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Dreizehntes Kapitel.

»Na, schön eingeweicht sind Sie worden – haben Sie wenigstens auch einen schönen Spaziergang gemacht?« fragte die kleine, lebhafte alte Dame mit ihrer angenehmen hellen, alten Stimme.

»Ja, beinahe bis nach Blye,« sagte Anthony. »Der Regen hat uns erst ganz zum Schluß erwischt. Aber was mir jetzt not tut, ist Ihre Sympathie und Ihr Rat.«

Sie saß ihm gegenüber in einem tiefen Lehnstuhl, ihre hübschen kleinen Hände hielt sie im Schoß gefaltet und ihre hübschen kleinen Füße in zierlichen, hochstöckligen, mit silbernen Schnallen verzierten Pantöffelchen ruhten auf einem Schemel. Es war sowohl ein hübsches als auch ein gütiges und kluges Gesicht, das unter einer Fülle weichen braunen Haares zu ihm aufsah, als sie fragte: »Was ist los?«

»Nicht eben viel. Aber ich bin verliebt,« antwortete er.

Miß Sandus rückte vor in ihrem Stuhl.

»Verliebt? Das ist ja reizend! In wen? In mich? Soll das eine Liebeserklärung sein? Oder am Ende nur eine vertrauliche Mitteilung?«

Sie sah ihn mit ihren lustigen braunen Augen freundlich an.

»Beides. Natürlich liebe ich Sie – das tut jedermann, der Sie kennt. Aber,« fügte er im Ton tiefer Melancholie hinzu, – »bitte entschuldigen Sie, daß ich Ihnen mein Vertrauen aufzwinge –, ich liebe auch sie.«

Er schaute dabei ausdrucksvoll nach der Decke hinauf.

»Hm – hm!« Miß Sandus sah nachdenklich ins Feuer. »Also auch sie.«

»Ja,« sagte Anthony.

»Hm – hm,« wiederholte Miß Sandus. »Sie gehen ein bißchen rasch ins Zeug. Wie lange kennen Sie sie denn schon?«

»Mein Leben lang. Ich lebe erst, seit ich sie kenne,« lautete die Antwort.

»Das mußte ja kommen – das sagen alle Männer im gleichen Falle,« verallgemeinerte die Dame. »Es mag etwa fünfundfünfzig Jahre her sein, daß ich es zum ersten Male hörte.«

»Dann wird ja wohl etwas Wahres daran sein,« folgerte Anthony. »Jedenfalls kenne ich sie lange genug. In solchen Dingen braucht man nicht viel Zeit. Man erkennt eine Vollkommenheit, oder man erkennt sie nicht – je nach der seelischen Verwandtschaft. Man weiß es, wenn man getroffen ist. Ich liebe sie. Stehen Sie mir mit Rat und Sympathie zur Seite.«

»Meine Sympathie haben Sie! Worin wünschen Sie meinen Rat?«

»Was soll ich tun? Ins Wasser springen oder zu trinken anfangen?«

»Ich würde nicht ins Wasser springen,« riet Miß Sandus. »Das Wasser ist naß und kalt, und das Ertrinken soll, wie ich mir habe sagen lassen, auch sehr unbekömmlich sein. Was nun das Trinken betrifft, so höre ich, daß es leicht verrückt machen soll.«

»Das glaube ich auch,« gab Anthony seufzend zu. »Ich fürchte, es ist kein Schimmer von Hoffnung für mich da.«

»Hm,« wiederholte Miß Sandus.

»Es wäre wohl Wahnsinn, mit ihr zu sprechen?« fuhr er fort.

»Das würde wohl großenteils davon abhängen, was Sie ihr zu sagen hätten,« meinte seine Ratgeberin lächelnd.

»Wenn ich ihr gerade heraus sagte, daß ich sie liebe –?«

Miß Sandus sah nachdenklich, mit zusammengezogenen Brauen, ins Feuer, aber ein schalkhaftes Lächeln spielte um ihre Lippen.

»Ich glaube, an Ihrer Stelle würde ich's versuchen,« entschied sie schließlich.

»Würden Sie das?« rief Anthony überrascht und ermutigt. Aber im nächsten Augenblick schlug die Mutlosigkeit wieder über ihm zusammen. »Sehen Sie,« sagte er, »die Sache ist ungemein schwierig. Ich bin doppelt und dreifach im Nachteil!«

»Wieso?« fragte Miß Sandus und sah auf.

»Sie hat sich hier für den Sommer eingerichtet, und ich zuallerletzt darf ihr den Aufenthalt in Craford unmöglich machen.«

»Freilich,« sagte Miß Sandus, »das muß in Betracht gezogen werden.«

»Es muß eine so verzweifelt große Menge von Umständen in Betracht gezogen werden!« erklärte er trostlos.

»Lassen Sie die verzweifelt große Menge doch einmal hören,« bat die Dame in geschäftsmäßig freundlichem Ton.

»Nun, vor allem,« brachte er mühsam heraus, »die Tatsache, daß sie sehr reich ist.«

»Ja, sie ist reich,« gab Miß Sandus zu, »aber wird sie dadurch weniger anziehend?«

»Sie verstehen wohl, was ich meine!« stöhnte Anthony, dem nicht nach scherzen zu Mute war.

»Sind Sie nicht selbst auch reich?« gab Miß Sandus zurück.

»Reich? Ich stehe an der Grenze der Armut!« rief er.

»Oh? Ich dachte, Sie wären ein großer Grundbesitzer!«

»Das bin ich auch,« gab er zu, »aber ich glaube nicht, daß alle meine Ländereien mehr als fünfzehnhundert Pfund jährlich abwerfen. Und außerdem besitze ich keinen Stüber.«

»Armer, armer junger Mann,« sagte sie, indem sie ihn lachenden Mundes bedauerte. »Und trotzdem halte ich Sie nicht für so arm, daß ihr Reichtum Sie bedrücken dürfte. Wenn ein Mann genug hat für sich selbst, so kommt es nicht in Betracht, wie reich seine Frau ist, denn er bedarf ihres Vermögens nicht für seinen Unterhalt. Um der Geldfrage willen ließe ich mir keine grauen Haare wachsen.«

Anthony stand auf und stützte seinen Arm auf den Kaminsims.

»Sie sind unendlich gut,« sagte er und sah zärtlich auf die anmutige Gestalt vor sich nieder.

»Ich bin eine alte Frau,« erwiderte sie, »und alle alten Frauen freuen sich, durch die Liebe andrer sich um ein Jahrhundert oder so zurückversetzt zu sehen in die Zeit, wo sie jung waren und auch heißes Blut und Verehrer hatten. Et ego in Arcadia – aber ich habe mein Latein vergessen!«

»Ihr Piëridisch Piëriden ist der Beiname der Musen, von der mazedonischen Landschaft Piërien abgeleitet. werden Sie nie vergessen!« sagte Anthony, indem er sich verbeugte. Er nahm ihre Hand, neigte sich über sie und berührte sie mit seinen Lippen.

»Wenn Schmeichelei Freunde macht, werden sie Ihnen nicht fehlen,« sagte sie mit einem matten Erröten.

»Aber,« begann Anthony wieder, »ich habe meinen Sack noch nicht ganz ausgeleert; es besteht eine noch viel größere Schwierigkeit.«

»Lassen Sie hören!« ermunterte ihn Miß Sandus fröhlich. »Vermutlich handelt es sich um ihre erste Heirat?«

»Sie erraten meine Gedanken! Ja,« brach er los, »um die handelt es sich. Wissen Sie, ich für meine Person glaube gar nicht an diese Heirat, denn sie macht einen so mädchenhaften, so reinen und unberührten Eindruck, daß ich unmöglich daran glauben kann. Natürlich wird die Tatsache dadurch nicht aus der Welt geschafft und alles wird nur um so verwickelter. Ich darf mich nicht auf geweihten Boden wagen, und wenn sie noch um ihn trauert …« Eine Handbewegung vollendete den Satz.

»Nun hören Sie,« sagte Fräulein Sandus plötzlich, »ich werde jetzt einen Vertrauensbruch begehen. Nein, sie trauert nicht, und sie hat niemals getrauert, denn sie war überhaupt nur dem Namen nach verheiratet – es war eine Konvenienzehe, der Mann war weiter nichts als eine Null – mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Fragen Sie nicht weiter, aber nützen Sie das, was ich indiskret genug war, Ihnen zu sagen.«

»Sie sind mir wie ein Engel vom Himmel gesandt!« rief Anthony feurig. »Wenn Sie wüßten, von welcher Last Sie mein Herz befreit und welchen Balsam Sie hineingeträufelt haben!«

»Wenn Sie auch nicht reich sind,« fuhr Miß Sandus fort, »so haben Sie doch eine schöne Stellung und einen guten Namen – ja, deren sogar zwei, wenn ich recht berichtet bin. Sie beide gehören dem alten Glauben an, sind beide im richtigen Alter zum Heiraten. Es wäre eine in jeder Beziehung passende Verbindung. Warten Sie eine gute Gelegenheit ab. – Die Gelegenheit ist alles – auf die Gelegenheit kommt alles an. Sagen Sie ihr am richtigen Ort und im richtigen Augenblick, daß Sie sie lieben. Aber da kommt der Tee!«

Und mit dem Tee kam Susanna in einem wundervollen, raschelnden blaugrauen Kleid, und unmittelbar nach Susanna erschien auch Adrian.


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