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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

»Also nun merke wohl auf, Commendatore,« sagte Susanna in gemacht ernstem Ton; »merke auf und du wirst hören.«

Dabei sah sie ihn mit ihrem zärtlichen, spöttischen Lächeln an, und der arme Mann lächelte auch, aber nicht sehr vergnügt – er schien Unheil zu ahnen. Die beiden saßen in der langen, offenen, schattigen und kühlen Säulenhalle der Isola Nobile und schauten in den herrlichen Augustmorgen hinaus, während zu ihren Füßen sich die Wellen der Bai neckisch an den Mauern brachen. Der Commendatore war in weißen, steifgestärkten Drell gekleidet und hielt eine weiße Jachtmütze in der Hand. Susanna hatte ein leichtes, duftiges, perlgraues Kleid mit schaumigem weißem Besatz an.

»Hör also, welches Abenteuer heute dem Commendatore Fregi beschieden ist. Ich werde dir Schritt für Schritt sagen, welche Schritte du zu unternehmen hast. Mein Vetter wohnt bei den Gebrüdern Ponte in ihrer Villa. Nun also der erste Schritt: du besuchst ihn.«

»Nein,« erklärte der Commendatore und schüttelte seinen alten Kopf mit der eisengrauen Lockenmähne.

»Doch,« sagte Susanna und preßte energisch die Lippen aufeinander.

»Nein,« wiederholte er. »Das ist nicht Sitte. Der Neuangekommene hat den ersten Besuch zu machen.«

»Das ist italienischer Gebrauch, aber mein Vetter ist Engländer.«

» Nun fa nien'e!« sagte der Commendatore im Dialekt von Sampaolo, indem er seinen grimmigen Schnurrbart zwirbelte, und seine guten alten Augen funkelten. »Das ändert nichts. Er ist in Italien und muß sich den Sitten des Landes anbequemen.«

»Nein,« erklärte Susanna sanft aber fest; »wir werden ihm zuliebe eine Ausnahme machen. Er ist Engländer, und wir werden uns nach der Sitte seines Landes richten. Also besuchst du ihn zuerst. Ich wünsche es.«

»Pf-« schnaubte der Commendatore sich mit seiner Mütze Luft zufächelnd. »Nun?« fragte er.

Susanna lehnte sich lächelnd zurück, und der alte Herr wartete, sich beharrlich fächelnd, ihrer weiteren Mitteilungen.

»Du besuchst ihn also und stellst dich als Freund der Familie vor. ›Als kleiner Junge kannte ich Ihre Großeltern und ich war der Spielkamerad Ihres Vaters.‹«

Sie warf den Kopf zurück, schob die Lippen vor und bot eine reizende Nachahmung von des Commendatore Art und Weise.

»Dann stellst du die gewöhnlichen Fragen und machst die gewöhnlichsten Redensarten. ›Kann ich mich Ihnen in irgend einer Weise nützlich machen? Ich bitte ganz über mich zu verfügen!‹ – und patati e patata!«

»Du bist ein frecher kleiner Affe,« sagte der Commendatore, der wider seinen Willen lachen mußte. »Ich glaube, du würdest den Teufel selbst ins Gesicht hinein nachäffen!«

»O nein,« entgegnete Susanna, »ich mache nur Leute nach, die ich lieb habe.«

Und wieder lächelte sie ihn mit schmelzender Liebenswürdigkeit an.

»Pf-,« schnaubte der Commendatore und setzte seine Mütze wieder in Bewegung.

»Und wenn du dann die üblichen Redensarten und landläufigen Liebenswürdigkeiten abgetan hast, stehst du auf, um dich zu verabschieden,« fuhr Susanna in ihrer Unterweisung fort.

»Ah – bene,« sagte der Commendatore, und sein altes, mageres, gelbes Gesicht sah bedeutend erleichtert aus.

»Ja,« sagte sie. »Aber als schlauer, alter Diplomat, der du bist, kommst du erst jetzt, wo du im Begriff bist zu gehen, auf den wahren Zweck deines Besuches zu sprechen.«

»Oh?« sagte der Commendatore. Er rückte auf dem Rand seines Stuhles vor und machte ein finsteres Gesicht, denn er hatte gehofft, am Ende seiner Leiden angelangt zu sein, und jetzt schienen sie erst recht beginnen zu sollen.

»Ja,« fuhr Susanna fort, »nachdem du aufgestanden bist, um zu gehen, zögerst du, bist verlegen, nimmst plötzlich das Herz in beide Hände und sagst: ›Graf, ich möchte mit Ihnen über Ihre Cousine sprechen!‹ Und dann setzst du ihm offen, ehrlich und vertrauensvoll auseinander, in welcher schwierigen Lage du deiner Mündel gegenüber bist. ›Ich war der Vormund Ihrer Cousine und bin auch heute noch ihr bester Freund; ich stehe für sie an Vaters Statt und fühle mich verantwortlich für sie. Natürlich besteht meine wichtigste Pflicht darin, eine gute Heirat für sie ausfindig zu machen. Sie ist eine reiche Erbin und also eine willkommene Beute für Glücksjäger. Darum muß ich sie beschützen und leiten. Mit einer Hand muß ich unwillkommene Bewerber fernhalten, mit der andern den richtigen zu fangen suchen. Aber Ihre Cousine ist sehr eigen und gar nicht wie andre junge Mädchen. Sie ist ausnehmend eigensinnig, launisch, phantastisch, unvernünftig –«

» Bravo!« unterbrach sie der Commendatore und klatschte in seine knochigen alten Hände. »Das kann ich alles mit gutem Gewissen behaupten!« Und wieder zwirbelte er seinen Schnurrbart heftig.

»Glaubst du, ich könnte jemals von dir verlangen, daß du etwas sagtest, was du nicht mit dem besten Gewissen der Welt sagen könntest?« fragte Susanna mit einem vorwurfsvollen Blick. – »Du fährst also mit gutem Gewissen fort: ›Ihre Cousine ist phantastisch, unvernünftig, sentimental, romantisch, überspannt. Und so hat sie sich, was das Schlimmste ist, in ihr romantisches, unvernünftiges Köpfchen gesetzt, daß sie kein Recht auf ihre Stellung habe. Sie hat die Geschichte ihrer Familie studiert und sich in den Querkopf gesetzt, daß die Ereignisse von 1850 eine Ungerechtigkeit gewesen seien und die Besitzungen in Sampaolo gar nicht ihr, sondern nach Recht und Gerechtigkeit Ihnen gehörten. Und um Ihnen die Wahrheit zu sagen, so habe ich, als meine Vormundschaft vor einigen Monaten zu Ende war, ein schweres Stück Arbeit gehabt, sie abzuhalten, Schritte zu tun, durch die Ihnen das Vermögen der Valdeschi übermacht worden wäre!‹ Nein, unterbrich mich nicht,« rief sie, als der alte Herr etwas sagen wollte.

Ein ungeduldiger Laut blieb in seiner Kehle stecken und er fächelte sich aufgeregt, während Susanna fortfuhr: »›Aber,‹ erklärst du energisch, ››ich habe sie zurückgehalten und werde das auch künftig tun. Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich mich gegen einen solchen Schritt wehren. Sie kann die Güter Ihnen nur dadurch zuwenden, daß sie in ein Kloster geht! Nun aber‹ – nun schlägst du einen andern Ton an, wie einer, der vermitteln und überzeugen will –, ›nun aber bin ich auf einen andern Ausweg gekommen, durch den sich alles aufs beste erledigen ließe. Das Gewissen Ihrer Cousine käme zur Ruhe und Sie selbst gelangten in den Besitz Ihres väterlichen Vermögens. Mein lieber Graf, Ihre Cousine ist ein reizendes Mädchen und meine Hauptsorge besteht darin, eine passende Verbindung für sie zu finden. Lassen Sie mich die Genugtuung haben, eine Heirat zwischen Ihnen und ihr zu vermitteln!‹«

Lachend lehnte sich Susanna zurück, aber der Commendatore war ernstlich böse und sah sie zornig an.

» Macchè!« rief er. »Was ist das für ein verrücktes Geschwätz? Was für eine Posse hast du da wieder ausgeheckt?«

»Keine Posse,« entgegnete sie sanft, »nur eine Hochzeit – bei der du die Braut weggeben sollst. Aber jetzt – das Boot wartet. Je früher du gehst, desto eher bist du zurück.«

»Niemals! Eher ließe ich mich zu Wurstfleisch zerhacken, als daß ich eine Rolle in einer solchen Hanswurstiade übernähme!«

»Hanswurstiade? So bezeichnest du eine Heirat?« fragte sich Susanna verwundert. »Oder willst du mich vielleicht als alte Jungfer leben und sterben sehen? Ist es deine Pflicht oder nicht, eine passende Verbindung für mich zu stande zu bringen?«

»Es ist nicht meine Pflicht, eine Heirat zwischen dir und einem Ausländer zu vermitteln, den ich gar nicht einmal zu kennen die Ehre habe,« gab er zurück.

»Gut denn,« sagte Susanna, »geh zu meinem Vetter und mache ihm den von mir gewünschten Vorschlag. Wenn er ja sagt – wenn er einwilligt, mich zu heiraten, so verspreche ich dir feierlich, daß nichts in der Welt mich vermögen wird, ihn zu heiraten.«

»Was?« fragte der Commendatore, die Augen zukneifend.

»Sagt er ja, so sage ich nein. Sagt er nein, so sagt er nein – also ist es jedenfalls nein, erklärte sie. Nun aber – das Boot wartet.«

»Wenn er nein sagt!« höhnte der alte Herr. »Ist der Mensch geboren, der zu einem Sack voll Geld nein sagte?«

»Das ist gerade das, was du jetzt zu entdecken Gelegenheit hast,« erwiderte sie. »Aber ich verspreche dir feierlich, meinerseits nein zu sagen, wenn er ja sagt, und damit wäre er dann für mich endgültig abgetan.«

Der Commendatore rieb seinen Nacken.

»In meinem Leben habe ich noch kein solches Fricassee von kopf- und schwanzlosem Blödsinn gehört!« versicherte er.

»Denke doch an das arme, duldende, wartende Boot,« bat Susanna. »Du läßt es immer noch warten!«

»Von mir aus kann es warten, bis die See austrocknet,« erklärte er und setzte sich wieder. »Denkst du denn, ich ließe mich so zum Narren halten? Ich fange auf meine alten Tage nicht noch an, Fastnachtspossen zu spielen!«

»Gut denn,« sagte Susanna gelassen, »es schadet schließlich auch nicht viel.«

Es schien, als gäbe sie ihre Absicht auf. Aber nach einer Pause fuhr sie wie mit sich selbst sprechend fort: »Ich muß dann eben nach Pater Angelo schicken.«

»Was?« rief der Commendatore heftig, indem er sich aufrichtete.

»Ja,« sagte Susanna träumerisch. »Pater Angelo. Er wird mir meine Bitte nicht abschlagen.«

»Pah,« sagte der alte Herr, »ein Priester – ein Mönch – ein Pfaffe – ein Geschorener – ein Barfüßler –«

»Ein sehr guter, gütiger, heiliger Mann. Und da mein Vetter ein gläubiger Katholik ist, glaube ich, daß Pater Angelo meinem Zweck am besten dienen wird.«

»Pah! Ein Jesuit!« sagte der Commendatore, die Nase rümpfend.

»Er ist kein Jesuit – er ist ein Kapuziner,« berichtigte Susanna.

»Jesuiten sind sie alle diese Kuttenträger und Leichenbitter und Traktätchenhändler!« erklärte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. Dabei drehte er seinen mächtigen Schnurrbart in die Höhe, um seine Verachtung darzutun.

»Still!« sagte Susanna, die vorwurfsvoll ihre Hand erhob. »Du darfst nicht über die Religion spotten!«

»Ich spotte nicht über die Religion, denn alles in allem ist sie eine gute Sache für Frauenzimmer. Habe ich nicht dafür gesorgt, daß du religiös erzogen wurdest? Aber was diese Priester anbelangt, diese Jesuiten, diesen Pater Angelo – ich möchte sie alle gehenkt sehen und zu Schinken geräuchert, jawohl!« fauchte er und warf seinen Kopf in den Nacken.

»Ach, ich weiß schon – du bist eben von jeher eifersüchtig auf Pater Angelo.«

»Ich? Eifersüchtig auf diesen – diesen Fischgrätennager!« spottete der Commendatore.

Er erhob sich von seinem Stuhle und stand sehr steif und gerade vor ihr, das Kinn in die Höhe gereckt, so daß die Sehnen seines langen Halses scharf hervortraten.

»Ich bin ein alter Esel, der dir nichts abschlagen kann. So gehe ich also zu deinem Vetter!« sagte er.

»Du bist ein lieber alter Vormund,« sagte Susanna. »Ich wußte wohl, daß du gehen würdest!«

Ihre Augen strahlten voll Siegesfreude, Heiterkeit und Zärtlichkeit. Auch sie erhob sich und streichelte den steifgestärkten Ärmel seines Rockes.


Nachdem er sich entfernt hatte, schritt sie über eine der leichten Marmorbrücken und begab sich in dem Garten auf der Isola Sorella an einen von einer Reihe Steineichen beschatteten Platz. Grasmücken ließen unermüdlich ihr Lied erschallen, Ringeltauben girrten, drüben im Sonnenschein flatterten Schmetterlinge von Blume zu Blume, ein weißer Pfau stolzierte auf und ab, am Rand des Wassers standen zwei langbeinige, krummhalsige Flamingos regungslos wie Schildwachen. Auf der andern Seite der Steineichen warf mitten auf einem smaragdgrünen Rasenplatz ein Springbrunnen seinen Strahl in die Höhe, der in der Sonne in allen Regenbogenfarben funkelte. Von hier aus hob sich Terrasse über Terrasse bis zum Gipfel des Berges empor, den ein Belvedere krönte.

Unzählige Male wanderte Susanna unter den Steineichen auf und ab und unzähligemal sah sie auf ihre Uhr. Ab und zu ließ sie sich auf die eine oder die andre der halbkreisförmigen Marmorbänke nieder, die zur Ruhe einluden, aber bald war sie wieder auf den Füßen, setzte ihre rastlose Wanderung fort und sah wieder und immer wieder auf ihre Uhr. Endlich verließ sie den Schatten, ging über den Rasen und stieg zwischen Orangen- und Zitronenbäumen mit ihrem Unterholz von Jasminsträuchern über die Terrassen hinauf zum Belvedere. Bei ihrem Eintritt huschten Tausende von Eidechsen auseinander und waren blitzschnell verschwunden.

Von hier aus beherrschte der Blick die ganze in der Sonne leuchtende Bucht mit ihrem regen Leben und Treiben und das wechselvolle Farbenspiel der Meereswogen. Aber Susanna hatte heute kein Gefühl für die Schönheit ringsum. Ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den einen Punkt am Ufer, wo etwa eine halbe Seemeile von ihr entfernt und eine halbe Meile seitwärts das eintönige Graugrün der Olivenwälder durch das dunkle Grün eines Gartens unterbrochen wurde. Der Garten trat ein Stück in die Bucht herein wie ein Vorgebirge. Susanna starrte hinüber und wartete und wartete, bis endlich hinter dem Vorgebirge ein Boot hervorschoß und rasch über die Wellen auf die Isola Nobile zudampfte. Sie mußte sich während des Wartens sehr ruhig verhalten haben, denn als sie sich jetzt umdrehte, um das Belvedere zu verlassen, sah sie wenigstens hundert Eidechsen, die sich aus ihren Schlupfwinkeln wieder hervorgewagt hatten und sie mit ihren Stecknadelknopfäugelchen anblinzelten. Aber in demselben Augenblick – ein Rascheln, ein Husch und keine Eidechse war mehr zu sehen.

Sie ging zurück zu der Säulenhalle.


»Meine Liebe,« sagte Commendatore Fregi, »dein Vetter ist ein ganz vortrefflicher Mensch, und es tut mir aufrichtig leid, daß meine Sendung mißglückt ist. Einen besseren Gatten hätte ich niemals für dich finden können.«

Welche Empfindungen den Commendatore auch bewegten – immer zog er seinen Schnurrbart in Mitleidenschaft. Jetzt strich er ihn nach beiden Seiten gerade hinaus.

»Deine Sendung ist mißglückt? Wie meinst du dies?« fragte Susanna.

»Er kann dich nicht heiraten,« erwiderte der alte Herr kopfschüttelnd und achselzuckend; »er ist verlobt mit einer Dame in England.«

»Ach so – ich verstehe.«

»Er ist sehr hübsch – er gleicht seinem Großvater wie ein Ei dem andern.«

»Wirklich?«

»Ja. Auch versteht er, sich zu kleiden. Er hat gute Manieren und ist sehr ruhig.«

»Engländer haben es an sich, sehr ruhig zu sein.«

»Er spricht Italienisch so gut wie ich selbst, aber Sampaolesisch kann er nicht.«

»Das kann er in Sampaolo leicht lernen.«

»Ja,« bestätigte der Commendatore. »Als ich ihm den Unsinn wiederholte von deinem Insklostergehen und so weiter, da erhob er ganz entsetzt die Hand und rief: ›Sie soll doch um Gottes willen nicht so etwas tun. Sagen Sie, bitte, der jungen Dame, daß ich ein solches Opfer nicht annehmen könne. Ich verstehe ihre Bedenken und sie gereichen ihr zu großer Ehre. Aber sie und ich und wir alle müssen die Dinge nehmen, wie sie sind. Unter keinen Umständen darf sie daran denken, Nonne zu werden!‹ Du siehst, daß er Herz und Kopf am rechten Fleck hat. Das habe ich selbst dir ja schon immer gesagt: wir müssen die Dinge nehmen wie sie sind. Es hat keinen Wert, Vergangenes wieder aufzurühren.«

»Hm,« sagte Susanna zweifelnd.

»Und dann, nachdem ich gesehen hatte, aus welchem Stoff der Mann gemacht ist, dann schlug ich ihm die Heirat vor, und zwar von Herzen gern. Ich setzte ihm zu, so sehr ich konnte, aber es half alles nichts. Ich malte ihm die Vorteile in den lebhaftesten Farben. Aber es war vergebens. Er kann dich nicht heiraten, denn er ist schon verlobt.«

»Das hast du schon einmal gesagt!« erinnerte ihn Susanna. »Mit einer Dame in England glaube ich?«

»Ja, es ist jammerschade für dich, daß er sie nicht aufgeben will. Aber es spricht für ihn. Ich kann dir versichern, daß es wenig Männer gibt, die in seiner Lage so ehrenhaft handeln würden. Bedenke die Wahl, vor die er gestellt ist! Er gibt seine Engländerin auf und erlangt nicht nur eines der größten Besitztümer von ganz Europa – sondern ein Besitztum, das noch dazuhin als sein väterliches Erbe von unschätzbarem Wert für ihn ist.«

Der Commendatore war nie karg mit Gesten; jetzt aber verschwendete er sie förmlich.

»Ich möchte nicht versäumen,« versetzte Susanna, die Augenbrauen hochziehend, »dir meine Bewunderung auszudrücken über die Leichtherzigkeit, womit du mich aus der Saga läßt.«

»Dich? Aus der – was war's? Was ist das, Saga?«

»Eine skandinavische Legende,« unterrichtete ihn Susanna. »Nun sieh, wie du mich aus deiner skandinavischen Legende ausläßt. Du sagst, bedenke die Wahl, vor die er gestellt ist. Du sagst: Er darf nur seine Engländerin aufgeben, so erhält er einen Besitz – na, ein galanter Mann hätte wenigstens hinzugefügt und wird der Gemahl einer ganz entzückenden Italienerin.«

Sie schmollte.

»Ha, ha,« lachte ihr väterlicher Freund kurz auf, »du mußt eben immer deinen Spaß haben!« Instinktiv fuhr seine Hand nach dem Schnurrbart. »Wie gesagt, es tut mir sehr leid. Einen besseren Mann kann ich niemals für dich finden.«

»Du brauchst es auch gar nicht zu versuchen. Er genügt mir.«

»Was?« fragte der Commendatore.

»Er genügt mir. Wir werden eine große Hochzeit in der Kathedrale feiern. Der Bischof soll in seinem allerschönsten Ornate nebst Mitra fungieren, und du sollst mich mit der größten Würde weggeben.«

Der Commendatore zuckte die Achsel und sah um Barmherzigkeit flehend zum Himmel hinauf.

»Du bist mir rein unverständlich. Habe ich dir denn nicht eine Stunde lang erzählt, daß er mit einer Dame in England verlobt ist?«

»Nein,« sagte Susanna; »nur etwa zehn Minuten lang.«

»Brr!« sagte der Commendatore, um seine Verachtung dieses Scherzes auszudrücken.

»Übrigens werde ich ihn jedenfalls heiraten,« fuhr Susanna fort. »Durch deine begeisterte Schilderung von ihm hast du meine Liebe entflammt, und außerdem hatte ich ihn schon vorher gern. Die Dame in England kommt nicht in Betracht. Wir werden in der Kathedrale Hochzeit machen, wo schon so viele Generationen unsrer Vorfahren getraut worden sind. Sein Freund, Mr. Willes, muß Brautführer werden und auch die Pontes sollen mit Hochzeitsschleifen, die aus London verschrieben sind, feierlich amtieren. Und so wird die alte legitime Linie der Valdeschi wieder in ihre Rechte eingesetzt.«

»Du bist verrückt,« sagte der Commendatore gelassen.

»Und du gibst das Hochzeitsfrühstück in der Villa Fregi,« fuhr sie fort. »Wir bekommen lauter gute Sachen zu essen und zu trinken und dann bringst du das Hoch auf die Braut aus und hältst eine herrliche Rede. Und ich werde meine Krone aufsetzen, die ich bisher noch nie getragen habe – denn dann bin ich die rechtmäßige Gräfin von Sampaolo. Und jetzt will ich dir ein Geheimnis anvertrauen! Du möchtest doch, daß ich dir ein Geheimnis anvertraue, nicht wahr?«

Doch er entgegnete kaltblütig: »Ich kann dir auch ein Geheimnis anvertrauen, das allerdings bald ein öffentliches sein wird. Und das ist, daß du rein von Sinnen bist!«

»Rate, wer die Dame ist, mit der er in England verlobt ist. Ich wette, du errätst es nicht!«

»Wie zum Teufel soll ich erraten, wer sie ist?«

»Nun denn, so höre! Du darfst aber nicht in Ohnmacht fallen oder explodieren oder sonst so etwas tun! Also, die Dame, mit der er in England verlobt ist, ist deine alte Freundin – diese kühne Abenteurerin, diese fahrende Ritterin – die Witwe Torrebianca!«

» Domeniddio!« stieß der Commendatore hervor und sank in seinen Sessel zurück.

Wahrscheinlich hätte er seinen Schnurrbart bis aufs letzte Härchen mit der Wurzel ausgerissen, wenn nicht Susanna dazwischen getreten wäre und gerufen hätte: »Laß, laß! Es bleibt dir ja kein einziges Härchen mehr übrig!«

» Domeniddio!« keuchte er noch einmal.

»Wenn du schon so überrascht bist – wie sehr wird dann er es erst sein!«

» Do-men-id-dio!« sagte der Commendatore, dieses Mal flüsternd.

Und dann kam ein Diener und meldete, daß das Frühstück angerichtet sei.


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