Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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6. Kapitel

Wie die Nacht verging

Wie man sich denken kann, hatte sich die ganze Bevölkerung der Missionsstation bei dem ersten Erscheinen der Massai hinter die starke Steinmauer geflüchtet, wo sie nun – Männer, Frauen und zahllose Kinder – in kleinen Gruppen umherhockten und alle auf einmal in gedämpftem ängstlichem Ton von den schrecklichen Sitten und Gebräuchen der Massai wie von dem Schicksal sprachen, das ihrer harrte, wenn diese blutdürstigen Wilden die Steinmauer zu ersteigen vermochten.

Sobald wir über die Grundlinien unseres Schlachtplans in Umslopogaas' Sinn einig geworden waren, entsandte Herr Mackenzie vier aufgeweckte Knaben im Alter von zwölf bis fünfzehn Jahren nach verschiedenen Punkten, von denen aus sie das Massailager überblicken konnten. Von Zeit zu Zeit sollten sie uns über die Vorgänge daselbst Bericht erstatten. Andere Burschen, ja sogar Frauen, wurden in bestimmten Abständen längs der Mauer aufgestellt, um der Möglichkeit eines Überfalls vorzubeugen. Hierauf berief unser Wirt die zwanzig Mann, die für den Augenblick seine ganze verfügbare Streitmacht bildeten, auf den vom Hause umschlossenen Platz und hielt an sie, wie an 92 unsere vier Askari eine ernste Ansprache. Es war ein sehr eindrucksvolles Bild, das wohl niemand, der es sah, vergessen wird. Unmittelbar neben der großen Schirmakazie stand die eckige Gestalt des Herrn Mackenzie, dessen zwar alltägliches aber freundliches Gesicht deutlich seine Seelenqualen widerspiegelten. Er hatte keinen Hut auf und streckte den einen Arm seinen Zuhörern entgegen, während er den andern gegen den Riesenstamm lehnte. Ihm zunächst auf einem Stuhl saß seine arme Frau, die ihr Gesicht mit den Händen verhüllte. Nach ihr kam Alfons, dem offenbar gar nicht recht geheuer zumute war; hinter ihm standen wir drei und noch ein wenig weiter im Hintergrund Umslopogaas, der sich wie gewöhnlich auf seine Streitaxt stützte. Vor uns hatte sich die Gruppe der Bewaffneten aufgestellt, die, zum Teil mit Gewehren, zum Teil auch mit Speeren und Schilden ausgerüstet, eifrig jedem Worte lauschten, das von des Redners Lippen fiel. Zwischen den hohen Zweigen der Fichte drang das weiße Licht des Mondes hindurch, dem das melancholische Klagen des Nachtwindes, der durch Millionen von Fichtennadeln über uns strich, einen noch trüberen Anstrich verlieh.

»Leute,« sagte Herr Mackenzie, nachdem er ihnen die ganze Sachlage ausführlich auseinandergesetzt und ihnen den Plan unserer schwachen Hoffnung klar entwickelt hatte: »Leute, seit Jahren bin ich euch ein guter Freund gewesen, der euch beschützt und unterrichtet und euch und die euren vor Harm bewahrt hat. Es ist euch gut bei mir ergangen. Ihr alle habt mein Kind – die 93 Wasserlilie, wie ihr sie nennt – von Jahr zu Jahr wachsen sehen, von der zartesten Kindheit an bis zum zarten Mädchen, und vom Mädchen bis zur Maid. Sie hat mit euren Kindern gespielt und euch gepflegt, wenn ihr krank waret, und ihr habt sie geliebt.«

»Wir liebten sie,« sagte eine tiefe Stimme, »und wir wollen sterben, um sie zu retten.«

»Ich danke euch – aus dem Grunde meines Herzens danke ich euch. Ich bin jetzt in dieser Stunde unserer tiefsten Not, jetzt wo grausame, wilde Männer, die wahrlich nicht wissen, was sie tun, ihr nach dem jungen Leben trachten – ich bin jetzt überzeugt, daß ihr euer Bestes tun werdet, um sie zu retten, damit ich und ihre Mutter nicht an gebrochenem Herzen sterben. Gedenkt auch eurer eigenen Frauen und Kinder. Stirbt sie, so werden sie uns hier angreifen, und selbst wenn wir uns im günstigsten Falle auch hinter der Mauer behaupten können, doch eure Häuser und Gärten zerstören, eure Habe und eure Herden rauben. Ihr alle wißt, daß ich ein Mann des Friedens bin. Nie habe ich in all diesen Jahren meine Hand erhoben, um Menschenblut zu vergießen, jetzt aber sage ich, schlagt drein, schlagt drein, im Namen Gottes, der uns unser Leben und unsere Heimat zu verteidigen gebot. Schwört mir,« fuhr er fort, seine Stimme noch mehr erhebend, »schwört mir, daß, solange noch einer von euch am Leben bleibt, ihr zusammen mit mir und diesen tapfern weißen Männern euer Bestes aufbieten werdet, um das Kind vor einem blutigen, grausamen Tod zu retten.« 94

»Sprich nicht weiter, mein Vater,« sagte dieselbe tiefe Stimme, die einem kräftigen Missionsältesten gehörte, »wir schwören es. Mögen wir und die unsern einen Hungertod sterben und unsere Gebeine den Schakalen und Geiern vorgeworfen werden, wenn wir den Eid brechen! Es ist ein furchtbares Unternehmen, mein Vater, wenn so wenige den Kampf mit so vielen aufnehmen sollen, dennoch wollen wir es versuchen oder dabei sterben. Wir schwören es!« – »Ja, wir alle schwören!« stimmten die andern mit ein.

»Auch wir schwören,« sagte ich.

»Ich danke euch,« fuhr Herr Mackenzie fort. »Ihr seid kein schwankes Rohr, sondern Männer, auf die ich mich stützen kann. Und nun, meine Freunde, ob weiß oder schwarz, laßt uns alle niederknien und vor dem Thron der Allmacht unser demütiges Gebet darbringen, daß Er, der unser aller Schicksal in Seiner Hand hält, der Leben und Tod gibt, unsere Arme stärken wolle, damit wir in der Prüfung, die uns beim Morgengrauen erwartet, die Oberhand behalten.«

Er kniete nieder, und mit ihm alle Anwesenden, mit Ausnahme von Umslopogaas, der noch immer, grimmig auf Inkosi-Kaas gestützt, im Hintergrunde stand. Der wilde alte Sulu kannte keine Götter und betete nichts an, es wäre denn seine Streitaxt gewesen.

»O, allmächtiger Gott!« begann der Geistliche, dessen tiefe vor Bewegung zitternde Stimme von dem Echo bis hinauf in das luftige Dach des Fichtenbaumes getragen wurde, »Beschützer 95 der Bedrängten, Zuflucht aller, die in Gefahr schweben, Retter der Hilflosen, höre unser Gebet! Allmächtiger Vater, flehend kommen wir zu dir. Höre unser Gebet! Siehe – du gabst uns ein Kind – ein unschuldiges, in deiner Furcht erzogenes Kind – und jetzt liegt es, von einem furchtbaren Tode bedroht, unter dem Schatten des Schwertes wilder Männer. Sei jetzt bei ihr, o Gott, und tröste sie! Rette sie, o himmlischer Vater! O großer Gott der Schlachten, der du uns zu kämpfen und zu streiten lehrst, in dessen Stärke die Geschicke der Menschen verborgen sind, sei du bei uns in der Stunde der Gefahr. Wenn wir hinausziehen in den Schatten des Todes, gibt uns Kraft zu siegen. Gehe mit uns, o Vater, gehe mit uns, wie vor Zeiten mit den Israeliten, in die Schlacht. O, Gott der Schlachten, höre unser Gebet!«

Er hörte auf. Im nächsten Augenblick erhoben wir uns und gingen dann allen Ernstes an unsere Vorbereitungen. Es war, wie Umslopogaas sagte, Zeit, mit dem »Reden« anzuhalten und zu handeln. Die Leute, die die verschiedenen kleinen Abteilungen bilden sollten, wurden sorgfältig ausgewählt und noch sorgfältiger und genauer über ihre Pflichten unterrichtet. Nach reiflichem Überlegen kamen wir überein, den von Good angeführten zehn Mann, die über das Lager herfallen sollten, keine Feuerwaffen mitzugeben, das heißt Good ausgenommen, der sowohl einen Revolver, wie das aus dem Körper unseres im Kanu ermordeten armen Dieners herausgezogene kurze Massaischwert trug. Wir fürchteten nämlich, daß, wenn sie Feuerwaffen erhielten, ihre 96 Kugeln in dem Wirrwarr der drei gleichzeitig stattfindenden Kreuzfeuer auch unsere Mannschaft treffen könnten. Wir waren zudem alle der Ansicht, daß sich ihr Werk am besten mit kaltem Stahl ausführen ließ, eine Ansicht, für die Umslopogaas besonders nachdrücklich eintrat, der in der Tat ein außerordentlicher Anhänger und Befürworter der kalten Stahltheorie war. Wir hatten vier Winchesterrepetier- und außerdem noch ein halbes Dutzend Martinigewehre bei uns. Ich bewaffnete mich mit meinem eigenen Repetiergewehre, einer ausgezeichneten Waffe, für alle Fälle, wo Schnellfeuer notwendig ist. Herr Mackenzie nahm ein zweites, und die beiden übrigen gaben wir zwei Eingeborenen, die damit umzugehen wußten und berühmte Schützen waren. Die Martini- und einige Herrn Mackenzie gehörigen Gewehre wurden, zusammen mit reichlicher Munition, unter die Eingeborenen der beiden Abteilungen verteilt, die von zwei verschiedenen Seiten des Kraals Feuer auf die schlafenden Massai eröffnen sollten und glücklicherweise alle mehr oder weniger mit Gewehren umzugehen wußten.

Von Umslopogaas wissen wir, daß er mit einer Axt bewaffnet war. Es ist vielleicht am Platze, noch einmal daran zu erinnern, daß er, Sir Henry und der stärkste Askari den Dorneneingang in den Kraal gegen den Flüchtlingsstrom, der sich voraussichtlich dorthin wenden würde, behaupten sollten. Für einen solchen Zweck waren Gewehre natürlich nutzlos. Sir Henry und der Askari sahen sich deshalb nach einer gleichen Waffe um. Zufälligerweise hatte Herr Mackenzie in seinem kleinen Magazin 97 eine Auswahl der allerbesten in England angefertigten Spitzäxte vorrätig. Sir Henry suchte sich eine aus, die etwa zweieinhalb Pfund wog und eine sehr breite Klinge besaß, und der Askari nahm eine nicht ganz so schwere. Nachdem Umslopogaas die beiden Äxte zur Vorsicht haarscharf geschliffen hatte, befestigten wir sie an zwei je drei Fuß sechs Zoll langen Stielen, wovon Herr Mackenzie zum Glück einige aus einem ebenso leichten wie außerordentlich starken einheimischen Holz auf Lager hielt. Die Stielenden kerbten wir ein, um ein Ausgleiten der Hand zu verhüten, trieben die Äxte so fest wie möglich darauf und tauchten die Waffen dann eine halbe Stunde lang in einen Eimer Wasser. Es hatte dies zur Folge, daß das Holz in der Scheide derart anschwoll, daß es durch keinerlei Gewalt, Feuer allein ausgenommen, mehr aus ihr herauszubringen war. Die Aufsicht über diese wichtige Arbeit führte natürlich Umslopogaas. Mittlerweile ging ich auf mein Zimmer und öffnete eine mit Blei ausgeschlagene, seit unserer Abreise aus England verschlossen gebliebene Holzkiste, die – was meinen Sie? – nichts mehr und nichts weniger als vier Panzerhemden enthielt.

Auf einer früheren Reise in einem andern Teile Afrikas waren wir drei nur dank einigen von Eingeborenen angefertigten Eisenhemden am Leben geblieben, und dieser Tatsache eingedenk, hatte ich vor Antritt unserer jetzigen abenteuerlichen Expedition den Freunden vorgeschlagen, uns einige Panzer nach unserm Maß anfertigen zu lassen. Dies bot anfänglich seine Schwierigkeiten, da das Schmieden von Rüstungen eine beinahe 98 ausgestorbene Kunst ist. In Birmingham fertigt man aber heutzutage alles an, was es in Stahl nur geben kann, vorausgesetzt natürlich, daß man auch den gehörigen Preis zahlen will, und als Lohn für unser Umfragen erhielten wir zuletzt die schönsten Stahlhemden, wie wir sie vollkommener nie gesehen hatten. Es war eine unbeschreiblich mühsame Arbeit gewesen, da das Gewebe aus Tausenden und aber Tausenden von ebenso starken wie zierlichen Stahlringen bestand. Zu diesen Panzern gehörten vier Kopfbedeckungen, die wie gewöhnliche braune Reisemützen mit Ohrlappen aussahen, jedoch so mit Stahlringen gefüttert waren, daß sie dem Kopfe einen höchst wertvollen Schutz boten.

In unserm Zeitalter der Magazinkugeln, gegen die alle Rüstungen natürlich ganz zwecklos sind, klingt es beinahe lächerlich, von Stahlhemden zu sprechen. Wo man jedoch mit Wilden zu tun hat, die nur mit Assagaien oder Schlachtäxten kämpfen, gewähren sie dem Träger einen unschätzbaren Schutz, da sie für alle Hieb- und Stoßwaffen undurchdringlich sind. Oft habe ich mir gedacht, daß, wenn die Regierung in unsern Kriegen mit den Wilden an die Soldaten leichte Stahlhemden hätte austeilen lassen, heute noch mancher Mann leben würde, der schon längst tot und vergessen ist.

Da Curtis zwei Rüstungen sein eigen nannte und entschlossen war, das schwerere, sein »Kombinationshemd«, wie er es nannte, zu tragen, das seine Beine bis an die Knie beschützte, schlug ich ihm vor, das andere Umslopogaas zu leihen, der die Gefahr und den Ruhm seines Postens mit ihm teilen sollte. Er erklärte 99 unverzüglich seine Zustimmung und rief den Sulu zu sich, der darauf mit Sir Henrys Axt herbeikam. Als wir ihm das Stahlhemd zeigten und unsern Wunsch aussprachen, daß er es anlege, weigerte er sich zuerst, da er seit dreißig Jahren seine eigene Haut zu Markt getragen hätte, wie er sagte, und jetzt nicht noch anfangen wolle, in einer eisernen zu kämpfen. Um ihn von der Verkehrtheit seines Widerstandes zu überzeugen, ergriff ich einen schweren Speer und schleuderte ihn mit aller Macht auf das am Boden liegende Panzerhemd, von dem die Waffe zurücksprang, ohne die geringste Spur auf dem Stahl zurückzulassen. Dieser Beweis hatte ihn schon halb bekehrt, und als ich noch darauf hinwies, daß er auf einen Schild verzichten und beide Hände gebrauchen könne, wenn er das Hemd trage, gab er sofort nach und legte sich ohne Murren die »eiserne Haut« an. Obwohl für Sir Henry gemacht, paßte sie dem großen Sulu doch wie angegossen. Beide Männer waren beinahe von einer Höhe, und wenn Curtis, der eine stattlichere vollere Figur besaß, etwas größer aussah, so glaube ich doch, daß der Unterschied mehr eingebildeter als tatsächlicher Art war. Umslopogaas hatte nur verhältnismäßig dünne Arme, die aber so stark wie Draht waren. Auf jeden Fall bildeten die beiden, als sie – die Axt in der Hand und in den braunen Panzer gekleidet, der sich wie ein Tuchgewand an ihre mächtigen Körper anschloß und das Spiel ihrer Muskeln wie die Umrisse jeder Linie deutlich verriet – nebeneinander dastanden, ein Paar, dem im Kampfe entgegenzutreten zehn Männer oder mehr sich wohl bedenken mochten. 100

Es war jetzt nahezu ein Uhr morgens, und die Spione meldeten uns, daß die Massai, nachdem sie das Blut der geschlachteten Ochsen getrunken und ungeheure Mengen Fleisch verschlungen, sich um ihre Lagerfeuer zum Schlafe niedergelegt, an jeder Öffnung des Kraals aber Schildwachen aufgestellt hätten. Flossie, so fügten sie hinzu, säße auf der westlichen Seite des Kraals etwa in der Mitte und gar nicht weit von der Mauer, bei ihr wären die Wärterin und der an einen Pflock angebundene Esel. Sie sei an den Füßen mit einem Strick gefesselt und rings um sie herum lägen Krieger.

Mit allen Vorbereitungen fertig, stärkten wir uns noch schnell durch etwas Speise und Trank und legten uns dann auf einige Stunden zur Ruhe nieder. Daß sich der alte Umslopogaas auf den Boden warf und unbekümmert um das über ihm schwebende Verhängnis sofort in tiefen Schlaf fiel, erregte meine höchste Bewunderung. Ich weiß nicht, wie es mit den andern stand, mir selbst aber war es durchaus unmöglich zu schlafen. Ich muß vielmehr gestehen, daß ich mich – wie immer bei solchen Anlässen – ein wenig fürchtete, und daß ich jetzt, wo das Feuer von mir gewichen war und ich in Ruhe über unser Vorhaben nachdachte, gar nicht davon erbaut war. Wir zählten insgesamt nur dreißig Mann, von denen viele zweifellos gar nicht ans Kämpfen gewöhnt waren und standen im Begriff, es mit zweihundertfünfzig der wildesten, gefährlichsten und tapfersten Eingeborenen Afrikas aufzunehmen, die, was die Sache noch bedeutend für uns verschlimmerte, obendrein durch eine Steinmauer beschützt wurden. 101 Es war in der Tat ein verrücktes Unternehmen, das noch verrückter erschien, wenn ich daran dachte, daß wir unsere Stellungen kaum einnehmen konnten, ohne die Aufmerksamkeit der Schildwachen zu erregen. Und trat dieser Fall ein, so war es aus mit uns, da dann das ganze Lager in einer Sekunde auf den Beinen sein würde, und unsere einzige Hoffnung in einer Überrumpelung lag.

Das Bett, auf dem ich während dieser unbehaglichen Erwägungen lag, stand in der Nähe eines offenen, auf die Veranda blickenden Fensters, durch welches ganz außerordentliche Töne, wie wenn jemand heftig weinte und stöhnte, zu mir heraufdrangen. Als ich endlich meinen Kopf zum Fenster hinausstreckte, um mich nach der Ursache dieser Töne umzusehen, entdeckte ich am Ende der Veranda eine kniende Gestalt, die ihre Hände leidenschaftlich gegen ihre Brust schlug und in der ich Alfons erkannte. Da ich seine wehklagenden Ausrufe nicht verstand, rief ich ihn zu mir und fragte ihn, was er dort täte.

»Ach, Monsieur,« seufzte er, »ich bete für die Seelen derer, die ich heute erschlagen werde.«

»Wirklich,« sagte ich, »dann wünsche ich aber, daß Sie es ein wenig leiser tun.«

Alfons zog sich zurück und ich hörte nichts mehr von seinen Seufzern. So verging die Zeit, bis Herr Mackenzie mich endlich durch das Fenster flüsternd bei Namen rief. »Drei Uhr,« sagte er, »wir müssen in einer halben Stunde aufbrechen.«

Gleich darauf trat er zu mir ins Zimmer, und ich muß 102 gestehen, daß ich, wenn mir nicht gar so wenig lächerlich zumut gewesen wäre, bei dem Anblick seiner Ausrüstung vor Heiterkeit laut herausgeplatzt wäre. Er trug erstlich einen langen Talar und einen breitkrempigen schwarzen Filzhut, beide, wie er sagte, ihrer dunklen Farbe wegen. In seiner Hand hielt er das Winchester-Repetiergewehr, das wir ihm geliehen hatten und in einem jener Gummigürtel, wie man sie bei uns zu Hause zum Kricketspiel benutzt, hingen ein riesiges Vorschneidemesser mit knöchernem Griff und einer Sicherheitsvorrichtung, sowie ein langer Coltscher Revolver.

»Ah, mein Freund,« sagte er, als er mich seinen Gürtel anstarren sah, »es scheint, daß mein Vorschneidemesser Ihnen auffällt. Ich dachte, daß es im Handgemenge von Nutzen sein könnte. Es ist von ausgezeichnetem Stahl und ich habe schon manches Ferkel damit abgestochen.«

Um diese Zeit waren alle auf den Beinen und beim Ankleiden begriffen. Ich zog ein leichtes Norfolk-Jackett über mein Panzerhemd, um eine bequeme Tasche für meine Patronen zu haben, und schnallte mir dazu meinen Revolver um. Good tat das gleiche, Sir Henry aber zog weiter nichts als sein Panzerhemd, die Stahlkappe und ein Paar »Veldtschoons« oder Schuhe aus weichem Leder an, die seine Beine von den Knien an bloß ließen. Seinen Revolver gürtete er um die Mitte über das Panzerhemd.

Inzwischen stellte Umslopogaas die Männer auf dem Platze unter dem großen Baum auf und schaute sorgfältig nach, ob sie auch alle vorschriftsmäßig bewaffnet waren. Im letzten 103 Augenblick nahmen wir noch eine Änderung vor. Da wir nämlich entdeckten, daß von den mit Gewehren bewaffneten Leuten zwei gar nicht mit Schußwaffen umzugehen verstanden, dagegen gut auf ihre Speere eingeübt waren, nahmen wir ihnen die Gewehre wieder fort, gaben ihnen Schild und lange Speere, wie die Massai sie tragen, und teilten sie Curtis, Umslopogaas und dem Askari zu, die den breiten Eingang zu verteidigen hatten. Drei Männer allein, wie stark und tapfer sie auch sein mochten, waren, das sahen wir denn doch ein, zu wenig für jenen wichtigen Posten. 104

 


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