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12

Die dunkeln Tage waren gekommen. Allerseelen war vorbei. Es ging auf Martini. Frost und Schnee lagen in der Luft. Aber es schien, als seien sie noch im ungewissen, ob sie sich zum Erdboden niedersenken sollten oder nicht.

Herr Martin Opitz von Boberfeld, der herzogliche Hofpoet und Verfasser der Schrift von der »Deutschen Poeterey«, befand sich wieder einmal vor den Toren von Danzig, aber diesmal nicht zu Pferde, wie vor etlichen Monaten, sondern in einer mit zwei kräftigen Braunen bespannten Reisekalesche, deren Zügel von einem schnauzbärtigen polnischen Fuhrmann gelenkt wurden. Gefährt und Lenker waren dem polnischen Hofhistoriographen von dem Krongroßfeldherrn Koniecpolski aus eigenem Bestand für die Rückreise nach Danzig zur Verfügung gestellt worden, was der so Geehrte nicht zu Unrecht als einen besonderen Beweis der ihm vom Königlichen Hoflager gezollten Achtung und Schätzung ansehen durfte.

Auch in allem übrigen hatte Opitz Ursache, mit der Aufnahme im polnischen Hoflager zufrieden zu sein. Nicht genug, daß ihn der Kämmerer und Vertraute des Königs, Adam Kazanowski, sowie – eine besondere Ehrung – Fürst Christoph Radziwill, der Woiwode von Wilna und litauische Großfeldherr, mehrmals nacheinander zu persönlichen Unterredungen herangezogen. Auch König Wladislaw IV. in höchsteigener Person empfing seinen neugebackenen Hofhistoriographen in einer freilich nur kurz währenden Audienz und nahm ein Huldigungsopus des Poeten allergnädigst zu eigenen Händen entgegen. Um was es den polnischen Herrschaften bei diesen verschiedenen Konferenzen zu gehen schien, das wurde Opitz in dem Schwall von Freundschaftsbeteuerungen, Ehrungen und honigsüßen Komplimenten, womit man ihn nach polnischer Manier überschüttete, erst allmählich offenbar. Es waren die Danziger Seezölle, um die es ging.

In dem dreißigjährigen schwedisch-polnischen Kriege, dem man in Stuhmsdorf auf Betreiben Frankreichs ein Ende gemacht hatte, war es ein besonders fühlbares Druckmittel der schwedischen Kriegspolitik gewesen, Danzig, das ja Polens wichtigster Ein- und Ausfuhrhafen war, durch die schwedische Flotte unter Blockade zu halten und von den Waren der dort anlegenden fremdländischen Schiffe recht kräftige Zölle zu erheben. Der dadurch den Danziger Kaufleuten erwachsene Schaden wurde auf eine sehr hohe Summe beziffert. Diese Seezölle waren für Schweden eine reiche Einnahmsquelle gewesen, die seit Stuhmsdorf zu fließen aufgehört hatte. Aber auch Polen brauchte Geld für seine kostspielige Großmachtpolitik, in die es vor allem nach Osten gegen Moskau und gegen den Großsultan seit jeher verwickelt war. Was lag für die erfinderischen Köpfe am polnischen Hofe näher, als jene vordem von den Schweden auf Kosten der Danziger Handelsherren erschlossene Quelle neuerdings wiederzueröffnen und ihren Segen in die polnischen Kassen zu leiten. Und war nicht der gewandte und gewitzte Schreibersmann, dem sich auf seinem vielverschlungenen Lebenspfade so manche geheime Pforte geöffnet und den man sehr apropos zur Hand hatte, gerade die geeignete Mittelsperson, die polnischen Wünsche in Danzig diskret anzubringen und die Gemüter schonend darauf vorzubereiten? Eine äußerst delikate Aufgabe. Gewiß! Denn wo der nervus rerum, die Geldfrage, anfängt, hört die Freundschaft auf. Aber konnte, ja durfte der eben erst mit einer hübschen polnischen Sinekure bedachte Hofhistoriograph sich dem Ansinnen seiner polnischen Hintermänner, zu denen sogar die Majestät selbst gehörte, entziehen?

Opitz wußte ebensogut wie diese, daß das ausgeschlossen war. Es galt also, gute Miene zum üblen Spiel zu machen und beizeiten darauf bedacht zu sein, wie er am klügsten den Kopf aus der ihm gelegten Schlinge ziehen könne. Ein Ausweg mußte sich finden lassen und würde sich also auch finden! Wozu gleich alles so übertrieben schwer nehmen! Leichtes Blut! rief er sich zu. Leichtes Blut! Aber brauchte er sich das eigentlich noch erst zu predigen? Fühlte er seinen raschen Fluß nicht in den Adern, solange er von sich wußte? Leichtsinn hatte ihm sein Vater, der ehrbare Fleischermeister zu Bunzlau, in ärgerlichen Stunden oft vorgehalten. Leichtsinn hatte der Konrektor Philipp Opitz, des Vaters Bruder, an seinem Neffen vor allen anderen Untugenden getadelt. Leichtsinn hatte die strenge, ernste Eleonore in dem Heidelberger Pfarrhaus dem jungen Humanisten und Literaturstudenten zum Vorwurf gemacht, als er sie in einer stürmischen Wallung in die Welt hinaus entführen und zu seinem Weibe machen wollte. Immer wieder war es dies Wort, das ihm aus dem Munde von Lehrern, Verwandten, Freunden, Frauen und Mädchen entgegenklang. Aber hatte nicht gerade dieses angeborene Erbteil der Naur, dieses vielgelästerte leichte Blut, das ihm eine gütige Fee in die Wiege mitgegeben hatte und das die anderen Leichtsinn nannten, hatte es ihn nicht immer wieder über alle die Nöte und Beschwernisse hinausgehoben, die einem Manne seiner Art sich auf dem Lebensweg entgegenstellten? Hatte es ihm nicht Flügel der Seele wachsen lassen, mittels deren er aus der Enge seines Vaterhauses und seiner kleinstädtischen Jugend zu den lichten Höhen des Ruhmes emporgestiegen war?

Dort vor ihm, über den Köpfen der dahintrabenden Gäule seines Reisewagens grüßten ihn, aus dem Nebel des Novembertages traumhaft sich abzeichnend, bereits die nahen Türme der großen, mächtigen Stadt, deren führende Häupter und erleuchtete Köpfe es sich zur Ehre anrechneten, dem Verfasser der »Deutschen Poeterey«, wozu noch manches andere Opus von Gewicht sich gesellte, ein Asyl, wer weiß vielleicht auf immer, bei sich bieten und ihn zu den Ihren zählen zu dürfen. Mußte es nicht glücken, sich dieser verwünschten polackischen Kommission, die man ihm mit den Seezöllen aufgehalst hatte, auf möglichst geschickte und behutsame Weise zu entledigen und gegenüber den maßgeblichen Personen der auf ihre Privilegien eifersüchtigen Stadt nur den bloßen Überbringer und simplen Boten zu spielen, den für den mißlichen Inhalt seines erpreßten Auftrages keine Schuld treffen könne?

Ja, dies war der Weg, den er einzuschlagen hatte. War die Lösung, für die er seinen Geist präparieren mußte. War sie nicht einfach genug? Einfach und schlagend zugleich, wie alle diese plötzlichen Erleuchtungen, die gleichsam vom Himmel her über uns zu kommen pflegen?

Opitz nahm sich vor, schon sobald als möglich, am liebsten gleich morgen, die erforderlichen Schritte zu tun, um sich der unbequemen Bürde, die je länger je mehr auf seine gute Laune drückte, schnellstens zu entlasten. Und als sei er jetzt schon davon befreit, schloß er die Augen, lehnte die reisemüden Glieder gegen das gepolsterte Verdeck seines Wagens und schlief für die letzte halbe Wegstunde, die ihn noch von seinem Logis in der Brotbänkengasse trennte, fest ein.

»Ja, seid Ihr es denn wirklich und leibhaftig, Herr Herzogl. Rat?« rief Marie Dorothee in überströmendem Glücksgefühl, als sie ihn in der geöffneten Haustür stehen sah und ihm den Reisesack, den er mit sich trug, aus der Hand nahm. »Ist es denn möglich? Welch eine Überraschung! ... Und nicht mit dem kleinsten Zeichen habt Ihr Kunde von Euch gegeben! Es reiten ja doch Boten hin und her zwischen Thorn und Danzig. Mußte man nicht denken, Ihr hättet über den schönen Polinnen Eure Danziger Freunde ganz und gar vergessen?«

»Wie hätte das sein können?« erwiderte Opitz, indem er ihre Hand ergriff und an sich drückte. »Hältst du dies Herz wirklich für so wankelmütig, für so wetterwendisch, Mädchen? Habe ich dir schon Grund dazu gegeben?«

Sie musterte ihn mit einem schnellen Blick und senkte dann den Kopf.

»Ihr seid ein großer Herr! Ein berühmter Mann, um den sich alle reißen! ... Und ich? Was bin ich?«

»Kein Wort weiter, Marie Dorothee! Sonst nehme ich dich vor aller Welt in den Arm und küsse dich sichtbarlich vor deinem Oheim ab, der da gerade die Treppe heruntersteigt!«

»Um Gottes willen! Nein!« rief sie abwehrend, mit gedämpfter Stimme.

Es war in der Tat Nigrinus, der streitbare Gottesmann, Opitzens Gastgeber, der auf einem Treppenabsatz erschien. Er mochte gehört haben, wie der Wagen vor dem Hause vorfuhr, und wollte sich überzeugen, wer gekommen war.

»Ich und mein Haus, wir grüßen Euch, amice,« erklang sein dröhnendes Wort, »und heißen Euch an der Euch schon bekannten Stätte wiederum von Herzen willkommen!«

»Habt Dank, freundwilliger Seelenhirte und Gottesstreiter!« rief ihm Opitz gutgelaunt entgegen. »Ihr seht, ich tue schon ganz so, als sei ich hier zu Hause und befände mich angesichts meiner eigenen Laren.«

Nigrinus war die letzten Treppenstufen herabgestiegen und streckte sichtlich erfreut dem Gast beide Hände entgegen.

»Wie solltet Ihr auch nicht, Verehrtester? Dies Haus ist ebensosehr das Eure wie das meine. Wißt Ihr das immer noch nicht, oder habt Ihr es etwa über den polnischen Komplimenten vergessen, mit denen man Euch sicher in Thorn einzuwickeln versucht hat? ... So laßt es Euch von dieser hier bezeugen, wie sehr wir unseren geschätzten Gastfreund während dieser grauen Nebelzeit, die Ihr draußen verbrachtet, vermißt haben.«

Er ergriff Marie Dorothee, die errötend etwas abseits stand, bei der Hand und zog sie dicht an sich heran, so daß sie sich Opitz Auge in Auge gegenüber befand.

»Nun? Willst du es unserem poeta aureatus nicht bezeugen, Marie Dorothee? Vielleicht glaubt er dem Erröten deiner Wangen mehr als dem ehrlichen Wort deines alten Ohms!«

»Ach! Was Ihr auch alles redet, Herr Oheim! Ihr bringt ja einen Menschen erst dazu, daß er rot werden muß!« rief Marie Dorothee und trat wie zufällig etwas tiefer in den Schatten des Hausganges.

»Die Studierstube unseres Gastfreundes ist doch aufgeräumt und in Ordnung?« fragte Nigrinus. »Ihr hättet sehen sollen, wie sich das Kind um Eure Folianten und Skripturen und alle Eure Sachen angenommen hat, Freund Opicius. Da hat jedes Stäubchen dran glauben müssen!«

Marie Dorothee warf mit einer lebhaften, halb schmollenden Gebärde den Kopf mit dem blonden Kraushaar zurück.

»Bei Euch in Eurer eigenen Studierstube duldet Ihr ja nicht, Herr Ohm, daß auch nur ein Stück angerührt wird, und wenn der Staub zolldick drauf liegt. Nächstens werden Mohrrüben wachsen.«

»Ach so!« lachte Nigrinus, ihr mit dem Finger drohend. »Da hast du dir den Herrn Herzogl. Rat als besser taugliches Objekt für deinen Staubwedel ausgesucht! Ja, ja, was einmal eine richtige Hausfrau werden will, das bückt sich beizeiten in alle Ecken und Winkel.«

»Pfui! Ihr seid schlecht, Herr Ohm!« schmollte Marie Dorothee. »Man meint es ja nur gut mit Euch Mannsleuten. Glaubt ihm nicht, Herr Herzogl. Rat!«

Opitz stand lächelnd und etwas zerstreut. Woran erinnerte ihn doch dieses Wortgefecht zwischen dem älteren Mann und dem jungen Mädchen? Hatte der Prediger nicht einmal eine Andeutung fallen lassen, daß er damit umgehe, Marie Dorothee zu seiner Hausfrau zu machen, als Nachfolgerin seiner jüngst verstorbenen zweiten Frau? Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

»Laßt es Euch nicht anfechten, Jungfer Marie Dorothee. Ein vom Sturm umhergeworfener alter Junggeselle wie unsereines weiß das frauliche Walten einer sorgenden Fee besser zu würdigen als so ein bärbeißiger Oheim und Gottesstreiter.«

Aber nun, setzte er nach einem Augenblick, während das Mädchen die Lider senkte, hinzu, sei es wohl an der Zeit, daß er seine Studierstube, sein Tusculum aufsuche und sich des Reisestaubes entledige.

»Bring' unseren Gastfreund an Ort und Stelle, wie es sich bei solchem feierlichen Wiedereinzug gehört!« befahl der Prediger seiner Nichte und trat den Rückweg in sein über den Opitzschen Räumlichkeiten gelegenes Obergelaß an.

»Und ja,« rief er noch über das Treppengeländer herab, »vergiß auch nicht, unserem Gastfreund von der Visite Kunde zu geben, die ihm der kuriose Besucher letzthin hat abstatten wollen, der Herr Martinus Serenus, oder wie er sich nannte.«

Was das für ein Martinus Serenus gewesen sei? erkundigte sich Opitz, als er hinter dem Mädchen her nun ebenfalls die Treppe zu seiner Behausung hinaufstieg.

Einen Herrn könne man so jemand wohl schwerlich nennen, meinte Marie Dorothee mit einem Blick hinter sich zu Opitz, eher schon einen richtigen Lumpazivagabundus, einen veritabeln Landstreicher mit einer Schnapsnase, für die allerdings Grund genug gewesen sei. Der ganze Hausflur habe nachher noch stundenlang nach Branntwein gerochen. Sie sei froh gewesen, als er sich endlich wieder trollte.

Was er eigentlich gewollt habe, fragte Opitz, der viel weniger erstaunt schien als das Mädchen. Es gab ja Merodebrüder und dergleichen Gesellen genug auf den Landstraßen und vor den Kirchentüren. In seinem unsteten Wanderleben hatte wohl manch einer von ihnen seinen Weg gekreuzt.

Er habe, erzählte Marie Dorothee, ganz hochtrabende Reden geführt von seinem Herzbruder, dem Herrn Herzogl. Rat, mit dem er auf der Hohen Schule zu Heidelberg Tür an Tür gehaust habe. Der sei ja mittlerweile zum poeta laureatus avanciert. Das sei kein großes Kunststück heutzutage; wenn es ihm selbst ernstlich darum zu tun gewesen wäre, so hätte er es am Ende auch dazu gebracht. Und was dergleichen Renommisterei mehr gewesen sei.

»Schon gut! Schon gut!« winkte Opitz ab. »Er wird schon wieder von sich hören lassen. Derartige Brüder sind anhänglich.«

Sie standen in Opitzens Studierstube einander gegenüber. Der Dichter faßte die Hände des Mädchens.

»Du hast ein Lächeln um die Mundwinkel, Marie Dorothee, als wenn dir etwas ganz Durchtriebenes durch den Sinn ginge!«

»Tut es auch,« erwiderte sie und senkte den Kopf. »Habt Ihr nicht gehört, daß er mir befohlen hat, Euch hierher zu geleiten?«

»Wer er?« fragte Opitz.

»Natürlich doch der Oheim. Es ist ihm also noch nichts aufgefallen. Bin ich eigentlich ein sehr schlechtes Geschöpf?« Sie senkte den Kopf.

»Das bist du nicht!« rief er und nahm ihr Gesicht zwischen seine beiden Hände.

»Doch! Doch!« beharrte sie und suchte sich ihm zu entziehen. »Wenn ein Mensch einem vertraut, und hinter seinem Rücken hintergeht man ihn, und er ahnt von nichts, dann ist man doch schlecht!«

»Wer aus Liebe sündigt, dem soll viel verziehen werden,« sagte Opitz mit einem tiefen Blick in ihre Augen.

»Wo steht das?« fragte sie mit einem unterdrückten Lächeln.

»Natürlich doch in der Heiligen Schrift. Wo denn sonst?«

»Wohl ein Text nach Eurer eigenen Auslegung?«

»Legt ihn sich nicht ein jeder von uns nach seinem eigenen Sinn aus?«

»Und der Eure lautet also?«

»Wer da liebt, der sündigt nicht. Und ihm soll viel verziehen werden.«

Sie schlang die Arme um seinen Hals.

»So küsse ich Euch zum Willkommen und zum Wiedersehen und zur Entschädigung für alle diese einsamen Tage! Viele, viele Male!«


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