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6

Dorettes Hausschlüssel, den er immer bei sich trug, hätte ihn an die drohende Situation erinnert, auch wenn von nun an nicht jeden Tag der Rechtsanwalt aufgetaucht wäre, um ihn durch seine bloße Erscheinung an das Vergangene zu mahnen. Sonst hätte Steegen wohl wie der Vogel Strauß den Kopf in den Sand gesteckt, um zu vergessen. Man konnte kaum etwas anderes tun, oder allenfalls Sabine aufsuchen. Er dachte an Sabine. Weshalb hatte sie die kleine Plastik von ihm verfertigt? Er argwöhnte eine bösartige Absicht dahinter. Oder war es nur der Tribut der Erinnerung an ein verlorenes Jugendparadies?

Sabine mußte ganz in der Nähe sein. Sie hatte ein Atelier in der Akademie. Er fragte eine Reitschülerin danach. Die Meisterschülerateliers in der Akademie sollten sich irgendwo bei der Hochschule in der Hardenbergstraße befinden. Merkwürdig, daß er Sabine noch nie getroffen hatte. Vielleicht gingen sie am Tag dreimal dicht aneinander vorüber.

Jeden Morgen wurde der Rappe des Rechtsanwalts herausgeführt. Leider wechselte van Holten die Stunde. Immer stand er auf einmal unvermutet irgendwo da, rauchte eine Zigarette und sah prüfend die Pferde an. Dann beschäftigte Steegen sich an einer entfernten Stelle des Hofes, ging in den Stall und gab Anordnungen oder stieg in Eile auf und ritt fort. Manchmal grüßten sie sich von weitem.

Einige Male brachte der Reitknecht Abercrons großen Schimmel mit. Dann dauerte es nicht lange, und der Industrielle selbst kam in seinem Kabriolett angefahren, um mitzureiten. Der dicke Mann ließ sich in die Höhe werfen und fiel bei jedem Schritt schwer in den Sattel zurück. Steegen betrachtete ihn verstohlen von der Seite. Er suchte wiederum nach Ähnlichkeiten mit Herrn Blankenhorn und entdeckte plötzlich, daß Abercron im Grunde ganz anders war: Abercron hatte keineswegs das robuste Zutrauen des Herrn Blankenhorn zu sich selbst. Er ritt, um seine Unsicherheit zu betäuben. Seine vielen Geschäfte schienen nur vorgetäuscht, um sich jeden Augenblick hinter eine Kulisse zurückziehen zu können. Und vielleicht hatte er auch vor Dorette Angst!

»Na?« sagte Abercron einmal zu ihm, »sind Sie nicht in Swantemühl Frau Blankenhorns Reitpage gewesen?« Es war das erstemal, daß er von Dorette sprach. Die Worte kamen infolge des unruhigen Trabens schwer und gestöhnt heraus.

»Ich bin öfter mit Frau Blankenhorn geritten.«

Aber Herr Abercron sagte nichts mehr. In der Entfernung ritt der Rechtsanwalt vorbei und grüßte. Steegen hatte das Gefühl, daß sich Schlingen um seinen Hals legten. Weshalb sagte van Holten nicht, worin die Spuren bestanden, die er entdeckt hatte? Die Nachforschungen mußten auf dem toten Punkt angekommen sein. Oder der Rechtsanwalt wollte ihn zwingen, ihn anzusprechen. Wer wird es länger aushalten? Ich werde dich in die Enge treiben, bis du von selbst zu mir kommst! So konnte van Holten es vorhaben. Aber Steegen würde nicht zu ihm hingehen!

An einem Nachmittag benutzte er eine freie Stunde, um Sabines Atelier zu erkunden. Kurz entschlossen trat er durch das Tor in der Hardenbergstraße ein und fragte einen Mann, der Portier oder etwas Ähnliches zu sein schien, nach Fräulein Blankenhorn. Eigentlich war es merkwürdig, daß so dicht bei seinem Tattersall ein x-beliebiger Mann in einem großen Gebäude ihm über Sabine Auskunft geben konnte. Da war eine Welt, in der sie bekannt war, eine unübersichtliche Welt von Ateliers und Klassenräumen, langen Gängen und diskutierenden Menschen.

»Fräulein Blankenhorn?« sagte der Mann. »Das ist in den Ateliers der Akademie. Sie gehen bis zu dem nächsten Portal, dann an dem Schinkelmuseum vorüber. Dahinter liegen die Ateliers.«

»Ist das Atelier von Herrn Professor Stüwe auch dort?«

»Nein, das ist hier im Haus!«

»Danke!«

Man brauchte noch immer nicht Fräulein Blankenhorn aufzusuchen, oder doch wenigstens nicht sofort. Aber Steegen sah sich das beschriebene Portal mit den Adlerköpfen für alle Fälle an. Das kleine schlichte Haus dahinter, das nach gar nichts aussah, war also das Schinkelmuseum. Neugierig ging er weiter. Hinten lagen merkwürdige Baracken zwischen kleinen Höfen mit kümmerlichen Rasenanlagen. Figuren aus Stein und Gips standen herum. Es gab verschlossene Eingangstüren, jede mit einem Briefkasten und einer Visitenkarte darunter. Er las einige Namen und fand auf der mittleren Tür »Sabine Blankenhorn«. Auf den Briefkasten und auf die Tür war allerhand hingekritzelt. »Komme morgen vormittag. Gruß! Poldi«, fand er und schloß daraus, daß sie am Nachmittag nicht da war. Aber es war ein eigentümliches Gefühl, daß er an die Tür klopfen und sie heraustreten konnte. Hinter dieser Tür hatte er, ohne es zu ahnen, ein merkwürdiges Leben geführt. Sein Abbild war dort geformt worden, von den Lederstiefeln an bis zu den Haaren. Seine Haltung, die Nase, der Mund, alles! In grauer Tonerde hatte er dort gestanden neben Ulfilas, dem Rappen, und über die weiten Felder geblickt. Also mußten auch diese Felder hinter der Tür sein, und Karla und ganz Swantemühl und – Dorette. Alles mit seinen seltsamen und unheimlichen Verflechtungen. Alles in die Hände und die Augen dieser Sabine gegeben!

Er klopfte. Wenn sie nicht da war, würde er nie wieder hierherkommen. Er hatte Furcht vor der Begegnung. Während er die Hand sinken ließ, überschlug er, was alles sie von ihm wissen konnte. Es konnte das Entscheidende sein. Vielleicht schonte sie ihn nur, weil auch sie unter diesem Vater gelitten und ihn gehaßt hatte, wie alle. Vielleicht war das überhaupt der Grund, daß er noch frei herumlief und nicht längst in das Untersuchungsgefängnis eingesperrt war. Er wußte ja nicht, was die andern damals ausgesagt hatten. Es konnte eine schweigende Verabredung bestehen, ihn zu schonen, da er sie von diesem Mann befreit hatte. Das brauchte gar nicht bis zur Klarheit einer festen Absicht durchgedrungen zu sein. Ein leichtes Zögern, eine kleine Zurückhaltung in irgendeinem nebensächlichen Punkt konnte genügt haben. Wenn der Untersuchungsrichter zum Beispiel Sabine fragte: »Glauben Sie, daß der Verwalter den Schuß abgefeuert haben könnte?«, dann konnte sie abgewehrt haben: »Herr Steegen? Um Gottes willen! Herr Steegen hing sehr an Vater. Er war in allem seine rechte Hand!« So konnte es gewesen sein bei der alten Frau Blankenhorn, bei Karla, bei Sabine. Aus Gutmütigkeit, hinter der sich ein uneingestandenes Einverständnis verbarg. Aber wenn es so war, dann hatten sich doch alle hinter den Mörder gestellt! Dann hatten sie alle Herrn Blankenhorn umgebracht! Natürlich, so war es gewesen! Sie alle hatten Herrn Blankenhorn umgebracht. Sie alle hatten an dem Gedanken herumgebissen, daß die Lebensversicherung sie aus diesem unerträglich engen Dasein herausreißen würde. Diese Lebensversicherung, die dann schließlich längst für irgendwelche Weibergeschichten verpfändet war! Aber sie hatten alle zusammengestanden, als der Schuß gefallen war. Sie hatten alle auf die Erlösung gewartet. Vielleicht hatte sogar der Untersuchungsrichter das verstanden.

Ihm wurde frei ums Herz. Vielleicht war Sabine gar nicht seine Feindin.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Sabine stand in dem weißen Arbeitskittel vor ihm. Sie sah ihn erstaunt an. »Herr Steegen?« Sie schien über sein Kommen sogar ein wenig belustigt. Auf ihrem Gesicht, das er nur ernst und ein wenig verbissen kannte, zuckte es. »Sie haben die Plastik in einer Zeitschrift gefunden, und nun stellen Sie mich zur Rede. Kommen Sie bitte herein!«

Was war aus Sabine geworden! Ihr Gesicht hatte das kindlich Unbestimmte überwunden. Die Züge waren wie von einem großen Bildhauer durchmodelliert, weich, aber von einem beseelten Ausdruck. Ihre großen grauen Augen sahen ihn forschend an, als wollte sie ein Stück ihres eignen Lebens überschauen. Trotz des offenen Blicks war dies Gesicht irgendwie undurchdringlich. Das kastanienbraune Haar fiel in einer vollen Welle über die Stirn, als sollte sie ihren strengen Bau verdecken. Bei aller Freundlichkeit der Begrüßung schien dieses Mädchen ihr Wesen zurückzudämmen und nur eine Maske darzubieten.

Sie schloß die Tür hinter ihm. Er stand in dem unförmig großen Raum, den selbst die lebensgroßen Figuren in Gips und Ton nicht annähernd ausfüllten. In einer Ecke standen Tisch, Couch und zwei Sessel. Daneben gab es eine Art Anrichte mit Gaskocher und allerhand Geschirr. In dieser Ecke ließen sie sich nieder. Sabine schob ihm eine Schachtel Zigaretten hin.

»Sie wundern sich, daß ich Sie mit Ulfilas dargestellt habe?« fing sie an. »Es war eine Erinnerung an Swantemühl. Ich sah Sie, wenn ich gegen Abend durch den Park oder die Felder strich, oft auf dem kleinen Hügel neben der großen Scheune genau so neben dem Rappen stehen. Sie hoben sich wundervoll gegen den Horizont ab. Ich habe es im Gedächtnis behalten. Sie haben mich natürlich nicht bemerkt, wenn ich Sie beobachtete.« Sie sah ihn bei diesen Worten forschend an.

»Ich nahm nicht an, daß Sie mich beobachteten.«

»Nein, natürlich nahmen Sie es nicht an, und ich richtete es wohl auch ein wenig so ein, daß Sie es nicht bemerkten.«

Machte es ihr Spaß, ihn irrezuführen? Vielleicht spürte sie, daß er gekommen war, um zu erkunden, was sie von ihm und Dorette gesehen hatte, und hüllte ihre Worte absichtlich in Dunkel.

»Ich war sehr überrascht, als ich die Abbildung sah. Sie haben einen Preis auf Ihre Arbeit bekommen.«

»Als die Blätter das Bild brachten, dachte ich, daß Sie sich äußern würden. Ich habe mich vorbereitet, eine alte Schuld abzutragen. Hier, dieser Abguß gehört Ihnen.« Sie reichte ihm die kleine Bronze hinüber, die aus dem Fensterbrett stand. Er sah sie erstaunt an. »Ich habe einmal Ihr Bild aus Ihrem Zimmer gestohlen«, fuhr sie fort. »Sie hatten sich mit Ulfilas typen lassen. Das Bild hing über dem Bett in Ihrem Zimmer. Haben Sie es nicht vermißt?«

Er besann sich dunkel darauf.

»Ich habe es gestohlen. Ohne dieses Bild hätte ich die Plastik nicht ausführen können. Ich danke Ihnen also nachträglich für Ihre unfreiwillige Hilfe und bemühe mich, das Verbrechen wieder gutzumachen.«

»Dieser Abguß soll mir gehören?« fragte er zweifelnd. Er wog das Stück in der Hand. Es entzückte ihn, war ein Unterpfand des Friedens zwischen ihnen. Oder, fiel ihm drohend ein, sie wollte ihm in keiner Weise verpflichtet sein. Aber es war noch etwas anderes dabei. Ein Stück von seinem Leben hatte sich losgelöst, war zu etwas Unangreifbarem, ewig Fortbestehendem geworden, und er hielt es hier in der Hand. Zugleich spürte er diese klaren grauen Augen auf sich ruhen. »Das soll mir gehören?« fragte er noch einmal.

»Es steht seit zwei Monaten für Sie bereit.«

Er beugte sich über ihre Hand und küßte sie. »Sie wissen ja nichts von mir!« brach es unvermutet aus ihm heraus. Es war wie ein Eingeständnis, und als ob er sich ihrer Gnade empfahl.

»Vielleicht weiß ich mehr von Ihnen, als Sie denken!« sagte sie ernst.

Da war es wieder! Sie hatte ihn doch belauscht! Sie hielt ihn für den Mörder, und es war undurchschaubar, ob sie ihm helfen oder ihm die Schlinge um den Hals legen würde. Er wollte sie fragen, ob sie wirklich alles von ihm wisse. Aber was war dies »Alles«? Vielleicht hatte sie sich eine romantische Geschichte zusammenkombiniert, oder sie würde diesem Rechtsanwalt van Holten jedes seiner Worte hinterbringen. Er wollte Klarheit! Welche Spuren hatte Holten entdeckt? War er durch Holtens Entdeckung belastet? Sabine mußte es wissen!

»Ich weiß nicht, was Sie von mir wissen können, gnädiges Fräulein!« hörte er sich sagen, wobei es ihm einfiel, daß diese Fassung wieder ungeschickt und belastend sein konnte. »Jedenfalls danke ich Ihnen herzlich. Die Swantemühler Zeit war schwer für uns alle. In Ihrer Arbeit aber haben Sie alle die angenehmen und unvergeßlichen Eindrücke zusammengefaßt, die ich dort genossen habe.«

»Das ist wie eine Geburtstagsrede!« unterbrach sie ihn. »Meine kleine Arbeit hat natürlich nichts mit den Swantemühler Vorgängen zu tun. Das ist ein optischer Eindruck, den ich gehabt und wiedergegeben habe. Ich habe bei der Arbeit an dieses Ereignis überhaupt nicht gedacht. Das ist eine Sache für sich. Sie wissen, daß da ein Prozeß läuft. Unser Rechtsanwalt sagte mir, daß er mit Ihnen darüber schon gesprochen hat.«

»Ja, er ist dort gewesen und hat Spuren entdeckt.«

»Hat er Ihnen auch das gesagt? Nun gut! Sie werden auch noch einmal vernommen werden. Aber das ist ganz etwas anderes. Wir möchten nur nicht, daß Swantemühl an – meine Stiefmutter fällt, verstehen Sie. Und wenn diese Frau den Kampf darum haben will, dann werden wir um Swantemühl kämpfen, und es wird für einige Menschen schlimme Konsequenzen haben, die wir eigentlich vermeiden wollten. Sie sind doch wieder mit ihr zusammen, nicht wahr? Sie reiten die Pferde ihres jetzigen Beschützers ein, wie uns erzählt wurde?«

»Das stimmt nicht, gnädiges Fräulein! Nein, verzeihen Sie, ich habe Ihre – Frau Stiefmutter gerade einmal flüchtig gesprochen. Wirklich!« Ihm fiel im Augenblick nichts anderes ein als die albernen Ausreden. Vielleicht sollte er Sabine alles erzählen. Aber da war etwas sachlich Unerbittliches in ihrem Gesicht. Sie hätte verstanden, aber mit ihrer kühlen Überlegenheit die Situation ausgenutzt. Nicht gegen ihn, aber gegen die andre: gegen Dorette. Zum erstenmal hielt er die beiden Frauen gegeneinander. Da war Sabine, und dort war Dorette. Du mußt dich entscheiden! schien ihm jemand zuzurufen. Aber er hatte nicht mehr zu entscheiden! Er war mit jener andern Frau verflochten. Nicht nur, weil er sie geküßt hatte, sondern weil es da diese schuldhafte Verstrickung gab. Dorette hatte Blankenhorn gehaßt, und er hatte diesem Haß nachgegeben!

»Männer sind komisch!« fuhr Sabine fort. »Ich verstehe nicht, was sie an dieser Frau haben können. Es muß eine eigne Lust sein, aus dem Chaos, dem Ungeformten zu schöpfen. Oder so etwas wie die primitive Freude an Rätseln und Vexierbildern. Können Sie es mir vielleicht erklären?« Sie sah ihn ernst an. »Wirklich, es würde mich interessieren!«

Er dachte daran, wie er zu Dr. Alstrich über Dorette gesprochen hatte. War in seinen Worten nicht eine Art von Befreiung gewesen? Vielleicht unterlag man bei Dorette wirklich der Phantomwirkung einer zauberischen Fata Morgana. Aber sie war da, sie ging ins Blut.

»Ich kann Ihnen da am allerwenigsten etwas erklären«, sagte er. Auch das war schon wieder ein Verrat an Dorette.

»Es kann sein«, sagte sie. »Vielleicht wäre mein Schwager Stüwe die richtige Instanz dafür.« Sie wußte also, daß etwas zwischen dem Bildhauer und Dorette spielte?

»Ich hörte davon, daß Herr Professor Stüwe Ihr Schwager geworden ist. Stüwes wohnen in der Fasanenstraße, nicht wahr?«

Sabine sah ihn überrascht an. »Woher wissen Sie das? Sind Sie bei – Frau Blankenhorn mit Stüwe zusammengetroffen?«

»Nein, Frau Karla selbst hat es mir gesagt.«

»Wieso?« fragte sie erstaunt.

»Ach so, ja«, fuhr sie fort. »Wir sehen uns nämlich nicht viel, müssen Sie wissen. Kurzum, wir sind auseinander. Ich erkenne natürlich an, daß Karla so handeln muß, wie sie handelt. Aber Großmutter und ich müssen anders handeln.«

»Ich verstehe nicht.«

Sie dachte einen Augenblick nach. »Nein, Sie können es nicht wissen. Sie kennen auch Stüwe nicht genügend dazu. Vielleicht hat Karla schuld. Sie hätte Stüwe nicht heiraten sollen.«

»War Herr Professor Stüwe nicht Ihr Lehrer?«

»Ja, er ist ein hervorragender Künstler und ein großartiger Lehrer; aber mit solchen Eigenschaften ist man nicht immer für eine Ehe geeignet.«

»Ich weiß über diese Zusammenhänge nichts.«

»Vielleicht müßte ich Ihnen jetzt etwas sagen.« Sabine sah angestrengt vor sich hin. Der große ausdrucksvolle Mund öffnete sich leicht dabei. Es gefiel ihm, daß sie nicht die Stirn zusammenrunzelte und sich verkrampfte, sondern die Gedanken gewissermaßen durch sich hindurchgehen ließ. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein«, sagte sie, »ich traue Ihnen nicht. Sie lieben diese Frau. Ich mag nichts damit zu tun haben.«

Sie sah ihn an, als erwartete sie eine Antwort von ihm. Ihr großer offener Blick verwirrte ihn. Ob sie ihn doch früher einmal geliebt hatte, damals als sie noch ein unfertiges junges Ding war? Dorette hatte es gesagt. Es bot einen ganz eigenen Reiz, sich das vorzustellen. Die komplizierte Sabine – ihn, der nun ein einfacher Landwirt und im Augenblick noch weniger war.

»Sie sind mit Karla zusammengewesen?« rief Sabine erfreut aus. »Mit meiner Schwester Karla! Wie geht es ihr? Wie sah sie aus? Was sagte sie?«

»Sie brauchen mir diese Frage natürlich nicht zu beantworten«, fing sie noch einmal an, »aber: lieben Sie – Dorette?«

Er blickte zu Boden. Weshalb fragte sie ihn danach? Sollte er eingefangen werden? Sie stand mit van Holten im Bunde. Man wollte ihn überführen. Man hatte in Swantemühl Spuren gefunden, die auf ihn hinwiesen. Aber es fehlte noch das Motiv. Wenn man herausbekam, daß er Dorette liebte! Wollte man den Ring der Beweise mit dieser Frage schließen? Wenn er nun sagte: »Ja, ich liebe Dorette!« Dann wurde er vielleicht in zwei Stunden verhaftet.

»Ich bin nie auf einen solchen Gedanken gekommen!« antwortete er kühl.

Sie sah ihn an, ein wenig verächtlich, schien ihm. Sie glaubte ihm nicht. Auch das Gericht würde ihm nicht glauben.

»Wenn Sie Karla sehen, so grüßen Sie sie von mir. Oder nein, direkt grüßen, das geht nicht. Aber sagen Sie ihr, daß Sie hier gewesen sind. Ich mag Karla sehr gern.«

Steegen erhob sich. Er verstand, daß er gehen sollte.

»Und vergessen Sie Ihre Bronze nicht. Warten Sie, ich schlage sie Ihnen in Papier.«

»Hatten Sie sie wirklich für mich bestimmt?« fragte er noch einmal. Aber mehr, um sie überhaupt etwas zu fragen.

»Natürlich, seit zwei Monaten hebe ich den Abguß für Sie auf. Sie können sogar ein wenig stolz darauf sein. Auf Wiedersehen!«

Er küßte ihr die Hand. Die Tür mit dem Briefkasten schloß sich hinter ihm. Hinter dieser merkwürdigen Tür war er nun wirklich gewesen. In Gedanken ging er langsam weiter. Der Besuch hatte ihm keine Klarheit gebracht. Vielleicht war Sabine sein gefährlichster Feind. Er fühlte die Umrisse dieser Bronze in seiner Hand.


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