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9

Die übrigen Gäste hatten das Lokal verlassen. Der Kellner umstrich verlegen den letzten Tisch. »Kommen Sie«, sagte Abercron und erhob sich schwerfällig. Er zahlte schon stehend. Der Chauffeur draußen war eingeschlafen. »Ich fahre Sie nach Hause. Wo wohnen Sie? Kantstraße?«

Steegen sah nach der Uhr. Es war ein Viertel auf zwei. Bis drei konnte er Dorette in der Bar finden. Auch heute würde sie dort sein, zum letztenmal für lange Zeit. Morgen reiste sie mit Abercron irgendwo in den Süden, und wenn sie zurückkam, würde sie in der Hildebrandtschen Privatstraße wohnen. Merkwürdig dieser Wechsel zwischen Schlössern und möblierten Zimmern!

Das Auto glitt fast geräuschlos durch die Straßen und um die Ecken. In wenigen Augenblicken waren sie da. Die Kantstraße lag ausgestorben. Die schwachbeleuchteten Häuserfassaden verloren sich nach obenhin in ein dunkel gebauschtes Nichts. Steegen stieg aus. »Morgen um zehn Uhr Standesamt!« erinnerte Abercron. Steegen schloß die Haustür auf. Das Auto stand noch da. Abercron schien halten zu wollen, bis der Stallmeister in der dunklen Öffnung verschwunden war, Weshalb eigentlich? Steegen blieb innen stehen und wartete auf das Geräusch des abfahrenden Wagens. Nichts erfolgte. Ob Abercron ahnte, daß er in dieser Nacht noch Dorette treffen wollte? Wollte Abercron ihn abfassen, wie er nach wenigen Augenblicken aus der Tür heraustrat? Durch das Schlüsselloch sah er das Licht des abgeblendeten Scheinwerfers auf dem Pflaster spielen, und wenn er genau hinhörte, war das surrende Geräusch des Motors zu hören. Daß es dem da draußen nicht langweilig wurde! Glaubte Abercron denn, daß etwas zwischen ihm und Dorette spielte? Aber davon wußte niemand etwas. Nicht einmal Karla und Sabine ahnten es. Oder doch Sabine?

Eine halbe Stunde hatte er noch Zeit, dann war es zu spät. Abercron mußte doch jeden Augenblick fortfahren! Steegen lehnte sich müde gegen die Wand. Ein anstrengender Tag lag hinter ihm. Er hatte Sabine besucht, er hatte mit dem Rechtsanwalt gesprochen, er hatte den Brief von Engelke erhalten. Jedes einzelne Ereignis hatte an seinen Nerven gefressen. Heute nachmittag hatte er schon beim Springen den Kopf verloren. Wer garantierte ihm, daß seine Nerven nicht überhaupt aufhörten zu funktionieren. Dann würde er morgen oder in drei Wochen beim Springen stürzen und sich irgendein Glied oder am besten das Genick brechen. Mit kaputten Nerven konnte er im Leben nichts anfangen. Aber was konnte er überhaupt anfangen? Er hatte auf Dorette gewartet. Dorette war gekommen und lachte ihn aus. Was nun? Es war nichts mit Dorette. »Wenn du ganz artig bist!« hörte er sie sagen. Was heißt das: wenn du ganz artig bist!? Sollte er dafür sorgen, daß Abercron beim Reiten verunglückte? Dann würde sie Geld haben, viel Geld! Auch bei Blankenhorn hatte sie gedacht, daß sie viel Geld haben würde. Die Lebensversicherung war auf ihren Namen ausgestellt gewesen. Das war einfach nicht wahr, daß sie von der Verpfändung gewußt hatte. Das hatte sie später erfunden, um jeden Verdacht von sich abzuwälzen. Diesmal aber, bei Abercron, würde sie sicher viel Geld haben, und diesmal würde sie ihn belohnen. Sie hatte es ihm versprochen! Hatte sie es ihm etwa nicht versprochen? »Wenn du ganz artig bist!« Er konnte es dann vielleicht so einrichten, daß sie ein Kind von ihm bekam. Dann war sie ihm verfallen. Ein Kind! Er mußte an ihr Kind denken. Von wem stammte dieses Kind? Von Blankenhorn etwa? Oder von jenem andern, von dem er noch immer nichts wußte? Von dem, der seinen Plan im letzten Augenblick durchkreuzt hatte?

Er zwang sich nachzudenken, um die Zeit hinzubringen. Dort draußen hielt Abercron immer noch mit seinem Wagen. Das Licht spielte auf dem Pflaster. Wie lange wollte der auf ihn warten? Was machte es denn aus, wenn er nochmals auf die Straße heraustrat? Er hatte einfach eine Karte einzustecken! Jawohl, die Karte an Engelke! Sie befand sich noch immer in seiner Tasche. Er nahm sie in die Hand. Abercron mußte ihm glauben, daß er noch schnell eine eilige Karte in den Kasten trug. Er konnte sie ihm zeigen.

Mit kurzem Entschluß öffnete er die Tür. Kein Auto weit und breit. Es war das Licht der Laterne, das ihn getäuscht hatte. Abercrons Wagen mußte unmittelbar, nachdem er in die Tür getreten war, mit seinem lautlosen Gang fortgerollt sein. Er hatte Gespenster gesehen. Aber gerade das beängstigte ihn noch mehr. Die Zuverlässigkeit seiner Sinne war fraglich geworden. Es waren Gefahren da. Was sollte daraus werden, wenn er nicht mehr abschätzen konnte, von welcher Seite sie kamen? Wenn er noch auf die schlürfenden Schritte im Gang hinhorchte, während ihm schon die Kehle zugedrückt wurde!

Wieder sah er nach der Uhr. Es war jetzt zwanzig Minuten nach zwei. Er mußte sich beeilen. Er lief fast bis zur nächsten Straßenecke, warf im Vorübergehen die Karte in einen Kasten und rief eine Taxe an. Zehn Minuten später stand er vor der Tür der »Vitrine«. Die roten Buchstaben des verhängten Fensters glommen in dunkelrotem Licht. Er trat ein.

Wie damals saß die ältliche Inhaberin mit ihrer Häkelarbeit hinter der Tonbank. Auf den hohen Stühlen hockten zwei Herren und vier Damen. Gegen zwanzig Menschen saßen unter den gelben Lampenschirmen und führten leise Gespräche. Der weißgekleidete Kellner stand unter einem Rabitzbogen, der nach romanischer Kirche aussah, und gähnte. Dorette war nirgends zu sehen.

Steegen erblaßte fast bei dieser Feststellung. Natürlich, es war fast selbstverständlich, daß sie heute, am Vorabend ihrer Trauung, dieses Lokal vermied, und es war nicht die leiseste Andeutung gefallen, daß er sie hier antreffen würde. Aber irgendwie verwirrte es ihn. Was wollte er eigentlich heute von Dorette? Er mußte ihr von Holtens Entdeckungen Mitteilung machen, ihr jedes Wort seiner Unterredung mit Abercron berichten! Verabredungen für die Zukunft treffen! Kurzum, es war nötig, daß sie sich heute noch einmal sprachen. Er konnte ihr von seinem Besuch bei Sabine erzählen, ja, er mußte es. Dorette wußte nichts von dem Zerwürfnis zwischen Sabine und ihrer Schwester. Das alles war wichtig! Und überhaupt, man wollte mit Dorette noch einmal an einem kleinen Tisch sitzen und mit ihr sprechen. Man hatte sie dann vor sich, sie gehörte einem. Es war fast, als wenn man sie in den Armen hielt.

»He, Herr Steegen!« rief eine Stimme. Rolf Steegen drehte sich um. In der Nische saß Professor Stüwe, hielt die Augen hinter der großen Hornbrille versteckt und winkte. Steegen setzte sich zu ihm. Er wußte nicht, weshalb er das tat. Vielleicht aus Erschöpfung. Groß und bleich ragte das zerklüftete Gesicht des Bildhauers aus dem Halbdunkel des Raums vor ihm auf.

»Steegen, der Mann des Feierabends!« sagte Stüwe, auf die Bronze Sabine Blankenhorns anspielend. »Unser Phantom, aus Luft geballt und goldnem Seidenhaar, läßt uns heute im Stich!«

»Sie meinen: Frau Blankenhorn!«

»Frau Blankenhorn! Frau Abercron! Kurzum Dorette! Ich hoffe immer noch, sie vor der großen Umwandlung hier anschauen zu dürfen. Das ist eine Frau zum Anschauen, müssen Sie wissen. Und wenn Sie es noch nicht wissen, werden Sie eines Tages todunglücklich sein. Ich schaue sie an und bin glücklich.«

Steegen sah erstaunt in das Gesicht des Bildhauers, das nicht im mindesten den Ausdruck des Glücks zeigte. Dieser Mann war von inneren Bränden zerfressen.

»Kellner, eine Mischung Dorette! Sie trinken doch auch Dorettes köstliche Mischung mit, Herr Steegen!«

Der nickte. Der Kellner brachte den Sekt und die Bierkanne. Professor Stüwe schenkte ein. Sein Gesicht, das für Augenblicke erloschen war, belebte sich wieder. »Die Menschen halten Dorette für lasterhaft«, fuhr er fort, und es war klar, daß er lediglich zu sich selber sprach. »Aber sie ist nicht lasterhaft. Sie ist eine stille kleine Frau, die ihre Zofe und ihr französisches Parfüm haben will. Nichts weiter. Dorette will nichts von mir wissen, aber das ist gleichgültig. Ich weiß alles von ihr, und darauf kommt es an. Ich bin des Mysteriums der geistigen Vereinigung mit ihr ständig teilhaftig. Sie ist eine stille kleine und ganz gewöhnliche Frau. Nur wir geheimnissen in sie hinein. Habe ich nicht recht? Wir müssen unsre Weltgeheimnisse in sie hineinlegen. Sie ist das Urgesicht, das Idol in Wolken, das Phantom, die Sphinx. Aber diese Sphinx hat keine Rätsel, meine Herren. Es ist nur eine hübsche kleine Larve, was uns so aufregt. Der Herr Blankenhorn war kein übler Mann. Aber da ist die süße kleine Frau neben ihm, und auf einmal muß er zum Teufel werden. Und in einigen Wochen wird Herr Abercron ein Teufel sein. Wollen wir wetten?«

»Erlauben Sie, Herr Professor, Blankenhorn war ein gemeiner Schuft, und Abercron wird stets ein anständiger Kerl bleiben.«

»Da haben wir's, da haben wir's!« triumphierte der Bildhauer. »Wir wollen uns in zwei Wochen sprechen.«

»In zwei Wochen werden die beiden noch nicht aus Sizilien zurück sein. Sie wollten sechs Wochen fortbleiben.«

»Ach du mein lieber Gott, was Sie schlau sind, Mann des Abendfriedens! In zehn Tagen findet der große Termin in dem Prozeß statt. Dorette muß unweigerlich dabei sein. In Florenz wird die Depesche von ihrem Rechtsanwalt kommen, und sie muß umkehren. Dann heißt es für Abercron, ein paar tausend Mark Prozeßgebühren auf den Tisch legen, und die Ehe wird schon ganz anders aussehen. Das wissen Sie alles nicht, was? Dorette soll leben!« Er leerte das große Porterglas in einem Zug.

Das war es also: Deshalb mußte die Heirat in dieser Woche abgeschlossen werden, weil Dorette Geld brauchte. Aber wofür brauchte sie das Geld? Um die Ansprüche ihres Sohnes auf Swantemühl durchzusetzen! Vielleicht war sie wirklich nur eine »stille kleine Frau«, die einen ruhigen Platz im Leben suchte und nichts weiter.

»Sie tut mir leid!« sagte Steegen.

»Ah, leid tun!« Der Bildhauer schlug die Augen auf. Merkwürdig tiefliegende Augen, unter denen sich bereits große Tränensäcke gebildet hatten. »Was heißt leid tun! Kann einem jemand leid tun, der die größten Seligkeiten der Welt zu verschenken hat? Das muß ein merkwürdiges Gefühl sein: Hier habe ich Arme! Hundert Männer würden Leben und Vermögen darum geben, von diesen Armen umschlungen zu werden! Hier habe ich einen Mund! Hundert Männer und so weiter wollen ihre mehr oder weniger gepflegten Zähne darauf drücken! Das muß merkwürdig sein, mit einem solchen Bewußtsein zu leben! Was für Bestien würden Sie und ich werden, wenn man uns in diese Lage brächte, was? Aber dieser Frau sind diese furchtbaren Waffen nur lästig. Sie verabscheut die rasante Fernwirkung dieser Kruppkanonen, die unaufhörlich arbeiten und die Reihen mit ihrem Eisenhagel niedermähen. Kühnes Bild, was?« Der Bildhauer mußte plötzlich auflachen, überwältigt von der Groteske seiner Worte. Er lehnte sich in den Stuhl zurück und lachte schallend. Der Häkelhaken der Inhaberin klopfte energisch auf.

»Sei still, alte Ziege!« fuhr er leiser fort. »Wir sind hier nämlich in einer Leichenhalle, einem Leichenschauhaus, müssen Sie wissen. Da ist man leise. Alle, die wir hier sitzen, sind quasi beurlaubte Leichen.« Plötzlich riß er sich zusammen. »Sagen Sie, Herr Steegen, Sie waren neulich mit meiner Frau zusammen?«

»Ich traf Ihre Frau Gemahlin auf der Straße.«

»Sagte sie was von – Ich meine, haben Sie mit ihr über alles mögliche gesprochen? Über mich und Dorette und über die Swantemühler Geschichte?«

»Nicht ein Wort!«

»Da geht jetzt doch der große Kladderadatsch los. Wir sind mit Sabine böse. Wissen Sie etwas darüber?«

»Nur die Tatsache, und die hat mir Fräulein Sabine selbst mitgeteilt.«

»Sie waren mit Sabine zusammen?« fuhr Stüwe auf. »Erzählen Sie von Sabine!« Er schwieg und stierte Steegen ins Gesicht, der ihm das Notwendigste über seinen Besuch in dem Atelier mitteilte. »Ja«, sagte er endlich, »Sie Glücklicher! Sabine hat Sie geliebt und liebt Sie womöglich noch. Sie waren der schöngewachsene dunkeläugige Mann, der mit der heimlich angebeteten Dorette flirtete und das kleine Mädchen nicht im geringsten beachtete. Kleine Mädchen sind sehr empfänglich dafür, daß man sie nicht beachtet.«

»Was Sie nun reden, ist vollendeter Unsinn, Herr Professor. Fräulein Sabine hat nie daran gedacht, sich in mich zu verlieben.«

»Wie Sie wollen, mein Herr. Aber wissen Sie, was Sie tun können? Sie können Sabine und ihre Großmutter gelegentlich besuchen. Sie werden gut aufgenommen, auf mein Wort! Karla und ich möchten wissen, was dort gespielt wird, verstehen Sie? Es ist kein Geheimnis. Man würde es mit uns besprechen, aber das geht nun einmal nicht mehr. Man nimmt mir die Geschichte mit Dorette übel, wissen Sie. Aber ich brauche Dorette für meine Arbeit. Ich muß den großen Brunnen machen! Das Sphinxgesicht, wissen Sie! Das Idol in Wolken, das Wasser speit!«

»Feierabend, meine Herrschaften!« rief die Inhaberin durch das Lokal und klopfte mit dem Häkelhaken auf den Tisch. Die Bardame schloß geräuschvoll die Flaschen fort, der Kellner suchte zu kassieren, die Hälfte der Lampen erlosch. Auf einmal tat sich die Außentür auf, und Dorette kam herein. Ihre Augen suchten in dem Dunkel.

»Gott sei Dank, da sind Sie noch!« rief sie und trat auf Steegen zu.

»Kommen Sie von Herrn Schwarzer?« fragte der erstaunt.

»Ich komme immer von jemand anderem«, lächelte sie. »Diesmal war es meine Schneiderin, die noch bis morgen früh für mich zu tun hat. – Seien Sie vernünftig, Stüwe, und gehen Sie nach Hause!« wandte sie sich an den Bildhauer.

Bei ihrem Eintritt war das Gesicht des Professors wieder auf eine merkwürdige Weise erloschen. Es lag wie ein Schleier über seinen Zügen, der ironische Blitz in den Augen war verschwunden. Er machte den Eindruck eines Betrunkenen. Es war, als wollte er in Dorettes Gegenwart jede Spur von Selbstbewußtsein abwerfen. Steegen bestaunte das Wunder dieser merkwürdigen Verwandlung.

»Drei Uhr, meine Herrschaften! Polizeistunde!« rief die Inhaberin von dem Bartisch her und zog ein altmodisches Jackett mit Puffärmeln über die gestreifte Wollbluse.

»Kommen Sie!« forderte Dorette den Stallmeister auf. »Sie müssen mir alles erzählen! Gehen Sie nach Hause, Stüwe!«

Draußen schlug der Bildhauer den Rockkragen hoch und entfernte sich schweigend mit unsicheren Schritten.

»Wer – wer ist dieser Mann?« fragte Steegen.

Sie sah ihm nach, wie er um die nächste Ecke ging. »Ein großer Künstler!« sagte sie. Er wurde nicht daraus klug, ob sie es ernsthaft meinte. Sie gingen nebeneinander durch die dunkle Straße. Unendlich viel war zu besprechen und zu bedenken. Gegen die nahe Zukunft, die nach wenigen Morgenstunden begann, drängte sich die Vergangenheit, deren Wolken dunkel über ihren Häuptern hingen. Die wenigen hundert Schritte dieses Ganges waren vollgepreßt von Erwartung. Dennoch ließ ihn das Bild dieses merkwürdigen Mannes nicht los. Er beneidete ihn um die spielerische Verzweiflung, in die er seine Leidenschaft hineingeflüchtet hatte. Der konnte wie ein trunkner Silen durch die Straßen taumeln, seinen Gesichten hingegeben, indes er selbst nur ein etwas ernster dunkler Mann im korrekten Mantel und schwarzen steifen Hut war, gepeinigt wie jener, aber ohne dessen Möglichkeiten, sich auszudrücken.

»Wird die Trauung morgen stattfinden?« fragte Dorette.

»Ich denke, ja.«

»Kannst du mir Geld borgen? Hundert Mark, dreißig Mark, gleichgültig wieviel!«

»Ich kann dir etwa fünfzig Mark geben.«

»Das ist gut, ich habe noch sechzig Pfennig bei mir.«

»Dorette, liebst du diesen Menschen?«

»Wen?«

»Abercron!«

Sie lachte auf. »Nein, natürlich nicht! Wie kommst du darauf? Du weißt doch, wen ich liebe!«

»Er denkt aber, daß du ihn liebst!«

Sie zuckte die Achseln. »Ich werde alles tun, was er will. Er soll es nie vermissen, daß ich ihn nicht liebe. Er kann mit mir glücklich werden. Es liegt an ihm.«

»Aber du mußt ihn schon in wenigen Tagen um eine größere Summe angehen. Dann wird er merken, weswegen du ihn geheiratet hast.«

»Ich brauche zehntausend Mark. Jemand müßte mir zehntausend Mark geben. Dann wäre alles gut.«

»Wegen des Prozesses?«

»Ja, wegen des Prozesses.«

»Dorette, du warst jetzt nicht bei deiner Schneiderin. Du wolltest dir die zehntausend Mark besorgen.«

»Vielleicht wollte ich mir das Geld besorgen.«

»Aber du hast es nicht bekommen?«

»Nein.«

»Konntest du nicht offen zu Abercron sein?«

»Du bist ein Kind! Weißt du nicht, daß Geld bei reichen Männern der wunde Punkt ist? Er hätte mir Geld gegeben, und ich hätte vielleicht drei Monate lang Blümchens Perlenkollier tragen können. Danke!«

»Und diesen Prozeß mußt du führen?«

»Ja.«

»Sage, Dorette: Ist das Kind wirklich von Blankenhorn?«

»So wahr ich hier neben dir gehe! Es kann von niemand anderm sein!«

Sie gingen schweigend nebeneinander her. Der Kampf der Geschlechter war zwischen ihnen zur Ruhe gebracht. In diesem Augenblick waren sie nur zwei Bundesgenossen, die sich brauchten.

»Sag, Dorette, wie wird es nun werden?« fing er nach einer Weile an.

»Es soll alles gut werden, Rolf. Bei Gott, Rolf! Ich will nur ein Leben haben wie andre Frauen, da ich schon nicht bei dir sein kann. Ich hätte auch Blankenhorn weiter ertragen, noch viele Jahre lang hätte ich alles weiter ertragen. Du weißt ja nicht, was ich dort gelitten habe.«

»Du hast zu viel dort gelitten«, sagte er finster. »Es ging nicht mehr!«

»Es ging nicht mehr!« Plötzlich hing sie sich an seinen Arm. »Rolf, wirst du mir helfen? Wirst du mir immer helfen?«

»Ja, Dorette!«

Sie schwiegen eine Weile. Ihre Schritte waren das einzige Geräusch weit und breit. »Du hast heute mit Holten gesprochen?« begann sie auf einmal.

»Ja, er hat mir alles gesagt.«

»Hat er die Spuren entdeckt?«

»Ja, er hat alles entdeckt. Die durchbrochene Wand und das losgelöste Brett des Bücherregals.«

Sie starrte ihn schreckensbleich an. »So weiß er, wer es gewesen ist?«

»Darüber sagte er nichts. Er sagt, daß er den Mörder mit Händen greifen könnte und wiederum auch nicht.«

»Und das Gewehr?«

»Wieso das Gewehr?« fragte er.

»Blankenhorn ist mit seinem eigenen Jagdgewehr erschossen worden. Man fand dieses Gewehr in der Stube liegen.«

»Es war der Drilling.«

»Es ist festgestellt worden, daß du dieses Gewehr zum Reinigen in dein Zimmer genommen hattest.«

»Ich konnte es längst wieder in den Gewehrschrank zurückgestellt haben.«

»Karla hat aber ausgesagt, daß der Drilling nicht in dem Schrank stand, als sie an jenem Abend ihrem Vater gute Nacht sagte. Wo war das Gewehr?«

»Ich hatte es draußen an die Mauer gestellt.«

»Dann weiß Holten, daß du der Mörder bist. Und ich weiß es jetzt auch.«

»Ich bin es nicht, Dorette! Du hast vorhin Gott angerufen. Ich rufe ihn jetzt auch an. Bei Gott, Dorette, ich habe Blankenhorn nicht erschossen! Ich schwöre es dir!«

»So!« sagte sie kühl. »Dann weißt du es nicht. Aber jetzt gib mir die fünfzig Mark!« Sie hielten gerade vor ihrer Haustür.

»Du glaubst mir nicht«, beschwor er sie, während er die Scheine und Geldstücke zusammensuchte. »Dorette, weshalb glaubst du mir nicht?«

»Ich glaube dir ja.« Sie nahm das Geld in Empfang. »Fünfzig Mark?«

»Siebenundvierzig!«

»Danke!« sagte sie. »Ich gebe es dir möglichst bald zurück. Hoffentlich schon morgen.«

Eine Laterne beschien hell ihr bleiches Gesicht, aus dem alle Empfindung gewichen war. Ein nüchterner kalter Ausdruck war darin, der ihn entsetzte.

»Du weißt ja, wer der Mörder ist!« schrie er sie an. »Du weißt es besser als ich! Sage mir, wer ist es?«

»Du!« sagte sie ruhig und wandte sich ab.

Er sah, wie sie die Tür aufschloß und langsam in der Dunkelheit verschwand. Das Gewehr! dachte er. Das Gewehr konnte ihn überführen. Auf einmal spürte er den Hausschlüssel in der Tasche. Weshalb hatte er ihr den Schlüssel nicht zurückgegeben? Wenn Herrn Abercron auf der Reise oder hinterher »etwas passierte« und man den Schlüssel bei ihm fand? Er wollte ihn fortwerfen, steckte ihn aber zögernd wieder ein.


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