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Die Herberge »Zum blauen Pomuchel« befand sich in einem von der Straßenfront ein Stück weit zurückliegenden Hinterhause einer finsteren Altstadtgasse. Man durchschritt einen hofartigen, holprig gepflasterten Raum zwischen einer hohen kahlen Hauswand links und einer langgestreckten Remise rechts und gelangte über eine jener steilen Hühnerstiegen, wie man sie in so vielen alten Häusern der Stadt antraf, in das sogenannte Hängestockwerk, das dem Ausschank für die Stadtgäste diente, während die Fremdenzimmer der Herberge sich auf die oberen Stockwerke verteilten.

Hier walteten seit mehr als dreißig Jahren hinter der mit einem Aufbau von Schnapsflaschen bestellten Tombank die Wirtsleute Nathanael und Euphrosyne Thiel. Nathanael war ein großer schwerer Mann gegen Ende fünfzig, mit einem martialischen Schnauz- und Knebelbart und listig zwinkernden Augen unter buschig überhängenden Brauen. Euphrosyne, seine Ehehälfte, etwa ein Jahrzehnt jünger als er, an sich schon klein und schmächtig, schien neben dem vierschrötigen Gestell ihres Mannes beinahe zu verschwinden, brachte sich aber, wie es oft von kleinen Frauen gegenüber riesigen Männern zu geschehen pflegt, durch ein sehr entschiedenes Wesen und ein gehöriges Mundwerk ausreichend zur Geltung. Ihr oblag, mangels einer anderen Hilfe, die Bedienung der meist einfach bürgerlichen Gäste, während Nathanael den Bierzapfer machte und neben dem Schnapsausschank für den dampfenden Grog sorgte, der die Spezialität und besondere Anziehungskraft der Schenke war. Im übrigen war er kein Freund von allzuviel Tätigkeit und Beschäftigung, haßte jede unnütze Lauferei und saß am liebsten auf seinem hochbeinigen Schemel hinter dem Ladentisch wie ein Hausgötze auf seinem Postament, das Gebaren der Gäste beobachtend und dann und wann wohl auch ein derbes Witzwort dazwischen feuernd.

Als Opitz in der schon zeitigen Dämmerung eines nebligen Septemberabends mit seinem ortskundigen Begleiter Hünefeld die Schenke »Zum Pomuchel« betrat, saß in dem engen verschlagartigen Nebenraum, der für Vorzugsgäste bestimmt war, erst einer der Männer der Einhornrunde, eine lange dürre Gestalt in mittleren Jahren mit wallendem Vollbart und Glatze über einem schon ergrauenden Haarkranz. Es war Johannes Plavius, einer der gesuchtesten Gelegenheitsdichter der Stadt, Verfertiger ungezählter Hochzeits- und Trauercarmina und anerkannter Häuptling der Einhorngesellschaft, der in allen ihren Angelegenheiten ein gewichtiges Wort zu sprechen hatte. Hünefeld hatte Opitz bereits vorher alles Notwendige über den aus Plauen im Vogtland Gebürtigen, daher er sich Plavius nannte, zu wissen kundgetan. Dieser vogtländisch-sächsische Landsmann hatte sich bereits vor einer Reihe von Jahren am Mottlaustrand ansässig gemacht und war durch seine unerschöpfliche Kunstfertigkeit im Versemachen und durch die seinem Volksstamm arteigene geschäftliche Betriebsamkeit sehr bald zu Namen und Ansehen in der diesem Zweige des poetischen Handwerks seit jeher zugetanen Handelsstadt gelangt. Es hieß von ihm, daß er eifersüchtig auf die Wahrung seiner poetischen Vorrangstellung in Danzig bedacht sei und in jedem Neuankömmling, der der poetischen Gilde zuzuzählen war, einen gefährlichen Nebenbuhler wittere, dem ein Bein gestellt werden müsse.

Opitz, solcherweise von seinem buchhändlerischen Mentor unterrichtet und gewarnt, verneigte sich mit der Hand auf dem Herzen und allem anderen gebotenen Zeremoniell vor dem einflußreichen und mächtigen Kollegen in Apoll, der diese Huldigung in der gleichen, etwas übertriebenen Weise erwiderte und den Gast nicht ohne Feierlichkeit willkommen hieß.

»So bewahrheitet es sich denn, was sich seit Tagen die Eingeweihten unserer löblichen Stadt, die Auguren und Hohepriester der heiligen Dichtkunst zuflüstern,« sagte der Plauener, während ein erzwungen verbindliches Lächeln über seine zerknitterten Züge glitt, »der Großmeister unseres Ordens, der berühmte Martin Opitz von Boberfeld, hat seinen Einzug in unsere Mauern, in unsere bemoosten Wälle gehalten. Rüstet eure Posaunen, ihr Männer von Jericho! Tretet an, ihr Tubabläser! Der Herr hat Großes an uns vollbracht!«

»Auf keinen Fall etwas Größeres als an jenem Tage, da des Herrn Gnade Euch selbst, mein Herr Plavius, in die Mauern dieser ebenso schönen wie opulenten Stadt führte,« erwiderte Opitz, dem es nicht an Schlagfertigkeit gebrach.

»Eure Worte ehren mich über die Maßen, Herr Opitz von Boberfeld,« entgegnete Plavius. »Nur irrt Ihr Euch leider, denn dazumal, als ich in Danzig meinen Einzug hielt, hat in dieser Böotierstadt noch kein Hahn nach mir gekräht, indessen Euch, gleich als einem gekrönten Fürsten, die Fama schon um einige Tage vorauszog und Euren Ruhm durch alle Gassen trompetete. Da sie jedoch, wie alle Weibsbilder, launisch und wetterwendisch ist, so traget Sorge, daß sie Euch nicht zur Unzeit den Rücken kehre.«

Opitz hatte an dem runden Tisch Plavius gegenüber Platz genommen und verneigte sich.

»Ihr seid zu gütig, mein Herr Plavius! Nehmt meinen innigsten Dank für Euren vortrefflichen Rat, der Euch sicher von Herzen kommt und den ich getreulich zu befolgen gedenke.«

Beide Männer musterten einander mit Blicken, deren Pfeilspitze Schärfe die öligen Worte Lügen strafte. Ein paar Augenblicke herrschte Schweigen, währenddessen Hünefeld zwei Gemäße Grog für sich und seinen Gast bestellte.

»Nanntet Ihr nicht vorhin diese Stadt opulent?« begann Plavius, den Faden wieder aufnehmend. »Ja! Opulent mag man sie heißen. Aber nur in Ansehung derjenigen, die hier seit Olims Zeiten sitzen wie die Made im Speck! Die ihren angestammten Platz auf den Bänken im Artushof haben bei einer der Brüderschaften und ein Haus gleich nebendran am Langenmarkt ihr eigen nennen! Die ihre Schiffe mit Weizen auf der See oder Flöße mit Holz aus Polen auf der Weichsel schwimmen haben. Ja! Für die mag es zutreffen, was Ihr von dem opulenten Danzig geredet habt. Aber in allem übrigen ... Gott erbarme sich! Für einen Mann von Geist und poetischem Ingenio hängen hierzulande keine Spickgänse und keine Fleischwürste in den Räucherkammern, und der rote Franzwein oder der Portugieser, der Xeres oder Madeira, den die Dreimaster, die an der Langenbrücke festmachen, aus Frankreich oder Spanien mitbringen ... über unsere Lippen kommt kein Tropfen davon, geschweige denn, daß man sich mal einen rechtschaffenen Rausch davon zulegen und sich unter den Tisch saufen könnte, wie man's bei der Sippschaft im Artushof ein paarmal die Woche erleben kann! Nein! Nein! Geht mir doch ab mit der Opulenz hierzulande! Für unsereinen, der mit seinen Versen hunderte und hunderte an den Traualtar und ins Ehebett und andere hunderte und hunderte zur letzten Ruhestätte bei Sankt Marien oder Sankt Katharinen geleitet hat, für den langt es höchstens zu ein paar Schluck von dem heißen Teufels- oder Göttertrank hier! ... Gebt Ihr mir nicht recht, Hünefeld?«

Der Buchhändler hatte mit gekreuzten Armen über sein Grogglas weg dem langen Sermon des anderen zugehört und mehrmals ungeduldig den Kopf geschüttelt.

»Euer altes Klagelied, Herr Plavius, über die Böotier, unter denen Ihr hier Eure Tage zu vertrauern habt! Aber warum tut Ihr es? Wer zwingt Euch denn dazu? Und warum habt Ihr nicht längst den Staub, der wahrlich im Sommer dick genug hier in den Gassen liegt, von Euren Füßen geschüttelt?«

»Ihr redet wie der Blinde von der Farbe, mein guter Hünefeld!« erwiderte Plavius und warf dem Buchdrucker einen giftigen Blick zu. »Begreift Ihr denn nicht, daß einem Mann von Geist, der von seiner Feder, will sagen, von seinem Gehirnschmalz sein Leben fristen muß, oft genug nichts anderes übrig bleibt, als nach dem alten Spruch zu handeln: Wess' Brot ich ess', dess' Lied ich sing'? Und was für eine Art und Weise von Liedern verlangt ihr Böotier immer wieder von einem Johannes Plavius, dem schon in der Wiege die tragische Muse die Leier stimmte? Was für Lieder verlangt Ihr denn von ihm? Lobpreisungen auf die tugendsame Jungfrau Philomena Hühnerbein, die schöner ist als Venus und Helena, und auf ihren Bräutigam, den Schenkwirt Demetrius Wurstbauch, der erleuchteter und weiser als Apollo, Merkur und Sokrates zusammen zu sein hat! Und dieser selbe Plavius hätte Tragödien von Achilles und Polyxena oder von Dido und Äneas gleich einem neuen Seneka dem Zeitalter schenken können! Oh! Es ekelt mich der Welt und ihres Gewürms! Qualis poeta pereo! ... Madame Thiel! Nymphe Euphrosyne! Noch ein Glas von Eurem höllischen Nektar!«

Mit zum Himmel gebreiteten Armen, den Kopf auf der Brust, so saß der Dichter da und starrte unverwandt einer dicken Träne nach, die ihm in sein leeres Grogglas gekullert war.

»Da! Da!« rief er der eilig herbeitrippelnden Wirtin zu. »Erblickt Ihr die Perle im Glase? Man sollte sie in Gold fassen! Sie ist kostbarer als jene Perle der Kleopatra, die sie im Wein aufzulösen versuchte! ... Es ist die Träne des Dichters Plavius, der ein neuer Seneka hätte werden können und ein kleiner Reimschmied zu Danzig geworden ist! Da! Nehmt sie hin, Nymphe Euphrosyne! Sie ist Euer! ... Kennt Ihr übrigens die Dame Kleopatra?«

»Aber nein doch! Was denkt der Herr Plavius von mir!« erwiderte die Angeredete in aufrichtiger Entrüstung. »Unsereins ist eine anständige Frau! Perlen in Wein auflösen ...! Das wird schon die Richtige gewesen sein!«

»Mehr Respekt vor Kleopatra, Mutter Thiel!« donnerte Plavius. »Die Herzdame des Feldherrn Antonius! Und nicht minder auch des großen Cäsar!«

»Na, ich sag's ja!« rief Madame Thiel und drehte sich kurz auf dem Absatz um. »Gleich zwei auf einmal! I, geht mir doch ab! So ein Weibstück!«

Die Eingangstür der Wirtsstube öffnete sich unter heftigem Gebelfer der über ihr angebrachten Schelle, und eine bis über den Kopf vermummte untersetzte Gestalt im schwarzen Mantel schritt über die Schwelle, durchquerte wortlos den vorderen Schankraum zur Nebenstube und trat an den Tisch der Einhornrunde zu Opitz und Hünefeld, die schweigend vor ihren Gläsern saßen, während Plavius nach den letzten Augenblicken der Ekstase eingenickt war.

»Seid Ihr es, Professor Peter Krüger? Und eingemummt wie ein Brigant der römischen Campagna!« rief Hünefeld, als der Ankömmling seine Kapuze zurückschlug und seinen schweren Körper auf einen Stuhl am Tisch fallen ließ, daß es krachte, während er mit einer hellen, gellenden Stimme zu krähen begann.

»So wißt Ihr, dessen Beruf und Geschäft es ist, unsere löbliche Stadt mit Neuigkeiten aller Art zu versorgen, offenbar noch nicht die letzte Kuriosität?«

»Und die wäre?« fragte der Zeitungsdrucker neugierig über den Tisch.

»Daß es uns Professoren und Magistern am Gymnasio Academico von einem Hohen Rat der Stadt hinfüro verboten ist, an irgendwelchen nächtlichen Konventikeln und geheimen Zirkeln zu partizipieren! Darum seht Ihr mich in dieser lächerlichen und meiner unwürdigen Vermummung. Jetzt wißt Ihr's! Und setzt es als eine kuriose Neuigkeit in Eure ›Relation oder Zeitung von Danzig und anderen Orten‹ hinein, damit die Leute draußen im Reich einen Begriff bekommen, wie man hier oben bei den Eisbären mit der heiligen Dichtkunst und denen, die sie zu lehren berufen sind, umzuspringen beliebt!«

Die Stimme des Professors war von einer Mark und Bein durchdringenden Schärfe. Sie erinnerte Opitz an das kratzende Geräusch einer Säge, die sich gerade durch einen Ast hindurcharbeitet. Krüger hatte sich von seinen verschiedenen Umhüllungen befreit und nahm erst jetzt den fremden Gast an seiner Seite wahr.

»Ah! Ihr seid es, Herr Herzogl. Rat? Hünefeld hat Euch uns bereits annonciert! Wir waren Euch schon erwartend. Ihr werdet nicht wissen, mit wem Ihr es zu tun habt. Ich heiße Peter Krüger und bekleide hier am Gymnasio Academico das Amt eines Professors der mathematischen Wissenschaft. Auch ist mir am gleichen Platze die Pflege der ars poetica, der heiligen Dichtkunst, anvertraut, deren metrische Gesetze ich den hiesigen Dickschädeln mit mehr oder minder Erfolg einzutrichtern bemüht bin.«

»Ihr habt da zwei hübsch unterschiedliche Disziplinen unter einen Hut zu bringen, Zahlenlehre, das Abstrakteste vom Abstrakten, und Poetik, die es doch ganz und gar mit den Sinnen zu tun hat,« meinte Opitz und lächelte.

»Ihr seid im Irrtum, Meister Opitz von Boberfeld!« erwiderte Krüger und rührte in seinem dampfenden Grogglase herum. »Wie sich bekanntlich alle Brüche auf einen Nenner bringen lassen, so auch, richtig betrachtet, alle Disziplinen unter einen Hut. Sind es denn nicht auch Zahlen, auf denen die poetische Metrik, und gerade die Eurige, beruht? Oder wie meßt Ihr Eure Versfüße? Und gedenket des Pythagoras, der an den Anfang aller Dinge die Zahl setzte.«

Er hielt einen Augenblick inne, um das Glas mit dem heißen Trank zum Munde zu führen, und fuhr dann fort:

»Mit der Zahl hat es etwa die gleiche Bewandtnis wie mit der Zwiebel. Ihr könnt alles, was da ist, aus der Zahl herleiten und deduzieren, gleichwie Ihr von der Zwiebel immer noch eine Haut wegzunehmen vermögt, und dringt doch nie bis zum eigentlichen Kern vor, womit gesagt sein soll, daß in der Zahl das Geheimnis des Universums verborgen liegt.«

»Ihr müßt nämlich wissen, Herr Herzogl. Rat,« fiel in diesem Augenblick Hünefeld ein, »daß unser vortrefflicher Professor Krüger auf unseres preußischen Landsmanns Kopernikus Evangelium von der Kugelgestalt unseres Erdkörpers schwört und dieserhalb auch dem berühmten Italiener Galilei zu Rom und Bologna seinerzeit als Famulus assistiert hat. Wovon er noch zwei nach des Kopernikus' System eingerichtete Globusse über Kürbisgröße aus Welschland mitgebracht und sie einem hiesigen Publiko schon des öfteren vordemonstriert hat, wiewohl noch allzu viele hierzulande, natürlich nur die geringeren Geister, absolut nicht glauben wollen, daß die Wilden und Insulaner auf der anderen Seite der Erdkugel richtig auf ihren Füßen stehen könnten, vielmehr sich einbilden, sie müßten von der Kugel herunterfallen oder auf ihren Köpfen gehen. Ja, die stultitia des Menschengeschlechts ist riesengroß und schreit zum Himmel. Aber wer sich ihrer erbarmen will, den rädern und vierteilen sie und zwicken ihn mit glühenden Zangen, wie es an dem Exempel des vorerwähnten großen Galileo Galilei zu unsern eigenen Lebzeiten ersichtlich genug.«

Hünefeld schloß mit einem aus der Tiefe kommenden Seufzer, den er mit einem festen Schluck aus seinem Grogglas herunterspülte. Die Unterhaltung schwieg. Jeder dieser Männer der Einhornrunde schien dem gleichen Gedanken von der sie alle auf die nämliche Weise bedrohenden Gefahr der menschlichen Torheit und (gleichbedeutend mit ihr) der menschlichen Bosheit nachzuhängen.

Als letzter Gast des Abends erschien bei den Einhörnern der junge Johann Hewelke, der vierundzwanzigjährige Sohn reicher Bierbrauersleute aus der Pfeffergasse, der als weltberühmter Astronom einmal Johannes Hevelius heißen sollte. Aber hiervon wußte an diesem Abend weder der junge Bierbrauer selbst etwas noch ahnte irgendeiner seiner älteren Freunde und Gönner am Einhorntisch oder sonstwo in der Stadt auch nur das geringste davon. Vielmehr wurde er als der Benjamin in dieser Tafelrunde höchst würdiger und gesetzter Männer noch immer nicht ganz für voll genommen, wie es jungen Hähnen mit ihren ersten Krähversuchen im Hühnerstall zu ergehen pflegt. Immerhin brachte er jedesmal irgendeine besondere Neuigkeit aus der Stadt mit und trug so nicht wenig zur Belebung der manchmal stockenden Unterhaltung und zur Bereicherung der Diskussion über die Zeitläufte bei.

Auch heute war er über und über mit Neuigkeiten bepackt und brannte vor Begierde, sie an den Mann zu bringen. Ob man denn in diesem hochtitulierten Kreise schon wisse, daß die schwedisch-polnischen Friedensverhandlungen zu Stuhmsdorf bei Marienburg, die schon beinahe unter Dach und Fach gewesen seien, im allerletzten Augenblick, kurz vor dem Unterschreiben, zu Bruch gegangen seien? Und warum? Weil man sich bei den beiden hohen vertragschließenden Parteien nicht im guten habe einig werden können, welcher von ihnen beiden der Vortritt in das eigens zur Unterzeichnung des Friedenspaktes errichtete Prunkzelt gebühre. Deshalb habe man statt der schon bereitgehaltenen Federkiele kurzerhand zum Degen gegriffen und im Nu in Front gegeneinander gestanden. Über den Ausgang des wohl für unvermeidlich zu haltenden Scharmützels habe der reitende Bote aus Stuhmsdorf noch nichts berichten können. Aber im Rathaus und beim Stadtregiment herrsche große Aufregung über die schlimme Wendung der Dinge, in die auch Danzig, mitten drinnen zwischen den Polen und den Schweden, hineingezogen zu werden drohe. Dies habe, so schloß der junge Hewelke seinen atemlosen Bericht, sein Vater, der Bierbrauer, der ja dem Kollegio der Schöffen angehöre, soeben vom Rathaus mitgebracht und zum schlimmen Ende auch noch zu verkünden gewußt, der Rat habe in Ansehung der offensichtlichen Verböserung der politischen Lage der Stadt jede Art von nächtlichen Konventikeln und geheimen Sitzungen mit Pranger und anderen hochnotpeinlichen Strafen zu ahnden beschlossen. Die nächtliche Scharwache habe strengste Order, alle Herbergen und öffentlichen Gaststuben der Stadt auf etwaige Übeltäter zu durchsuchen und selbige zunächst einmal bei Wasser und Brot einzusperren. Einem Fähnlein der Scharwache sei er auf dem Wege hierher in persona begegnet. Es sei in Bälde loco zu erwarten.

Wenn in diesem Augenblick ein Kanonenschuß über den Köpfen der Tafelrunde abgefeuert worden wäre, so hätte der Schreck der einzelnen Teilnehmer nicht größer sein können. Alle sprangen gleichzeitig von ihren Sitzen auf, stießen ihre Gläser beiseite und rissen ihre abgeworfenen Mäntel an sich. Auch Plavius war aus seinem Schläfchen erwacht und schrie und räsonierte mit den andern mit, während er seinen Mantel umwarf. Durch alles Stimmengewirr hindurch aber gellte die Stimme Krügers, des Professors der Mathematik und der Poetik.

»Johannes Hewelke! Giftschlange, die ich an meinem Busen großgezogen habe! Mußtest du uns erst den umständlichen Stuhmsdorfer Brei auftischen? Konntest du nicht die Hauptsache, daß man uns hier ausheben will, an den Anfang setzen? Warum tatest du das, Bube?«

»Weil ich beim Professor Peter Krüger im Collegio logico gelernt habe, daß erst die Predigt und dann das Amen kommt und daß der Schluß einer Geschichte nicht an den Anfang gehört!«

»Hol' dich der Satan, du Vorwitzling! Du Naseweis!« gellte es hinter dem bereits die Treppe Hinabpolternden her. Der aber verschwand, ohne sich noch einmal umzusehen, in der nächtlichen Finsternis.


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