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Achtzehntes Kapitel.

Susanna setzte das Queue ins Gestell zurück. Anthony stand, die verkörperte Frage, an der Tür.

»Nun?« fragte er – mit gepreßter Stimme.

»Bitte, treten Sie näher und nehmen Sie Platz,« bewillkommnete sie ihn liebenswürdig.

Damit deutete sie auf einen Stuhl. Sie hatte noch dasselbe weiße Kleid an wie vor dem Frühstück, aber im Gürtel trug sie jetzt eine rote Rose.

Anthony setzte sich nicht, sondern blieb, an den Kaminsims gelehnt, stehen.

»Welche Ewigkeit hat dies gewährt!« seufzte er, »ich bin über dem Warten grau geworden.«

Vergnügt betrachtete sie ihn.

»Das Grau ist recht geschickt versteckt,« bemerkte sie.

»Es ist innerlich – in meiner Seele,« erklärte er in tragischem Ton. »Nun?« fragte er wieder.

»Was ›nun‹?« neckte sie mit unschuldigem Gesicht.

»Ach, quälen Sie doch nicht ein wehrloses Tier. Besiegeln Sie mein Geschick, sprechen Sie mein Urteil! Ich liebe, liebe Sie! Ich liebe Sie. Wollen Sie mein sein?«

Sie stand scharf umrissen zwischen ihm und dem Fenster; das Licht leuchtete durch ihr Haar.

»Ich habe eine Bedingung zu stellen,« erwiderte sie. »Sie müssen mir versprechen, meine Bedingung zu erfüllen – erst dann kann ich Ihnen antworten.«

Ihre dunkeln Augen lächelten ihn schelmisch, aber auch ein klein wenig zärtlich an.

Er trat näher zu ihr heran.

»Eine Bedingung? Was für eine Bedingung?«

»Nein – erst müssen Sie versprechen, sie zu erfüllen!«

»Blind ein Versprechen geben?« wandte er ein.

»Oh, wenn Sie kein Vertrauen zu mir haben –,« rief sie achselzuckend.

»Es liegt Mutwillen in Ihrem Blick,« sagte er. »Ein Mann, der etwas blind verspricht, verdient, was ihm wird.«.

»Geben Sie mir das Versprechen, und dann sehen Sie zu, ob Sie bekommen, was Sie verdienen,« rief sie lachend.

»Gott verhüte, daß irgend ein Mann bekommt, was er verdient! Ich bitte um Gnade, nicht um Gerechtigkeit.«

Wieder lachte Susanna. Sie zog die Rose aus ihrem Gürtel, streichelte ihr Gesicht damit und berührte sie mit den Lippen.

»Mögen Sie Rosen?« fragte sie mit neugierigem Blick, wie jemand, der lediglich fragt, um eine Tatsache zu erfahren.

» Diese Rose möchte ich haben,« sagte er leidenschaftlich.

Noch immer lachend, hielt sie ihm die Blume hin.

Er ergriff die Rose, und von seinen Gefühlen überwältigt, machte er heftig einen Schritt auf sie zu.

Abwehrend streckte sie die Hände vor und wich ihm aus.

»Ich bitte um Entschuldigung,« bat er, sich rasch beherrschend; »aber Sie sollten versuchen, etwas weniger entzückend zu sein.«

Damit preßte er seinen Mund auf die Rose, atmete ihren Duft ein und suchte die Stelle zu berühren, die sie geküßt hatte.

Sie sank in die Ecke eines Sofas und lehnte sich in die Kissen zurück.

»Nun, versprechen Sie?« fragte sie zu ihm auflächelnd.

»Bilden Sie sich vielleicht ein, jetzt auch nur ein Atom weniger reizend zu sein als vorhin?« fragte er, auf sie herablächelnd.

»Versprechen Sie?« fragte sie wieder und wandte ihr Gesicht von ihm ab.

»Ich habe ganz vergessen, was Sie versprochen haben wollten,« sagte er.

»Sie sollen versprechen, meine Bedingung zu erfüllen. Tun Sie es?«

»Ich werde wohl müssen,« antwortete er unterwürfig.

»Aber wollen Sie es tun? Dann müssen Sie sagen« – ihre Stimme nahm einen wahren Grabeston an –: »Ich verspreche es feierlich!«

Sie sah ihm tief in die Augen und hielt seinen Blick fest.

»Ich verspreche es feierlich!« gelobte er endlich. »Was ist die Bedingung?«

»Die Bedingung ist leicht zu erfüllen – Sie sollen nur eine kleine Reise machen.«

»Eine Reise machen? Von Craford weggehen?«

Mißtrauisch, zum Trotzen gerüstet, stand er da.

»Ja,« sagte sie und spielte mit der Tresse eines Sofakissens.

»Nicht um die Welt! Sonst alles, was Sie wollen, aber Craford verlasse ich nicht.«

»Sie haben Ihr Wort gegeben.«

»Wohl, aber ich ließ mir entfernt nicht träumen, daß es sich darum handeln könnte! In Craford ist ein Weib, das ich liebe. Ich gehe nicht von Craford weg!«

»Sie haben es feierlich versprochen.«

»Zum Kuckuck mit meinem Versprechen!«

»Versprechen sind heilig!«

»Aber erzwungene und blind gegebene nicht!«

»Geben Sie mir meine Rose zurück!«

»Nein!« Dabei drückte er die Rose wieder an seine Lippen.

»Doch!« beharrte sie und streckte keck die Hand nach der Blume aus.

Im Augenblick war aber die unvorsichtige Hand gefangen und wurde mit Küssen bedeckt.

Susanna biß sich auf die Lippen und machte ein böses Gesicht, aber sie mußte lächeln.

»Dann werden Sie also Ihr Versprechen halten?« fragte sie wieder ernsthaft.

»Wenn Sie darauf bestehen, werde ich es ja wohl müssen,« gab er grimmig zu. »Aber eine Reise! Gut also! Wohin?«

Ihre Augen glänzten boshaft. »An einen sehr schönen Ort! Es ist eine fromme Wallfahrt.«

»Eine fromme Wallfahrt? Wohin denn in aller Welt?«

»Eine fromme Wallfahrt zu der Wiege Ihres Geschlechtes! Die Reise geht nach der kleinen, unbekannten, schönen Insel Sampaolo!«

Ihre Augen lächelten schelmisch und schadenfroh.

Aber Anthony fuhr entsetzt zurück.

»Sampaolo?« rief er.

»Ja,« sagte sie gelassen.

»Das ist denn doch stark!« stöhnte er.

»Das ist meine Bedingung,« erklärte sie fest.

»Das können Sie nicht verlangen, das werden Sie nicht verlangen!«

»Ich meine es buchstäblich so, Sie sollen nach Sampaolo reisen.«

»Was soll denn das für einen Sinn haben? Warum in aller Welt stellen Sie eine solche Bedingung?«

»Sie haben mich gebeten, Ihre Frau zu werden, und ich verlange, daß Sie vorher eine Reise nach Sampaolo machen – das ist doch einfach genug!«

Er lief unruhig im Zimmer auf und ab. Dann blieb er stehen und fragte: »Wollen Sie damit sagen, daß Sie meine Frau werden wollen, wenn ich diese Reise mache?«

»Ich will damit sagen, daß ich nie Ihre Frau werde, wenn Sie es nicht tun.«

»Aber wenn ich es tue –?«

Sie lehnte sich lächelnd in die Kissen zurück. »Das Weitere hängt von dem Ergebnis Ihrer Reise ab,« sagte sie.

»Ich tappe völlig im Dunkeln und verstehe von all dem Unsinn kein Wort,« versicherte er. »So erklären Sie mir doch wenigstens, was Sie damit wollen!«

»Ziehen Sie einmal meine Lage in Betracht,« erwiderte sie in überzeugendem Ton. »Sie bieten mir Ihre Hand an. Aber wenn ich sie annehme, verzichten Sie auf die einzige Möglichkeit, Ihr väterliches Erbe in Italien wieder zu erlangen – nicht wahr? Ein Mann muß aber mindestens wissen, was er aufgibt, und Sie müssen Ihr väterliches Erbe mit eigenen Augen sehen, damit Sie wissen, was für Sie auf dem Spiel steht. Deshalb müssen Sie nach Sampaolo, Isola Nobile, Castel San Guido, den Palazzo Rosso und die Villa Formosa sehen. Sie müssen alle diese Orte sehen mit ihren Gärten und Gemälden und all ihren sonstigen Schätzen. Und dann müssen Sie sich mit kaltem Blut fragen: ›Ist die Frau, die ich in Craford verlassen habe, wirklich wert, daß ich dies alles für sie aufgebe?‹«

Sie lächelte, aber als er etwas sagen wollte, hieß sie ihn mit einer Handbewegung schweigen und fuhr fort: »Nein, nein! Noch haben Sie nicht alles gesehen und deshalb auch noch kein Urteil darüber. Haben Sie erst alles selbst geschaut, so werden Sie mir aller Wahrscheinlichkeit nach dafür danken, daß ich Sie heute freigegeben habe. Schaudernd werden Sie denken: ›Guter Gott, da bin ich noch mit knapper Not davongekommen! Wenn sie mich beim Wort genommen hätte!‹ Dann werden Sie Ihre Hand Ihrer Cousine antragen, und wir wollen nur hoffen, daß diese sie annimmt.«

Wieder wollte er sprechen und wieder ließ sie ihn nicht zu Worte kommen.

»Sollten Sie mir aber,« fuhr sie fort, »zufällig nicht danken, sollten Sie mit kaltem Blut und offenen Augen entscheiden, daß die ›in Craford zurückgelassene Frau dies alles wert ist‹, sollten Sie zu ihr zurückkehren und Ihre Werbung erneuern – dann wird sie die Genugtuung haben, zu wissen, daß Sie wissen, was sie Ihnen kostet.«

Anthony stand neben ihr und sah auf sie hinab.

»Das ist der blühendste Unsinn, den ich je gehört habe!« sagte er halb ernst, halb lachend.

»Jedenfalls ist es meine Bedingung,« erwiderte sie. »Sie müssen morgen früh nach Sampaolo abreisen.«

»Sie werden mir doch nicht einen solchen Narrenstreich zumuten wollen!«

»Sie haben es versprochen!«

»Sie werden mich von dem Versprechen entbinden!«

»Wenn ich das tue,« sagte sie, während ihre Augen einen drohenden Ausdruck annahmen, »so ist ein für allemal alles aus zwischen uns.«

Er nahm seinen Spaziergang im Zimmer wieder auf und blickte trostlos vor sich hin.

»Das ist zu albern – und zu grausam!« klagte er. »Ich bin kein Kind mehr und bedarf keines Anschauungsunterrichts. Ich sehe Sampaolo mit all seinen Herrlichkeiten im Geist vor mir. Und angesichts dessen beschließe ich mit kaltem Blut, daß ich um vierzig Millionen Sampaolos das Weib nicht lasse, das ich liebe. Da – ich habe die Reise gemacht, bin nun wieder hier und erneuere meine Werbung: Wollen Sie meine Frau werden?«

Wieder beugte er sich über sie.

»Davon kann keine Rede mehr sein, solange Sie Ihr Versprechen nicht erfüllt haben,« sagte Susanna kalt und wich seinem Blick aus.

»Welcher Unsinn! Welcher Eigensinn!«

»Und noch vor zwei Minuten hat dieser Mann behauptet, er liebe mich!« klagte Susanna der Zimmerdecke.

»Würde ich Sie nicht unglücklicherweise über alles lieben, so täte mir Ihre barbarische Härte nicht so unendlich weh!«

Zürnend sah er sie an, aber sie entwaffnete ihn mit ihrem Lächeln und schmeichelte: »Nicht wahr, Sie reisen morgen früh ab?«

»Es ist unmenschlich! Wie lange verlangen Sie denn, daß ich fortbleibe?«

»Ach, in diesem Punkt bin ich sehr bescheiden! Ich denke, acht Tage werden für Sie genügen, Sampaolo zu besichtigen.«

»Eine Woche,« fing er an zu rechnen. »Und vermutlich braucht man eine zweite zur Hin- und Herreise! Also verbannen Sie mich auf vierzehn Tage?«

Er sah sie flehend an.

»Vierzehn Tage sind keine lange Zeit,« meinte sie.

»Nein,« grollte er, »es sind nur vierzehn Lebenszeiten für einen Mann, der liebt.«

»Man behauptet doch immer, die Männer seien stärker als die Frauen,« entgegnete sie mit vorwurfsvollem Blick, »und wenn eine schwache Frau wie ich diese vierzehn Tage ertragen kann –«

Anthony jubelte auf und stürzte auf sie zu.

»Nein, nein!« rief sie und wich zurück.

»Lieben denn Sie auch?« fragte er, sich beherrschend.

Liebevoll sah sie ihn an und versprach: »Das will ich Ihnen sagen, wenn Sie wiederkommen, wenn Sie überhaupt wiederkommen.«

»Und ob ich wiederkomme!« rief er. »Aber Sie werden mir schreiben? Ich darf Ihnen schreiben?« schlug er vor.

»Oh nein – keinesfalls! Es darf gar keine Verbindung zwischen uns sein. Sie müssen Ihr möglichstes tun, mich zu vergessen – und nur an Ihre Cousine zu denken.«

»Dann gehe ich nicht!« versicherte Anthony, indem er sich mit anscheinend unerschütterlich festem Entschluß ihr gegenüber in einen Sessel warf.

Aber Susanna stand auf.

»Also leben Sie wohl!« sagte sie und streckte ihm zum Abschied die Hand hin.

»Was soll das heißen?« fragte er, nahm aber ihre Hand und hielt sie fest.

»Es ist alles aus zwischen uns – wenn Sie nicht gehen.«

Aber sie ließ ihre Hand in der seinen ruhen.

» Wollen Sie mir schreiben?«

Er streichelte ihre weichen, warmen Finger.

»Nein.«

»Aber ich darf Ihnen schreiben?«

Er küßte die Finger.

Sie zog langsam und sanft ihre Hand aus der seinen. »Wenn es Ihnen Befriedigung gewährt, mir zu schreiben, so habe ich nichts dagegen. Aber vergessen Sie nicht, daß Ihre Briefe unbeantwortet bleiben werden.«

Sie nahm ihren Platz auf dem Sofa wieder ein.

Er stand von seinem Stuhl auf und beugte sich wieder über sie.

»Ich liebe Sie!« sagte er.

Sie lächelte und spielte mit der Tresse des Kissens.

»Das haben Sie schon vorhin gesagt,« antwortete sie.

»Ich liebe Sie!« wiederholte er glühend.

»Übrigens habe ich vergessen zu erwähnen, daß Sie Mr. Willes mitnehmen müssen.«

»Oh –?« rief Anthony erstaunt. »Willes? Warum?«

»Aus mehreren Gründen. Oder genügt einer?«

»Und der wäre?«

Lachend sah sie ihn an.

»Ich wünsche es!«

Auch Anthony lachte.

»Sie kennen Ihre Macht!« sagte er.

»Oh ja,« gab sie zu. »Also nehmen Sie Mr. Willes mit?«

»Sie haben ja gesagt, daß Sie es wünschen.«

Und dann schwiegen beide eine Weile, aber ihre Augen setzten die Unterhaltung fort.


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