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27

Am nächsten Morgen waren wohl Oliver wieder kleine Zweifel aufgestiegen, er fragt Petra: Hat Mattis es wirklich gesagt?

Was denn?

Daß ich der Vater des Kindes sei?

Jawohl, du hörst es ja!

Ich versteh nicht, wie er darauf kommen konnte?

Petra stemmt die Hände in die Seiten und antwortet: Nein, du stehst der Sache ganz fremd gegenüber, aber Maren weiß es wohl selbst.

Sagt Maren es auch?

Jedenfalls hat sie den Jungen nach dir genannt.

Nach mir? ruft Oliver. Wie heißt er denn?

Ole Andreas.

Schweigen. Das war fast wie der Spund im Loch, ja, und es war auch etwas daran, aber trotzdem ... O diese verfluchten Weibsleute, auf was sie nicht alles kamen!

Schließlich sagt Petra noch: Der Mattis hatte also seine guten Gründe, das zu sagen, was er gesagt hat.

Da schien Oliver gründlich nachzudenken: Aber wie hätte ich das denn ins Werk setzen sollen? Und als er die Stube verließ und zu Mattis hinüberging, tat er es, um nähere Erkundigungen einzuziehen.

Es ist Sonntagmorgen, und er trifft den Schreiner Mattis halb angekleidet in seiner Küche. Das Kind ist bei ihm. Maren Salt ist in der Kirche. Der Schreiner sieht den Mann, der von der Straße zu ihm hereinhumpelt, überrascht und fremd an.

Guten Morgen!

Guten Morgen!

Schweigen. Als Oliver kein Stuhl angeboten wird, muß er sich auf die Holzkiste setzen. Sie wechseln ein paar Worte übers Wetter, über die plötzlich eingetretene Kälte; Mattis ist wortkarg, plaudert aber hie und da mit dem Jungen, der auf dem Boden sitzt, ein paar Worte.

Er ist gewachsen, sagt Oliver.

Ja, da hats keine Not.

Wie alt ist er? Sieh nur, er hat auch schon Zähne bekommen! Wie heißt er denn?

In den Augen des Schreiners glimmt es zornig auf: Das ist einerlei, sagt er. Hier heißt er nur das Kind.

Ich fragte nur. Es geht mich übrigens auch nichts an.

Die Mutter hat ihm einen lumpigen Namen gegeben, aber sie hatte wohl ihre Absicht dabei.

Da der Schreiner so feindselig ist, und es so lange dauert, bis er ihn dazu bringt, auf etwas Bestimmtes anzuspielen, fängt Oliver selbst davon an: Wem soll er nun eigentlich gleichsehen?

Der Mutter, antwortete Mattis kurz.

Jawohl, der Mutter. Aber von Vaters Seite?

Wen meinst du denn? ruft Mattis erbittert. Du kennst vielleicht den Vater?

Oliver lacht und nimmt es gleichsam gutmütig auf, aber er muß sich doch auch wehren. O, du bist immer derselbe alte Mattis! Wenn ich mich nur auch sonst so frei von aller Schuld fühlte!

Das pflegen wohl alle miteinander zu sagen, wenn es Ernst wird.

Was meinst du damit?

Was ich meine? Daß alle miteinander leugnen. Und wer am schuldigsten ist, leugnet vielleicht am ärgsten, ich weiß es nicht anders. Sie wenden Bestechungen an und geben Geld aus, damit die Leute es verschweigen.

Darin stimmt Oliver mit ihm überein, und er bedauert die Mütter, bedauert auch die Kinder. Die armen Kinder! sagt er.

Das sagen sie auch alle miteinander, erwidert Mattis, indem er das Kind auf den Schoß nimmt und mit ihm plaudert. Hat deine Mutter dich hier allein gelassen? Ja, du siehst nach der Tür, aber sie bleibt wohl eine Stunde fort. Was kümmert sie sich darum? Da, hier hast du meine Uhr!

Oliver schweigt, er gibt nicht acht auf Mattis' Geschwätz, er hängt einem Gedanken nach, der eben in ihm aufgestiegen ist. Oliver hat seine dösige Verschlagenheit, sein Kopf arbeitet am besten in der Dunkelheit und auf Seitenpfaden, jetzt fingert seine eine Hand in seiner inneren Westentasche, so ganz sachte, ganz verstohlen, nur wie wenn er sich zufällig kratzte. Dann zieht er ein paar Geldscheine ein Stückchen weit heraus, betrachtet sie, sieht sie an, ob sie passen, und sitzt dann mäuschenstill da. Mit dem wenigen, was Mattis gesagt hat, ist ja nichts festgestellt, er hat sich nicht deutlich ausgesprochen, und Oliver muß wieder von vorne anfangen: Ich habe gehört, der Junge heiße Ole Andreas, aber das ist wohl nicht richtig? Ich kann es nicht glauben.

So, das hast du gehört! schreit der Schreiner rasend. Beim Satan, warum fragst du denn dann? Ich glaube, du willst das Haus durchschnüffeln! Was willst du hier?

Oliver antwortete sanftmütig und keineswegs unzufrieden über die Erregung des andern: Nein, es geht mich allerdings nichts an, wie der Junge heißt, und ich werde dich nicht mehr danach fragen –

Nein, jetzt da du es weißt! schnaubt der Schreiner mit seiner großen Nase.

Nach einem wohlberechneten Schweigen sagt Oliver ebenso ruhig wie vorher: Du wunderst dich wohl, daß ich zu dir ins Haus komme, Mattis?

Mattis antwortet sofort mit ja.

Das verstehe ich, sagt Oliver. Nun aber zieht er zwei Geldscheine ans Tageslicht und sagt: Ja, ich bin aus einem gewissen Grund gekommen. Was haben die Türen gekostet, die du einmal für mich gemacht hast?

Die Türen –?

Die du mir überlassen hast. Ich will sie bezahlen. Es ist lange angestanden, aber ich konnte es nicht früher tun.

Der Schreiner Mattis ist ganz verwirrt und bringt nichts anderes heraus, als: Es hatte auch keine Eile –

Aber ich kann nicht verlangen, daß du bis zum Jüngsten Tag wartest.

Die Türen? Nein, das hatte keine Eile. Bist du wegen der Türen gekommen?

Oliver spricht würdig und rechtschaffen: Siehst du, Mattis, du hast mir ja keine Rechnung geschickt, deshalb bin ich etwas entschuldigt, aber jetzt soll es nicht auf den Preis ankommen, ich will jeden Heller bezahlen. Und wenn es etwas zwischen uns gegeben hat, so will ich es jetzt wieder gutmachen.

Mattis murmelt, die Schuld könne ja auf beiden Seiten gewesen sein. Er bereut wohl seine Heftigkeit und sagt: Willst du dich nicht da auf den Stuhl setzen? Im übrigen ist er trotzdem noch zurückhaltend; der Besuch scheint ihm auch ferner unbequem zu sein, er spricht hauptsächlich mit dem Kinde.

Ja, er hat es gut hier bei dir, äußerte Oliver. Das ist etwas Großes für ihn. Na, ich muß sagen, die Maren verdient eine Handreichung. Sie ist nicht schlecht gebaut.

Na, sagt Mattis.

Gar nicht schlecht gebaut. Und als sie vor ein paar Jahren das Kind bekam, war sie ja noch nicht so alt, wie sie jetzt ist. Deshalb brauchen wir uns nicht so sehr über sie zu wundern.

Nein, du darfst die Uhr nicht in den Mund stecken und sie verschlucken, Kind! Was das betrifft, so ist es nicht immer das Alter, worauf es ankommt, sagt der Schreiner dann sachlich, indem er sich von dem Kinde weg an Oliver wendet. Es ist nur, daß sie diese Nasenflügel haben, die immerfort winken und winken.

Hahaha, ja, du verstehst es, Mattis! Doch, was ich sagen wollte, er hat braune Augen, wie ich sehe.

Keine Antwort.

Das sollen gute Augen sein, die braunen. Ich selbst habe blaue Augen und bin gut damit gefahren. Aber fast alle meine Kinder haben braune Augen, es ist gerade, als sollte ich lauter Kinder mit braunen Augen bekommen.

Noch immer kam der Schreiner mit keinerlei Anklage heraus, aber er machte auch keine gegenteilige Bemerkung, sondern erwiderte: Seine Mutter hat braune Augen. Im übrigen darfst du das Kind so etwas nicht hören lassen, er versteht es.

Er versteht es nicht.

Er? Du kannst von nichts reden, was er nicht versteht. Alles versteht er. Wenn du Tür sagst, sieht er nach der Tür, und singst du ein Liedchen an der Hobelbank, dann versteht er, daß es ihm gilt.

Bei den meinigen war es geradeso, sagt Oliver.

Es ist ganz unglaublich, fährt der Schreiner fort; ich muß mich in acht nehmen, daß er nicht lernt, die Zeitung von einem Ende zum andern durchzulesen, bloß indem er mir zuhört. Das Abendgebet und seine Händchen falten, ist gar nichts für ihn.

Genau wie die meinigen! erklärte Oliver.

Ja, so ein Kind wie dieses gibt es nicht wieder auf der Welt, stellte der Schreiner fest.

Oliver wiederholt: Er hat jedenfalls Glück gehabt, daß er hier im Haus bei dir ist. Übrigens ist Oliver enttäuscht über den Verlauf des Gesprächs. Er kommt nicht weiter, es führt zu nichts, er muß sich weiter hinauswagen, näher zum Abgrund hin. Was habe ich doch sagen wollen, ich bin so vergeßlich. Ja, da sitze ich nun mit dem Geld in der Hand, wie du siehst, aber da fällt mir ein, daß ich dich etwas fragen wollte, nämlich, du hast jetzt das Kind bei dir und hast es liebgewonnen, aber wie, wenn nun sein Vater eines Tages käme, sich zu erkennen gäbe und gestünde –

Der Schreiner fragte scharf: Willst du mit ihm herkommen?

Ich? Mit dem Vater? Woher sollte ich ihn nehmen? Ich bin nur ein Krüppel.

O, dir ist alles zuzutrauen!

Oliver versetzt lächelnd: Ich will mich nicht besser machen, als ich bin, o weit entfernt. Doch darüber wollten wir ja nicht reden; aber eines schönen Tages ist vielleicht das Kind nicht mehr bei dir –

Na, sie sollen nur kommen und ihn mir nehmen wollen! Sie können es ja versuchen! drohte Mattis.

Ich meinte, eines schönen Tages werdest du dich wohl selbst verändern und heiraten, und wo soll dann das Kind hin?

Hin? schrie der Schreiner. Meinst du, ich werf ihn hinaus? Er soll nirgends hin, da stehe ich dafür!

Aber wenn der Vater kommt –

Für wen bohrst und gräbst du denn immer weiter? Was zum Teufel willst du denn wissen? Hast du Angst vor etwas, fürchtest du für deine eigene Haut? Da sitzt du und füllst ihm die Ohren mit unflätigem Geschwätz, ich will nichts mehr davon hören!

Oliver gelingt es einzuwerfen: Ich? Nein, ich rede nicht unflätig, ich sitze nur hier mit deinem Geld in der Hand, mit diesen zwei Banknoten –

Hat man je so etwas gehört, setzt sich hierher, tut ganz unschuldig und redet Schweinereien! Das Geld – was ist denn damit? O! ruft er plötzlich. Endlich geht dem Mattis wohl ein Licht auf, er wird ganz blaß vor Zorn und steht mit dem Jungen auf dem Arm von seinem Stuhl auf: Steck das Geld ein und mach, daß du fortkommst, ich will es gar nicht!

Ja, Oliver steht auf und will keinen Streit, aber er reizt den Schreiner noch auf; während er nach der Tür humpelt, sagt er: Hehe, es ist fast, als sei der Junge dein Kind! Bist du vielleicht sein Vater?

Ich, sagst du?

Ich frage nur, antwortet Oliver. Und jetzt kann kein Zweifel mehr darüber herrschen, daß er Mattis noch mehr aufreizen will. Du hast ja auch ein Bett für ihn gemacht, sagt er.

Mattis verteidigt sich. Das war gar nicht für ihn. Und liegst du vielleicht auf dem bloßen Boden? Hast du noch nie gehört, daß ein Kind ein Bett hatte? Aber jetzt sollst du zum Haus hinaus, das ist todsicher! ruft Mattis, indem er das Kind auf den Boden setzt. Und nimm dein Geld, mit dem du mich bestechen wolltest, nur wieder mit. Haha! Du meintest, du könnest mich kaufen, um deine Vaterschaft zu verschweigen, aber das ist dir nicht gelungen, heb dein Geld für einen andern auf! O, du bist ein Schweinekerl! Hinaus aus dem Haus, sag ich!

Und Oliver geht.

Er sieht befriedigt aus, es war, als hätte es nicht besser gehen können; Oliver summt wieder ein Liedchen. Als er heimkam, platzte ja Petra fast vor Neugier, aber er erklärte nichts, er tat nur noch mannhafter und stellte sich unter die Haustür mit der Hand in der Westentasche, als ob es gar nicht kalt wäre, und von diesem Platz aus schwatzte er albernes Zeug mit den Frauen und Mädchen, die vorübergingen.

Gute Zeiten, Einigkeit im Hause und Freude im Leben – o, wir sind im Aufstieg, wir kommen immer mehr obenauf, gebe Gott, daß es so weitergeht! Das äußerte sich in richtig anständigen Taten: Mattis hatte ja diesen roten Briefkasten an seinem Hause, Oliver kaufte einen Messinggriff für seine Haustür und sagte zu Petra: Daß du ihn mir nun aber auch ordentlich blank hältst! Auf die Gefahr hin, als Verschwender verschrien zu werden, kaufte er kleine Geschenke für seine Töchter und seine Frau und war sehr gutherzig, ja, er brachte der Großmutter öfter als früher eine Tüte Kaffee mit – die ihn übrigens wohl nichts kostete.

Wie erfreulich war jetzt das Leben! Der Winter verging, das Jahr verging, und Oliver hatte recht, daß nichts so schnell vergeht wie ein Jahr. Es ereignete sich nichts Großes, aber genug zur Abwechslung, die Familie war nicht an mehr gewöhnt, das Kind war wieder ein blauäugiges, und wie das zusammenhing, konnte wahrlich in der Geschwindigkeit niemand ergründen, aber die Frage hatte auch nicht mehr so ungeheure Bedeutung wie in alten Tagen. Sollte Oliver näher untersuchen? Wie würde es dann gehen, wenn er selbst untersucht würde, ging nicht auch über ihn ein Gerücht in der Stadt? Als er sich einmal ein wenig bitter über die neuen blauen Kinderaugen aussprach, sagte Petra: Na, haben denn nicht wir alle beide blaue Augen?

In einem Gespräch mit seinem alten Freund, dem Fischer Jörgen, machte Oliver geltend, daß die Gewächse auf der Erde auch nicht alle gleich seien: die einen trügen Früchte über der Erde, die andern unter der Erde. Nimm zum Beispiel die Äpfel, die einen sind rot, die andern gelb. Aber nimm die Kartoffeln, die unter der Erde wachsen – eine Sorte Kartoffeln ist gelb und eine andere ganz blau. Geradeso ist es bei unsern menschlichen Augen, sie sind von höchst verschiedener Farbe. Ich habe mir überlegt, daß das vielleicht von mir selbst kommt: wenn ich am tollsten auf eine Frau aus bin, dann gibt es braune Augen; was meinst du, Jörgen?

Ach, Jörgen war über siebzig Jahre alt, mit Lydia, dem Reibeisen, verheiratet, Vater von drei großen Töchtern, großen Damen, seine Augen waren fast farblos geworden, er wußte nichts – er erinnerte sich an nichts. Wieso toll? fragte er und sprach sich dahin aus, daß auch manches Frauenzimmer toll und böse sein könne.

Aber Oliver schien es darum zu tun zu sein, gründlich verstanden zu werden. Nimm nun zum Beispiel die Maren Salt, sagte er. Man beschuldigt ja mich, der Vater ihres Kindes zu sein, und der Junge hat braune Augen.

Ach so, sagte Fischer Jörgen.

Oder nimm viele andere in der Stadt, es gibt genug braune Augen da, und ich kriege ja auch fast keine andern. Nun darfst du aber ja nicht alles glauben, was die Leute mir in die Schuhe schieben, Jörgen, ich bitte dich darum, aber ich will mich auch nicht entschuldigen, denn ich habe eine feurige, unbändige Natur in mir, und es gibt daheim blaue und braune Augen, je nachdem es trifft.

Ja, sagte Jörgen.

Auf diese Weise steigt Oliver täglich höher hinauf, und nimmt immer mehr eine feste Stellung in seiner Scheinwelt ein. Schweigt nur! Er ist der Schöpfer und Erhalter, er geht dahin mit seinem eigenen Maßstab und macht diese Welt weit, nach ein paar Jahren steht er auf einem Hügel und schaut über ein großes Land hin, das ihm gehört.

Und jetzt gefällt es ihm wohl, das Leben in dieser seiner Welt! Er schlägt kein Gelächter auf und läßt sie fahren. Mit der Welt, die man geschaffen hat, muß man fertig werden, das müssen alle Schöpfer.

Ab und zu mußte er sich mit allerlei Ärger herumschlagen. Es konnte ihn die Lust ankommen, am Abend noch auf der Straße herumzuschlendern, ein wenig mit den Frauenzimmern zu schäkern, sich mit ihnen unterhalten zu wollen. Er kannte die Worte und die Umgangsart von seiner Matrosenzeit her, aber er hatte nicht mehr das alte Glück, es versagte; ob es nun daher kam, weil er nicht mehr die alte Schießfertigkeit hatte, oder weil er nicht das rechte Wild traf. Was war denn los, warum lachten ihn denn die dummen Dirnen aus? Die Pflänzchen, diese Kiek-in-die-Welt, wollten sie nicht recht an seine reellen Absichten glauben? Warum, beim Satan, schauderten sie zurück, wenn er nach ihnen greifen wollte? O, es hatte seine Nachteile, eine Welt regieren zu müssen!

In der letzten Zeit war er wieder auf den Fischfang hinausgerudert. Jawohl, das war eine gute alte Aushilfe, wenn die Heimsuchungen überhand nahmen, Gott wußte allein, wie schwer es war, sich wieder im Leben zurechtzufinden. Es hieß, er fische, um einen kleinen Nebenverdienst zu haben, aber er war offenbar nicht so recht ernstlich auf den Fischfang aus, denn er kam sehr oft ohne Fische heim. Aber brauchte er etwa nicht Kleingeld? War die merkwürdige innere Tasche seiner Weste am Ende nicht unerschöpflich? O, er sah mit Sorge, wie die Tasche allmählich leer wurde, er hätte gern eine Anleihe gemacht, ja, er hätte stehlen mögen, um dem Schwinden des Geldes Einhalt zu tun, es ist nicht gut, wenn man zusehen muß, wie man verarmt. Er hatte ja seinen alten Platz im Lagerhaus und seinen Lohn, jawohl, das tägliche Leben konnte er bestreiten, aber die Zubuße von Putz und Schleckereien, an die er sich gewöhnt hatte, dazu hatte er nichts mehr. Wo war eigentlich das Geld für die Eiderdaunen geblieben? Es war doch eine ganz erkleckliche Summe gewesen, und der Kuckuck mochte verstehen, wo sie hingekommen war. Er hatte weder dem Rechtsanwalt Fredriksen etwas am Haus abbezahlt, noch sich und seine Familie auf zwei Jahre mit Kleidern ausgestattet; mit ein paar größeren Geldscheinen war er in den nächsten Ort gefahren und hatte sie dort wechseln lassen, aber das war nun schon ein Jahr her. Seine Innentasche war leer. Er konnte noch so eifrig hineingucken und sie umdrehen, sie war und blieb leer.

Mußte er da nicht auf den Fischfang hinausrudern? An und für sich hatte Oliver nichts dagegen, wieder in einem Boote zu schaukeln. Er versah sich mit Kochtopf und Fischgerätschaften, ruderte hinaus und blieb meist vom Samstagabend bis Montag früh fort. Vor allem fischte er für den eigenen Bedarf, in diesen eineinhalb Tagen. Das waren faule, sorglose Stunden, er ließ sich mehr treiben, als daß er ruderte, fuhr in die Buchten hinein und suchte die Inseln heim; natürlich sammelte er auch wieder Eiderdaunen, natürlich spähte er nach Strandgut und Treibholz aus. Einmal fand er ein leeres Fäßchen und ein anderes Mal eine Flasche mit einem Zettel darin, alles ohne wirklichen Wert. Weit draußen, wo die Dampfschiffe in die Bucht hereinfuhren, ragte ein Vogelberg ganz gerade aus dem Wasser auf, da war er seit zwei Jahren nicht gewesen; es war weit bis dahin, aber es konnte schon der Mühe wert sein, dort einen Besuch abzustatten, die Vögel nisteten da auf den terrassenförmigen Absätzen der Bergwand und waren sehr wenig scheu.

Die Tage vergingen, und Abel war ja ein guter Junge, ein komischer Kerl, er konnte seinem Vater bei Gelegenheit ein Zweikronenstück zustecken, sonst hätte es wohl mit Leckereien für Oliver knapp ausgesehen. Woher hätte er sonst Geld bekommen sollen? Er hatte einmal einen Sohn, der hieß Frank, ein wahres Wunder an Gelehrsamkeit; o, aber der schickte nichts nach Hause, er kam selbst nicht mehr heim, schrieb auch nicht, es ging das Gerücht, er habe irgendwo eine Lehrerstelle und er studiere weiter, nur immer weiter, wo wollte das enden? Die kleine Konstanze Henriksen auf der Werft hatte einen Brief von ihm bekommen, noch ein Jahr habe er vor sich, dann sei er fertig, das soll in dem Brief gestanden haben. Vor Verlauf eines Jahres konnte also Oliver keine Unterstützung von ihm erwarten, ein langes Jahr hindurch; aber dann würde ja etwas Erkleckliches kommen, nicht jedermann hatte einen gelehrten Sohn in der Hinterhand.

Inzwischen hatte er ja Abel, auch einen Prachtkerl, Oliver war rechtlich gesinnt und machte keinen Unterschied zwischen seinen Söhnen, wenn ja, so stand Abel seinem Vaterherzen jetzt am nächsten. Auf seinem Weg nach dem Lagerhaus kehrte er oft einen Augenblick in der Schmiede ein; Abel war da schon an der Arbeit, es machte dem Vater Spaß, ein Weilchen mit ihm zu plaudern und zu fragen, wie es gehe. Es ging immer ausgezeichnet. Abel hatte jetzt die Schmiede übernommen und war der Erste in allem. O, das war ein Sohn, auf den man stolz sein konnte! Auch andere kamen in die Schmiede, der Zeichenstift kam, der jetzt Heizer bei der Küstenlinie war, der wollte gewiß warten, bis eine von Abels Schwestern alt genug wäre, dann wollte er um sie freien, solche Absichten hatte also der Zeichenstift. Er kam in die Schmiede und fragte: Hast du die Schmiede gekauft? – Nein, antwortete Abel, ich habe nichts, um eine Schmiede zu kaufen, aber ich bin an Stelle des Meisters hier. Kannst du mir einen Jungen verschaffen, der den Hammer bedient? – Ei, sagte der Zeichenstift, wenn du dir einen Dampfhammer kaufst, der mit Petroleum betrieben wird, kannst du dir den Jungen für den großen Hammer ersparen. – Ach, schwatz keinen Unsinn! antwortete Abel. – Ich rede keinen Unsinn, meinte der andere, ich habe in Horten mehrere solche Hämmer gesehen. – Abel wußte selbst, daß es solche Dampfhämmer gab, die mit Petroleum betrieben wurden, aber warum sollte er so einen für eine Schmiede kaufen, die nicht ihm gehörte? Still damit! – Der Zeichenstift schlug vor, Abel solle den Dampfhammer auf eigene Rechnung kaufen und das Geld für Lohn und Kost des Lehrjungen in seine Tasche stecken, das wäre eine Einrichtung, mit der auch Meister Carlsen gedient wäre. – Woher soll ich das Geld für den Hammer nehmen? fragte Abel. – Der Zeichenstift erwiderte: Etwas hast du wohl selbst schon, etwas kann ich dir leihen, und den Rest kannst du schuldig bleiben ... Ei, der tausend, der Zeichenstift mußte in die Blaumeise, Abels Schwester, bis über die Ohren verliebt sein!

Nein, nein, die Schmiede gehörte Abel noch nicht, aber er hatte sie in den Händen, und er verdiente einen schönen Lohn. Der Schmied Carlsen war nicht immer abwesend, nicht immer ganz fort, aber am liebsten stand er am Schraubstock und feilte an diesem und jenem, das geputzt werden mußte. In die Geschäftsführung mischte er sich immer weniger. Was meinst du? fragte er Abel, wenn er ein einzelnes Mal eine Arbeit übernehmen sollte. Im übrigen war er nicht einmal mehr ein halber Mann, er kam spät am Tage und ging früh am Abend wieder weg. So kam es, daß Oliver seinen Sohn fast ganz für sich hatte, wenn er seine Morgenbesuche machte.

Sie plauderten über ihre eigenen kleinen Vorkommnisse und besprachen die Ereignisse in der Stadt. Nun wird der Fischer Jörgen allmählich ein ganzer Idiot, sagte Oliver, er kennt nicht den Unterschied zwischen gelben Kartoffeln und blauen Kartoffeln, warum soll ich die Zeit vergeuden und mit so einem Mann reden? Ich laufe davon, wenn ich ihn sehe. – Vater und Sohn wurden nie uneinig, sie redeten freundschaftlich über alles, sprachen gewissermaßen brüderlich über alles, was ihnen am Herzen lag; wenn sie sich trennten, hatten sie nicht etwas Besonderes verabredet, oder sich für eine bestimmte Lebensanschauung entschieden, o weit entfernt; aber Oliver erfuhr, was der Sohn an dem Tag zu tun hatte, für wen er diese Karrenbeschläge schmiedete, sie waren für Konsul Johnsens Landhaus, wem der feine Wandschirm gehörte, der seit gestern in die Schmiede gekommen war, er gehörte dem Doktor. O, dieser Abel, er war ein tüchtiger Sohn, er arbeitete für alle vornehmen Leute.

Abel fragt: Was denkst du nun über den Dampfhammer, von dem ich dir gesagt habe? Du wolltest darüber nachdenken.

Natürlich hatte der Vater durchaus keinen Begriff von diesem abenteuerlichen Hammer, das mußte der Sohn schon vorher wissen, und war dann Abel nicht ein sonderbarer Kauz, daß er des Vaters Ansicht darüber hören wollte? Aber er hatte vielleicht sonst niemand, bei dem er sich aussprechen konnte; er behandelte seinen Vater ganz und gar nicht von oben herab und hörte ihm mit innerlichem Mitleid zu, er sah aus, als brauche er des Vaters Zustimmung bei dem, was er sich vornahm.

Das will ich dir sagen, antwortete Oliver, ich bin ja weit herumgekommen in der Welt und habe alle Arten von Völkern gesehen – nun habe ich gründlich darüber nachgedacht. Und wenn du den Hammer haben kannst, dann nimm ihn nur sofort. Das rate ich dir.

So.

Ja, das sage ich grad heraus. Denn es gibt in keinem Fach irgendeinen Meister, der so einen Dampfhammer hat, es wird in Stadt und Land bekannt werden, und du wirst schon die Funken sprühen sehen, wenn so ein Kerl aufs Eisen schlägt.

Ja.

Du kommst dafür in die Zeitung, und das kannst du mir aufs Wort glauben, denn ich bin selbst in die Zeitung gekommen. Ich habe ein ausländisches, vollgetakeltes Schiff im Sturm und Unwetter vom Meere herein geborgen und es hier am Landungsplatz angelegt. Dann schickte ich nur einen Boten an Land nach dem Konsul und dem Protokoll. Was meinst du wohl, was all die Leute dachten, die da herbeiströmten und es sahen? Und drei Tage später stand ich in der Zeitung.

Ja.

Nie wurde Oliver müde, andere mit diesem Ereignis zu ermüden. Aber er vergaß auch den Dampfhammer nicht, nein, er sagte, er könne ihn gar nicht mehr aus dem Kopfe hinausbringen. Und wenn er dem Sohn in der nächsten Zeit irgendwie behilflich sein könne, wenn er also etwas Geld, das der Mühe wert sei, zwischen die Hände bekomme, so werde er es ihm augenblicklich bringen. Laß mich nur erst mit mir selbst beraten! sagte er und nickte mit nachdenklicher Miene dazu, wie wenn er vielleicht bald eine Möglichkeit sehen könnte. O, das Geld würde sich schon finden, und wenn nicht, dann wollte er jede Nacht im Boot draußen sein und am Morgen mit einer Ladung Treibholz heimkommen, die man verkaufen könnte.

Nur ein Geplauder in aller Freundschaft. Abel blieb ja ebenso arm zurück, als der Vater fortging, ja, sogar noch etwas ärmer, da er zwei Kronen bei einer Wette verloren hatte. Das war so zugegangen: Abel sagte: Du kannst nicht mehr bei Nacht hinausrudern, du hast die Kräfte nicht mehr dazu. – In meinem Oberkörper hab ich noch genau dieselben Kräfte, versetzte der Vater. – Du kannst nicht einmal diesen Eisenblock hier aufheben. – So, kann ich das nicht? Diesen hier, den ich schon voriges Jahr aufgehoben habe? – Ja, aber jetzt bist du ein Jahr älter. Es ist derselbe, ich setze zwei Kronen! – Oliver spuckte nicht einmal in die Hände, er hob den Block auf und gewann zwei Kronen. Ich will sie nicht, sagte er. – Nein, du willst vielleicht lieber, daß dir der Block an den Kopf fliegt, erwiderte der Sohn und überreichte dem Vater das Zweikronenstück.

Lauter Scherz und Freundschaft.

Keiner von ihnen erwähnte Klein-Lydia oder ließ etwas von der Heirat verlauten, nein, Abel war ein viel älterer, gesetzterer Mann geworden. Seinen dichtesten Bart hatte er allerdings noch immer auf den Händen, aber er hatte eine Schmiede unter sich und stand an Stelle des Meisters, da konnte man wachsen und heranreifen. Übrigens hatten da auch andere Ursachen mitgewirkt, Mutter Lydia war demnach nickt ohne Bedeutung für seine Entwicklung gewesen. Er mochte sich noch so sträuben, es anzuerkennen, aber an einem gewissen Abend vor ein paar Jahren hatte das alte Reibeisen ihm wahrlich ein Lehrgeld gegeben, das er nicht vergessen konnte. An dem, was sie gesagt hatte, war tatsächlich etwas dran gewesen, ein Knall vor seinen Ohren, eine Erweckung, die natürliche Folge davon war, daß er anfing, sich vom Hause des Fischers Jörgen fernzuhalten. Jawohl, er würde sich entfernt halten, wie er versprochen hatte! Er war furchtbar eifrig darauf aus, zu erfahren, wann Edevart von Neuguinea, oder wo es war, heimkäme, aber er ging doch am Hause vorüber. Später war ihm Mutter Lydia begegnet, sie war jetzt hinterdrein offenbar ganz friedlich gegen ihn gesinnt, hatte ihm zum Gruße zugenickt und ein paar freundliche Worte gesprochen. Er war auch ebenso höflich gewesen. Einige Wochen später begegnete ihm seine Liebste selbst, Klein-Lydia. Das Merkwürdige war, daß er ihr jetzt lieber nicht begegnet wäre, wenigstens nicht in diesem Augenblick, als er rußig und ungewaschen von der Schmiede kam. Da das Zusammentreffen unvermeidlich war, versagten ihm fast die Knie, aber er brachte doch einen kurzen Gruß heraus und ging vorüber. In diesen Wochen hatte er es erlebt, daß er schüchtern wurde. In der folgenden Zeit traf er sie ab und zu in der Stadt mit Paketen in der Hand; er hätte sicher nähertreten und ihr die Pakete tragen können, aber er tat es nicht.

Nein, er redete nie mehr vom Heiraten.

Du hast den Block nicht so hoch gehoben wie sonst! rief er seinem Vater nach.

Was hab ich nicht? versetzte der Vater. Du hättest gut selbst noch oben drauf sitzen können!

Wenn er so großartig scherzen konnte, so deutete das wohl auf eine besonders gute Laune bei Oliver. O, aber an diesem Tag hatte er besonders böse Ahnungen! Als er im Lagerhaus allein war, sich da zurecht machte, in den Spiegel schaute und an seine Arbeit ging, war ihm ganz klar, er stand vor einer Gefahr: Rechtsanwalt Fredriksen war ihm in der Stadt begegnet. Dieser Leuteschinder, dieser Blutsauger, er hatte einen Krüppel angesehen, als gehöre er ihm. Und jetzt waren es zwei Jahre her, seit ihrem letzten Zusammentreffen.

Oliver übertrieb ungeheuer, der Rechtsanwalt war wie sonst freundlich und in Gedanken versunken an ihm vorbeigegangen, aber Oliver war ja nicht mehr der mutige Mann, seine innere Tasche war leer, die Erhebung seines Charakters war verschwunden. Als er zum Essen heimkam, hatte er eine Unterredung mit Petra, aber er erzählte ihr keine Neuigkeit, sie war dem Rechtsanwalt selbst begegnet.

Hat er etwas gesagt? fragte Oliver.

Etwas gesagt! Sollte er etwas zu mir sagen – auf der Straße?

Wie hat er ausgesehen?

Das weiß ich nicht. Ausgesehen? Ich seh die Mannsleute nicht an und ihn schon gar nicht. Das alte Schwein hat mich genug geplagt, als er das letztemal hier war.

Mir kam sein Aussehen unfreundlich vor.

Nach einer Weile redet Oliver weiter: Jetzt werde wohl der Rechtsanwalt mit seiner Unvernunft wieder anfangen. – Ich rühre mich seinetwegen nicht mehr von der Stelle, sagt Petra. – Oho, ob es besser wäre, wenn sie alle auf die Straße gesetzt würden? Oliver entwickelte die Sache weiter und von seinem Standpunkt aus: es habe ihm noch nie so davor gegraut, obdachlos zu werden, wie eben jetzt, sie müßten hoffen, daß der Rechtsanwalt ein Mensch sei, denn wenn er geradezu im Sinne habe, gegen einen Krüppel wieder auf Mörderwegen zu gehen, dann müsse Petra ihm noch einmal energisch ins Gewissen reden.

Was hältst du davon? fragte Oliver.

Petra überlegte und hielt es nicht für unmöglich. Aber da war soviel, was dagegen sprach. Sie habe nicht einmal ordentliche Kleider –

Kleider?

Sie habe die armseligen Hemden abgetragen. Und sie brauche auch eine Bluse, eine von denen, die vorne aufgemacht werden. Und außerdem noch andere Kleidungsstücke.

Wenn nichts anderes im Wege stehe, meinte Oliver, so könne er sicher einige Kleidungsstücke auf Vorschuß bekommen. Er stammte wieder auf, setzte die Mütze schief auf den Kopf, als habe er mächtige Gönner, und redete als Familienversorger: Gleich jetzt gehe ich in das Modegeschäft und hole die Sachen für dich.

Bei einer solchen Gelegenheit mußte er ja tun, was nur immer in seinen Kräften stand.


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