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Mit der Gräfin D'Agoult, der berühmten Schönheit einer der vornehmsten Damen der Aristokratie verband ihn nunmehr ein Liebesverhältnis. Dem mühsam erkämpften Glück der ersten Zusammenkunft folgte eine zweite, dann eine dritte und dann viele weitere. Immer mehr paßten sich ihre Liebkosungen einander an. Die Frau gestand, daß sie noch nicht gewußt habe, was Liebe sei, den Rausch der Hingabe erlebe sie erst jetzt in den Armen Franzis.
»Aber Sie sind doch eine verheiratete Frau«, wunderte sich Franzi, »das verstehe ich nicht.«
»Meine Ehe hat mir nur Kinder geschenkt, aber keine Freude.«
Franzi verstand es trotzdem nicht. Er wußte nur wenig von den Frauen. Ihre Zuneigung war ihm immer so schnell in den Schoß gefallen, daß er keine Zeit gehabt hatte, ihre Geheimnisse zu ergründen. Diese strahlend schöne Frau aber erforschte er jetzt mit unstillbarem Eifer. Und genau so erforschte ihn die Frau. Sie lernten eines beim anderen, was es heißt, verliebt zu sein.
Den ersten seligen Glanz des neuen Glückes trübten bald einige Flecke. Die Gräfin wurde auf die Vergangenheit Franzis eifersüchtig. Daß die Gräfin Laprunarède ihn bereits mit ihrer Gunst beschenkt hatte, war ihr bekannt, wie es jedermann in der guten Gesellschaft wußte. Von diesem Erlebnis wollte sie nun haargenau alles erfahren. Wie es angefangen und wie lange es gedauert habe, wie es im einzelnen verlaufen sei, – alles, alles … Inzwischen traf die Nachricht ein, daß Miramont Adèle unerwartet im Stich gelassen habe. Er hatte sich verheiratet. Er heiratete ein Fräulein Boscary, und der Klatsch wollte auch wissen, daß Adèle in ihrem Schmerz wie wahnsinnig getobt habe. Franzi wollte zwar Gleichgültigkeit vorspiegeln bei dieser Nachricht, aber die befriedigte Schadenfreude leuchtete aus seinem ganzen Benehmen. Das wiederum weckte bei der Gräfin D'Agoult den Verdacht, daß ihr Geliebter im geheimen doch noch ein wenig Teilnahme für die einstige Geliebte bewahrt habe. Die Fragen nahmen kein Ende. Aber das Verhör begnügte sich nicht mit dieser einen Frau. Von jeder Frau mußte er Rechenschaft ablegen, die bis jetzt in sein Leben getreten war. Bei jeder einzelnen beschwor die Gräfin D'Agoult einen Sturm herauf, sie litt entsetzlich. Franzi bemühte sich, zärtlich und nachsichtig zu sein. Dieser Zustand war ihm ja bekannt. Er erinnerte sich noch ganz gut der unter fürchterlichen Qualen im Schloß zu Marlioz verbrachten Nächte. Im geheimen wunderte er sich aber, wie töricht eine Frau sein kann: die unbedeutenden Abenteuer, die in ihm keinerlei Spur hinterlassen hatten, empfand die Gräfin wie die Berührung eines glühenden Eisens. Seiner Liebe zur Komtesse Saint Cricq dagegen, die auch heute noch als zarte, schmerzende Erinnerung in einer geheimen Ecke seiner Seele lebendig war, brachte die Gräfin eine gewisse Achtung entgegen. Wenn Franzi ehrlich mit sich sein wollte, mußte er zugeben, daß er diese Erinnerung viel mehr liebte, als die in seinen Armen ruhende Geliebte. Trotzdem war es, als hätte sich seine quälende, innere Unrast etwas gelegt, seit die Gräfin die Seine geworden war. Mit viel freierem Kopfe ging er seiner Arbeit nach. Sorgfältig beendete er seine über die Symphonie von Berlioz geschriebene Träumerei und da er unter den der »neuen Musik« gegenüber immer noch etwas zurückhaltenden Geschäftsleuten keinen geeigneten Verleger fand, ließ er die Komposition auf eigene Kosten drucken. Er brachte sie seinem guten Freunde als Hochzeitsgeschenk dar. Anfang Oktober konnte Berlioz endlich Hochzeit mit Harriet Smithson halten. Franzi war einer der Zeugen. Um dem jungen Paar die Schwierigkeit der Gründung eines eigenen Heims zu erleichtern, veranstalteten die beiden Freunde ein Konzert. Das nahm einen seltsamen Verlauf. Es sollte um sieben Uhr beginnen, infolge der Kopflosigkeit der Veranstalter konnte es aber erst um acht Uhr anfangen. Die im Zuschauerraum des Théâtre Italien versammelten Besucher wurden schon um halb acht Uhr ungeduldig. Sie trampelten mit den Füßen und klatschten in die Hände, irgend jemand begann zu singen, und auch andere bekamen Lust dazu. Das Publikum sang » Ça ira« und die Marseillaise, patriotische Lieder. Franzi erschien dreimal in der Loge, in die er das Ehepaar D'Agoult eingeladen hatte, und bat wegen der Verzögerung um Nachsicht. Endlich, um acht Uhr, konnten sie beginnen. Auch die junge Frau Berlioz trat auf. Sie trug Stücke ans »Hamlet« in englischer Sprache vor. Ihr gebrochener Fuß war aber noch immer nicht verheilt, so daß sie während des Spieles unbeholfen hin und her torkelte und mit einem Nervenfieber kämpfen mußte. Fast hätte man sie ausgepfiffen. Dann trat Franzi auf die Bühne. Er spielte ein Konzertstück von Weber, – nur für eine bestimmte Loge, und als er sich für den Beifall bedankte, sah er nur diese eine Frau an. Irr ihrem Gesicht konnte er seinen vollen Sieg lesen. Das war aber auch der einzige ungestörte Teil dieses bewegten Konzertes. Alles ging schief, und das ungeschickt zusammengestellte Programm zog sich furchtbar in die Länge. Um ein halb ein Uhr nachts entfernte sich schon die Hälfte der Zuhörer, und gerade jetzt sollte erst der Vortrag der »Phantastischen Symphonie« folgen. Hinter den Kulissen tobte ein verzweifelter Streit. Die Musiker waren nur bis Mitternacht zu spielen verpflichtet und hatten das Ganze jetzt satt. Sie ließen sich nicht erweichen, weiter zu spielen. Berlioz war gezwungen, vor den Vorhang zu treten und sich beim Publikum zu entschuldigen. Er wurde ausgepfiffen. Da trat der arme Kerl vor den Souffleurkasten und schrie verzweifelt hinunter:
»Bitte erbarmen Sie sich meiner!«
Die Zuhörer gingen nach Hause. Der Skandal war peinlich, aber von den Einnahmen verblieben immerhin rund siebentausend Franken zugunsten des jungen Künstlerehepaares. Franzi begleitete die beiden nach Hause. Sie wohnten vorläufig in Berlioz' Junggesellenzimmer. Franzi tröstete sie und dachte an die Umarmungen, mit denen sich die Jungvermählten jetzt selber trösten würden.
» The countess was very handsome indeed«, sagte Frau Berlioz beim Abschied. « I congratulate you.«
Die Gräfin sei sehr schön und sie gratuliere ihm … Das Tor schloß sich. Er konnte nichts mehr erwidern und blieb verdutzt stehen. Pfeifen es denn schon die Spatzen von den Dächern? Er war verärgert und schämte sich zugleich ein bißchen, als er entdeckte, daß sich seine Eitelkeit darüber freute, daß die Sache schon ruchbar geworden war. Nachdenklich wies er sich auf dem Heimwege zurecht: wenn dieses Gerede Wurzeln schlug, konnte die Gräfin große Unannehmlichkeiten haben, die ihre gesellschaftliche Stellung womöglich untergruben. Man mußte von nun an unbedingt besser aufpassen. Das nahm er sich fest und ehrlich vor.
Das geheime Zimmer, in dem sie sich immer trafen, nannte Franzi »Rattenloch«. Dieses Wort machte ihm Spaß, und auch in seinen französischen Briefen gebrauchte er dieses deutsche Wort, wenn er von dem Versteck ihrer Liebe sprach. Als sie sich wieder einmal im »Rattenloch« trafen, zeigte Franzi seiner Geliebten eine deutsche Zeitschrift. Es war die »Neue Zeitschrift für Musik«, die junge deutsche Musiker mit Robert Schumann an der Spitze als Kampforgan gegen die flache Salonmusik herausgaben.
»Wer ist dieser Schumann?« fragte Marie D'Agoult.
»Ein Pianist. Wie ich höre, komponiert er auch, aber ich kenne noch nichts von ihm. Lesen Sie mal, was er über Hector schreibt.«
Dieser Leipziger Schumann besprach die »Phantastische Symphonie« gründlich und verständnisvoll. Er schrieb zum Beispiel, auf die medizinische Vergangenheit Berlioz' anspielend:
»Berlioz kann kaum mit größerem Widerwillen den Kopf eines schönen Mörders seziert haben als ich seinen ersten Satz. Und hab' ich noch dazu meinen Lesern mit der Sektion etwas genützt? Aber ich wollte dreierlei damit: erstens denen, welchen die Symphonie gänzlich unbekannt ist, zeigen, wie wenig ihnen in der Musik durch eine zergliedernde Kritik überhaupt klargemacht werden kann, denen, die sie oberflächlich durchgesehen und weil sie nicht gleich wußten, wo aus und ein, sie vielleicht beiseite legten, ein paar Höhepunkte andeuten, endlich denen, die sie kennen, ohne sie anerkennen zu wollen, nachweisen, wie trotz der scheinbaren Formlosigkeit diesem Körper, in größeren Verhältnissen gemessen, eine richtige symmetrische Ordnung innewohnt, des inneren Zusammenhangs gar nicht zu erwähnen.«
Die Gräfin langweilte sich bei dieser Lektüre:
»Von dir schreibt dieser Schumann nichts?«
»Aber selbstverständlich. Bitte.«
»Der Klavierauszug von Franz Liszt verdiente eine weitläufige Besprechung; wir sparen sie uns, wie einige Ansichten über die symphonistische Behandlung des Pianoforte, für die Zukunft auf. Liszt hat ihn mit so viel Fleiß und Begeisterung gearbeitet, daß er wie ein Originalwerk, ein Resumee seiner tiefen Studien, als praktische Klavierschule im Partiturspiel angesehen werden muß. Diese Kunst des Vortrages, so ganz verschieden von dem Detailspiel des Virtuosen, die vielfältige Art des Anschlages, den sie erfordert, der wirksame Gebrauch des Pedals, das deutliche Verflechten der einzelnen Stimmen, das Zusammenfassen der Massen, kurz, die Kenntnis der Mittel und der vielen Geheimnisse, die das Pianoforte noch verbirgt, – kann nur Sache eines Meisters und Genies des Vortrags sein, als welches Liszt von allen ausgezeichnet wird.«
»Verstehst du das?«
»Selbstverständlich«, erwiderte die Frau.
Aber auf ihrem Gesicht konnte man lesen, daß sie nur sehr wenig verstand. Sie reichte ihm ihre Lippen zum Kuß, die »Neue Zeitschrift für Musik« fiel zu Boden.
Die verunglückte »Phantastische Symphonie« wurde nach einigen Wochen aber doch noch einmal aufgeführt. Die Vorführung hatte einen großen Gast: Paganini. Der teuflische Violinspieler saß unter den Zuhörern, und es gab abergläubische Menschen, die geschworen hätten, daß es in der Nähe des mit dem Satan Umgang pflegenden Musikers nach Schwefel roch. Nach dem letzten Satz der Symphonie suchte Paganini den Tondichter auf:
»Gestatten Sie, daß ich Ihnen die Hände drücke, junger Freund,« rief er begeistert mit einem fratzenhaften Lächeln, »Sie sind eine große Begabung. Ich bin von Ihrer Musik einfach bezaubert. Großartig, ungeheuerlich, kraftvoll! Würden Sie nicht eine Symphonie komponieren, in der auch ein Solo für mich enthalten wäre? Ich möchte schon lange so etwas spielen wie Ihre Musik, und es ist mein größter Wunsch, Bratsche zu spielen. Verstehen Sie? Komponieren Sie mir etwas für Bratsche.«
Er drückte dem überglücklichen Komponisten nochmals die Hand, dann ging er fort. Franzi stand nicht weit entfernt von ihnen. Er dachte an sein Klavierspiel und daran, daß er alles, was er Neues am Klavier konnte, worin er allen anderen überlegen war, eigentlich diesem Teufelssohne verdankte. Was mochte dieser Mensch von Gott und der Kirche denken? Ob er einen Glauben hatte? Ob er betete?
Der Katholizismus war für Franzi immer noch ein Problem, das seine Seele ebenso tief bewegte wie die Musik. Er kam oft mit Männern der Kirche zusammen und stand mit dem Abbé Lamennais in regem Briefwechsel. Als das Parlament ein Gesetz angenommen hatte, daß in den Elementarschulen Musik als Unterrichtsfach eingeführt werden solle, verfaßte er einen kleinen Aufsatz, in dem er forderte, daß auf die kirchliche Musik mehr Gewicht gelegt werde. Er legte seine Arbeit der »Gazette Musicale« vor, die sie aber ablehnte. Der Schriftleiter bedauerte höflich:
»Es tut mir leid, Monsieur Litz, Ihr Name unter den Mitarbeitern meiner Zeitung würde mir mit der Zensur zu schaffen machen. Sie haben sich zu offenkundig an die Romantiker angeschlossen, die man an leitender Stelle nicht allzu freundlich ansieht.«
Er zuckte die Schultern. Er war wütend, zugleich aber auch ein bißchen stolz. Bei solchen Behauptungen fühlte er sich nur noch mehr zu den Freunden Victor Hugos hingezogen, und sein Widerspruchsgeist erhielt nur neue Nahrung. Zu gleicher Zeit bekam er eine Einladung zu einem Konzert am Hofe, um vor Louis Philippe zu spielen. Der Herrscher zeichnete den Künstler nach dem Konzert mit einer Anrede aus. Er war sogar sichtlich bestrebt, besonders freundlich zu ihm zu sein.
»Ich bin erstaunt«, sagte der König, »wie sehr Sie sich verändert haben, seit ich Sie nicht sah.«
Franzi hatte gar keine Zeit gehabt zu überlegen, was er antworten könnte, so schnell drängte sich ihm die Erwiderung auf die Lippen:
»Seit dieser Zeit hat sich leider auch alles andere verändert, Sire.«
Bestürzt blickte ihn der Bürgerkönig an. In den Zeiten der Bourbonen hatte er den Künstler noch als Herzog von Orleans empfangen. Die Antwort war gefährlich kühn, man hätte sie getrost frech nennen können. Die hinter dem König stehenden Höflinge waren wie vom Donner gerührt und erblaßten. Eine Sekunde lang schwieg auch Louis Philippe, dann nickte er frostig und ging weiter. Die Kunde von diesem Vorfall verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Paris. Die Salons der Legitimisten sprachen von einer Heldentat. Viele aber hätten von dem jungen Künstler mehr Besonnenheit und Bescheidenheit erwartet. Unter diesen befand sich auch die Gräfin:
»Was fällt dir ein, dich so hinreißen zu lassen? Mir ist Louis Philippe zwar gleichgültig, wir sind Legitimisten, aber solche Dinge machen mich besorgt um dich. Wie leicht kann das deiner Karriere schaden. Wozu das?«
Und der junge Mann, der sich in der Gesellschaft in der Rolle des Teufelskerls gefiel, erwiderte jetzt aufrichtig:
»Ich kann nichts dafür, ich bin verstört, ich bin durcheinander, ich finde meinen Platz nicht in dieser Welt. Mir hat dieser brave Louis Philippe nichts getan. Aber manchmal zwickt mich der Teufel. Immer wenn ich mit so hohen Herrschaften spreche, nagt in mir das Verlangen, ihnen irgend etwas entgegenzuschmettern, irgend etwas … irgend etwas … ich finde das Wort nicht … ›Grobheiten‹ möchte ich nicht sagen … nein, aber etwas Stolzes. Im übrigen bin ich auch kein Legitimist. Du bist also eine?«
»Selbstverständlich.«
»Auch jetzt noch, wo Eure Königin ein uneheliches Kind bekommen hat?«
»Erstens behauptet die Herzogin von Berry, sie habe im geheimen mit einem italienischen Magnaten eine morganatische Ehe geschlossen, aus der das Kind stamme. Ein gut erzogener Mensch ist verpflichtet, das zu glauben. Zweitens berührt das Benehmen der Herzogin auf dem Lande in keiner Weise die königlichen Rechte ihres erstgeborenen Sohnes. Für mich ist nicht dieser Regenschirm tragende Affe der König, sondern der Graf von Chambord, Heinrich V.«
»Aber du hast doch über diese Frau selbst immer gespottet. Du hast ihre neapolitanischen Gebräuche verachtet und hast sie unzählige Male vor mir verhöhnt.«
Die Gräfin D'Agoult zog die Augenbrauen hoch.
»Ich darf das. Wir dürfen das.«
Ihr Gesicht war hochmütig und abweisend. Die Hand Franzis, die bis jetzt das goldblonde Haar gestreichelt hatte, glitt von dem schönen Kopf. Es entstand eine lange Pause.
»Wir sind noch sehr weit voneinander entfernt, Marie. Du gehörst zu einer Kaste und nicht zu mir.«
»Ich dürfte auch gar nicht zu dir gehören. Es ist eine schwere Sünde, was ich tue. Mein Beichtvater wollte mir das vorige Mal kaum Absolution erteilen. Du hast es leicht, du beichtest nicht.«
»Ich habe es leicht? Nächtelang grüble ich darüber nach, wie weit ich gegen Gott sündige, wenn ich dich liebe. Aber allmählich komme ich jetzt zur Ruhe. Eine Liebe, die rein ist, kann Gott nur wohlgefällig sein. Er schuf die Liebe. Unsere Liebe gefällt ihm sicherlich besser als deine Ehe, die keine Seele hat. Kann ihm etwas Seelenloses gefallen?«
»Du sagst: ›Eine Liebe, die rein ist.‹ Ist unsere Liebe denn rein? Gehörst du mir mit Leib und Seele? Denkst du nicht an andere Frauen? Kannst du schwören, daß du mich nicht betrügst?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Franzi unsicher.
»Gut. Schwöre. Bei deiner Mutter.«
»Nicht doch. Das ist geschmacklos. Ich schwöre nicht. Sprechen wir von etwas anderem.«
Aber die Gräfin wollte von nichts anderem sprechen. Sie forderte den Schwur. Eine große Szene folgte, sie überwarfen sich. Sie gingen auch im Zorn voneinander und die Gräfin betrachtete die Angelegenheit als Bruch ihrer Beziehungen. Franzi verfluchte Louis Philippe, dessen Person die Unterhaltung zu einer so gefährlichen Klippe geführt hatte. Er wartete einige Tage auf ein Wort der Vergebung, aber es kam nichts. Dann ließ er sich bei der Gräfin melden. Sie empfing ihn auch. Die ersten Worte der Begrüßung waren kaum verklungen, als sie auch schon das alte Thema wieder aufgriff und den Schwur verlangte. Franzi geriet in eine Sackgasse. Er gestand, daß er keinen Schwur ablegen könne. Er habe ein flüchtiges Abenteuer gehabt, in dem die betreffende Dame, eine kleine Opernsängerin, die Angreiferin und er der sich nur schwach Verteidigende gewesen sei. Er gestand, da er nun schon einmal dabei war, daß die Gräfin Laprunarède ihm noch immer durch jene Madame Laborie Nachrichten zukommen lasse und daß er diese Nachrichten nicht zurückweise. Auch einige flüchtige Küssereien klebten noch an seiner Seele. Die beichtete er auch gleich mit. Alles das hatte eine fürchterliche Szene zur Folge. Die Gräfin war außer sich. Sie schluchzte steinerweichend. Und endlich brachen sie unwiderruflich. Obendrein teilte sie ihm auch noch mit, daß sie wieder nach Croissy übersiedele. Es sei zwar Winter, aber ihr Mann liebe auch im Winter die Einsamkeit des Landlebens.
Und wirklich, die Familie D'Agoult zog nach Croissy. Es kam keine Nachricht. Eine Woche lang, zwei Wochen lang. Endlich traf ein Paket ein, es enthielt einzelne Bücher und Noten. Die Gräfin schickte sie zurück. Dazu ein Brief: »Gott sei mit Ihnen für ewig, das ist mein fester Entschluß. Wenn ich gesündigt habe, waren wenigstens meine Beweggründe rein. Sie haben aber auch diese besudelt.«
Franzi antwortete sofort:
»Ich weiß, daß ich kein Recht mehr habe, irgend etwas von Ihnen zu verlangen. Mein Dasein, besser gesagt, alles, was ich tue und denke, bis auf diese eine Erinnerung, die Sie wohl nur noch einige Tage oder Stunden von mir behalten werden, ist vollständig gleichgültig und für Sie nicht vorhanden. Wenn Sie aber morgen, oder noch zur Winterszeit, oder irgendeinmal, – wann, ist ganz gleich, – aus Neugierde oder Erbarmen zu einer kurzen Aussprache bereit wären, würde ich Sie dafür segnen und Gott danken. Sie wissen ja, daß ich immer bleiben werde …«
Ob aus Mitleid, Neugierde oder gar aus Liebe, – die Gräfin erfüllte die Bitte. Sie kam nach Paris, zu einer Aussprache von ein paar Minuten. Aus den paar Minuten wurden zweieinhalb Stunden, aus dem Zwist wurde Versöhnung, neue Beteuerungen, besinnungslose Zärtlichkeiten. Die wolkenlose Seligkeit der auf die Versöhnung folgenden Flitterwochen dauerte solange, bis der Gräfin in einem alten Musikalbum ein vor zwei Jahren geschriebener Liebesbrief in die Hände fiel, – von einer Frau, die Franzi angeblich zu nennen vergessen hatte. Abermals Sturm und wiederum leidenschaftliche Aussöhnung. Die Gräfin siedelte aus Croissy wieder nach Paris über, damit sie öfters zusammen sein konnten. Ihre Verbindung wurde nunmehr zu einem offenen Geheimnis in der Pariser Gesellschaft.
Der Sommer trennte sie dann wieder. Seine häufige Anwesenheit im Schloß zu Paris war nicht auffallend, nach Croissy konnte er aber nicht wieder herausfahren. Trotzdem verschob er seinen Plan, den Abbé Lamennais auf dem Lande zu besuchen, auf den September. Eine offizielle Einladung konnte ja unerwartet jederzeit aus Croissy eintreffen, je nachdem wie die Gastzimmer besetzt waren, und auf diese Einladung wollte er warten. Ab und zu kam die Gräfin unter dem Vorwand wichtiger Einkäufe nach Paris, wo sie dann im »Rattenloch« trunken einander in die Arme sanken. Auch an dem Septembertage, der Franzis Abreise zum Abbé voranging, war die Gräfin bei ihm. Am anderen Morgen setzte er sich in die Postkutsche, um in La Chênaie, einem kleinen, bei Dinant gelegenen Dorfe den Abbé zu besuchen. Im Postamt von Rennes schrieb er der Gräfin schon einen Brief:
»Immer ein einziger und alleiniger Gedanke in meinem Herzen: Sterben, Sterben. Immer ein einziges und ständiges Bild in meiner Seele: Sterben, Sterben. Nichts als eine Erinnerung, nichts als eine Hoffnung, als ein Wunsch: Sterben, Sterben, Sterben … Oh, wie heiß und glühend ist noch Dein letzter Kuß auf meinen Lippen! Wie himmlisch, wie göttlich Dein Seufzer in meinem Busen … Ja, Dir alles, Herzliebste, für Dich alles.«
Beim eintönigen Rütteln und Rasseln der Postkutsche sann er über nichts anderes nach, als über seine Geliebte, zu der ihn ursprünglich eher weltmännische Eitelkeit und sinnliches Verlangen als wahres Gefühl getrieben hatte. Sie gehörten einander nun seit einem Jahre, und jetzt erst war er ernstlich in seine Geliebte verliebt. Er fühlte, daß er sich jetzt nicht mehr von ihr trennen könnte. Nach einer langen, beschwerlichen Fahrt mit häufigem Wechsel der Postkutsche kam er in La Chênaie an. Er hatte ein großes Dorf zu sehen erwartet, aber er hatte sich geirrt. Mitten in herbstlich bunten prangenden Bäumen, Sträuchern und Ackerschollen standen hier und da verstreut einsame Bauernhäuser, die durch nichts miteinander verbunden waren. Der Wagen hielt vor einem einstöckigen Hause, das man mit einigem Wohlwollen als kleines Schloß hätte bezeichnen können. Das also war das Heim des weltberühmten Abbé! Mit strahlendem Gesicht stand er selbst auf der Schwelle seines Hauses. Er trug einen abgeschabten, grauen Gehrock, dessen abgewetzter Saum die Knie streifte. Die Waden waren von Kniestrümpfen umspannt, wie sie die Bauern trugen, an den Füßen steckten unförmige Bauernschuhe, den Kopf schützte ein breitrandiger Strohhut, das Gesicht war mit weißen Bartstoppeln übersät. Diese Borsten kratzten und stachen die feine und rosige Gesichtshaut des Klavierkünstlers, als der alte Pfarrer ihn mit ergriffener Liebe umarmte wie ein Vater seinen Sohn.
Er bekam gleich neben den Räumen des Abbé ein Zimmer angewiesen und wurde auch gleich mit einem anderen Gast des Abbé bekannt. Das war ein stiller, bescheidener, junger Mann in abgetragenen Kleidern. Dieser Monsieur Boré war von Beruf Orientalist, ein gründlicher Kenner der armenischen Sprache. Zu dritt setzten sie sich zum Mittagessen, das schon auf sie wartete. Man stellte eine riesengroße Schüssel mit Rebhühnern vor sie hin, vor deren Menge man fast hätte erschrecken können.
»Nun lassen Sie hören, mein lieber Sohn, was es Neues in Paris gibt.«
»Allerhand. Berlioz hat einen Sohn bekommen. Er ist so glücklich, daß er die ganze Welt umarmen könnte.«
»Und was machen die anderen?«
»Stellen Sie sich vor, Paganini hat ein Mädchen entführt. Er lernte in London die Tochter eines Mannes namens Watson aus New York kennen. Die Familie Watson besuchte ihre Verwandten in Europa. Nach kaum einer Stunde waren Paganini und das junge Mädchen schon ineinander verliebt. Er hielt um ihre Hand an, bekam aber vom Vater einen Korb. Der Vater reiste dann nach New York zurück und ließ die Tochter bei Verwandten. Da ging das Mädchen mit dem Violinspieler einfach durch. Sie reisten zusammen nach Paris. Sogleich bestieg Watson eia Schiff und kam herüber nach Paris, faßte die schöne Betty an den Ohren und brachte sie wieder nach Hause. Alles Flehen war umsonst. Paganini ist ganz zusammengebrochen, weil er sich ernstlich in das Mädchen verliebt hatte. Ich habe sie selber nicht gesehen, aber alle sagen, daß sie außerordentlich hübsch gewesen sei.«
»Donnerwetter! Wie alt ist denn dieser Paganini?«
»Dreiundfünfzig.«
»Na, so was! Was gibt's sonst noch Neues? Sind Sie einmal alten Anhängern des ›Avenir‹ begegnet?«
Pater Lamennais berührten die Neuigkeiten der musikalischen Welt weniger. Er brannte vielmehr darauf zu erfahren, welche Wirkung die vor einigen Wochen erlassene überraschende Stellungnahme des Papstes in der Enzyklika » Singularis nos« ausgelöst habe, die sich gegen ihn richtete und seine Werke auf den Index setzte.
»Ich habe kaum mit jemandem gesprochen. Mit Ihnen möchte ich aber um so mehr darüber sprechen.«
»Das werden wir. Wir haben ja Zeit, denn ich lasse Sie nicht gleich wieder weg.«
Nachmittags gingen sie in dem nahen Wald spazieren, von dem noch der Abbé einen Teil gepflanzt hatte. Am felsigen Ufer eines idyllisch gelegenen kleines Sees ließen sie sich in verträumten Sonnenschein nieder.
»Hier wird einmal mein Grab sein,« der Abbé wies auf einen Felsen, »unter diesem Gestein will ich begraben sein.«
Sie schwiegen lange. Endlich sagte Franzi:
»Sagen Sie, bitte, Pater, was ist das für ein sonderbarer Instinkt der Seele, der den Menschen nach dem Tode zieht. Warum hat man zum Beispiel, wenn man liebt und wiedergeliebt wird, in seiner Seligkeit den instinktiven Wunsch zu sterben? Warum?«
»Weil der Tod den Höhepunkt des Lebens bedeutet. Daß wir zu leben bestrebt sind, ist eine optische Täuschung. Unbewußt ist unser Streben nach dem Tode gerichtet. Haben Sie schon ein schwarzes Bahrtuch gesehen, auf das Tränen gefallen sind? Dies ist das wahre Symbol des Lebens.«
Nach einer kleinen Weile sah er seinem jungen Freund in die Augen und fragte:
»Wann haben Sie die Gräfin D'Agoult zuletzt gesehen?«
Das Gesicht Franzis bekam einen starren Ausdruck. Mit farbloser Stimme entgegnete er:
»Im Sommer wurde mir die Ehre zuteil, von dem gräflichen Ehepaar für ein paar Tage nach Croissy eingeladen zu werden. Mit der Gräfin habe ich sehr angenehme Stunden verbracht. Sie ist eine außerordentlich gebildete und tief religiöse Dame.«
Er weiß es auch schon? Überall weiß man es schon? Als er sich am ersten Abend spät von seinem Gastgeber verabschiedete, setzte er sich noch ans Klavier. Vollkommen fertig sprang aus seinen Fingern der Entwurf einer Komposition. Er hielt die Gedanken sofort fest und gab ihr auch sogleich den Titel: »Gedanken der Toten«.
Dann ging er schlafen und drückte seine Wange an das Kopfkissen, als ob es das Antlitz der Gräfin D'Agoult wäre …