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13

Am Nachmittag dieses Tages, der Opitz wieder unter das Dach seines Danziger Gastfreundes zurückgeführt hatte, fand in Sankt Katharinen die Trauung des Feldhauptmannes Gerhard von Proen mit der Patrizierstochter Anna von Schwarzwald statt. Die feierliche Handlung vollzog Johann Mochinger, derzeit Pastor und ehedem Prediger bei Sankt Katharinen, ein weitgereister Mann, der zugleich Professor am Gymnasio Academico war. Nach kirchlichem Recht hätte ja die Trauung in der Oberpfarrkirche von Sankt Marien, zu deren Pfarrsprengel die Familie der Braut gehörte, stattfinden müssen. Da jedoch eine langjährige Freundschaft den gelehrten Herrn Johannes Mochinger mit dem Schwarzwaldschen Hause verband, so hatte der Pastor von Sankt Marien in amtsbrüderlichem Einvernehmen auf sein kirchliches Anrecht verzichtet.

Es war nicht die letzte von den mancherlei Stadtneuigkeiten, die Marie Dorothee ihrem wiedergekehrten Herzensfreund aufzutischen wußte, während sie seinen Reisesack auspackte und seine Habseligkeiten wieder in die Truhen zurücklegte, darunter auch das goldbordierte Atlaswams, das Zeuge seiner ersten heißen Küsse gewesen war und das sie mit besonderer Hingebung zusammenfaltete. Ja, es sei ein großes Ereignis für Danzig, man habe schon soviel davon gesprochen, und keiner habe mehr so recht an diese Heirat geglaubt. Die halbe Stadt sei vor Sankt Katharinen zusammengelaufen. Kein Wunder auch! Nicht alle Tage bekomme man eine bekehrte Widerspenstige im Brautschleier zu sehen! So bewahrheite es sich denn leider, was die Mannsleute immer wieder zum Spott sagen, daß die Frauenzimmer ein neugieriges Geschlecht seien, fügte sie mit einem resignierten Achselzucken hinzu. Denn sie selbst habe sich auch unter die Menge an der Kirchentür hingestellt, um sich zu überzeugen, was für ein Gesicht eine mache, die um keinen Preis unter die Haube habe kommen wollen.

Sie lachte auf eine beklommene Art. Auch Opitz lachte in sich hinein. Ihm fiel ein, was es mit ihnen beiden selbst einmal in Zukunft wohl für eine Bewandtnis haben werde und ob das Mädchen, das sich so eifrig an seiner Kleidertruhe zu schaffen machte, in diesem Augenblick nicht vielleicht das gleiche dächte. Aber dann erschien es ihm doch ratsamer, diesem Einfall möglichst nicht weiter Raum zu geben.

Es war auch gerade jetzt nicht eben der geeignete Zeitpunkt, um verliebten oder gar Heiratsgedanken nachzuhängen. Die Pflichten, die der Augenblick auferlegte, erforderten unbedingt den Vortritt vor allen anderen Wünschen, Plänen und Illusionen, die doch im Hinblick auf seine Jahre und seine allgemeine Lebensposition nur eitel und töricht sein konnten. Da war zuvörderst die Angelegenheit der bisher den Schweden zugefallenen Seezölle, die die polnische Majestät in die eigene Hand zu bekommen wünschte. Hierüber würde eine Besprechung unter vier Augen mit dem Ratspräsidenten Bürgermeister Zierenberg wohl am schnellsten zum Ziel führen, sei dies nun Ablehnung oder Zustimmung. Opitz verhehlte sich nicht, daß die Auseinandersetzung mit dem zähen und verschmitzten Alten nicht gerade von angenehmster Art sein werde. Aber was sein müsse, sagte er sich, müsse sein. Ihm war nun einmal das Los zugefallen, im Dienste Fremder und Mächtigerer seine besten Kräfte verbrauchen zu müssen und das, was ihm eigentlich am Herzen lag und seine wahre Aufgabe hienieden war, hintanzusetzen.

Mit welchen Hoffnungen war er nicht vor wenigen Monaten nach Danzig gekommen! Die Reformation der Deutschen Dichtkunst, ihre Befreiung aus den Ketten der Fremdländerei, ihre Erhöhung aus der alltäglichen Plattheit und Niedrigkeit zünftlerischer Knittelreimerei, alle die großen Ansätze, zu denen er vor bald zwanzig Jahren im Feuer und Ungestüm der Jugend ausgeholt: er hatte sie im endlich erreichten Hafen auf dieser Insel des Friedens von neuem erwecken und zum glorreichen Ziel führen wollen. Und was war bisher aus all den schönen Plänen geworden? Nicht einmal ein Anfang war gemacht! Nicht einmal der für die Erreichung eines so weitgesteckten Zieles unentbehrliche Kreis von Anhängern, von Schülern, von Schildträgern war geworben, geschweige denn in Tätigkeit gesetzt worden! Da war dieser junge Mensch, dieser Gryphius, der ihm andere junge Schüler hätte zuführen und selbst ein brauchbarer Famulus für ihn hätte werden können. Hatte er den sich ihm Nähernden nicht aus törichter Eifersucht eher zurückgestoßen, anstatt dem Werdenden seine Hand entgegenzustrecken, ihn an seine Seite zu ziehen, ihn seinen Plänen dienstbar zu machen?

Was denn derweilen aus dem jungen Menschen, aus jenem adolescentulus, jenem Gryphius geworden sei? entfuhr es ihm plötzlich, sehr wider seinen Willen, als er in diesen Tagen gerade wieder Marie Dorothee im Hause begegnete. Jener adolescentulus, wie der Herr Herzogl. Rat den jungen Studiosus zu nennen beliebe, erwiderte sie etwas spitz, sei in den drei Wochen des Fortseins des Herrn von Opitz keine dreimal im Hause gewesen, zum Besuch beim Ohm Nigrinus, und jedesmal habe ihn sein Freund und Duzbruder, der junge Herr Christian, bei der Visite begleitet. Und wer nun wieder dieser junge Herr Christian sei? fragte Opitz. Er nenne sich Hofmann von Hofmannswaldau, gab Marie Dorothee zur Antwort. Mehr wisse sie auch nicht. Der Herr von Opitz möge doch den jungen Gryphius selbst nach seinem Freund Hofmannswaldau befragen, der ihres Erachtens offenbar auch ein Versemacher sei. Der Knicks, mit dem Marie Dorothee ihrer Wege ging, war anzüglich genug, und Opitz schüttelte nachdenklich den Kopf.

*

»Ja, seid Ihr's denn wirklich in persona, Herr Magister?« rief Bürgermeister Zierenberg dem eben die Schwelle seiner Amtsstube im Rathaus überschreitenden Poeten entgegen. »Von wannen kommt Ihr? Ihr überrascht mich! Es ging die Fama um, Ihr seid wieder zu den Herren Polen zurückgekehrt? Nun überzeugt Ihr mich eines Besseren.«

Er wies dem Besucher mit einladender Gebärde den Sitz ihm gegenüber am Tisch an und stützte das mächtige Löwenhaupt mit der noch vollen grauen Haarmähne auf seine Arme, wie um den aus dem Polenlager wiedergekehrten Gast möglichst scharf und eindringlich in Augenschein zu nehmen, ihn sozusagen auf Herz und Nieren zu prüfen. Der solchermaßen gleichsam Inquirierte merkte die Absicht wohl, beschloß aber, sich auf so einfache Weise nicht beirren zu lassen, vielmehr dem Richterblick aus diesen scharf sondierenden Augen ruhig standzuhalten und dem Fragenden von seinen Erlebnissen in Thorn knapp und akkurat Bescheid zu geben.

Als er mit seinem Rapport zu Ende war, in dem allerdings von dem gewissen kitzligen Punkt keine Erwähnung geschah, fragte der Bürgermeister, dem offenbar mit dem etwas einsilbigen Bericht nicht Genüge getan war:

»Und ist das alles, was Ihr zu berichten wißt? ... Fandet Ihr denn die polnische Majestät gut bei Laune?«

Opitz stutzte einen Augenblick. Was wußte man im Danziger Rat? Hatte man ihm nachspioniert?

»Ihr wundert Euch etwas, so scheint's?« warf der Alte mit einem anzüglichen Lächeln hin. »Aber Thorn liegt ja schließlich nicht am Ende der Welt. Unsere Kuriere legen den Weg, wenn es sein muß, in einem Tages- oder Nachtritt zurück. Und daß es immer etwas zu referieren gibt, dafür sorgen schon unsere Geheimen Sekretäre, die wir als unsere Geschäftsträger am polnischen Hoflager unterhalten. Einer von ihnen hat uns ein Briefchen über Eure geheimen Visiten beim Kazanowski und beim Radziwill, dem Wilnaer Krongroßfeldherrn, geschickt. Mit dem scheint Ihr ja dicke Freundschaft geschlossen zu haben? Oder war es der Koniecpolski, der Euch in seiner eigenen Kalesche nach Danzig zurückspediert hat? Bei so trefflichen Konnexionen wird es Euch gewiß auch nicht bei König Wladislaw gefehlt haben. Er ist ja ein leutseliger und huldreicher Souverän.«

Opitz hatte sich gefaßt.

»Eurer Magnifizenz Rede überrascht mich nicht. Es ist mir nicht unbekannt, daß Eure Magnifizenz und der Rat von Danzig ihre eigenen Späher und Zuträger bei den Polen unterhalten, wie dies ja an allen Höfen üblich zu sein pflegt. Mit einem von diesen kundigen Leuten hat mich in Thorn der Zufall sogar zusammengeführt, und ich habe ihm kein Geheimnis aus meinen Aufwartungen bei den verschiedenen Hofherren und bei Seiner Majestät selbst gemacht. Vielleicht ist er es, von dem Eure Magnifizenz ihre Wissenschaft bezogen hat?«

Zierenberg nickte schweigend vor sich hin.

»Eure Magnifizenz,« fuhr der Dichter fort, »wird in Anbetracht so ausgezeichneter Quellen dann auch wissen, daß mich nur der Zwang äußerer Umstände und die Pflicht der Höflichkeit gegenüber der Munifizenz der polnischen Majestät nochmals auf den Weg nach Thorn getrieben haben, nachdem ich hier in Eurem schönen und reichen Gemeinwesen bereits eine bleibende Statt gefunden zu haben glaubte. Hätte doch Gott gewollt, daß solches nicht notwendig gewesen und mir der nochmalige Weg zu den Polen erspart geblieben wäre.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Herr von Boberfeld?« fragte Zierenberg. »Möchtet Ihr Euch nicht deutlicher explizieren?«

Opitz runzelte die Stirn und strich sich den Kinnbart.

»Es soll damit gesagt sein, Euer Herrlichkeit, daß dieser nochmalige Besuch am Königlichen Hoflager der polnischen Majestät die Möglichkeit an die Hand gegeben hat, mir eine äußerst lästige und beschwerliche Kommission aufzuhalsen ...«

»Kommission? An wen?« fiel der Bürgermeister ein.

»An Eure Magnifizenz und Person.«

»Und die lautet? Hat sie etwa Bezug auf die leidigen Seezölle, mit denen wir wegen des jahrelangen Kriegszustandes sehr wider unsern Willen die schwedische Kriegskasse zu füllen nicht umhin konnten. Wie die polnische Majestät wissen könnte, sind wir seit Stuhmsdorf dieser Abgabe de jure et de facto ledig. Also was soll's noch mit den ewigen polnischen Querelen und Molestierungen?«

»Hierauf eine Antwort zu geben, Eure Magnifizenz, wäre Sache des polnischen Gouvernements, nicht die meinige.«

Zierenberg schüttelte den Kopf.

»Immerhin! Macht sich denn jemand, der eine üble Botschaft übernimmt, nicht quasi zum Fürsprecher besagter Botschaft dort, wohin er sie bringt? Mußtet Ihr Euch nicht sagen, Herr Herzogl. Rat, daß es eine verdrießliche Affäre für uns und Euch werden könne, in welche Ihr Euch da einließet? Habt Ihr denn gar kein Augenmerk darauf gehabt, was für ein feines Garn sie am polnischen Hoflager für ihre Netze spinnen? Nichts für ungut, Herr Herzogl. Rat! Aber wir Danziger hätten Euch für klüger gehalten, daß Ihr Euch den polnischen Praktiken nicht als blindes Werkzeug hergeben würdet!«

Opitz war kreideweiß geworden. Ihm war zumute, als öffne sich der Boden unter ihm, und er müsse versinken. Mühsam erhob er sich, mit beiden Händen sich auf die Tischplatte stützend.

»Eure Magnifizenz wolle den unglücklichen Boten einer unerwünschten Botschaft beurlauben, welcher damit zugleich sich von Eurer großmächtigen Stadt verabschieden möchte, wo er so wenig wohlgelitten zu sein scheint.«

»Nun, nun!« rief der Bürgermeister. »Man wollte Euch nicht kränken. Niemand streitet Euch ab, daß Ihr auf dem Felde der humanistischen Wissenschaften ein großer Gelehrter und zu allem übrigen auch ein berühmter poeta laureatus seid. Aber muß ein großer Mann der Verskunst auch ein großer Politiker sein? Das wäre gerade so, als wenn ich oder unser braver Freder – Ihr kennt doch den Syndikus? – uns aufs Tragödienschreiben verlegen wollten.«

Zierenberg hatte seine Worte mit einer dröhnenden Lache begleitet. Der Poet, der schon bedauerte, daß er sich von seiner Erregung hatte übermannen lassen, hielt es für das geratenste, sich der dargebotenen schmalen Planke über einen nicht ungefährlichen Moorgrund zu bedienen und setzte sich scheinbar zögernd wieder auf seinen Stuhl.

»Ein von des Geschickes Mächten übel Mitgenommener und Verfolgter,« erwiderte er, »dankt Eurer Magnifizenz für die gütigen Worte. Sie legen Zeugnis ab für den Scharfsinn gegenüber den Dingen des Lebens, mit dem der Himmel Euch begnadet hat, und für die Einsicht und weise Erfahrung, die Ihr Euren Jahren verdankt Nie wäre es mir beigekommen, mir mit einer derartigen Kommission die Finger zu verbrennen, wäre nicht eben die ... die Munifizenz der polnischen Majestät, der ich mich in meiner bedrängten Lage nicht entschlagen konnte, zur goldenen Fessel für mich geworden ...«

Er stockte, senkte den Kopf und schwieg.

»Ach! Wollt Ihr darauf hinaus?« rief der Bürgermeister. »Drückt Euch da der Schuh? Diesem Übel vermöchte unsere löbliche Stadt vielleicht ebensogut wie der Pole oder am Ende gar noch besser abzuhelfen. Unser Stadtsäckel wird es mit der polnischen Kronschatulle allerwege noch aufnehmen können, wie mich dünkt, und unser Kämmerer, der ja sonst die Hand fest auf dem Beutel hält, knausert nicht, wo es um das politische und kommerzielle Wohl der Stadt geht.«

»Wie? Eure Herrlichkeit wollte ...?« stammelte Opitz. »Habe ich recht verstanden?«

Zierenberg ließ seine zur Faust geballte Hand auf die Tischplatte fallen. Es gab einen festen und vertrauenswürdigen Ton.

»Wir Danziger,« sprach er, »meinen es so wie wir sagen, Herr Herzogl. Rat. Wendet Euch also vertrauensvoll an unseren Ratsherrn Kerschenstein, dem die Obhut über den Stadtsäckel zusteht. Er wird schon das Nötige von mir wissen, wenn Ihr bei ihm anklopft.«

Der Bürgermeister hatte sich erhoben. Auch Opitz war aufgestanden. »Eure Großmut, Magnifizenz, überwältigt mich!« stammelte er. »Seid meines ewigen und unauslöschlichen Dankes gewiß!«

»Den Ihr am besten abtragen könnt,« fiel Zierenberg ein, »wenn Ihr, Herr Herzogl Rat, bei Eurem nächsten Besuch am Königlichen Hoflager Eure Augen und Ohren recht weit offen haltet für alles, was Ihr dort seht und hört und was unsere gute Stadt und ihr Heil angehen könnte. Damit Gott befohlen, Herr von Boberfeld!«

Wenn Opitz in der ihm noch verbliebenen späteren Lebenszeit an diese Szene mit Zierenberg auf dem Rathaus zurückdachte, so wollte es ihm scheinen, daß er den freilich nur kurzen Heimweg um die nächste Ecke herum zu seinem Logis in der Brotbänkengasse wie auf Flügeln zurückgelegt haben müsse. Welch ein anderes Gesicht zeigte ihm die Zukunft doch als noch vor einer flüchtigen Viertelstunde! Mit wie ungewissem Mut war er die steilen Stufen zu dem Schlupfwinkel des alten Fuchses hoch oben emporgestiegen, in Vorahnung eines Austrags auf Biegen oder Brechen, wie er dann ja auch gekommen war! War es nicht ein mehr als waghalsiges Spiel gewesen, dem unwirschen, widerborstigen Alten und damit der reichen Stadt selbst, deren Haupt er war, die Freundschaft aufzukündigen? Um höchsten Einsatz, um eine schon gesicherte Lebensposition im Schoße dieses mächtigen und wohllebigen Gemeinwesens war es gegangen. Mißlang es, dann blieb nichts übrig, als abermals zum Wanderstab zu greifen und – ein schon Alternder, ein ewig Unbehauster – einer dunklen Zukunft entgegen in eine unbekannte Ferne zu ziehen, um gleich einem anderen Tantalus von neuem nach den ihm immer wieder entschwebenden Früchten am Baum des Lebens zu haschen. Doch was frommte es, sich all das mögliche Unheil zu vergegenwärtigen, das ihm im Falle des Mißlingens hätte widerfahren kennen, da er es doch durch einen couragierten Entschluß gebannt und sein Glück auf eine Karte gesetzt hatte! Wer wagt, gewinnt. Nur dem Mutigen lacht Fortuna. Hatte sie ihm nicht die gefahrvolle Auflehnung gegen das beleidigende Wort des alten Isegrimms, die der Wallung eines Augenblicks, ja vielleicht eben seinem schnell entzündlichen Blut entsprungen war, auf gänzlich unerwartete Weise gelohnt und ihm diese, wie es schien, einstweilen unbefristete und jeglichen Vorbehalts bare Dotation aus dem prallen Geldsäckel der reichen Handelsstadt eingetragen? Unter solchen seine Schritte beflügelnden Gedanken war der Poet unversehens in seiner Studierstube wieder angelangt und hatte sich auf seine Lagerstatt geworfen, um von der gehabten Aufregung, die ihm schon ein paar Tage vorher in den Knochen gelegen hatte, in einem mehrstündigen Schlaf Vergessen zu finden.

Die bleiche Sonne des kurzen Novembertages war bereits hinter den Dächern und Mauerzinnen der alten Stadt versunken und tiefe Dunkelheit breitete sich zwischen den Truhen und Bücherregalen von Opitzens Studierstube, als der Dichter von einem leisen und allmählich lauteren Pochen an seiner Stubentür erwachte und sich verwundert die Augen rieb. In der halb geöffneten Tür stand das Mädchen, stand Marie Dorothee, von der eben noch geträumt zu haben er sich kurz erinnerte. Stand mit einem flackernden Kienspan in der Hand da, der einen ungewissen Lichtstreif durch das Gemach bis auf Opitzens Lagerstatt warf.

»Schlaft Ihr noch immer, Herr Herzogl Rat?« fragte verwundert Marie Dorothee, deren krausblondes Haar im flackernden Widerschein des Kienspans in ihrer Hand wie ein Goldgespinst um ihre Stirn flimmerte. »Ich hab' Euch schon ein paarmal wecken wollen und angeklopft. Es ist schon bald Nacht. Ihr verschlaft das Abendbrot und alles.«

»Cynthia!« murmelte der Dichter noch schlaftrunken. »Cynthia! Licht meiner Dunkelheit! Traumbild meiner Nächte! Eben habe ich dich im Arm gehalten und dein Herz an meinem klopfen gefühlt! Komm! Mache aus dem Traumbild eine tausendmal schönere Wirklichkeit!«

»Ach, was Ihr doch redet, Herr von Opitz!« rief das Mädchen. »Seht Ihr denn nicht, daß ich bei Euch heizen will? Der Ofen wird schon ganz kalt sein, vom Morgen her. Es gibt Frost zur Nacht. Und Ihr werdet Euch in der kalten Stube noch einen Schnupfen oder sonstwas holen.«

Damit trat sie an den die eine Ecke des Gemachs behäbig ausfüllenden Kachelofen, schichtete die in ihrer Schürze mitgebrachten handfesten Fichtenholzscheite hinein und entzündete sie mit dem hell lodernden Kienspan, so daß im Ofen bald ein helles Feuer knackte und prasselte.

Opitz hatte sich von seiner Lagerstatt erhoben, nicht ohne sein vom Liegen arg zerknittertes Wams erst ordentlich zu glätten und zurechtzuzupfen, war mit ein paar federnden Schritten hinter das nah am Ofen hantierende Mädchen getreten, umschlang es halb von rückwärts und suchte es in seine Arme zu ziehen.

Marie Dorothee stieß einen halb unterdrückten Schrei aus.

»Was tut Ihr doch?! Laßt mich! Laßt mich! ... Wenn es der Ohm zu sehen bekäme ...!«

»Dieser von allen Göttern verlassene Aufpasser! Dieser hundertäugige Argus!« grollte der Poet, das Mädchen einen Augenblick aus seinen Armen entlassend. »Lauert er vielleicht hinter der Tür und horcht?«

Marie Dorothee, der manchmal der Schalk im Nacken saß, mußte unwillkürlich über den Zornausbruch des Dichters lachen.

Opitz faßte nach ihrer Hand und zog sie von neuem an sich.

»Was gibt es zu lachen?« fragte er geärgert.

»Weil Ihr ihn falsch beschuldigt!« erwiderte sie, noch immer lächelnd. »Er ist überhaupt nicht im Hause. Er hält in Sankt Petri Bibelstunde ab wie jeden Donnerstag.«

»O dann ... dann ...!« rief Opitz und schloß die kaum noch Widerstrebende voll in seine Arme, ihr die Antwort mit seinen Küssen wehrend, denen sie sich wie willenlos ergab.

Nach einem Weilchen ließ er sie frei, nahm ihr Gesicht, das die Erregung gefärbt hatte, zwischen seine Hände und blickte ihr in die halb geschlossenen Augen.

»Du falsches blondes Schlängelein! Erlustierst dich noch an meinem Verdruß? An meinem Leiden? Siehst du nicht, fühlst du nicht, wie ich deinethalben leide? Wie ich dich liebe? Wie ich mich nach dir sehne? Wie ich am Verschmachten bin nach dir?«

Sie schüttelte ungläubig den Kopf.

»Doch! Doch!« rief er und faßte von neuem ihre Hände. »Ist es nicht ein Jammer, daß ich dich nie ein Stündchen für mich allein habe? Daß immer dieser Aufpasser über jeden Schritt von dir wacht? Was will er denn von dir?«

Marie Dorothee wandte ihr Gesicht ab und lächelte wieder.

»Was wird er wohl wollen! Als Nachfolgerin von seiner Seligen! Von seiner Ersten! Wenn das Trauerjahr vorbei ist.«

»Ah! Sieh da! Der Gottesmann!« entfuhr es Opitz. »Und mir hat er es seinerzeit abgestritten. Es kann nicht sein. Du seiest seiner Schwester Kind und also sein eigenes Fleisch und Blut, an dem er sich nicht versündigen dürfe. So mußte man seine Worte verstehen. Er scheint es sich derweil anders überlegt zu haben.«

Er machte eine Bewegung von ihr weg, wie um dem Gedanken tiefer nachzusinnen. Das Mädchen seinerseits ließ die Arme sinken und wich, ohne es selbst zu merken, langsam zur Stubentür zurück. Der Zauber des Augenblicks, der sie beide in seinen Bann geschlagen hatte, schien mit dem Augenblick verweht.

»Willst du ihn denn zum Manne nehmen, Mädchen?« fragte Opitz plötzlich und machte wieder einen Schritt auf die noch an der Tür Verharrende zu.

Marie Dorothee zuckte die Achseln und warf trotzig, wie es Opitz vorkommen wollte, den Kopf zurück.

»Was bleibt unsereinem denn anderes übrig? Wenn man arm ist, muß man sich nach der Decke strecken, hat uns unsere Großmutter immer gepredigt. Ich hör' sie noch mit ihrem einen hohlen Zahn pfeifen. Also gut! Wenn der Ohm das nächstemal wieder davon anfängt ... Wie Gott der Herr will! Ich füg' mich drein. Ich bin ihm ja auch Dank schuldig, dem Ohm. Und den man haben möchte, den bekommt man ja doch nicht.«

Sie war mit einer flinken Wendung über die Schwelle hinausgeschlüpft und hatte die Stubentür hinter sich ins Schloß gedrückt, den ganz verdutzten Poeten sich selbst und seinen nicht eben rosigen Gedanken überlassend.


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