Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12

Die Jahre vergehen. Die Jugend wird konfirmiert, schießt in die Höhe und wird lang und groß, sogar ungewöhnlich groß, da die Mode zur Zeit sehr hohe Absätze unter den Schuhen verlangt.

Fia Johnsen war schon ebenso groß wie ihre Mutter; sie war braunäugig und von blasser Hautfarbe, ein schönes Geschöpf. Die Sommersprossen waren fast ganz verschwunden, und sie ließ einen langen Zopf den Rücken hinunterhängen. Die Leute hatten sie aufwachsen sehen, sie erinnerten sich noch gut an ihre Geburt, ja, sie hatten ein gutes Gedächtnis, und sie wußten auch noch, was sie bei ihrer Konfirmation angehabt hatte; nicht selten standen die Weiber am Brunnen und verbreiteten sich über all diese Herrlichkeit. Es sei nicht schlecht, Fia Johnsen zu sein.

Ihr Bruder Scheldrup Johnsen war in einem Lande nach dem andern, um zu lernen; seine Mitbürger verloren ihn von Zeit zu Zeit ganz aus dem Gesicht, aber Fia war zu Hause. Sie lernte tanzen und Klavierspielen und abstauben und niedlich sein. Sie zeichnete und malte gern und vertiefte sich in die Zeitungen und Zeitschriften im Hause des Konsuls, auch hatte sie alle die vielen schönen Teller gemalt, die rund herum an allen Wänden des Eßzimmers aufgestellt sind. Das Werk meiner Tochter! pflegt der Konsul seinen Gästen zu sagen.

Zuerst wurde ihr Talent in der Schule und beim Zeichenlehrer der Stadt ausgebildet, dann kam sie in größere Städte und Hauptstädte und lernte mehr, und so oft sie wieder nach Hause kam, konnte sie selbst noch einsichtsvoller über ihre Teller lächeln. Jetzt war sie soweit, daß sie eigenhändig die Aussicht von ihrem Fenster und Teile des Gartens malte. Gut. Aber Fia war sehr jung und bedauerlich mager, durchaus nicht unterernährt, behüte, aber unentwickelt, ohne Muskeln, ohne Arbeit. Was sollte sie mit sich und ihrem Talent anfangen? Ihre Eltern konnten es sich leisten, sie zu Hause zu behalten oder ihr einen Aufenthalt auswärts zu gestatten, ganz wie es ihr behagte. Und mochte sie sein, wie sie wollte, so war sie hübsch und einnehmend und nahm nie zwei Treppenstufen auf einmal, nein, niemals. Aber das war auch alles. Einen Lebensberuf hatte sie nicht nötig, ihr Talent war keine Notwendigkeit. Ihr Leben hatte keinen Ernst.

Sie sollte eine richtige Arbeit haben, sagt der Doktor.

Er sagt das schon seit mehreren Jahren und ärgert ihre Eltern damit. Arbeit? Was hätte ihre Tochter arbeiten sollen?

Wollen Sie sie vielleicht als Dienstmädchen nehmen? fragt der Konsul.

Dazu taugt sie nicht.

Nicht einmal dazu?

Nein. Aber streifen Sie ihr die Brillantringe ab und lassen Sie sie im Garten arbeiten.

Dazu hab ich meine gelernten Gärtner. Die arme Fia ist ja immer sehr tätig; jetzt will sie eine Weile recht fleißig sein und dann eine Ausstellung machen.

Ach Gott! sagt der Doktor.

Die beiden Herren sitzen in C. A. Johnsens Kontor, im Doppelkonsulat, und der Konsul kann also den Doktor nicht einfach stehen lassen und seiner Wege gehen. Meine Tochter ist ihnen mit ihrer Kunst noch nicht sehr lästig gefallen, sagt er. Hingegen haben sich einige Kritiker lobend darüber ausgesprochen.

Ja, das kennen wir. Aber was zum Teufel soll das Kind mit seiner Kunst, wenn es krank und elend ist?

Das verwächst sich.

Das ist keineswegs gewiß.

Merkwürdig, daß sich Konsul Johnsen immer so viel von dem Doktor gefallen läßt! Daß er ihm auch in allen diesen Jahren nicht ein einziges Mal die Tür gewiesen hat! Die medizinische Autorität? Was hatte der Konsul mehr als andere damit zu tun? Natürlich stand der Doktor in der Stadt in ungeheuerem Ansehen, das wohl, aber konnte sich das mit dem Ansehen, das der Konsul genoß, irgendwie vergleichen? Wahrhaftig, es war für jedermann ein Rätsel, daß der Doktor es sich herausnahm, mit dem gewaltigen Mann so von der Leber weg zu reden.

Und gerade jetzt war eine Zeit, in der der Konsul Grund hatte, noch weniger als sonst Ärger hinunterzuschlucken: er hatte vorher schon genug davon. Er sagt darum so wenig verletzend wie möglich: Wir Eltern wollen hoffen, daß die Vorsehung barmherziger gegen Fia sein wird, als Sie, Herr Doktor. Wollen Sie sich nicht eine Zigarre anstecken, ehe Sie gehen?

Doch gerne, wenn ich gehe. Wenn Sie das mit Fia richtig aufnehmen wollten, dann hätte sie die Barmherzigkeit der Vorsehung nicht besonders nötig. Wie ist es denn, soll sie nicht auch einmal heiraten?

Würde sie etwa dazu nicht taugen?

Ein Mann will eine Frau heiraten und keinen Maler.

Lächelnd sagt der Konsul: Nun, dann muß sie sich eben später die Eigenschaften der verheirateten Frau erwerben. Das hat aber noch mehrere Jahre Zeit. Vorerst ist sie der Kunst beflissen.

Angenommen, sie hätte sich dieses Vergnügen nicht leisten können, so wäre sie genötigt gewesen, als Frau viel tüchtiger zu werden, sagt der Doktor. Und angenommen, sie könnte sich das nicht immer leisten?

Wieder sagt der Konsul lächelnd: Dann müssen Sie sie versorgen.

Sie hören doch, ich sage nur angenommen.

Die Zudringlichkeit des Doktors war wirklich unerträglich, und wenn der Konsul gewußt hätte, warum er gerade heute so zudringlich war, so hätte er vielleicht dennoch – dennoch – seinem Gast die Tür gewiesen.

O, der neue Brillantring, den Fia bekommen hatte, der war's, der ließ der Frau des Doktors keine Ruhe mehr. Was sollte sie damit, so ein Kind? Eigentlich sollte sie noch in kurzen Röcken gehen, jawohl. Und was war aus dem armseligen kleinen Brillantring geworden, der der Frau Doktor schon seit vielen Jahren in Aussicht gestellt war? Ach, alles zusammen war so schwer und traurig! Das tägliche Leben bot auch gar keine Freuden, huhu!

Aber der Konsul weiß nichts von dem Kampf, den die Doktorsleute miteinander ausgefochten haben, und er muß wohl doch ein Körnchen Vernunft in dem gefunden haben, was der Doktor gesagt hat, denn er wurde nachdenklich. Er liebte Fia und wollte vor allen Dingen ihr Bestes, er war ein bißchen zu willfährig gegen sie, ihr Aufenthalt in den Städten wurde immer teuerer, aber das war notwendig zu ihrer weiteren Ausbildung: er konnte ihr keine Hindernisse in den Weg legen, sie hätte sich ja vor ihren neuen Bekannten und Freunden schämen müssen. In ihrer Güte hatte sie angefangen, den andern Malern Bilder abzukaufen, um ihnen zu helfen; aber da hatte der Vater Einspruch erheben müssen, die Ausgaben waren ohnedies groß genug, und sein Geldschrank war nicht unergründlich. Gut, Fia beugte sich und legte diesen Fehler ab, aber einige andere behielt sie in der Stille bei, einige ganz kleine, nur Lappalien gegen all die Tugenden, die sie schmückten. Wenn sie unter Fremden war, dann trat sie fein und gebildet auf, aber ein klein wenig zu sehr von oben herab. Sie ließ gerne durchschimmern, daß sie aus einem alten Kulturheim und einem Millionärnest stamme. Das war halb Betrug und halb Selbstbetrug. Wenn sie das Postschiff nicht mehr erreicht hatte, konnte sie zu den Umstehenden sagen: Wenn ich nur unser eigenes Dampfschiff hier hätte! Ach, ihr eigenes Dampfschiff hatte anderes zu tun, als Fräulein Fia herumzufahren, und außerdem war es ein Kasten, der höchstens acht Meilen machte, im Durchschnitt nur fünf Prozent trug und zuweilen auch zwei verlor.

Und gerade jetzt verlor das Dampfschiff Fia wieder einmal.

Der gute Konsul war nicht immer ein guter Reeder, und Scheldrup befand sich gerade deshalb im Auslande, um die richtige Reederkunst zu lernen. Es stellte sich heraus, daß es ein Unterschied war, über ein Dampfschiff richtig zu verfügen, oder eine mit Tran beladene Galeasse über die Nordsee zu schicken, Kohlen zu holen. Fia brachte nicht auf jeder Fahrt einen Überschuß, und sie fuhr auch nicht immer ihre acht Meilen. Aber der Verlust war es nicht allein, Fia war auch noch auf andere Weise ein Kreuz. Eben jetzt gärte es unter der Mannschaft, die Leute klagten über die Kost und liefen davon, und der Konsul konnte nicht begreifen, warum dieselbe Kost nicht mehr so gut sein sollte, wie alle die vergangenen Jahre her. Und darüber ärgerte er sich.

Auch eine unglaubliche Nachricht ist zu uns gedrungen, nämlich die, daß Kaufmann Davidsen auch Konsul geworden ist – allerdings nur einfacher Konsul, aber dennoch Konsul. Dann gab es ja gar keine Grenzen mehr. Davidsen, der vor zwanzig Jahren aus der Nachbarstadt hierher gezogen war und immer noch von den echten Eingeborenen als Auswärtiger angesehen wurde, der so manches liebe Mal selbst hinter dem Ladentisch stand, der den Kindern kleine Fischgeräte verkaufte, sowie großes Tauwerk und schweres Segeltuch für die Schiffe, alles einfachere Sachen, ohne Manufaktur und blanke Kurzwaren. Bei Johnsen am Landungsplatz trugen die Ladendiener gestärkte Kragen, bei Davidsen hatten sie die Ärmel aufgekrempelt und die Hände mußten Trossen handhaben können. Das war ja ganz schön, und Arbeit schändet nicht, aber das war doch kein Konsulatswesen und keine Repräsentation.

Hatte der Konsul sonst keinen Grund, sich zu ärgern? Doch, noch einen. Mit Oliver, seinem Lagerhausaufseher, hatte es Widerwärtigkeiten gegeben. Wieso? Er hatte falsch gewogen. Zu seinem eigenen Vorteil? Keine Spur, zu dem des Konsuls. Das war ja ganz schön, treue Dienste schänden auch nicht; aber man darf doch nicht betrügen. Es war so zugegangen: der Schreiner Mattis hatte einen Viertelzentner Griesmehl holen wollen, und beim Auswägen hatte Oliver wohl vergessen, seinen fetten kleinen Finger von der Wage wegzunehmen. Dieser kleine Finger mußte ein ordentliches Gewicht gehabt haben. Mattis schöpfte Verdacht, ging zu Grütze-Olsen und ließ nachwiegen. Richtig, wie er gedacht hatte: ein ganz bedeutendes Untergewicht.

Das dümmste, was der Schreiner Mattis tun konnte, war ja nun gewesen, daß er mit dem Mehlsack den Laden verlassen hatte; er hätte sich vor die Stirn schlagen und seinen Geldbeutel »vergessen« haben müssen, um auf diese Weise einen von den Ladendienern mit sich ins Lagerhaus zu locken und das Gewicht nachzuprüfen. Aber Mattis war dumm und hitzig, er ging seiner großen Nase nach und fing gleich an zu donnern und zu blitzen; aber was sollte das helfen? Er lief von Wage zu Wage in der Stadt und ließ seinen Mehlsack nachwiegen und erzählte überall warum. Schließlich kam er wieder zu Johnsen am Landungsplatz zurück, die Kleider voll Mehlstaub und rasend über alle Maßen.

Nun begab es sich, daß gerade auch Olaus vom Anger im Laden war, und Olaus war heute großartig. Voll von Branntwein, übervoll. Anfänglich war er stumpf und geistesabwesend, als er aber die Geschichte des Schreiners vernahm, entstand bei ihm plötzlich ein Bewußtsein auf neuer Grundlage, und er rief laut: Was, falsches Gewicht?

Falsches Gewicht! bestätigte der Schreiner. Es ist bewiesen.

Der Erste Ladendiener, Berntsen, sucht ihn zu beruhigen: Schreien Sie doch nicht so, der Konsul sitzt ja im Kontor.

Er soll nur herauskommen, ich hab nichts dagegen, sagt Mattis.

Heraus mit dem Konsul! schrie Olaus.

Sieh her, Olaus, da hast du Tabak für deine Pfeife, und jetzt gehst du! sagt der Ladendiener. Kommen Sie, Mattis, gehen Sie mit mir!

Sie gingen nach dem Lagerhaus.

Oliver nahm die Sache sehr nett auf und war äußerst nachsichtig gegen den rasenden Schreiner. Warum sollten sie denn Streit miteinander anfangen? Er mußte lachen. Meinte Mattis vielleicht, er, Oliver, werde auf ihn losstürzen wie ein wildes Tier? Er mußte wieder lachen. War etwas nicht in Ordnung, so war es ein Versehen gewesen, das konnte bei jedem vorkommen.

Ich hab es nicht zum erstenmal gemerkt, sagt Mattis.

Oliver schielt zu ihm hinüber und sagt: Was das betrifft, so reiß das Maul lieber nicht so weit auf. Du könntest sonst am Ende Zeugen beibringen müssen.

Berntsen wiegt nach und füllt das Fehlende in den Sack; er gibt gutes Gewicht. So sollst du für Mattis wägen, sagte er und schlichtete damit den Streit. Das war nicht schön von dir, Mattis, daß du mit dem Sack in der Stadt herumgerannt bist; du hättest hier auf der Stelle dein Recht bekommen.

Ich war aber doch rasend, denn es war nicht zum erstenmal.

Und das hören Sie mit an, Berntsen! sagt Oliver und verlangt Zeugen.

Aber Berntsen ist ein alter, gewiegter Kaufmann und verfährt klug und vorsichtig; Schreiner Mattis war kein schlechter Kunde, er war sogar Handwerksmeister mit Lehrling und Gesellen. Er hatte ein Haus, wenn auch kein Heim, er hatte nur Maren Salt, jawohl, aber darum war Mattis doch nicht der erste beste, und jetzt war er auch noch in den Gemeinderat gewählt.

Nimm dich in acht, Oliver! mahnte Berntsen. Soweit ich es beurteilen kann, hast du den Fehler gemacht, und du darfst nicht leichtsinnig mit dem Gewicht umgehen, das würde dir der Herr Konsul auch sagen.

Damit war diese Sache erledigt.

Dem Konsul war die Geschichte mitgeteilt worden; er selbst war ja natürlich über jeden Verdacht erhaben, aber geärgert hatte er sich doch. So, man lief also in der Stadt herum und ließ nachwägen, was bei ihm gekauft worden war? Und daß sich jemand herausnahm, in seinem Laden zu schreien: Heraus mit dem Konsul! das war genau so, wie wenn die Matrosen auf der Fia über die Kost klagten. Nein, der alte gute Geist war von der Erde gewichen, alles sollte gleichgemacht und alle Grenzen sollten verwischt werden; man drängte sich an ihn heran, man mischte sich in seine Angelegenheiten, ein Doktor bildete sich ein, in seiner Gegenwart alles sagen zu dürfen! Und dann die vielen Konsuln, die in jeder Straße emporschossen.

Der Doktor hätte also eine passendere Zeit und Stunde finden können, um die Geduld des Konsuls auf die Probe zu stellen.

Es klopft an der Kontortür, und da der Konsul keine Antwort gibt, ruft der Doktor: Herein! Auch das erlaubt sich der Doktor. Vor wenigen Jahren noch hätte der Konsul dem sofort ein Ende gemacht, früher war er nicht so wehrlos gewesen, jetzt schien er irgendwie innerlich geknickt zu sein. Was in aller Welt hatte er zu fürchten? Wußte der Doktor etwas von ihm, dieser Bezirksarzt und Quacksalber, hatte er irgendeine Waffe gegen den Doppelkonsul?

Herein tritt der Apotheker. Er ist klein und nervös, bleich, beinah gänzlich bartlos, ein vermöglicher Mann, verheiratet, aber kinderlos, mit Junggesellenmanieren, er trug fleckige Kleider und roch nach Medikamenten und Tabak.

Guten Tag! sagt er.

Meinen Sie? erwiderte der Doktor. Ich meine, es sei ein schlechter Tag.

Der Apotheker grüßt den Konsul mit einem Handschlag. Dann reicht er auch dem Doktor die Hand und sagt: Darf ich auch Sie begrüßen?

Sie meinen, ob ich es mir gefallen lasse?

Das war wohl dieses Mannes Art, zu scherzen, und die Hand des Apothekers ergriff er nicht.

Eine Zigarre, Herr Apotheker! bietet der Konsul an. Darauf nimmt er einige große Bogen Papier vom Tisch auf, liest ein wenig darin, ordnet sie nach der Seitenzahl und legt sie dann wieder aus der Hand.

Sie sind beschäftigt, wie ich sehe, sagt der Apotheker. Ich gehe sofort wieder.

Es sind nur diese Konsulate, die ich auf dem Halse habe, sagt der Konsul.

Die sind wohl auch nicht nur ein reines Vergnügen?

Ich bin eben dabei, die Berichte an meine Regierungen auszuarbeiten, und das ist wahrhaftig keine kleine Arbeit.

Es kann gut sein, daß der Konsul das halb im Scherz sagt, aber er sagt es doch mit Würde und macht den Eindruck, als ob seine Ehrenämter eine rechte Last wären.

Ihre Regierungen? fragt der Doktor. Das ist ja sonderbar, haben Sie mehrere Regierungen? Ich habe nur eine einzige Regierung: die norwegische.

So viel konnte der Konsul zur Not tun: er konnte überhören, was der Doktor sagte, und den Apotheker fragen, ob er nicht einen sehr guten Wein haben wolle, Madeira, den und den Jahrgang.

Was kostet er denn? Nein, das ist für die Apotheke zu teuer. Aber ich kann fünfzig Flaschen für meinen eigenen Gebrauch nehmen.

Mir bietet er keinen an, dachte der Doktor. Der Krämer, der Jude! dachte er nebenbei. Wo ist Scheldrup gegenwärtig? fragt er laut.

In Havre. Warum fragen Sie?

Wann kommt er denn nach Haus?

Das weiß ich nicht. Er bleibt wohl noch eine Weile fort.

Es ist neun Monate her, seit er zum letzten Mal hier war.

Der Konsul besinnt sich und sagt: Ja, das stimmt.

Ja, das stimmt, sagt auch der Doktor. Dann gähnt er ungeniert, steht auf und streift seine Zigarrenasche auf die geputzte Ofenplatte.

Bitte, hier ist ein Aschenbecher! sagt der Konsul.

Ach, entschuldigen Sie!

Der Doktor tritt ans Fenster und sieht auf die Straße hinaus. Er zeigte sich wirklich im höchsten Grade überlegen, einem doppelten Konsul so einfach den Rücken zu kehren!

Kann ich den Herren heute mit irgend etwas dienen? fragt der Konsul.

Der Apotheker lehnt dankend ab und ruft: Kommen Sie, Herr Doktor! Wir dürfen dem Herrn Konsul nicht länger zur Last fallen.

Ich sehe den Kindern da unten zu, sagt der Doktor, ohne sich zu beeilen oder sich auch nur umzudrehen. Ein kleines Mädchen, auch mit braunen Augen, das gehört gewiß Oliver. Dann dreht er sich um und sagt zu dem Apotheker gewandt: Finden Sie nicht auch, es gibt allmählich viele Kinder mit braunen Augen hier in der Stadt?

Der Apotheker sagt ausweichend: So? Nein, davon weiß ich nichts.

Und gestern ist ein neues Exemplar dazu gekommen.

Der Apotheker sagt, noch immer ausweichend, aber nervös und verdutzt: Wieder ein neues Exemplar? Ja, was soll man dazu sagen?

Bei Henriksen auf der Werft wieder einmal. Das heißt bei Frau Henriksen. Das ist jetzt das zweite braunäugige bei ihr.

Um den Doktor zum Weiterreden zu veranlassen, sagt der Apotheker nun sehr eifrig: Was Sie sagen! Das sind Jakobs Stäbe. War da nicht eine Geschichte mit schwarzen und weißen Stäben?

Der Doktor knöpft sich den Überrock zu und macht sich in aller Gleichgültigkeit zum Gehen bereit. Was man sagen soll, fragen Sie? Nun, man kann ja auch schweigen. Ein Wunder ist es nicht, weder in dem einen noch in dem andern Hause, es ist eine ganz natürliche Sache. Diese blauäugigen Eheleute haben braunäugige Kinder von einem braunäugigen Vater, wer er auch sein mag.

Was Sie sagen!

Soll ich das nicht sagen? Das ist kein atavistischer Zufall. Ich hab ein wenig nachgeforscht, es gibt keine braunen Augen in der Familie, wenigstens nicht, wo die Verwandtschaft noch einen Einfluß haben könnte.

Das ist ja eine verfluchte Geschichte, entschuldigen Sie!

Der Konsul nimmt an der Unterhaltung mit einem gelegentlichen Lachen teil oder sagt Hm! Sonst steht er gelassen da und wartet darauf, daß die Herren sich verabschieden.

Na ja, entschuldigen Sie, Herr Konsul, grüßt der Doktor endlich. Es ist übrigens sehr schade, Herr Apotheker, daß Sie den Madeira noch nicht haben, sonst hätte ich mit Ihnen kommen und den Wein versuchen können.

Ich werde ihn heute nachmittag schicken, verspricht der Konsul.

Schon unter der Tür sagt der Doktor: Denken Sie über das nach, was ich von Fräulein Fia gesagt habe, Herr Konsul. Wir möchten sie doch gerne stark und gesund haben. Ich habe ein ganz besonderes Herz für die reizende Dame.

Jetzt sitzt der Konsul allein in seinem Kontor und stiert in seine großen Kanzleibogen hinein; er ordnet sie nach der Seitenzahl und legt sie wieder aus der Hand. Was wollten die Herren bei ihm? Regte sich ein Verdacht bei ihm über dieses »zufällige« Zusammentreffen? Hatten sie das miteinander ausgemacht, um dem Doppelkonsul einen Streich zu spielen?

Sein Gesicht wird immer ernster. Als der Apotheker anklopfte, hatte der Doktor sofort herein gerufen, damit sein würdiger Spießgeselle nicht wieder gehe. Komplott! Verschwörung!

Plötzlich macht der Konsul die Tür zum Laden auf und sagt zu Berntsen, seinem Ersten Ladendiener: Schreiben Sie dem Herrn Doktor seine Rechnung heraus, er hat darum gebeten!

Aber nachdem Konsul Johnsen diesen Befehl erteilt hat, ist er dennoch nicht fertig mit der Sache; er hat allerlei nicht hergehörige Gedanken im Kopf. Seht, er kann also nicht mehr wie in früheren Zeiten alles leicht nehmen, ein lästiger Hintergedanke kann sich jetzt einstellen und seine Arbeitslust lähmen. Die Berichte müssen warten, Berntsen kann sie übrigens auch schreiben.

Er tritt an den Spiegel, setzt den Hut auf, bemüht sich, sein sorgloses Gesicht von früher aufzusetzen, und wandert mit einigen fertigen Briefen auf die Post.


 << zurück weiter >>