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3

Nein, der Fischer Jörgen war ganz und gar kein Spekulant, er war Fischer, und es hatte sich für ihn gelohnt, sich mit kleinem Verdienst zu begnügen und seine Bedürfnisse danach einzurichten. Er hatte sein eigenes Haus und sogar noch etwas darüber, seine drei Kinder waren gut und wohlgenährt, Jörgen ging es in jeder Beziehung gut.

Lydia ihrerseits war heftig und jähzornig, aber sie war tüchtig, oho, ein Schermesser und ein Reibeisen, ja eine Säge, ein Hobel und eine Kratzbürste, jawohl, aber unersetzlich für Mann und Kinder. Die Leute hatten sie im geheimen ein wenig zum besten, ihre Eitelkeit war sehr groß, sie putzte sich gerne, es ging fast ins Närrische über, ihre Kinder waren hübscher als die anderer Leute, sie selbst war hübscher als die Frauen in ihrer Nachbarschaft. Es war eine Seuche, die ihr von ihren Mädchentagen her noch anhaftete, sie hatte, als sie noch jung war, in lauter vornehmen Häusern gedient, zuerst bei Kaufmann Heiberg, dann mehrere Jahre bei Johnsen am Landungsplatz, gehörte sie da nicht zu den besseren Leuten! Hatte nicht sogar C. A. Johnsen in jüngeren Jahren ein Auge auf sie geworfen gehabt! Sie entsann sich dessen ganz genau, er hatte nichts bei ihr ausgerichtet, o nein, aber das war nicht seine Schuld gewesen.

Dann hatte sie Jörgen kennen gelernt, und sie hatte ihn drei Jahre lang hingehalten, ihn aber dann doch geheiratet. Er war nicht gerade malerisch fürs Auge, hatte kleine, gewöhnliche Züge und ein harmloses Gesicht, sein dunkler weicher Vollbart war sogar etwas Besonderes. Allerdings war er ziemlich schwerfällig, war auch kein guter Tänzer, Gott und jedermann hörte ihn von weitem, wenn er kam und wenn er ging, das stillsitzende Leben in seinem Boot trug auch nicht zu seiner Leichtfüßigkeit bei. Aber Jörgen war ein zuverlässiger, ruhiger Mann, Lydia hatte noch keinen Tag bereut, daß sie ihn genommen hatte.

Jörgen arbeitete; es ging so weit, daß es ihm nicht wohl war, wenn er des Wetters wegen nicht hinausrudern konnte, und der Frühling und Frühsommer waren widerwärtige Zeiten mit ihren endlosen Festtagen, die man feiern mußte, Ostern und Pfingsten waren ihm eine wahrhafte Prüfung. Es wäre noch angegangen, wenn er keinen Absatz für seine Fische gehabt hätte, aber wenn die Stadt auch nur klein war, so litt sie doch immer an Fischmangel, und die Fischpreise stiegen mit jedem Jahre. Oliver konnte über den Verdienst spotten, soviel er wollte, der Fischfang im kleinen war eine gute Versorgung, eine ausgezeichnete Versorgung. Und Jörgen hatte überdies in einer Zeitung gelesen, daß der Fischfang von ebenso gesegneter Art sei wie der Ackerbau: es sei ein Einheimsen des Jahresertrags. Auch er stand im Dienste der Erde.

Aber jetzt mußte man an Land liegen. Endlich waren die großen Festtage vorbei, sowie auch Christi Himmelfahrt, der siebzehnte Mai und der Buß- und Bettag, aber Gott schickte Sturm und Unwetter, und das Meer raste, Gott wollte eine dreiwöchige Ruhe im Einheimsen des Meeresertrages eintreten lassen; wozu das nun gut sein sollte! Jörgen wanderte mit seinem kleinen Jungen umher, sie wanderten oft, bis sie tropfnaß waren, sie stiegen auch noch auf die Anhöhen, betrachteten das Meer und zählten die Dampfschiffe draußen; dann gingen sie zum Boot hinunter, sahen nach, ob es sicher lag, ob es nicht ausgeschöpft werden mußte. Jörgen fühlte sich bei diesem Müßiggang sehr unbehaglich.

Er begegnete Oliver. Da sie nichts anderes zu tun hatten, setzten sie sich unter Dach und unterhielten sich miteinander. Oliver fühlte sich gar nicht unbehaglich, ihm ging's körperlich gut, das schlechte Wetter erlaubte ihm müßig zu gehen, der Fleiß war ihm abhanden gekommen. Es war eine Lenkung des Schicksals: kaum hatte er sich vorgenommen gehabt, sich das Geld zu einem neuen Anzug zu verdienen, und kaum hatte er angefangen wirklich Geschmack an der Arbeit zu bekommen, als auch schon diese langandauernde, gezwungene Untätigkeit einsetzte und sein guter Vorsatz wieder dahinsiechte. Das einzige, worüber er sich jetzt grämte, war, daß er nicht auf seine lange Fahrt nach den Inseln hinaus konnte, nun mußte er gezwungenerweise Tag für Tag daheim sein und sich mit seiner Mutter herumstreiten.

Im Philosophieren hatte Oliver es allmählich zu einer ganzen Meisterschaft gebracht. Er war jung, und zuzeiten konnte er eindringlich und heftig über sein Dasein Reden halten. Seht nun einmal, geht denn alles so hübsch und perlenbestickt, wie man uns aus der Schrift lehrt! Der Olaus am Anger hat in einem Jahr einen Minenschuß ins Gesicht bekommen, und es ist davon ganz blau geblieben. Im nächsten Jahr, als er auf der Werft Arbeit gefunden hatte, kam ein Schwengel daher und riß ihm die eine Hand weg. Jetzt trinkt er wie ein Loch und prügelt sich mit seiner Frau. – Nimm, wen du willst, Jörgen, das Unglück kann uns alle verändern und verderben, und wenn wir noch so sehr Gottes Geschöpfe sind.

Ja, sagte Jörgen.

Ja, ist es nicht wahr? Und wenn du eine noch so gutmütige Seele bist und du bekommst eine Kanonenkugel zwischen die Beine, so wirst du nicht besser dadurch. Nein, weit entfernt, du wirft gar nicht besser dadurch. Meinst du vielleicht, du wirst besser davon?

Ach, das ist das, was man eine Züchtigung nennt, sagt Jörgen sanftmütig.

Du bist ein Schaf, Jörgen. Züchtigung? Das kannst du dir selbst vorsagen, wenn du in ein solches Unglück gerätst! – Oliver war plötzlich ganz kreideweiß vor Erregung geworden; aber als Jörgen Miene machte, zu gehen, bereute er seine Heftigkeit, griff in die Tasche und zog seine kurze Pfeife heraus: Willst du sie haben? Ich habe sie für dich mitgebracht.

Hast du das Rauchen aufgegeben?

Schon lange. Schon seit dem Krankenhaus. Ich habe sie einmal im Ausland gekauft. Wenn du sie also gern haben möchtest –

Nein. Du mußt sie aufheben.

Sie gingen heimwärts.

O, gib dir keine Mühe, dich fromm zu stellen und die Mundwinkel hängen zu lassen, Jörgen. Nein, du brauchst dir keine Mühe zu geben, sagte Oliver in neu aufflammender Heftigkeit. Mir ist es gleich, was du sagst, du hast das deine und ich das meine zu tragen. Sieh nun zum Beispiel, daß du nicht aufs Wasser hinaus kannst, kommt es am Ende daher, weil du nun so vermöglich bist, daß du es gar nicht mehr ertragen könntest. Ich sage dir, unser Herrgott rechnet genau – es ist fast, als stehle er dir etwas, jawohl.

Jörgen runzelte die Stirne und öffnete den Mund, wie wenn er antworten wollte, was ihm in diesem Augenblick Ähnlichkeit mit einem heftigen Menschen verlieh. Aber es blieb bei den Vorbereitungen, und er sagte kein Wort.

Oliver beruhigte sich und schlug wieder um: Aber alles steht in seiner Hand, das weiß ich wohl. Und wenn wir versuchen nach seinen Vorschriften zu wandeln, dann haben wir nichts dabei zu tun. Du willst also meine Pfeife nicht?

Du sollst sie nicht weggeben, sagte Jörgen ausweichend. Aber als er des Krüppels flehende Miene sah, änderte er seinen Entschluß und sagte:

Warum soll ich die teure Pfeife haben?

Du sollst sie haben! erklärte Oliver. Ich gönn' sie dir, ich habe die ganze Zeit an dich gedacht. In vieler Beziehung kannst du mir auch wieder einen Gefallen tun, ich weiß, daß du es tun wirst.

Das Haus Oliver hatte sich in der letzten Zeit auch mehrere Male an gefällige Nachbarn um Hilfe gewandt. Oliver selbst hatte sich zurückgehalten, aber die Mutter ging am Abend, wenn die Läden geschlossen waren, hin und entlehnte eine Tasse Kaffeebohnen oder einen tiefen Teller Roggenmehl »bis morgen«. Was konnte die alte Frau alles entlehnen; an einem Abend mußte sie bei Fischer Martin einen kleinen Dorsch entlehnen.

Sie hatte öfters Zwistigkeiten mit dem Sohne: Aber was in aller Welt hast du denn mit dem Geld angefangen, das du vor dem schlechten Wetter verdient hast? fragte sie.

Das solltest du nur wissen! entgegnete er.

Aber die Mutter war zäh, sie gab nicht nach, bis sie ihn eines Tages ordentlich gereizt hatte, da kam er und warf das Geld auf den Tisch; das einzige, was er sich von dem ganzen gerettet hatte, war ein blauer Schlips. Es war übrigens keine große Summe, o nein, es waren mühsam zusammengebrachte Sparpfennige von Fisch zu Fisch; aber viel oder wenig, es war Geld zu einem Anzug und einem Strohhut, nun mußte es springen. Natürlich hätte er es nicht ausgeliefert, wenn nicht Gott selbst mit seinem Unwetter dazwischen gekommen wäre und ihn mitten in seinem guten Vorsatz aufgehalten hätte; mochte das Ganze nun draufgehen! Er richtete sich keck auf und sagte zu seiner Mutter: Laß mich jetzt eine Weile in Frieden!

Die Mutter war nicht überwältigt: war das alles? Ja, ich werde dich sicherlich in Frieden lassen, sagte sie. Aber wenn ich unsere Schulden bezahlen soll, so weißt du, daß das nicht weit reicht.

Da äußerte er endlich etwas, was schon lange in seinem Kopfe geglimmt hatte. Für mich selbst hab ich keine Angst, das mußt du nicht glauben. Kannst du dich durchbringen, dann kann ich's auch.

Was meinst du damit? fragte sie.

Was ich meine? Ich meine genau das, daß ich ein maroder Mensch bin, und daß ich nicht meine volle Kraft habe. Hast du denn nicht Augen im Kopf?

Soll ich betteln gehen? fragte sie empört.

Nicht gerade betteln – nein. Aber könntest du nicht ein klein wenig Hilfe von der Unterstützungskasse bekommen?

Ach so! erwiderte sie und preßte die Lippen zusammen.

Sollte das so undenkbar sein? Wo ich doch so marode bin.

Marode? schrie sie rasend. Jetzt will ich dir etwas sagen. Du willst nichts tun, du willst nicht das allergeringste leisten. Warum hast du nicht aufgepaßt und bist gestern hinausgerudert, wo ruhige See war? Heut ist wieder hoher Seegang.

O, es war auch gestern hoher Seegang.

So. Aber kannst du mir sagen, warum Jörgen draußen war?

War Jörgen draußen? O, für Jörgen ist das nicht schwer, er hat ein neues, gutes Boot, seufzte Oliver.

Schweigen. Aber die Mutter war jetzt sehr aufgeregt und verbarg das nicht.

Du verkaufst die Türen vom Haus weg, sagte sie; es ist schon viel, daß du nicht auch die Wände verkaufst! Ich wäre froh, wenn ich unter der Erde läge!

Ja und ich erst!

Du! höhnte sie. Nein, du liegst im Hause. Ich bin ganz gewiß, wenn ich von der Kaffe etwas bekäme, dann müßte ich dich auch noch ernähren.

Da brach Oliver über die unvernünftige Rede seiner Mutter in ein lautes Gelächter aus. Nein, jetzt schweig nur! Hahaha, beim wahrhaftigen Gott. Das übrige kannst du jetzt zu dir selber sagen!

Nach einiger Zeit waren wieder keine Fische zu den Kartoffeln und kein Holz für den Herd da. Man hätte ab und zu einen Tag hinausrudern können, aber Oliver verpaßte die Gelegenheit, und am nächsten Tag war die Bucht schon wieder voller Gischt, ja, der Sturm nahm eher zu, als daß er nachließ. Was sollte nun das bedeuten? Der Himmel war ohne Gnade, noch nie hatte das Unwetter so über die Stadt hingedröhnt.

Oliver warf sich in der Stube von einem Stuhl auf den andern, döste dann stundenlang vor sich hin, schlief am Tisch, das Gesicht auf den Armen. Ab und zu holte er mit seinem Stelzfuß nach der Katze aus. Eines Tages kletterte er aufs Dach hinauf. Oliver war ein alter Matrose, er wollte wieder in die Höhe hinauf, er machte sich am Blitzableiter zu schaffen, legte ein paar Ziegel zurecht und stieg wieder hinunter.

Er war jetzt in tiefer Not, regelmäßige Mahlzeiten gab es nicht mehr. Eines Morgens ging die Mutter fort und kam den ganzen Tag nicht wieder; als sie auch am nächsten nicht wieder kam, ging Oliver zu einem kundigen Mann und sagte: Du mußt mir einen Gefallen tun und nach meinem Blitzableiter sehen, ich fürchte, ich habe ihn verdorben, als ich die Dachziegel richtig legte. – Meinst du, es eile? fragte der Mann. – Ja, du müßtest schon so gut sein und gleich mitkommen, versetzte Oliver. Es gewittert ja in einem fort, und ich hab Angst, der Blitz könnte einschlagen.

Der Mann ging mit ihm, wie alle andern mußte auch er sich dem Krüppel hilfreich erweisen.

Oliver blieb unten, und der Mann stieg aufs Dach hinauf. Er redete zu ihm herunter: Ja, wenn hier ein Unglück geschehen wäre, dann hättest du dich bei dir selbst bedanken können!

Wieso?

Himmel, die Leitung ist ja entzwei! Sie geht bis zum Dach, dann hört sie auf. Sie leitet ja den Blitz geradeswegs in den Herd drunten hinein.

Ich überlege mir eben, wie gut es ist, daß meine Mutter in dieser Zeit gerade auswärts zu Besuch ist. Das Unglück hätte dann nur mich allein getroffen.

Der Mann setzt eine neue Leitung ein, und als er fertig ist, fragt Oliver, was es koste. – Nichts. – Doch, ich will dafür bezahlen. – Ja ja, aber es hat Zeit. Wenn du einmal einen kleinen Dorsch übrig hast, dann kannst du ihn mir geben. – O, dann sollst du ein ganzes Bündel haben, sagt Oliver.

O, Oliver redete laut und flott, jemand, der gerade vorüberging, sollte es hören; Petra war's, die eben vorüberging. Man sollte hören, daß er Bezahlung angeboten hatte und daß er gut bezahlen wollte. Ja, wahrhaftig, Petra ging vorüber, sie ging wohl hinüber nach des Mattis neuem Haus, seinem eigenen neuen Haus. Oliver stand da. Er hätte jedenfalls einen neuen Strohhut haben sollen, um ordentlich grüßen zu können. Nichts hatte er.

Die Mutter kam nicht zurück. Was sie wohl mit sich angefangen hatte, ob sie wirklich herumwanderte und bettelte? Oliver nahm seine Wanderungen in die Kramläden wieder auf; er hatte sich nun eine Zeitlang ferngehalten, es fand sich auch wieder eine Kiste, auf der er ausruhen konnte, und ab und zu auch ein Schiffszwieback zum Knabbern. Seht, er aß ja diese steinharten Zwiebacke nur zum Vergnügen, rein des Spaßes wegen, niemand verwunderte sich wohl darüber, der alte Matrose hatte noch Geschmack an der Schiffskost, und er hatte prächtige Zähne.

Als er die Runde in den Kramläden gemacht hatte, erweiterte er seinen Bereich, er wanderte auf den Hügel und bekam beim Fischer Martin eine Schale Kaffee mit Weißbrot dazu. Sie unterhielten sich übers Wetter, und Oliver erzählte den Frauenzimmern von seinem Aufenthalt im Spital und von der Krankenpflegerin: Da sei er ein rechter Dummkopf gewesen, daß er sie nicht genommen habe, sagt er. Aber die Sache sei die, man wolle doch am liebsten in der Religion leben und sterben, die man gelernt habe. Und damals habe er überdies ein Mädchen daheim gehabt, der er vertraut habe. – Ist es vorbei zwischen dir und Petra? fragten die Frauenzimmer. – Ach, redet mir nicht davon! erwiderte er.

Er humpelte hinüber nach einem Neubau, der eben eingerichtet wurde, setzte sich da nieder und schwatzte auch hier eine Weile. Ja, das kostet Geld, das Bauen, das sei wahr und gewiß. Das Gebäude allein, das könne noch angehen, aber Fenster und Türen, da gehe einem der Atem aus, so blutig teuer seien sie. Wenn ihr zwei Türen kaufen wollt, dann hab ich zwei besonders schöne.

Vom Hügel nahm Oliver seinen Weg zum Schreiner Mattis. Dieser war wie gewöhnlich bei der Arbeit, legte aber den Hobel weg, um für den Krüppel einen Sitz abzufegen. Sie redeten über den lang andauernden Sturm zu Wasser und zu Land, ein armer Kerl könne sich wahrhaftig seinen Unterhalt nicht mehr verschaffen. Aber es gehe dem einen genau wie dem andern, der Fischer Jörgen und der Martin vom Hügel könnten auch nicht hinaus.

Wenn ich meine Pfeife noch hätte, würde ich sie dir schenken, sagte Oliver.

Nein, das hättest du nicht tun dürfen.

Doch sofort! Aber Jörgen hat sie bekommen.

Ach so, Jörgen hat sie bekommen?

Ja, eine nagelneue Pfeife. Ich hab sie irgendwo im Ausland gekauft; doch was ich sagen wollte: Wann willst du dich verändern?

Ja, weißt du, antwortete Mattis wie etwas verschämt, schon in allernächster Zeit.

So, sagte Oliver und beruhigte sich damit. Oliver konnte sanftmütig und ungeheuer verständig sein, er fand sich in das Unvermeidliche. Der Schreiner empfand Mitleid mit ihm, er war doch eigentlich ein Napoleon. Da saß nun Oliver, schaute zu Boden und hatte wohl einen wehmütigen Augenblick, er hatte die Augen fast geschlossen. Aber plötzlich lief ein Kräuseln über die ruhige Oberfläche hin, er sah noch immer zu Boden, aber er deutete mit der Krücke hinaus und sagte:

Die Türen dort sollte ich wieder haben.

Mattis riß die Augen auf und fragte: Was?

Die Türen dort sollte ich wieder haben.

Die Türen? Ach so!

Oliver schlug langsam die Augen auf und sagte: Du kannst sie mir wiedergeben.

Sie sahen einander starr an, dann sagte Mattis:

Ich will sehen, daß ich Zeit bekomme, dir zwei Türen zu machen.

Nein, erwiderte Oliver, entweder diese Türen oder keine.

War das eine Drohung? Oliver richtete sich auf und stand ganz steif da, ja, er gebrauchte die Krücke nur als Spazierstock, eine ganz überlegene Art war plötzlich über ihn gekommen. Seht, so etwas konnte die Auffassung des Schreiners über den Krüppel wohl etwas verwirren, Mattis sah eigentlich aus, als verstehe er die Sache gar nicht, es war, als sei seine große Nase länger geworden. Offenbar fühlte er sich unsicher.

Nun, die Türen kannst du haben, sagte er.

Du tust mir einen großen Gefallen, sagte Oliver jetzt. Er ließ Mattis in tiefe Gedanken versunken zurück und wanderte heimwärts.

Dann war er wieder wie zuvor. Er saß am Tisch, döste und schlief, versetzte der Katze ab und zu einen Fußtritt und ließ seine Blicke über die menschenleere Straße hinlaufen. Die Tage wurden ihm sehr lang. Die Türen waren eben eingetroffen und standen im Flur, sie waren noch nicht wieder eingehängt, aber sie standen ganz fertig da. Mattis hatte sie selbst auf dem Kopfe hergetragen, die eine Tür nach der andern. Der Schreiner war etwas wortkarg gewesen, und das war ja nicht so merkwürdig. Oliver sagte: Du hast doch ungeheure Kräfte, Mattis.

Kurz nachher kam auch die Mutter wieder heim. Sie trat ein, grüßte nicht und gab Oliver nicht die Hand, aber sie sah nicht unfreundlich aus. Hast du die Türen wieder bekommen? fragte sie, und sie fand es nun wohl schon etwas behaglicher daheim.

Wo bist du gewesen? fragte der Sohn.

O, ich bin ein wenig umhergewandert.

Ja, siehst du, sagte Oliver, wenn du auch fort bist, so schaff ich doch das eine und andere ins Haus. Jetzt hab ich die Türen wieder bekommen.

Meinetwegen kannst du tun, was du willst, du kannst Türen im Haus haben oder nicht, versetzte die Mutter und kniff die Lippen zusammen.

Ach so, du kümmerst dich nicht darum, wie es hier bei uns ist! Dann kann der Satan Türen für dich herbeischaffen!

Oliver richtete sich auf, ergriff seine Krücke und hinkte hinaus. O, er wollte die Gelegenheit benützen und sich ordentlich in Zorn versetzen! Er nahm den Weg wieder nach dem Hügel, nach dem Neubau. Während er fort war, hielt die Mutter eine Mahlzeit. Die Alte hatte, als sie heimkam, verschiedene Eßwaren unter ihrem Tuch verborgen: Waffeln, Blutpudding, geräucherte Heringe, Eier, Speck und Brot. Als sie fertig war, packte sie alles wieder gut ein und verbarg es zu unterst in ihrem Bett.

Als Oliver zurückkam, brachte er einen Mann mit. Der Mann lud sich eine Tür auf den Kopf und trug sie fort.

Mutter und Sohn sprachen nicht miteinander. Der Mann kam wieder, holte auch die andere Tür und trug sie fort, er schlug den Weg nach dem Neubau ein. Jetzt dachte Oliver vielleicht doch, er sei etwas weit gegangen, und er wollte die Mutter besänftigen. Wenn du eine Tür kaufen willst, dann kostet es ein Blutgeld, wenn du sie aber wieder verkaufen willst, dann bekommst du nicht so viel, daß du eine ordentliche Mahlzeit damit bezahlen kannst.

Aber du hast doch wohl die Türen nicht verkauft, sagte die Mutter.

Was soll ich mit ihnen? rief Oliver. Und zum Kuckuck, du hast dir ja auch gar nichts aus ihnen gemacht!

Ach, Gott bewahre mich vor dir! rief die Mutter.

Zuerst hatte er wohl im Sinn, aufzufahren und ihr die ganze Schuld aufzuladen, er fuhr unnötig hastig in der Stube herum und stampfte mit dem Stelzfuß. Doch er mußte seinen Verstand gebrauchen, dazu hatte er ihn.

Hier, das ist für die Türen! sagte er und legte das Geld auf den Tisch. Du kannst alles miteinander haben.

Wieder schien die Mutter durchaus nicht überwältigt zu sein; sie schielte nach dem Geld hin und warf den Kopf zurück.

Oliver fragte gekränkt: Was – du meinst vielleicht, ich hätte das übrige vertrunken? Ich hab ein klein wenig für die weite Fahrt zurückbehalten.

Welche weite Fahrt?

Und wenn ich nun auf Langfahrt gehe, muß ich auch was haben, um mir Mundvorrat zu kaufen.

Ja, jetzt ist wohl das richtige Wetter zu einer Langfahrt! sagte die Mutter ungläubig.

Der Sturm läßt nach, der Wind hat sich gedreht. Übrigens, murmelte er, und er war immer noch der, der seinen Verstand gebrauchen mußte, denn dazu hatte er ihn, übrigens will ich nicht mit dir streiten.

Ach so, versetzte die Mutter beleidigt.

Nein, denn es ist doch falsch, wie ich's auch mache.

Der Kuckuck sollte den Oliver holen, wenn ihm in der Sache mit den Türen nicht unrecht getan worden war!


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