Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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23. Kapitel

Von einer andern Hand geschrieben

Ein Jahr ist vergangen, seitdem unser teurer Freund Allan Quatermain am Ende seines Berichtes der von uns erlebten Abenteuer die Worte »ich habe gesprochen« niedergeschrieben hat. Es würde mir auch kaum eingefallen sein, seinem Bericht noch eine Nachschrift hinzuzufügen, hätte sich nicht durch einen höchst sonderbaren Zufall die Möglichkeit dargeboten, die Aufzeichnungen nach England zu schicken. Die Möglichkeit ist zwar nur eine schwache; da es aber nicht wahrscheinlich ist, daß sich uns je noch eine zweite bieten wird, sind Good und ich der Ansicht, daß wir sie nicht unbenutzt vorüber gehen lassen dürfen. Während der letzten sechs Monate sind verschiedene Kommissionen an den Grenzen von Zu-Vendis tätig gewesen, um wenn möglich zu entdecken, ob es irgendwelche Wege gibt, die aus dem Land oder in dasselbe führen, und ihre Bemühungen hatten das Ergebnis, daß ein bisher übersehener Verbindungsweg mit der Außenwelt ermittelt worden ist. Dieser Weg, der offenbar der einzige ist (denn ich habe herausgefunden, daß der Neger, der sich bis zu Herrn Mackenzies Mission verirrte, auf ihm vor etwa drei Jahren in das Land kam, wenn auch die 377 Priester aus bestimmten Gründen die Tatsache seiner Ankunft und späteren Ausweisung verschwiegen), wird jetzt gesperrt werden. Ehe dies aber geschieht, soll ein Bote mit dem Manuskript und mit Briefen von Good an seine Freunde sowie von mir selbst an meinen Bruder Georg abgesandt werden. Wir teilen unsern Angehörigen, die wir zu unserm tiefen Bedauern in dieser Welt nicht wiedersehen werden, als unsern Erben darin mit, daß sie unsern Besitz in England antreten können, wenn das Nachlaßgericht es ihnen gestattet, da wir entschlossen sind, nicht wieder nach Europa zurückzukehren. Es würde uns auch ziemlich unmöglich sein, Zu-Vendis zu verlassen, selbst wenn wir es wollten.

Unser Bote, dem ich viel Glück zu seiner Reise wünsche, ist Alfons. Seit geraumer Zeit schon ist er Zu-Vendis und seiner Bewohner bis zum Tode überdrüssig. »Oh, oui, c'est beau,« sagt er mit ausdrucksvollem Achselzucken, »mais je m'ennuie, ce n'est pas chic.« Des weiteren klagt er schrecklich über den Mangel von Cafés und Theatern und seufzt beständig nach seiner verlorenen Annette, von der er nach seinen Reden dreimal die Woche träumt. Ich glaube jedoch, daß, von dem Heimweh abgesehen, an dem jeder Franzose krankt, die geheime Ursache seines Abscheus gegen das Land eine ganz andere ist. Das Volk verhöhnt ihn nämlich schrecklich wegen seines Benehmens bei der großen Schlacht im Engpaß, wo er sich in Sorais' Zelt unter einem Banner verbarg, um nicht in den Kampf gesandt zu werden, da, wie er sagt, alles Blutvergießen gegen sein Gewissen verstößt. Selbst die kleinen Kinder riefen ihm auf der Straße 378 Spottnamen nach, verletzten ihn dadurch in seinem Stolz und machten ihm das Leben unerträglich. Auf jeden Fall ist er entschlossen, den Schrecken einer Reise von fast beispielloser Schwierigkeit und Gefahr zu trotzen, und es auch darauf ankommen zu lassen, der französischen Polizei in die Hände zu fallen, die ihn wegen eines kleinen, vor einigen Jahren begangenen Vergehens sucht, als noch länger in diesem pays triste zu bleiben. Armer Alfons! Es wird uns sehr leid tun, von ihm zu scheiden, ich hoffe jedoch sowohl um seinet- als auch um dieser Geschichte willen, die es wohl wert ist, daß die Welt sie kennen lernt, daß er sicher und wohlbehalten an seinem Ziele anlangt. Gelingt ihm das und kann er den Schatz, mit dem wir ihn in Gestalt solider Goldbarren versehen, mit sich führen, so wird er auf Lebenszeit ein verhältnismäßig reicher Mann und wohl imstande sein, seine Annette zu heiraten, wenn sie noch unter den Lebenden weilt und geneigt ist, ihren Alfons zu ehelichen.

Es sei mir gestattet, der Erzählung des lieben, alten Quatermain noch einige Worte hinzuzufügen.

Er starb, nachdem er die letzten Worte des letzten Kapitels geschrieben hatte, am nächsten Tage bei Sonnenaufgang. Nyleptha, Good und ich umstanden sein Lager, und es war ein höchst rührender und in seiner Art doch schöner Auftritt. Eine Stunde vor Tagesanbruch wurde es uns klar, daß er seine Kräfte verlor, und tiefe Trauer ergriff uns. Good löste sich tatsächlich beinahe in Tränen auf – eine Tatsache, die unserm sterbenden Freund eine letzte humoristische Bemerkung entlockte. Denn selbst in 379 jener Stunde hatte er seinen Humor noch nicht verloren. Good hatte in seiner Rührung sein Einglas aus dem Auge fallen lassen, und Quatermain, dem nichts entging, bemerkte auch dies.

»Endlich,« keuchte er, dabei schwach lächelnd, »habe ich Good ohne sein Einglas gesehen.«

Dann sagte er weiter nichts, bis der Tag anbrach, worauf er bat, daß man ihn aufrichten möge, damit er die aufgehende Sonne zum letztenmal sähe.

»In einigen Minuten,« sagte er, nachdem er sie ernst angeblickt hatte, »werde ich durch jene goldenen Tore eingegangen sein.«

Zehn Minuten darauf erhob er sich und blickte uns fest ins Antlitz.

»Ich trete jetzt eine seltsamere Reise als irgendeine an, die wir zusammen unternommen haben. Gedenkt manchmal meiner,« murmelte er, »Gott segne euch alle, ich werde auf euch warten.« Und mit einem Seufzer fiel er tot zurück.

So schied ein Charakter von uns, der der Vollkommenheit so nahe war, wie je einer der Menschen, denen ich in meinem Leben begegnet bin.

Es wurde ihm zu Ehren ein großes öffentliches Begräbnis veranstaltet oder, richtiger gesagt, seine Gebeine wurden dem heiligen Feuer übergeben, das sie verzehrte. Zuvor jedoch hatte Good in Nylepthas und meiner Gegenwart unsere heimatlichen Sterbegebete über ihn gesprochen. Ich konnte mich aber, als ich in dem langen prächtigen Zuge nach dem Tempel 380 hinaufmarschierte, nicht des Gedankens erwehren, wie sehr er die Feier verabscheut haben würde, da er ein Feind allen Schaugepränges war.

Und so legten sie ihn wenige Minuten vor Sonnenuntergang am dritten Abend nach seinem Tode auf den Erzfußboden vor dem Altar nieder und warteten, bis der letzte Strahl der untergehenden Sonne auf sein Antlitz fiel. Jetzt leuchtete er auf und umgab die bleiche Stirne mit einem Glorienschein. Dann bliesen die Trompeten, der Fußboden verschwand und was von unserem geliebten Freunde sterblich war, fiel in den Feuerherd hinab.

Wir werden nie seinesgleichen sehen, wenn wir auch hundert Jahre alt werden. Er war der begabteste Mann, der vollkommenste Gentleman, der treueste Freund, der erste Jäger und ich glaube auch der beste Schütze in ganz Afrika.

Und so endete das merkwürdige und abenteuerliche Leben Jäger Quatermains.

Es ist uns seither recht gut ergangen. Good war und ist noch eifrig mit dem Bau einer Flotte auf dem See Milosis und auf einem andern der großen Seen beschäftigt, vermöge derer wir sowohl Handel und Gewerbe zu heben als auch einen sehr lästigen und kriegerischen Teil der Grenzbevölkerung im Zaum zu halten hoffen. Armer Bursche! Nach und nach verwindet er den traurigen Tod der irregeführten, aber bezaubernden Königin Sorais. Ich hoffe aber, daß auch er im Laufe der Zeit eine passende Heirat machen und die unglückliche Begebenheit ganz aus seinem Gedächtnis verbannen wird.

Was mich selbst anbetrifft, so wüßte ich kaum den Anfang zu 381 machen, wenn ich mein Tun und Treiben beschreiben wollte. Ich will daher gar nicht erst davon anfangen, sondern mich einfach auf die Mitteilung beschränken, daß ich in meiner eigentümlichen Stellung als König-Gemahl ganz gut fertig werde, besser in der Tat, als ich eigentlich erwarten durfte. Natürlich stoße ich auch auf Schwierigkeiten und finde die auf mir ruhende Verantwortung sehr schwer. Dennoch hoffe ich, während meiner Zeit noch Gutes zu tun und namentlich möchte ich mich der Durchführung zweier großer Aufgaben widmen – der Verschmelzung nämlich der verschiedenen Stämme, die das Zu-Vendi-Volk bilden, unter einer starken Zentralregierung und der Beschränkung der Priestermacht. Die erste dieser Reformen wird, wenn sie sich durchführen läßt, den unheilvollen Bürgerkriegen ein Ende bereiten, die dieses Land seit Jahrhunderten verwüstet haben, und die zweite wird nicht allein eine Quelle politischer Gefahren entfernen, sondern auch der Einführung der wahren Religion, an Stelle der sinnlosen Sonnenanbetung den Weg bahnen. Ich hoffe, noch den Schatten des Kreuzes Christi auf dem goldenen Dom des Blumentempels zu erblicken, oder wenn nicht ich, so doch meine Nachfolger.

Noch eine Aufgabe gibt es, der ich mich widmen will, und das ist der gänzliche Ausschluß aller Fremden aus Zu-Vendis. Es ist zwar wenig wahrscheinlich, daß sich je welche zu uns verirren werden, doch will ich, wenn sie bei uns auftauchen, sie auf dem kürzesten Wege wieder zum Lande hinausbefördern. Ich werde dies nicht aus Ungastlichkeit tun, sondern weil ich überzeugt bin, 382 daß mir die heilige Pflicht obliegt, diesem im großen und ganzen ehrlichen und großmütigen Volk die Segnungen des halbbarbarischen Zustandes, in dem es sich befindet, zu erhalten. Wo würde meine tapfere Armee bleiben, wenn ein unternehmender Halunke uns mit Feldgeschützen und Henry-Martini-Gewehren angriffe? Ich kann nicht einsehen, daß Schießpulver, Telegraphen, Dampf, Tageszeitungen, allgemeines Stimmrecht usw. die Menschheit auch nur um einen Deut glücklicher gemacht haben als sie früher war, und bin vielmehr der festen Überzeugung, daß sie uns viele Übel in ihrem Gefolge brachten. Ich empfinde darum keine Neigung, dieses schöne Land einer Bande von Spekulanten, Touristen, Politikern und Lehrern zu überantworten, deren Stimme wie die Stimme von Babel ist und die, grade wie jene entsetzlichen Geschöpfe in dem Tal des unterirdischen Flusses um den Schwan, sich gegenseitig um Zu-Vendis zerreißen würden. Habsucht, Trunkenheit, neue Krankheiten und Schießpulver, die den Fortschritt der Zivilisation unter unverdorbenen Völkern hauptsächlich kennzeichnen, sollen, wenn ich es verhindern kann, nicht in unser Land hinein. Etwas anders ist es, wenn es im Laufe der Zeit der Vorsehung gefallen sollte, Zu-Vendis der Welt zu öffnen. Ich selbst möchte die Verantwortung jedoch nicht auf mich nehmen und darin ist Good ganz meiner Ansicht.

Gott befohlen!

15. Dezember 18—

Henry Curtis.

 


 


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