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Zehntes Kapitel.

Die Schatten fielen lang, als Anthony und Adrian zusammen dem alten Schloß zuschlenderten.

»Nun, Freund Ehrlich,« begann Adrian, »du hast sie ja jetzt getroffen, nun sprich dich aus und sag mir offen, wie sie dir gefällt.«

»Sie scheint ganz nett zu sein,« erwiderte Anthony gelassen.

»Ganz nett?« rief Adrian in verächtlich mitleidigem Ton. »Mein lieber Tollpatsch, laß dir sagen, daß sie ganz einfach die entzückendste Vertreterin ihres Geschlechts ist. Sie ist im Verhältnis zu andern Frauen – nun, ich will keine Namen nennen – das, was ein gewisser Jemand, den ich bei Namen nennen könnte, im Verhältnis zu andern Männern ist. Und mit solchen Augen – he? Haben die Glanz? Sind die scharf? Sind die ehrlich? Sind die klug?«

»Ich nehme als erwiesen an, daß sie mit ihnen sehen kann.«

»Mit ihnen sehen!« höhnte Adrian. »Ich will dir sagen, was sie mit ihnen tut: sie kann um die Ecke damit sehen. Und dann diese entzückenden Ohren! Hast du ihre Ohren bemerkt?«

»Ich habe bemerkt, daß sie nicht ohne Ohren ist.«

»Nicht ohne Ohren! Ihre Ohren sind wie Lilien und Rosen! Nicht ohne Ohren, sagt er. Ich wette drei Groschen, daß der Mensch auch noch bestreitet, daß sie gescheit ist!«

»Sie scheint mir hinlänglich klug zu sein.«

»Klug,« schnaubte Adrian und machte einen Luftsprung, der seine Verachtung für die Unzulänglichkeit dieses Ausdrucks dartun sollte, »klug ist nicht das rechte Wort dafür. Und dann, mit all ihren Jahren, ist sie nicht noch so jung? Sie haucht den frischen, erfrischenden Duft einer unverdorbenen Seele aus!«

»Ja, sie ist jung – für ihre Jahre,« gab Anthony zu. »Sag mal, weißt du eigentlich, woher sie kommt?«

»Ob ich das weiß? Ich denke wohl, daß ich das weiß! Vor mir hat sie kein Geheimnis. Sie stammt aus einer Westmoreland-Familie, aber sie lebt in Kensington. Sie ist Eigentümerin eines der hübschen alten Häuser am Kensingtonplatz. Numero neunundneunzig Kensingtonplatz. Und wenn ich wieder in die Stadt komme, darf ich nicht daran denken, in einen Gasthof zu gehen, sondern soll direkt nach Numero neunundneunzig fahren, wo sie mich mit tausend Freuden empfangen wird. So lohnt es sich manchmal doch, liebenswürdig zu sein, siehst du.«

»Ich sehe!« sagte Anthony.

»Du siehst? Den Kuckuck siehst du! Was siehst du denn?« fragte Adrian und riß seine blauen Augen weit auf, als ob er auch etwas sehen wollte.

»Daß du von Miß Sandus plapperst,« sagte Anthony.

Adrian blieb stehen und streckte seine Arme flehend gen Himmel.

»Ich flehe zu allen Chören der Cherubim und Seraphim,« rief er; »ich flehe sie an, ihr Singen einen Augenblick einzustellen und hier Zeuge zu sein. Er sieht, daß ich von Miß Sandus plappere! Welch durchdringender Verstand! Ach, welches Verständnis! Nun denn, mein lieber Habichtsnase, da sich vor dir – fine mouche, allez! – ja doch nichts verbergen läßt, will ich geständig sein: ja, ich plappere von Miß Sandus!«

»Weißt du vielleicht, woher Signora Torrebianca kommt?«

»Oho,« rief Adrian, »du faselst von Signora Torrebianca! Ach ja! Ich gebe sofort zu, daß auch sie ganz nett ist. O, ich bin der erste, der ihr huldigt. Aber zum Spaßen und Schäkern, zum Juxmachen, dazu brauche ich junge Mädchen oder alte Frauen. Alte Damen, die die Jahre der Torheit hinter sich, oder junge Mädchen, die sie noch gar nicht erreicht haben. Aber Frauen in der Blüte der Jahre denken an nichts, als an die neueste Modezeitung oder Lockenbrenneisen, an Liebe und an Einkaufen. Nenne mir, wenn du kannst, vier dümmere, langweiligere und nutzlosere Dinge. Sag mal, hast du denn nie in der Stunde der Mitternacht schlaflos auf deinem Lager gesessen und dir den Kopf darüber zerbrochen, wie es kommt, daß ein Mann wie ich, ein Mann von meinen körperlichen und geistigen Vorzügen, noch immer einsam, als Junggeselle durchs Leben pilgert? Hast du dich nie besonnen, durch welche ungeschriebene Geschichte von Kummer und Herzeleid und Enttäuschung ich der schwermütige, gebrochene, einsame Hagestolz geworden bin? Wohlan, in diesem feierlichen Augenblick, in diesem Augenblick des Herzensergusses will ich vor deinen Augen den Schleier lüften! Es geschah, weil ich noch nie ein heiratsfähiges Weib getroffen habe, dessen Kopf nicht mit Lockeneisen und Modezeitungen und Liebe und Einkäufen vollgepfropft gewesen wäre.«

»Weißt du vielleicht, von wo sie kommt?« wiederholte Anthony.

»Sie –? Wer?« fragte Adrian verwundert. Als aber Anthony keine Antwort gab, sondern nur seinen Stock in der Luft herumwirbelte und zugleich den Himmel betrachtete, fragte er doch: »O – meinst du vielleicht Donna Torrebianca? Natürlich weiß ich, von wo sie kommt. Sie kommt aus dem Land, wo die Liebe bald in den süßen Tönen der Turteltaube zerschmilzt, bald in blindem Wahnsinn zum Verbrechen treibt. Ja, sie kommt aus Italien. Hast du in Italien einmal Fettammern gegessen?«

»Weißt du, aus welchem Teil von Italien?« beharrte Anthony.

»Aus Rom, dem prächtigen, herrlichen, kaiserlichen Rom. So steht's im Mietvertrag. Es geht nichts über einen Mietvertrag! Ich verstehe das Geschäft – was? Da hat man alles hübsch Schwarz auf Weiß, sage ich. Die ›Nobil Donna Susanna Torrebianca, Palazzo Sebastiani, Via Quattro Fontane, Roma, Mieterin des zweiten Stockes‹. Klingt das nicht schön? Der herrlichste Tonfall, der – –«

»Rom mag der Ort sein, den sie Landagenten und derlei Leuten angibt,« unterbrach Anthony den aufs neue drohenden Wortschwall, »aber für gewöhnlich lebt sie auf einer weltverlorenen kleinen Insel, etliche fünfzig Meilen nördlich von Ancona – auf der kleinen, unbekannten, schönen Insel Sampaolo.«

Wiederum blieb Adrian stehen und ließ als Zeichen der höchsten Verwunderung seinen Unterkiefer hängen.

»Geh! Wirklich wahr?« stammelte er endlich.

»Ja, es ist wirklich wahr!«

»Ganz unglaublich!«

»Ja, es ist seltsam, nicht wahr?«

»Seltsam?« rief Adrian. »Es ist – ist – ist – Die englische Sprache ist zu arm dafür! – Du bist übrigens ein rechter Esel! Bildest du dir denn wirklich ein, ich hätte all diese köstlichen, goldenen Tage und Wochen in der innigsten Vertraulichkeit mit ihr verlebt, ohne zu erfahren, daß sie von der Insel Sampaolo kommt? Ein Kerl mit meinem durchdringenden Verstand? Ich appelliere an deine Ehre – ist dies wahrscheinlich?«

»Warum, zum Kuckuck, hast du mir's dann nicht gesagt?« fragte Anthony ärgerlich.

»Du hast mich nie darnach gefragt – mir gar keine Gelegenheit dazu gegeben. Wenn du mich als Zuhörer hast, so sprichst und sprichst du in einem fort. Der Strom deiner Rede fließt so unaufhaltsam dahin, daß es ein wahres Wunder Gottes ist, wenn es mir einmal gelingt, auch ein Wörtchen einzuschalten,« erklärte Adrian.

»Ich hoffe wenigstens, daß du ihr gegenüber ebenso verschwiegen warst,« sagte Anthony.

»Mein guter Freimut, ich bin die Verschwiegenheit in Person! Das Grab ist ein altes Weib gegen mich!« prahlte Adrian, sich gewaltig in die Brust werfend. »Übrigens haben Signora Torrebianca und ich andre Gesprächsstoffe als den edlen Herrn von Craford, darauf kannst du dich verlassen.«

»Du wirst begreifen, daß ich sie des Spaßes halber für den Augenblick über meine Beziehungen zu Sampaolo im Dunkeln lassen möchte.«

»Das ist recht!« rief Adrian. »Täusche, hintergehe, betrüge dieses vertrauende, ahnungslose junge Wesen! Tu's nur! Was für ein vornehm denkender Gentleman! Du kannst ohne Sorge sein – ich kläre sie nicht auf. Ich kenne meine Stellung; ich weiß, wer den Geldbeutel hält, ich weiß, auf welcher Seite mein Brot bebuttert ist. Wes Brot ich ess', des Lied ich sing', und ich trage deine Livree. Solange du mir meinen Lohn pünktlich zahlst, kannst du auf meine Nachsicht rechnen!«

»Morgen bei der Messe sehe ich sie wieder,« dachte Anthony. »Ich möchte nur wissen, ob ich verliebt in sie bin!«


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