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Vierundzwanzigstes Kapitel.

An diesem Morgen hatte Anthony einen Brief von Miß Sandus erhalten. Der Brief war in Craford geschrieben und zur Post gegeben worden, obgleich Miß Sandus auf der Isola Nobile weilte. Er war vor der Abreise auf Susannas Bitte und nahezu ganz nach ihrem Diktat geschrieben worden. Dann hatte man ihn einem zuverlässigen Diener übergeben mit dem Auftrag, ihn drei Tage nach ihrer Abreise zur Post zu bringen.

»Manchmal vergesse ich beinahe, daß du keine Engländerin bist,« hatte Miß Sandus bei dieser Gelegenheit bemerkt, »aber das Italienische in dir äußert sich in deiner unwiderstehlichen Leidenschaft fürs Intrigieren.«

Der wichtigste Teil des Briefes lautete:

»Erinnern Sie sich noch, wie Sie mir gegenüber einmal bedauerten, daß die Dame, die Sie lieben, so reich sei, und daß Sie dies als ein Hindernis für Ihre Bewerbung ansahen? Und wie ich Sie dann auslachte? Nun, es scheint, daß dieses Hindernis auf dem besten Weg ist, beseitigt zu werden. Susanna ist in Gefahr, den größten Teil ihres Vermögens zu verlieren, falls es nicht schon verloren ist. Ich verstehe die Sache nicht recht, aber es scheint, daß ein andrer Verwandter mehr Recht auf das Vermögen hat, das sie bisher besaß. Ich teile Ihnen dies auf Susannas Wunsch mit, denn sie meinte, es könnte vielleicht Einfluß auf Ihre Entschließungen haben. Ich sagte ihr, daß ich dies nicht glaube, es sei denn, daß Sie darum auf eine möglichst beschleunigte Hochzeit drängten. Aber sie beharrt darauf, daß ich schreibe, und ich glaube, daß es wenig Menschen gibt, die es fertig brächten, ihr einen Wunsch abzuschlagen. Woran es wohl liegen mag, daß manche Menschen die seltene Eigenschaft haben, einen solchen Einfluß auf andre auszuüben, daß diese gehen, wenn sie sagen: geh! und kommen, wenn sie sagen: komm? Das ist eine Frage, über die Sie nachdenken können, wenn Sie am Ufer der klaren blauen Adria lustwandeln.«

Anthony hatte noch an dem Brief von Miß Sandus zu verdauen, als der überraschende Besuch des Commendatore Fregi erfolgte, und vielleicht stand er noch immer unter dem Einfluß dieses Besuchs, als er am Nachmittag während des Tennisspieles eine Botschaft der Contessa di Sampaolo empfing. Sie wurde ihm durch einen Kapuzinermönch überbracht, einen sanft sprechenden Mann mit langem schneeweißem Bart, der sagte, er wolle auf Antwort warten.

Die Pontes, deren Spiel dadurch unterbrochen wurde, gingen nach den Ställen und nahmen Adrian mit, der nur gar zu gerne gewußt hätte, was der Kapuziner mit seinem Freund verhandeln wollte.

»Natürlich hängt es mit den Plänen der Signora zusammen,« überlegte er bei sich. »Aber wie? Wenn die Leute einen ins Vertrauen ziehen, dann sollten sie es auch ganz tun und einen au courant halten!«

Anthony bewunderte einen Augenblick die kräftige, fließende, entschlossene Handschrift der Schreiberin, dann las er in dem steifen toskanischen Schulitalienisch, das kein Mensch jemals spricht, das aber der gebildete Italiener immer schreibt, wie folgt:

 

»Sehr erlauchter Herr und lieber Vetter!

Seit meiner frühesten Jugend habe ich immer gefühlt, daß die Revolution von Anno 1850 eine große Ungerechtigkeit im Gefolge hatte, da ohne die politischen Ereignisse das Erbe der Familie nie dem rechtmäßigen Erben, Ihrem damals minderjährigen Vater, hätte entzogen und auf dessen Onkel, meinen Großvater, hätte übertragen werden können. Mit zwölf Jahren legte ich vor dem Schrein mit der Asche unsres heiligen Vorvaters ein Gelübde ab, daß ich, falls ich einmal die Macht dazu haben würde, das geschehene Unrecht wieder gut machen wolle.

Jedoch durch das Testament meines Vaters wurde ich bis zu meinem zweiundzwanzigsten Jahr unter Vormundschaft gestellt; dieses Alter habe ich im vergangenen April erreicht. Seit April beabsichtige ich, dem Haupt der Familie seinen rechtmäßigen Besitz zurückzuerstatten, jedoch allerlei Hindernisse machten mir die Ausführung dieser Absicht bisher unmöglich. Jetzt, da Euer Erlaucht, wie ich höre, auf unsrer Insel weilen, fühle ich, daß ich nicht länger zögern darf.

Da ich nur in lebenslänglichem Nießbrauch des Vermögens stehe und Euer Erlaucht mein nächster Verwandter und mutmaßlicher Erbe sind, kann ich, wie ich ermittelt habe, Ihnen das Besitztum übermachen, wenn ich in einen Orden eintrete und das Gelübde des Zölibats ablege. Das kleine Vermögen, das ich von meiner Mutter geerbt habe, genügt als Mitgift für diesen Schritt.

Sehr erlauchter Herr und lieber Vetter, es würde mir große Freude bereiten, die Bekanntschaft Eurer Erlaucht zu machen und dem Haupt des Hauses von San Guido meine Huldigung darbringen zu können, ehe ich mich für immer von der Welt zurückziehe. Der Überbringer dieses Briefes, der gute Pater Angelo, der mein volles Vertrauen hat und meine Absicht gutheißt, wird mir die Antwort Eurer Erlaucht überbringen und mir sagen, ob und wann Sie die Isola Nobile mit Ihrer Anwesenheit beehren werden.

Gestatten Sie, Erlauchter Herr und lieber Vetter, daß ich mit den Gefühlen hoher Achtung und Zuneigung mich zeichne als Euer Erlaucht getreue Cousine

S. dei Valdeschi della Spina
Contessa di Sampaolo.

Dem Erlauchten Herrn,
S. E. dem Herrn Conte di Sampaolo
Alla Villa del Ponte, Vallanza.«

 

Den Brief seiner Cousine in der weit ausgestreckten Hand, wandte sich Anthony dem weißbärtigen Kapuzinermönch zu, der in seiner braunen Kapuze ruhig wartend dastand, die gefalteten Hände von den Ärmeln bedeckt, und sagte rasch mit bleichem Gesicht und erschrockenem Blick: »Lieber Vater, die Gräfin sagt mir, Sie hätten ihr Vertrauen und billigten ihren Entschluß. Aber kennen Sie denn das Vorhaben, das sie hier andeutet?«

»Ja,« erwiderte der Pater ruhig und neigte sein Haupt.

»Aber dann ist es doch unmöglich,« fuhr Anthony hastig und aufgeregt fort, »daß Sie ihren Schritt billigen, oder daß überhaupt jemand ihn billigt. Der muß verhindert werden! Was sie vor hat, ist gegen alle gesunde Vernunft! Ich kann es nicht dulden! Ihre Freunde dürfen es nicht dulden – ihre Freunde müssen es verhindern!«

»Was sie zu tun beabsichtigt, ist ein einfacher Akt der Gerechtigkeit,« sagte der Pater mit sanfter Stimme.

Anthony winkte ungeduldig mit der Hand.

»Ach was! Einfache Gerechtigkeit – einfache Tollheit ist es!« sagte er. »Nicht einmal sprechen sollte man über die Sache. Sie ist zweiundzwanzig Jahre alt – ist ein Kind – ist unverantwortlich – sie weiß nicht, sie kann nicht wissen, was sie tut. Sie will sich in Armut stürzen, sich für ihre ganze Lebenszeit im Kloster begraben, offenbar ohne den geringsten inneren Beruf. Ihre Freunde müssen sie zurückhalten!«

»Sie gehört nicht zu den Menschen, die leicht zurückzuhalten sind, wenn sie einmal einen Entschluß gefaßt haben,« erwiderte der Mönch ruhig.

»Jedenfalls wird sie gegen ihren Willen zurückgehalten werden, wenn man ihr die Tatsache klar macht, daß ich das Opfer, das sie um meinetwillen bringen will, nie und nimmer annehmen werde – kein Mann würde das tun! Sie kann ihr Eigentum nicht auf mich übertragen, wenn ich mich weigere, es anzunehmen.«

»Nein, ich glaube, das wird sie nicht können,« gab Pater Angelo zu, dessen Hand aus dem Ärmel hervorkam, um nachdenklich seinen langen Bart zu streichen. »Aber nach Recht und Gerechtigkeit gehört das Besitztum Ihnen. Warum sollten Sie es da nicht annehmen? Sie sind der rechtmäßige Graf von Sampaolo und haben Anspruch auf das, was Ihr Eigen ist!«

»Mein lieber Vater!« schrie ihn Anthony an, der sich vor Entrüstung wand. »Ich kann diese Sache nicht einmal erörtern hören. Annehmen! Und einem unerfahrenen jungen Mädchen, das unmöglich die Tragweite dieses Entschlusses ermessen kann, erlauben, einer solchen donquichottischen Regung zu folgen! Ihr erlauben, sich für mich bettelarm zu machen, sich aus der Welt zurückzuziehen, um bei lebendigem Leibe, Zoll für Zoll im Kloster zu sterben! Das wäre ja ganz ungeheuerlich – ein Mann, der das täte, könnte ja niemals mehr den Kopf aufrecht tragen!«

»Es wäre wohl am besten,« sagte der Pater langsam, »wenn Sie ihr das alles selbst sagten. Es wäre wirklich am besten, Sie gingen zu ihr und sagten ihr alles selbst.«

»Wann kann ich sie sehen?« fragte Anthony ungestüm.

»Wann Sie wollen. Sie wünscht sehr, Sie zu sehen,« antwortete der Pater.

»Je früher, desto besser,« sagte Anthony. »Je eher und je endgültiger ihr dieser törichte Gedanke aus dem Kopf getrieben wird, desto besser für alle Beteiligten.«

»Vielleicht könnten Sie gleich mit mir kommen?« schlug der Pater vor. »Ihr Boot, mit dem ich hergefahren bin, wartet am Landungsplatz im Garten.«

»Gewiß kann ich gleich mit Ihnen gehen,« sagte Anthony. »Bitte, warten Sie nur bis ich einen Rock angezogen habe.«

Er rannte nach dem Tennisplatz zurück, nahm seinen Rock und warf ihn über.

Erhitzt und im Flanellanzug, wie er war, ging er mit Pater Angelo nach dem Boot.


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