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18

Das eine Ereignis löst das andere ab. Frau Konsul Johnsen geht eines Tages mit ihrer Tochter auf der Straße; sie sind beide zufrieden mit sich selbst und mit andern, da erblicken sie in einer Querstraße den Maler, der Frau Johnsen gemalt hat, den Hardesvogtssohn, sie sehen ihn mit einer von Konsul Olsens Töchtern am Arm. Frau Johnsen ist dick und schwerfällig, sie hätte sich am liebsten auf der Stelle niedergesetzt. Aber Fia sagt nur: Ja, sie haben sich verlobt, wie ich höre.

Das ist so ziemlich das Härteste, das Frau Johnsen erlebt hat, wäre es wenigstens der andere Maler gewesen, der Tüncherssohn. Doch so oder so, keiner von ihnen würde ihre Fia bekommen haben, das fehlte gerade noch! Aber ging man wirklich hin und tat so etwas – gerade vor Fia, vor ihrer Nase! Was sagte sie dazu? Sie nahm es ganz ruhig und äußerte: Ja, sie haben sich verlobt, wie ich höre. Wie war denn nur die Fia angelegt und beschaffen, war sie direktement kalt? Jetzt fehlte nichts mehr, als daß der andere verhungerte Bursche, der Tüncherssohn, daherkam und Fia anflehte; o, dann würde aber Frau Johnsen die Tür weit aufmachen, jawohl, sperrangelweit!

Ach, war das eine Welt, in der man lebte!

Konsul Johnsen nahm es viel weniger gründlich, es machte ihm fast gar keinen Eindruck, er sagte ungefähr wie Fräulein Fia: Na, haben sie sich verlobt? Aber störe mich nicht! Darauf wendete er sich wieder seiner Zeitung zu und las weiter.

Bedenke, die jungen Burschen, für die wir alles Mögliche getan haben! sagt Frau Johnsen.

Jawohl. Aber stör mich nicht, hörst du?

Der Konsul hatte an anderes zu denken. Da hatte nun der Rechtsanwalt und Abgeordnete Fredriksen die Regierung darüber interpelliert, was sie in bezug auf die verschiedenen Klagen der Mannschaften an Bord unserer Schiffe zu tun gedenke. Er nannte zwar den Vorgang auf dem Dampfschiff Fia nicht ausdrücklich, das tat er nicht, verbarg aber doch nicht, daß sogar in seiner kleinen Stadt das Gerücht von ausgesprochener Unzufriedenheit mit den Reedern herrschte. Diese Verhältnisse müßten untersucht werden.

Wie ein Sturm fiel das über Konsul Johnsen her. Dieser Prokurator, dieser unrasierte Emporkömmling hatte Wein und Wohlwollen in seinem Hause genossen, und nun bezahlte er mit diesem Überfall! Man mußte wirklich viel ertragen, wenn man Doppelkonsul und ein großer Mann war!

Hätte Konsul Johnsen gewußt, was vorausgegangen war, dann würde er sich nicht so sehr verwundert haben; für diesen schlechten Streich des Abgeordneten konnte er sich bei seiner Tochter bedanken. Seht, da ging nun die junge Dame, Fräulein Fia, höchst bieder und freundlich und unschuldig dahin, aber ihretwegen gab es eine Interpellation im Landtag. So konnte es gehen. Der Rechtsanwalt Fredriksen hatte nämlich nicht nur einen Korb bekommen, als er um sie freite, sondern war obendrein noch von ihr beleidigt worden. Oh, sie hatte es nicht mit Absicht getan, es war unfreiwillig geschehen. So sollte es sich treffen. Es gehörte jetzt weniger als vorher dazu, Herrn Fredriksen zu verletzen.

Er war ja über ihre stehenden Fußes gegebene Abweisung seines Antrags etwas verwundert. Da hatte er nun endlich seine Wahl in den Landtag durchgesetzt, jetzt war er also nicht mehr bloß Rechtsanwalt; aber das schien keinen Eindruck auf sie zu machen, nicht einmal um Bedenkzeit hatte sie gebeten. Nein, sagte sie lächelnd und schüttelte den Kopf dabei.

Dies hatte er natürlich gut aufgenommen und gefragt: Geben Sie mir gar keine Hoffnung, Fräulein Fia?

Nein, es tue ihr leid.

Und er hatte es auch noch weiter gut aufgenommen und wie ein feiner Mann gefragt: Dann sind Sie nicht mehr frei, Fräulein Fia?

Doch, das sei sie.

Na, sagte er und schwieg.

Er verstand sie nicht, verstand das ganze Mädchen nicht, er dachte wohl, sie stehe sich selbst im Lichte. Er zog sich zurück.

In dieser seltenen Lage weiß sich die Komtesse nicht recht zu helfen, sie läßt sich verleiten, mehr zu sagen, Dummheiten. Beleidigungen. Sie tat es wohl, um nett zu sein, um die harte Entscheidung etwas zu mildern, aber sie sagte, sie stamme aus einem guten Heim und könne sich nicht denken, es zu verlassen.

Sie könnten ja wieder ein gutes Heim bekommen!

Es würde wohl nicht dasselbe sein. Alles fessle sie an ihre Heimat, sie habe gebildeten Umgang, sei umgeben von Vornehmheit, illustrierten Blättern, alter Kultur –

Der Rechtsanwalt sah sie an. Darauf nahm er es nicht mehr gut auf, sondern fing an zu lachen. Sie ließ ihn lachen, sie wurde gar nicht verlegen. Als er wieder ernst wurde, sagte er: Aber liebes Fräulein Fia, was Sie da erzählen, könnten Sie ja alles wiederbekommen. Nicht wahr?

Wo? fragte sie.

Na, hier konnte er nicht vorbeikommen. Der Rechtsanwalt schwieg wieder, schwieg endgültig.

Eine Zeitlang war er dann selten auf den Straßen zu sehen, er ließ sich mit niemand in ein Gespräch ein, war verschlossen, saß daheim und grübelte, was es nun auch sein mochte, worüber er nachgrübelte, vielleicht über die prächtige Mitgift, um die er nun gekommen war. Das hätte es mit gutem Grund sein können.

Auch im Landtag war er in den ersten Wochen ein zurückhaltender Mann, er stimmte jedesmal richtig ab und tat nichts Verkehrtes, aber er war schweigsam. Bis er in der Matrosensache das Blatt vom Munde nahm und da endlich offenbarte, welche Glut in seinem Innern brannte.

O, er sprach ausgezeichnet und rührte den Landtag, rührte Land und Volk, seine Teilnahme an den Unterdrückten war sehr groß, seine Gesinnung sehr human: Es wurde hervorgehoben, daß diese Sache zwei Seiten habe, jawohl, das sei es gerade. Und nun schade es nichts, wenn die vornehmen Reeder, wenn sie von dem gebildeten Umgang und der vorgeblichen Kultur weg auch einmal nach der andern Seite sähen. Die Schiffe könnten reine Abenteuerfahrten machen und Geld scheffelweise einnehmen, während die Mannschaften mit derselben Kost und Verpflegung verkämen, wie sie in alter Zeit der Brauch war, als die Menschen noch abgehärteter waren als jetzt. Und ob es eine gefahrlose Arbeit sei, in der sie stünden, ob das etwa ein Spiel sei? Die Regierung solle sich einmal an Bord unserer Kauffahrteischiffe begeben und nachsehen, in welchem Zustande die Mannschaften manchmal heimkämen; die, so nicht abgerackert seien, kämen auf einem Bein dahergehinkt oder hätten nur einen Arm, der Dienst habe sie verstümmelt. In einem solchen Zustand kehrten sie zurück zu den Ihrigen, der Redner kenne Beispiele aus seiner eigenen Stadt. Aber wenn es sich darum handle, die ärmlichen Verhältnisse dieser Menschen zu verbessern, da stoße man bei ihren großen Herren auf Widerstand. Wie, wenn man humane Rücksichten, wenn Recht und Gerechtigkeit ans Ruder kämen? Und kann nicht die Regierung in diesen miserablen Verhältnissen Wandel schaffen, dann kann der Landtag die Änderung erzwingen – wenn er will.

Ein Konservativer, ein Schatten der Vorzeit, sprach natürlich gegen die Rede, er wendete sich gegen die Übertreibungen; leider komme es ja vor, daß einmal ein Matrose verunglücke, aber es gebe fast keine Arbeit, die ganz gefahrlos sei; er sei in seiner Jugend selbst Matrose gewesen, das müßten ja alle jungen Burschen in seiner Stadt sein, er habe aber keine trüben Erinnerungen an die Kost und an die Verpflegung –

Greisengerede, altes Geschwätz! Rechtsanwalt Fredriksen hörte wohl gar nicht auf ihn. Und er hörte wohl auch kaum auf den Staatsrat, der nachher redete. Dieser Mann wußte nichts Bestimmtes zu sagen, er schwebte über den Wassern, er werde seine Aufmerksamkeit auf diese Verhältnisse richten. –

Das sei ja schon etwas! sagte Herr Fredriksen, und er wolle insofern dem Herrn Staatsrat für das Entgegenkommen danken. Mit diesem kühlen Vermerk schien er sich wieder gesetzt zu haben, er wollte vielleicht auch zu verstehen geben, wie wenig ihm das imponiert habe.

Das Referat berichtete:

Der Präsident wirft einen Blick auf die große Uhr und nimmt fälschlicherweise an, daß diese Sache nun erledigt sei. Der Vertreter von Telemarken erhebt sich, der Dauerredner, er widersetzt sich der Verabschiedung und sagt, jetzt wolle auch er das Wort dazu ergreifen.

Ja, dann mache ich mir keine Hoffnung, daß wir bald fertig werden! sagt der Konservative mit einem Lächeln.

Das traf. Aber es schien die Mehrzahl nur aufzureizen. Sollte der Vertreter vom Gebirge den Rechtsanwalt aus der Küstenstadt, einen neuen Mann, der in der Sache der unterdrückten Matrosen so ganz genau auf der rechten Seite stehe, nicht unterstützen dürfen?

Und am Nachmittag siegte denn auch Rechtsanwalt Fredriksen gründlich und bekam seine Untersuchungskommission bewilligt. Das konnte man einen vielversprechenden Anfang nennen, sein Wahlkreis legte Ehre mit ihm ein.

Konsul Johnsen liest die Zeitung, wirft sie hin und nimmt sie wieder auf. Seit langem ist er nicht so entrüstet gewesen.

Schließlich gibt er die Zeitung Berntsen hinaus und sagt: »Lesen Sie das Geschwätz! Er war sehr empört. Hier thronte er in seiner Stadt und half freigebig nach rechts und links, nahm Krüppel in seine Dienste, zahlte für ihre Kinder auf höheren Schulen, übte Barmherzigkeit, tat Gutes – was hatte er davon? Überfälle! Wenn nur Scheldrup daheim gewesen wäre, um die Verteidigung zu übernehmen, C. A. Johnsen war müde, dieser Kampf ums Leben mußte ja jeden Tag neu aufgenommen werden, er konnte nicht mehr.

Hätte er jetzt wenigstens einen einzigen Menschen gehabt, an den er sich hätte wenden können! An den Postmeister wieder? Ja, wenn er durchaus wünschte, von religiösem Geschwätz übermannt zu werden! Nein, da macht er lieber einen Spaziergang in seinem Garten, bleibt eine Stunde weg, kehrt dann in sein Kontor zurück und geht mit frischen Kräften wieder an seine Arbeit. Wer weiß, es war vielleicht ein scharfsichtiger Einfall, eine Hilfe in der Not, eine plötzliche Eingebung, vielleicht kam sie vom Himmel, das konnte gut sein!

Und der Konsul holte sich wirklich etwas Beruhigung in seinem Garten; da saß seine Tochter in aller Unschuld, sie malte spanischen Flieder und plauderte mit ihm, es war ein Vergnügen ihr zuzusehen, wie ihr die Blüten so gut gelangen, ganz täuschend ähnlich, und es wirkte wohltuend auf den Vater, daß sie so zufrieden mit ihrem Dasein war.

Da sitzt du und bist fleißig, Fia?

Ja. Dies ist für die große Ausstellung. Meinst du nicht, ich könne stolz auf dieses Bild sein, Papa?

Jawohl.

Das meine ich auch. Und doch ist es eben erst angefangen.

O, Fräulein Fia war ein merkwürdiges Wesen, sie lebte ihr Leben mit großartigem Vorbehalt, laßt sie nur sein, wie sie ist, sie selbst hält es für das richtige! Das sind wohl ihre glücklichsten Stunden, wenn sie in der Nationalgalerie sitzt, Bilder kopiert und diese ähnlich werden. Wenn jemand sich für ihre Malerei interessieren und ein wenig darüber in den Zeitungen bringen würde, dann hätte sie nicht den Wunsch, noch glücklicher zu werden, als sie ist. Sie war gut veranlagt, ohne Bitterkeit, war voller Wohlwollen, ihr Ehrgeiz verursachte ihr keine Qualen.

Ja, ein merkwürdiges Wesen, es fehlt ihr wohl dies und jenes, aber die Mängel schienen nur zu ihrem eigenen vorteilhaften Besten zu sein. Hatte sie ein Schuldgefühl? Es sah nicht danach aus. Sie war in ruhiger Weise mit sich selbst zufrieden, tat nichts Böses, bereute nichts, kannte keine Traurigkeit. Was sollte sie anders wünschen? Sie malte und machte Reisen, weiter nichts, in den Städten hatte sie gute Freunde, sie hat vielerlei erlebt, aber nicht viel. Viele fanden, sie sei in Gelehrsamkeit und Unnatur erstickt. Hör einmal, konnten sie sagen, ist dir das Maßhalten angeboren, Kind? Aber es gibt erlaubte und zulässige Freiheiten, Komtesse, du kannst dich also ruhig verlieben, Mädchen! – Aber warum denn? konnte sie erwidern.

Was sollte sie anders wünschen? Hätten nicht diese vielen im Streben nach der Malerei weggeworfenen Jahre auf andere Weise angewendet werden können? Warum denn? Es waren geliebte Jahre, war eine poetische Mission, ein Beruf, diese Jahre bewahrte sie gut auf, wie man Erbsilber aufbewahrt. Sie strebte, kam aber nicht vorwärts, o nein, aber sie blieb dabei, es war eine Art Trotz. Ein Aufhören, ein Umkehren auf dem Wege schien ihr unmöglich, sie brauchte keine Erlösung von ihrer fixen Idee, für diese war sie angelegt. Nein, sie hatte kein Schuldgefühl und empfand keine Traurigkeit.

Und wie nun ihr alternder Vater da neben ihr sitzt, ihr zuhört und sich in ihrer Freundlichkeit und ihrem Behagen sonnt, da denkt er vielleicht: Gott weiß, ob nicht die Fia die klügste von uns allen ist! Sie ist vom Schicksal ganz unverfolgt und ungestraft, während wir andern uns im ewigen Kampfe abmühen!

Im Landtag sind sie hinter uns Schiffsreedern hergewesen, sagt er. Sie berichten, wir ließen unsere Matrosen verhungern und sich zu Krüppeln schlagen.

Sie fährt nicht auf, sondern nimmt es gelassen hin, läßt nur den Pinsel sinken und sagt: Wirklich?

Ja, das versteht sich! So erscheint es also den Außenstehenden.

Tut es dir weh?

Nicht gerade weh. Aber es ist nicht angenehm für mich, ich werde älter und weniger leistungsfähig, und Scheldrup ist abwesend. Na, gottlob, daß ich dich habe, Fia, schließt er.

Wenn ich nur etwas leisten könnte! Papa, sie sind doch wohl nicht hinter dir hergewesen?

Sie nennen mich nicht mit Namen. Aber es ist doch mit Fingern auf mich gedeutet worden, und zwar von unserem eigenen Abgeordneten.

Von –?

Ja, von Fredriksen, dem Rechtsanwalt also.

Soo? sagt sie und wird nachdenklich.

Ich weiß nicht, was ich ihm getan habe, daß er nun so auf mich losgeht.

Es ist nur Mangel an Kultur, sagt sie freundlich.

War es Enttäuschung oder Überlegung, was bei dieser Antwort über sein Gesicht hinflog? Der Konsul war nicht gleich einig mit ihr; er sagte: Kultur? Ich weiß nicht, wieviel Kultur er hat. Es ist, als hätte die jetzige Zeit keine Verwendung dafür. Wir sind jetzt alle Menschen.

Sie schweigt. Ihr Gesicht bekommt einen störrischen Ausdruck, und dann gibt sie nicht nach, das weiß er.

Ich glaube, dies ist eines der hübschesten Bilder, die du je gemalt hast, sagt er. So, du meinst also, es sei Mangel an Kultur? Es kann wohl sein, daß du recht hast. Sag mir übrigens – nicht wahr, du machst dir nichts aus dem Rechtsanwalt?

Ich?

Neinnein, nicht das geringste, das wußte ich. Er ist natürlich recht tüchtig und wird es zu etwas bringen ... Wenn nun aber weder du noch deine Mutter, noch ich – wenn wir uns alle nichts aus ihm machen, dann braucht der Mann ja gar nicht bei uns zu verkehren. Wir laden ihn von jetzt an nicht mehr ein, rede mit deiner Mutter darüber, sie hat ihn früher ein wenig geschätzt.

So war dies erledigt, und eigentlich konnte der Konsul nun wieder gehen.

Ja, richtig, begann er wieder, der Maler, wie heißt er doch nur, hat sich also verlobt. Ist es die ältere oder die jüngere von den Töchtern? Ja, du hast es doch wohl gehört, Fia?

Sie lächelt. Ich bin die erste gewesen, die es gehört hat. Unter uns gesagt, Papa, ich bin ja für beide Parteien der Vermittler gewesen.

Ei sieh! Du, Fia! Vermittler!

So nahm sie es also auf.

Als der Konsul in sein Kontor zurückging, hatte er zwar keinen guten Rat betreffs des Rechtsanwalts bekommen und ebensowenig zehntausend bei einem Geschäft verdient, aber er machte sich selbst weis, er habe etwas erreicht, und er rieb sich die Hände, wie wenn er außerordentlich arbeitslustig wäre. Aber es war wohl nur ein wenig künstliche Energie. Er grüßt den einen und den andern unterwegs, grüßt auch die Damen freundlich; jawohl, sie grüßen den Konsul wieder, wie man einen großen Herrn grüßt, sie haben den Vorgang im Reichstag noch nicht gelesen. Und doch, die Damen erwidern seinen Gruß nicht wie in alten Tagen, sie schlagen die Augen nicht verlegen nieder wie früher, wenn er ihnen begegnete, er war gealtert, die jungen Damen von heute sehen auf unergrautes Haar, er mußte jetzt in tiefer stehenden Reihen suchen, er stand wohl schon auf dem Boden. Ach was! Er war der, der er war.

Der Konsul trat in sein Kontor, sah auf seine Uhr und ließ sich in seinem Sessel nieder. Es ist wunderbar, welch eine Erfrischung so eine Viertelstunde ist! hätte er sagen können, wie wenn er es selbst glaubte. O, sie hatte ihn aber nicht dauernd erfrischt, die Interpellation des Rechtsanwalts Fredriksen spukte immer noch in seinem Kopf. Mangel an Kultur? Fia hatte vielleicht recht. Sie war wahrlich auch die klügste, wenn sie für Liebesgeschichten nur das Interesse eines Vermittlers hatte, ein verflixt kluges Mädel, die Fia! Er hatte auch gar nichts dagegen, wenn sie sich noch einige Zeit solcher Art Kameradschaft enthielt, er wußte, was für eine unbändige Macht die Liebe ist; das würde sie schon noch zeitig genug erfahren.

Verstümmelte Matrosen? Die man also versorgt, die man also geradezu auf seinen Schoß nimmt und denen man den Schnuller gibt. Wenn nur Scheldrup daheim wäre! Aber Scheldrup war von der modernen harten Art, er dachte an niemand anderen, als an sich selbst, jetzt redete er von einem Jahr Aufenthalt in Neu-Orleans.

Und da im Kontor liegt die ungetane Arbeit Berge hoch, auf dem Pult Briefe, Telegramme und Frachtbriefe bunt durcheinander, Berntsen könnte wohl hereinkommen, eine Hand voll aus dem Haufen herausgreifen und einiges erledigen. Der Konsul alt? Etwas überschafft, etwas abgerackert; war es verwunderlich? Aber alt? Und selbst wenn er alt war, so war er doch der, der er war. Wenn sein Haar sich lichtete, so ließ er sich im Hut photographieren, ja, im hohen Hut –

Er steht auf und ruft Berntsen vom Kramladen herein.

Was ist das für ein junger Mann in einer Studentenmütze, der da draußen steht? fragt er.

Frank, antwortet Berntsen.

Frank?

Für den der Herr Konsul bezahlt. Olivers Sohn.

Ach so, der!

Er holt sich eben seinen neuen Anzug bei uns. Seinen alljährlichen Anzug.

So. Hören Sie, Berntsen, könnten Sie nicht einiges von hier übernehmen und mir ein wenig helfen? Sehen Sie, wie es sich anhäuft und mir über den Kopf wächst. Ihnen geht es so leicht von der Hand.

Berntsen verspricht, am Abend Zeit dafür zu haben.

Ich danke Ihnen. Schicken Sie vor allem die Versicherung für die Fia ab. Hier ist das reine Chaos, und ich habe so viel zu überlegen. Haben Sie die Zeitung gelesen? Was sollen wir mit dem Rechtsanwalt tun?

Sollen wir etwas tun? fragt Berntsen.

Ich weiß es nicht. Nein, Sie haben vielleicht recht, wir sollten einfach gar nichts darauf tun. Aber es kommt vielleicht eine Kommission und stellt allerlei Fragen.

Dann werden wir ihr darauf antworten.

Richtig! Punkt für Punkt. Und Berntsen, könnten Sie das nicht übernehmen, ich meine, der Kommission antworten?

Doch.

Damit ist die Sache in den besten Händen, und der Konsul fühlt sich von einer schweren Last befreit. Er ist so erleichtert, daß er sich wieder als Herr fühlt, er will wieder etwas auftreten und sagt: Den Studenten schicken Sie mir einen Augenblick herein, Berntsen!

Frank tritt ein und steht vor dem großen Mann.

Das gefällt mir, daß Sie nicht so oft zu Hause sind, sagt der Konsul, und er sagt Sie zu Frank. Denn dann sind Sie wohl fleißig beim Studieren. Ich erkannte Sie gar nicht wieder, sondern mußte Berntsen nach Ihnen fragen. Sie sind ja in den letzten Jahren riesig in die Höhe geschossen. Und nun sind Sie also Student. Geht es Ihnen gut?

Ja, danke.

Das freut mich. Wir sollen alle etwas werden, Sie in Ihrem Fach und ich in dem meinigen. Was ich sagen wollte: Sie nehmen sich doch wohl als junger Mensch vor Ausschweifungen in acht? sagt der Konsul plötzlich.

Vor jeder Art von Leichtsinn? sagt er. O, dieser Konsul Johnsen, er hätte ja einen Grabstein zum Lächeln bringen können, und er fährt fort: Ja, das sollen Sie wirklich, Sie sollen ein verständiger junger Mann sein und an den Versuchungen vorübergehen. Das erwarte ich von Ihnen.

Frank lächelt nicht. Groß und mager und tief vorgeneigt wie in einer Kirche stand er da, antwortete gut und richtig ja oder nein am richtigen Platze, der Konsul bekam den besten Eindruck von ihm. War es seine Absicht, daß dieser junge Mann auch von ihm, seinem Wohltäter, eine vorteilhafte Erinnerung an diese Begegnung mitnehmen sollte? Wer weiß, es konnte vielleicht dem Wohltäter in der Zukunft von Nutzen sein, falls neue Überfälle drohten! Jedenfalls schadete eine kleine Rede nichts.

Der Konsul konnte in durchaus gutem Glauben diese Gelegenheit benützen, um seine moralische Seite zu zeigen. Es gibt edle Vergnügen und leere Vergnügen, sagte er; in meinen späteren Jahren bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß die Vergnügungen im eigenen Heim und in der Familie die richtigen sind. Man kann die andern Vergnügen entbehren, wenn man ernstlich will. Das ist meine Erfahrung.

Dieser Konsul Johnsen! Er war jetzt wohl in der Zeit der Abkühlung, jetzt, da ihn allmählich die Lüste verließen, wollte er sich den Vorteil, sie überwunden zu haben, nicht entgehen lassen. Ein so guter Kaufmann war er.

Übrigens war ja der Konsul Johnsen nicht lauter Hohlheit und nichts anderes, er hatte auch Gemüt; so dachte er einen Augenblick daran, dem jungen Studenten einen Stuhl anzubieten, gab es aber wieder auf, tat indes, was besser war: er trat an seinen Geldschrank und kam mit einem Geldschein zurück, mit einer großen roten Banknote, die er mit den Worten: Bitte, hier ist ein kleines Taschengeld! Frank schenkte.

Und Frank verneigte sich mit der tiefen Verbeugung, die ihm seinerzeit von der Tanzlehrerin beigebracht worden war.

Es ist nicht der Mühe wert, es auszuposaunen, sagt der Konsul; es steht ja geschrieben, du sollst deine linke Hand nicht wissen lassen, was die rechte tut; ist es nicht so?

Doch.

O ja, wir Menschen! Aber wir müssen versuchen, es so gut zu machen, als wir können. Sie wollen wohl Pfarrer werden?

Nein, ich weiß es nicht –

Wissen Sie es nicht?

Ich habe mehr Talent für Sprachen!

Sprachen?

Philologie.

So. Haben Sie da Aussichten? Ja?

Aber etwas fremd schien es dem Konsul in den Ohren zu klingen; ob er nun dachte, er hätte sich seine moralische Rede sparen können, oder ob er fürchtete, ein Sprachgelehrter könne ihm in Zukunft nicht ebenso nützlich sein wie ein Pfarrer.

Er entläßt den jungen Menschen in netter Weise: Ja, jetzt muß ich an die Arbeit! Aber er jagt ihn nicht fort, sondern spricht noch weiter freundlich mit ihm: Überlegen Sie sich nun, ob Sie nicht doch lieber Pfarrer werden wollen. Ich habe mich ja eigentlich Ihrem Vater und Ihnen gegenüber nicht schlecht benommen, ich benehme mich niemand gegenüber schlecht. Aber was Sie schließlich werden wollen, das müssen Sie selbst entscheiden, ich kann Ihnen nur einen kleinen Rat geben.

Adieu, junger Mann!


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