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Die Stadt erdröhnte vom Tanzen. Waren Zeiten großen Aufstiegs eingetreten, waren große in Netze eingefangene Heringsschwärme der Küste entlang zu verzeichnen, oder brauchte England ungeheuer viele Holzladungen und Tonnage für einen neuen englischen Krieg? Keines von beiden. Außerhalb der Stadt war alles ruhig.

Die zugereiste Tanzlehrerin war's, die hatte die ganze Gemeinde verdorben. Sie wurde mit christlichem Widerstande empfangen, es wurden im Betsaal Versammlungen gegen sie abgehalten, aber es war zu spät, die Seuche hatte sich schon zu weit ausgebreitet. Sie hatte nicht allein die Eltern im Hinblick auf die Kinder ergriffen, sie drohte auch die Eltern selbst anzugreifen. Welch eine Seuche! Im Anfang umklammerte sie hauptsächlich die dienende Klasse, aber dann steckte sie nach oben an, steckte die bessern Leute im Ort an, sie walzte in die Eßstube beim Konsul Grütze-Olsen und bei Henriksen auf der Werft hinein, die Honoratioren der Stadt trällerten Tanzmelodien auf der Straße.

Vor dem Tanzlokal sah man immer Leute, die zuhörten und sich nach der Musik unziemlich in den Hüften wiegten und träumten, sie seien da drinnen mit dabei. Der Polizei-Carlsen tat nichts, er verhaftete niemand. Petra wurde oben auf der dunklen Treppe zum Saal angetroffen, da saß sie wehmütig und schamlos und träumte bei den Geigentönen und dem Fußgetrampel drinnen. Ach, aber Petra träumte ganz und gar aussichtslos, sie war verheiratet und verloren. Zu allem andern kam auch noch hinzu, daß sie wieder sehr schwerfällig geworden war und nächstens nicht mehr stehen, sondern nur noch sitzen konnte. Viele Jahre lang war es ihr gelungen, nicht dicker zu werden, sie war wie ein Mädchen und hübsch gebaut, aber nun war auch das vorbei. Sie hätte daheimbleiben und sich nicht vor den Leuten sehen lassen sollen, aber dann wurde sie auf der Treppe angetroffen, und Scheldrup Johnsen, der fand sie da.

Sitzt du hier, Petra? fragt er und ist teilnehmend.

Ja, antwortet sie. Nein geh fort, Scheldrup!

Aber Scheldrup wird nur noch teilnehmender, und da kommt Petra auch auf die Füße und versetzt ihm eine echte und gerechte Backpfeife, obgleich er der Scheldrup Johnsen ist. Das tat sie. Und gleich war jemand weiter unten auf der Treppe, der den Knall hörte und heraufkam und das übrige mit ansah: Daß Scheldrup in den Saal hineinschlüpfte, und Petra weinend die Treppe hinunter und auf die Straße hinauswankte.

Daran war ganz allein die Tanzmadam schuld, sie hätte in der Nachbarstadt bleiben können. Und trotzdem hatte sich die Unruhe, die sie mitgebracht, nicht gelegt, im Gegenteil: mehr als eine Bosheit kam in den Familien des Orts zum Ausdruck an dem Abend, als die Schüler ihren Abschiedstanz hatten; da kochte wilde Eifersucht auf Tüll- und Seidenkleider, und die Eltern waren neidisch auf die Kinder der andern.

Doktors gingen mit Johnsens am Landungsplatz heimwärts; Fia hatte nun ihren vergnügten Abend gehabt und sollte zu Bett mit ihren müden Beinen, die Erwachsenen dagegen wollten gerne noch eine Weile beisammen sitzen. Es gingen übrigens noch mehrere mit, darunter der Rechtsanwalt Fredriksen, für den sich Frau Johnsen ein wenig interessierte, weil er sich mit ihr abgab. Auch Henriksens von der Werft wurden eingeladen, obgleich sie außerhalb des Rahmens waren. Ja, holen Sie ihre Frau und kommen Sie mit, Henriksen! Und Sie auch, Herr Postmeister! Aber ganz besonders wurden Doktors höchst formell eingeladen, sie durften nicht umgangen werden, sie waren die Spitzen, das wußte der Konsul sehr gut.

O, die verborgene Feindschaft zwischen diesen Freunden, diesen Busenfreunden! Selten kam es zu einem ehrlichen Ausbruch, aber sie war da, sie glimmte unter der Asche! In lebhafter Unterhaltung wanderten sie heimwärts, sie gingen zu viert nebeneinander und fegten die Straße, ab und zu blieben sie stehen und versperrten allem Verkehr den Weg, wer an ihnen vorbei wollte, mußte zwischen ihnen hindurch schlüpfen. Es war ein gar herrlicher Sommerabend!

Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Fia, sagte die Frau des Doktors. O, ihr wurde es leicht unparteiisch zu sein, und es nicht mit einem Elternpaar ganz besonders zu halten, denn sie selbst hatte keine Kinder in der Tanzstunde, nein, Doktors hatten gar keine Kinder. – Fia war so hübsch heute abend. Aber meinen Sie nicht, ein nettes durchsichtiges Kleid wäre passender gewesen?

Sie wollte ein seidenes Kleid haben, antwortete Frau Johnsen, und außerdem waren genug billige Kleider da. Haben Sie gesehen, wie Heibergs ihre Alice herausgeputzt hatten?

Eine andere sagte: Eine hatte eine schwere Uhrkette an.

Das war eine von Konsul Olsens Töchtern.

Ja, ja, das arme Kind, Grütze-Olsens sind nun eben etwas für sich, gab Frau Johnsen nachsichtig zu. Nein, niemals konnte sie Grütze-Olsens verzeihen, daß auch sie ein Konsulat hatten und reiche Leute waren. War es nicht merkwürdig? Es hätte doch eine große Annehmlichkeit für Frau Johnsen sein müssen, daß sie mit immer mehr Damen von ihrem eigenen Rang zusammenkommen konnte, aber nein, das ertrug sie nicht. Und woher hatte sie denn ihre gelbe Gesichtsfarbe? Diese war sehr gelb, Frau Johnsen hatte wohl einen empfindlichen Magen.

Um von einem aufs andere zu kommen, sagte Rechtsanwalt Fredriksen, der Volksredner, und hielt die ganze Gesellschaft auf. Er redete so laut an dem stillen Abend, es war wie wenn ein Matrose in der Weinstube redet. – Ja, um von einem aufs andere zu kommen. Ist Ihr Dampfschiff jetzt auf dem Heimweg, Herr Konsul?

Es war Konsul Johnsen nicht unlieb, hier antworten zu können: Ja, jetzt kommt die Fia heim. Sie ist lange nicht dagewesen.

Hätte ich jetzt das Geld, das sie verdient hat! wünschte Henriksen auf der Werft. Das waren keine Kleinigkeiten, soviel er verstand! Wie das Konsul Johnsen wohltat! Aber er sagte: Ich antworte darauf, weil Schweigen mißverstanden werden könnte. Fia hat in Wirklichkeit nicht so sehr viel verdient. Ich war sehr oft froh, daß es mir möglich war sie über Wasser zu halten. Aber jetzt, in den letzten Jahren natürlich –

Oh! rief Henriksen und schüttelte den Kopf.

Die Geschäftsmoral hat ganz gewiß einen unverdient schlechten Ruf, sagt der Doktor plötzlich.

Wieso?

Der Doktor fährt fort, als habe er die Frage nicht gehört: Denn wenn ein Mann wie Konsul Johnsen sich ihrer bedient, dann muß sie brauchbar sein.

Die Geschäftsmoral? Wieso?

Ein langes, gewichtiges Schweigen entsteht; der Doktor hat keine Lust, etwas zu sagen, über das man verächtlich lächeln könnte. Und er will sich auch nicht in eine Erörterung mit Henriksen einlassen, deshalb äußert er nur im allgemeinen über die Versammlung hin: Es ist eine Verleumdung, daß Geschäft und Ausbeutung miteinander verwandt seien.

Aber nun habe ich doch noch nie –! ruft Henriksen verwundert, und er zieht die Augenbrauen in die Höhe, ganz, als ob das eben Gehörte großartig wäre.

Aber nun war ja Konsul C. A. Johnsen unantastbar, vielleicht nicht in jeder Hinsicht ein Muster, aber ein tüchtiger, großer Mann. Der Volksmund nannte ihn den Ersten Konsul, zum Unterschied von den Konsuln, die später gekommen waren und nicht viel bedeuteten.

Konsul Johnsen antwortete: Geschäft ist Arbeit, die ihres Lohnes wert ist.

Das meine ich auch. Deshalb ist es auch nicht richtig, daß Geschäft Spekulation genannt wird.

Doch, gewissermaßen. Wir spekulieren alle. Ehe ein Doktor Doktor wird, spekuliert er auch, er denkt sich aus, daß dies sein Lebenswerk sein soll und strebt danach. Schütteln Sie den Kopf?

Jawohl, den ganzen Kopf.

Haha! lacht die Frau des Doktors.

Medizin, das ist eine Wissenschaft, erklärt der Doktor. Aber ob die Fia wenig verdient oder ob die Fia viel verdient, das –

Wollen Sie nicht weiter sprechen?

Doch, das ist nicht mehr als billig. Das ist etwa so, wie das Geschäftsverfahren der Fia, das die Leute – Spekulation nennen. Nach meiner Ansicht mit Unrecht.

Dann sind ja alle einig, versuchte der Postmeister, der immer gute Mann, einzulenken.

Ich werde ihm das eintränken für sein ungewaschenes Maul, unterließ der Konsul zu äußern. Er gesellte sich unauffällig zu Frau Henriksen und sprach mit ihr; sie war eine junge hübsche Frau, aus der Tiefe des Volkes hervorgegangen wie ihr Mann auch, Mutter von zwei kleinen Mädchen in der Tanzstunde, aber doch noch nicht dreißig Jahr alt. Konsul Johnsen war ritterlich gegen sie und recht unterhaltend, ja bisweilen sprach er überaus leise, damit die andern es nicht hören sollten. Seht, der Konsul hatte es wohl im täglichen Leben nicht so sehr angenehm und herzerfreuend, er mußte die Gelegenheit benutzen. War er nicht eine Kraftnatur, etwas ergraut zwar, aber noch ein Mann? Es ärgerte ihn, daß sein großer Sohn Scheldrup hier dabei war und zuhörte: Geh voraus und laß alles herrichten! sagte er zu Scheldrup.

Ei, und Frau Henriksen? So ungeheuer geehrt durch die Begleitung, die sie an diesem Abend bekommen hatte und durch all das Schöne, das sie zu sehen bekommen würde, wenn sie zum Ersten Konsul kam, das war ein Erlebnis, ein Übererlebnis!

Wollen Sie mir etwas versprechen? fragte sie.

Da ritt ihn der Teufel, er wurde keck gegen die Dame und antwortete: Ich wage es nicht, Ihnen ein Versprechen zu geben.

Aber – warum nicht?

Ein Versprechen? Ihnen? Ich würde es ja nur halten müssen.

Da lachte die Dame, und sie dachte nichts weiter, als er sei reizend, der Erste Konsul sei reizend. Und dann rückte sie mit ihrer Bitte heraus, ob der Herr Konsul einmal zu ihnen hereinsehen wolle, zu ihnen, Henriksens auf der Werft, er und seine Frau Gemahlin?

Kommt Ihr nicht? rief Frau Johnsen, indem sie stehen blieb?

Da war nichts anderes zu machen, sie mußten vorgehen zu den andern. Aber der Konsul gelobte sich selbst, er wolle mit Frau Henriksen noch mehr reden, später, wenn ihr Mann von dem Punschbrauen ganz in Anspruch genommen sei. Dann wolle er der gute Gastgeber sein und sagen: Ja, bitte Henriksen, tun Sie ganz, als ob sie zu Hause wären, und sich dann mit Frau Henriksen unterhalten.

Der Postmeister sprach von Nachkommenschaft. Er war ein magerer, unbedeutender Mann, und man hielt ihn eigentlich für eine recht verfehlte Existenz. Man hielt ihn auch für fromm, und er pflegte mit einer recht gedankenvollen Miene zu sagen: Ja, was soll man glauben! Als junger Student hatte er meist von der Kunst geträumt, von Schlössern und Domen, von Architektur, er kam indes nie soweit, sich für einen bestimmten Beruf zu entschließen, und landete schließlich beim Postfach. Jetzt zeichnete er Gotteshäuser und Menschenhäuser in seinen Freistunden; er hatte den Plan für die höhere Schule im Ort gezeichnet, das hübsche Haus mit Säulen, das man schon weit draußen im Fjord am Ufer sehen konnte; er nahm nichts für seine Arbeit, aber die Stadtverwaltung hatte ihm viel Lobenswertes darüber gesagt. Seine Frau war in keiner Weise verfehlt, aber keine Schönheit, nur gut und ein Segen für ihr Heim. Sie war älter als ihr Mann, aber nicht so viel, daß es etwas ausgemacht hätte. Unter Fremden war sie schweigsam, auch jetzt zog sie sich zurück und redete nicht von selbst.

Nachkommenschaft, sagte der Postmeister. Seine Theorie war, daß den Eltern im allgemeinen weniger Bedeutung zugemessen werden sollte, als den Kindern. Ja durchaus. Alles sollte sich um die Nachkommen drehen. An dem heutigen Abend haben die Eltern leere Wände entlang auf schlechten Bänken gesessen und doch einen Genuß und eine Festfreude an ihren Kindern gehabt. Die Mütter sind nicht im Staat gewesen, die Kinder dagegen sehr fein angezogen. So fein angezogen waren auch einst die Mütter, als sie kleine Töchter gewesen waren, damals vor dreißig Jahren, als die Damen ungeheuer weite Kleiderröcke trugen. Du lieber Gott! dachte ich und erinnerte mich an alte Zeiten.

Elegie! sagte der Rechtsanwalt, der Junggeselle Fredriksen.

Jawohl, ganz richtig! erwiderte der kinderlose Doktor. Und da es sich um den unschädlichen Postmeister handelte, der im Grunde genommen ein feiner Mann war, wollte er ihm ein paar Worte sagen. Nachkommen, sagte er, was wollen Sie damit? Ist dies eine Welt, um Nachkommen hineinzusetzen? Wie lange halten wir uns hier im Leben auf und zu welchem Zweck, außer für uns selbst? Lassen Sie uns die Zeit ausnützen, Herr Postmeister, der Tod ist uns auf den Fersen und wird uns gleich ergreifen. Wir liegen zwischen dem unteren und dem oberen Mühlstein. Die einen sind weich und nachgiebig, sie werden ohne Murren zermahlen, andere winden sich, wie Sie, Herr Postmeister, sie drehen den Kopf zurück und haben Angst für ihr Gesicht – o, aber in der nächsten Sekunde sind auch sie schon zermahlen. Es muß ein sonderbares Gefühl sein, und wir werden dieses Gefühl alle einmal kennen lernen; wenn es von unten beginnt, muß man ja fühlen, wie die Beine und der Leib allmählich –

Als der Doktor nun Beifall erntete, scherzte er weiter, der witzige Kerl, und brachte alle zum Schaudern: Schließlich liegt wohl nur noch ein Stückchen von einer Zehe da, das sich vielleicht ganz unabhängig vom andern bewegt. Alles ist geradezu herrlich, alles ist vollendet.

Schweigen.

Es ist so trostlos, dergleichen zu denken, sagt der Postmeister. Aber selbst unter diesen Voraussetzungen ist es gut, man hinterläßt –

Nachkommen! Die auch zermahlen werden sollen! Und trostlos? Ich weiß nicht. Was mich betrifft, so habe ich guten Mut, ich ertappe mich gelegentlich dabei, wie ich mir das Haar über die kahlen Stellen streiche und also meinen Ruin so gut ich kann zu verbergen suche. Dann pfeife ich drauf.

Ja ja, sagte der Postmeister, der nicht weiter darauf eingehen wollte.

Aber Konsul Johnsen griff nach dem Knochen, wahrhaftig, er wollte bei soviel Überlegenheit nicht im Rückstand bleiben. Wenn es keine Nachkommen mehr gibt, müssen ja die Menschen aussterben.

Bitte, das geht mich nichts an.

Aber Sie sind ja gerade darauf aus, die Menschen vom Tode zu erretten, nicht wahr?

Herr Konsul, Herr Erster Konsul, wollen Sie Menschen, die sich zwischen den Mühlsteinen befinden, mit Logik kommen? Wo ist da die Logik des Lebens, wo die Logik des Weltregiments?

Da sagte der Konsul: Ich stelle fest, daß Sie, Herr Doktor, persönlich für die Ausrottung der Menschen sind, aber Ihr Handwerk, Ihr Lebensberuf ist es, die Ausrottung zu verhindern.

Und der Doktor will sich am liebsten einem wenig gebildeten Menschen gegenüber nicht zu gewandt zeigen, aber der Erste Konsul war ein so großer Herr geworden, er war zu hoch hinaufgekommen, der Doktor war gezwungen, ihm zu antworten: Dies steht wohl etwas über dem Begriff Geschäft, nicht wahr? Hier handelt es sich um eine Frage der Lebensanschauung. Wenn ein Arzt über einen Kranken gebeugt steht, dann tut er es wohl hauptsächlich aus Mitgefühl mit der armen Menschheit.

Ach ja!

Ja, seufzen Sie nur. Er spekuliert jedenfalls nicht.

Der Konsul sagte rücksichtslos: Er verdient seine fünf Kronen. Der Arzt ist wie wir andern: er spekuliert in fünf Kronen, wenn ich in Tausenden spekuliere, das ist der Unterschied. – Darauf sah sich der Konsul lächelnd im Kreise um und machte die Sache dadurch noch peinlicher für die andern.

Der Doktor war gezwungen, mitzulachen; er sagte: Sie haben uns ordentlich erhitzt, Herr Postmeister.

Ich?

Mit Ihrer Nachkommenschaft.

Da mußte der Postmeister wieder eingreifen. Ja, aber lieber Doktor, Nachkommen müssen wir doch haben. Man kann über die Mühlsteine sagen, was man will, die können nicht unser Ziel sein.

Unser Ziel tragen wir in uns selbst. Wenn ich sterbe, ist alles, was mich angeht, tot. Glauben Sie an Gott, Herr Postmeister?

Was sollen wir glauben? Tun Sie es nicht?

Der Doktor schüttelte den Kopf: Bin ihm nicht begegnet. Glauben Sie er ist von hier?

Haha! lachte die Frau Doktor.

Der Postmeister fragte: Was für ein Ziel kann das sein, das einer in sich selbst trägt?

Man gestaltet sein Dasein so gut wie möglich. Genießt zum Beispiel.

Armes Ziel, kurzes Ziel. Dann ist allerdings sehr richtig alles mit einem selbst aus. Aber man kann sich ein weiter gestecktes Ziel denken: Unsere ewige Fortsetzung durch die Nachkommen. Wie denken Sie nun im Ernst darüber? Ich nehme an, daß sie bis jetzt mit uns gescherzt haben.

Durchaus nicht.

Nehmen Sie zum Beispiel mich: Ich bin Postmeister hier in der Stadt. Die eine Stellung kann dabei so gut wie die andere sein. Aber mit welcher Hoffnung kann dann der Kinderlose, der selbst nichts Besonders geworden ist, sterben? Für mich ist es nun keine Befriedigung, selbst noch mehr zu werden, im Gegenteil, jetzt freut es mich, wenn ich selbst nichts Besonderes geworden bin, dann habe ich meine Gaben für meine Kinder nicht verbraucht. Sehe ich, ehe ich sterbe, Anzeichen dafür, daß meine Kinder mich in allen Dingen überstrahlen werden, dann werde ich, was ganz natürlich ist, der Allmacht gegenüber von tiefer Dankbarkeit erfüllt sein. Etwas vom Traurigsten, was ich erleben kann, sind demgemäß die Söhne und Töchter großer Männer, die Kinder berühmter Eltern. Das ist ein traurigerer Anblick als Kinder ohne Eltern. Von mir kann man gottlob annehmen, daß meine Kinder, selbst wenn ich noch einmal so viel geworden wäre, als ich tatsächlich geworden bin, daß meine Kinder mehr werden als ich. Jawohl, und gerade das wird meine Hoffnung sein, wenn ich sterbe; daß ich also durch das Emporkommen meiner Kinder selbst emporgekommen bin. Daß ich nicht Goethesöhne gehabt habe.

Die Theorie des Postmeisters sagte niemand zu, es war eine Theorie und ein Trost für Leute ohne Erfolg, Leute, die wenig im Leben erreicht hatten, es war nicht für Leute in hohen Stellungen, oho!

Sie sind ein guter Mann! sagte der Doktor freundschaftlich. Und der Konsul war ja wahrlich selbst sehr viel und nicht nur der Vater seiner Kinder, ja, er konnte sogar noch mehr werden, als er jetzt war, er stand aufrecht auf freier Bahn, und er hatte noch so seine Absichten, seine neuen Absichten. Aber Konsul Johnsen wollte auch freundschaftlich gegen den Postmeister sein und nicht einmal herablassend, er nickte ihm zu und sagte: Nach meiner unmaßgeblichen Meinung ist viel Wahres an dem, was Sie sagen, Herr Postmeister.

Nach Ihrer Meinung! wies der Doktor zurück.

Rechtsanwalt Fredriksen, der bis jetzt mit Henriksen von der Werft geplagt worden war, warf ein: Jawohl, Meinung. Wir Junggesellen und Kinderlosen haben doch auch eine Meinung in der Sache.

Und in demselben Augenblick fürchteten wohl alle, jetzt sei es aus, niemand werde mehr ein Wort vorbringen können. Der Konsul beschleunigte seine Schritte, machte seine Haustür auf und forderte die Gäste auf, einzutreten. Jedenfalls wollen wir jetzt versuchen, ob wir bei einem Glas Wein einig werden können, sagte er lächelnd.

In demselben Augenblick, da die Gesellschaft hineinging, trat der junge Scheldrup durch den Küchenausgang auf die Straße. Er machte sich wohl nichts aus solchen ergebnislosen Diskussionen, wie sie der Postmeister zuwege brachte. Das konnte ihm niemand verdenken, in seinem Alter ist das Leben kein Rätsel, die Sommernacht gehört der Jugend.


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