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11

Am herbstlich schönen Michaelistage zog die französische Ambassade, deren Rückkehr von den Stuhmsdorfer Friedensverhandlungen man in Danzig schon seit längerem entgegengesehen hatte, nun endlich wieder in die Stadt ein und wurde wegen der Verdienste ihres Führers, des Grafen d'Avaux, um das Zustandekommen des langjährigen Waffenstillstandes zwischen Schweden und Polen von der Bürgerschaft sehr gefeiert. Die geheimen Fäden und tieferen politischen Gründe, die bei diesem mit so großem Eifer betriebenen Eingreifen des Abgesandten Richelieus mit im Spiel gewesen waren, entzogen sich allerdings der Kenntnis des einfachen Volkes. Man hielt, was nichts als kalte, überlegene Berechnung im Dienst auswärtiger Machtpolitik und geschicktes diplomatisches Kartenmischen gewesen war, für einen Ausfluß herzinniger Teilnahme am eigenen Geschick und rein persönlichen Freundschaftsbeweis und erging sich in überströmenden Dankesbezeigungen dafür. Die Vivat- und Jubelrufe der die Straßen füllenden Volksmenge, als die französische Ambassade, der ein Fähnlein Danziger Reiter voranritt, vom Werdertor her ihren pompösen Einzug hielt, wollten kein Ende nehmen und gemahnten eher an den Triumphzug eines siegreichen Nationalhelden als an die Rückkehr einer fremdländischen Gesandtschaft. Wer tiefer blickte und dem inneren Zusammenhang der Dinge auf den Grund sah, mochte sich eines Lächelns der Skepsis angesichts der naiven Gläubigkeit der Volksmenge nicht erwehren.

Im offenen Fenster eines Obergeschosses des Rathauses standen Altbürgermeister Johann Zierenberg und Syndikus Heinrich Freder, ein noch junger Mann mit einem scharfgeschnittenen Profil, hoher Stirn und vollem braunem Haupthaar, und blickten auf das bewegte Schauspiel unten in der Langgasse hinab.

»Ist es nicht, als zöge leibhaftig unser Herr und Heiland am Sonntag Palmarum in die heilige Stadt Jerusalem ein?« äußerte der jüngere der beiden Männer und trat mit einer entschiedenen Gebärde von der Fensternische zurück.

»Verdrießt Euch das Schauspiel, Freder?« erwiderte der Bürgermeister. »Mich macht es nur lächeln. Kommt erst in meine Jahre und es wird Euch nicht anders gehen. Volksgunst ist gleich dem Sonnenstrahl, der von einem Wolkenhimmel auf ein windbewegtes Ährenfeld herniedergleißt. Ihr schließt die Augen, und wenn Ihr sie nach einem Atemzug wieder öffnet, erblickt Ihr nicht einmal mehr den letzten Schein davon. Und keiner vermag Euch zu sagen, wo er geblieben ist.«

Freder schüttelte den Kopf und suchte in dem durchfurchten Antlitz des Alten zu lesen.

»Ist das der ganze Ertrag, sozusagen das gesammelte Extractum von vierzig Jahren Amtsführung Eurer Herrlichkeit als Bürgermeister unserer löblichen Stadt?«

»Ihr sagt es! Ihr sagt es, mein bester Freder!«

»Wär' es dann nicht besser, wir schöben Pergament und Gänsekiel mit einem schleunigen Ruck beiseite, täten Amtskette und Talar auf Nimmerwiedersehen von uns und machten uns in unsern Gärten vor der Stadt, die wir, Gott sei es geklagt, nur alle heiligen Zeiten zu sehen bekommen, an den Rosen- und Lilienbeeten zu schaffen oder wir grüben den Kumstacker fürs nächste Frühjahr um?«

Zierenberg hatte sich wieder in seinen Stuhl vor den mit Papieren und Akten bedeckten Arbeitstisch gesetzt.

»Versucht es doch, mein Bester!« sagte er, indem er sich mit der Linken den kurz gestutzten Kinnbart strich. »Versucht es doch mal! Ihr werdet schon sehen, was dabei herauskommt. Nein, mein junger Freund! Schuster, bleib' bei deinem Leisten. Ihr kennt das alte Wort. Und was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmermehr. Aus einem Schreibersmann wird im Leben kein richtiger Gärtner oder Bauer mehr. Und dann,« setzte er nach einem Weilchen hinzu und sah mit einem halb verkniffenen Lächeln zu dem vor ihm Stehenden auf. »Vergeßt eines nicht! Wer des Befehlens gewohnt ist und den Kopf aufrecht zu tragen pflegt, fügt sich nicht leicht mehr drein, ihn auf den Boden zu ducken und sich mit den Dreckklumpen abzugeben. Besser wir bleiben schon, was wir sind, und kommandieren weiter, solang' uns die Sonne scheint. Mögen die anderen ihren Kohl bauen, wie sie können.«

»Wenn ich den Sinn Eurer Worte recht verstehe, Herrlichkeit,« erwiderte der Syndikus, »so wollt Ihr damit sagen, daß es schon genug sei, überhaupt an der Macht zu sein, und man keine Extrazutat mehr braucht, so wie ein ganz edler Wein vom Rhein keiner Würze mehr bedarf, es also ganz gleich ist, ob sie unsereinen lieben oder hassen, wofern wir nur die Gewalt haben.«

»Haltet ein, junger Mann!« rief der Bürgermeister und drohte dem Syndikus mit dem Finger. »Ihr schüttet mir das Kind mit dem Bade aus und legt mir Dinge unter, die ich nicht gesagt haben möchte!«

»Aber vielleicht gedacht!« murmelte Freder vor sich hin, so daß es der andere nicht hören konnte.

Ein Weilchen herrschte in dem hohen, düsteren Raum Schweigen, während unten auf der Langgasse die Vivat- und Jubelrufe von neuem anschwollen.

»Ich will es Euch mit einem Exempel verdeutlichen,« sagte plötzlich der Bürgermeister, aus tiefem Nachdenken aufblickend. »Mit einem Exempel aus der Historie des vergangenen Säkulums, das auch noch uns Heutigen gegenwärtig ist. Ich meine jenen Römischen Kaiser, der zugleich Hispaniens Krone trug. Jenen Karolus V., in dessen Reich die Sonne nicht unterging. Vielleicht war es zuviel für die Schultern eines und desselben Sterblichen. Aber ich für mein Teil habe nie begriffen, daß er vor der Zeit erlahmte, sich selbst der Macht entkleidete und ins Kloster ging, nach Sankt Just, und Bußpsalmen sang. Was ist das für ein minderer Abschluß einer großen Epopoe! Ohne dieses klägliche Finale stünde er in der Chronika als einer der ersten Herrscher aller Zeiten da. So bleibt er für uns ein Schwächling, der sich gewissermaßen selbst entmannt hat.«

»Euch, Herrlichkeit, hätte das nicht widerfahren können,« rief der Syndikus, der in diesem Augenblick daran denken mußte, daß der Stuhl da, in dem der Alte saß und die Arme auf die Knie stemmte, bei dessen Lebzeiten schwerlich für einen jüngeren Nachfolger frei werden würde.

»Tut mir die Liebe, Freder,« sagte der Bürgermeister nach einem Weilchen, »und macht das Fenster zu. Das Geblök von dem Schafstall da unten zerreißt einem das Trommelfell!«

Der Syndikus tat nach dem Geheiß des Alten. Als er wieder an dessen Arbeitstisch stand, zuckte ein ironisches Lächeln um seine Mundwinkel.

»Es scheint also doch, Herrlichkeit, daß Euch der Jubel der Menge nicht so kalt läßt, wie Ihr gern möchtet, daß es den Anschein habe.«

»Findet Ihr, junger Mann?« erwiderte Zierenberg, während sich zwischen seine Brauen eine finstere Falte eingrub. »Ihr solltet Euch eine weniger scharfe Brille auf die Nase setzen.«

»Entschuldigt den Vorwitz eines soviel Jüngeren, Magnifizenz!« sagte Freder mit einer geschmeidigen Verbeugung.

Zierenberg winkte ab.

»Es ist schon gut.«

Freder schien zu überlegen.

»Deucht Euch denn wirklich,« fuhr er fort, indem er ganz nahe an den Alten herantrat, »daß das, was diese geriebenen Franzmänner, diese Adepten des hyperschlauen Kardinals in Paris, jetzt in Stuhmsdorf zuwege gebracht haben, für unsere gute Stadt Danzig so abträglich ist?«

»Nicht im geringsten, mein Bester!«

»Na also! Allein, daß die Seezölle jetzt wieder in unseren Säckel fließen und der Schwede die Hand davon lassen muß! Und der Waffenstillstand zwischen dem Schweden und dem Polen auf volle fünfundzwanzig Jahre ...!«

»Wovon wir die Hälfte abziehen wollen, mein Freund!«

»Glaubt Ihr? Meint Ihr? Ist es nicht im Grunde gleichbedeutend mit einem Friedensschluß auf ewige Zeit?«

Zierenberg lehnte sich in seinen Armsessel zurück und musterte den vor ihm Stehenden mit einem Ausdruck überfließenden Spottes.

»Schlagt die Blätter der Chronika auf, mein gelehrter Freund! Findet Ihr da irgendeinen Friedenspakt, der nicht auf ewige Zeit geschlossen worden wäre und der auch nur bis zum nächsten Menschenalter vorgehalten hätte? Geht mir doch ab mit Eurem Gerede vom ewigen Frieden, ihr junges Volk, das nicht über seine Nasenspitze hinwegzugucken vermag! Bringt erst einmal den Hechten in der Weichsel bei, daß sie die Barsche und Schleie und was da sonst noch herumschwimmt, nicht aufzufressen haben!«

Freder hatte ein paar Schritte gemacht und wandte sich jetzt mit einer lebhaften Gebärde wieder dem Alten zu.

»Einerlei, Magnifizenz!« rief er. »Friede ist Friede! Und wenn er auch nur ein paar Jahre dauert! Wir haben ihn doch, können ihn ausnützen! Können Atem schöpfen und wieder zu Kräften kommen, nach dem schwedischen Aderlaß mit den Seezöllen!«

Der Alte schüttelte den Kopf.

»Jedwedes Ding hat seine zwei Seiten. Ihr nehmt nur die eine davon in Augenschein. Atem schöpfen? Zu Kräften kommen, sagt Ihr? Aber daß auch der Pole gleichzeitig wieder zu Atem kommt und zu Kräften, daran denkt Ihr nicht! Dreißig Jahre, rund gerechnet, hat ihm der Schwede zugesetzt. Und wie lange ist es her, seit wir den Báthory auf dem Halse hatten?«

»Anno 1576. Also rund sechzig Jahre!«

»Stimmt! Ich war ein Junge von zehn Jahren. Denkt Ihr denn, daß in diesen rund sechzig Jahren der Pole nicht schon wieder Appetit gehabt hätte auf unsere Stadt und uns ans Leder gegangen wär', wenn der Schwede sich nicht die Hälfte dieser Zeit seiner angenommen hätt'. Ein Sigismund III.! Denkt doch mal! Hätte der sich's verkniffen, wenn er nicht Danzig gebraucht hätte gegen den Gustavus Adolphus? Und auch der wieder in gewissem Sinne uns? Ich sag' Euch, junger Mann, es ist kein Kinderspiel gewesen, in solch einer Zeit Bürgermeister von Danzig zu sein!«

Freder streckte dem Alten mit einem herzlichen Blick die Hand entgegen.

»Was Ihr zu Euren Tagen, Magnifizenz Zierenberg, für unsere löbliche Stadt getan und wie Ihr sie in all den Wirrnissen vor jedwedem Unheil beschirmt habt, das steht nicht nur in den Herzen und Hirnen aller guten Danziger unauslöschlich eingeschrieben, auch der Griffel Klios hat es für ewige Zeiten auf den Blättern unserer Chronika verzeichnet.«

Zierenberg heftete einen forschenden Blick auf die Züge des Jüngeren und schlug dann in dessen ausgestreckte Rechte ein.

»Schon gut! Schon gut!« sagte er mit einer abwehrenden Kopfbewegung. »Euer Wort soll gelten. Ich hoffe, es ist keine bloße Lippenweisheit. Aber nun macht Euch nach all dem, was ich vorhin sagte, einen Vers darauf, was demjenigen, der nach mir in dem Stuhl hier sitzen wird, für ein Pensum auferlegt sein wird, wenn der Pole nach zehn oder zwanzig Jahren, ebenso wie wir, wieder zu Atem und zu Kräften gekommen ist. Malt Euch das mal aus, mein Herr Nachfolger! Posito den Fall, daß Ihr es einmal werdet, wie Ihr es doch im Innersten plant und ins Werk zu setzen sucht.«

Freder hob beschwörend die Arme.

»Nein, nein! Macht mir nichts vor!« wehrte der Alte mit einer unmutigen Handbewegung ab. »Ihr wißt, ich habe das zweite Gesicht! Ich kenn' Euch durch und durch. Inwendig und auswendig! ... Aber lassen wir das! Jetzt etwas, das auf einem ganz anderen Blatt steht. Ich hab' eine große Neuigkeit für Euch. Ihr seid der erste, der sie hört. Wird bald Stadtgespräch sein.«

»Doch nicht durch mich!« beteuerte Freder.

»Ist ja auch gar nicht die Rede davon! Also vernehmt: Nächste Woche werden die Hochzeitsbieter der Häuser Schwarzwald und Zierenberg ihren Rundgang antreten.«

»Sonach ist es endlich so weit? Eure Nichte hat sich nun doch entschlossen? Na ja, warum nicht?! Was lange währt, wird gut, pflegt man zu sagen. Da wird der brave Proen ja wohl endlich zufrieden sein. In der Stadt ging schon ein Gerede, sie kommen überhaupt nicht zusammen, die zwei! Sie läßt ihn sitzen, hieß es, die schöne Anna!«

»Man könnte sie auch die widerspenstige Anna nennen,« brummte der Alte. »Haben wir nicht im vorigen Jahr so eine Hanswursterei von den englischen Spielern hier gehabt? Wie hieß sie doch gleich? Es kommt eine Widerspenstige darin vor, die ihr Herr Gemahl dann aber doch klein kriegt und um den Finger wickelt. Wie hieß das Stück doch gleich?«

Freder dachte einen Augenblick nach.

»Die bezähmte Widerspenstige,« meinte er dann. »Von einem gewissen Shakespeare, einem vor etwa zwanzig Jahren gestorbenen Engländer, von dem manche Leute hierzulande viel Wesens machen. Aber wie es in der Komödie hergeht, geradezu ordinär, das scheint mir nicht sehr für den Mister Shakespeare und sein Ingenium zu sprechen.«

»Habt Ihr Euch das Spektakelstück denn überhaupt angesehen?« fragte Zierenberg kopfschüttelnd.

»Was denkt Ihr von mir, Herrlichkeit?« erwiderte der Syndikus. »Ich hab' meinen Reitknecht reingeschickt.«

Zierenberg lachte.

»Und ich meine Barbara, mein altes Faktotum. Die hat es mir haarklein erzählt. Sie hat sich halb totgelacht! Ich hätt' mir's bei Gott auch noch angeguckt!«

»Ihr, Herrlichkeit, bei dem landfahrenden Volk?« staunte der Syndikus. »Das kann doch nicht Euer Ernst sein?«

»Ihr wundert Euch!« erwiderte Zierenberg mit einer kurzen Lache in sich hinein. »Da sieht man's, Ihr kennt mich noch immer nicht! Ich furcht' mich nicht so leicht vor irgendwas.«

Lärm und Jubel auf der Langgasse unten waren verstummt. Der festliche Einzug der französischen Ambassade schien beendigt zu sein. Beide Männer schwiegen, in ihre Gedanken versunken.

»Auf welches Datum ist die Hochzeit Eurer Nichte Anna Schwarzwald mit dem Feldhauptmann angesetzt?« fragte der Syndikus, das Schweigen unterbrechend.

»So um Martini herum,« erwiderte Zierenberg. »Das genaue Datum ist mir entfallen. Dafür hab' ich keinen Kopf mehr.«

Es sei dem Proen zu gönnen, äußerte Freder nach einer Weile. Solch ein langer Brautstand tue niemals gut. Er bringe nur auf schlechte Gedanken. Vielleicht wäre der Feldhauptmann sonst gar nicht darauf verfallen, das heiße Eisen anzufassen und sich um den Generalsposten, id est das Oberkommando in Danzig, zu bewerben. Dadurch sei doch der Stein erst ins Rollen gekommen, und jetzt habe nicht er, der Proen, sondern ein Fremder, der Huwald, den Posten erhalten.

Zierenberg sah argwöhnisch über die Pergamentrolle hinweg, über die er sich gebeugt hatte. Ob Freder ebenfalls in den Chorus der Malkontenten einstimmen wolle, die an Huwalds Bestallung herumnörgelten? Hier halte er sie in der Hand, selbige Bestallung, und es sollte mal jemand kommen und etwas daran anfechten. Inhalt und Echtheit, oder Siegel und Unterschrift, alles sei recte vollzogen, verbrieft und besiegelt. Der Huwald sei de jure et de facto Oberstkommandierender aller Danziger Streitkräfte, und kein Kaiser und kein König könnten an diesem Status rerum etwas ändern. Dafür verbürge sich er, Johann Zierenberg, Bürgermeister von Danzig und nebstbei auch Burggraf Seiner Polnischen Majestät dahier!

Im übrigen sei der Proen ein wackerer und aufrechter Mann, auf den er nichts kommen lasse, wenn er ihm auch als General für Danzig in diesem Zeitpunkt nicht zu taugen scheine, wofür der Huwald als geeigneter zu erachten sei, da er sich ja schon bei den Schwedischen und den Kaiserlichen, zuletzt auch in kursächsischen Diensten, genugsam hervorgetan habe. Womit dann dieser überflüssig aufgebauschte Casus zu den Akten gelegt werden könne. Es sei aber noch etwas anderes zu besprechen, das von Wichtigkeit sei. Morgen als am Sonntag werde es vonnöten sein, den französischen Gesandten, Grafen d'Avaux, der soeben als Führer und Haupt der Stuhmsdorfer Ambassade seinen Einzug gehalten habe, durch zwei Ratsherren ex officio im Namen der Stadt zu bekomplimentieren und zu dem ihr mit dem vorteilhaften Friedensvergleich geleisteten Dienste zu beglückwünschen. Er habe für diesen ehrenvollen Auftrag, der courtoise Manieren und Lebensart erfordere, ihn, den Syndikus, ausersehen und werde als zweiten noch den Ratsherrn Kerschenstein hinzuziehen. Freder möge sich also morgen, Sonntag, zur üblichen Stunde für die Visite bereithalten und eine seiner trefflichen lateinischen Ansprachen präparieren. Es sei ihm auch zu Ohren gekommen, daß bei den hiesigen Buchhändlern Schmähschriften, die aus den Niederlanden hergelangt seien, gegen erste Männer Frankreichs, zumal gegen den Kardinal Richelieu, zirkulieren und an Interessenten abgesetzt würden. Diesem für den Ruf Danzigs abträglichen Unwesen, von dem ihm der Kurbrandenburgische Rat Eurebeck Kunde gegeben, müsse zum allgemeinen Wohle Einhalt geboten werden, zu welchem Behuf durch Ratschluß diese sämtlichen Schmähschriften bei den Buchhändlern mit Beschlag belegt und konfisziert werden müßten. Freder möge hiervon dem französischen Gesandten Nachricht geben. Es sei nützlicher, in solchen Dingen Prävenire zu spielen, als erst eine ausdrückliche Beschwerde der sich beleidigt fühlenden Stellen abzuwarten. Von kurbrandenburgischer Seite, wo man sich in dieser Sache mit der Politik Richelieus eins fühlte, sei auch bereits gegen diese das Stuhmsdorfer Friedenswerk herabsetzenden Pamphlete Protest eingelegt worden.

»So geht denn, Freund Freder,« schloß der Bürgermeister seine Unterweisungen an den Syndikus und reichte ihm zum Abschied die Hand. »Ihr seid für heute von jeglicher Kommission entbunden. Ich bedarf Euer derzeit nicht mehr.«

Freder beeilte sich, der Aufforderung des Alten nachzukommen, um nicht womöglich doch noch die eine oder andere neue Kommission aufgehalst zu bekommen.

Schon am übernächsten Tage, dem Montag der neuen Woche, fanden sich bei den drei Danziger Buchhändlern, so auch im Verkaufsgewölbe des Andreas Hünefeld, Sendboten des Rates ein, um die Suche nach den aus den spanischen Niederlanden eingeschmuggelten Schmähschriften gegen den Kardinal Richelieu und Seine Allerchristlichste Majestät König Ludwig XIII. vorzunehmen und selbe unschädlich zu machen, nachdem inzwischen auch der französische Gesandte Graf d'Avaux officialiter seinen Unwillen über diesen dem französischen Namen angetanen Schimpf bekundet und alsbaldige Remedur verlangt hatte.

Es war also in diesen immer herbstlicher sich färbenden Wochen, während welcher Martin Opitz seine unfreiwillige Fahrt ans polnische Hoflager in Thorn unternahm, für genügenden Gesprächsstoff bei Hoch und Nieder in Danzig gesorgt. In den Patrizierhäusern der Langgasse und am Langen Markt zerbrachen sich vor allem die Frauen und Mädchen den Kopf, was wohl der Grund gewesen sein möge, der Anna Schwarzwald von ihrem Widerstand gegen die Vermählung mit dem Feldhauptmann von Proen abgebracht habe. Leichter nahm es die Männerwelt mit der Lösung dieses Rätsels, indem man mit der Faust auf den Tisch schlug und dazu erklärte, Proen habe sich nicht länger wollen zum Narren halten und als Waschlappen behandeln lassen. Man müsse den Frauenzimmern nur eben den Herrn zeigen, dann gäben sie klein bei und wüßten auch warum. Es sei doch klar wie Kloßbrühe, daß die Jungfer einfach sitzengeblieben wäre, wenn der Proen ihr wegen dieser Sache den Laufpaß gegeben hätte. Denn wer von ihnen allen, den Danziger Männern, hätte Lust gehabt, sich so wie jener an der Nase herumführen zu lassen!

Nicht lange, so sickerte auch aus dem Schwarzwaldschen Hause selbst, durch Erzählungen der Dienerschaft, dies und das über den wirklichen Hergang der Dinge durch, was die Meinung der Danziger Männerwelt zu bestätigen schien. Demnach hatte Proen in einem heftigen Auftritt mit Anna ihr eine Bedenkfrist von zweimal vierundzwanzig Stunden gestellt, ob sie in die Hochzeit bis spätestens Martini einwillige oder nicht, und habe, wenn nicht, ihr den Ring zurückgeben zu wollen erklärt, habe ebenso auch den seinigen für diesen Fall von ihr zurückgefordert. Es habe viel Tränen und Lamento mit obligaten Riechfläschchen bei Mutter und Tochter gegeben, bis der alte Zierenberg als Ohm und Familienoberhaupt mit einem Donnerwetter dazwischengefahren sei und der Jungfer den Kopf zurechtgesetzt habe. Zu Martini werde an den Altar getreten. So und nicht anders! Jetzt sei zwar bewölkter Himmel im Hause, aber doch im ganzen Frieden und Unterwerfung. Mit dem Alten, wie männiglich in der Stadt bekannt, war nicht gut Kirschen essen.

Hatte diesmal in der von einem sehr selbstbewußten Frauengeschlecht bewohnten Stadt ein Manneswort entscheidend durchgegriffen, so erwies sich bei einer gleichzeitigen anderen Gelegenheit weibliche Beharrlichkeit im Verein mit kluger Beredsamkeit als weit überlegenes Prinzip. Madame Constanzia, die erst vor wenigen Wochen, dem ehelichen Frieden zuliebe und in Ansehung des anzüglichen Geredes in der Stadt, auf ihre übrigens rein freundschaftlichen Beziehungen mit den französischen Gästen und auf die liebgewordenen Musikstunden mit ihnen verzichten zu wollen sich erboten hatte, war es in der Zwischenzeit gelungen, ihren durch sein Gichtleiden übelgelaunten Eheherrn eines Besseren zu belehren und ihm beizubringen, daß ein jäher Abbruch jenes an sich ganz harmlosen Verkehrs nach außenhin wie eine Bestätigung schlimmen Verdachtes erscheinen, also die umgekehrte Wirkung herbeiführen müsse und jedenfalls von den sehr feinfühligen Gästen als arge Kränkung aufgenommen werden würde, was doch nicht nur aus Gründen der Courtoisie, sondern auch aus den noch wichtigeren der Staatsraison ganz unerwünscht sei.

Ratsherr Kerschenstein, der während eines vorhergehenden Gichtanfalles von Constanzia mit gewohnter Aufopferung gepflegt worden war und noch wohleingepackt im Krankenstuhl saß, hatte sich der Überzeugungskraft zumal des letzteren Argumentes nicht verschließen können und mit manchem Wenn und Aber Constanzias kluger Beschwörung nachgegeben, jedoch unter dem Vorbehalt, daß mit der Wiederaufnahme des früheren Hausverkehrs zu warten sei, bis er seiner Gliedmaßen wieder völlig Herr geworden, womit seine ebenso einsichtige wie schöne Hausehre sich bereitwillig abfand, ja dies mit Nachdruck als unumgänglich hinstellte.

So herrschte denn im ratsherrlichen Hause gewohntes bestes Einvernehmen, als an einem Oktobernachmittag wieder der erste Empfang der franzmännischen Ambassade seit ihrer Rückkehr aus Stuhmsdorf vor sich ging. Ein rauher Nordweststurm, der geradeswegs von der See herkommend gleichsam ein Vorreiter des sich nahenden nordischen Spätherbstes zu sein schien, brauste über die Stadt hinweg und rüttelte mit Gewalt an den Fensterläden und Dachpfannen der altersgrauen Giebelhäuser. Ein wildes Wolkenheer stob vor seinem entfesselten Atem über den Himmel dahin.

Der Gesandte Claude de Mesmes Graf d'Avaux hatte es sich, trotz seiner vielen offiziellen Pflichten und Geschäfte, nicht nehmen lassen, der gastfreundlichen Einladung des angesehenen Ratsherrn und seiner weit über die Mauern Danzigs hinaus berühmten Gemahlin Folge zu leisten, und hatte den kurzen Weg von seinem Quartier nach dem Kerschensteinschen Hause in seiner Staatskutsche zurückgelegt. An seiner Seite befanden sich zwei gleich ihm eingeladene Mitglieder der Ambassade, der jugendliche ein wenig stutzerhafte Barone Varenne und der im Gegenteil höchst würdig sich ausnehmende Legationssekretär Charles Ogier, dem man nachsagte, daß er der persönliche Vertraute seines Vorgesetzten, des Gesandten, und Mitwisser so manches diplomatischen Geheimnisses sei.

Herr Claude de Mesmes Graf d'Avaux, eine schlanke Erscheinung von etwa fünfzig Jahren, erinnerte mit seiner gelblich-olivenen Hautfarbe und dem tiefschwarzen Haupthaar und Henriquatrebart eher an einen Spanier als an einen Franzosen, was ja auch der Herkunft des alten Baskengeschlechtes aus dem südländischen Navarra, König Heinrichs IV. angestammtem Erbland, entsprach. Der Vater des Grafen war mit dem ersten Bourbonenkönig aus der spartanischen Enge des Pyrenäenländchens in die zügellose Verderbnis des Pariser Hofes hinübergewechselt und hatte, wie sein Souverän, dem es auf eine Messe nicht ankam, wenn er dafür Paris gewann, ohne große Umstände das Abendmahl in zweierlei Gestalt wieder gegen den alten Glauben vertauscht, um an diesem dann allerdings mit dem Fanatismus des Proselyten festzuhalten; sehr zum Unterschied von seinem religiös indifferenten und toleranten König, aber in um so engerer Übereinstimmung mit dessen Gemahlin, der frömmelnden Maria von Medici. So hatte der baskische Edelmann, der, arm wie eine pyrenäische Kirchenmaus, nichts als ein fleckenloses Adelsschild mit nach Paris brachte, in zwanzigjährigem Hofdienst, noch zu Lebzeiten des ebenso streitbaren wie galanten Königs, dann, als Ravaillacs Dolch sein blutiges Werk vollbracht hatte, noch erfolgreicher unter der Regentschaft der Medicäerin, seinem Hause ein sehr solides Fundament an Gütern und Dotationen geschaffen, auf dem sein Sohn, der jetzige Sendbote Richelieus in Danzig, planvoll weiterbauen konnte, wie er denn auch die streng katholische Richtung seines Vaters für sich übernahm und beharrlich fortführte. Es war bezeichnend für die staatsmännische Überlegenheit Richelieus, der doch im übrigen auch noch ein Kardinal der Kirche war, daß er diesen unbedingten Bekenner der katholischen Lehre als seinen Vertreter nach dem ebenso unbedingt lutherischen Schweden und jetzt nach dem teils lutherischen, teils calvinistischen Danzig geschickt hatte, um von hier aus das überzeugt katholische Polen auf den Verhandlungsweg mit den politischen Erben Gustav Adolfs, des Ketzerkönigs, zu locken.

Von den beiden anderen Eingeladenen, die vor dem Kerschensteinschen Hause der Kutsche des Gesandten entstiegen, war der Baron Varenne mit seinem aufgezwirbelten Stutzerbärtchen einer jener jungen franzmännischen Edelleute und halben Abenteurer, die nach einem damals geläufigen Wort ihr Glück auf ihrer Degenspitze balancierten, um schließlich einmal in irgendeinem gleichgültigen Ehrenhandel ein blutiges Ende zu finden. Seine Familie hatte daher den jungen Mann, der neben seinen Duellen und Amouren auch noch der Musikliebhaberei nachging, zu seinem eigenen Besten unter das immerhin gelinde Regiment des Grafen d'Avaux gegeben, um dergestalt einen Diplomaten aus ihm zu machen. Der Gesandte, der für sich selbst nach strengen Grundsätzen lebte, brachte dem jungen Mann ein aufrichtiges Wohlwollen entgegen und duldete auch, daß er die Dame Constanzia in der ihr noch unbekannten französischen Gesangsmanier unterwies, hätte aber jeden Schritt vom Wege unnachsichtig zu ahnden verstanden, wie Varenne nur zu gut wußte. So war dieses Experiment bisher ohne besonderen Unfall vor sich gegangen.

Von weitaus größerem Gewicht als Varenne war die Persönlichkeit des anderen mit dem Grafen Eingeladenen, der in respektvollem Abstand von ihm die Beischlagstreppe des Kerschensteinschen Hauses emporstieg. Charles Ogier, vormals Parlamentsadvokat zu Paris, jetziger Legationssekretär der französischen Ambassade, war ein etwa vierzigjähriger, hagerer, mittelgroßer Mann mit einem schmalen Kopf und faltigem, bartlosem Gesicht über der weißen Halskrause, dem Zeichen seiner advokatischen Amtswürde: ein Bücher- und Aktenmensch, der niemals jung gewesen sein mochte, dafür aber jetzt, da er in die Jahre kam, eher wie ein Junger wirkte.

Zum Empfang der ausländischen Gäste standen an der weitgeöffneten Haustür Johann, der Reitknecht, und Däms, der langjährige Kutscher der Kerschensteins, in ihren Festtagswämsern bereit. Der Ratsherr hatte sie in feierliche, mit wappengezierten Silberknöpfen besetzte Livreen stecken wollen, dann aber auf Anraten Constanzias doch davon Abstand genommen. Sie war der Meinung, das hieße den nur allzu regen Widerspruchsgeist der lieben Nachbarn auf eine zu harte Probe stellen, und Kerschenstein hatte, wie immer, dem klugen Wort seiner Hausehre nur beipflichten können.

Im übrigen war von Madame Constanzia alles bereitet und getan worden, wie es sich bei einem solchen Anlaß für ein Ratsherrenhaus gehörte. Mildes Kerzenlicht floß von den silbernen Armleuchtern durch die Staatszimmer der Hänge-Etage, in denen mit den franzmännischen Gästen auch einige Freunde des Hauses an den mit Weinkannen und kostbaren Gläsern bestellten Tischen Platz genommen hatten. Da war Hauptmann Proen, in lebhafter Unterhaltung mit dem Grafen d'Avaux und dem jungen Baron Varenne, während Herr Charles Ogier sich eifrig seiner Nachbarin Lisbeth Hafferat widmete, Constanzias um mehrere Jahre jüngeren Freundin, die mit ihrem klassisch geschnittenen Profil, den schwarzen Augen unter den schöngezeichneten dunklen Brauen und der das schmale Gesicht umrahmenden kastanienbraunen Lockenfrisur als die eigentliche Schönheit dieses Kreises galt; sofern man dieser schmachtenden Venus nicht die dianenhafte, trotzige Anmut der ebenfalls erschienenen Anna Schwarzwald oder den reifen, fraulich kapriziösen Reiz der Hausfrau selbst gleich achten wollte. Unter den anwesenden Danzigern fiel der seemännische Charakterkopf des Bürgermeisters und Ratspräsidenten Johann Zierenberg auf, der mit seiner Schwester Brigitte Schwarzwald, Annas Mutter, gekommen war. Auch Syndikus Freder fehlte nicht unter den Eingeladenen. Man sagte ihm nach, daß er eine Schwäche für das weibliche Geschlecht und neben seinen vielen Amtsgeschäften immer auch noch Zeit für jenes habe. Neuerdings trat er als eifriger Verehrer der schönen Lisbeth Hafferat auf, die ihm heute jedoch noch keinen Blick geschenkt hatte, vielmehr ganz in das Gespräch mit Herrn Ogier versunken zu sein schien.

Die allgemeine Unterhaltung war rasch in Fluß gekommen, da ja jeder jeden kannte, die Pariser Gäste nicht ausgenommen, die doch schon eine Zeitlang auf diesem Boden weilten, allerdings für eine Reihe von Sommerwochen zu den schwedisch-polnischen Friedensverhandlungen unterwegs gewesen waren. Begreiflich genug, daß das Gespräch, vor allem der Männer, immer wieder zu einem so wichtigen Gegenstand zurückkehrte und manche allzu wißbegierigen Fragen der Danziger Herren von den Franzmännern nur mit einem vielsagenden Lächeln beantwortet wurden. Bei einer derartig strengen Diskretion, äußerte Freder etwas verstimmt zu Ogier, der von seiner schönen Nachbarin nicht ablassen zu wollen schien, könne es kein Wunder nehmen, daß über den wirklichen und wahren Inhalt des Stuhmsdorfer Pakts allerlei Gerüchte sich wie ein dichter Nebelschleier ausbreiten und für solche Pasquille, wie die neulich aus den Niederlanden hierher gedrungenen, ein nur zu fruchtbarer Boden geschaffen werde. Wogegen ja, fiel hier der Gesandte ein, dank dem loyalen Entgegenkommen eines hochedlen Rats der Stadt Danzig, bereits die nötigen Schritte getan seien. Er könne aus eigener Wissenschaft und Erfahrung, bemerkte Herr Ogier, vor seiner Nachbarin nun endlich sich der allgemeinen Unterhaltung zuwendend, er könne diese Konstatierung Seiner Erlaucht des Herrn Gesandten nur mit allem schuldigen Respekt bestätigen. Die inkulpierten Libelle und Pasquille seien wohl alle bis auf den letzten Rest bei den in Frage kommenden Buchhändlern vorgefunden und konfisziert worden. So habe man den Übelstand gleich bis an die Wurzel erfassen und der Ausbreitung des Lügengewebes Einhalt tun können. Er werde auch dafür Sorge tragen, so schloß der Gesandte diesen Gegenstand ab, daß über die außerordentliche Bereitwilligkeit eines hochedlen Rats ungesäumt an Seine Eminenz den Kardinal Rapport erstattet werde. Diese Aufgabe könne er keinem Würdigeren übertragen als seinem Freunde und liebwerten Mitarbeiter, dem hier anwesenden Herrn Charles Ogier, der sich auf das schmeichelhafte Kompliment hin denn auch von seinem Sitz erhob und mit der Hand auf dem Herzen sich zuerst gegen seinen hohen Chef, dann gegen die übrigen Anwesenden verneigte.

Schön gebräunte Napfkuchen, reichverzierte Torten und gemandelte Honigkuchen, die man hierzulande Pfefferkuchen, eine bestimmte Spezies davon auch Katharinchen nannte, wurden von der Dienerschaft herumgereicht und fanden besonders bei den ausländischen Gästen begeisterte Abnehmer. Die Franzmänner konnten sich nicht genug wundern, daß alle diese ebenso leckeren und wohlschmeckenden wie kunstvollen Gebilde aus den eigenen Händen der Hausfrau selbst hervorgegangen waren. Dies sei ein von den Vorvordern überkommener Brauch, so wurde den Fremden bedeutet, in dessen treue Bewahrung die Danziger Frauen seit jeher ihren ganzen Stolz gesetzt und woran sie alle ihre Kunstfertigkeit gewandt hätten. Nicht lange, so waren die eben noch gehäuft vollen Teller, Platten und Körbe leer und wurden durch neue Zufuhr aus den schier unerschöpflichen Vorratskammern des Hauses erfreulich nachgefüllt.

»Welch ein gesegneter Landstrich hier, fast an den äußersten Grenzmarken Europiens!« rief der Gesandte, das andächtig genießerische Schweigen der Gäste unterbrechend. »Ist es nicht, als hätten Ceres und Pomona in Person ihren Wohnsitz hier genommen? Erinnern Sie sich, meine Freunde,« fragte er, sich an Varenne und Ogier wendend, »wie wir vor einigen Wochen von Stuhmsdorf retournierend den Landstrich zwischen der alten Stadt mit der magnifiquen Burg, der Name ist mir entfallen, hierher nach dem schönen Danzig durchquerten und dabei vom Rücken unserer Pferde herunter die üppigen Weiden und die schwarze fette Ackerkrume des Tieflandes in Augenschein nahmen?«

»Euer Erlaucht nannten es ein Gefilde der Fruchtbarkeit! Einen einzigen Garten Eden!« bemerkte Herr Charles Ogier.

»Ich habe noch niemals so viele Gänse überall in Herden verstreut erblickt! Selbst nicht in unserem schönen Frankreich, auf den Fluren der Normandie!« äußerte Varenne. »Und was uns besonders auffiel: die feisten Kühe mit den starken Eutern!«

»Milch! Viel Milch!« fiel der Gesandte ein »Und Getreide in Hülle und Fülle! Kein Wunder dann, daß wir uns hier durch einen wahren Kuchenberg wie im Land der Schlaraffen hindurchzuessen haben!«

»Den Pomeranzen nicht zu vergessen, der dazugehört wie das Amen in der Kirche!« bemerkte Bürgermeister Zierenberg und griff nach dem mit dem öligen Likör gefüllten zierlichen, aber nicht allzu kleinen Kelchglas. »Mein Trinkspruch lautet: Auf unsere ehrenfeste Stadt Danzig! Unseren hochedlen Gästen zum Wohl!«

Der Gesandte verneigte sich im Namen der Gäste, ebenfalls mit erhobenem Glase, gegen den Bürgermeister.

»Eurer Herrlichkeit zum Wohle! Auf diese weltberühmte Stadt Danzig! Auf diese Insel des Friedens und der menschlichen Wohlfahrt inmitten eines Ozeans von Blut und Vernichtung!«

»Auf diesen schönsten Edelstein in der Krone Polens!« fügte der junge Baron Varenne in seiner etwas vorlauten Weise hinzu.

Ein betretenes Schweigen, zumal bei den Danziger Gastgebern, folgte auf das den Umständen nach recht unbedachte Wort des Attachés. In die Stille hinein erklang mit aller nur möglichen Deutlichkeit die klare Stimme des Bürgermeisters.

»Ich muß Euer Edlen, der es ja nicht wissen kann, korrigieren. Unsere Freie Hansestadt Danzig ist an Haupt und Gliedern von Grund auf ein deutsches Gemeinwesen und hat sich seinerzeit, es sind noch nicht zweihundert Jahre, aus freiem Entschluß und ohne irgendwelchen äußeren Zwang, nur aus Gründen der politischen Zweckmäßigkeit und der Staatsräson, mit der polnischen Krone in einer reinen Personalunion verbunden, ist sonach nicht als ein untrennbares Zubehör besagter Krone zu erachten, wie es das von Euer Edlen beliebte Gleichnis mit dem Edelstein nahelegen könnte. Soviel nur zur Richtigstellung und zur Vermeidung von späteren politischen Konsequenzen, die in diesen unsicheren Zeitläuften nur zu leicht gefolgert werden könnten. Damit erhebe ich noch einmal mein Glas und trinke es auf das Wohl unserer hochedlen Gäste aus Paris, zuvörderst des Herrn Gesandten Grafen d'Avaux als des bevollmächtigten Delegierten Seiner Eminenz des Kardinals Richelieu.«

Die Gläser klangen aneinander.

»Oh – la la!« murmelte Baron Varenne mit einem verlegenen Lächeln und vertiefte sich mit Frau Constanzia, die neben ihm saß, in eine Unterhaltung über die Vorzüge der französischen Sangesmanier vor der von ihr bisher geübten italienischen Gesangsweise.


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