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6

Mattgoldene, einzig schöne Spätsommertage zogen über Stadt und Land, über die sich mählich verfärbenden Laubwälder der Küste wie über den weißen Dünenstrand dahin und spiegelten sich in der kristallblauen oder bisweilen auch bernsteinfarbenen Meeresflut. Opitz, der ein gewandter und ausdauernder Reiter war, hatte sich die Schönheiten und Reize der abwechslungsreichen Landschaft, in die die alte, festumgürtete Stadt eingebettet lag, mit ein paar tüchtigen Ritten vor den Toren bald zu eigen gemacht. Tiefe, in Einsamkeit verlorene Waldschluchten mit murmelnden Rinnsalen, überraschende Ausblicke von sandigen Bergkuppen inmitten dichten Gestrüpps erschlossen sich seinen Augen. Aber es war nur die Neuheit des Gesehenen, nur der Reiz des Unbekannten, was seinen Geist anzog und seine Phantasie beschäftigte. Kein Ton des dichterischen Saitenspiels wurde dadurch zum Erklingen gebracht. Nicht selten, wenn er dann, zwar an Leib und Sinnen erfrischt, wieder zwischen seinen Bücherregalen saß, wandelte ihn plötzlich das Gefühl einer trockenen Unfruchtbarkeit, einer tödlichen inneren Leere und Wüstenei an, das ihn vor sich selbst erschaudern und ihn all sein bisheriges Tun und Wirken im grauen freudlosen Dämmerlicht eines trüben Novembertages erblicken ließ. So mußte es jenen Seelen in der Unterwelt, jenen Anverwandten des Tantalus, zumute sein, die dazu verdammt waren, immer etwas zu wollen und es niemals zu können.

Marie Dorothee, die er bei sich selbst jetzt Cynthia zu nennen pflegte, begegnete er nur noch selten im Haus oder auf der Treppe. Es schien, daß sie seit jener etwas verärgerten Begegnung sich ihm zu entziehen suchte. Als er ihr für die hübschen Röschen im Wasserglas danken wollte, nahm sie es mit einer kühlen und fremden Miene auf, so daß ihm die Lust zu vielen Worten oder gar zu einer neuen Frage nach dem jungen Poeten und Nebenbuhler verging.

Was diesen betraf, so konnte er ja von seinem Gastgeber und Hauswirt Nigrinus, mit dem er gelegentlich am Abend zusammensaß, alles Nötige erfragen. Da traf es sich gut, daß Nigrinus selbst einmal auf den jungen Scholaren zu sprechen kam und von dessen Wunsch berichtete, sich ihm, Opitz, als dem Großmeister der deutschen Poeterei einmal persönlich präsentieren und ihm seine dichterischen Anfangsversuche, gleichsam die ersten Schößlinge seines poetischen Frühbeets, vorlegen zu dürfen.

Der junge Mensch, so erzählte Nigrinus, habe eine harte und bittere Jugend gehabt. Vater- und bald auch mutterlos, sei er in den blutigen Kriegsläuften, die zu jener Zeit besonders sein schlesisches Heimatland verheert hatten, aufgewachsen und schon in früher Jugend um seines väterlichen Erbes willen in arge Händel mit seinem angeheirateten Stiefvater, einem Magister und Prediger zu Fraustadt, geraten. Aber wen der Herr lieb habe, den lasse er seine Zuchtrute fühlen. So sei denn in dem jungen Menschen durch alles solches Ungemach schon frühzeitig das Bewußtsein von der Schwere des Lebens und dem einem jeden darin auferlegten Pensum erweckt worden. Er habe sich auf eigene Faust gelehrten Studien zugewandt und als Autodidakt die klassischen Sprachen erlernt, dazu auch noch Polnisch und Schwedisch, dieses im Umgang mit den schwedischen Soldaten, sowie Italienisch, Englisch und Französisch betrieben.

»Demnach ein Allerweltsgenie, das da in Eurem Hause aus und ein geht!« warf Opitz ein, als Nigrinus eine kurze Pause in seinem Bericht machte. Wie und wodurch der junge Polyhistor denn nun eigentlich grade nach Danzig verschlagen worden sei?

Durch die gleichen Umstände, die auch ihn, den Fragenden selbst, aus dem Schlesierland hierher an die Ostsee getrieben hätten. Durch die blutige Kriegsfurie und deren hinter ihr herziehendes greuliches, schlangenköpfiges Stiefgeschwister, die Pest, entgegnete Nigrinus.

»Die Pest ...? So! So!« wiederholte Opitz zerstreut.

»Die Pest! Jawohl!« betonte der Prediger mit Nachdruck.

»Seid Ihr ihr noch niemals auf Euren vielen Kreuz- und Querzügen durch Europiens Lande begegnet?«

Opitz, der noch immer zerstreut schien, schüttelte schweigend den Kopf.

»So habt Ihr eben ein ganz besonderes Glück gehabt!« sagte Nigrinus mit einem zweifelhaften Lächeln. »Paßt nur auf, daß sie Euch nicht doch noch mal über den Weg läuft.«

»Kann man seinem Schicksal entgehen, Freund Nigrinus?« erwiderte der Dichter. »Und glaubt Ihr, daß wir sie auch noch hier in Danzig bekommen werden?«

»Es wäre bei Gott nicht das erstemal!« rief Nigrinus. »Als wir sie das letztemal hier hatten, vor einem viertel Säkulum und darüber, da hat jeder fünfte Mensch in unseren Mauern dran glauben müssen. Von denen, die's überlebt haben, wird so leicht keiner jene schlimmen Pestjahre vergessen.«

»Laßt uns von etwas Erbaulicherem reden, Freund Nigrinus!« rief Opitz ablenkend. »Sagt mir doch, hat mein junger Landsmann, den Ihr des Verkehrs in Eurem Hause würdigt, Euch bereits in seine dichterische Werkstatt eingeführt?«

Der Prediger nickte lebhaft.

»Eine Tragödia ›Der Kindesmörder Herodes‹. Er hat sie in zwanzig Tagen zu Papier gebracht.«

»Nun, und ...? Was haltet Ihr davon?«

»Es ist die Klaue des Löwen, die sich kundgibt!«

»Ei! Ei! Wenn Ihr das sagt, dessen scharfe Zunge und spitze Feder mir wohlbekannt sind ...! Es dürfte sich also verlohnen, einen Blick in die opuscula des jungen Adepten zu tun?«

»Ohne Zweifel! Ihr werdet einen dankbaren Schüler und Verehrer Eures poetischen Ingeniums in ihn finden.«

»Nun gut, Freund Nigrinus! Sagt ihm, daß ich ihn empfangen will.«

Der Prediger legte seine Hand auf Opitzens Schulter.

»Ihr tut mir einen Gefallen damit, Herr Herzogl. Rat. Übrigens wird der junge Mensch nicht mehr lange ins Haus kommen. Er verläßt binnen wenigen Monaten Danzig, um in seine Heimat zurückzukehren, nachdem er seine Studia an unserem Gymnasio Academico absolviert haben wird.«

Opitz lächelte. Er glaube jemand im Hause zu kennen, dem sein Scheiden wehtun werde. Nigrinus stutzte einen Augenblick und lächelte dann ebenfalls. Es sei wohl sein Schwesterkind Marie Dorothee mit dieser Anspielung gemeint. Nicht unbekannt sei es ihm, daß die beiden sich gern hätten, wie es nun einmal zwischen jungen Menschen dieses Alters, die sich öfter begegneten, unvermeidlich sei. Aber Marie Dorothee sei klug genug, zu wissen, daß eine Neunzehnjährige und ein Zwanzigjähriger wie dieser junge Gryphius niemals zusammenkommen könnten. Denn nach einem Gesetz der Natur müsse zwischen Mann und Weib, die einen Ehebund eingehen wollten, ein Unterschied von wenigstens zehn, wenn nicht sogar zwanzig Jahren bestehen.

Somit würde denn auch für einen älteren Hagestolz, wie er selbst einer sei, bemerkte der Dichter mit ironischer Miene, die Aussicht aufgetan bleiben, es noch zu einem jungen Weibchen zu bringen.

»Laßt Euch die Mühe nicht verdrießen!« lobte der Prediger. »Unter den Töchtern des Landes wird sich schon eine finden, die zu Euch paßt. Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Ich erfahre es tagtäglich an mir selbst, seit Gott der Herr nach seinem ewigen Ratschluß mir meine tugendsame Hausehre genommen und mich zum Witwer gemacht hat.«

Opitz glaubte, auf dem Gesicht des Gastfreundes noch etwas zu lesen, das ungesagt blieb, und ahnte, was es war.

»Habt Ihr nie daran gedacht ...?« fragte er und stockte nun seinerseits wie vor etwas Voreiligem und Unziemlichem.

»Ihr wollt sagen,« fiel Nigrinus ein, dem sich damit die Zunge zu lösen schien, »Ihr wollt sagen, es liege eigentlich nahe genug für mich, mein Schwesterkind Marie Dorothee zum Weibe zu nehmen, und habt damit den Nagel auf den Kopf getroffen oder, wenn dies gar zu sehr nach dem Grobschmied klingt, habt das Kind beim rechten Namen genannt. Ich will Euch, da Ihr es mir ohnehin vom Gesicht abgelesen habt, offen bekennen, daß mich die Versuchung, es zu tun, mit jedem Tag oder richtiger mit jeder Nacht, die das Mädchen länger in meiner Nähe weilt, stärker anwandelt und mich fürs erste nur der Umstand, daß es mein eigenes Fleisch und Blut ist, noch in Zucht und Banden hält. Verurteilt mich darob nicht zu streng, Herr Herzogl. Rat, und begreift, daß ich eben deshalb, nämlich zu meiner eigenen Buße und Läuterung, dem jungen Schlesier die Küsse nachsehe, die er sehr wider meinen Willen dem Mädchen wegstehlen mag.«

»Ihr seid nicht nur ein gottesfürchtiger Mann, wie sich das für Euren Stand geziemt!« lachte Opitz. »Man könnte Euch auch einen Weisen, einen Philosophen nennen, da Ihr das, was Ihr nicht bekommen könnt, mit so schöner Bußfertigkeit von Euch zu tun wißt.«

»Oho, Freund Opitz!« rief der Prediger, in das Lachen mit einstimmend. »Kommt Ihr mit der alten Fabel vom Fuchs und den Trauben? ... Aber spottet mein nicht allzusehr! Es könnte doch wieder einmal der alte Adam erwachen und mit dem Satan, der immer siehet, wen er verschlingen könne, Maschkupie machen.«

*

An einem Nachmittag dieser melancholisch schönen Septembertage, deren schon ermattendes Sonnenlicht Opitz an nicht mehr fernes Abschiednehmen und Verlöschen gemahnen wollte, saß der Dichter, wie meist um diese für ihn fruchtbare Stunde, über seine Folianten gebeugt, im Begriff, ein frühmittelalterliches Helden- und Heiligengedicht in die Sprache seiner eigenen Zeit zu übertragen, als es unvermutet an seiner Tür klopfte und Gryphius, der junge schlesische Landsmann und Poet, in etwas verlegener Haltung, einige Schreibhefte unter dem Arm, auf der Schwelle stand. Ob es erlaubt sei einzutreten? Sein väterlicher Gönner, der Herr Prediger Nigrinus, habe ihm von der ausnehmenden Güte des Herrn Herzogl. Rats, ihn empfangen zu wollen, erzählt und ihm Mut gemacht, seine noch unfertigen Poemata dem Großmeister der deutschen Poeterei zur Durchsicht zu unterbreiten.

Opitz, der sich auf seinem Stuhl umgedreht hatte, fand, während der junge Mensch seine Reverenz machte, Zeit genug, ihn etwas näher in Augenschein zu nehmen. Eine mittelgroße, noch zu schmale Gestalt, dafür ein kurzer, stämmiger Hals und ein für die vorhandenen Maße viel zu großer Kopf mit breiter Stirn, dunklen, fast kreisförmigen Augenbrauen und tiefliegenden schwarzen Augen von melancholischem Ausdruck. Dies war das nicht unsympathische Bild, das Opitz von dem jungen schlesischen Landsmann empfing.

»Kommt näher, zieht Euch einen Stuhl von der Wand an den Tisch heran und setzt Euch, amice!« sagte Opitz und fuhr dann fort: »Ihr braucht Euch bei mir kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ich bin auch einmal jung gewesen, wie Ihr, und habe um die Gunst Apolls und der Musen geworben und habe mir dazumalen nicht träumen lassen, daß einmal eine Zeit kommen werde, wo ich zur Erkenntnis gelangt sein würde, daß alles solches Werben und Streben nur wie ein vom Wind verwehtes Blatt sei und nur der flüchtige Traum einer Morgenstunde.«

Auf dem Gesicht des jungen Dichters malte sich bei den schwermütigen Worten des Älteren ein lebhaftes Einverständnis.

»O hier! Hier! Hier!« rief er mit überströmendem Gefühl. »Also ist es doch richtig und wahr, was ich hier zusammengedichtet habe! Ein so großer Meister der Verskunst bestätigt es mir.« Er breitete eines der Schreibhefte, die er auf den Tisch gelegt hatte, vor Opitz aus und deutete auf die Überschrift eines Gedichtes, die in kalligraphisch schönen Buchstaben dastand: »Vanitatum vanitas!«

»Eitelkeit der Eitelkeiten!« murmelte Opitz vor sich hin und las die ersten Verse des Poems.

»Die Herrlichkeit der Erden
Muß Rauch und Aschen werden,
Kein Fels, kein Erz kann stehen.
Dies was uns kann ergetzen,
Was wir für ewig schätzen,
Muß als ein leichter Traum zergehen.«

Opitz nickte mit aufrichtiger Zustimmung.

»Wohl versifizieret, junger Freund! Ich sehe, Ihr seid des poetischen Handwerks kundig und wißt auch eine tiefere Bedeutung in Vers und Wort zu kleiden. Man braucht Euch nicht mehr viel zu lehren, und woran es noch etwan gebricht, das werdet Ihr mit der Zeit schon aus dem eigenen Born heraufholen. Ihr müßt nur den Schöpfeimer bis auf den Grund des Brunnens stoßen lassen.«

Gryphius hatte mit gefalteten Händen und gesenktem Kopf den lobspendenden Worten des soviel Älteren, des schon anerkannten Meisters gelauscht. Die Kruste des angeborenen Mißtrauens, die ihm noch eben den Hals zugeschnürt hatte, schmolz dahin. In unsäglichem Glücksrausch griff er nach der Hand des großen Landsmanns, die ihm dieser lächelnd überließ, und rief:

»So ratet Ihr mir also, Herr Herzogl. Rat, den Pfad zum Parnaß, den ich eingeschlagen habe, guten Mutes fortzusetzen und des – ich gestehe es – mühsamen weiteren Emporklimmens nicht müde zu werden? Und glaubt Ihr, daß ich einmal des Lorbeers teilhaftig werden kann, wie er sichtlich Euer Haupt krönt?«

»Haltet ein, mein Freund!« rief Opitz und machte eine abwehrende Bewegung. »Und unterscheidet zweierlei! Ingenium und Sukzeß. Ingenium oder auch Talent, kann man es nennen, ist das eine, Ihr habt es! Was sich mir hier in dem Heft darbietet, tut es kund. Aber auch schon das eine Versifikat würde als Probe genügen. Ein zweites jedoch ist die Frage, ob das vorhandene Ingenium stark und ausdauernd genug sein werde, es auch zu dem notwendigen Sukzeß im Leben zu bringen, als wovon doch alles für uns abhängt. Ihr kennt das Wort aus der Väterzeit vom Handwerk, das goldenen Boden hat und haben muß, wenn es manchmal gleich nur von Silber sein mag. Glaubt mir, auch unser Handwerk kann nicht gedeihen ohne den goldenen Boden. Auch zum Verseschmieden und Bücherschreiben, nicht nur zum Kriegführen, wie es in unseren Tagen ein kaiserlicher General einmal in Worte gefaßt hat, gehört Geld, Geld und wiederum Geld. Ob und wie aber ein jeglicher von uns, die diesem riskanten Handwerk obliegen, es auch zu dem verwünschten Gelde bringt und zu dem hierfür unerläßlichen äußeren Sukzeß, nennt ihn nun Ruhm oder Lorbeer oder wie sonst, das steht in Gottes Hand und läßt sich auf keine Weise vorbestimmen, auch nicht, sofern das größte Ingenium im Spiel sein mag. Denn es ist ja nicht so – auch das beachtet! –, daß einmal gewonnener dichterischer Lorbeer und das ihn begleitende tückische Gold uns nun unser Leben lang treu bleiben wie ein vor Gottes Altar uns angetrautes Ehegemahl, sondern sie sind eher vom Schlage jener gleisnerischen Kurtisanen, die heute dem ihre Gunst schenken und morgen einem anderen und so fort. Und je mehr Ihr ihnen nachlauft, desto gewisser kehren sie Euch den Rücken. Nehmt selbst meinen eigenen Fall! Seit zwanzig Jahren erklingt der Name des Verfassers der deutschen Poeterey durch alle deutschen Lande und weit darüber hinaus. Also auch der äußere Sukzeß hat nicht auf sich warten lassen, so scheint's. Und doch! Wie Ihr mich hier seht, habt Ihr einen Mann vor Euch, der nicht einen Zollbreit Grund und Boden sein eigen nennt, und alles, was er an Hab und Gut besitzt, könnt Ihr mit einem Rundblick in diesen vier Wänden umfassen, abgesehen von ein paar geflickten Hemden und alten Schwarten unten in meiner Stube, die mir der würdige Herr Nigrinus abgetreten hat, so daß also das Wort des alten Lateiners ›Omnia mea mecum Porto‹ in seiner vollen Bedeutung auf mich zutrifft. Laßt Euch das zur Lehre dienen, junger Freund, und erwartet von Eurem dichterischen Ingenio im höchsten und besten Falle vielleicht den nur allzu schnell dahinwelkenden Lorbeer, aber nie und nimmer die von uns allen in jungen Tagen erträumten goldenen Früchte oder sonstwelche klingende Münze, womit Ihr Eure leibliche Notdurft bestreiten könntet. So! Das wäre der langen Rede kurzer Sinn, der Euch zu Eurem Nutzen eingehen möge. Und jetzt, mein junger Herr Gryphius, seid bedankt für Euren Besuch, und wenn Ihr wieder etwas Rechtes zu Papier gebracht zu haben meint, sollt Ihr nicht umsonst an meine Tür klopfen. Es wird Euch aufgetan werden.«

Martin Opitz machte eine verabschiedende Bewegung. Aber der junge Schlesier schien noch etwas auf dem Herzen zu haben. Opitz sah ihn fragend und etwas ungeduldig an. Er, Gryphius, kam es stockend heraus, habe noch einen jüngeren, gleichfalls den Musen opfernden Herzbruder und schlesischen Landsmann am Gymnasio Academico, der vor Begierde brenne, dem großen Meister seine poetischen Elaborate auf den Tisch legen zu dürfen.

»So bringt ihn in Gottes Namen das nächstemal mit!« rief Opitz. »Aber daß Ihr mir nicht etwa alle schlesischen Versemacher, die es wie Sand am Meer gibt, auf den Hals hetzt! Mit Euch und Eurem Herzbruder ist es genug! Wie nennt er sich denn, der neue Ariost oder Torquato Tasso?«

»Christian Hofmann von Hofmannswaldau heißt er, Herr Herzogl. Rat. Guter angesehener Eltern Kind! Er verehrt Euch über die Maßen!«

»Schön! Er mag kommen! Und damit Gott befohlen!«

Die Tür hatte sich hinter dem Scholaren geschlossen und Opitz wandte sich von neuem der altdeutschen Handschrift zu, die vor ihm auf dem Tisch lag. Aber er fühlte bald, daß er abgelenkt war und seine Gedanken sich nicht wieder auf die gelehrte Arbeit sammeln wollten. Er ließ die Hände in den Schoß sinken und legte sich in den Stuhl zurück. Hatte sich nicht soeben erfüllt, was ihm erst kürzlich als zu erhoffend durch den Sinn gegangen war? Der erste Jünger und Schüler in dieser hyperboräischen Stadt, durch die magische Kraft seines Namens angezogen, hatte sich eingefunden! Ein zweiter stand gewissermaßen schon vor der Tür! Andere würden folgen, trotz aller aufrichtig gemeinten Abwehr dagegen. Bald würde der Name Opitz als Banner über einem Kreise von Anhängern und Schülern wehen. Die ersten Schritte in dieser Stadt der reichen Getreidehändler und Schiffsmakler waren getan, und wie lange noch, so würden sich die Türen aller großen Häuser vor ihm öffnen. Aber auch noch ein anderes! War es nicht die Jugend selbst, die in der Person dieses Zwanzigjährigen, dieses Zukünftigen erschienen war, um ihm ihre Verehrung zu bezeigen? Und wessen Namen die Jugend auf den Lippen führte, wenn sie ihre Disputationen untereinander oder wohl gar mit den Doktoren auf den Kathedern vollzog, dem konnte auch der Rattenzahn der gefräßigen Zeit, der selbst die festesten Säulen zernagte, nichts anhaben, und noch kommende fernste Zeiten würden ihn im Gedächtnis behalten.

Opitz litt es nicht länger an seinem Arbeitstisch. Er fühlte, wie seine Brust von diesem Wissen sich höher hob und sein Herz schneller schlug. Er trat ans Fenster und öffnete es. Lärm spielender und sich balgender Kinder drang von der Gasse zu ihm herein. Diese da, die noch ahnungslos draußen im herbstlichen Sonnenlicht herumtollten und sich mit knallenden Worten im Danziger Platt bewarfen, würden einst, wenn sie groß geworden, ihren Nachfahren, ihren Kindern und Enkeln, am geheizten Ofen zur Winterszeit erzählen, in der Gasse hier, wo sie als Kinder gespielt hätten, habe der berühmte Herr Martin Opitz von Boberfeld gewohnt und ihnen vom Fenster aus manchmal zugesehen.


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