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10

Es war gut, daß Oliver den Jungen das Boot nicht wegnahm. Hätte es einen Sinn gehabt, Leute an ihrem Erwerb zu verhindern?

Die vier Bratfische, deretwegen es ein ehrenrühriges Gerede gegeben hatte, hatten die Jungen sehr richtig in Martins Fischkasten »gefunden«, und nun gingen sie selbst hin und gestanden es ihm. Aber sie hätten sie nur entlehnt, um ein Dutzend Bratfische voll zu machen, die dem Doktorhause versprochen waren. Und bitte, hier sind die Fische wieder, wir bringen sie ganz von selbst, und wir werden dir ein andermal vier Stück dafür leihen, Martin.

Der arme Martin wurde wahrhaftig so ehrlichen Leuten gegenüber etwas flau über seine losen Reden, er murmelte, es hätte ja nicht so sehr geeilt mit dem Zurückgeben.

Doch, sagten die Jungen, hier sind die Fische, und wir danken schön für die Hilfe.

Ja, Oliver hatte mit den Jungen geredet, wie er versprochen, das heißt, er hatte ihnen eine blanke Krone gegeben, damit sie die Sache wieder gut machen würden. O, Oliver war nicht so dumm, er war auf seine Art gut gegen Kinder, und die Kinder liebten ihn dafür. Abel kaufte sogar manchmal Näschereien für den Vater.

Und wovon kaufte er denn? O, Abel verdiente Geld, er fischte.

Diese kleinen Jungen waren ordentlich tüchtig, sie waren ganz hingenommen von ihrem Gewerbe. Nicht Schulaufgaben und Lehrer wurden zwischen ihnen verhandelt, sondern ihr Geldbestand. Sie hatten ihre Rechnungen im Kopf: ein wenig hatten sie wohl einem Kameraden, der in einer Klemme war, vorgestreckt, ein wenig ging manchmal beim Spielen verloren, aber der Rest war da. Keiner von ihnen hatte wenig, sie hatten Silber und Scheine, aber sie hatten auch große Ausgaben. Edevart mußte beständig Rauchtabak in Silberpapier haben, sonst würde er seekrank, behauptet er, und Abel war leider auch kein besserer Kerl, er hatte Auslagen für Sirupkuchen, für ein Pistol mit Zündplätzchen, für Rotstifte, mit denen er auf die Hauswände schrieb. Das waren keine Kleinigkeiten; aber die Jungen waren fleißig und klebten förmlich an ihrem Boot.

Später, als die Schule sie im Ernst einfing, waren sie nicht mehr so sehr erpicht auf ihre Arbeit, es war eine Schande, wieviel Zeit und Kräfte sie auf ihre Aufgaben verwenden mußten. Sie hielten sich dafür schadlos, daß sie in der Stadt auf Erlebnisse ausgingen, und auf diese Weise gerieten sie auch in allerlei hinein. Ganz besonders hatten sie es auf zornige Gartenbesitzer abgesehen. Um freundliche Gartenbesitzer, wie den Postmeister und den Grütze-Olsen, kümmerten sie sich nicht, aber der Apotheker war ausgezeichnet. Im vorigen Jahre hatte er mit Salz nach ihnen geschossen, als sie eine Maus bis in seinen Garten hinein verfolgten, in diesem Jahr rächten sie sich dafür, sie scheuchten herzlos seine Hühner, rissen seine Flaggenschnur herunter und hielten seinen Garten vollständig frei von Obst.

Bei diesen Streichen hatten sie nun einen dritten Verschworenen bekommen, und dieser war überdies nur ein Mädchen, Klein-Lydia, eine rechte Range, aber eifrig und geschickt, besonders ein Fuchs, wenn es galt, auf dem Wachtposten zu sein und herannahende Gefahr zu melden.

Edevart war der größte von den dreien und auch am tüchtigsten im Pläneschmieden, aber Abel war leicht und ausgehungert und deshalb unentbehrlich beim Klettern und wenn es galt sich durch enge Löcher hindurchzuzwängen. Es kostete unendliche Mühe, herrliche schwarze Kirschen, die auf einem hohen Baum in des Apothekers Garten wuchsen, herunterzuholen, und wenn es gelingen sollte, mußte Abel auf das Dach des Nebengebäudes hinaufklettern und von da aus den Versuch machen. Es war ein später, aber mondheller Abend, alle drei waren auf ihrem Posten, Klein-Lydia steht mit spähenden Augen da, Edevart stützt die leeren Kisten, auf die Abel steigen soll, Abel selbst steigt hinauf. Es kostet Zeit, das steile Ziegeldach zu ersteigen, aber Abel klettert mit den Nägeln; als er endlich rittlings auf dem First sitzt, muß er noch ein gutes Stück nach der Seite rücken, um zu den Kirschen zu gelangen – und als er dicht vor dem Ziel ist, räuspert sich der Fuchs leise. Klein-Lydia hat den Lichtschein gesehen, der durch eine sich öffnende Tür der Apotheke fällt. Jawohl, so war's. Aber jetzt ist das Eichhörnchen am Ziel, und es wagt einen Augenblick zu zögern; der Fuchs räuspert sich laut – der Apotheker steht plötzlich drunten am Hinterhaus. Aha! schreit er. Komm herunter, du Satan! Nun sollst du sehen!

Aber der Apotheker war der, der sehen mußte.

Zuerst regnete es Dachziegel auf ihn herunter, das Eichhörnchen verläßt das Dach auf der andern Seite, verfolgt von einem Steingeröll, verfolgt von der Erdkugel, die ihm nachrollt. Er gelangt nicht auf die leeren Kisten, sondern fällt auf ein Staket, das ihn aufspießt, von da springt er schließlich auf die Straße hinaus, als ein geretteter, aber blutender Mann. Zu allem andern kam auch noch ein Schuß Salz durchs Staket, das drang mit Glanz durch Abels dünne Hose. Aber am schlimmsten war doch das Spottgelächter des Apothekers.

Und wie lief es ab, als die Jungen ihr ausgeliehenes Geld zurückfordern wollten?

Da hatten sie zwei Kameraden, die in Not gewesen waren, geholfen und ihnen einen anständigen Kassenkredit eröffnet, doch die Zeit verging und verging, und die Schuldner machten keine Miene, ihre Schulden zu bezahlen. Da wurden sie auf Tag und Stunde vorgeladen, eine große Versammlung fand sich ein, die Sünder ebenfalls, da sie aber sehr eingebildete Jungen waren, lächelten sie ihre Gläubiger, um sie zu ärgern, nur an. Aber Edevart und Abel hatten sich nun einmal vorgenommen, die Sache ins reine zu bringen, im Notfall mit Gewalt.

Edevart kommt zuerst daran.

Er geht direkt auf Reinert zu. Dieser ist der Sohn des Küsters und hat moderne Kniehosen an, und die Uhrkette seines Vaters baumelt auf seiner Weste – auf ihn geht Edevart zu, ganz ruhig, wie wenn gar nichts los wäre, ja es ist, als wolle er ihm zum Gruß die Hand reichen. Aber da verbarg Edevart bloß eine teuflische Lift; plötzlich stößt er mit Arm und Faust zu und fährt kopfüber auf seinen Gegner los.

Die Versammelten wagen kaum zu atmen und sehen dem Auftritt mit gespanntester Aufmerksamkeit zu; die beiden wälzen sich am Boden, sie kommen wieder in die Höhe und tanzen auf dem ganzen Platze herum, sie sprühen Funken gegeneinander. Dann, in einem unseligen Augenblick, entdeckt Reinert, daß er die Uhrkette verloren hat; alle miteinander suchen sie, und Klein-Lydia, der Fuchs, findet sie im Kies.

Gib her! schreit Reinert. Aber Klein-Lydia hat besseren Verstand, sie läuft damit zu ihrem Bruder hin, und Evevart steckt die Kette in seine Tasche. Aha, sagt die Versammlung.

Hätte nun Reinert besser Zeit gehabt, dann hätte er sich vielleicht die Kette zurückerobert, aber er muß augenblicklich zum Gürtler mit ihr, um nicht mit einer zersprungenen Kette nach Hause zu kommen. Ich bezahle! ruft er Edevart zu; ich wollte dich nur ein wenig reizen. Und die Versammlung bekundet mit lauter Stimme ihren Beifall zu dieser Entscheidung.

Jetzt waren das Eichhörnchen und ein lustiger, fester Kerl, der den Spitznamen der Zeichenstift hatte, an der Reihe. Aber als Reinert, des Zeichenstifts großes Vorbild, den Walplatz verlassen mußte, war niemand mehr da, um diesem den Mut zu stählen, er sah sich verraten und verlassen, und da murmelte er: Ich bezahle auch.

Auf diese Weise gab es allerlei Erlebnisse, nicht alle so einfach und ehrlich, aber alle lehrreich und je nachdem entwickelnd.

Nun kam eine Zeit, wo Abel etwas in die Höhe schoß und ordentlich heißhungrig wurde, gleichzeitig verlor er alle Arbeitslust, er war in recht frühzeitigen Flegeljahren. Das war keine gute Zeit für Abel. Als er sein bares Geld aufgebraucht hatte, konnte er sich beim Bäcker privatim keine Eßwaren mehr kaufen, da verdingte er sich beim Stadtingenieur für die Abende als Laufbursche und zum Holzspalten. In diesem Dienst bekam er großen Geschmack an verstohlenen Fahrten in den Straßen, er hängte sich nur mit ein paar Zoll seines Körpers an einen Wagen, um jeden Augenblick abspringen zu können, falls er entdeckt wurde. Er, der sich früher nie um Pferde und Fuhrwerke gekümmert hatte, hörte jetzt das Rasseln eines Wagens schon von weitem und paßte ihm eifrig auf, denn es war gar keine so leichte Kunst, im richtigen Moment auf einen Wagen zu springen.

Bei Stadtingenieurs bekam er außer etwas Lohn jeden Abend noch herrliche große Butterbrote, die ihm ordentlich aufhalfen und seine Lebensgeister stärkten. In dieser Stellung blieb er einen Monat um den andern den ganzen Winter hindurch, und in dieser Zeit traf er zwar mit Edevart noch in der Schule zusammen, erlebte aber keine weiteren Abenteuer mit ihm. Dagegen erlebte er ein Abenteuer mit Klein-Lydia: als er zwölf Jahre alt war, freite er um sie.

Er hatte ja Klein-Lydia die ganze Zeit über als ein gutes Mädchen gekannt und sich recht an sie angeschlossen; jetzt war sie überdies seit kurzem außerordentlich hübsch geworden, und er glaubte zu bemerken, daß der Küsterssohn Reinert in seinen Kniehosen um sie herumschwänzelte. Da nahm sich Abel vor, rasch zu handeln.

Es ist Sonntag, sie sind drüben beim Fischer Jörgen, die Hühner laufen auf dem kleinen Hofe um sie herum, Abel und Klein-Lydia plaudern miteinander. Sie trägt ein schönes gelbes Kleid, weil es Sonntag ist, er aber ist an dem Tag angezogen wie am vorhergehenden und wie an allen andern Tagen auch, aber an so etwas denkt Abel nicht. Sie erklärt ihm gerade, sie könne nicht begreifen, daß sich Grütze-Olsens Ragna noch etwas aus Puppen mache: Wenn ich doch meine Puppe gar nicht mehr ansehe.

Hier dachte nun wohl Abel, wenn sie so erwachsen geworden sei, dann sei es auch hohe Zeit für ihn zum Handeln, und so legte er ihr seine Herzensfrage vor. Obgleich er nun ganz offen redete und alles Nötige sagte, verstand ihn Klein-Lydia gar nicht, sondern mußte ihn noch einmal fragen. Das war Abels schlimmster Augenblick. Nicht weil er an ihrer Antwort zweifelte, sie würde gewiß gleich ja sagen, nach dem, was sie alles miteinander erlebt hatten. Aber als sie sein Anliegen noch einmal gehört hatte, runzelte sie die Stirn und sagte nein. Glatt nein!

Er sah sie forschend an, ob sie auch nüchtern sei.

Klein-Lydia dachte nach und überlegte wohl hin und her: der Freier tat ihr leid, ja wahrhaftig! Sie waren gute Freunde gewesen und hatten sich gut gekannt, aber sich mit ihm verloben – nein! Allerdings war er noch Junggeselle, in dieser Beziehung stand nichts im Wege, aber sich wirklich mit ihm verloben – nein!

O die Frauen! Leider stand es so, daß er vorläufig, um eine Familie zu gründen, nichts anderes hatte, als seinen Laufdienst beim Stadtingenieur; aber er konnte ja steigen, was hinderte ihn daran, zu steigen? Und überdies sollte sie nicht übersehen, daß er mit ganz reellen Absichten vor ihr stand, Gott mochte wissen, in was sie mit dem Reinert in Kniehosen hineingeraten konnte! Aber die Frauen! Nein! sagte sie also und schüttelte den Kopf.

Ja ja, erwiderte er nur.

Da stand er wie begossen, und er war nicht einmal gefaßt genug, fortzugehen, am liebsten wäre er in den Boden versunken. Was hätte er tun sollen? Die Mütze abnehmen und sich verbeugen? – mein Fräulein! Nun mußte er aber doch etwas sagen, ein paar Abschiedsworte, um so mehr, als sie wohl nicht in Grund und Boden verdorben war. Ja ja, leb wohl! sagte er. Und als er ihr noch für alles danken wollte, konnte er es nicht, er fühlte, daß sich sein Gesicht verzerrte; ach, und wie er Klein-Lydia bedauerte wegen all des Kummers und des Elends, dem sie mit Reinert sicher entgegenging!

Dieses Erlebnis versetzte seinem Lebensmut einen schweren Schlag. Jetzt halfen nicht einmal mehr die Butterbrote beim Stadtingenieur, er wurde mager, war verfroren und zu allem unlustig, er versteckte sich in dunkle Winkel und verzehrte sich in Mutlosigkeit und Schwermut. Das waren die schwersten Wintermonate, die er je erlebt hatte. Schule und Hausaufgaben – ja, mit Maßen, gerade noch genügend! Fischerei – keine Spur! Niemand, dem er sich hätte anvertrauen können, allein in der Wüste zwischen Trümmern und Leid. Und Klein-Lydia, machte sie keine Annäherungen? Hatte sie ihn so bald vergessen? Es sah so aus, sie schien ihm auszuweichen. Nichts wäre leichter für sie gewesen, als merken zu lassen, daß auch sie tiefbetrübt sei; aber nein, nie kam sie eiligst dahergelaufen und warf sich reuevoll vor ihm auf die Knie.

Er bat seinen Vater, ihn doch gleich konfirmieren und dann auf die Kriegsschule gehen zu lassen. Der Vater spottete auch nicht über sein Kind, sondern beriet sich mit ihm darüber; aber es sei noch etwas zu früh, sagte er, gar nicht so sehr viel zu früh, nur ein wenig, es müßten noch einige Monate hingehen, und einige Monate, die vergingen wie im Flug. Abel werde schon sehen! Jetzt sei es gleich Frühling, und dann dürfe er mit Vater an Ostern oder an Pfingsten eine weite Fahrt machen.

Aber Abel machte sich nichts mehr aus einer weiten Fahrt, er saß am liebsten in einem Winkel am Land und brütete vor sich hin. Was für eine Verwendung hatte er nun für Meer und Boot und Eier von den Brutplätzen und für Treibholz und Abenteuer? Er war weit, weit weg von all dem, eingefangen von einer schweren Windstille, der kleine Kreuzer.

Er kämpfte sich durch den Winter hindurch. Daheim hielt er sich gerade nur die Nacht auf, am Tage hatte er Schule und ab und zu eine totlangweilige Aufgabe zu machen, am Abend versah er seinen Dienst beim Stadtingenieur. Der kleine Streiter, gut, daß er es durchmachte! Frank, sein Bruder, ging ja seinen geraden Weg ohne jegliche Schwenkung – welch ein Unterschied zwischen den Brüdern! Er war fortgesetzt ein tüchtiger Schüler und behauptete seinen Freiplatz, er war das Licht, alle sahen seinen Glanz, und alle begriffen, daß dies etwas Außergewöhnliches war. Welch ein Unterschied zwischen den Brüdern, es war, als seien sie gar nicht von demselben Stamm. Jawohl, Frank hatte dieselben Eltern, aber wahrlich, seine Eltern schienen nicht mit ihm verwandt zu sein. Auch daheim in der Stube war er eigen, sehr wählerisch, sehr ernst und fleißig, gegen Abel tat er unerträglich erwachsen: Das solltest du in diesem Alter wissen, konnte er im Ton eines Schulmeisters sagen. Er hatte die Gewohnheit angenommen, Abel unnötig deutlich gewisse Höflichkeiten einzuprägen: Wenn der Lehrer in die Klasse hereinkommt, mußt du aufstehen und grüßen, und wenn du das getan hast, darfst du nicht stehen bleiben, sondern mußt dich wieder setzen. – Affe! sagte Abel.

Als Frank sein Examen in der Mittelschule gemacht hatte, handelte es sich darum, was er tun solle. Was er nun tun solle? Dasselbe wie vorher, was sonst! Konnte man hingehen und ein scheinendes Licht auslöschen? Das würde nicht mit dem guten Willen des Betreffenden geschehen. Aber während Franks Schicksal entschieden wurde, rieten ihm der Schulvorsteher und der Doktor mit andern jungen Leuten, die auch zuviel studiert hatten, einen stärkenden Ausflug ins Gebirge zu machen. Ehe er abzog, wog er seine Reisetasche auf einer Wage, nahm da etwas weg, legte dort etwas dazu, um das richtige Gewicht zu bekommen; er wog auch seine Schuhe in der Hand und fand sie unerlaubt schwer.

Wäre nun Abel auch so fleißig gewesen und hätte sich halbtot studiert, so hätte auch er bei diesem Gebirgsausflug nicht gefehlt, es hätte ihm außerordentlich gut getan und ihn tüchtig gekräftigt. Aber Abel war nicht von der Art, nein, das war er nicht, und zurzeit war er überdies in Leid und Untätigkeit versunken.

Eines Tages sagte Edevart zu ihm, nun müßten sie wieder hinausrudern, es seien große Merlanschwärme draußen. Abel zeigte sich niedergedrückt und zu nichts aufgelegt, der Kamerad brauchte eine ganze Stunde, um ihn zu überreden. Und trotzdem ging Abel nicht ohne weiteres mit. Die Sache war nämlich die: Abel fiel es über die Maßen schwer, eine Verbindung abzubrechen und von einem Ort Abschied zu nehmen; und wenn er jetzt wieder mit Fischen anfangen sollte, dann mußte er seine Stelle beim Stadtingenieur aufgeben. Er hatte da eine elende Bezahlung bekommen, der Stadtingenieur hatte selbst wenig Gehalt und lebte in engen Verhältnissen, aber es hatte in diesem Haus dicke Butterbrote gegeben, und alle waren freundlich gegen das Eichhörnchen gewesen; konnte Abel da einfach hingehen und Lebewohl sagen? Er wußte, er konnte es nicht tun, ohne daß sich ihm das Herz im Leibe umdrehte, und so schob er es von einem Tag zum andern hinaus.

Da wurde Edevart böse und sagte, er werde schon einen andern Kameraden finden.

Ach so! Aber wo willst du ein Boot hernehmen? fragte Abel.

Ja, da wurde Edevart wieder zahm; denn es handelte sich ja um Abels Boot – Olivers Boot.

Und zum erstenmal seit langer Zeit konnte nun Abel ein wenig triumphieren, konnte er nun auf der Straße erwachsen ausspucken und sich mehr als ein Nichts fühlen. Das konnte Edevart ganz gut tun, diesem Bruder von Klein-Lydia.

Jedoch hing Abel ja auch an seinem alten Kameraden, und als er sich die Sache ordentlich überlegt hatte, machte er Ernst und verabschiedete sich bei Stadtingenieurs. Es wäre auch einigermaßen gut abgelaufen, wenn ihm nicht die Hausfrau gar so mütterlich die Hand gedrückt und gesagt hätte: Armer Abel, du hast so eine kleine magere Hand! Ganz geblendet von Tränen kam er auf die Straße hinaus.

Hoho! rief ihm da einer zu, hast du da drinnen Haue bekommen? Es war der Zeichenstift.

Dann saß er also wieder auf der Ruderbank und kam allmählich wieder zu sich. Seht, er war die reine Landratte und ein ganzer Pferdeknecht geworden, jetzt legte er dem Boote Zaum an und fuhr dieses, und wenn ein ordentlicher Seegang war, saß er wieder mit zwei Zoll Körper auf einer scharfen Kante und balancierte. O ja, das waren wohlbekannte Dinge, die Kameraden hatten wieder das Leben vor sich und verdienten wieder Bargeld. Der Kaufmann Davidsen war ein neuer, netter Kaufmann, mit dem ließ sich gut handeln, er verkaufte ihnen herrliche Fischleinen und nahm dafür Fische als Bezahlung. Kein Fischer war jetzt besser ausgerüstet, als die beiden Jungen. Nachdem eine Woche vergangen war, konnte Abel einen Wagen sehen, ohne von ihm in Versuchung geführt zu werden.

Aber lange noch quälte ihn die Erinnerung an Klein-Lydia; er machte Umwege, um nicht mit ihr zusammenzutreffen, und erwähnte sie niemals. Nein, aber er brachte Edevart dazu, von ihr zu sprechen, ihren Namen auszusprechen, wenn auch nicht mehr. Abel fragt:

Ist das nicht Alice, die dort drüben geht?

Wo?

Dort. In dem gelben Kleid.

Nein. Es ist Klein-Lydia.

In alten Tagen war er damit betraut worden, schwere Sachen für sie zu tragen, wenn sie Besorgungen gemacht hatte und er ihr begegnete, jetzt war das vorbei, er bot sich auch nicht mehr dazu an. Laß sie laufen! Und besonders jetzt, da die Tanzlehrerin wieder in die Stadt gekommen war und Klein-Lydia in die Tanzstunde ging, was Abel nicht tat, nun waren ihre Wege erst recht geschieden. Das Schicksal hatte eingegriffen.

Nach vierzehn Tagen dachte keiner von den beiden Jungen mehr an etwas anderes als ans Meer. Abels Kriegsschule konnte ganz gut sein, und sie besprachen auch diesen Plan miteinander; aber später hörten sie, daß eine Kriegsschule wieder gleichbedeutend mit Lehrern und Aufgaben war. O nein, wenn sie nur erst konfirmiert waren, dann verheuerten sie sich und gingen auf See. Das war das einzige für einen Mann.

Wem sollen wir heute Fische liefern? fragt Edevart.

Heute nehme ich das Bündel mit nach Hause, erwidert Abel.

Willst du keine verkaufen?

Nein. Mein Vater sagte, ich solle für heut abend etwas zum Kochen mitbringen, weil Frank heimgekommen ist.

Edevart sitzt eine Weile in Gedanken versunken da, dann sagt er: So, ist er heimgekommen? Was meinst du, wenn Frank Pfarrer wird, dann kann er uns verdammen.

Uns verdammen? Kann er das?

Ja, dann lernt er das Beschwören.

Frank wurde eine Art mystische und halb gefährliche Erscheinung für die beiden. Es hätte keinen Sinn, wenn man sich mit ihm überwürfe.


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