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11

Was ist das für ein neues Schild, das über Konsul Johnsens Kontortür angebracht wird? Wieder ein Schild oder ein Wappen, war er geradezu adlig geworden? Belgischer Konsul war er geworden.

Die Leute hatten wohl gemerkt, daß er mit etwas Besonderem beschäftigt war, nun war es also wohl das gewesen, nämlich noch einmal so viel zu werden, als die andern Konsuln am Ort, Doppelkonsul. Und das hatte sehr viel zu bedeuten: noch ein Wappen am Hause, Frau Johnsen noch einen Ring am Finger mit einem Stein darin!

Als der Schulvorsteher das neue Schild betrachtet und entziffert hatte, klopfte er sich den Staub von seinem abgetragenen Rock und ging in das Doppelkonsulat. Wenn er jetzt die Gelegenheit benützte, eine Unterredung mit dem Herrn Konsul zu bewerkstelligen, so war das wirklich schlau von ihm.

Er gratulierte mit wohlgesetzten, ehrerbietigen Worten. Der Herr Konsul sei also von einer weiteren Regierung zum Vertrauensmann ausersehen worden.

O ja, allerdings. Übrigens bringe es nichts als Arbeit und auch keine so kleinen Ausgaben mit sich. Aber man könne sich dem nicht gut entziehen. Doch um auf etwas anderes zu kommen, so möchte ich Ihnen, Herr Schulvorsteher, für meine kleine Fia bestens danken. Ich bin froh, daß das Examen überstanden ist. Es hätte ja etwas besser ausfallen können, aber das ist nun nicht zu ändern, sie soll ja auch nicht Lehrerin werden.

Sie sprechen weiter über dieses Thema: jawohl, Fia könne gut Lehrerin werden, in mehreren Fächern andere unterrichten. Warum nicht? Und nun Herr Konsul, komme ich zu Ihnen als dem Ersten in allem miteinander, ich habe ein Anliegen an Sie.

Nun?

Ein ernsthaftes Anliegen. Es handelt sich um einen Schüler, der in seiner glänzenden Entwicklung nicht aufgehalten werden und zugrunde gehen darf. Es ist Frank, der Sohn von Oliver.

Was ist mit ihm?

Sie haben ihn ein Jahr ums andere gekleidet, und Sie haben für die ganze Familie Ihre große Teilnahme bewiesen –

Durchaus nicht! unterbricht ihn der Konsul.

Der Schulvorsteher sieht den Konsul verwundert an, dann sagt er: Zuerst haben Sie seine Mutter gehabt –

Im Dienst. Jawohl, Petra, sie hat bei uns gedient.

Ja. Und dann haben Sie dem Vater sein Auskommen gegeben. Deshalb meine ich, Ihre Wohltaten gegen die Familie sind sehr groß und sehr zahlreich gewesen. Aber jetzt braucht Frank Hilfe, er braucht sie sofort höchst notwendig, helfen Sie ihm also weiter, Herr Konsul!

Zuerst war der Konsul durchaus nicht entzückt über dieses Ansuchen, im Gegenteil, er runzelte die Stirne. Er war der Erste in der Stadt, jetzt war er so hoch gestiegen, als er überhaupt steigen konnte, und so hatte er wohl keine Lust, noch größer zu sein, als er war; deshalb sagte er:

Wenn sie meine Wohltaten – wie Sie sie freundlicherweise nennen – aufzählen, meinen Sie dann, das sei ein weiterer Grund, wieder zu mir zu kommen?

Wir möchten so gerne den ersten Namen der Stadt obenan haben, dann versuchen wir es bei andern. Aber wir sind uns voll bewußt, daß wir jetzt – ja, daß wir jetzt – die Hilfsbereitschaft eines Mannes mißbrauchen, dem es sehr schwer fällt, nein zu sagen.

Was soll denn der Junge werden?

Er kann werden, was er will, so fleißig und strebsam, wie er ist. Ganz besonders leicht fallen ihm die fremden Sprachen.

Der Konsul überlegt, er starrt in die Luft und überlegt, dann tut er den merkwürdigen Ausspruch: Es könnte mißverstanden werden, wenn ich der Familie noch weiter helfen würde.

Mißverstanden?

Gelegenheit zu Klatsch geben. Haben sie nicht bereits tuscheln hören?

Wie?

Der Konsul ändert seinen Ton, der Schulvorsteher hat also nicht einmal etwas von einer gewissen Backpfeife gehört. Er sagt deshalb: O ja, es wird geklatscht, man entblödet sich nicht. Es heißt, ich tue meine kleinen Wohltaten aus lauter Prahlerei, sagte der Konsul.

So etwas hatte der Schulmeister noch nie gehört, niemals. Ach, aber darüber müßte ein Mann wie Sie, Herr Konsul, erhaben sein, himmelhoch darüber stehen müßten Sie. Alle besseren Elemente in der Stadt sind auf Ihrer Seite.

Sie beraten weiter darüber, der Konsul ist immer noch nicht ganz beruhigt wegen möglicher Klatschereien, wegen der allgemeinen Beurteilung, aber schließlich gibt er nach und sagt: Ja – eine Handreichung muß ich wohl gewähren.

Jetzt war vielleicht der Schulvorsteher ein wenig unruhig geworden, aber er gibt seinem Gefühl in vorsichtiger Weise Ausdruck. Tausend Dank, Herr Konsul, ich wußte es ja, daß ich nicht mit leeren Händen abziehen würde müssen. O, hier ist Gelegenheit für Leute von Macht, Größe zu zeigen. Sonst gehen diese ungewöhnlichen Anlagen für das Geistesleben und das Land verloren.

Ja, sagten Sie denn nicht, Sie möchten eine Handreichung? fragt der Konsul.

Doch. Allerdings, in einem Umfang, den Sie Handreichung nennen, Herr Konsul. Es handelt sich also um eine jährliche Unterstützung während der Studienzeit des Jungen.

Nein, so weit zu gehen, daran hatte der Konsul wohl nicht gedacht. Er sagt: Ach so! und schüttelt den Kopf.

In diesem Augenblicke klopft es mit einer behandschuhten Hand an die Tür. Frau Konsul Johnsen tritt ein und sagt: Entschuldige, ich gehe gleich wieder.

Ach, war es nicht das Schlimmste, was dem Konsul widerfahren konnte, daß gerade jetzt seine Frau dazu kam! Und der Schulvorsteher mußte sie ja in seiner Einfalt sofort in den großen Plan über den Jungen Frank einweihen. So, sagte Frau Johnsen; ach so, sagte sie.

Aber gerade ihre Gegenwart sollte dem Plane zugute kommen. Auch Frau Johnsen war an diesem Tage, an dem sie noch einmal so viel geworden war als andere Frauen, etwas feierlich gesinnt, sie sah ihren Mann an und sagte: Ja hier wirst du wohl beispringen müssen.

Da fühlte sich der Konsul merkwürdig erleichtert, er hatte also ganz einfach seine Frau als Verbündete bei einer Wohltat gegen die Familie Oliver. Es ist ein großes Glück, wenn man eine verständnisvolle Frau hat, sagt der Konsul. Ich wollte gerne hören, wie du darüber denkst, Johanna.

O, die gnädige Frau kennen wir schon! rief der Schulvorsteher aus.

Ertrug sie das nicht, ertrug sie so etwas nicht? Sie wurde ganz verdutzt und fragte: Hat der Junge seinen Taufbund erneuert?

Er soll jetzt konfirmiert werden. Und dann soll er gleich aufs Gymnasium kommen; das ist die Absicht.

Der Konsul fragt: Wen wollen Sie außer mir noch für diese Sache gewinnen?

Die beiden Konsuln, Olsen und Heiberg –

Dafür bin ich nicht, wendet Frau Johnsen ein.

Nein, nein, vielleicht nicht. Dann hatten wir an Rechtsanwalt Fredriksen gedacht. Er ist der Besitzer von Olivers Haus, er müßte zu dem Zweck dieses Hauses schenken können.

Aber nun fühlte sich Konsul Johnsen durch die Haltung seiner Frau wahrhaftig so weit unterstützt, daß er die Achseln zuckte und sagte: Ach, so ein Rechtsanwalt! Er politisiert immerfort und will in den Landtag gewählt werden. Mag er das weiter treiben, zu viel anderem taugt er wohl kaum.

Dazu lächelte der Schulvorsteher ehrerbietig und gab seine Zustimmung zu erkennen. Aber dann nennt er Henriksen, ja, sie wollten versuchen, auch Henriksen zu gewinnen.

Welchen Henriksen? fragt Frau Johnsen.

Henriksen auf der Werft.

Ach so der, seine Frau schreibt sich manchmal Hendriksen.

Ja, darüber ist weniger zu lächeln, sagt der Konsul, um seine Frau etwas zurückzuhalten.

Aber Frau Johnsen kann wohl heute nicht viel ertragen, und so erträgt sie auch keinen Hemmschuh, ihr Ausdruck wird kühl.

Der Konsul fährt fort: Nein, das Endscheidende ist, daß gar nicht gesagt ist, was Henriksen überhaupt zum Weggeben hat.

Frau Johnsen fällt ein: Freilich das wissen wir nicht. Aber wir haben auch keinen Verkehr mit ihnen.

Der Schulvorsteher sitzt wie auf glühenden Kohlen, bis er die Sache wieder in Ordnung hat. Alle drei reden über Henriksen auf der Werft und stimmen miteinander überein, daß sie in ihrer Art ganz gute Leute seien, aber etwas aus dem Rahmen fielen, etwas unkultiviert seien, und daß der Mann gern ein Glas trinke.

Nun, sagt Frau Johnsen schließlich, ich wollte mir nur rasch eine Banknote bei dir holen.

Der Konsul tritt an seinen Geldschrank. Eine? sagt er fragend.

Ja, wenn sie groß genug ist.

Als Frau Johnsen gegangen ist, setzt sich der Konsul wieder und beratschlagt nun mit dem Schulvorsteher. Eine jährliche Unterstützung, ja, sagt er. Das war es übrigens auch, was ich vorhin mit einer Handreichung gemeint hatte. Haben Sie schon mit dem Doktor über diese Sache gesprochen?

Ja. Und er will auch nach Kräften dazu beisteuern. Aber er hat wohl nicht viel.

Was wird er haben! Nein, nun hören Sie, ich kann es ebensogut gleich sagen: ich bestreite diese Ausgaben. Sie können heimgehen und ruhig schlafen, Herr Schulvorsteher.

Ah!

Ja, ich tu's, sagt der Konsul, indem er aufsteht. Ich werde diese Handreichung, diese jährliche Unterstützung allein bestreiten.

Der Schulvorsteher stand auch auf und murmelte überwältigt: Hier erkenne ich Sie wieder, Herr Konsul.

Und seht, nun brauchte also der Junge Frank nicht wieder in seine Umgebung herabzusinken, nicht zurück in das Dunkel, aus dem er hervorgegangen war. Alles kommt in Ordnung, der Schulvorsteher konnte triumphieren, konnte jedes bessere Element auf der Straße anhalten und ihm die Neuigkeit berichten, er konnte persönlich zu Olivers hingehen und sie kundtun. Das war ein glücklicher Tag für ihn, es war, als habe er selbst einen wohlüberstandenen Examenstag noch einmal hinter sich, für ihn gab es keine größeren Freuden, als wenn er auf diese Weise Gutes tun und die Überlegenheit des Unterrichts und der Bücher feststellen konnte, das war sein Beruf und seine Leidenschaft. Eine Leidenschaft muß der Mensch haben, manche trotzen Feuer und Wasser, um Zeitwörter beugen zu dürfen.

Der Schulvorsteher begegnete einer Schar Schuljugend, die von einem Gebirgsausflug zurückkam. Die Schar war ermüdet von ihren Anstrengungen, mit wunden Füßen, sonnverbrannt, von bösen Ochsen und Bauern geärgert, kamen sie daher. Der Schulvorsteher wird schon von weitem erkannt, die Schar nickt ihm zu, begrüßt ihn. Die größten der Kinder sind ihn nun los, er hat die Tortur während der ganzen Zeit ihres Heranwachsens geleitet, aber es war nur zu ihrem eigenen Besten, er rüstete sie aus fürs Leben, rüstete sie aus für Ackerbau, Fischfang, Viehhaltung, Handel, Industrie, Kunst, Familienleben, Träume und Gottesverehrung; aber jetzt sind sie frei von ihm, sie haben ihr Examen hinter sich, nun sollen sie ihre Rüstung im Kampf erproben. Da gehen sie nun hin und verwahren gewissenhaft in ihrem kleinen Gehirn den Flächeninhalt der Schweiz, die Jahreszahl der punischen Kriege, sie stürmen ins Gebirge mit folgender Naturwissenschaft im Herzen: Fische sind Wirbeltiere! Sie hinken heimwärts mit ihrer ersten Erfahrung von einem matten Blutumlauf. Der Schulvorsteher begegnet ihnen, begegnet diesen Kindern, für die es vielleicht viel besser gewesen wäre, wenn sie etwas vom wirklichen Leben gekannt hätten; er selbst ist ein alter Mann mit dem Gehirn eines Konfirmanden, er ist halbverhungert und abgerackert, sein Rock hängt an ihm herunter wie von einem Kleiderträger, der Aufhänger steht ihm im Nacken heraus; aber da schreitet er einher, der Vorsteher der Schule, der Vorsteher des großen steinernen Schulhauses.

Nun, wie ist es euch auf dem Ausflug ergangen?

So und so, Ochsen, Bauern –

Darüber muß man erhaben sein, himmelhoch darüber erhaben. Wollt ihr eine erfreuliche Neuigkeit hören?

Ja, ja!

Frank kommt aufs Gymnasium!

Einige von den Kindern sind so klug, zu tun, als sei dies die erfreulichste Neuigkeit, die sie hören könnten, andere sind gleichgültig, einige neidisch. Seht, für den Reinert in Kniehosen ist es leicht, Freude zu bezeugen, er, der das von den Fischen weiß und überdies ausgesprochenes Sprachtalent hat! Frank in eigener Person ist nicht ohne Interesse für die Neuigkeit, sein sonnverbranntes Gesicht wird einen Augenblick noch dunkler, aber er sinkt nicht auf die Knie nieder. Nein, denn er hat auch früher schon Geschenke bekommen, es ist ihm die ganzen Jahre über von andern vorwärts geholfen worden, er ist nie gezwungen gewesen, selbst Auswege zu finden; es würde sich schon machen, alles würde schon in Ordnung kommen! Und jetzt sollte ihn eine besonders große Freude durchzucken? Frank durchzucken? Der Junge ist ja niemals froh gewesen, keinen einzigen Tag in seinem Leben. Er ist strebsam in der Schule gewesen und fühlte sich befriedigt, weil die Menschen seinen Fleiß und seinen Ehrgeiz hochachteten, das war alles. Nein, er kennt die leidenschaftlichen Ausbrüche nicht er ist nie droben, hoch droben gewesen und dann heruntergestürzt, ist nie auf den Grund gesunken und wieder nach oben geschwommen, er hat sich keiner Gefahr ausgesetzt und hat nie etwas abzuwehren gehabt; anstatt sich aus einer Klemme herauszubringen, vermied er es, in eine hineinzukommen. Klug getan, aber erbärmlich getan. Gott hat ihn zum Philologen ausgerüstet.

Er verabschiedet sich von den andern und geht heim. Da bekommt er frische Fische zum Abendbrot, etwas, das ihm wahrlich not tun kann. Der Vater ist schon heimgekommen, Abel sitzt ausnahmsweise auch einmal im Schoße der Familie; der alte, ausgediente Kater schnuppert und läuft im Kreise herum, immer näher zum Fischgericht heran und miaut.

Es war, als sei etwas Fremdes in die Stube hereingekommen – Frank, als eine noch merkwürdigere Person denn sonst. Jetzt sollte er konfirmiert werden und dann fortreisen. Die Großmutter ist stumm darüber und ist gegen ihn schon wie ein sündiges Gemeindelamm gegen den Pfarrer. Vielleicht dachte sie, könnte es einmal von Nutzen sein – im Beichtstuhl.

Oliver sitzt am Tisch mit dem kleinsten Mädchen auf dem Schoß und Petra mit dem vorjüngsten, dem blauäugigen; alle essen. Oliver ist wahrhaftig etwas niedergedrückt; er plaudert mit der Kleinen, um es etwas weniger feierlich zu machen: Sie ist so klein, sagt er, und Vaters kleines Mädchen ist sie, sie ist nicht gefährlich und groß, nur ein liebes kleines Ding. Wem sein Mädchen bist du? Vaters, ja das wußte ich. Dazwischen steckt er dem Kind eine Rübe in den Mund, sorgt aber sonst für sich selbst. O, Oliver kann tüchtig essen, wenn Petra ihn nicht zügelt. Ja ja, für die heutigen Fische haben wir uns bei Abel zu bedanken, sagte er.

Als ob das etwas Wichtiges und nicht etwas ganz Gleichgültiges gewesen wäre!

Petra ist von dem hingenommen, was dem Hause widerfahren ist, und sie bringt Frank dazu, ihr auf ihre Fragen Rede und Antwort zu stehen.

Das Gymnasium, sagt Oliver und nickt ihr zu, ja, das ist der richtige Weg! Aber er hat leider nicht Verstand genug, um das Thema weiter zu verhandeln, und sobald er gegessen hat, spielt er wieder mit der Kleinen und gibt ihr die weiße Engelsfigur als Puppe.

Seht, es ist jetzt nicht mehr viel übrig von den Zieraten auf der Kommode, sie sind zu oft als Spielsachen für die Kleinen benutzt worden, und was den kleinen Taschenspiegel im Messingrahmen betrifft, so ist der allerdings nicht den Weg alles Fleisches gegangen, sondern Oliver hat ihn ausgeführt, um sich im Lagerhaus darin spiegeln zu können. Das verdorbene Mannsbild, das Frauenzimmer, er betrachtete sich im Spiegel!

Er wartet, bis er besser zu Wort kommen kann, um etwas kund zu tun. Was kann das für eine Neuigkeit sein, die er mit sich herumträgt? Daß Johnsen am Landungsplatz doppelter Konsul geworden ist? Das auch, das ist das erste. Aber plötzlich sagt er zu Petra: Sie redeten davon, daß bei Johnsens eine große Gesellschaft gegeben werden soll.

Oliver kam ab und zu mit einem Auftrag für seine Frau heim, daß man sie bei Johnsens nötig brauche, Frau Johnsen habe gesagt, Scheldrup habe ein Wort darüber fallen lassen, auch her Konsul selbst hatte bisweilen eine Arbeit für sie. Manchmal hatte es nichts auf sich, es war ein »Mißverständnis« von Oliver gewesen, und es kam auch vor, daß es eine freie Erfindung von ihm war. Aber so oft Petra einen solchen Bescheid bekam, zog sie ihren Sonntagsstaat an und ging fort; das schadete niemand, und sie bekam jedenfalls eine Freistunde.

Na, haben sie nun wieder Gesellschaft? fragt sie.

Es scheint so. Wenn er doch Doppelkonsul geworden ist. Du wirst es ja hören.

Dann soll ich wohl ein wenig helfen?

Ja. Und vielleicht sollst du heut abend auch das Kontor aufwaschen. Ich hab es nicht so genau gehört.

Petra geht. Die Großmutter bleibt bei den Kleinen, die Stube leert sich allmählich. Oliver schleicht seiner Frau nach und paßt eifersüchtig auf, ob sie auch wirklich zu Konsul Johnsens geht. Doch Petra ist an dieses Auflauern gewöhnt, sie weiß, sie hat ihn hinter jeder Straßenecke, und sie wehrt jedem Streit, indem sie weder nach rechts noch nach links vom Wege abweicht.

Auch Abel bleibt nicht zu Hause. Er hat einen herrlichen Peitschenstiel gefunden und ihn unter der Türschwelle versteckt. Jetzt holt er ihn hervor und betrachtet ihn, es ist ein aus Riemen geflochtener Peitschenstiel, sehr biegsam und ausgezeichnet, Abel weiß sofort, wozu er zu gebrauchen ist. Auf alle Fälle kann er ihn in der Hand tragen, ihn durch die Luft sausen lassen; er hat einen stattlichen Messingknopf. Abel kennt die Fuhrleute der Stadt und weiß so ungefähr, wer den Peitschenstiel verloren hat; aber leider ist er gerade nicht ehrlich aufgelegt und mag ihn darum nicht dem Besitzer hinbringen. Start dessen geht er zum Fischer Jörgen.

Ach, daß er es nicht lassen kann, um dieses Haus zu kreisen, dieses Eden, aus dem er vertrieben worden ist! Daß Edevart auch nicht wo anders wohnt!

War das übrigens nicht Edevart, der soeben dort unten über die Straße gegangen ist? Und ist das nicht der Stadtingenieur, der ihm entgegenkommt? Abel kann doch nicht einfach an ihm vorbeilaufen, um seinen Kameraden einzuholen?

Guten Tag, Abel! sagt der Stadtingenieur. Hör du, ich habe den Verdacht, daß du es gewesen bist, der mir einige Male ein Bündel Fische an die Küchentür gehängt hat. Ich will dir die Fische bezahlen, sagt er und zieht den Geldbeutel heraus.

Das – nein – sagt Abel stotternd.

Was? Meine Frau ist überzeugt, daß du es gewesen bist.

Es sind nicht viele gewesen, sagt Abel.

Der Stadtingenieur streckt ihm eine Krone entgegen, denn er hat selbst nicht viel zum Bezahlen. Das war nett von dir, sagt er.

Dann geht jeder seines Weges, und Abel lenkt seine Schritte dem Hause des Fischers zu. Seine Augen sind etwas feucht von den letzten Worten des Stadtingenieurs.

Die Hühner haben sich bereits aufgesetzt, und im Hinterhof ist es still. Aber als Abel den Kopf hineinsteckt und Klein-Lydia sieht, ruft er auf gut Glück:

Edevart!

Klein-Lydia antwortet:

Hu, wie du mich erschreckt hast, du Schreihals!

Ich wollte nur sehen, ob Edevart da ist.

Da komm her! Edevart ist eben wieder weggegangen. Er hat zu Hause gegessen und ist dann schnell wieder fort. Da komm her, hörst du!

Du bist selbst ein Schreihals! sagt Abel plötzlich. – Ein Irrtum war ausgeschlossen, er selbst hörte seine Worte deutlich.

Klein-Lydia hatte unterdessen vor einem Stuhl mit Schreibsachen gekniet. Jetzt steht sie auf, und es ist nichts Böses mehr in ihr, sondern nur noch Reue über ihren übereilten Ausdruck. Sei mir nicht böse! sagt sie, und allem Anschein nach ist sie wieder auf dem Punkt, in Tränen auszubrechen.

Wer konnte das aushalten! Abel ist zu blöde, einen Versuch zu machen, sie geradezu zu trösten; aber er geht doch so weit, daß er fragt: Was hast du da geschrieben?

Briefe! Da sieh her, was ich für Finger habe! sagt sie und streckt ihm ihre tintengeschwärzten Finger entgegen. Ach du liebe Zeit, wie ich aussehe! ruft sie und klopft sich den Sand vom Rock.

Jetzt ist alles wieder gut zwischen ihnen, und Klein-Lydia läßt ihr Mundwerk laufen. Du kannst froh sein, daß du nicht so viele Briefe schreiben mußt. Kannst du Briefe schreiben?

Das weiß ich nicht.

Ich hab so viele Freundinnen von der Tanzstunde her, denen ich schreiben muß. Was hast du denn da? Einen Stock?

Siehst du denn nicht, was es ist? Das ist ein Klopfer, zum Kleider ausklopfen.

Lydia biegt ihn und macht zur Probe einen Schlag durch die Luft, dann nickt sie befriedigt: ja, der sei großartig.

Du kannst ihn haben, sagt er.

Und so geschieht es.

Sie reden von dem und jenem, und Klein-Lydia tut sehr reif und erwachsen; sie habe den Tag über so sehr viel zu tun und sei abends ganz erschöpft von all dem Nähen und Stricken und der Hausarbeit.

Weißt du, was ich denke? fragt sie.

Nein.

Nun, es ist ja auch einerlei. Aber jetzt ruft mich meine Mutter bald, und dann ist es zu spät, wenn du mir etwas sagen willst.

Dies kommt ihm sehr unerwartet, er ist ganz verdutzt. Was sollte er sagen? Was meinte sie?

Ja! rief Lydia plötzlich mit schriller Stimme zum Haus hinüber und lief hinein.

Aber Abel hatte gar nicht gehört, daß ihr gerufen worden wäre.

Wieder war es ein mißlungener Abend und ein wahres Elend. Ein paar Tage darauf aber war der Kutscher seinem schönen Peitschenstiel auf die Spur gekommen und hatte sich ihn wieder geholt. Und so war es nun also mit Abel für immer aus und vorbei.


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