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5

Und wieder verging ein Tag nach dem andern, es wurde keineswegs schlimmer als zuvor, sondern als Petra einzog, brachte sie das eine und andere mit ins Haus, und Oliver fischte mit größerem Fleiß als vorher. Eine gewisse Abenteuerlust verließ ihn nicht; an einem schönen Tage konnte er in seinem eigenen gebrechlichen Boot weit aufs Meer hinausrudern, volle vierundzwanzig Stunden fortbleiben und dann erst wieder heimkommen. In dieser Beziehung war er ein sonderbarer Kauz.

Nein, es ging nicht schlimmer als zuvor, und wenn nicht gerade wirklich Not drohte, war Oliver zufrieden. Wie nun, als die Mutter wieder von ihrer Wanderung heimkehrte. Sie kam auch nicht mit leeren Händen, sondern trug einen Sack auf dem Rücken, Lebensmittel, Kleidungsstücke. Vor kurzem noch wäre ein solcher Sack der Gegenstand eines echten Streites geworden; jetzt aber waren drei im Hause, sie teilten miteinander, aus Schamgefühl, wenn nicht aus anderen Gründen. Oliver war als Verlobter tadellos.

Eines Tages kam eine alte Frau daher; Oliver kannte sie und würde ihr wohl wieder einige Lose abgekauft haben, aber diesmal hatte er bereits gewonnen, die Frau brachte ihm die Tischdecke. Da siehst du, sagte Oliver lachend, der liebe Gott hat mich nicht vergessen!

Nun hatten sie eine Tischdecke, und Petra schaffte wahrhaftig Türen für die Stube und die Kammer des Anbaus herbei. In den früheren Jahren, wenn Oliver von der Reise heimkam, hatte er seinem Mädchen verschiedene Geschenke mitgebracht. Diese Zieraten kamen nun auch mit, sie standen alle auf ihrer Kommode, von dem irdenen Hund und dem Spiegel an bis zu dem weißen Engel und dem mit verschiedenen Hölzern eingelegten Kaffeebrett.

Nach der Trauung genehmigte Oliver ein paar faule Tage und ließ sich die Reste der Festmahlzeit gut schmecken; dann begann die Mutter aus alter Gewohnheit, ihn zu ermahnen, auch wieder hinauszurudern.

Und er sagte, er hätte es auch ohne Ermahnung getan, denn er wisse wohl, was seine Pflicht sei. Wahrhaftig, das Leben war jetzt besser, als er sich gedacht hatte, Oliver klagte nicht, er war ein verheirateter Mann und alles, was dazu gehört, alles war entschieden, nichts schwebend, nichts zweifelhaft. Es war ein Glück, daß er damals den Anbau nicht vermietet hatte, da er ihn nun selbst notwendig brauchte.

Doch siehe, eines Tages schickte Mattis einen kleinen Jungen zu Oliver und ließ ihm sagen, er habe mit ihm zu reden. Aber Oliver hatte nichts mehr mit diesem Manne zu reden, durchaus nicht: Was will er von mir? Sag ihm, er brauche sich gar nicht zu mir herzubemühen, sag das dem Mann!

Sie konnten den Schreiner vor ihrem Fenster hin und her wandern sehen, und er machte kecke Schritte, es sah aus, als ginge er nicht das erstemal Napoleon entgegen. Es ist toll genug, auf einen Krüppel loszugehen, sagte Oliver jetzt. Die sollen mit ihm reden, die ein Hühnchen mit ihm zu pflücken haben, sagte er in die Stube hinein. – Da strich sich Petra ein paarmal glättend übers Haar, sie machte sich hübsch und unwiderstehlich und trat dann auf die Straße hinaus.

Die in der Stube Zurückgebliebenen konnten sehen, daß der Schreiner zusammenzuckte. Wo war nun seine ganze Mannhaftigkeit? Die beiden draußen fragen und antworten einander, können sich aber nicht einigen; wenn sie von Türen sprechen, dann bitte, aber sie sprechen wohl von dem Ring. Oliver sitzt am weitesten in der Stube drinnen, er streckt nur die Nase vor und beobachtet den Auftritt. Jetzt wird der Schreiner lebhaft, er ermannt sich und sieht Petra gerade ins Gesicht, er fängt an umherzulaufen, während er redet, er macht förmlich einen Kreis um sie. Und Petra – obgleich sie zufällig Finnen im Gesicht hat und nicht besonders hübsch aussieht, zügelt sie den aufgeregten Mann doch mit leisen, betrübten Worten. Na, da sieht sie vor ihm und lächelt ihn sogar nett und verführerisch an. Schließlich starrt Mattis mißmutig zu Boden, und als ihm Petra die Hand reicht, nimmt er sie auch, ohne aufzusehen; nachdem er sie einen Augenblick festgehalten hat, geht er. Dann geht Mattis. Oliver sitzt in der Stube, Mattis tut ihm fast leid.

Und im übrigen tauchten keine andern Unannehmlichkeiten mehr auf.

Keine andern?

O, die Zeit verging ja, und vieles ereignete sich, schlechtes Wetter verhinderte tagelang jede Ausfahrt. Petra war ans Haus gebunden durch das Kind, durch den Jungen, den sie bekommen hatte. Die alte Mutter hatte die Sorge fürs Haus aufgegeben; sie wanderte nicht mehr in die Welt hinaus und kam nicht mehr mit einem vollen Sack heim.

Doch das machte nichts, Oliver litt keine Not, er gedieh, er und die Katze. O, der alte Kater, er war zu nichts nütze, er konnte nur daheim in der Stube herumliegen und sich von den vielen Fischen einen dicken Bauch anfressen; schließlich glaubten die beiden Frauen, es sei eine Katze. Und Oliver, saß nicht auch er daheim, war zufrieden und wiegte das Kind und beobachtete, was auf der Straße vorging? Seine Hände waren kleiner und seine Haut weißer geworden, auch sein Gesicht sah hübscher aus. Es ärgerte ihn, daß er keine Möglichkeit sah, sich eine Pelzmütze für den Winter anzuschaffen; konnte er denn an Wintertagen mit einem Strohhut hinausrudern? Kannst du dir nicht einen Südwester anschaffen? fragte die Mutter. Du kannst dir selber einen Südwester kaufen, antwortete er, ich will eine Otterpelzmütze haben! Eitel war er. Der einstmals so flotte blaue Schlips hatte den Glanz verloren, aber das mußte doch verdeckt werden können; wenn er nicht aufzufärben ging, konnte ihn Petra wohl wenden. Doch es zeigte sich, daß die linke Seite ebenso verschossen war. Da wurde Oliver fast ein wenig übellaunisch und meinte: Ich denke, du sagtest damals, ich könnte bei Johnsen am Landungsplatz einen Verdienst bekommen, wie steht es denn damit?

Die arme Petra, ja, sie wollte mit dem Konsul reden.

Warum nennst du ihn immer den Konsul?

Wir nannten ihn den Konsul, als ich dort im Hause war.

Aber es sind doch noch andere Konsul geworden, sagte Oliver. Der Heiberg ist Konsul, der Grütze-Olsen ist Konsul.

Ganz richtig, es gab allmählich mehrere Konsuln im Ort, o, so viele von diesen Vizekonsuln und Konsularagenten, so viele, die sich um die Knochen balgten, es wimmelte von ihnen in dem Küstenort. Nicht immer lief es ohne Streit und Mißgunst ab, es wurde im geheimen gearbeitet, der eine Handelsmann erlaubte dem andern nicht, hinter seinem Rücken zu florieren. Johnsen am Landungsplatz erlebte es, daß er viele Gleichgestellte hatte, und was erlebte nicht alles auch Frau Johnsen! Gott war ihr Zeuge.

Petra war vielleicht in einem besonders ungünstigen Augenblick zu C. A. Johnsen gekommen, er hatte keine Arbeit für ihren Mann. Oder hätte es ihr vielleicht mehr genützt, wenn sie auch nur eine Spur niedlich und zart ausgesehen hätte? Die arme Petra, ihr Gesicht war fahl mit eingefallenen Wangen, und der Konsul sagte glattweg nein, wahrhaftig, es sei nichts zu machen. Sie solle es bei einem von den neugebackenen Konsuln probieren, Gott mochte wissen, wofür die eigentlich Konsul geworden seien? Ob ihr Mann nicht bei Olsen ankommen und ihm die Grütze auswiegen könne? Aber es sei sehr richtig von ihr, daß sie zuerst zu ihm komme, zu C. A. Johnsen, er wolle versuchen, Oliver späterhin eine Arbeit zu verschaffen, aber jetzt nicht. Sie solle doch nicht so niedergeschlagen aussehen, es gebe außer ihr noch andere, denen es in der letzten Zeit knapp gegangen sei, die Zeiten seien schwierig, das Dampfschiff Fia habe auch nicht so besonders gute Geschäfte gemacht. Und warum Oliver denn nicht auf den Fischfang hinausrudere?

Der Konsul betrachtete Petra und ihre Angelegenheit mit guten braunen Augen, und er wies sie nicht ohne Mitleid ab, aber sie mußte unverrichteter Sache fortgehen.

Was nun? Was sonst, als daß sich Oliver wieder zusammennahm und wieder männlich auf den Fischfang auszog, ja, jeden Tag, früh und spät. Er wollte es ihnen zeigen! Und nie kam er mit einem Fisch zu Johnsen am Landungsplatz, sondern er ging auffällig vorbei. Als er später mehr Fische fing, als er tragen konnte, stellte er sich leere Kisten am Bollwerk zurecht und richtete einen Fischmarkt ein, ein Abenteuer! Da stand er und war ein Großhändler. Einige Tage lang sträubten sich die Familien, den weiten Weg nach dem Bollwerk zu machen, da aber immer Fischnot herrschte, mußten sie sich fügen und zugreifen. Oliver hatte sehr matte Augen, und wenn man ihn sah, kam er einem fast etwas aufgedunsen und schwachsinnig vor; aber nicht immer, nicht, wenn es sich um einen Kniff, einen Streich handelte, da war er schlau genug. Da stand er nun mit seinen Fischen, er pries sie nicht an, schraubte im Gegenteil den Preis hinauf und machte ihn unerhört teuer. Wollt ihr die Fische? Nicht, dann laßt es nur! Oliver wußte, daß er die Fische an die regelmäßig verkehrenden Schiffe verkaufen konnte, und außerdem wußte er auch, daß anständige Leute mit einem Krüppel nicht so genau rechnen durften.

Den ganzen Herbst hindurch lebte Oliver mit seiner Familie besser als je, die Frauen schätzten ihren Versorger und ließen ihm das Beste zukommen, der Versorger bekam am Abend Sirup auf die Grütze und am Sonntag sogar Waffeln zum Frühstück. Das war nicht mehr als recht und billig. Er verbesserte seine Stellung, er bezahlte den Kaufleuten etwas von seinen alten Schulden ab und strich sogar die beiden Türen des Anbaus an; auch stieg er im fachmännischen Ansehen bei den Fischern, bei Jörgen und Martin. Da hatten diese alle die Jahre her die Fische in die Häuser der Stadt geschleppt, ohne zu murren, bis Oliver daherkam und sie lehrte, hinter einem Tisch am Bollwerk zu stehen und die Fischpreise zu erhöhen. Sie bedankten sich bei ihm, weil er das erfunden hatte. Ja ja, ich bin eben ein wenig in der Welt herumgekommen, erwiderte Oliver.

Diese zunehmende Achtung von seinen Nächsten und den andern wirkte auf Oliver zurück und tat ihm gut. Wenn er von der Tagesarbeit heimkehrte und am Stubenfenster vorbeikam, konnte er hören, daß es drinnen sofort lebhaft wurde und daß Petra zu dem Kinde sagte: Da kommt Vater! Es war merkwürdig, wie diese ausgedachten Worte das Kind beruhigten, und Oliver behauptete sogar, der Junge in der Wiege verstehe sie. Es war auch gar nicht unmöglich, daß er sie verstand: Die Worte wurden jeden Tag zu einer bestimmten Zeit wiederholt, und ihnen folgte regelmäßig ein Knirschen der Tür, ein kalter Luftzug und ein eintretender Mann, der nach der Wiege hinnickte. Als der Junge ein paar Monate älter war und allein spielte, konnte kein Zweifel darüber herrschen, daß er den Ereignissen in der Stube mit vollen Sinnen folgte; seht nur das Wunder, den kleinen Racker! Sobald die Mutter das Mieder aufknöpfte, fing er an zu schmatzen, und wenn die Mutter sagte: Da kommt Vater! richteten sich seine braunen Augen auf die Tür.

Zwischen dem Jungen und Oliver herrschte große Freundschaft. Und als das Kind die Ärmchen ausstreckte und zu Oliver wollte, da übermannte den Krüppel die Rührung. Dieses kleine Wesen – hat man je so etwas gesehen – dieses Nichts, dieser kleine Racker, he he, ein verflixter Kerl, zum Kuckuck! Es wurde vollends schlimm, als der Junge zu weinen anfing, wenn Vater fortging, das konnte Vater nicht ertragen, er hätte am liebsten selbst geweint und schrie Petra deshalb an: Gib ihm die Brust, hab ich dir gesagt! Und darauf lief er mit seinem Stelzfuß zum Hause hinaus.

O ja, oftmals geriet er mit den Frauen im Hause in Streit über das, was das Kind verstand und nicht verstand. Er gab sich sehr viel mit ihm ab, zeigte ihm Bilder und Buchstaben und gab ihm alles mögliche in die Händchen, um damit zu spielen. Sie waren alle beide Kinder, blödsinnig und schnurrig. Ich glaube, du bist verrückt! schrien die Frauen. Stellst du dem Kinde den Kaffeekessel auf den Schoß! – Ja, worauf soll er denn klopfen? fragte Oliver. Er nahm die Zieraten von der Kommode und trug sie dem Jungen hin; als das Kind einen kleinen Spiegel auf den Boden schleuderte, sagte Oliver, er selbst habe den Spiegel fallen lassen und nahm die Schuld auf sich.

Das waren gute Tage! Petra wurde ja auch wieder hübsch und wollte an den Sonntagen gern ein wenig ausgehen. Ja, sie sollte nur gehen, Oliver habe nichts dagegen, die Großmutter könne auch gehen, er verstehe nicht, wie gesunde, ruhige Menschen daheim sitzen bleiben möchten.

Er selbst hielt sich in der Stube auf, und wenn das Kind schlief, döste er am Tisch. Träumte er? Zogen die Erinnerungen aus der früheren Zeit durch sein schwerfälliges Gehirn? Er hätte wohl Ursache gehabt, über sein furchtbares Schicksal nachzugrübeln, aber dieses hatte ihn vielleicht schon stumpfsinnig gemacht.

Dann kam Petra in der Abenddämmerung heim, und es war auch Zeit, denn nun schrie das Kind, wie wenn es am Spieße steckte. Die Sache aber war die: Oliver wollte es ja lesen lehren, mitten in dem Unterricht jedoch fing der Junge an zu brüllen, Vater wiegte ihn herrlich auf und ab und redete ihm gut zu. So, so, so, es geht schon, du darfst den Mut nicht verlieren, du lernst es, so wahr ich Oliver Andersen heiße! Doch der Junge wollte ja Milch haben, deshalb schrie er, sonst wegen nichts.

Wenn nun Petra nur ein wenig demütig und reuevoll gewesen wäre, weil sie so lange aufgehalten worden war, aber keine Rede davon! Es war wohl ein jäher Sturz für sie, da kam sie geradeswegs von der Straße und vom Leben und wurde daheim mit Kindergeschrei empfangen. So jung noch und schon so gebunden, so unterdrückt! Ach, so schweig doch, jetzt bin ich ja da! sagte sie zu dem Kinde. Aber sie ließ sich gut Zeit, den Sonntagsstaat auszuziehen, und dann stand sie vor dem Spiegel und besah sich von allen Seiten; das war recht widerlich, und Oliver war mehr als geduldig, daß er ihr nicht die Krücke zu schmecken gab.

Nachdem er ihr eine Weile zugesehen hat, ruft er rasend: Warum, beim Satan, nimmst du den Jungen nicht?

Warum ich ihn nicht nehme? Jetzt nehm ich ihn.

Ja, – nachdem er sich ganz blau geschrien hat.

Laß ihn schreien! Es handelt sich nicht ums Leben.

O, es war kein Zweifel, Oliver hätte die Krücke benützen sollen. Handelte es sich nicht ums Leben? Was für eine Kuh! Aber es handelte sich ums Essen. Das konnte er gleich sehen: als das Kind das bekam, was es haben sollte, schwieg es sofort. Du solltest deinen Verstand gebrauchen, sagte Oliver und fühlte sich rechtschaffen.

Aber Petra warf den Kopf zurück, Petra murrte. Was war das nur? Verstand sie vielleicht nicht, in was sie sich hineinbegeben hatte? O ja, sie verstand es sehr wohl.

Sie war kein Mädchen mehr, sie war im Gegenteil verheiratet und verloren; laß jetzt jede Hoffnung schwinden! Arme Petra, sie hatte in einer Zwickmühle ordentlich nachgeben müssen, o, was für ein Kreuz sie auf sich genommen hatte! Sie konnte es nicht tragen, nicht wie andere aus dem Volke, andere Mädchen trugen auch kein solches Kreuz, zum Kuckuck, nein! Bei Konsuls war ihr viel anvertraut gewesen, zweimal hatte man ihr den Lohn erhöht, und Scheldrup war in sie verliebt gewesen, war es wohl noch. Und da saß sie nun!

Es ist gerade, als dächtest du gar nicht an den Jungen, sagte Oliver wie ein Richter.

O, ich denke Tag und Nacht an ihn. Soll ich ihn auf den Rücken nehmen, wenn ich ausgehe?

Petra höhnte. Oliver sah sie immer aufmerksamer an, und als nun ihr Atem seine Nase erreichte, begriff er besser: sie war da und dort gewesen und hatte getrunken. Ha, das war großartig, und jetzt hatte sie Mut und Beredsamkeit bekommen.

Wo bist du gewesen? fragte er.

O, nicht in vielen Häusern.

Du bist jedenfalls irgendwo gewesen, und man hat dir zu trinken gegeben.

Merkst du es? Jawohl, ich bin bei Konsuls gewesen. Sie hatten Gesellschaft, und ich habe ein wenig mit geholfen. Frau Johnsen hat mir eingeschenkt.

Petra war nicht dem Trunke verfallen, diese Erklärung genügte, wenn sie wahr war. Wenn sie wahr war! Sie scheute sich nicht vor einer Notlüge, einer falschen Aussage, im Gegenteil, da sie nicht besonders erfinderisch war, wurde sie dann liebenswürdig und lieb und frech, und damit kam sie weit. Oliver mochte es glauben oder nicht glauben, daß sie bei Konsuls gewesen sei, das änderte nichts an der Sache! Seht, da sitzt sie nun und stillt das Kind, etwas dumm, aber hübsch und jung, etwas toll vielleicht, leichtsinnig vielleicht, warum nicht? Nun, sie war gerade kein Licht, sondern gewöhnlich und unbedeutend, eine Dirne in einem Paar Stiefel, aber auch mit guten Seiten, mit Körperwärme, mit einer verflixten Weiblichkeit. Da kam sie nun heim und war im Hause, sie gehörte Oliver, sie war etwas Ernährendes, sie hatte Milch in sich, er sah ihre geschwellten Brüste.

Aber jetzt hatte Petra zu trinken bekommen, vielleicht war sie hungrig gewesen, als sie trank, deshalb konnte sie nicht mehr als ein Glas vertragen, dann wurde sie keck, dann wurde sie unfreundlich und gleichgültig. Seht, wie sie den Jungen wiegt, den kleinen Frank hin und her schaukelt!

Aber das konnte Oliver nicht leiden, o, das wußte sie sehr wohl. Sie stritten sich, und Petra blieb keine Antwort schuldig, sie kümmerte sich auch gar nicht darum, daß die alte Großmutter hereinkam und zuhörte. Was dachte wohl die Großmutter, streiten sie sich im Ernst? Sie hörte die junge Frau zu ihrem Manne sagen: Womit kannst denn du groß tun?

Ich?

Ja, du. Und daß du dich nicht schämst?

Ich bin eben so, wie du mich hier siehst, versetzte er.

Da lachte sie und erwiderte: Ja, wenn du wenigstens so wärest!

Die Großmutter verstand diese Rede nicht, aber sie verwunderte sich über ihren Sohn, der gar nicht auffuhr, da saß er. Petras Worte waren so sonderbar, was sollte das bedeuten? Und Oliver schwieg dazu.

Was gibt es denn? fragte die Alte.

Keines von beiden gab eine Antwort.

Plötzlich fragt Oliver unheilverkündend: Warum bist du denn hergekommen und hast mich haben wollen? Das versteh ich nicht.

Darauf antwortete Petra: Das hast du wohl verstanden.

Was habe ich verstanden?

Schweigen.

Die Großmutter ging durchs Zimmer und zog ebenfalls ihren Sonntagsstaat aus, sie hängte ihn weg, aber sie war ganz Ohr. Was konnte denn Petra noch von ihrem Manne wissen, was ihm nicht alle Welt ansehen konnte? Was war das für ein geheimer Fehler? War er im Gefängnis gewesen oder sollte er hineinkommen? Jetzt fiel der Großmutter auch ein, daß Petra schon seit längerer Zeit auf ihren Mann stichelte, halb im Scherz, aber doch halb höhnisch, sie lachte dann und machte kleine unanständige Bemerkungen: er tauge genau so viel wie der Kater im Hause, er fresse Fische.

Wieder herrschte Schweigen im Zimmer. Das Kind schlief und die Menschen beruhigten sich. Was gibt's Neues im Ort? fragte Oliver, um Entgegenkommen zu zeigen.

Da Petra nicht antwortete, sagte die Mutter: Was mich betrifft, so hab ich nichts Neues gehört. Ja, jetzt soll eine höhere Schule hier eingerichtet werden.

Was, eine höhere Schule hier?

So heißt es. Und sie wollen ein mächtiges steinernes Haus dafür bauen.

Da es indes Olivers Absicht war, seine Frau mit ins Gespräch zu ziehen, fragte er sie direkt: Was war denn in der Gesellschaft?

In welcher Gesellschaft?

Aha, also das wußte sie nicht mehr. Dann war es wohl Schwindel gewesen. Er nahm sich vor, morgen darüber Auskunft zu erlangen.

Ach, du meinst bei Konsuls. Da waren alle die Vornehmen.

Waren ihre Frauen auch da?

Nein, das heißt, ich weiß es nicht.

Dann hast du also nicht aufgewartet?

Warum fragst du denn die ganze Zeit? unterbrach sie ihn lachend. Glaubst du mir vielleicht nicht? O, aber sie war nicht so ganz ruhig, ihr Lachen klang unecht. Sie balancierten beide, gingen auf des Messers Schneide. Plötzlich richtete sie sich entschlossen auf, strich sich übers Haar und scherzte: Weißt du was, du hättest deine Krankenpflegerin in Italien nehmen sollen, Oliver, dann wärest du ein Mann geworden!

Und Oliver erwiderte halb scherzhaft, halb ernst: Allerdings, und ich denke auch mit Reue an die Krankenpflegerin zurück.


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