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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

In Sampaolo leben zwei Männer, die jeder kennt, der dort bekannt ist; zwei junge Männer, die während der Sommermonate die Insel durchstreifen. Im Winter gehen sie nach Rom oder nach Nizza oder nach England zur Jagd. Im Sommer aber hausen sie in Sampaolo, wo sie eine Villa außerhalb Vallanza und den düstern alten Palast ihres Geschlechtes in der Stadt selbst besitzen.

Die Zwillingsbrüder Franco und Baldo del Ponte sind junge Riesen, sechs Fuß vier Zoll lang, und von ungemein kräftiger Gestalt. Sie sind hübsche Riesen mit guten, festen, regelmäßigen Gesichtszügen, mit kurz geschorenem, starkem, lockigem Haar und frischen, gesunden Farben. Aber sie sind auch fröhliche, einfache, gutherzige Riesen; dabei unermüdlich in der Verfolgung ihrer Sportvergnügungen. Bald sieht man sie in ihren Segelbooten, bald in ihren Motorwagen, bald reiten, bald ihr Viergespann lenken. Da sie Italiener sind, sind sie, wie viele vom italienischen Adel, durch und durch anglophil, ja, man kann wohl sagen, sie sind englischer als die Engländer, und das will etwas heißen. Alle ihre Kleider sind nach der neuesten englischen Mode und werden aus London bezogen. Ihren Segelbooten geben sie englische Namen, wie Meermaid und Seagull, Meerjungfrau und Seeschwalbe. In ihren nach englischen Mustern eingerichteten Ställen werden nur Engländer angestellt. Ihre Meute besteht aus englischen Rassehunden mit englischen Namen: Toby, Jack, Spark, Snap und so fort. Englisch sprechen sie tadellos, mit einem kaum merklichen ausländischen Akzent – sie sind ja aber auch in englischen Schulen, in Eton und im Trinitykollege zu Cambridge, erzogen worden. Am liebsten würden sie Italien ganz anglisieren, von der Uniform der italienischen Polizeimacht bis zur italienischen Verfassung. »Was Italien not tut,« versichern sie, »ist ein Haus der Lords.« Ihre italienischen Freunde machen sich zwar über sie lustig, aber dahinter steckt ein gut Teil Bewunderung und auch wohl etwas Neid, denn sie besitzen ein nach italienischen Begriffen ganz riesig großes Vermögen.

Am nächsten Morgen saß Adrian nach dem Frühstück allein in dem gemeinschaftlichen Wohnzimmer im Hotel de Rome und schaute auf die Riva hinab. Da sah er einen echt englisch aussehenden Dog-cart über die Riva und die Piazza fahren und an der Tür des Gasthofes halten. Ein riesiger junger Mann führte den Viererzug; sein Ebenbild saß neben ihm und ein englischer Groom hinten auf. Die beiden jungen Männer stiegen ab; der, der kutschiert hatte, sagte etwas zu dem Groom und warf diesem die Zügel zu, worauf der Groom antwortete: » Yes, Mylord.«

»So, so,« dachte Adrian, »da sind wir also nicht die einzigen Briten auf dieser Insel! Bin doch begierig, wer dieser Mylord ist!«

Gleich darauf öffnete sich die Tür und der Kellner meldete: »Marchese del Ponte und Marchese Baldo del Ponte.«

Die beiden riesigen jungen Männer folgten dem Kellner auf dem Fuße nach.

»Guten Morgen, Graf,« sagte der eine, auf Adrian zutretend und ihm die Hand schüttelnd. »Ich bin der Marchese del Ponte und dies ist mein Bruder, Marchese Baldo. Willkommen in Sampaolo. Sie wissen ja, wir sind Verwandte von Ihnen. Unsre Vorfahren haben sich öfters verschwägert.«

Adrians rosiges Antlitz verzog sich zu seinem liebenswürdigsten Lächeln.

»Hoffentlich befinden Sie sich wohl! Ich freue mich, Sie kennen zu lernen! Wollen Sie, bitte, Platz nehmen! Aber ich bedaure, ich bin kein Graf.«

»Ach ja,« sagte Baldo, »wir wissen wohl, daß Sie Ihren Titel nicht führen.«

»Sie sind ein ganz richtiger Graf,« erklärte Franco, »ob Sie nun von Ihrem Titel Gebrauch machen oder nicht. Der Adel liegt im Blut. Den können Sie nicht abschütteln.«

»Ihre Urgroßmutter war eine Ponte,« erklärte Baldo, »und unsre Großmutter war eine Valdeschi, die Cousine Ihres Großvaters.«

»Wirklich?« bemerkte Adrian höflich. »Aber ich bedaure, es liegt mir auch kein Adel im Blut. Ich bedaure, ich bin ein ganz gewöhnlicher Bürgerlicher.«

»Ach, ich verstehe, Sie spielen auf die Achterklärung an,« entgegnete Franco. »Aber das ist gar nicht von Belang, eine reine politische Spiegelfechterei. Die italienische Regierung ist gar nicht zuständig, Ihnen Ihren Titel zu entziehen. Sie konnte einen neuen Grafen von Sampaolo ernennen, was sie ja auch getan hat, aber sie konnte den schon vorhandenen Grafen nicht seines Ranges berauben. Sie sind nach Fug und Recht ein Graf. – Wir sind gekommen, um Sie zu uns abzuholen, und es wird uns die größte Freude machen, Sie bei uns zu haben.«

»Die allergrößte Freude,« echote Baldo.

»Kein Wort mehr darüber! Das ist abgemacht,« erklärte Franco.

»Das ist abgemacht,« wiederholte Baldo.

»Heute nachmittag lassen wir Ihr Gepäck holen,« fuhr Franco fort. »Haben Sie einen Diener bei sich? Nein? Dann schicken wir Grimes, der kann Ihre Sachen packen und mitbringen. Aber wir hoffen, daß Sie selbst gleich jetzt zum zweiten Frühstück mit uns kommen.«

»Ich finde kaum Worte, Ihnen zu danken,« entgegnete Adrian, »aber ich bedaure – ich zerstöre nämlich nicht gerne Illusionen – ich bedaure, ich bin nicht der, für den Sie mich halten. Ich bedaure, es ist ein Mißverständnis. Ich –«

»O bitte, wir werden Ihr Inkognito respektieren, wenn Ihnen dies Sorge macht,« versprach Baldo.

»Sie wollen einfach Mr. Anthony Craford sein?«

»Craford von Craford,« verbesserte ihn sein Bruder.

»Aber das ist es ja gerade,« suchte Adrian zu erklären. »Ich bin nicht Mr. Anthony Craford.«

»Was?« rief Franco verwundert.

»Was? Nicht Craford?« rief Baldo erstaunt.

»Nein,« versicherte Adrian traurig, »es tut mir furchtbar leid, aber mein Name ist Willes.«

»Willes?« wiederholte Franco. »Aber im Fremdenbuch des Palazzo Rosso stand doch Craford! Dadurch haben wir ja erfahren, daß Sie hier sind!«

»Mein Bruder ist nämlich der erbliche Palastkommandant,« berichtete Baldo. »Es ist heutzutage nur noch ein Ehrenamt, aber das Fremdenbuch wird ihm immer gebracht, wenn Besucher da waren.«

»Und unten fragten wir nach Craford, und da wies man uns hier herauf und sagte, Sie seien zu Hause.«

»Es tut mir furchtbar leid, aber Craford und ich sind so verschieden wie Tag und Nacht. Craford ist spazieren gegangen. Mein Name ist Willes. Craford und ich reisen zusammen.«

»Ho, ho, ho!« lachte Franco und klopfte sich vergnügt auf den Schenkel. »Ho, ho, ho! Ich verstehe!«

»Ho, ho, ho!« lachte Baldo. »Wir sind schön hereingefallen.«

»Wir – ho, ho, ho! – haben die unrechte Sau am Ohr gefaßt!« sagte Franco.

»Wir haben den unrechten Gaul gesattelt! Ho, ho, ho,« lachte Baldo.

»Wir sind trotzdem entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen,« versicherte Franco.

»Und wir nehmen Sie doch beim Wort – Sie müssen mit uns kommen und bei uns wohnen – Sie und Craford,« erklärte Baldo.

»Ja, um das kommen Sie nicht herum! Wir rechnen fest auf Sie!« sagte Franco.

»Ich für meine Person würde mich sehr freuen,« erklärte Adrian, »aber ich kann natürlich nicht für Craford sprechen. Er ist im Augenblick etwas heruntergestimmt, und ich weiß nicht, ob er in der richtigen Verfassung ist, zu jemand auf Besuch zu kommen. Aber da ist er ja!«

Damit deutete er auf ein Fenster, durch das man Anthony eben über den Platz kommen sah.

»Bei Gott,« rief Franco, »den hätte ich sofort als einen Valdeschi erkannt! Der ist ja sein Großvater, wie er leibt und lebt.«

»Bei Gott, das ist er!« rief Baldo.

Zu Adrians Verwunderung nahm Anthony, nachdem die Vorstellung stattgefunden hatte und die Einladung wiederholt worden war, sofort an.

»Ich habe angeordnet, daß mein Viererzug uns abholt,« sagte Franco. »Wollen wir vor dem Frühstück noch eine kleine Fahrt machen, um uns Appetit zu holen?«

»Für heute nachmittag möchte ich eine Segelpartie vorschlagen, wenn wir eine Brise kriegen,« sagte Baldo. »Ich habe eben erst ein neues Boot aus England bekommen, die ›Spindrift‹, und habe es noch gar nicht probieren können.«

»Spielen Sie Tennis?« fragte Franco. »Wir haben einen guten Platz in der Villa.«

»Ich weiß nicht, ob Sie gern schwimmen,« bemerkte Baldo; »am Landesteg in unserm Garten ist ein guter Badeplatz. Mein Bruder und ich schwimmen gewöhnlich vor Tisch.«

»Da ist Tom mit dem Viererzug,« rief Franco; dann fuhr er mit einer liebenswürdigen Uneigennützigkeit, die entschieden weniger englisch war als die Sprache, in der das Anerbieten ausgedrückt wurde, fort: »Wollen Sie vielleicht fahren, Graf?« Und als Anthony dankte: »Oder Sie, Mr. Willes?«

»Danke, nicht gleich,« erwiderte Adrian. »Ich möchte erst einmal sehen, wie sie gehen.«

Der Heuchler! Als ob er gewußt hätte, was mit den Zügeln anfangen, falls er sie in den Händen gehalten hätte!

So kutschierte denn Franco selbst.

»Haben Sie das Castel San Guido schon besichtigt?« fragte Franco. »Sollen wir vielleicht dorthin fahren?«

Auf vielfach gewundenen Pfaden fuhren sie den Berg hinan, bis dahin, wo sich am Rand eines fast senkrecht abfallenden Felsens das Kastell erhebt.

Meist war der Weg mit Olivenhainen eingefaßt, hier und da waren auch Weingärten, manchmal Nußbaumwäldchen und Piniengruppen oder gelbe Maisfelder, und überall genoß man eine herrliche Aussicht.

Das Castel San Guido gleicht hundert andern mittelalterlichen Burgen; es ist eine grimmig aussehende alte Feste mit ungemein dicken Mauern, mit runden, von Schießscharten durchbrochenen Türmen, mit Wällen und kahlen, steinernen Höfen, kalten, düstern, steinernen Hallen und einer außer Gebrauch gestellten steinernen Kapelle. Trotz alledem fühlte sich der Nachkomme San Guidos von mancherlei Empfindungen bewegt. Und die Aussicht war herrlich: Vallanza mit seinen roten in der Sonne glänzenden Dächern, die dunkelblaue Bucht, die mit Olivenwäldern bedeckten Höhen und, an ganz unglaublichen Stellen der Berglehne hangend, die von dunklen Zypressenwäldchen umgebenen weißen Dörfer mit ihren schlanken Campanili.

Langsam hatte sich der Wagen den Berg hinauf gewunden, dafür ging es nun reißend schnell bergab, trotz aller scharfen Biegungen und gefährlichen Kurven; während Franco mit übereinandergebissenen Zähnen und zusammengezogenen Augenbrauen seine ganze Aufmerksamkeit den Pferden widmete, rauchten Baldo und Anthony behaglich ihre Zigaretten, aber Adrian bangte um sein ihm so teures Leben, hielt sich krampfhaft an der Lehne des Wagens fest und seufzte erleichtert auf, als er mit heiler Haut unten angelangt war.


Die Villa der del Ponte ist ein langes, graues, rechtwinkliges Gebäude und sieht ernst und streng aus, beinahe wie ein Gefängnis oder eine Kaserne. Sie liegt in einem bis ans Meer hinabreichenden Garten voll Palmen, Orangen- und Eukalyptusbäumen und vielen, vielen Eidechsen, in einem echt italienischen Garten. Kaum aber hat man die Schwelle des Hauses überschritten, so glaubt man, in England zu sein. Man sieht sich von englischen Möbeln, englischen Büchern, englischen Zeitschriften, von englischen Jagdbildern und englischen Sportgeräten aller Art umgeben. »Wir gehen nämlich viel auf die Jagd,« erklärte Franco. »Wir haben in Nordhamptonshire eine kleine Jagdhütte und jagen mit den Pitchleys.« Anthony und Adrian fühlten sich demgemäß auch nicht im mindesten überrascht, als von einer echt englischen Stimme, die zu einem glatt rasierten englischen Gesicht gehörte, das Frühstück gemeldet wurde.

Nach dem Gabelfrühstück segelten sie in der »Spindrift«, und dann gab es zu Adrians Entzücken Tee mit viel gut gebuttertem Toast. Dann spielten sie Tennis und danach fuhren sie wie ein Wirbelwind in einem Motorwagen um die Riva und dann wurde geschwommen. Nach Tisch spielten sie Billard, wozu Franco und Baldo kurze Pfeifen rauchten und Sodawasser mit Brandy nippten – einen halben Fingerhut voll Brandy in einer Unmasse von Sodawasser, wie Adrian mitleidig bemerkte. Die Natur läßt sich nicht meistern und trotz allem und allem waren sie eben doch Italiener, denen die Mäßigkeit im Blute liegt.


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