Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

»Hol's der Henker, wie sie sich in meinen Gedanken festsetzt,« rief Anthony ungeduldig. »Ich bin doch weiß Gott nicht in meine vier Pfähle zurückgekehrt, damit mich der bloße Anblick eines Frauenzimmers wie besessen macht!

Es muß am Wetter liegen,« beschloß er dann, nachdem er sich den Fall noch einen Augenblick überlegt hatte. »Jawohl, ich gehe jede Wette ein, daß es nichts ist als dieses dumme, sentimentale, erschlaffende Juniwetter.«

Er saß in einer schattigen Ecke seines Gartens, wo Bienen summten und die Luft mit dem Duft unzähliger Rosen erfüllt war. Ab und zu huschte ein Sonnenstrahl durch das Blätterdach und spielte auf einem bunten Durcheinander von Rittersporn und Schwertlilien, von Stiefmütterchen und roten Geranien, von Tulpen, die herausfordernd protzig in sattem Grün und Rot prangten, und auf weißen, gelben und roten Rosen. Aus dem Park erklangen die Stimmen der Vögel in allen Tonarten und erfüllten die Luft mit jubelndem Singsang.

Anthony saß vor einem Schreibpult und suchte sich der Abfassung von Briefen zu befleißigen, aber aller Augenblicke legte er die Feder aus der Hand und dachte über das kleine Erlebnis nach, das ihm der Vormittag gebracht hatte.

Als er aus dem Dorf nach Hause zurückkehrte, waren in einem Jagdwagen zwei Damen an ihm vorbeigefahren, von denen die eine, die jüngere, kutschierte. Ein Groom hatte hintenaufgesessen.

Das Ganze war in zehn Sekunden vorbeigewesen und hatte zuerst gar keinen besonderen Eindruck auf ihn gemacht. In Gedanken versunken und von Haus aus wenig neugierig wie er war, hatte er ihnen nur einen flüchtigen Blick geschenkt.

Aber nach und nach – als ob die Netzhaut seines Auges gleich einer photographischen Platte wirke – entwickelte sich das flüchtige Bild immer deutlicher und stärker vor seinem inneren Auge und erschien beharrlich wieder, wenn er es eben verjagt zu haben glaubte. So kam ihm nach und nach zum Bewußtsein, daß die einen etwas ausländischen Eindruck machende junge Dame hübsch, ja sogar interessant aussah, und daß in ihren Zügen eine ausgesprochene Persönlichkeit lag: sie schien klug, humorvoll und lebhaft zu sein. Auch hatte sie eine schöne Gestalt: groß und schlank und doch nicht mager; ihre Haltung war aufrecht, und doch anmutig; kräftig und widerstandsfähig, und doch biegsam. Ja sogar über ihr enganliegendes graues Kleid, die grauen Kutschierhandschuhe und den großen schwarzen Hut auf dem tiefschwarzen Haar wagte er sein Urteil abzugeben, das er dahin zusammenfaßte, daß der Anzug ›stilvoll‹ sei und eine Engländerin sich niemals so geschmackvoll kleiden könnte. Also mußte sie eine Ausländerin sein, und er dachte bei sich: »Ich wollte, es wäre Signora Torrebianca – da man diese nun doch einmal kennen lernen muß! Sie sieht aus, als hätte sie etwas nicht ganz Alltägliches in sich.«

Und das wolle nicht wenig sagen, beschloß er nach einiger Überlegung, denn solche Erscheinungen sind in unsrer langweiligen, altfränkischen Gesellschaft leider Gottes selten genug geworden.

Damit entließ er die Dame aus seinem Gedankenkreis, aber im Handumdrehen stand sie wieder da, und diesesmal war ihr erneutes Auftauchen von einem seltsam wohligen Gefühl begleitet; es war ihm zu Mute, als habe er irgend etwas sehr Angenehmes erlebt.

Nach und nach entdeckte er auch, daß das Gesicht der durchgeistigten Erscheinung in Grau nicht nur hübsch und interessant war, sondern daß auch ein ernster, tatkräftiger Zug darin lag und ein gewisses Etwas, das eine feurige Seele verriet. Und aus ihrem Blick sprach Seele, die echte, unverfälschte weibliche Seele, und dies ist eine Seltenheit bei hübschen Frauen, wenigstens in England. Ja, die Frau im Dog-cart war eine schöne Frau, aber sie war auch ein Weib, ein echtes Weib, die Ergänzung des Mannes. Ihre Augen waren Augen, die man sich lachend, spottend, mahnend, abweisend und verachtend denken konnte, Augen, die einen durch und durch zu schauen vermochten, aber man konnte sich diese Augen auch in himmlischer Güte und Weichheit, in weiblicher Nachgiebigkeit und liebevollem Vertrauen erglänzend vorstellen.

Der melancholische junge Gutsherr von Craford pflegte nicht schnell Feuer zu fangen, aber als nun ihr Gesicht etwa zum zwanzigsten Male an diesem sonnigen Nachmittage vor ihm aufstieg, da rief er: »Bei Gott, sie hat nicht ihresgleichen! Noch nie habe ich ein solches Weib gesehen! Wenn sie wirklich Signora Torrebianca ist –«

Hier unterbrach er sich.

»Natürlich ist sie's nicht,« sagte er niedergeschlagen; »ein solches Glück wäre ja undenkbar.«

»Und doch,« überlegte er weiter, »wer sollte es denn sonst sein? Es ist doch nicht wahrscheinlich, daß sich zugleich zwei ausländische junge Damen in diesem abgelegenen Erdenwinkel aufhalten! Aber, wenn sie es wirklich ist?«

Nun wurde er von einer Aufregung befallen, die er sich selbst nicht zugetraut hätte, und die ihn erschreckte.

»Ich bin doch wahrhaftig kein achtzehnjähriger Junge mehr! Ich darf entschieden gar nicht mehr an sie denken!«

Aber dieser Versuch mißlang völlig. Gleich darauf dachte er ernstlicher an sie als zuvor, und die sonderbare Aufregung, die sich seines von ihm seit Jahren für unverwundbar gehaltenen Herzens schon vorhin bemächtigt hatte, zeigte sich aufs neue.

»Wenn sie wirklich Signora Torrebianca ist,« seufzte er sehnsüchtig, »so werde ich sie am Sonntag besuchen!«

Das Summen der Bienen, der Gesang der Vögel, der Duft der Blumen, mit dem die linde Luft geschwängert war: all das schien sich mit dem Gedanken an sie zu verschmelzen und ihn nur noch reizvoller, noch süßer zu machen.

Endlich fuhr er ärgerlich auf.

»Bah,« rief er, »es ist das Wetter! Dieses alberne, liebekranke Wetter!«

Und darauf verfügte er sich mit seinen Schreibmaterialien in den Billardsaal, ein nach Norden liegendes Gemach, dessen Fenster auf den großen, schattigen Hof gingen und dessen Luft nur von dem geisterhaften Duft gestrigen Tabakrauches erfüllt war.

Aber diese Veränderung schien keinen wesentlichen Erfolg zu haben, denn kaum darauf rief er wieder: »Bah! Ihre verwünschten Augen sind's! Diese lachenden, forschenden, verheißenden Augen!«

»Heißt du mich reden, berück' ich dein Ohr!« erklang aus der Ferne Adrians Stimme, die unter fortwährender Wiederholung dieses liebenswürdigen, nach einer improvisierten Melodie gesungenen Anerbietens immer näher kam, bis die Türe aufging und der Sänger auf der Schwelle stand.

»Heißt du mich reden, berück' ich dein O-O-Ohr!« versicherte er nochmals energisch, verstummte aber, als er Anthony erblickte.

Dieser schien ganz ins Briefschreiben vertieft zu sein.

»Hm! Hm!« räusperte sich Adrian nach einer Weile.

Aber Anthony sah nicht auf.

»Na, an diesem unwahrscheinlichsten aller Orte!« sagte Adrian verwundert.

Anthonys Feder flog übers Papier.

»Eine erstaunliche Fähigkeit zu geistiger Konzentration,« sagte Adrian im Ton wissenschaftlicher Betrachtung.

»Nun? Was?« fragte Anthony schließlich zerstreut, ohne aufzusehen.

»Ich habe weit und breit nach dir gesucht,« sagte Adrian.

»Nun? Was?« wiederholte Anthony, weiterschreibend.

Nun riß Adrian die Geduld.

»Nun? Was? Ich will dich ›benun-wasen‹,« drohte er, die Faust schüttelnd. »Komm! Laß diese langweilige Briefschreiberei. ›Wissen Sie, wo Ihr Gebieter ist?‹ frage ich Wickersmith. ›Ja, wenn Sie gütigst entschuldigen wollen,‹ sagt Wickersmith, ›ich glaube, ich habe ihn nach dem Billardsaal gehen sehen.‹ ›Blech,‹ sage ich. ›Eine optische Täuschung, mein guter Wick. So was tut kein Christenmensch. In diese düstere Höhle sitzen an einem solchen gottgesegneten Tag!‹ Doch nun erkenne die siegende Macht der Wahrheit,« fuhr er belehrend fort, »und sieh, wie der Zweifler vor ihr zunichte wird! Auf gut Glück lenke ich meine Schritte nach dem Billardsaal und – hier bist du!«

»Wegen des Wetters,« erklärte Anthony, der schließlich seinen Brief beiseite geschoben hatte: »ich war im Garten, aber ich konnte das Wetter nicht vertragen.«

»Das Wetter?« fragte Adrian verwundert. »Du konntest das Wetter nicht vertragen? Mein armes Lamm, was für eine zarte Konstitution es hat! Er konnte das Wetter nicht ertragen!« Und mit himmelwärts gerichteten Augen schüttelte er mitleidvoll den Kopf.

Dann verfiel er aus seinem spöttischen Ton plötzlich in den einer lustigen Rhapsodie.

»Das Wetter? Schäme dich! Ich dulde kein Wort gegen das Wetter! Das Wetter? Noch nie hat es ein solches Wetter gegeben. Das Wetter? Ach, daß ich Menschen- und Engelszungen hätte, um es zu lobpreisen! Das Wetter ist eitel Zucker und Gewürz, Weihrauch und Myrrhen, Milch und Honig, und alles was süß und lecker ist! Der Himmel gleicht einer umgekehrten Schüssel aus königsblauem Sèvresporzellan, auf der appetitliche kleine Wolken von Schlagsahne schwimmen. In der Luft flimmert Gold wie im Danziger Goldwasser, und wenn wir hinlänglich feine Destillationsapparate hätten, könnten wir aus ihr den Nektar der armen toten Griechengötter gewinnen. Die Erde duftet so aromatisch wie eine mit Gewürznelken gespickte Orange; ich finde gar keine Worte, dir zu sagen, nach was für köstlichen Dingen sie riecht. Die See liegt da wie ein großes Stück gewässerter Seide, so blau wie meine blauen Augen. Und die Vögel, die Rotkehlchen und die Drosseln, die Amseln und die Meisen, die Finken und die kleinen Zaunkönige – sie alle kennen den Wert des Schweigens und häufen es an wie Geizhälse ihre Schätze, aber wie Verschwender schleudern sie ihre Töne hinaus in die Luft, und noch nie haben Menschenohren ein entzückenderes, lieblicheres Durcheinander von Stimmen gehört: wahre Kaskaden von Perlen und Rubinen, Smaragden, Diamanten und Saphiren. Das Wetter, sagt Anthony Rowleigh! Er kann das Wetter nicht vertragen! Und das Wetter ist geradezu vollkommen – ein vollkommenes Kunstwerk – so vollkommen wie eines meiner Madrigale. Einfach absolut vollkommen!«

»Es scheint ja so,« bemerkte Anthony düster, »aber nach dem Schein soll man nicht richten. Es kann ja seine Reize haben für Wollüstlinge wie dich, aber ich als Engländer hege gerechtfertigtes Mißtrauen gegen alles, was so ganz und gar unenglisch ist.«

»Apropos unenglisch,« sagte Adrian; »fällt mir ein, daß ich ein ernstes Wort mit dir zu reden habe.«

Anthony zog ein schiefes Gesicht.

»Ach,« seufzte er, »bist du von einem deiner seltenen Anfälle von Ernsthaftigkeit heimgesucht worden!«

»Es handelt sich um den Besuch bei Signora Torrebianca.«

»O weh!« stöhnte Anthony und fingierte mit erstaunlicher Geistesgegenwart eine möglichst schlechte Laune, obgleich ihm das Herz in der Brust hüpfte vor Freude.

»Du hör' mal,« sagte Adrian gebieterisch, »sei so gut und stecke diese blasierte Müdigkeit auf und höre mir zu. Ich nehme nicht an, daß du beabsichtigst, durchaus unhöflich zu sein. – Und da diese Damen neuangekommen, deine nächsten Nachbarn und außerdem deine Mieter sind, so wirst du einsehen, daß es nicht nur ein plumper Verstoß gegen die gute Sitte, sondern eine direkte Ungezogenheit wäre, wenn du ihnen keinen Besuch machtest. Da überdies eine davon am Sonntagmorgen als dein Gast in dein Haus kommen wird, um die Messe zu hören, so werde ich dir nicht erst sagen müssen, daß du ihnen de rigueur vorher einen Besuch abstatten mußt.«

Hoch aufgerichtet stand er da und zog seine braunroten Brauen in die Höhe, so erhaben, als ob er de par le roi spräche und jeden Widerspenstigen sofort zur Rechenschaft ziehen wolle.

Aber auch Anthony verstand sich darauf, die Brauen hochzuziehen. »Sie kommt als mein Gast? Nicht übel!« rief er. »Was habe denn ich mit ihrem Kommen zu tun? Wenn jeder Fremde, dem du gestattest, der Messe in der Kapelle anzuwohnen, dadurch ein Gast und gar mein Gast werden sollte, hätte ich alle Hände voll. Wenn sie überhaupt ein ›Gast‹ ist, so ist sie der deine und nicht der meine. Du hast diese Lage der Dinge herbeigeführt – nun sei so gut und versuche nicht, die Last mir aufzubürden.«

Adrian warf sein Haupt in den Nacken und sprach von noch höherer Höhe herab als zuvor.

»Ich denke, du bist der Herr des Hauses?«

»Dem Namen nach,« erwiderte Anthony, »denn schon seit Jahren habe ich all meine Macht in die rosigen, dicken Hände meines Majordomo niedergelegt.«

Dabei verneigte er sich leicht.

»Ich verschmähe es, auf deine Wortfuchserei mit dem ›Gast‹ näher einzugehen,« fuhr Adrian fort, ohne diesen Einwand zu beachten. » La Nobil Donna Susanna Torrebianca ist ein Gast, und in deiner Eigenschaft als Hausherr trittst du bei deiner Rückkehr ex officio als Wirt an meine Stelle.«

» Ex officio?« wiederholte Anthony nachdenklich. »Es ist längst nicht mehr Mode im alltäglichen Gespräch mit lateinischen Floskeln um sich zu werfen.«

»Und deshalb,« sagte Adrian, seine Erklärung zu Ende führend, »mußt du, falls du nicht als ein ausgesprochener Bär, Kaffer, Flegel und Mistbauer erscheinen willst, ohne Verzug einen Besuch in Craford New Castle machen. Da ich nun gerade jetzt besonders aufgelegt dazu bin und das Gefühl habe, ich werde mich in ungewöhnlich günstigem Lichte zeigen, so stelle ich den Antrag, daß wir sofort hingehen.«

Anthony erhob sich und reckte schläfrig die Arme.

»Na, in Gottes Namen,« sagte er, »da dein gutes Herz nun einmal daran hängt, so sei's. Du weißt ja, wenn Grübchenkinn dringlich wird, kann ich nicht widerstehen.«

Er unterdrückte ein Gähnen.

Adrian aber strahlte vor Siegesfreude.

»Alles in allem genommen, bist du doch ein gutes Kind, und deshalb sollst du auch Eingemachtes zu deinem Tee bekommen,« sagte er.

Anthony beglückwünschte sich innerlich. »Den habe ich gehörig eingeseift.«


Sein Herz schlug höher, als sie durch den herrlichen Park dahinwanderten.

»Wie konnte ich nur einen Augenblick bis Sonntag warten wollen,« dachte er.

Sonntag, der übernächste Tag, schien ihm in nebelgrauer Ferne zu liegen.

Adrian schritt neben ihm einher und summte vergnügt vor sich hin.

»Du scheinst ja recht fidel zu sein,« bemerkte Anthony.

»Ich dachte über deinen Rat nach,« erwiderte Adrian.

»Über meinen Rat – –?«

»Ja – du rietest mir, ich solle sie heiraten.«

Anthony starrte ihn verwundert an.

»Was?« rief er.

»Ja,« sagte Adrian holdselig lächelnd, »und ich bin der Ansicht, daß es ein sehr guter Rat ist, und deshalb werde ich ihr auch meine Huldigung darbringen.«

» Du? Mensch, bist du von Sinnen?« sagte Anthony aufgeregt.

»Du brauchst gar nicht so heftig zu werden: es ist ja deine eigene Idee.«

»Ich habe nur gescherzt! Ich habe mich lustig über dich gemacht! Sie heiraten? Sie würde dich keines Blickes würdigen,« erklärte Anthony verächtlich.

»Und warum nicht, wenn ich bitten darf?« erkundigte sich Adrian sehr von oben herab.

»Du bist … du bist zu jung,« lautete die Antwort.

»Zu jung?« gab Adrian mit mildem Ernst zurück. »Ich bin dreißig Jahre alt!«

»Neununddreißig bist du, aber trotzdem wirst du nie dreißig, auch wenn du schon längst vierzig bist. Du verkörperst die ewige Jugend.«

»Ich gebe zu,« erklärte Adrian überlegen, »daß ich in der Tat kein altes, blasiertes Menschenkind bin wie – nun, wie jemand, den ich nicht nennen will. Es gibt allerlei Arten von Früchten: grobkörnige, saure, die vertrocknen und doch nie reifen, und andre, die immer rosiger, runder, süßer und saftiger werden, je länger sie am Baume hängen.«

Dabei warf er sich stolz in die Brust.

»Merke wohl, ich nenne keine Namen, denn ich bin eine Seele von Zartgefühl und Zurückhaltung, von Bescheidenheit und Güte, und deshalb nenne ich keine Namen. Was mich selbst betrifft, so gebe ich zu, daß ich jung bin: die Lieblinge der Götter bleiben ewig jung. Trotzdem bin ich alt genug, um frisch und impulsiv fühlen zu können. Ich bin alt genug, um den rohen, herben Pessimismus der Erfahrung hinter mich werfen zu können. Ich bin alt genug, meine Enttäuschungen überlebt zu haben. Ich bin alt genug, zu wissen, daß die guten Sachen im Leben gut sind, und zu begreifen, daß die Rosenknospen im Garten blühen, um gepflückt zu werden. Und so dumm bin ich nicht, daß ich mir versagte, sie zu pflücken. Jawohl, ich beabsichtige, Donna Torrebianca zum Gegenstand meiner ehrfurchtsvollen Huldigung zu machen.«

Spöttisch musterte ihn Anthony von Kopf zu Fuß.

»Ach, über die Abgeschmacktheit des Menschen!« höhnte er. »Du bist rothaarig und viel – viel zu fett!«

»Ich bitte um Vergebung,« sagte Adrian würdevoll. »Mein Haar ist braun, mit Gold vermischt – eine sehr moderne und elegante Farbe. Seiner hübschen natürlichen Neigung, sich zu locken, will ich gar nicht Erwähnung tun. Was das betrifft, was du › zu fett‹ zu nennen beliebst, so gebe ich zu, daß ich kein Skelett bin, kein ausgehungertes, hohläugiges, armseliges Kleidergestell wie – nun, ich nenne bekanntlich keine Namen. Meiner andern Eigenschaften, meines Witzes, meines Mit- und Zartgefühles, meiner darunterliegenden Charakterstärke (ein in Rosenblätter gekleideter Löwe wird wohl das passendste Bild sein!) brauche ich gar nicht erst Erwähnung zu tun. Kurzum, ich gedenke mich Donna Susanna zu Füßen zu legen; der Rest des weiblichen Geschlechtes kann von mir aus als alte Jungfer sterben.«

»Ich habe nicht die Ehre, die betreffende Dame zu kennen; ist sie aber der Ausbund von Vortrefflichkeit, als den du sie schilderst, so muß ich dir wohlmeinend raten, dich auf eine Enttäuschung gefaßt zu machen und dich warnen, Hoffnungen zu nähren, die sich nie erfüllen werden. Sollte aber diese Dame geneigt sein, deine üppige Gestalt zu bewundern, so halte ich es für meine Pflicht, dich – mag es mir Opfer auferlegen, welche es will – dich vor einer geschmacklosen Person zu bewahren.«

Mittlerweile waren sie an ihrem Ziel angelangt und läuteten an dem mit Stukkatur überreich geschmückten Portal des neuen Schlosses. Anthonys Herz stand einen Augenblick still. Die Türe öffnete sich und gewährte ihm für einen Moment den Anblick der so wohlbekannten großen, unschönen Marmorhalle, die aber durch hübsch abgetönte Behänge, persische Teppiche, Blumen und Bücher und sonstige Spuren einer weiblichen Hand ganz verändert erschien.

Wenige Augenblicke stand Anthony auf Susannas Schwelle, warf völlig verzückt einen Blick in ihr Vorgemach und vernahm dann aus dem Munde eines Livreebedienten: »Nicht zu Hause, gnädiger Herr!« Und die hochgespannte Erregung des Helden löste sich im Abgeben einer Visitenkarte.

Auf dem Rückweg warf er grimmige Blicke auf die strahlend schöne Sommerlandschaft, als ob sie ihn mit falschen Versprechungen betrogen hätte. Endlich machte er seinem Ingrimm gegen Adrian Luft, indem er sagte: »Du hast mich ja recht nett an der Nase herumgeführt, nur um mir den Genuß eines Zwiegespräches mit Herrn Goldplüsch zu verschaffen!«

»Oh!« sagte Adrian ganz verdutzt. »Ich dachte, du würdest froh sein, denn du hast sie ja gar nicht kennen lernen wollen. Die Form ist durch das Abwerfen deiner Karte gewahrt.«

»Meine Karte hätte ich durch dich abgeben lassen können,« zürnte Anthony weiter.

»So hast du in Gesellschaft eines lieblichen Gefährten bei lieblichem Wetter einen lieblichen Spaziergang gemacht,« entgegnete Adrian.

»Das Wetter kann mir gestohlen werden,« erklärte Anthony.


 << zurück weiter >>