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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Susanna, Miß Sandus, ein weißer Pfau und sechs Ringeltauben nahmen im Garten unter einem schattigen Oleanderbaum Erfrischungen zu sich. Es gab Kuchen, Feigen und Limonade, getrocknete Maiskörner und guten fetten Hanfsamen. Die Ringeltauben waren für Mais und Hanfsamen, der Pfau aber bevorzugte in Limonade getauchten Schwammkuchen.

»Ich kenne einen Schriftsteller, der einen Pfau lehrte, in Absinth getauchten Schwammkuchen zu essen,« erzählte Miß Sandus.

»Wirklich? Natürlich ein grundsatzloser französischer Schriftsteller?« vermutete Susanna.

»Nein, und das ist gerade das Lustige dabei,« entgegnete Miß Sandus; »es ist ein hochbedeutender, höchst achtbarer englischer Schriftsteller, und Familienvater obendrein. Ich nenne seinen Namen nicht, damit er mich nicht verklagen kann.«

»Er sollte sich schämen!« sagte Susanna. »Und was wurde aus dem armen Pfau? Sank er als Trunkenbold in sein frühes Grab?«

»Das ist eine lange Geschichte,« sagte Fräulein Sandus. »Wenn du verheiratet bist und dann einmal zu mir nach Kensington kommst, lade ich den Schriftsteller ein, dann kann er dir die Geschichte dieses Pfaues selbst erzählen. – Doch sieh, da kommt dein Gesandter zurück!« rief sie plötzlich, als Pater Angelo, den Rosenkranz schwingend, den Gartenweg herauf kam.

»Nun, Vater Angelo –?« fragte Susanna mit ängstlichem Blick.

»Ihr Vetter ist ein sehr eigensinniger Mann,« erwiderte Pater Angelo. »Er weigert sich, Ihr Anerbieten anzunehmen, und lehnte es stürmisch ab.«

»Ah – wer hat dir das vorausgesagt?« rief Miß Sandus.

»Er ist hier, um selbst mit Ihnen zu sprechen. Er wartet in der Loggia,« berichtete Pater Angelo.

Susanna lehnte sich in ihrem Sessel zurück – sie war sehr bleich geworden.

»Ich glaube, ich werde ohnmächtig,« sagte sie leise.

»Um Gottes willen nicht!« flehte Miß Sandus erschrocken.

»Nein, ich tu's nicht,« versprach Susanna und atmete tief auf. »Aber du mußt zugeben, daß ich einige Veranlassung dazu hätte. Muß ich – muß ich ihn sehen?«

»Ob du mußt?« rief Miß Sandus. »Du vergehst ja fast vor Verlangen danach, oder etwa nicht?«

»Doch,« bekannte Susanna lachend, »ich vergehe vor Verlangen danach. Aber ich fürchte mich so!«

»Ich verschwinde,« sagte Miß Sandus, »dann kann ihn der gute Pater zu dir bringen.«

»O nein! Geh nicht! Verlasse mich nicht!« bat Susanna und streckte die Hand nach ihr aus.

»Aber, liebes Kind!« rief Miß Sandus lachend und trippelte dem Palast zu.

»Gut also,« sagte Susanna nach einer Weile, »wollen Sie so freundlich sein, ihm den Weg zu zeigen, Vater?«


Die Loggia, wie Pater Angelo sich ausdrückte, wo er Anthony wartend zurückgelassen hatte, war dieselbe offene Säulenhalle, in der Susanna am Morgen ihre Unterredung mit dem Commendatore Fregi gehabt hatte. Sie war wie eine Art Wohnzimmer eingerichtet. Auf dem marmornen Fußboden lagen Teppiche; Stühle und Tische standen herum, und außer gefüllten Blumenvasen und andern Dingen waren auch eine Menge Bücher vorhanden.

Zerstreut und mechanisch, wie es jemand tun wird, der an einem fremden Platz auf etwas wartet, wenn Bücher neben ihm liegen, nahm Anthony ein Buch auf. Es war ein kleines altes Buch in Kalbleder, mit dem in Gold gepreßten Wappen der Valdeschi und einer Krone geschmückt. Als er es halb gedankenlos betrachtete, sah er, daß es ein Band von Ronsard war. Plötzlich klappte es auf an einer Stelle, in die ein Briefumschlag als Buchzeichen gelegt war.

Der Briefumschlag fiel Anthony in die Augen und erregte seine Aufmerksamkeit, und das war kein Wunder, denn er war ganz unzweifelhaft von seiner Hand überschrieben und an Signora Torrebianca im Neuen Schloß zu Craford, England, adressiert und mit einer ungestempelten italienischen Fünfundzwanzigcentesimimarke versehen.

Auf der durch den Briefumschlag bezeichneten Seite stand das Sonett: » Voici le bois.«

Was wohl in diesem Augenblick in Anthonys Kopf und Herz vorgehen mochte? Mancherlei mußte ihm wohl plötzlich zum Bewußtsein kommen, mancherlei mußte für ihn nun wohl ein andres Gesicht annehmen und mußte nun in anderm Zusammenhang erscheinen als bisher; mancherlei mußte ihm nachträglich auffallen, was er vorher nicht beachtet hatte. Ohne Zweifel tobten die verschiedensten Gedanken und Gefühle in ihm. Aber äußerlich blieb er ganz ruhig. Er legte das Buch auf den Tisch zurück und begann, mit gesenktem Kopf auf und ab zu gehen. Manchmal lachte er auf, manchmal blickte er finster und ballte die Faust. Einmal schüttelte er die Faust und murmelte: »O dieser Adrian!« Und dann kicherte er vergnügt: »Bei Gott! Sie wird wie vor den Kopf geschlagen sein!«

Pater Angelo kam zurück.

»Die Gräfin ist im Garten. Darf ich Ihnen den Weg zeigen?« fragte er.

Aber als sie die Marmorbrücke erreicht hatten, die den Palast mit dem Garten verband, sagte er: »Sie sprechen die Gräfin wohl am besten allein. Gehen Sie über die Brücke und dann den Weg geradeaus weiter, dann werden Sie sie treffen.«

»Danke vielmals, Vater,« erwiderte Anthony und schritt über die Brücke.


Er ging über die Brücke und den Weg geradeaus weiter. Und dort am Ende des Weges, den Rücken ihm zugewandt, stand im Schatten eines Oleanderbaumes ein junges Weib – ein junges Weib in perlgrauem Kleide, auf dem Kopf einen Gartenhut, unter dem das Haar schwarz hervorquoll. Da die Rücken junger Mädchen gemeiniglich wenig Charakteristisches bieten, weiß man nicht, was geschehen wäre ohne Ronsard.

Im Garten war es sehr still. Die Vögel hielten ihre Siesta. Der Wind lispelte leise in den Wipfeln der Bäume. Sogar der doch immer stille Sonnenschein schien noch stiller zu sein als sonst.

»Oh, was wird er denken – was wird er denken? Was wird er sagen, was wird er tun, wenn ich mich umdrehe und er sieht, wer ich bin?« Wieder und wieder legte sich Susanna diese Fragen vor, als sie mit laut pochendem Herzen Anthonys Fußtritte näherkommen hörte.

Er kam rasch gegangen, aber einige Schritte von ihr blieb er stehen, und zwei oder drei Sekunden lang war alles still zwischen den beiden.

Dann endlich sagte er auf Englisch in seiner sanftesten, gemessensten Weise, aber mit einer Stimme, die doch etwas siegesfroh klang: »Diese genialen Mystifikationsversuche sind ja ungemein belustigend und unterhaltend, aber ich möchte doch wissen, ob Sie deren noch viele zu machen beabsichtigen, ehe Sie unsre kleine Komödie ihrem glücklichen Ende zuführen wollen?«

»Guter Gott!« dachte Susanna verzweifelt. Sie drehte sich nicht um, aber plötzlich erschütterte ein stilles Gelächter ihren ganzen Körper. Sie hatte den kürzeren gezogen, sie war, wie man zu sagen pflegt, »hereingefallen«, aber sie konnte sich nicht helfen: sie mußte lachen, lachen, lachen.

Endlich drehte sie sich um.

Aus ihren dunklen Augen strahlten Ärger, Befriedigung, Enttäuschung und Lustigkeit – die widerstreitendsten Gefühle auf einmal.

»Wie in aller Welt haben Sie es herausgebracht?« fragte sie. »Wie konnten Sie es herausbringen? Wann haben Sie es erfahren? Wie lange wissen Sie es schon? Und wenn Sie es wußten, warum haben Sie sich dann verstellt und getan, als ob Sie es nicht wüßten?«

Beim Anblick ihres geliebten Gesichtes vergaß Anthony alles.

»Oh, das ist jetzt alles einerlei!« rief er, während er mit großen Schritten auf sie zutrat.


»Zeige mir doch einmal deine rechte Hand,« sagte Susanna einige Zeit später, »ich muß sehen, ob du auch die Valdeschi-Höhlung hast.«

»Die Valdeschi-was?« fragte Anthony erstaunt.

»Die Valdeschi-Höhlung,« wiederholte sie.

»Was ist denn das?« erkundigte er sich.

»Die Valdeschi-Höhlung! Willst du denn behaupten, daß du, das Haupt der Familie, nichts davon wissest?« rief sie erstaunt.

»Was ist es denn?« wiederholte er seine Frage.

»Jeder echte Sohn und jede echte Tochter der Valdeschi hat im Handteller eine kleine Vertiefung, die auf die Nachkommen San Guidos gekommen ist als Überbleibsel der Narbe, die der Dorn einst in seine Hand gegraben hat. Sieh – ich habe sie.«

Und sie streckte ihm die Hand hin.

Anthony ergriff sie, beugte sich darüber und küßte sie. Dann betrachtete er sie genau.

»Es ist eine köstliche kleine Hand, aber eine Höhlung sehe ich nicht,« sagte er.

» Hier!« sagte sie und wies mit der Fingerspitze auf eine winzige Vertiefung in dem rosigweißen Fleisch.

»Das? Das ist ja nichts als ein hübsches Grübchen,« rief er lachend.

»O nein,« entgegnete sie ernst. »Das ist das Merkzeichen der Valdeschi. Ich bin überzeugt, daß du es auch hast – wir haben es alle. Laß mich sehen.«

Sie nahm seine schmale braune Hand und untersuchte sie eifrig und genau.

»Da! Ich hab's ja gewußt!« rief sie.

Und sie wies an derselben Stelle seiner Hand, wo bei ihr das »Merkzeichen der Valdeschi« war, auf eine kleine Vertiefung, die aussah wie eine winzige halb verwachsene Narbe.

In diesem Augenblick ertönte vom Palast her der tiefe Klang einer Glocke.

Susanna erhob sich.

»Als du kürzlich nur zum Besuch hier warst, wird man dir die Kapelle wohl nicht gezeigt haben?« fragte sie.

»Nein,« erwiderte Anthony.

»Sie wird Fremden nie gezeigt,« fuhr sie fort; »aber wenn du jetzt mit mir kommen willst, so sollst du sie sehen. Pater Angelo erteilt gerade den Segen, deshalb wird die Glocke geläutet.«

Sie ging den Weg nach dem Palast voran. Als sie über die Brücke schritten, deutete sie nach einer Flaggenstange auf der höchsten Stelle des Gebäudes und sagte: »Sieh!« Eine Flagge wurde eben aufgezogen, die nun lustig im Wind flatterte, eine rote Flagge mit goldener Zeichnung.

»Die Flagge der Grafen von Sampaolo: rot mit goldenem Dorn,« erklärte Susanna. »Natürlich weißt du, warum sie jetzt aufgezogen worden ist?«

»Nein!« sagte Anthony verwundert.

»Weil der Graf von Sampaolo heimgekehrt ist,« erwiderte sie.

Dann gingen sie hinein, um den Segen zu empfangen.

 

Ende.

 


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