen › Manteau de Cour‹ aus schwerem Samt, gleichfalls mit Silberschmuck, dazu. Meine Frisur war so hoch wie ein Turm. Allmächtiger! Was für Frisuren damals Mode waren …«

Die Sonne schien die ganze Gegend zu vergolden. Auf den Feldern, weit draußen, sah man die Bauern an der Arbeit. Franzi und die Gräfin schritten versunken nebeneinander her. Meistens sprach die Gräfin, der junge Mann hörte ihr zu. So sehr ihn aber die sprühende Unterhaltung der Frau fesselte, nahm sie seine Aufmerksamkeit doch nur zum Teil in Anspruch. Verstohlen beobachtete er die aufrechte, schlanke, aber volle Gestalt der Gräfin, ihr blondes Haar und ihren in Paris allenthalben bekannten schönen Kopf. Und nicht nur das, seine Augen waren seinen Schritten weit voran und spähten nach einem Baum oder einer Hecke oder einer Laube oder irgendeinem Platz aus, der Gelegenheit bieten könnte, den wunderschönen Mund in Besitz zu nehmen …

Aber der lange Spaziergang endete ohne Kuß. Als sie sich langsam wieder dem Schloß näherten, trennten sie sich voneinander, um kein Aufsehen zu erregen. Der junge Mann blieb allein. Eine ganze Weile irrte er auf einem Parkweg, den kunstvoll gestutzte Sträucher umsäumten, nachdenklich umher, dann ging auch er ins Schloß, – geradewegs zum Klavier. Er war so erfüllt – wovon, das wußte er selbst nicht; Sehnsucht, Siegesbewußtsein, Hoffnungslosigkeit, brennende Eitelkeit, alles das übermannte ihn so heftig, daß ihm nur das Klavier Erleichterung bringen konnte. Formlos und wirr spielte er alles mögliche durcheinander. Inmitten dröhnender Fugen vermengte er Beethoven und Berlioz, und als er sich schon ein wenig beruhigt hatte, begann er ein sonderbares Verfahren zu üben, das noch aus der irrsinnigen Paganini-Zeit stammte: er hatte entdeckt, daß er mit seinem mageren, spitzen Ellenbogen, wenn er es sehr geschickt machte, einzelne Töne anschlagen konnte, von allem das Cis und das Fis, da vor diesen schwarzen Tasten zwei weiße liegen. Und er spielte nun in Tonarten, in denen er diesen Kunstgriff anwenden konnte. Seine beiden Hände arbeiteten in den unteren Registern und während er seine Hüfte zur Seite drehte und sich mit verrenktem Körper über die Tasten neigte, benutzte er blitzschnell seinen Ellenbogen.

»Was machen Sie denn da?« fragte die Gräfin, die unbemerkt eingetreten war.

Er hob den Kopf, sah sich um und brach das Spiel ab.

»Ich weiß nicht. Ich finde meinen Platz nicht in dieser Welt. Ich quäle mich und kämpfe mit mir selbst. Helfen Sie mir, Gräfin, helfen Sie mir!«

Die letzten Worte rief er fast schreiend und auch die Antwort der Gräfin war etwas theatralisch:

»Als Frau gehöre ich ewig einem anderen. Als Seele gehöre ich ewig Ihnen.«

Aber am selben Abend, als die ganze Gesellschaft bei herrlichem Mondschein spazieren ging, und der junge Mann an einer geschützten Biegung des Parkweges die Frau mit jäher Leidenschaft an sich riß, überließ sich die Gräfin nach kurzen abwehrenden Worten nicht nur seinen Küssen, sondern erwiderte sie sogar. Mit einer so sehnsüchtigen Genußsucht, einer so glühenden Hemmungslosigkeit der Hingabe, daß Franzi freudig betroffen war.

»Wirst du die Meine sein?« flüsterte er mit zitternden Lippen, die an den Lippen der Frau ruhten.

»Nie!« flüsterte der heiße Mund.

Der junge Mann wußte aber schon, was er zu tun hatte: die Gefühle der nach außen hin so kalten, in Wahrheit aber so leidenschaftlichen Frau schüren, sie beunruhigen, bis sie ihren Kopf verliert.

Noch ein paar Tage verbrachten sie in Croissy. Während endloser Unterhaltungen rissen sie einander die Hüllen von der Seele, um näher, immer näher zueinander zu gelangen. Die Gräfin wurde immer liebenswürdiger, immer geistreicher, immer unterhaltender. Und eine Eigenschaft gefiel Franzi besonders: die Frau liebte die Pose. Als ob sie sich ständig auf einer Bühne bewegte, stilisierte sie instinktiv ihre echtesten Gefühle, um sie richtig zur Geltung zu bringen und ihnen einen wirkungsvollen Ausdruck zu verleihen. Auch er liebte die erdachte Bühne, und wenn sie sich alle beide so einer gegenseitigen Schauspielerei überließen, täuschten sie nicht etwa nur Gefühle oder überhaupt irgend etwas vor, sondern waren beide aufrichtig bestrebt, alles das, was sie erdachten und fühlten, in gefällige und wirkungsvolle Auftritte zu kleiden. Die Schauspielerei gab ihnen nicht der Verstand ein, sie ergab sich aus dem tiefsten Wunsche ihrer Seele nach Vollkommenheit.

Als Franzi am Abend vor seiner Abreise eine Viertelstunde mit der Gräfin im nächtlichen Park ungestört beisammen sein konnte, grenzten ihre Küsse an Verzweiflung. Sie konnten nicht voneinander lassen. Und der junge Mann stellte mit heißem Drängen die ewige Frage:

»Wirst du die Meine werden? Sag', daß du die Meine wirst!«

»Quäle mich nicht«, bat die Frau, »quäle mich nicht! Du weißt doch, wie schwer das ist. Ich bitte dich innigst, ich flehe dich an, verlange das nicht von mir.«

»Wirst du die Meine werden?« fragte er abermals hartnäckig.

»Nein, nein, es ist unmöglich!« flüsterte die Frau in den Armen des jungen Mannes mit ersterbender Stimme. »Mein Mann, meine Kinder … unmöglich …«

Aber Franzi fühlte, daß er doch gesiegt hatte. Am anderen Tage reiste er nach Paris zurück und dachte nur darüber nach, wie lange er noch warten müsse …


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