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19

Er ging durch die Hildebrandtsche Privatstraße, die im Dunkel lag. Wieder mußte er daran denken, daß es Donnerstag war, der Tag von Abercrons seltsamen Empfängen. Niemand würde heute dort sein. Vielleicht war Dorette verhaftet!

Wie spät war es eigentlich schon? Wieder hatte er Furcht, nach der Uhr zu sehen. Die Zeitlosigkeit gab diesem Abend etwas Schwebendes, das ihm wohltat. Es war schön, nicht zu wissen, ob es zweiundzwanzig oder ein Uhr war. Ihm fiel ein, daß er Dorette warnen mußte, wenn sie nicht schon verhaftet war. Aber deswegen kam er nicht in diese Straße. Er wollte nichts mehr. Die Geschichte mit Dorette war zu Ende. Vielleicht würde er sie warnen, vielleicht wollte er sich vor diesem Haus an der Vorstellung werden, daß jeden Augenblick die Kriminalbeamten kommen mußten. Er wußte nicht. Er suchte einfach die Stätten seines alten Lebens auf, das ihn nun nichts mehr anging. Er hätte auch in die »Vitrine« gehen können. Vielleicht ging er nachher wirklich noch dorthin.

Hinter den dicken Pfeilern des Vorgartens lag das Haus, groß und dunkel. Nur über die obere Kante schäumte wie weißer Dampf der Lichtschein der Stadt. Er wollte daran vorübergehen. Aber hinter dem Gitter stand wartend der Diener und fragte, als er erschrocken stehenblieb: »Zu wem, bitte?« Gleichzeitig hörte er Tanzmusik, die mit einer samtenen Süßigkeit aus dem Dunkel quoll.

»Ich glaube, Herr Schwarzer wollte heute abend hier sein«, sagte er aufs Geratewohl, ähnlich wie damals, als er Dorettes Namen genannt hatte.

»Bitte!« sagte der Diener und öffnete das Tor, ging vor ihm bis zu der Haustür und schloß auf. Dorettes Worte klangen ihm im Innern: »Es war die letzte Gesellschaft heute in diesem Stil. Ich bin mit Abercron verlobt!« Vor drei Wochen war das gewesen. Dorette hatte sich getäuscht. Als die schwere Tür aufging, schlug ihm der Lärm des Festes entgegen, das summende Brausen der Stimmen, aus denen Gelächter hervorstach, das dumpfe Rumoren tanzender Füße. Die Garderobe war mit Mänteln und Hüten überhängt. Ein Mädchen in weißer Haube nahm ihm die Sachen ab. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Drei Herren und zwei Damen mit bunten Kostümkappen auf dem Kopf stürzten unter Lachen heraus und stürmten gegen die Treppe. Er prallte fast mit Dr. Will zusammen, der wie damals bei Horcher die große weiße Geranie im Knopfloch trug.

»Heda! Ah, der Stallmeister!« rief der hübsche Junge und blieb vor Steegen stehen. »Wie kommen Sie so spät her?«

»Leider habe ich keinen Frack an. Ich wollte nur im Vorbeigehen Herrn Abercron sprechen.«

»Wird Ihnen wenig nützen«, sagte Dr. Will und lachte. »Im Vertrauen gesagt: Abercron ist erledigt, völlig pleite, totaler Zusammenbruch. Hier ist heute Kehraus. Nehmen Sie wenigstens dies!« Er stülpte ihm die Kappe aus Seidenpapier auf und lief den andern nach, die die Treppe hinaufgehastet waren. Man hörte sie oben durch die Gänge jagen.

Steegen trat in die Bibliothek ein. Dick und parfümiert schwoll ihm die Luft und die Musik entgegen. Niemand drehte sich nach ihm um. Die Polsterbänke rings an den Wänden waren mit Menschen besetzt, die zum Teil bunte Kostüme trugen. Auf den Büchergesimsen standen Sektgläser. In der Mitte des Zimmers drängten sich die tanzenden Paare. Zwei Mädchen und ein Diener gossen unaufhörlich ein. Alle diese Menschen waren der Wirklichkeit entrückt. Sie achteten nicht mehr aufeinander, hielten sich in erotischen Stellungen umschlungen, preßten Lippen gegen Schultern, Brüste und Haar, schoben die tanzenden Schritte ineinander. Papierschlangen hingen wie Fetzen von den Köpfen, Kleidern und Beleuchtungskörpern nieder, der Boden war mit Konfetti bedeckt.

Susannchen Strauch tippte Steegen auf die Schulter. Sie kam mit einem großen blonden Herrn angesteppt. Plötzlich ließ sie diesen stehen und hängte sich in Steegens Arm. Um den Hals trug sie den fünfreihigen Perlenschmuck. »Komm her, Liebling, die andern sind zu fad!« rief sie und küßte ihn auf den Mund.

»Wo ist Abercron? Wo ist Frau Abercron?« fragte er.

»Irgendwo! Ich weiß nicht. Sie müssen dort drüben sitzen. Was willst du von denen? Abercron ist pleite. Aber sei still, es soll's niemand wissen!«

»Alle wissen es!« rief lächelnd eine Dame im Vorübergehen.

»Du hast ja den Schmuck?« fragte Steegen.

»Ja, den hab' ich. Er ist übrigens unecht. Das wußten wir schon längst alle. Ach geh, du bist auch fad!« Sie stieß ihn mit beiden Händen zurück und drängte sich mit hocherhobenen Armen durch das Gewühl.

Abercron pleite! Er sah sich um. Das mußte alles so sein. Das war der große Kehraus, diesmal auch für Dorette. Stüwe hatte gestanden, und Abercron war pleite! Er drängte sich zwischen den Tanzenden in das nächste Zimmer. Zwei Paare hatten sich auf dem Schreibtisch niedergelassen. Papiere, Mappen, Instrumente waren in der Mitte zu einem Haufen zusammengekehrt. Die eine Dame hatte die Beine gekreuzt und hockte auf ihnen. Die Spitzen ihrer Schuhe drückten sich in das weiche Leder einer Schreibmappe ein. Auf einmal erkannte er sie. Es war Blümchen. Unscheinbar und zerzaust sah sie in dem bescheidenen grünen Crêpe-de-Chine-Kleidchen aus. Eine kleine Kunstgewerblerin vielleicht. Selbst das aschblonde Haar hatte die leuchtende Kraft verloren. Neben ihr saß ein kleiner dunkler Herr mit einem scharfen Römerprofil. Auch an ihn erinnerte Steegen sich. Mit diesem Menschen hatte Dorette damals zusammengesessen, als er zum erstenmal dieses Zimmer betrat und ihr gegenüberstand. Diesmal konnte Abercron nicht mehr telefonieren. Der Tischapparat war achtlos beiseitegeschoben. Wenn er sich heute seinem Schreibtisch genähert hätte, würde man ihn fortgescheucht haben. Abercron war nicht mehr Herr dieser Räume. Das Chaos schlug über ihm zusammen.

Steegens Blicke suchten ihn. Vielleicht saß er in einer der Gruppen, die sich in den Ecken auf zusammengeholten Sesseln, Stühlen und Tischen geballt hatten. Einige lagen oder hockten auch auf dem Teppich. Die Gruppen reichten fast bis in die Mitte des Zimmers und machten den Eindruck von Haufen eines lagernden Kriegsvolks. Plötzlich sah er Abercron, wie er sich durch die Reihen hindurchschob, über ausgestreckte Füße stieg, sich an Knien vorbeidrückte. Er hielt die Champagnerflasche in der Hand und goß rechts und links ein. »Trinkt, Kinder!« sagte er. Es sollte lustig klingen, aber die Worte quetschten sich schwer aus seinem Halse hervor. Niemand achtete auf ihn. Er machte den Eindruck eines aufdringlichen Kellners.

»Herr Abercron!« rief Steegen und versuchte zu ihm vorzudringen. Plötzlich bemerkte er Dorette. Sie saß abseits von den andern in einer Fensternische. Er wunderte sich, daß er sie nicht gleich bemerkt hatte, so auffallend war ihre Haltung in dem Durcheinander dieser Gesellschaft. Oder vielleicht war es gerade deshalb, daß man sie nicht bemerkte. In einem einfachen Abendkleid aus fliederfarbener Seide, ohne jeden Schmuck, saß sie in ihren Sessel gelehnt, kühl und ein wenig bleich. Die schweigende Hitze des Raums schien ihr nichts anhaben zu können. Ihre Augen sahen fast gelangweilt vor sich nieder. Die Zähne schimmerten weiß unter der ein wenig zu kurzen Oberlippe hervor. So saß sie da und hörte mit einem abwesenden Lächeln Herrn Schwarzer zu, der auf sie einsprach. Der breite Kopf mit dem braunen Scheitel beugte sich über ihre Schulter, die sie kaum merklich zurückbog, um einer zu nahen Berührung zu entgehen. Herr Schwarzer redete mit leiser heißer Stimme und heftigen Handbewegungen.

Steegen bebte zurück. Wo war das schon einmal so gewesen? Woher kannte er dieses Lächeln, das Einverständnis und ängstliche Abwehr zugleich sein konnte? Diese Haltung, die auszuweichen schien und doch nur zu stärkerem Angriff reizte. Er sah sich selbst neben Dorette unter den niederhängenden Zweigen des uralten Ahornbaumes sitzen und auf sie einsprechen. Er sah sich neben ihr reiten und sich zu ihr hinüberbeugen. Genau so war es gewesen!

»Dorette!« wollte er rufen und zu ihr hinstürzen. Sie bemerkte ihn und hob die Hand, um ihm zuzuwinken. Gestern war er ihr Trauzeuge gewesen. Heute trafen sie sich auf einer Gesellschaft wieder. Nichts war inzwischen geschehen. Es war die harmloseste Situation von der Welt. Sie schlug die Augen auf und winkte ihm zu wie einem alten Freund. Sie erwartete nicht einmal, daß er zu ihr trat. Was konnte zwischen ihnen zu besprechen sein. Wußte sie denn nicht, was geschehen war? Hatte sie keine Ahnung von dem, was alle sich zuflüsterten? Abercron ist pleite! Sah sie nicht das höllische Fest ringsum? Aber sie hatte sich schon wieder zu ihrem Nachbarn zurückgewendet, als sagte sie: »Verzeihen Sie die Unterbrechung! Sie erzählten gerade so amüsant!«

Er stutzte und sah sich scheu um. Niemand bekümmerte sich um den andern. Gerade setzte im Nebenzimmer die Musik mit einem Tango ein. Paare schoben sich nach vorn, um zu tanzen. Alles drängte sich in dem schmalen Gang zwischen den Sitzen. Im Vorüberzwängen tauschte man Küsse und Umarmungen aus. Susannchen mit dem Perlenschmuck tauchte unter den hochgehobenen Armen auf und suchte nach Abercron. »Abercron! Abercron! Wo bleibst du? Du gehörst mir doch heute!« Sie strebte mit ausgebreiteten Armen an Steegen vorbei. Der drehte sich um und sah, daß Abercron gerade hinter ihm stand.

»Steegen!« rief der Industrielle entsetzt. »Wo kommen Sie her? Gehen Sie in das rote Zimmer hinter dem Speisesaal!«

»Ach, laßt die Faxen heut!« rief Susannchen und schob den dicken Riesen fort.

In das rote Zimmer hinter dem Speisesaal, wiederholte Steegen mechanisch. Er wurde von den übrigen mit fortgedrängt und hatte Mühe, sich zurückzuwinden. Noch immer saß Dorette in ihrem Sessel und hörte lächelnd zu, wie Herr Schwarzer auf sie einsprach. »Einen Augenblick, gnädige Frau!« Sie sah ihn verwundert an.

»Professor Stüwe ist verhaftet. Sie müssen fliehen!«

»Wieso?« fragte sie. Ihre Miene veränderte sich nicht im geringsten.

»Stüwe hat gestanden!« Es war, als ob er ihr selber die Anklage des Mordes ins Gesicht schleuderte.

»Ich verstehe nicht.«

»Es ist heraus. Stüwe hat Blankenhorn erschossen. Sie müssen jeden Augenblick wegen Beihilfe verhaftet werden.« Trotz seiner Erregung sprach er ganz leise. Herr Schwarzer hatte sich einige Schritte zurückgezogen und spielte mit den Schnüren des Fenstervorhangs.

»Das ist nicht wahr! Stüwe hat Blankenhorn nicht erschossen!« Sie sagte das mit eisiger Ruhe.

»Wer hat es denn getan? Dorette, antworte mir! Wer hat es getan?«

»Du selbst hast Blankenhorn erschossen!«

»Dorette, ich schwöre dir bei allem, daß ich es nicht war!«

Sie zuckte die Achseln. »Ich habe Mitleid mir dir gehabt«, sagte sie leise. »Ich habe dich damals nicht verraten wollen, weil ich dich gern hatte. Aber wenn ein Unschuldiger deinetwegen verurteilt wird, werde ich aussagen. Verlasse dich darauf!«

»Dorette!« rief er erstaunt aus. »Um Gottes willen, Dorette!« Aber sie hatte sich bereits abgewendet. Er stand allein auf einem verlassenen Raum von einigen Quadratmetern, aber es war, als wenn er sich in einer Wüste befand, so fern war alles. Er machte einige Schritte. Das rote Zimmer hinter dem Speisesaal, wiederholte er. Er ging wie im Traum. Die breite Doppeltür stand offen. In dem Speisesaal war kein Mensch zu sehen. Die Stühle neben den langen Tafeln standen durcheinander. Dort hatte er damals gesessen, und auf jenem Stuhl Dorette. Und ihre Blicke hatten sich gekreuzt. Und dort, an dem Schreibtisch hinter den Akten, war der Kopf Abercrons aufgetaucht. Und sie hatten beide auf ihn gesehen, und ganz, ganz tief in ihren Gedanken, in einer Schicht, die vielleicht weit unter allem Bewußtsein lag, hatten sie beide auf Abercrons Stirn das kleine rote Wundmal Blankenhorns gesehen. Und sie hatten, ohne sich anzublicken, jeder sein Glas erhoben und sich zugetrunken. So war es doch gewesen!

Er durchquerte mit taumelnden Schritten den weiten Raum. An der entgegengesetzten Seite stand eine kleine Tapetentür offen. Dort mußte das rote Zimmer sein, in das Abercron ihn geschickt hatte. Er ging hinein. Das Zimmer war klein und schmal. Wenige Möbel standen darin. Auf einem Tisch war ein kaltes Büfett aufgebaut, daneben stand ein Dutzend Flaschen mit altem Bordeaux, von denen bereits vier geleert waren. Offenbar hatte sich Abercron hier eine kleine Privatburg errichtet.

Plötzlich fühlte Steegen, daß der Hunger in seinem Gedärm rumorte. Er hatte seit dem Frühstück in der Försterei nichts mehr zu sich genommen. Er riß ein Kotelett in Aspik von einer Schüssel, schlang es in sich hinein und warf den Knochen in weitem Schwung in den Papierkorb. Stallmeistersitten! dachte er mit einem bitteren Lächeln. Er ließ ein zweites und ein drittes folgen und fühlte auf einmal eine fast behagliche Laune in sich aufkommen, ein Übergewicht über Abercron, der jeden Augenblick hier erscheinen mußte.

»Lassen Sie es sich schmecken. Bester!« hörte er Abercrons Stimme. »Und trinken Sie vor allem von diesem fabelhaften Gewächs. Wie Sie sehen, habe ich heute darin schon allerhand geleistet. Sekt ist für die Weiber und ihre Knechte. Die Aufgabe des Weins ist, rot zu sein.«

Er schenkte zwei Gläser voll. Sie saßen sich gegenüber. »Tolles Gewächs, was? Es geht doch noch über den Pouillac, den wir bei Horcher nachsetzten, was? Wie lange ist das her? Zwei Tage! Komische Zeitrechnung!« Die Stimme hatte das dumpfe Grollen verloren, das einer ganzen Gesellschaft Furcht einflößen konnte. Der Mann vor ihm war erledigt. Es war auf einmal etwas Subalternes an ihm, das sich mit Lebemannsgesten spreizte.

»Sie sind 26. Husar gewesen, nicht?« fing Abercron wieder in seiner Weise an. »Verzeihen Sie, ich hatte Sie zuerst so für einen Stallmeister gehalten. Und Sie heißen sogar anders, nicht? Sie sind adlig, glaub' ich? Das freut mich. Komisch, daß mich das freut. Aber man steht anders zueinander, was?«

»Herr!«, Steegen unterbrach Abercron ernst, »ich bin eigentlich hierhergekommen, um Sie zu warnen.«

»Mich zu warnen?« lachte der Industrielle. »Das ist köstlich. Wovor wollen Sie mich warnen? Aber schießen Sie los!«

»Reiten Sie niemals den Braunen! Und wenn Sie ihn reiten, springen Sie niemals mit ihm! Niemals! Hören Sie!«

Abercron lachte aus vollem Halse. Steegen fürchtete, daß die Leute herbeigestürzt kommen würden. Aber die Geräusche des Gelages waren zu laut. Plötzlich brach Abercron ab. »Es ist gut«, sagte er. »Sie warnen mich. Haben Sie gesehen, was mir Dorette ist? Ich habe sie gezwungen, heute in meinen Schweinestall zu kommen. Ich habe eigenhändig Susannchen den Perlenschmuck umgehängt, und Dorette gezwungen, sie an der Tafel mit einem Kuß als Freundin des Hauses zu begrüßen. Das habe ich getan! Und Sie wollen mich warnen? Sie denken, ich weiß nicht, daß mein Freund Schwarzer den Braunen dressiert, mich abzuwerfen? Sie denken, ich weiß nicht, daß Sie in den Bund wegen alter Verdienste um meinen Vorgänger Blankenhorn aufgenommen werden sollten? Besinnen Sie sich, daß ich Ihnen bei Horcher einen Vortrag hielt? Ich habe Ihnen damals gesagt, daß ich es im Augenblick merken werde, wenn Dorette es nicht ehrlich mit mir meint. Eine halbe Stunde nach der Hochzeit habe ich es gemerkt.« Plötzlich bog sich seine Stimme um. Es war ein unterdrücktes Vorstürzen von Tränen, ein Übergurgeln von Empfindungen. »Habe ich es gemerkt«, fuhr er fort, »daß mich Dorette nicht liebte, niemals geliebt hat! Es war alles Lüge gewesen!« Die Stimme wollte es herausschreien, aber sie trug den Ton nicht und erstickte unter den inneren Erschütterungen.

»Ich habe keine Beweise«, fuhr er nach einer Weile fort, »nicht den Schatten eines Beweises. Zwei falsche Wechsel wurden meiner Bank präsentiert. Einer auf vierzigtausend, einer auf siebzigtausend. Ich habe sie diskontieren lassen. Meine Unterschrift war haargenau nachgemacht. Es war meine Schrift, wie ich meine beiden Briefe an Dorette unterschrieben habe. Was sagen Sie nun? Briefe, mit denen ich mein Herz in ihre Hände gab! Sie dienten dazu, falsche Wechsel auf meinen Namen in die Welt zu setzen!« Er stierte mit abwesendem Ausdruck vor sich hin. »Die beiden Briefe!« gurgelte er.

Plötzlich hob er den Kopf und lachte von neuem. »Und Sie wollen mich warnen!«

»Herr Abercron«, unterbrach Steegen. »Sie sind ein ruinierter Mann, wie ich gehört habe.«

»Ja, ich bin ruiniert!«

»Infolge dieser Wechsel?«

Abercron verfiel wieder in sein dröhnendes Lachen. »Infolge dieser Wechselchen? Nein, mein Lieber! Börse, falsche Spekulationen, zu hohe Engagements! Das ging um Millionen! Mir machte das alles keinen Spaß mehr. Verstehen Sie? Ich will nicht mehr!«

»Herr Abercron, die Geschichte von den beiden Wechseln ist gelogen!«

»Nein, sie ist nicht gelogen. Ich glaube, daß Schwarzer die Unterschriften gefälscht hat, um das Geld Dorette zu geben. Er wollte für Dorette noch etwas wenigstens herausholen. Es ist ihm gelungen. Einhundertzehntausend Mark. Wieviel er davon Dorette gibt, weiß ich nicht. Ich habe jedenfalls im letzten Augenblick die Wechsel diskontieren lassen. Drei Stunden später war es vorbei.«

Sie saßen sich gegenüber, und wie auf Verabredung hoben sie gleichzeitig die Gläser und schlürften vor Erschöpfung diesen edlen Wein ein. Abercron sank von neuem zurück und hielt die Hände vor sein Gesicht. »Glauben Sie, daß es mit Blankenhorn anders war?« fragte er nach einer Weile. »Ich wußte alles. Gestern waren wir in Swantemühl.« Plötzlich winkte er mit der Hand. »Gehen Sie, Herr von Steegen, oder wie Sie heißen! Gehen Sie fort!«

Steegen erhob sich, machte eine stumme Verbeugung und ging langsam aus dem Zimmer. Von dem leeren Speisesaal konnte man geradeaus in die Diele gelangen. Als er die Tür in der Hand hielt, warf er einen Blick in das Herrenzimmer zurück. Dort saß noch immer in der Fensternische Dorette neben Herrn Schwarzer. Er bemerkte, daß sie auf sein Zurückkommen gewartet hatte. Als sie ihn sah, erhob sie sich und kam ihm nach. Nach zwei Schritten hatte sie ihn draußen eingeholt.

»Du gehst?« fragte sie.

»Was nun, Dorette?« fragte er zurück.

Sie nahm ihm die bunte Kappe vom Kopf, die er vergessen hatte. Es war wie eine leichte Liebkosung. »Was nun? Du weißt jetzt alles!«

»Ja!«

»Du weißt, daß Abercron ein Betrüger ist?«

Er lachte bitter auf.

»Ich werde trotzdem bei ihm bleiben. Genau, wie ich bei Blankenhorn geblieben bin!«

Einen Augenblick war er bereit, ihr alles zu glauben. Sollte es möglich sein, daß Abercron in dieser Stunde log? Er dachte an die gefälschten Unterschriften. »Du wirst auch in diesem Falle nicht lange Gelegenheit dazu haben!« sagte er kalt und wandte sich ab.

»Rolf!« rief sie ihm nach. Er aber ließ sich bereits von dem Mädchen seine Sachen herausgeben. Sie ging langsam in das Zimmer zurück. Er wollte ihr nachgehen, unterließ es aber und trat auf die Straße hinaus.


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