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21

Das waren in jenem Jahr besonders bunte und festlich bewegte Fastnachtstage, die für den polnischen Königsbesuch in der alten wehrhaften deutschen Stadt am baltischen Meere die seiner würdige grelle Umrahmung abgaben. Auf den mit den städtischen Fahnen und Bannern geschmückten Plätzen, in den bewimpelten engen Gassen drängte sich in zwei gegeneinander flutenden Strömen eine nicht abreißenwollende schaulustige Menge. Derbe Späße, saftige Kern- und Witzworte flogen von Mund zu Munde. Gekreisch und Gelächter gellten über die tausendköpfige Menge hinweg. Trompeten schmetterten, Trommeln wirbelten. Dann und wann bahnte sich ein kleiner Trupp bewaffneter Stadtknechte mit Püffen und Stößen seinen Weg durch das Gedränge.

Ein dichter Knäuel Neugieriger, die nicht vom Platz wichen, hatte sich vor dem de Nerischen Hause am Langen Markt, unweit des Artushofes, zusammengeballt. Hier hatte König Wladislaw mit Gefolge Privatquartier gefunden, da es ja seit jeher, trotz aller darauf zielenden polnischen Bemühungen, an einer dem königlichen Range des polnischen Souveräns angemessenen Residenz in Danzig mangelte. Der streng hansische und republikanische Geist des deutschen Stadtregiments war jedem derartigen Vorhaben von Anfang an abhold gewesen. Bestünde eine solche königliche Zwingburg erst einmal innerhalb der Stadtmauern, folgerte man, so wäre es bald um die Freiheit und Deutschheit der Stadt geschehen, man hätte also wieder einmal den Bock zum Gärtner gemacht. Selbst die unbestreitbare Volkstümlichkeit des gegenwärtigen Königs Wladislaw IV. vermochte weder Rat noch Bürgerschaft an der Einhaltung dieses altüberkommenen Grundsatzes irre zu machen.

Von der erwähnten Volkstümlichkeit König Wladislaws konnten übrigens außenstehende Beobachter, wie etwa der wißbegierige Herr Charles Ogier oder andere remarkable Mitglieder der französischen Ambassade, in diesen Tagen sich durch persönlichen Augenschein leicht überzeugen. Die Schar derer, die des Königs ansichtig werden wollten, schien an dem de Nerischen Hause – man ernannte es an den goldverzierten Säulchen des Renaissancegiebels – vorerst, wie die Tage vergingen, eher zu- als abzunehmen und bildete neben der vom Rat gestellten soldatischen Wachmannschaft vor dem Hause gleichsam noch eine zweite freiwillige bürgerliche Ehrenwache, die eben wegen ihrer Freiwilligkeit ein besonderes Kompliment für den König bedeutete. So oft die straffe soldatische Erscheinung des etwa vierzigjährigen Herrn in spanischer Hoftracht, das Haus betretend oder verlassend, sich auf dem Beischlag zeigte, ging ein beifälliges Gemurmel durch das Spalier der Wartenden, wovon die gute Hälfte generis feminini sein mochte. Es wurden von eifrigen Rechnern, an denen es ja hierzulande nicht fehlte, Schätzungen über das Geburtsjahr des Königs und weiter zurück auch seines Vaters Sigismund III. angestellt, und insbesondere die mehr oder minder holde Weiblichkeit unter der Menge vermochte nicht zu begreifen, wie ein solcher Mann und Herr es bislang noch nicht zu einer Ehehälfte hatte bringen können oder wollen. Wenn solche Erwägungen auch sofort wieder von besonders Klugen und Wissenden umgestoßen wurden, indem sie sich darauf beriefen, daß doch vor einiger Zeit schon von einer bevorstehenden Heirat des Königs mit der Prinzessin Maria Ludovica von Mantua oder auch nach andern Berichten mit der Erzherzogin Cäcilia Renata von Österreich die Rede gewesen sei, so blieb doch in den Augen der meisten Mädchen und Frauen ein gewisses Etwas an dem gekrönten Herrn haften, das ihn mit dem Schleier des Geheimnisses und des Absonderlichen zu umgeben schien.

Aber auch für die vor dem Hause seines Anblicks harrenden Männer war der König Gegenstand eines nicht geringen Interesses. Auf eine nicht aufgeklärte Weise war aus dem Rathaus das Gerücht durchgesickert, der König erhebe plötzlich Anspruch auf die von den Schweden noch bis jüngst an sich gerissenen Seezölle, was offensichtlich gegen den soeben erst abgeschlossenen Stuhmsdorfer Vertrag verstieße, daher auch oben im Rathaus, wie nicht anders zu erwarten, allgemeine Bestürzung herrsche. Aber man habe es ja in der Bürgerschaft immer gewußt und es sei keine Neuigkeit für Leute von einigem Gripps, daß auf die Polacken nun einmal kein Verlaß und das beschworene Wort ihres Königs nicht das Pergament wert sei, auf dem es geschrieben stehe. Höchste Zeit sei es, schrie aus der Menge ein junger Mensch, trotz des rauhen Februartages barhäuptig, dem der verwilderte, in die Stirn fallende Haarschopf ein gefährliches Aussehen lieh, ja, allerhöchste Zeit sei es, den Neunmalklugen oben auf den Ratsstühlen einmal unter die langen Perücken zu leuchten und den Staub gehörig auszubeuteln. Denn so gehe es nicht mehr lange weiter. Aber nur wenige schnell zum Gemurmel abebbende Stimmen zollten der aufrührerischen Parole Beifall und verstummten bald. Es war jetzt, angesichts der polnischen Fremdlinge, nicht der Ort und die Stunde, der städtischen Obrigkeit in den Rücken zu fallen. Sogar jene besonders Klugen und Eingeweihten hielten es für rätlich, sich die annähernde Millionensumme von guten Danziger Gulden, die dem Gerücht zufolge der Rat der Stadt als Ablösung der von der polnischen Krone gestellten Forderung zu zahlen bereit sei, nur hinter der vorgehaltenen Hand in die Ohren zu flüstern.

Merkwürdig genug! Selbst dieser nicht grade zarte Griff an den empfindlichen nervus rerum, den Geldpunkt, vermochte der Beliebtheit des Königs bei der harrenden Menge, wenigstens in der gegenwärtigen Stunde, keinen Abbruch zu tun. Niemand, außer etwa jenem schnell verschwundenen Schreier, verließ seinen Platz vor dem Beischlag des Königsquartiers, und wenn dann Wladislaw, begleitet von Radziwill, Koniecpolski und Kazanowski, seinen drei Nächstvertrauten, zur Tür hinaustrat und mit Verneigung gegen das wartende Spalier sein Barett lüftete, empfingen ihn wieder das schon gewohnte Beifallsgemurmel der Männer und die entzückten Blicke der Weiblichkeit.

So ging es mehrere Wochen hindurch, da der König offenbar Gefallen an der schönen, charaktervollen Stadt und ihrer selbstbewußten Bewohnerschaft fand und gar nicht an eine baldige Abreise zu denken schien. Die Fastnachtstage – der gelehrte Herr Ogier nannte sie in seinem in bestem Lateinisch geschriebenen gleichzeitigen Reisebericht die »Bacchanalien« – waren vorbei und hatten zum Schluß noch ein paar äußerst glanzvolle Festlichkeiten im Gefolge gehabt, eine davon auf Einladung des litauischen Kanzlers Radziwill in dessen Privatlogis, die andere im Schwarzwaldschen Hause. Unter den Gästen des Kanzlers, dem der höchst gewandte königliche Kämmerer Kazanowski in seinen Hausherrenpflichten zur Seite stand, befand sich auch der Ratsherr Kerschenstein mit seiner Dame Constanzia, die wie immer ihre Umgebung, zumal ihre vollzählig erschienenen französischen Freunde, aber nicht minder auch die polnischen Gastgeber durch ihre wie selbstverständlich wirkende Anmut und den Glanz ihres Geistes bezauberte. Nach einem üppigen Gastmahl waren die Tische fortgeräumt worden, um für die teils würdevoll zeremoniellen, teils lustig grotesken Reigentänze Platz zu schaffen. Einer von ihnen bestand darin, daß jemand von den Herren sich aus dem ihn umgebenden Kreise nach einigen Tanzschritten eine Dame wählte, sie in die Mitte des Kreises stellte, mit dem Auftrag, unbeweglich stehen zu bleiben, während er mit lustigen Gebärden um sie herumtanzte und sie zum Lachen zu reizen suchte, sie aber möglichst lange ernst und streng zu bleiben hatte. Lachte sie schließlich, so war der Herr Sieger und durfte sie bei der Hand ergreifen, um einige Runden mit ihr zu tanzen. Eben diese Dame hatte darauf einen anderen Herrn zu wählen, um wiederum diesen zum Lachen zu bringen, und mit ihm das gleiche Spiel zu beginnen, wie der erste Herr mit ihr, und so fort. Es war, wie man nachher zu berichten wußte, lustig anzusehen gewesen, wie die jungen Danziger Mädchen und Frauen, alle bürgerlicher Herkunft, mit den polnischen Großen, meist reiferen Herren, und dem würdig ernsten Grafen d'Avaux, dem Gesandten Richelieus, Spaß und Schelmerei getrieben hatten und ihnen listig um den Bart gegangen waren.

Der zweite große Gesellschaftsabend, mit dem diese Festwochen auf jener damaligen Friedensinsel zum endgültigen Abschluß gelangten, fand auf Veranlassung König Wladislaws, der sich selbst dazu ansagte, im Hause der verwitweten Frau Brigitte Schwarzwald statt, in deren Vertretung ihr Schwiegersohn, Hauptmann von Proen, die Einladungen hatte ergehen lassen. Da jedoch als der eigentliche Gastgeber der König selbst auftrat, so verstand es sich, daß nur ihm genehme Gäste geladen waren. Immerhin war doch die ganze Danziger Gesellschaft auf diesem Paradeabend versammelt, dazu alle grade anwesenden Fremden von Distinktion. Man sah wieder den französischen Gesandten d'Avaux, auch der eifrige Tagebuchschreiber Herr Ogier fehlte trotz Magenverstimmung nicht. Er hatte eigentlich gar nicht zu den Eingeladenen gehört, sondern nur seinem hohen Chef das Geleit bis zum Festhause gegeben, war aber dann, als er in sein Quartier heimkehren wollte, auf Anordnung des Bürgermeisters Zierenberg wieder zurückgeholt worden und fand sich, offenbar zu seiner großen inneren Genugtuung, plötzlich an der königlichen Tafel, mitten unter den polnischen Würdenträgern und sonstigen Magnaten.

So konnte er später in seinem Büchlein nicht ohne Stolz verzeichnen, daß der Umtrunk, der mit Seiner Majestät dem König angefangen hatte, auch bis zu ihm und seinen andern Kollegen von der französischen Ambassade gekommen sei und sie dieselben Becher des gleichen Maßes leergetrunken hätten. Vier angesehene Damen hätten dem König aufzuwarten gehabt: zu seiner Rechten die schöne Cordula Zierenberg, eine von des Bürgermeisters zahlreichen Nichten, dem König gegenüber die Dame Constanzia Kerschenstein, zu seiner Linken Anna von Proen, des Feldhauptmanns junganvermählte Ehehälfte und Tochter der Gastgeberin Brigitte Schwarzwald. Auch Lisbeth Hafferat, jenes auffallend schöne Mädchen, dessen Bild nachher den alternden Junggesellen Ogier als unvergeßliche Erinnerung in seine Pariser Heimat begleiten sollte, sei mit an der königlichen Tafel gewesen und habe den Kämmerer Kazanowski zum Tischherrn gehabt, an den sich dann Fürst Radziwill, Kaspar Dönhoff, der Woiwode von Sieradz, der Kron-Großmarschall Opalinski und der Kron-Schatzmeister Danilowicz sowie andere Große mit ihren Damen weiterhin an der Tafel angereiht hätten.

Da man sich bereits nach Aschermittwoch, demnach in der Fastenzeit befand, so habe man aus Rücksicht auf die anwesenden Geistlichen vorerst nicht getanzt, sondern eines der beliebten Gesellschaftsspiele gespielt, wobei ein Ring des Königs in den Händen einer Dame verborgen wurde und abwechselnd die anderen Damen und Herren raten mußten, wo er sich befinde. Während alles dessen ertönten Musik, Gesang und begleitendes Clavichord.

Ein anderes Spiel, das besonders der Männerwelt allerlei reizvolle Perspektiven darbot, sei das folgende gewesen. Ein Teppich wurde auf dem Boden ausgebreitet und eine Feder darauf hingelegt. Die mußten dann Damen und Herren, die Hände auf dem Rücken gebunden und der Länge nach auf dem Teppich ausgestreckt, abwechselnd mit dem Munde aufnehmen, was äußerst mühsam war und dementsprechendes Gelächter und Schadenfreude hervorrief, ganz abgesehen von dem Extravergnügen für die zuschauenden Herren. An diesem Abend habe auch der junge Attaché Varenne, den der König auf den Rat von Madame Constanzia dazu aufgefordert habe, Gelegenheit gefunden, seine französische Sangeskunst vorzuführen, was – ebenso wie die sich daran anschließenden französischen Reigentänze – mit allgemeinem Beifall geschah. Als der König sich beim Weggange verabschiedete, habe er entblößten Hauptes allen Damen und jungen Mädchen die Hand gereicht und heilig versprochen, in einigen Monaten wiederzukommen: ein Gelübde, das wie so manche andern königlichen Versprechungen freilich nicht gehalten werden sollte, nicht grade zum Mißvergnügen des Bürgermeisters Zierenberg und eines hochedlen Rats der Stadt Danzig.

Begreiflich genug, daß noch lange Wochen nach seinem Ende dieser Königsbesuch in aller Munde war und Hoch und Nieder, Patriziern und einfachen Bürgersfamilien, Gesprächsstoff in Hülle und Fülle bot. Auch Andreas Hünefeld, der findige Zeitungsmann, verfehlte nicht, das bunte Drum und Dran dieser Haupt- und Staatsaktion, eben das, was davon für jedermann auch in der Außenwelt ergötzlich oder erbaulich zu lesen war, für seine Danziger »Relation« weidlich auszuschlachten.

Martin Opitz, der währenddessen noch immer »krankheitshalber« ans Zimmer Gefesselte, erhielt von Hünefeld bei dessen Besuchen fortlaufend Bericht über alles Wissenswerte an Vorkommnissen und Geschehnissen dieser abwechslungsvollen Wochen und Tage, die dem sich langweilenden Poeten schier wie Monate vorkommen wollten. Ihm, der durch sein bisheriges so bewegtes Leben an unablässige Betriebsamkeit, an einen währenden Dauerlauf, gleichsam den Ereignissen immer um ein paar Nasenlängen voraus, gewöhnt war, schien es, als sei sein eilender Fuß plötzlich wie durch eine erhobene Zauberhand traumgleich auf einen Punkt festgebannt und alles krampfhafte Bemühen bringe ihn, den gleichsam in Schweiß Gebadeten, auch nicht um einen Schritt weiter vorwärts. Es war wie ein Alpdruck, der ihn auf dem Wege zum erträumten Ziel festzuhalten und aus dem es kein Erwachen zu geben schien.

»Wisset, Freund Hünefeld,« äußerte der Dichter bei dieser Gelegenheit einmal zu dem ihn Besuchenden, »wenn Ihr nicht jetzt in leibhaftiger Gestalt vor mir säßet, so daß ich Euch anzufassen, Eure Hand zu ergreifen, Euren Atem zu spüren vermöchte, so könnte ich lebendig begraben zu sein und als seliger Geist hier in meiner Foliantengruft eingemauert zu sitzen vermeinen. Habt Ihr jemals von jenem verzauberten Mönch im Kloster Heisterbach vernommen, Freund Hünefeld? Ich las es in einem alten Chronikbuch, ein junger Fant von fünfzehn Jahren, der ich war, und konnte mir drum noch nicht viel dabei denken. Aber dessenungeachtet ist mir dieses Mönches Mär wie eingemeißelt in meinem Gedächtnis verblieben.«

»Und welcher Art ist diese Mär?« fragte Hünefeld.

»Ihr kennt das Wort der Schrift? Dem Herrn ist ein Tag wie tausend Jahr', und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag. Über diesem Wort der Schrift, das ihm rätselhaft dünkte, soll jener Mönch tage- und nächtelang gebrütet und sich den Kopf zerbrochen haben. Und ist unter dieser Grübelei tiefer und tiefer in den Wald geraten, in welchem er sich, Luft zu schöpfen, ein Weilchen hat ergehen wollen. Und wie er dann doch in sein Kloster den Weg zurückgefunden, da ist es ihm schon absonderlich vorgekommen, daß ein Pater Guardian ganz unbekannten Angesichts ihm das Klosterpförtchen öffnete, und im Refektorium, wo die Brüder grade ihr Mahl einnahmen, sitzt ein Fremder auf seinem gewohnten Platz, die ganze Gemeinde aber ringsum schaut ihn mit verdutzten Mienen an, nicht ein vertrautes Gesicht darunter, und sie unterhalten sich mit halbfremden Lauten von einem Mönch, der vor fünfhundert Jahren hier im Kloster gelebt haben solle. Selbiger habe unablässig dem Bibelwort von den ›tausend Jahren wie ein Tag‹ nachgesonnen und sei in den Wald gegangen, und niemand habe ihn wiedergesehen. Da kommt es wie ein Blitz über ihn, was es mit den tausend Jahren wie ein Tag auf sich hat, und er streckt die Arme gen Himmel und sinkt tot nieder. Also und auf die nämliche Art, um zu meinem tertium comparationis zu gelangen, ist es mir zu dieser Stunde ergangen, da ich Euch, Freund, hier vor mir sitzen sehe und Ihr erzählt von Vorgängen, so gestern und ehegestern sich zugetragen haben sollen, indes mich bedünken will, als seien sie vor tausend Jahren geschehen und ich selbst sei derweil steinalt geworden.«

Was das für eine grauenhafte Art von Traum sei, den er abschütteln müsse, meinte der Buchhändler fröstelnd.

»Ist Euch solche Art zu träumen so fremd?« erwiderte der Magister lächelnd. »Mir ist sie von Jugend auf wohlvertraut. Aber Ihr habt schon recht, sie ist nicht gerade vergnüglich zu nennen. Mahnt sie uns doch nur allzusehr an die Vergänglichkeit, der wir alle, als die vom Weibe Geborenen, unterworfen sind, an die vanitatum vanitas, als welche unser gemeinsames Erbe hienieden.«

Hünefeld schüttelte den Kopf und trat nahe auf Opitz zu, indem er ihm forschend in die Augen blickte.

»Was ist mit Euch vorgegangen, Herr Herzogl. Rat? Ihr kommt mir verändert vor? Ihr seid doch nicht in Wirklichkeit krank?«

Opitz lächelte wieder.

»Ihr vergesset, Freund, daß ich ja seit Wochen hier in meiner einsamen Klause sitze und nach der mir gewordenen Order von höherer Stelle hiesiger Stadt auch wirklich krank zu sein habe.«

»So könnt und dürft Ihr Euch hinfüro guten Gewissens wieder als gesund melden und braucht uns löblichen Danzigern Euren Anblick nicht länger vorzuenthalten, dieweil ja das ganze großartige Spectaculum abgetan, die Fahnen und Girlanden in der Rüstkammer schlummern und die polnische Majestät mit dem ganzen sarmatischen Spuk auf und davon ist, nicht ohne daß Sie achthunderttausend Gulden aus dem Stadtsäckel als Abfindung für die Seezölle hat mitgehen heißen. Wie kommt Euch das vor? Seid froh, daß Ihr dabei nicht die Hand im Spiel zu haben brauchtet!«

Opitz war aufgesprungen.

»Bei Sankt Martin, meinem Namenspatron! Woher habt Ihr die Kunde?«

»Woher denn sonst als dorther, wo die Wasser entspringen und man den Urquell rieseln hört,« erwiderte lächelnd der Buchhändler mit einer vieldeutigen Kopfbewegung. »Vom Rathaus, versteht sich. Unsereiner muß bis an die Quellen gehen. Aber was sagt Ihr dazu?«

Der Dichter hatte einige lebhafte Schritte durch die Stube gemacht und wandte sich jetzt wieder Hünefeld zu.

»Freund! Freund!« rief er bewegt. »Da hat mir mein guter Genius wieder einmal zur Seite gestanden!«

»Ich glaub's Euch wohl, Herr Herzogl. Rat!« lachte der Zeitungsmann. »Ihr hättet die Patenschaft bei diesem wahrhaft königlichen Wiegengeschenk an die polnische Majestät nicht allzu gerne übernommen!«

»An mir wäre es hängen geblieben!« nickte der Dichter. »Bestimmt! Ganz bestimmt!«

»Sie hätten Euch auf dem Rathaus zum Sündenbock gemacht,« bestätigte Hünefeld. »Ihr wäret so bequem zur Hand gewesen.«

Opitz machte eine unwillige Bewegung, als müsse er etwas abschütteln.

»Hole der Henker das verwünschte Diplomatenhandwerk! Sie können für unsereinen doch niemals etwas um unser selbst willen tun! Um dessentwillen, daß wir mit Gut und Blut Apoll und den Musen dienen, um dessentwillen geschieht nichts für uns. Im Gegenteil, wir zahlen noch mit unserm Leben für den heiligen Dienst, in welchem wir stehen. Können sie verlangen, daß wir es ihnen noch danken, denen auf den Thronen und in den Ämtern?«

»Und doch wird man sich oben auf dem Rathaus wunder was darauf einbilden, wie man Euch entgegengekommen sei, indem man Euch aufgab, Euch krank zu stellen und Euch in Eurer Stube zu halten, so daß Ihr den Kopf nicht in die Schlinge zu stecken brauchtet! Ihr vergeßt ganz, geschätzter Freund, daß Ihr es mit Euren ›Wohltätern‹ zu tun habt.«

Hünefeld machte einige Schritte und kicherte in seiner unterirdischen Weise vor sich hin.

»Neugierig bin ich nur,« fuhr er fort, »wem sie jetzt die Schuld an dem hübschen Aderlaß zuschieben werden. Denn einen gehörigen Skandal wird es im Rat und bei der Dritten Ordnung sicherlich absetzen. Na, mir kann's recht sein. Fällt doch wieder was für meine ›Relation‹ ab. Wißt Ihr übrigens schon, Herr Herzogl. Rat, daß der Kaiser und der Sachse zu Prag einen Friedenspakt miteinander eingegangen sind?«

»Der Kaiser und der Dresdner Kurfürst? Ei! Seht einmal an!« rief der Dichter. »So scheint es doch noch einmal Friede werden zu wollen in deutschen Landen? Beinahe hätte man geglaubt, es nicht mehr zu erleben.«

Hünefeld verzog spöttisch das Gesicht und schüttelte den Kopf.

»Freut Euch nicht zu früh, Herr Herzogl. Rat! Wie war es nach der Sintflut? Da hat auch noch nicht die erste Taube den Ölzweig gebracht. Erst nach geraumer Zeit die zweite oder gar die dritte. Vorderhand muß noch das Letzte kurz und klein geschlagen werden, und nichts, was noch aufrecht und gerade steht, darf übrig bleiben. Auch unserer löblichen Stadt, über welcher so schön trügerisch die Friedenssonne scheint, wird es über kurz oder lang einmal an den Kragen gehen.«

»Ihr seid ein greulicher Schwarzseher, Hünefeld!« rief der Dichter mit einer heftigen Handbewegung.

»Und Ihr ein unverbesserlicher Optimiste!« gab der Buchhändler zurück und verzog sein Vollmond-Eulengesicht zu einer satirischen Grimasse.

Der Dichter stand in Sinnen verloren am Tisch und hatte den Kopf auf der Brust.

»Gut! Mag es sein, wie Ihr sagt. Vielleicht gehört es nun einmal so zu mir und ich würde nicht der Martin Opitz von Boberfeld sein, der die deutschen Lande wieder zu ihnen selbst und zu ihrer angestammter, Muttersprache zurückgerufen und der deutschen Poeterei wieder in den Steigbügel geholfen hat! Wie hätte ich das vermocht, wäre ich nicht ein Optimiste, wie Ihr mich in Eures Herzens Härtigkeit schaltet.«

Hünefeld näherte sich dem versunken dastehenden Poeten und legte ihm behutsam die Hand auf den Arm, während er mit einer ungewohnten Weichheit sagte:

»Verkennt mich nicht, hochgeschätzter Meister der edlen ars poetica. Es war nicht bös gemeint mit dem Optimisten. Was sollte denn aus der mit Not und Pein beladenen Welt noch werden, so ihr Optimisten nicht wäret, ihr Poeten, als welche uns Sterblichen den Glauben schenken und die Hoffnung auf etwas Schöneres, was nachkommen wird.«

Opitz schüttelte ihm bewegt die Hand.

»Ihr ahnt vielleicht nicht, Meister Hünefeld, wie sehr Ihr mich mit dem Wort erfreut. Habe ich doch in meinem Innern schon manchmal Zweifel getragen, ob Ihr überhaupt noch an etwas glaubt in dieser oder jener Welt.«


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