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3

Minute nahm Platz und zündete sich eine Zigarre an.

Trinken Sie nichts? fragte Nagel.

Nein, ich trinke nicht viel, ich werde so verwirrt davon und sehe in ganz kurzer Zeit alles doppelt, antwortete sein Gast.

Haben Sie jemals Champagner getrunken? Ja, das haben Sie natürlich?

Vor vielen Jahren auf der silbernen Hochzeit meiner Eltern habe ich Champagner getrunken.

Hat das gut geschmeckt?

Ja, ich erinnere mich, daß es gut geschmeckt hat.

Nagel klingelte und ließ Champagner kommen.

Während sie rauchen und an den Gläsern nippen, sagt Nagel plötzlich und sieht Minute fest dabei an:

Sagen Sie – ja, es ist nur eine Frage, und sie wird Ihnen vielleicht lächerlich vorkommen – könnten Sie sich für eine gewisse Summe als Vater eines Kindes eintragen lassen, dessen Vater Sie nicht sind? Es fällt mir nur so ein.

Minute sah ihn mit weit geöffneten Augen an und schwieg.

Für eine kleinere Summe, für fünfzig Kronen. Oder sagen wir bis zu zweihundert Kronen? fragt Nagel. Es kommt nicht so genau darauf an.

Minute schüttelt den Kopf und schweigt lange.

Nein, antwortet er dann.

Könnten Sie das wirklich nicht? Ich würde das Geld bar ausbezahlen.

Das nützt nichts. Nein, das kann ich nicht tun, diesen Dienst kann ich Ihnen nicht erweisen.

Warum denn nicht?

Bitten Sie mich nicht, lassen Sie mich. Ich bin auch ein Mensch.

Na, vielleicht war es zuviel verlangt. Warum sollten Sie auch jemand einen solchen Gefallen tun? Aber ich möchte Ihnen noch eine Frage stellen: Wären Sie bereit … könnten Sie für fünf Kronen, eine Zeitung oder eine Papiertüte auf den Rücken geheftet, durch die ganze Stadt gehn – hier am Hotel anfangen und den Weg über den Marktplatz und den Hafen nehmen –, könnten Sie das tun? Und für fünf Kronen?

Beschämt senkt Minute den Kopf und wiederholt mechanisch: Fünf Kronen. Sonst antwortet er nichts.

Na ja, oder zehn Kronen, wenn Sie wollen; sagen wir zehn Kronen. Für zehn würden Sie es also tun?

Minute streicht das Haar aus der Stirne.

Ich begreife nicht, warum alle Leute, die hierherkommen, von vornherein wissen, daß ich jedermanns Narr bin, sagt er.

Wie Sie sehen, händige ich Ihnen das Geld sofort aus, fährt Nagel fort; es hängt nur von Ihnen ab.

Minute heftet die Augen auf den Schein, starrt einen Augenblick verloren auf dieses Geld, schleckt sich den Mund danach ab und bricht aus:

Ja, ich …

Entschuldigen Sie! – Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche, sagt Nagel rasch, um den anderen am Sprechen zu verhindern. Wie ist Ihr Name? Ich weiß nicht – ich glaube nicht, daß Sie mir gesagt haben, wie Sie heißen.

Mein Name ist Grögaard.

Grögaard. Sind Sie mit dem Eidsvoldsmann Mitglied des ersten norwegischen Stortings, der am l7. Mai 1814 in Eidsvold dem Lande das Grundgesetz gab, auf dem die Verfassung beruht. verwandt?

Ja, das auch.

Wovon sprachen wir doch nur? Ja, Grögaard? Ja, Sie wollen natürlich nicht auf diese Weise die zehn Kronen verdienen?

Nein, flüstert Minute schwankend.

Hören Sie nun zu, sagt Nagel und spricht sehr langsam.

Ich will Ihnen mit Freuden diese zehn Kronen geben, weil Sie das, was ich Ihnen vorschlug, nicht tun wollten. Und außerdem will ich Ihnen gerne noch einmal zehn Kronen geben, wenn Sie mir das Vergnügen machen, das Geld anzunehmen. Springen Sie nicht auf; diese kleine Gefälligkeit macht mir nichts aus, ich habe jetzt viel Geld, genug Geld, ich werde dieser paar Kronen wegen nicht gleich in Verlegenheit kommen. – Als er das Geld hervorgesucht hatte, fügte Nagel hinzu: Sie machen mir eine Freude. Bitte!

Minute aber sitzt jetzt stumm da, sein Glück steigt ihm zu Kopf, und er kämpft mit dem Weinen. Er zwinkert mit den Augen und schluckt. Nagel sagt:

Sie sind wohl ungefähr vierzig Jahre alt?

Dreiundvierzig, ich bin über dreiundvierzig.

Stecken Sie das Geld nun ein. Wohl bekomm's! – Wie heißt der Bevollmächtigte, mit dem wir im Café unten sprachen?

Das weiß ich nicht, wir nennen ihn nur den Bevollmächtigten. Er ist Bevollmächtigter an der Hardesvogtei.

Ja, ja, es ist ja auch gleichgültig. Sagen Sie …

Verzeihung! – Minute kann sich nicht mehr halten, er ist überwältigt und will sich unbedingt erklären, obwohl er wie ein Kind stammelt. Entschuldigen Sie – und verzeihen Sie mir! sagt er. Und lange Zeit kann er nichts mehr hervorbringen.

Was wollten Sie sagen?

Dank, aufrichtigen Dank aus ganzem …

Pause.

Ach, das ist ja schon erledigt.

Nein, warten Sie ein wenig! rief Minute. Ja, ich bitte um Verzeihung, es ist noch nicht erledigt. Sie glaubten, daß ich es nicht tun wollte, daß es Halsstarrigkeit sei und daß es mir Freude mache, mich auf die Hinterfüße zu stellen; aber so wahr Gott … Kann man sagen, es sei erledigt, wenn Sie möglicherweise sogar den Eindruck bekommen haben, daß ich den Preis überlegte und es für die fünf Kronen nicht tun wollte? Ja, das war alles.

Schon gut. Ein Mann mit Ihrem Namen und Ihrer Bildung darf keine solchen Narrenstreiche machen. Da fällt mir ein … ja, Sie kennen natürlich alle Verhältnisse in der Stadt, nicht wahr? Ich habe vor, einige Zeit hierzubleiben, mich tatsächlich für ein paar Sommermonate niederzulassen, was meinen Sie dazu? Sind Sie aus dieser Stadt?

Ja, ich bin hier geboren; mein Vater war Pfarrer hier, und die letzten dreizehn Jahre habe ich hier gewohnt. Seit ich gebrechlich geworden bin.

Tragen Sie denn nicht Kohlen aus?

Ja, ich trage die Kohlen aus; das geht ganz gut, falls Sie deshalb fragen sollten. Ich bin es schon gewohnt; es schadet mir nicht, ich muß nur beim Treppensteigen vorsichtig sein. Im vorigen Winter bin ich einmal hingefallen und habe mich so verletzt, daß ich lange Zeit den Stock benützen mußte.

Wirklich? Wie kam das?

Es war auf der Treppe der Bank. Auf den Stufen lag ein wenig Eis. Ich trug einen ziemlich schweren Sack. Als ich halbwegs hinaufgekommen bin, sehe ich hoch oben auf der Treppe Konsul Andresen. Und da wollte ich umkehren und wieder hinuntergehen, damit der Konsul vorbei könnte. Er verlangte es nicht, aber es war selbstverständlich. In diesem Augenblick glitt ich aus und fiel auf die rechte Schulter. Was ist mit Ihnen los? sagte der Konsul zu mir, Sie schreien ja gar nicht. Sie haben sich also nicht verletzt? Nein, antwortete ich, ich hatte noch Glück! Aber schon nach fünf Minuten fiel ich zweimal hintereinander in Ohnmacht; außerdem schwoll mir wegen meines alten Übels der Unterleib auf. Übrigens bedachte mich der Konsul reichlich, obwohl er keine Schuld hatte.

Haben Sie keinen anderen Schaden erlitten? Haben Sie sich nicht am Kopf verletzt?

Doch, auch das. Ich spuckte auch einige Zeit Blut.

Und der Konsul half Ihnen, während Sie krank waren?

Ja, großartig. Er schickte mir alles mögliche, vergaß mich an keinem Tag. Das Schönste von allem aber war, daß er, als ich wieder aufstehen konnte und ihn aufsuchte, um ihm zu danken, bereits die Flagge hatte hissen lassen. Er hatte ausdrücklich den Befehl gegeben, nur mir zu Ehren die Flagge zu hissen, obwohl auch Fräulein Fredrikkes Geburtstag war.

Wer ist Fräulein Fredrikke?

Seine Tochter.

So. Ja, das war ja hübsch von ihm … Ach, hören Sie, Sie wissen wohl nicht, weshalb vor einigen Tagen hier in der Stadt geflaggt wurde?

Vor einigen Tagen? Warten Sie, vor ungefähr einer Woche? Das war wegen Fräulein Kiellands Verlobung, Dagny Kiellands Verlobung. Ja, ja, eine nach der anderen verlobt und verheiratet sich und reist fort. Ich habe jetzt Freunde und Bekannte so ungefähr im ganzen Land umher, und keiner ist darunter, den ich nicht gerne wieder treffen möchte. Ich sah sie alle zusammen spielen und in die Schule gehen, sah sie konfirmiert werden und heranwachsen. Dagny ist erst dreiundzwanzig Jahre alt. Sie war das Kind der ganzen Stadt. Sie ist auch schön. Sie hat sich mit Leutnant Hansen verlobt, der mir seinerzeit diese Mütze geschenkt hat. Auch Leutnant Hansen ist von hier.

Hat Fräulein Kielland helles Haar?

Ja, sie hat helles Haar. Sie ist ungewöhnlich schön, und alle haben sie gern.

Ich glaube, ich bin ihr am Pfarrhof begegnet. Pflegt sie einen roten Sonnenschirm zu tragen?

Ganz richtig! Soviel ich weiß, besitzt hier sonst niemand einen roten Sonnenschirm. Wenn Sie eine Dame mit einem dicken gelben Zopf gesehen haben, dann ist es Fräulein Kielland gewesen. Keine andere aus der Gegend ist ihr gleich. Aber Sie haben vielleicht noch nicht mit ihr gesprochen?

Doch, vielleicht auch mit ihr gesprochen. – Und gedankenvoll sagt Nagel vor sich hin: Das also war Fräulein Kielland!

Ja, aber nicht richtig mit ihr gesprochen, Sie haben vielleicht noch kein längeres Gespräch mit ihr gehabt? Darauf können Sie sich noch freuen. Wenn sie etwas lustig findet, lacht sie laut auf, und oft kann sie über beinahe nichts lachen, sie ist so fröhlich. Sie werden sehen, wie aufmerksam sie zuhört, wenn Sie etwas erzählen, und auf Ihre Worte achtet, bis Sie fertig sind, dann erst antwortet sie. Aber wenn sie antwortet, errötet sie leicht. Das Blut steigt ihr zu Kopf. Ich habe es oft bemerkt, wenn sie mit jemand sprach. Sie wird dann sehr schön. Bei mir ist das etwas anderes, mit mir schwätzt sie, wie es sich eben trifft, und macht weiter keine Umstände. Ich könnte auf der Straße zu ihr hingehen, und sie würde stehenbleiben und mir die Hand geben, auch wenn sie es eilig hätte. Wenn Sie das nicht glauben wollen, so dürfen Sie es nur einmal beobachten.

Ich glaube es gerne. Sie haben also eine gute Freundin an Fräulein Kielland?

Natürlich nur insofern, als sie immer nachsichtig mit mir ist. Auf andere Weise wäre es ja nicht möglich. Wenn ich eingeladen werde, komme ich manchmal auf den Pfarrhof, und anscheinend hat man auch nichts dagegen, wenn ich einmal ungebeten hinkomme. Als ich krank war, lieh mir Fräulein Dagny auch Bücher, ja, sie kam selbst damit zu mir, trug sie den ganzen Weg unterm Arm.

Was waren das wohl für Bücher?

Sie meinen, was für Bücher ich lesen und begreifen könne?

Diesmal verstehen Sie mich falsch. Ihre Frage ist scharfsinnig, aber Sie verstehen mich falsch. Sie sind ein interessanter Mensch. Ich meinte, was für Bücher diese junge Dame besitzt und liest. Das würde ich gerne wissen.

Ich erinnere mich, daß sie mir einmal Garborgs »Bauernstudenten« und noch zwei andere Bücher brachte, das eine war wohl Turgenjews »Rudin«. Aber bei einer anderen Gelegenheit las sie mir laut aus Garborgs »Unversöhnlichen« vor.

Gehörten diese Bücher ihr?

Ihrem Vater. Es stand der Name ihres Vaters darin.

Übrigens: als Sie damals zu Konsul Andresen kamen, um ihm zu danken, wie Sie erzählen …

Ich wollte ihm für seine Hilfe danken.

Jawohl. War die Flagge gehißt, bevor Sie kamen?

Ja, er hatte sie meinetwegen hissen lassen. Das sagte er selbst.

Ganz richtig. Aber sollte die Flagge nicht wegen des Geburtstages gehißt worden sein?

Doch, vielleicht. Das kann schon sein. Auch das ist in Ordnung. Es wäre doch eine Schande gewesen, wenn an Fräulein Fredrikkes Geburtstag die Flagge nicht aufgezogen worden wäre.

Ja, da haben Sie recht … Um auf etwas anderes zu kommen: Wie alt ist Ihr Onkel?

Er ist wohl ungefähr siebzig Jahre alt. Nein, das ist vielleicht zuviel. Aber auf jeden Fall über sechzig. Er ist sehr alt, doch noch rührig für sein Alter. Zur Not kann er sogar noch ohne Brille lesen.

Wie heißt er?

Auch er heißt Grögaard. Wir heißen beide Grögaard.

Hat Ihr Onkel ein eigenes Haus oder wohnt er zur Miete?

Er hat das Zimmer, in dem wir wohnen, gemietet, aber die Kohlenhandlung gehört ihm. Es fällt uns nicht schwer, die Miete zu bezahlen, falls Sie das meinen sollten. Wir bezahlen mit Kohlen, und bisweilen kann auch ich mit irgendeiner Arbeit ein wenig abtragen.

Ihr Onkel trägt wohl keine Kohlen aus?

Nein, das trifft mich. Er wägt sie ab und steht allem vor, und ich trage aus. Ich kann ja auch eher damit herumgehen, weil ich stärker bin.

Gewiß. Und zum Kochen haben Sie wohl irgendeine Frau?

Pause.

Entschuldigen Sie, antwortet Minute, werden Sie bitte nicht ärgerlich. Ich will gerne gehen, wenn es Ihnen lieber ist. Sie wollen mir vielleicht eine Freude machen, indem Sie sich mit mir unterhalten. Es kann Ihnen aber doch wohl kein Vergnügen bereiten, von meinen Verhältnissen zu hören. Es ist zwar auch möglich, daß Sie aus irgendeinem anderen Grund, den ich nicht kenne, mit mir sprechen, und in diesem Fall ist es ja gut so. Aber wenn ich jetzt fortgehe, tut mir keiner etwas zuleide, das dürfen Sie nicht glauben. Ich treffe keine übelgesinnten Leute. Der Bevollmächtigte steht gewiß nicht vor der Türe und lauert mir auf, um sich zu rächen, falls Sie das befürchten sollten. Und selbst wenn er dort stünde, würde er mir auf keinen Fall etwas antun, das glaube ich nicht.

Sie machen mir ein Vergnügen, wenn Sie noch bleiben. Aber Sie brauchen sich nicht verpflichtet zu fühlen, mir etwas zu erzählen, weil ich Ihnen nur ein paar Kronen für Tabak vorgestreckt habe. Sie sind vollkommen frei; ganz wie Sie wollen.

Ich bleibe! ich bleibe! ruft Minute. Und er fügt hinzu: Gott segne Sie! Ich bin glücklich, daß Sie ein wenig Vergnügen daran finden, mit mir zusammen zu sein, wenn ich mich auch eigentlich über mich selbst und über meinen Anzug hier schämen müßte. Ich hätte mich schon ein wenig anständiger anziehen können, wenn ich Zeit gehabt hätte. Dies ist eine alte Jacke meines Onkels, sie hält nichts mehr aus, das ist schon wahr, sie verträgt keinen Fingerdruck mehr. Nun hat der Bevollmächtigte auch noch einen langen Schlitz hineingerissen. Ich hoffe, Sie entschuldigen es … Nein, eine Frau, die uns kochen könnte, haben wir nicht. Wir kochen und waschen alles selbst. Das ist nicht sehr beschwerlich, wir befassen uns auch so wenig wie möglich damit. Wenn wir zum Beispiel am Morgen Kaffee kochen, trinken wir am Abend den Rest, ohne ihn wieder aufzuwärmen, und ebenso ist es mit dem Mittagessen, das wir sozusagen ein für allemal bereiten, wie es sich gerade trifft. Was können wir in unserer Lage uns besseres wünschen? Und außerdem ist die Wäsche meine Sache. Das ist ein kleiner Zeitvertreib für mich, wenn ich nichts anderes zu tun habe.

Jetzt ertönt unten im Hotel eine Glocke, und man hört die Leute die Treppen zum Abendessen hinuntergehen.

Es läutet zum Essen, sagt Minute.

Ja, antwortet Nagel. Aber er erhebt sich nicht und zeigt auch keine Ungeduld, im Gegenteil, er setzt sich noch besser zurecht und fragt: Sie kannten vielleicht auch diesen Karlsen, den man neulich hier im Walde tot aufgefunden hat? Das war doch eine traurige Sache?

Ja, sehr traurig. Und ob ich ihn gekannt habe! Ein prächtiger Mensch und ein edler Charakter. Wissen Sie, was er einmal zu mir gesagt hat? An einem Sonntagmorgen wurde ich ganz früh zu ihm gerufen, es ist nun wohl ein Jahr her, voriges Jahr im Mai. Er bat mich, einen Brief zu besorgen. – Ja, erwiderte ich, das will ich gerne tun; aber ich habe heute so schlechte Stiefel an, daß ich mich damit nicht gut unter den Leuten sehen lassen kann. Wenn es Ihnen recht ist, will ich erst nach Hause gehen und ein anderes Paar zu leihen nehmen. – Nein, das ist nicht nötig, antwortet er, das macht nichts aus, wenn Sie nur nicht naß darin werden. – Er dachte sogar daran, daß ich in diesen Schuhen naß werden könnte! Na, und dann steckt er mir eine Krone in die Hand und gibt mir den Brief. Als ich bereits auf dem Gang bin, reißt er die Türe wieder auf und kommt mir nach. Er strahlt so sehr über das ganze Gesicht, daß ich stehenbleibe und ihn ansehe. In seinen Augen ist ein feuchter Glanz. Da umarmt er mich, schmiegt sich an mich, umarmt mich tatsächlich und sagt: Gehen Sie nun mit diesem Brief, alter Freund; ich werde schon noch an Sie denken. Wenn ich einmal Pfarrer bin und ein Amt habe, sollen Sie zu mir kommen und die ganze Zeit bei mir bleiben. Ja, gehen Sie nun, und Glück auf! – Er erhielt ja nun leider kein Amt; aber er hätte sicher sein Wort gehalten, wenn er am Leben geblieben wäre.

Und dann überbrachten Sie den Brief?

Ja.

Und freute sich Fräulein Kielland, als Sie ihn brachten?

Wie können Sie wissen, daß er an Fräulein Kielland gerichtet war?

Wie ich das wissen kann? Sie sagten es ja eben selbst.

Ich? Das ist nicht wahr.

Hehe, es ist nicht wahr? Glauben Sie, daß ich hier vor Ihnen sitze und Sie anlüge?

Nein, entschuldigen Sie, es kann schon sein, daß Sie recht haben. Ich hätte es aber auf keinen Fall sagen dürfen. Das geschah aus Versehen. Nein, habe ich das wirklich gesagt?

Warum nicht? Hat er Ihnen denn verboten, es zu sagen?

Nein, nicht er.

Sondern sie?

Ja.

Nun gut, es soll bei mir begraben sein. Doch können Sie begreifen, warum er sich gerade jetzt umgebracht hat?

Nein, das begreife ich nicht. Das Unglück sollte nun einmal geschehen.

Wissen Sie, wann er beerdigt werden soll?

Morgen mittag.

Dann wurde nicht mehr über diese Sache gesprochen. Eine Zeitlang schwiegen beide. Sara steckte den Kopf zur Türe herein und meldete, daß das Essen fertig sei. Bald darauf meinte Nagel:

Ja, nun ist also Fräulein Kielland verlobt. Wie sieht ihr Bräutigam eigentlich aus?

Leutnant Hansen? Ein frischer und ganz ausgezeichneter Mann! Sie wird keine Not bei ihm leiden.

Ist er reich?

Sein Vater ist sehr reich.

Ist der Vater Kaufmann?

Nein, Schiffsreeder. Er wohnt einige Häuser weit von hier. Er hat übrigens kein großes Haus, aber es ist groß genug für ihn, denn wenn der Sohn fort ist, sind nur noch die beiden Alten da. Sie haben auch eine Tochter, die in England verheiratet ist.

Und wieviel besitzt wohl der alte Hansen? Was meinen Sie?

Vielleicht eine Million. Das weiß niemand.

Pause.

Ja, sagt Nagel dann, es ist schlecht verteilt in dieser Welt. Wenn nun Sie ein wenig von diesem Geld hätten, Grögaard?

Nein, Gott bewahre, wozu das? Man muß zufrieden sein mit dem, was man hat.

Das sagt man so … Mir fällt eben eine Frage ein: Sie haben wohl nicht viel Zeit zu anderer Arbeit, wenn Sie immer diese Kohlen austragen müssen? Nein, das kann ich verstehen. Ich hörte allerdings, wie Sie den Wirt fragten, ob er heute noch mehr für Sie zu tun habe.

Nein, antwortet Minute und schüttelt den Kopf.

Es war unten im Café. Sie sagten, daß Sie die Kohlen in die Küche gebracht hätten. Und dann fragten Sie, ob es für heute sonst nichts mehr zu tun gäbe.

Fiel Ihnen das auf? Das hatte einen anderen Grund. Ich hoffte, das Geld für die Kohlen sogleich zu bekommen, aber ich wagte nicht, geradezu darum zu bitten. Das ist der ganze Zusammenhang. Wir waren jetzt eben in Verlegenheit und setzten unsere Hoffnung auf dieses Geld.

Wieviel brauchen Sie, damit Sie aus der Verlegenheit kommen? fragt Nagel.

Gott bewahre Sie! ruft Minute laut. Sprechen Sie nicht mehr davon, uns ist bereits mehr als reichlich geholfen. Das Ganze drehte sich um sechs Kronen, und jetzt sitze ich hier mit Ihren zwanzig Kronen in der Tasche da, Gott möge es Ihnen vergelten! Aber so war es, wir schuldeten diese sechs Kronen unserem Kaufmann für Kartoffeln und etliche andere Sachen. Er hatte uns die Rechnung geschickt, und wir zerbrachen uns beide die Köpfe darüber, wie wir dieses Geld herschaffen sollten. Jetzt hat es ja keine Not mehr, nun können wir ruhig schlafen und morgen wieder aufstehen und zufrieden sein.

Pause.

Ja, ja, jetzt wollen wir austrinken und uns für heute abend trennen, sagt Nagel und erhebt sich. Ihr Wohl! Ich hoffe, daß wir uns heute nicht zum letztenmal gesehen haben. Sie müssen mir wirklich versprechen, mich wieder zu besuchen, ich wohne also hier auf Nummer sieben. Vielen Dank für heute!

Nagel sagte dies in vollkommen aufrichtiger Art und Weise und schüttelte Minutes Hand. Er begleitete seinen Gast hinunter und ging mit ihm bis zur Haustüre, hier nahm er wie schon früher einmal seine Samtmütze ganz ab und grüßte tief.

Dann verabschiedete sich Minute. Während er rücklings die Straße hinaufging, verbeugte er sich unzählige Male. Er brachte aber kein Wort hervor, obwohl er sich die ganze Zeit bemühte, etwas zu sagen.

Als Nagel das Speisezimmer betrat, entschuldigte er sich unnötig höflich bei Sara, weil er so spät zum Abendbrot kam.


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