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30

Wieder ist Oliver in einer tüchtigen Patsche: seine Stellung im Lagerhause ist ihm aufgekündigt worden. Er geht zwar noch hin und versieht seinen Tagesdienst, aber wenn die Frist abgelaufen ist, sitzt er auf dem Trockenen. Das war doch zum Beispiel das letzte, was man geglaubt hätte! Oliver ist tief geknickt.

Er geht zu Abel und redet mit ihm. Zu wem sonst sollte er auch gehen? Der Philologe Frank war ein gewaltiger Sprachkundiger, ein Lehrer der Menschen, aber die große Unterstützung, auf die der Vater wartete, hatte er noch nicht nach Hause geschickt, dagegen hieß es, er sei mit Konstanze Henriksen von der Werft fest verlobt. Ja, was half das Oliver!

Abel herrschte jetzt in der Schmiede, die ihm Meister Carlsen gegen einen angemessenen Mietzins überlassen hatte. Er hatte den merkwürdigen Dampfhammer, der mit Petroleum betrieben wurde, angeschafft, der schlug großartig und war so gut wie ein Schmiedknecht. Abel hatte viel zu tun und verdiente reichlich. Abel war kein Knicker, der jedes Zweikronenstück einsperrte, er gebrauchte sein Geld zu allen möglichen Einrichtungsgegenständen, schaffte Bettwäsche und eine Kommode an, ging auch zum Goldschmied Evensen und kaufte zwölf Gramm Gold. Was kaufte er? Gold. Und dennoch hatte Abel zuweilen ein Zweikronenstück für seinen Vater übrig.

Seht, Oliver machte ja nicht den geringsten Unterschied zwischen seinen Kindern: wenn er in der Patsche saß, ging er also nicht zu dem abwesenden Frank, sondern zu Abel, den er jeden Morgen in seiner Schmiede finden konnte. Und heute handelt es sich um mehr, als nur um ein Zweikronenstück. Oliver setzt auseinander, Scheldrup Johnsen habe einem Krüppel aufgekündigt, es handle sich um seinen Lebensunterhalt, was er denn tun solle?

Ja, sagte Abel und überlegte, ich weiß keinen andern Ausweg, als daß ich heirate.

Das war eine verfluchte Sache, und der Vater mußte unverkennbar ein wenig nach Luft schnappen. Was meinst du? fragte er.

Ich habe jetzt alles fertig und will nicht länger auf sie warten, ließ Abel verlauten. Ich will die Sache abgemacht haben.

Oliver wußte nicht, wo sein Sohn in diesem Augenblick hinauswollte, aber er verstand sich anzupassen; sofort ließ er seine eigene Sache fahren und hörte mit Teilnahme der seines Sohnes zu. Wozu solltest du auch noch länger auf sie warten, sagte er.

So, meinst du?

Ob ich das meine! Was ist sie denn und was bist du! Sie ist so viel, als ob du eine Feder oder auch nur ein Flaumflöckchen auf der Gasse fändest und nicht mehr.

Willst du den Ring sehen? fragte Abel. Er holte ihn aus einer Schublade in der Bank am Fenster herbei. Es war ein sehr schöner Ring, dick und glänzend, schwer in der Hand, Gold. Eben bin ich damit fertig geworden, sagte er.

Oliver blieb stumm und ungläubig, aber er zuckte mit keiner Wimper. Schließlich fragte er: Was hat Evensen für den Ring verlangt?

Evensen? Ich habe den Ring selbst gemacht. Und Abel zeigte die Form vor, in die er ihn gegossen, zeigte die Feilspäne, die er abgefeilt hatte, und die Feilen, die golden geworden waren. Hier siehst du auch das Schmirgelpapier, mit dem ich ihn geputzt habe, sagte er, und hier sind die verschiedenen Feilen, grobe und feine, zuletzt habe ich noch mit sämisch Leder nachgerieben.

Das Ganze war wohl die reine Wahrheit, Oliver schüttelte den Kopf und sagte: Gott bewahre mich, Abel, das ist ja nett, wie du alles fertigbringst, was du angreifst.

Und Abel war stolz auf das Lob des Vaters, sagte aber: Jetzt kommt es darauf an, ob sie ihn haben will.

Haben will! rief Oliver. Wenn das Menschenkind ihn nicht haben will, dann schick sie nur zu mir! Schick sie mir nur! Einen Ring wie diesen nicht haben wollen! Fühl doch nur, er ist doppelt so schwer als der, den ich deiner Mutter im Ausland gekauft habe. Mach doch keine schlechten Witze!

Von des Vaters Lebensunterhalt war keine Rede mehr, aber der Besuch in der Schmiede hatte den armen Kerl doch aufgemuntert. Dazu gehörte nicht viel, schon allein, daß Abel der bevorstehenden Not gegenüber nicht den Mut verlor, war ihm ein Trost und eine Stütze. Abel den Mut verlieren? Nein.

Er zieht das Taschentuch heraus, dessen Zipfel dem Vater aus der Brusttasche hervorschaut, Abel will es geschwind benützen, es ist ihm ein Rußkörnchen ins Auge geflogen. Und als Oliver das Taschentuch zurückbekommt, fühlt er, daß es um ein Zweikronenstück schwerer geworden ist.

Dann geht er, Oliver geht. Merkwürdig, wie aufgekratzt er jetzt ist, der Besuch in der Schmiede hat ihm gut getan, er hat wieder Geld in der Tasche, morgen ist Sonntag, es gibt gewiß ein Wetter zum Hinausrudern – ach, die Sache mit der Zukunft wird sich schon machen! Als er um Mittag nach Hause geht, bringt er den Kindern etwas Gutes mit, und nachmittags rudert er hinaus.

Es wird Nacht, und er kommt nicht nach Hause, der nächste Tag erscheint, aber kein Oliver läßt sich sehen; daran ist man schon gewöhnt, er läßt das Boot treiben, er fischt, was er zum Essen braucht, legt an, kocht, ißt und schläft. O, es gibt nichts, gar nichts, was diesem wundervollen Müßiggang und dieser Trägheit gleichkäme!

Das erste Morgengrauen über dem Meer und den Inseln hat eine wunderbare Stimmung, wie die Einsamkeit der Ewigkeit möchte man sagen; weit drinnen im Festland stehen einige kahle Telegraphenstangen, das Glockenläuten aus einem naheliegenden Dorfe dringt zu ihm heraus, das stimmt ihn weich, macht ihn still und ruhig. Das Morgengrauen verführt nicht zu irgendwelchen Unsitten, zu Flüchen und Gotteslästerungen, nein, nein, die Erde zum Beispiel ist ein schöner Ort, und nachdem er gegessen hat, was gestern abend von den Fischen übriggeblieben ist, fühlt er sich satt und zufrieden und sagt: Gott sei Lob und Dank für das gute Essen! Das ist mehr, als heutzutage die meisten Menschen tun.

Nicht jedes Morgengrauen ist dem andern gleich, es gibt auch Sonntagmorgen mit Andacht und Kirchenglocken, in der Luft saust und braust es, das Meer liegt zu seinen Füßen, das ist seine Heimat, seine Wiege, die Dünungen kommen auf ihn zu, wogen auf und ab, werden zu Schaum und zu nichts in der Ferne. Alles ist wunderschön. Denkt doch nur, einmal in seiner Jugend nahm er ein Los, als eine Tischdecke verlost wurde, und gewann sie. Später hat er auf dem Meer ein vollgetakeltes Schiff geborgen. Das alles hat Oliver Andersen getan.

Er hat wieder geschlafen, es ist herrlich, so zu essen und zu schlafen. Die Sonne steht hoch am Himmel, jetzt ist gerade die richtige Zeit und Stunde, jetzt will er endlich einmal Ernst machen und zu dem Vogelberg hinausrudern; dieser liegt weit draußen, wo die Dampfschiffe vorbeifahren. Heute soll es geschehen, gewiß sind auf den schmalen Abstufungen des Berges Eiderdaunen zu finden. Ach Gott, ja! seufzt Oliver und rudert los. Seine Frömmigkeit ist vielleicht ein wenig berechnend, wie die menschliche Frömmigkeit überhaupt, er kann jedenfalls seine Interessen nicht hintansetzen. Er weiß, daß das Küstenschiff in der Stadt gewesen und wieder abgefahren ist, es kann ihm also niemand begegnen, er ist allein auf seiner Fahrt, ohne Zeugen. Was könnten ihm übrigens Zeugen schaden? Oliver ist beim Fischfang, dazu ist er berechtigt.

Ach, jetzt wie immer in den letzten zwanzig Jahren ist etwas Nichtungesetzliches in Olivers Leben, etwas auf der Grenze, zuweilen auch ein wenig darüber hinaus.

Heute stiehlt er seine Eiderdaunen nicht mit derselben Vorsicht und Tüchtigkeit wie sonst, er kann eben nicht an der teueren Ware vorbeifahren, ohne sie mitzunehmen, sondern er grapst, er füllt seinen Sack mit allem, was er erwischt, ungereinigt. Es geschieht etwas anderes, das ihn stärker in Anspruch nimmt. Oliver hat den Sinn fürs Abenteuerliche noch nicht verloren, und das Abenteuer bleibt ihm treu. Zu welchem Zweck ist er jetzt herausgefahren?

Hier liegen keine Vögel im Nest, hier sind keine Eier, die Jungen sind flügge, Oliver hat die beste Gelegenheit zuzugreifen. Er untersucht das unterste Nest, gräbt tief hinein und findet Papier – Papier also, Briefe, was kann das sein? Post, Umschläge mit Briefmarken darauf, das ist doch sonderbar! Er schiebt die Daunenlage zur Seite und sammelt die Briefe zusammen, es sind Geldbriefe, aufgerissene Umschläge mit Siegeln darauf, aber Geld ist nicht darin, eingeschriebene Briefe, die nicht einmal geöffnet sind, er liest einige der Anschriften und kennt die Eigentümer, Leute aus der Stadt und den umliegenden Orten; er kommt auf den Gedanken, einen der eingeschriebenen Briefe zu öffnen und findet Geld darin, er macht noch mehrere auf und findet Geldscheine –

Das Abenteuer.

Oliver braucht den ganzen Nachmittag dazu, den Vogelberg ordentlich abzusuchen, er ist habsüchtig geworden, er untersucht ein Nest ums andere, das ihm erreichbar ist, findet in dem einen und dem andern, was er sucht, und türmt alles auf einen Haufen, er wird reicher und immer reicher. In der Dämmerung rudert er mit seiner Beute vom Vogelberg weg, rudert wie mit Dampf, niemand begegnet ihm, er hat keine Zeugen. Wieder legt er an der Insel an, auf der er die letzte Nacht zugebracht hat.

Von heute an bis zu seinem Tode wird sein Herz beben bei der Erinnerung an dieses Erlebnis. Zu Anfang irrte er sich und nahm an, die Briefe stammten von einem Schiffbruch her. Dann erinnerte er sich daran, daß in der Zeitung zuweilen etwas gestanden hatte von ungetreuen Postbeamten, die das Geld aus den Wertbriefen stehlen und die Briefe ins Meer werfen sollen. O, aber Olivers Kopf hatte Übung darin, sich zweideutige Sachen zurechtzulegen, er merkte bald den wahren Zusammenhang: dies war der Rest eines gewissen Postraubes. Weder er noch andere hatten das große Ereignis vergessen, die Postmeistersfamilie hatte alle Ursache, sich daran zu erinnern, Oliver selbst wußte noch etwas von einem Päckchen Geldscheine aus jener Zeit. Aber wer nun auch damals der Dieb gewesen sein mochte, ob Adolf mit der Schiffskiste, der sich Xander nannte, oder der zweite Steuermann, der Sohn des Postmeisters, oder wer sonst, als ein großer Esel stellte er sich jetzt heraus, als ein Pfuscher, ein trauriger Lehrbub. Hier hatte er eine günstige Gelegenheit ohnegleichen und nützte sie wie ein Tor, stand in der Finsternis an Bord, plünderte nur die dicksten Briefe und warf den Rest ins Meer! Er betrug sich wie ein Verschwender mit einer reichen Beute, er betrug sich wie einer, dem nichts heilig ist. Oliver konnte sich über sein Betragen förmlich ärgern. Da waren die stummen Tiere, die Eidervögel eher wie verständige, erfahrene Menschen, die bewahrten einen Schatz. O, die Eidervögel sind klug, sie stopfen sich ihr Nest aus mit allem, was sie finden, auch mit Wertbriefen –

Oliver empfindet keinen Hunger, keinen Schlaf, er bleibt nur bocksteif sitzen, bis der Tag graut, dann ordnet er seine Post vom Meere, eine von Gott und dem Himmel gesandte Post sehr sorgfältig, nimmt die Scheine heraus und steckt sie in seine Innentasche, sammelt die Briefe zusammen und verbrennt sie; dann verstreut er die Asche und verwischt jede Spur. Ihm selbst ist mit seinem Fischfang gut gedient, jawohl, aber manche Menschen können auch recht froh sein, daß die Briefe verbrannt sind.

Dann rudert er nach Hause, rudert wie mit Dampf. Es ist Montagmorgen. Oliver ist schlaff nach der großen Spannung und redet daheim nicht viel, aber er ist ungewöhnlich freundlich und zufrieden mit dem, was er zu essen bekommt, er hat ja Geld in der Tasche und kann der Mahlzeit nachher mit Süßigkeiten nachhelfen. Dann begibt er sich ins Lagerhaus.

Im Lauf des Tages schleicht er sich von Zeit zu Zeit hinter Säcke und Fässer und zählt seine Scheine, glättet sie und streicht die Eselsohren aus. Der eine und andere Kunde kommt, sie grüßen ihn teilnehmend, weil ihm aufgekündigt worden ist, sie beklagen ihn, aber Oliver erwidert: Gott wird für mich wohl auch einen Rat wissen.

In seinem Innern bläht er sich auf. Jetzt steht er wieder in seinem Lagerhaus mit Geld in der Innentasche und wird mehr und mehr ein Mann; er hat zwar sehr abgetragene Kleider, aber sein Charakter weitet sich, sein Wesen wird fester, er macht eine innere Erhebung durch. Oliver ist nun auf der Höhe, steht auf der Zinne, nur sich selbst sichtbar, das geht in Hochmut über, es schwillt ihm, offen gesagt, der Kamm. Nicht als ob er ins Hotel gehen wollte, als reicher Engländer auftreten und Pferde und Wagen zu Ausflügen in die Umgegend verlangen – keine Übertreibung. Als er zu Mittag nach Hause ging, kam ihn die Grille an, in ein paar Läden zu treten und alte Schulden zu bezahlen, aber mit einem letzten Funken von Verstand entschloß er sich beizeiten wieder anders. Herrgott, sein Reichtum war doch nicht so überwältigend! Er konnte sich keine Leibrente dafür kaufen, nein, aber er war doch ungefähr groß genug, daß der arme Tropf Mut bekam und aufzumucken wagte; er stieß die Krücke auf den Boden und sagte zu sich selbst: Ich lasse mich nicht aus dem Lagerhaus hinauswerfen, ich geh zum Konsul.

Nun kaufte er zuerst einmal verschiedene Leckereien und nahm sie mit nach Hause, o, bisher unbekannte Herrlichkeiten in Dosen und Silberpapier; von diesem Augenblick an waren kandierte Früchte der Familie Oliver nicht mehr nur etwas Märchenhaftes, ein Hirngespinst. Die Folge war auch, daß er die Seinen, die nicht in der Welt draußen gewesen waren, in Erstaunen setzte, ja, Petra spottete über ihn und sagte, er müsse auf seinem letzten Fischfang einen Schatz gefunden haben. Oliver tat noch größere Wunder: diesmal war er nicht so vorsichtig wie in seiner ersten Zeit des Reichtums, er kaufte verschiedene Kleidungsstücke für alle im Hause, schaffte auch sich selbst einen vollständigen Anzug an und außerdem noch einen Schlips mit silbernen Tupfen. Es war zwar vielleicht ein Damenschlips, aber an einem andern Hals als an seinem eigenen konnte er sich diesen Schlips nicht denken. Später am Tage ging er zum Goldschmied Evensen, der auch Gesangbücher, Brillen und Musikinstrumente feil hatte, und da kaufte er ein glänzendes Messinghorn, als Schmuck für die Wand. Und er sagte zu Petra: Daß du mir das Horn glänzend hältst!

So hatte er also ordentlich groß getan und tüchtig eingekauft, jetzt kam wieder der Konsul an die Reihe. Oliver tat zum voraus groß damit, daß er zu ihm gehen werde: er habe ein Wörtchen mit dem Manne zu reden, dem großen Herrn, er solle ihn kennen lernen, er wolle ihm sagen, wer er sei. –

Indessen aber schob er Tag und Stunde immer wieder hinaus, er schien sich etwas zu überlegen und nicht mit sich einig zu werden. Mittlerweile bekam er dann auch einen Brief, der war von dem Rechtsanwalt, dem Staatsrat Fredriksen; dieser schrieb, er sei nun Staatsrat geworden und wolle alle seine Verhältnisse in der Heimat ins reine bringen. Oliver müsse darum jetzt die verfallene Schuld bezahlen oder das Haus verlassen, in dem er wohne.

Nun überlegte Oliver nicht länger, er wartete nur noch ab, bis das Lagerhaus geschlossen wurde, dann ging er zum Doktor.

Oh, es war vielleicht eine unfeine Arbeit, die er da auf sich nahm, aber er ging zum Doktor.

Im Doktorzimmer herrschte dieselbe Ärmlichkeit und Unwissenschaftlichkeit wie früher, kein Skelett, kein Mikroskop war da, aber ein halbfertiges Bild von dem Doktor selbst hing an der Wand. Vor einigen Jahren war er einem Malerjüngling Modell gesessen, einem Windbeutel, der ein Bildnis des »Arztes« hatte malen wollen, das war eine Zerstreuung in dem armseligen Leben des Doktors gewesen, und er hatte es wahrhaftig auch als eine Art von Ehre empfunden. Aber eines Tages hatte sich der Maler eingebildet, er könne die Arbeit nur so unterbrechen und in ein Nachbarhaus gehen, um das Danebrogkreuz auf einen Rock zu malen; doch davon wollte der Doktor nichts wissen, nein, das ging nicht, danke, man war kein Narr, man war nicht der erste beste. Der Doktor sagte: Nehmen Sie Ihr Bild und gehen Sie damit! – Verbrennen Sie es! sagte der Maler. – Sie können Ihr Zeug selbst verbrennen, erwiderte der Doktor. Ich bin nicht Ihre Scheuerfrau. – Darüber war nun der Malerjüngling hitzig geworden und hatte gesagt: Das ist kein Zeug, das Bild ist ähnlich, es ist halbfertig, Ihr genaues Ebenbild. Zuerst stand das Bild in einem Winkel auf dem Kopf, aber später änderte der Doktor wohl seine Ansicht darüber, so jämmerlich war er nicht, daß er die Spitze in den Worten des Malers nicht gemerkt hätte; es konnte etwas dran sein, sie konnten ein Körnchen Wahrheit enthalten. Er gehörte einer Generation an, die außer an der Wissenschaft an allem zweifelte. Er bekannte sich zu der Gesetzmäßigkeit der Natur, auch zu der Lehre von den braunen Augen, aber seine Generation war nicht feige, sie sah der Leere und Trostlosigkeit des Lebens in die Augen, ohne zu zucken. Der Doktor hielt sich entschieden selbst für gelehrt, für einen Übermenschen in einer Kleinstadt, einen Ankläger und Richter, aber er konnte in guten Augenblicken doch auch größere Wesen der Gegenwart, als er selbst war, gelten lassen: einen Engländer, einen Franzosen, einige Deutsche, einen Holländer, o, der Doktor war durchaus nicht dumm, er konnte soweit immerhin zugeben, daß er noch etwas unfertig sei, und so konnte er auch ein halbfertiges Bild von sich an die Wand hängen. Das war eine Tat, die an Größe grenzte.

Was Oliver bei ihm wolle?

Untersucht werden.

Was er denn untersucht haben wolle?

Die Hüfte und da herum. Der Schaden, den er erlitten habe, solle festgestellt werden, und er wolle ein Zeugnis darüber haben.

Warum denn? Nein, der Doktor wollte nicht. Oliver hätte damals wollen sollen, als der Doktor wollte, nun sei es Unsinn. Geh nur wieder heim!

Oliver war sehr verwundert. Was bedeutete denn das, konnte der Doktor jetzt seine Hüfte entbehren? Er erklärte, er und seine Familie seien in eine arge Klemme geraten, und ein schriftliches Zeugnis von dem Doktor könnte ihnen von Nutzen sein.

Nein, geh nur wieder nach Hause!

Oliver fährt mit der Hand in seine Innentasche und sagt, daß er das Zeugnis bezahlen wolle, er wird der flotte Seemann und sagt, er wolle gerne hundert Kronen dafür geben.

Hast du hundert Kronen? fragt der Doktor.

Jawohl, die habe ich!

Aber bei seiner letzten Frage wird der Doktor über seine eigenen Worte ein wenig rot. Woran dachte er? Erinnerte er sich an ein gewisses Versprechen, das er seiner Frau gegeben hatte wegen eines Brillantrings, ein Jugendgelübde, das immer noch nicht eingelöst war? Diese leichte Röte legte sich gar fein über sein Gesicht und verschönte es. Während er die Brille aufsetzt, fragt er: Also eine Trantonne ist dir damals in die Arme geflogen und hat dir das Bein zerschmettert?

Oliver ist seiner alten Schwindeleien wegen ein wenig in der Klemme: Es war eigentlich keine Trantonne, sondern ein Luvbaum, auf den ich rittlings fiel und zerquetscht wurde. Nachher bin ich operiert worden.

Zieh dich aus!

Oliver zieht sich aus, der Doktor betastet ihn, kneift ihn und sagt: Was willst du eigentlich von mir wissen? Daß du nicht Vater bist? Das weißt du doch selbst. Und er kann es nicht lassen, etwas überlegen und unfehlbar zu tun. Das ist mir übrigens niemals verborgen gewesen, fügt er hinzu.

Oliver nimmt die Gelegenheit wahr und bittet den Herrn Doktor, ihm das schriftlich zu geben.

Warum denn? Nein, der Doktor wollte wieder nicht. Wie viele Kinder hat deine Frau?

Wir haben fünf Kinder – sie hat fünf.

Mein Zeugnis würde jetzt zu spät kommen, die braunen Augen sind jetzt in der Stadt verglommen. Zieh dich wieder an!

Ich will es nicht der braunen Augen wegen haben, keineswegs. Wir haben zwei Kinder mit blauen Augen.

Der Doktor, die alte kleinstädtische Klatschbase, spitzte die Ohren, aber er wollte nicht der sein, der fragte, im Gegenteil, er sagte mit allen Anzeichen des Unwillens: Verschone mich mit deinen Familienverhältnissen! Wahrscheinlich konnte ihm Oliver auch hierin keine Neuigkeiten mitteilen, der Doktor hatte sicher vorher schon das eine und andere sagen hören und konnte es sich leisten, jetzt gleichgültig zu tun. Er schrieb eine Erklärung und las sie vor, Oliver nickte zum Zeichen des Einverständnisses und griff in seine Innentasche.

Der Doktor hielt ihm die Hand fest: Du wirft es hoffentlich nicht wagen, mir eine Bezahlung für diese Arbeit anzubieten!

Nicht? fragte Oliver verwirrt.

Nein.

Dann ging Oliver.

Er ging zu Scheldrup Johnsen und erbat sich einige Tage Urlaub. – Meinethalben gerne! erwiderte Scheldrup Johnsen und ließ durchblicken, wie überflüssig Oliver im großen ganzen für das Lagerhaus sei. Oliver ging heim. Seiner Familie verkündete er, er habe im Sinn, eine Reise zu machen, und als die Familie vor Staunen die Hände zusammenschlug, blähte er sich auf und ließ durchblicken, wie unendlich unbedeutend eine Reise für ihn sei, der gewohnt sei, durch die ganze Welt zu fahren. Ich will nur eine Spritztour nach Christiania machen zu einem gewissen Staatsrat, sagte er. Ich habe hier ein Papier in der Tasche, das ich ihm gerne zeigen möchte. O, welch dunkle Reden Oliver hielt, und wie er sich aufspielte! Er ging zu Abel und sagte: Wenn du irgend etwas aus Christiania haben möchtest, Maschinen oder andere Dinge, so darfst dus nur sagen. – Nun ja, erwiderte Abel, wenn du mir einen eisernen Zollstab kaufen könntest. Hier ist keiner zu bekommen, und ich bin in der Schmiede aufgeschmissen. – Du sollst deinen Zollstab haben, sagte Oliver mit Würde. Von der besten Sorte, sagte er. Soviel kann ein Vater wohl für dich tun.

Und Oliver reiste ab.

Einige Tage darauf kam er wieder zurück und war in strahlender Laune. Jawohl, denn er hatte bei seinem Plagegeist das erreicht, was er hatte erreichen wollen.

Er hatte sich nach seinem Sohne Frank umgesehen, das war selbstverständlich, Oliver machte keinen Unterschied zwischen seinen Kindern, er sah sich auch nach Frank um, aber das war vergebens gewesen, Frank war Lehrer irgendwo an einer großen Schule. Übrigens war er auf der Universität fertig, er konnte dort nichts mehr lernen. Außerdem konnte Oliver auch von Staatsrat Fredriksen Grüße bestellen; ei, ein prächtiger Mann, gesprächig und liebenswürdig wie immer; jetzt hatte er eine Quittung für das auf dem Hause stehende Geld geschrieben. Die Familie ist außer sich vor Freude. Oliver trägt einen neuen Strohhut schief auf dem Kopf: Hat mich nur wenige Worte gekostet! Die Familie ist voller Neugier, voller Fragen; Oliver bleibt stumm.

Oliver hatte sich ja auch früher schon aus mancher Klemme geholfen; dabei hatte er eine eigene Art vorzugehen, mit einem merkwürdig heimtückischen Blick, den er langsam vom Boden aus aufschlug und mit einigen Worten begleitete, in denen für den andern eine geheime Gefahr lauerte. Es war da eine Verderbtheit in ihm, eine perverse Gemeinheit, der der Gegner weichen mußte. Er war auch diesmal seinem Gläubiger gegenüber weder grob geworden, noch hatte er das Messer gezückt. Was hatte er gesagt? Nicht viel. Abends im Bett befriedigte er die nicht mehr zu bändigende Neugier seiner Frau und gab seine Unterredung mit dem Staatsrat zum besten! O, dieses Ehepaar, dieser Oliver mit seiner Frau, die scheuten sich beide nicht, die Dinge beim Namen zu nennen, und zuweilen lobte ihn Petra einer guten Antwort wegen und sagte: Ja du bringst es fertig! Und Oliver blähte sich auf.

Was hatte er denn gesagt? Er hatte erklärt, er fände es nur in der Ordnung, wenn ihm der Herr Staatsrat in aller Stille die Schuld erließe, wenn ihm der Herr Staatsrat das Haus einfach schenkte, ihm und Petra und den Kindern –

Den Kindern? Die sind doch erwachsen? versetzte der Staatsrat.

Nicht alle. Nicht die beiden mit den blauen Augen. Das eine davon ist noch recht klein.

So?

Sehr klein. Fast gar nichts zum Beispiel. Und der Herr Staatsrat hat jetzt beim König und bei der Regierung soviel zu denken, da sollte der Herr Staatsrat eine Quittung für das Haus schreiben.

Quittung? Nein.

Oliver legt ein Zeugnis vom Doktor vor, daß er ein maroder Mann sei. Der Staatsrat liest das Zeugnis, gibt es wieder zurück und kann nicht einsehen, was ihn das angehe. Nein, sagt auch Oliver. Der Herr Staatsrat hat an so vielerlei zu denken, deshalb sollte er das Haus in seiner Heimatstadt gänzlich aus seiner Erinnerung streichen und für alle Ewigkeit eine Quittung dafür schreiben.

Nein. Warum denn?

Oliver sieht ihn vom Boden herauf an und antwortet:

Sonst bekommt der Herr Staatsrat noch mehr zu denken!

So hatten sie miteinander geredet.

Dämmerte, es dem Herrn Staatsrat Fredriksen, daß sein guter Name in Gefahr war? Kurz und gut, er sah ein, daß er nicht wohl wegen eines Hauses mit einem Krüppel und maroden Menschen in einem Geschäftsverhältnis stehen könne, was würde sein alter Wahlkreis, was würde seine Heimat dazu sagen? Und er schrieb die Quittung.

Eine Zeitlang sonnte sich nun Oliver in seinem Triumph und verbarg das Wohlbehagen nicht, das er dabei fühlte. Noch hatte er Geld, obgleich er auf seiner großen Reise viel davon verbraucht hatte, auch zu Kleidern für die Familie, für den Zollstab, eine Klarinette, für Süßigkeiten, alles miteinander, aber noch hatte er Geld, und sein Wesen war das eines Mannes, dessen Ehre wiederhergestellt ist. Nur eines hatte sich nicht geändert: seine Stellung im Lagerhaus war ihm noch immer gekündigt, und er mußte nun schon in allernächster Zeit dort weg. Hierin lag sein Unglück; nach kurzer Zeit würde das ein Ende mit ihm machen und ihm den Nacken beugen.

Eines Tages nahm sich Oliver eine recht freche und faule Arbeit vor: er ging mit seinem ärztlichen Zeugnis zum Konsul. Ja, zum Konsul selbst. Es war ja beim Staatsrat Fredriksen so glatt abgelaufen. Oliver mußte wohl den Versuch wiederholen können, es war allerdings das letzte, zu dem er sich selbst überreden konnte, aber wenn kein anderer Ausweg mehr da war – – Er hatte früher von sich selbst niemals so niedrig gedacht, er hätte den Konsul Johnsen mit Zudringlichkeiten solcher Art gerne verschont, hätte die lustigen braunen Augen davor schützen mögen, daß sie sich verschleiern müßten. Aber was sollte er tun? In kurzer Zeit war er brotlos, soviel Anteil konnte der Konsul noch an dem Wohl und Wehe der Familie Oliver bezeugen, daß er auch ferner eine Stelle in seinem Lagerhaus für den Krüppel hatte. Was konnte Oliver als Gegenleistung tun? Alles. Er könnte dem Konsulats Schürze dienen, o, in seiner Ergebenheit für seinen flotten Chef war nichts verändert, er konnte ihm sein Recht abtreten, konnte sein Hund sein, konnte der Wächter seines Harems sein. –

Oliver ging zum Konsul.

Es führte zu nichts. Nein, der Konsul und Doppelkonsul Johnsen war nicht mehr derselbe wie früher, er ruhte aus, war abgelöst, der Sohn hatte ihm die Macht genommen, der alte Turm war gestürzt. Auch schon äußerlich war es dem Konsul anzumerken, daß er nichts mehr war, grau und fahl sah er aus und sein Rock geradezu nicht recht ausgebürstet. Hätte man es nicht besser gewußt, so hätte man glauben können, er allein von allen andern habe den Aufforderungen im Tageblatt Folge geleistet und sei fromm geworden. Natürlich war er dennoch Konsul für zwei Länder und schrieb seine Berichte an seine Regierungen, er hatte noch immer denselben Kugelbauch – aber was sonst? Jetzt hieß es nur Scheldrup und Scheldrup, auf dem Wege zum Sohne ging man am Vater vorüber, ohne auch nur sein Anliegen zu nennen; ja, der Konsul hatte in der letzten Zeit sogar hören müssen, daß ihn die Leute wieder Johnsen am Landungsplatz nannten, schlecht und recht Johnsen am Landungsplatz. So waren die Menschen. Wo ist die Mannschaft von der Fia geblieben? fragten sie. Allerdings waren es Burschen, die seit zehn Jahren nicht mehr zu Hause gewesen waren, aber ihre Familien hatten jedenfalls die Heuer bis zu diesem Tag beim Reeder für sie abgehoben; jetzt aber waren sie ganz verschwunden, auf den Grund des Meeres versunken. Und wer trug schließlich die Schuld daran? O, Johnsen am Landungsplatz! Im Anfang versuchte es der Konsul, sich zu verteidigen, Erklärungen zu geben, aber hatte es überhaupt einen Nutzen, gegen solchen Unverstand anzukämpfen? Sie ließen ihn nicht einmal aussprechen, sie redeten drein, murrten. Die Zeiten waren vorbei, wo man sich allein schon durch eine dicke goldene Kette auf der Weste als Herr aufspielen konnte.

Oliver hatte in Christiania Glück gehabt, hier am Ort ließ es ihn im Stich. Der Konsul hörte ihn an; er tat Oliver fast leid, als er sah, wie aufmerksam der Konsul zuhörte und wahrhaftig immer hilfloser dreinschaute. Oliver kam nicht einmal dazu, das ärztliche Zeugnis vorzuweisen. Ich habe mich ja seither gegen dich und die Deinen nicht schlecht erwiesen, sagte der Konsul. Jetzt kann ich nichts mehr für dich tun, ich habe nichts mehr zu sagen, laß uns auf bessere Zeiten hoffen.

O, für einen treuen Diener war es wirklich betrüblich, das mit anzuhören! Dann verfiel Oliver auf den Ausweg, zu dem Halunken selbst zu gehen, zu diesem Scheldrup, und ihm eine aufrichtige Faust zu zeigen. Ob das helfen würde? Ohne Zweifel. Man war nicht umsonst Oliver Andersen. Aber jetzt war die herrliche Innentasche allmählich recht mager geworden, und in demselben Maße hatten auch Mut und Seelenstärke abgenommen. Oliver ließ einen Tag um den andern vergehen, ohne etwas Entscheidendes zu unternehmen, und eines Abends sagte dann Scheldrup zu ihm: nun solle er den Schlüssel des Lagerhauses an Berntsen abliefern.

Oliver sollte also am nächsten Morgen nicht mehr kommen, er war verabschiedet.

Das war nicht mehr, als er erwartet hatte, aber trotzdem fiel es jählings und lähmend über ihn herein, nun hatte er nicht einmal soviel Energie gehabt, beizeiten für etwas billigen Kaffee und Grütze zu sorgen, die Familie konnte also von nun ab an den Fingern saugen.

Es vergeht einige Zeit, ein böser Monat, Oliver ist schlechter Laune und wird ungesellig, er spricht nur das Allernotwendigste daheim und treibt sich am liebsten draußen zwischen den Häusern umher, da er ja zum mindesten noch einen ordentlichen Anzug hat. Im Schoße der Familie ist kein Behagen mehr, die Kinder werden blaß, das Messinghorn hängt ungeputzt an der Wand, auch die Großmutter kann es nicht lassen, zu stöhnen und zu seufzen, sie hat nicht eine einzige Kaffeebohne mehr. Da schreit Oliver plötzlich: Ja, von jetzt an kannst du Kaffee von der Unterstützungskasse bekommen! – Ach, ich bin jetzt so alt, wollte Gott, daß ich im Grabe läge! erwidert die Großmutter.

Eines Morgens steht es besonders schlimm bei der Familie, und es gibt zum Frühstück nicht einmal etwas Warmes zu trinken. Petra kommt vom Brunnen zurück und ist vielleicht durch die andern Frauen ein wenig aufgekratzt, aber Oliver ist schweigsam. Er meinte wohl, jetzt müßte die Vorsehung eingreifen, aber die Vorsehung schien nur mit den Lilien auf dem Felde und mit allen den ungezählten Haupthaaren beschäftigt zu sein. Petra sagt, und es klingt, wie wenn es ihr von jemand Außenstehendem eingegeben würde: Ich möchte wohl wissen, wie es wäre, wenn ich zu dem Scheldrup ginge und mit ihm redete?

Darauf gibt Oliver keine Antwort. Seine Wangen sind magerer geworden, noch nie hat er einen so schlappen und unheimlich leblosen Ausdruck gehabt, er kümmert sich um nichts. Er geht aus, und als er um die Mittagszeit von draußen wieder hereinkommt, wirft er sich selbst mit samt der Krücke auf einen Stuhl und fragt höhnisch: Bist nicht du es gewesen, die zum Scheldrup gehen wollte?

Die arme Petra trifft dies ganz unvorbereitet, und sie antwortet nur: Doch –

Aber du bist nicht gegangen?

Sie gewinnt ihre Seelenruhe wieder und macht Einwendungen: Heute? Sie könne doch nicht stehenden Fußes hingehen, sie müsse sich erst etwas Wäsche waschen, sie sei unordentlich angezogen.

Als sie dann aber am nächsten Tag ordentlich angezogen und hergerichtet bereit war, da war sie auch wieder ein verflixt prächtiges Frauenzimmer, Oliver hätte nur ihren Mund sehen sollen, wie er gewölbt war und wie es um ihre Lippen spielte wie eine wahre Galoppade, Oliver hätte sie küssen können, aber er war leblos. Was hatte sie nun davon, daß sie hübsch war?

Ihr Besuch bei Scheldrup Johnsen führte zu nichts, sie kam zu einem Stein, einem Holzklotz, Scheldrup wies sie ab, er habe keine Verwendung für Oliver, er sei nicht in der Lage, ihn noch länger zu füttern – nun, reden wir nicht mehr darüber! O, Scheldrup hatte wohl eine gewisse ernste Backpfeife, die Petra ihm in seiner Jugend versetzt hatte, nicht vergessen; jetzt war er ein Bräutigam und ein kleinlicher Geselle, er glich seinem Vater, dem Konsul, ganz und gar nicht, der oftmals recht freigebig hatte sein können.

Da blieb denn nichts anderes übrig; Oliver steigerte sich so weit in die Wut hinein, daß er selbst zu Scheldrup ging. Ein verhängnisvoller Schritt, der für ihn bittere Widerwärtigkeiten im Gefolge haben sollte. Seine alte Art des Vorgehens, nämlich mit dunkeln, drohenden Worten und einem schielenden Blick von unten herauf, nützte ihm hier gar nichts, Scheldrup war ein moderner, entschiedener Mann mit gehärteten Gefühlen. Meinte man, dieser Herr fürchte sich vor einem Skandal, so täuschte man sich, das könnte höchstens sein, wenn er noch etwas dabei verdiente; in diesem Falle konnte er ganz ruhig sein, er hatte Fräulein Olsen, was auch geschehen mochte.

Oliver mußte den kürzeren ziehen, er benahm sich verkehrt und verlor das Gleichgewicht, er schrie. Still! wehrte Scheldrup scharf ab. Oliver schleuderte sein wertvolles ärztliches Zeugnis auf den Tisch; nun ja, auch Scheldrup Johnsen nahm das Papier und las es, darauf fragte er: Was soll das bedeuten?

Ich bin nicht Vater, sagte Oliver.

Scheldrup fragte lachend: Ja, was zum Henker geht das mich an?

Dieser Handelsmann hatte kein Verständnis für das unerhörte Schicksal, dem er hier gegenüber stand, er hatte wohl auch nur einen oberflächlichen Eindruck von der Gemeinheit und der Schmach, die in den Worten des Krüppels zum Ausdruck kam; er lächelte noch immer. Oliver aber sank wie gewöhnlich zusammen und erbleichte; er sagte alles, was er nicht hätte sagen sollen, nannte seine fünf Kinder, wiederholte sich und redete von braunen Augen, o hübsche Augen, die braunen –

Mach, daß du fortkommst! sagte Scheldrup.

Braune Augen –

Na, und was ist damit?

Oliver hatte alle Haltung verloren, aber bei dieser harten Verständnislosigkeit flammte seine Anzüglichkeit noch einmal hell auf. Ja, lachen Sie nur! Wer hat denn braune Augen hier in der Stadt –?

Ich! unterbrach ihn Scheldrup, und dann lachte er nur noch mehr.

Nein, nicht Sie, das wissen Sie wohl. Was Sie haben, das ist einerlei. Aber was manche andere haben –

So, nun hör einmal, sagte Scheldrup, indem er aufstand, es nützt dem Doktor auch diesmal nichts, nimm nur sein Papier wieder an dich und geh! Jetzt ist es Ernst.


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