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8

Im Schwarzwaldschen Hause, das in der Langgasse unweit des gleichnamigen Tors gelegen war, herrschte seit einiger Zeit Schlechtwetter; wenn man genauer nachrechnen wollte, eigentlich seit jenem Nachmittag, an dem Anna Schwarzwald mit ihrer Base Constanzia draußen vor dem Werdertor ihrem vom polnischen Hoflager heimkehrenden Verlobten Gerhard von Proen in Gesellschaft des auffallenden Fremdlings und Dichters Martin Opitz von Boberfeld begegnet war. Anna Schwarzwald, die verwöhnte und verzogene Erbtochter des reichen Hauses, hatte durch ihre sprunghaften Launen von jeher ihrer Umgebung, vornehmlich ihrer Mutter Brigitte, die als Schwester des Altbürgermeisters eine geborene Zierenberg war, nicht wenig zu schaffen gemacht. Frau Brigitte hatte Stunden, wo sie sich selbst schwere Vorwürfe machte, aber auch ihren schon vor längerer Frist selig im Herrn entschlafenen Ehegemahl bitter anklagte, dem launischen, verzogenen, manchmal geradezu verschrobenen Geschöpf nicht beizeiten die Zügel angezogen zu haben. Statt dessen hatte man der überspannten Margell, die alle Augenblicke etwas anderes wollte und wußte, jeden Wunsch erfüllt, jede Unart durchgehen lassen und so sich selbst eine Zuchtrute geschaffen, gegen die es nun kein Mittel mehr zu geben schien. Denn auch das letzte Rezept, zu dem kundige Großtanten geraten hatten, eine frühzeitige Verlobung und baldiges Unter-die-Haube-bringen, hatte bei dem widerspenstigen Wesen versagt. Die Sechzehnjährige hatte sich zwar, mit manchem Ach und Krach, in das Verlöbnis mit dem um zwanzig Jahre älteren Feldhauptmann gefügt, wußte sich aber nun schon seit über einem Jahr der immer wieder in Aussicht genommenen Erfüllung zu entziehen. An dem Morgen nach jener schicksalhaften Begegnung der beiden Kusinen mit dem Feldhauptmann und dem Dichter, draußen vor der Stadt, war es zu einem erregten Streit zwischen Anna und ihrem Verlobten gekommen, der, wie das Hausgesinde zu erzählen wußte, nun gar mit einer förmlichen Absage zwischen Braut und Bräutigam geendigt hatte. So war es nicht zu verwundern, daß der Feldhauptmann im höchsten Zorn davongestürzt war und sich auf seinen Gaul geworfen hatte, um in der ländlichen Stille erst einmal seinen Groll gegen das ungebändigte schöne Mädchen verrauchen zu lassen.

Auch auf der anderen Seite des Schlachtfeldes herrschte nicht geringer Mißmut, wie es wohl zu geschehen pflegt, wenn zunächst beide Parteien sich den Sieg zuschreiben und erst hinterher gewahr werden, daß der Kampf unentschieden blieb, im Grunde also keiner von ihnen etwas gewann. Mit dem Instinkt des Weibes wußte Anna dies bereits, als Proen die Treppe hinunterstürzte und im Nu auf und davon war. Wie hatte es nur so weit kommen können? Sie schätzte und achtete Gerhard von Proen ja doch, wie er es als Mann verdiente, wenn sie auch nicht in Liebe zu ihm verging. Aber mußte man denn in seinen zukünftigen Ehegemahl verliebt sein? War es eine von den jungvermählten Frauen ihrer Verwandtschaft, ihrer Gevatterschaft? Wohin sie um sich blickte: keine! Auch ihre Base Constanzia nicht, die weitberühmte, die tugendreiche, mit ihrem alten Kerschenstein, dem gichtkranken Ratsherrn, der seit Jahr und Tag an seinem Gliederreißen herumkurierte. Wer konnte in den verliebt sein? Constanzia gewiß am allerwenigsten, wenn sie sich auch alle Mühe gab, ihn zu pflegen, und ihm vor aller Welt die Ehre und Treue erwies, die man nun einmal seinem Eheherrn schuldig war. Aber was hatte solches Tun, das mehr das einer barmherzigen Schwester war, mit der wirklichen und wahren Liebe zu schaffen? Mit jener einmaligen, alles verzehrenden Flamme des Herzens, an der man entweder verging oder – so hieß es – aus der man als ein ganz anderes, gleichsam neugeborenes Wesen wiedererstand? Dann mußte es aber auch der Mann danach sein. Vielleicht war es dieser Fremde, dem sie neulich begegnet waren, als er mit Proen der Stadt entgegenritt? Dieser Fremde mit dem durchdringenden Blick seiner rätselhaften Augen und dem höfisch alamodischen Zuschnitt seiner ganzen einnehmenden Mannsperson. Erzählte man sich nicht von seinen weiten Reisen, seinem vielbewegten Leben? Von seiner Dichterkrönung am Kaiserhof zu Wien, wo er in den Adelsstand erhoben wurde? Manches galante Abenteuer mochte in den Dichterkranz mit eingeflochten sein. Diese Augen, die dem lebensdurstigen jungen Mädchen Rätsel aufgaben, verrieten ebensoviel wie sie verschwiegen.

Aber warum sah und hörte man nichts von dem interessanten Fremden, der sich doch inzwischen schon in Danzig umgesehen haben mußte und nicht unbemerkt geblieben sein konnte? Auch Base Constanzia schwieg sich beharrlich über den fremden Gast aus, und doch wußte Anna Schwarzwald aus einer gelegentlichen Bemerkung, die Oheim Zierenberg, der Altbürgermeister, bei einem Besuch seiner Schwester, Annas Mutter, hatte fallen lassen, daß Opitz längst im Rathause seine Aufwartung gemacht hatte und dort auch Constanzia mit ihm zusammengetroffen war. Aber davon hatte diese Schlange, die sie doch eigentlich war, ihr nicht ein Sterbenswörtchen verraten! Wahrscheinlich wollte sie in ihrer schnöden Selbstsucht Opitz wieder nur für sich allein haben, wollte den Hofstaat ihrer Verehrer wieder nur um einen besonders in die Augen fallenden Ritter vermehren, so wie sie es mit diesen Pariser Kavalieren gemacht hatte, die sie auch ausschließlich an sich gefesselt und niemand anderm gegönnt hatte. O diese falsche Person! Nicht einmal ihre leibliche Base und beste Freundin zog sie in ihrer angeborenen Eiseskälte ins Vertrauen!

Das enttäuschte und mißmutige Mädchen nahm sich vor, Constanzia das Spiel, das sie nicht zum erstenmal spielte, zu verderben und den geheimnisumwobenen Fremden, so erschien er ihr bereits, selbst an sich zu ziehen, sei es auch nur, um ihn dem Netz der andern zu entreißen. Schon am Nachmittag des nächsten Tages bot sich eine Gelegenheit, Constanzia zunächst einmal etwas auf den Zahn zu fühlen. Die schöne Frau, die man im fernen Mailand wegen ihrer italienischen Gesangskunst die baltische Sirene nannte, machte ihren gewohnten Donnerstagsbesuch bei ihrer Tante Brigitte, Annas Mutter. In dem nach rückwärts gelegenen Schwarzwaldschen Wohnzimmer, in dem als besondere Kostbarkeit zwei einst vom Großvater Schwarzwald auf einer Welschlandreise erstandene Gemälde italienischer Meister, eine Judith mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes und eine nur in ihr wallendes Haar gehüllte büßende Magdalena hingen, saßen die drei Frauen bei der Tasse Schokolade und frisch vom Herd gekommenen, noch warmen Waffeln, die es in der ganzen Stadt nirgends so zart und knusprig gab wie hier.

Woran es eigentlich liege, daß gerade die Waffeln ihr immer so gut gerieten, fragte Constanzia die Tante. Das ganze Geheimnis werde wohl das Waffeleisen sein, meinte diese, befriedigt lächelnd. Es sei ein echtes Waffeleisen aus Holland, noch von ihrer Großmutter selig her, der es in ihrer Jugendzeit der alte Christoph von Proen, der Vater von Annas Bräutigam, zum Präsent gemacht habe. Die Proens stammten ja aus den spanischen Niederlanden, und so sei denn das alte Familienerbstück aus Antwerpen an die Zierenbergs und mit ihr selbst hierher ins Schwarzwaldsche Haus gekommen. Vielleicht werde sie es ihrer Tochter, mit der sie zwar gar nicht zufrieden sei, in die hoffentlich baldige Ehe mit Gerhard von Proen auf den Weg geben, womit sich denn der Kreis schließen und das alte Stück wieder zu den Proens zurückgekehrt sein werde.

Die alte Dame, eine große, starkknochige Frau mit einem Jungmädchengesicht trotz matronenhafter Fülle, seufzte aus tiefer Brust auf und starrte verdrießlich vor sich hin. Ach ja, es sei ein Kreuz mit den Kindern, und wenn es auch nur ein einziges sei. Ja, um so schlimmer dann! Sie glaubten, sie könnten mit einem umspringen, als sei man ein Schuhwisch! Anna könnte jetzt längst als großmächtige Gutsfrau auf Schloß Sobbowitz sitzen und ein Stammhalter der Proens könnte auch schon in der Wiege strampeln.

»Hört auf, Mutter!« rief Anna, nachdem sie bis dahin an sich gehalten, und sprang auf. »Ich bedanke mich dafür, Jahr für Jahr Bälge zur Welt zu bringen, damit das Haus Proen nicht mehr auf zwei Augen zu stehen braucht! Dazu werdet Ihr mich nie bringen! Nie! Nie!«

Sie stand mit flammenden Augen da, das Bild einer unnahbaren Diana, so wie sie Opitz an jenem Spätnachmittag vor Danzigs Toren zuerst erschienen war.

»Jesus! Mein Heiland!« schrie Frau Brigitte, die – wie ihre Tochter – von etwas cholerischer Gemütsart war. »Hat man schon jemals solche Worte aus dem Munde einer ausgewachsenen Margell gehört? Die doch schon den Verlobungsring am Finger trägt!«

»Hier habt Ihr ihn!« schrie ebenfalls Anna noch etwas lauter. »Ich habe ihn Proen zurückgeben wollen. Aber der eingebildete Herr Hauptmann, dem sie jetzt mit Recht den Huwald vor die Nase gesetzt haben, hat ihn nicht haben wollen! Gut! Behalte ich ihn als warnendes Exempel einer Backfischdummheit! Aber mein Entschluß steht fest!«

»Untersteh' dich!« schrie wiederum Frau Brigitte. »Sollte man sie nicht übers Knie legen und durchwichsen, bis ihr die Mucken vergehen? Sag' selbst, Constanzia!«

»Warum habt Ihr's nicht früher getan?« erwiderte Anna mit plötzlicher Eiseskälte. »Jetzt ist es zu spät!« Sie lachte spöttisch auf.

»Noch nicht, du krät'sche Margell!« schrie jetzt im höchsten Zorn Frau Brigitte und holte mit ihrer großen fleischigen Hand zu einer mächtigen Backpfeife, so einer von echtem Schrot und Korn der Altvordern, über den Tisch weg gegen ihre Tochter aus, daß dieser gewiß das Lachen vergangen wäre, hätte nicht Constanzia im letzten Augenblick Brigittes Arm ergriffen und den Schlag abgewehrt, indem sie ihr zurief:

»Regt Euch nicht auf, Tante Brigitte! In dem Alter sind sie alle so! Ich bin auch nicht anders gewesen, als ich Kerschenstein heiraten sollte und nicht wollte.«

»Und dann hast du ihn doch genommen!« ergänzte Frau Brigitte, deren Zorn mit einemmal verflogen schien. »Und hast ein schönes Haus und einen braven ehrenwerten Mann ...«

»Mit Chiragra und Podagra und Zipperlein, mit Kolik und mit Blasenstein!« dichtete Anna Schwarzwald bissig dazwischen hinein.

»Schäm' dich doch!« ärgerte sich Mutter Schwarzwald. »So ein herzloses Geschöpf!«

Das Unwetter, das zwischen Mutter und Tochter heraufgestiegen war, ebbte ebenso schnell ab, wie es erschienen war.

»Die einen sind herzlos mit dem Mund, die andern sind herzlos mit dem Herzen selbst,« philosophierte Anna stirnrunzelnd und wandte sich dabei ihrer Base Constanzia zu. Es war nur noch wie das Zucken eines letzten feurigen Blitzes, der ganz wo anders niederzugehen schien.

»Wenn du damit auf mich anspielen willst, meine teure Base,« nahm Constanzia jetzt das Wort, »so bist du schief gewickelt. Ich habe noch nie behauptet, daß ich vor Leidenschaft überkoche wie ein Topf, der auf zu starkem Feuer steht. Das tun wir doch eigentlich alle nicht, wir Danzigerinnen.«

»Wie lauwarme Umschläge kommt ihr mir alle vor!« rief Anna, von neuem zum Angriff übergehend. »Kamillentee habt ihr in den Adern! Keinen Tropfen roten Bluts!«

Constanzia lachte laut und herzlich.

»Sag' mal, mein Holdchen! Wo bist du denn eigentlich zur Welt gekommen? Bist du nicht auch mit Mottlauwasser getauft?«

»Ja! Gott sei es geklagt! Ich bin es! Ich bin es!« erwiderte Anna, finster vor sich hin starrend. »Das sind eben die Ausnahmen, die immer zu leiden haben! Am Berg Vesuv geboren zu sein, wäre besser! Man dürfte lieben und hassen und, wenn's nicht anders ginge, auch jemand umbringen!«

Frau Brigitte schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß die Schokoladetassen tanzten.

»Jetzt wird's mir zu bunt! Jemand umbringen! Mir scheint, du hast den Verstand verloren! Soweit du noch einen gehabt hast. Die Margell bringt mich noch ins Grab!«

Constanzia erhob begütigend ihre Hand.

»Laßt mich das mit dem Kind ausmachen, Tante! Der Ärger schlägt sich Euch auf die Leber.«

Frau Brigitte stand seufzend auf und trat, den beiden den Rücken kehrend, ans Fenster.

Constanzia legte ihren Arm um Annas Nacken, die es halb widerwillig geschehen ließ.

»Also nun beichte mal, meine unglückliche Base, die nicht am Berg Vesuv geboren ist, aber es sein könnte! Was drückt dir das Herz ab? Daß wir Danziger Weiber nur Kamillentee in den Adern haben statt Blut? Und was noch, du blonder Vulkan?«

»Und daß ihr dabei Ränke spinnt, wo ihr nur könnt, und euch außer euren eigenen Ehekrüppeln noch einen ganzen Schwung von Männern einfangt, der um euch herumscharwenzeln muß und den ihr auf eine alberne Weise an der Nase herumführt!«

»Aber mache es doch auch so, mein Liebchen!« äußerte Constanzia in einem Ton, wie man einem unartigen Kinde zuredet, und streichelte ihrer Kusine die Hand. »Mache es auch so! Heirate deinen Feldhauptmann, der dir aus der Hand fressen wird, setze dich in das hübsche Sobbowitz und fange dir auch so einen Hofstaat von Kavalieren ein wie alle andern Danziger Frauen. Ich kerne zwar keine, die einen hat, außer mir selbst naturellement. Aber ganz gleich ...!«

»Siehst du wohl!« rief Anna. »Du bist herzlos und kalt! Ich habe es immer gewußt. Und was hast du mit dem fremden Mann gemacht?«

»Mit welchem fremden Mann?« fragte Constanzia mit einem Erstaunen, das echt sein konnte. Anna vermochte es im Augenblick nicht zu ergründen.

»Verstell' dich doch nicht! Du weißt ganz gut, welchen fremden Mann ich meine.«

Constanzia setzte eine feierliche Miene auf und erhob die Hand wie zum Schwur.

»Ich weiß es nicht! Bei den Gebeinen der heiligen Dorothea!«

Anna hatte eine tiefe Falte auf der sonst so klaren und reinen Stirn.

»Seit wann schwörst du papistisch?«

»Mir fiel im Augenblick kein besserer Schwur ein.«

»Und außerdem war er falsch! – Also der fremde Mann, den du wieder an der Angelschnur hast ...«

»Es wird doch nicht Herr Opitz von Boberfeld sein, der Herzogl. Rat und frischgebackene Königlich-polnische Hofhistoriograph?«

Anna klatschte die Hände zusammen.

»Ah! Hast du dich verraten?! – Nun? Was macht deine neueste Akquisition? Zappelt der Fisch schon am Angelhaken?«

»Ich habe ihn noch gar nicht zu Gesicht bekommen. Ich schwöre es dir.«

»Wieder bei den Gebeinen der heiligen Dorothea?«

»Nein, diesmal in allem Ernst!«

»Und auch wieder einen Meineid! Gleich zwei auf einmal! Erinnere dich mal, meine liebe Constanzia, an deinen Besuch im Rathaus beim Ohm Zierenberg ...«

»Wann soll das gewesen sein, du herziges Kind?«

Anna Schwarzwald zuckte mit überlegener Miene die Achseln.

»Dein Hohn prallt an mir ab! ... Erinnere dich mal! Vor vierzehn Tagen. Am Tag nach unserer Begegnung mit den beiden Männern, mit Proen und dem ... dem andern. Hast du da Ohm Zierenberg im Rathaus eine Morgenvisite gemacht?«

Constanzia schien tief in den Schacht ihrer Erinnerung hinabsteigen zu müssen.

»Ach ja! Jetzt fällt es mir wieder ein,« sagte sie nach längerem Nachdenken.

»Und was führte dich zu so früher Stunde die steile Treppe zu Ohm Zierenberg hinauf? Hast du dir beileibe nicht träumen lassen, wen du da oben vorfinden würdest, der grade seine Visite beim Ohm machte?«

Constanzia schüttelte den Kopf.

»Im entferntesten nicht! Ich träume überhaupt nie von dem, was erst kommen wird. Ich bin ja auch keine Somnambule. Ich träume immer nur von dem, was schon gewesen ist.«

Anna Schwarzwald stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf.

»Hast du gewußt, daß du den Fremden dort treffen würdest? Ja oder nein?«

»Und wenn ich es nun gewußt hätte, was wäre dann?« fragte Constanzia mit plötzlicher Entschiedenheit. »Und warum das?«

»Weil du seitdem so und so oft mit mir zusammen warst und mir nie ein Wort davon verraten hast!«

Constanzia nahm das Gesicht der ernstlich Schmollenden zwischen ihre beiden Hände.

»Möchtest du gern mal mit ihm zusammentreffen?« forschte sie. »Er ist ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle. Er wird dir gefallen. Ich werde es arrangieren.«

»Herzensbäschen!« rief Anna mit halb unterdrücktem Jubellaut und schlang ihre Arme um Constanzias Nacken. »Aber wir wollen leise sprechen,« flüsterte sie hastig. »Mutter braucht nicht von allem zu wissen. Sie steckt sowieso ihre Nase in alles.«

Frau Brigitte hatte sich am Fenster wieder umgedreht.

»Na? Was habt ihr wieder für Geheimnisse miteinander?« fragte sie, als sie die beiden die Köpfe zusammenstecken sah, und trat näher an den Tisch heran. »Was hört man denn von deinen Herren Franzmännern, Constanzia? Machen sie Frieden oder machen sie keinen Frieden?«

»Meinen Herren Franzmännern! Du bist gut, Tante!« entgegnete Constanzia mit leichtem Erröten. »Kerschenstein hat sie zu sich ins Haus geladen, wie es ihm als Ratsherrn zukam, und ich habe sie aufgenommen und bewirtet, wie's mir als Hausfrau zukam.«

»Und vorgespielt und vorgesungen am Klavichord und französisch parliert, alles, wie es dir als guter Hausfrau zukam! ... Wenn zu meiner Zeit eine von uns sich so weit mit fremden Ambassaden eingelassen hätte wie du mit diesem Grafen d'Avaux oder mit deinem Herrn Varenne oder mit dem Monsieur Ogier, von der Kanzel herunter hätte man gegen sie gepredigt!«

Constanzia unterdrückte lächelnd ihren aufsteigenden Unmut.

»Die Zeiten haben sich eben geändert, Tante, Gott sei gelobt! Und es ist ja auch alles so harmlos. Ich singe mit Varenne nach französischer Manier, die ich noch nicht kannte, und übe mich mit Ogier im Französischen und Lateinischen. Man muß die Gelegenheit wahrnehmen. Ars longa, vita brevis, heißt es im Lateinischen. Die Kunst ist lang, das Leben ist kurz.«

»Ja ja, alles ganz gut und ganz schön!« äußerte Frau Brigitte und wiegte zweifelnd den Kopf. »Du weißt, wie sie sich in der Stadt darüber aufhalten. Daran muß man in deiner Position auch denken.«

»Muß man, Tante?« erwiderte Constanzia. »Und wenn ich mich darüber hinwegsetze?«

»Es kommt vor allem auf deinen Eheherrn an, meine liebe Constanzia.«

»Auch Kerschenstein tut es!« rief Constanzia mit einem plötzlich aufsteigenden Trotz, der ihrem abgeklärten und in sich geschlossenen Wesen sonst fremd war.

»So?« zweifelte Frau Brigitte. »Dann sei zufrieden, und möge es so bleiben. Ich wünschte, ich hätte zu meiner Zeit auch soviel Freiheit gehabt wie ihr jungen Frauen von heute! Aber vielleicht hätte mir's nicht mal gepaßt. Der liebe Gott weiß schon, was er einem zudiktiert.«

Anna Schwarzwald stand in Nachdenken versunken unter dem Bild der Judith mit dem Kopf des Holofernes, das an der Fensterwand hing.

»Glaubst du, Constanzia,« fragte sie plötzlich in das Schweigen hinein, »es werde jemals eine Zeit kommen, wo man von seinem angetrauten Gemahl fortgehen kann, ohne daß man nachher vor der ganzen Blase feierlich Kirchenbuße tun muß?«

»Großer Gott auf deinem himmlischen Thron!« rief entsetzt Frau Brigitte. »Auf was für Gedanken die Margell kommt! Bewahre uns der Herr davor, daß man jemals so etwas erleben müßte! Und womöglich noch in der eigenen Familie!«

»Ich kann es mir auch nicht vorstellen,« sagte Constanzia und sah mit einem versonnenen und zerstreuten Blick vor sich hin. »Was man am Altar vor dem Angesicht Gottes geschworen hat, muß man auch unverbrüchlich halten. Davon kann mich niemand und nichts abbringen.«

»Darum ist es gut, man läßt es gar nicht dazu kommen, daß man am Altar schwört,« äußerte Anna Schwarzwald, die noch immer in entschlossener Haltung unter dem Bild der Judith stand. »Es kann einem dann auch niemand vorwerfen, man habe seinem Schwur gebrochen.«


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