Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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14. Kapitel

Sorais' Gesang

Glücklich Agon und seiner frommen Schar entronnen, kehrten wir in unser Quartier im Palast zurück, wo nun eine gute Zeit für uns begann. Die beiden Königinnen, die Edlen und das Volk wetteiferten miteinander, uns mit Ehrenbezeugungen und Geschenken zu überhäufen. Der verhängnisvolle kleine Zwischenfall mit den Flußpferden sank in Vergessenheit, wo wir ihn ganz zufrieden schlummern ließen. Jeden Tag machten uns Abordnungen sowohl wie einzelne Personen ihre Aufwartung, um unsere Gewehre und Kleider, unsere Panzerhemden, unsere Instrumente und besonders unsere Uhren in Augenschein zu nehmen, von welch letzteren sie ganz entzückt waren. Mit einem Wort, wir kamen ganz in Mode, und zwar in dem Maße, daß junge Stutzer unter den Zu-Vendi den Schnitt einiger unserer Kleidungsstücke und namentlich Sir Henrys Jagdjoppe zu kopieren begannen. Eines Tages wartete uns wiederum eine Abordnung auf, und wie gewöhnlich legte Good für die Gelegenheit seine Galauniform an. Die Abordnung schien diesmal aber aus einer anderen Klasse von Besuchern als gewöhnlich zusammengesetzt zu sein. Es waren kleine, 232 unbedeutend aussehende Männer von außerordentlich höflichem, wenn nicht zu sagen, servilem Benehmen, und ihre Aufmerksamkeit schien sich ausschließlich auf die Einzelheiten von Goods Galauniform zu richten, von der sie zahlreiche Notizen machten und das Maß nahmen. Good fühlte sich in jenem Augenblick sehr geschmeichelt, da er sich nicht träumen ließ, daß er es mit den sechs ersten Schneidern von Milosis zu tun hatte. Vierzehn Tage später gelangte er jedoch zu einer anderen Ansicht, als er bei einer Hoffestlichkeit sieben oder acht Zu-Vendi-Gigerl in der ganzen Pracht einer recht gelungenen Nachahmung seiner Galauniform erblickte. Ich werde nie sein erstauntes und entrüstetes Gesicht vergessen. Nicht lange darauf entschlossen wir uns, hauptsächlich um dem Gespräch zu entgehen, ferner weil auch unsere Anzüge sich stark abnutzten und wir sie schonen wollten, die Eingeborenentracht anzunehmen. Wir fanden sie höchst bequem, obwohl ich gestehen muß, daß ich recht lächerlich darin aussah. Und nun erst Alfons! Nur Umslopogaas wollte nichts von dieser Tracht wissen. Als sein Lendentuch abgetragen war, machte sich der wilde alte Sulu ein neues und lief, unbekümmert um die Leute, so grimmig und nackt wie seine alte Kriegsaxt herum.

Inzwischen setzten wir unsere Sprachstudien eifrig fort und machten gute Fortschritte. Am Morgen nach unserem Abenteuer im Tempel stellten sich drei ernste ehrwürdige Herren mit Schreibbüchern, Tintenhörnern und Federkielen bei uns ein und gaben zu verstehen, daß sie mit unserem Unterricht beauftragt worden seien. So gingen wir alle, mit Ausnahme von 233 Umslopogaas, ernstlich an unser Studium heran und widmeten ihm täglich vier Stunden. Umslopogaas wollte indessen nichts davon wissen, er trug kein Verlangen, jene »Weibersprache« zu lernen, und als einer der Lehrer sich ihm mit einem Buch und einem Tintenhorn näherte und sie ihm schmeichelnd – etwa nach Art eines Küsters, der einem reichen aber geizigen Kirchenmitgliede den Klingelbeutel hinhält – entgegenhielt, sprang er mit einem wilden Fluch auf und ließ Inkosi-Kaas vor den Augen unseres gelehrten Freundes blitzen. Damit hatten die Versuche, ihn Zu-Vendi zu lehren, ihr Ende erreicht.

So verbrachten wir unsere Vormittage in nützlicher Beschäftigung, die immer interessanter wurde, je weiter wir vorschritten. Die Nachmittage aber galten unserer Erholung. Manchmal unternahmen wir Ausflüge, darunter einen nach den Marmorbergwerken und einen andern nach den Goldminen, die ich beide gern beschreiben würde, wenn ich nur Zeit und Raum dazu hätte. Manchmal auch gingen wir auf die Hirschjagd mit eigens dazu abgerichteten Hunden, die uns vielen Genuß bereitete, da das Land reich an Wild ist und unsere Pferde, die wir dem königlichen Marstall entnahmen, ausgezeichnet waren.

Manchmal auch gingen wir auf die bei den Zu-Vendi sehr beliebte Jagd mit Falken, die meist auf eine schnellfliegende Perlhuhnart losgelassen werden. Von dem Falken angegriffen, scheint der Vogel seinen Kopf zu verlieren, da er, statt Schutz zu suchen, hoch in die Luft fliegt und so dem Tier wunderbaren Sport bereitet. Ich habe eines dieser Perlhühner, das von einem 234 Falken verfolgt wurde, ganz aus meinem Gesichtskreise fortfliegen sehen. Noch besseren Sport bietet eine Schnepfenart von der Größe unserer Waldschnepfe, die in diesem Lande sehr reichlich vorkommt und die von kleinen, gewandten und vorzüglich dressierten Falken mit fast ganz roten Schwanzfedern gejagt wird. Das Zickzackfliegen der großen Schnepfe und die blitzartige Geschwindigkeit und Beweglichkeit des rotschwänzigen Falken bereiten dem Jäger außerordentliches Vergnügen. In die Reihe dieser Belustigungen gehört auch die Jagd mit abgerichteten Adlern auf eine sehr kleine Antilopenart; es ist ein wunderbarer Anblick, wenn man den großen Vogel immer höher und höher steigen sieht, bis er, nur noch wie ein schwarzer Fleck im Sonnenlicht sichtbar, plötzlich wie eine Kanonenkugel auf einen im Grase ruhenden Bock niedersaust, den niemand, als allein sein scharfes Auge, erblickt hat. Noch schöner ist das Schauspiel, wenn der Adler den Bock im Laufen erbeutet.

An anderen Tagen besuchten wir einige dem hohen Adel angehörige Großgrundbesitzer auf ihren schönen Landsitzen und sahen uns dann die am Fuße ihrer befestigten Schlösser liegenden Dörfer an. Wir erblickten dort herrliche Weingärten und Getreidefelder, sowie vorzüglich im Stand gehaltene Parkanlagen, deren Bäume mich mit Entzücken erfüllten, denn ich liebe einen guten Baum. Dort steht er so stark und trotzig und doch so schön, in Wahrheit ein Typus der besten Mannesart. Ach, man sollte es sich immer zweimal überlegen, ehe man einen Baum fällt! 235

Nachdem wir etwa drei Monate hindurch emsig Zu-Vendi gelernt hatten, wurde der gute Herr Good der alten Lehrer überdrüssig und kündigte ihnen deshalb, ohne uns zuvor ein Wörtlein mitzuteilen, an, es sei eine eigentümliche Tatsache, wir könnten aber keinen wirklichen Fortschritt in den tiefen Feinheiten einer fremden Sprache machen, wenn nicht Damen den Unterricht übernähmen – junge Damen, wie er wohlweislich hinzufügte. In seiner Heimat, so fuhr er weiter fort, sei es Sitte, die allerschönsten und nettesten jungen Mädchen, die zu finden seien, als Sprachlehrerinnen für Fremde auszuwählen usw.

Die alten Herren nahmen seine Mitteilung offenen Mundes hin. Es läge, das gaben sie zu, Vernunft in seinen Worten, da die Betrachtung des Schönen, wie ihre Philosophie lehre, eine gewisse Fügsamkeit des Geistes zur Folge hätte, ähnlich der, die der gesunde Einfluß der Sonne und der Luft auf den Körper ausübe. Es sei deshalb wahrscheinlich, daß wir die Zu-Vendi-Sprache etwas schneller erlernten, wenn sich die geeigneten Lehrerinnen finden ließen. Hinzu käme noch, daß wir besonders gute Übung in der Umgangssprache erhalten würden, da das weibliche Geschlecht von Natur geschwätzig sei.

Good gab ernst seine Zustimmung zu erkennen, und die gelehrten Herren verabschiedeten sich, da es, wie sie versicherten, ihr Befehl war, in jeder Weise unsern Wünschen zu entsprechen.

Man stelle sich daher die Überraschung und den Unwillen vor, die ich, und wie ich hoffe und glaube, auch Sir Henry empfand, als wir am nächsten Morgen beim Eintritt in unser 236 Studierzimmer an Stelle unserer gewöhnlichen ehrwürdigen Lehrer drei der schönsten jungen Weiber, die in Milosis anzutreffen waren – und das will ziemlich viel sagen – vorfanden. Errötend, lächelnd und sich verneigend gaben sie zu verstehen, daß sie hinfort unsern Unterricht übernehmen würden. Nun erst hielt Good, als wir einander überrascht anstarrten, es für angebracht, uns eine Erklärung zu geben. Er habe es ganz vergessen, so sagte er, aber die alten Herren hätten ihm am Abend zuvor angekündigt, es sei absolut notwendig, daß sich das weibliche Geschlecht mit unserm ferneren Unterricht befasse. Ich war wie niedergeschmettert und ersuchte Sir Henry um Rat in dieser Krisis.

»Die Damen sind nun einmal hier,« sagte er, »nicht wahr? Glauben Sie nicht, es würde sie bitter kränken, wenn wir sie wieder wegschickten? Unsereins mag nicht unhöflich sein.«

Inzwischen hatte Good schon mit der Schönsten des Dreiblattes die Unterrichtsstunde begonnen, und so gab ich seufzend nach. An jenem Tag verlief alles ganz vorzüglich, die jungen Damen waren sicherlich äußerst klug und lächelten nur, wenn wir einen Fehler machten. Nie zuvor sah ich Good so fleißig bei seinen Büchern, und selbst Sir Henry schien Zu-Vendi mit doppeltem Eifer zu lernen. »Ach,« dachte ich bei mir, »wird es immer so bleiben?«

Am nächsten Tage unterhielten wir uns schon weit lebhafter. Die Arbeit wurde in angenehmer Weise durch Fragen über unsere Heimat unterbrochen, wie die Damen dort beschaffen seien usw. Wir beantworteten diese Fragen auf Zu-Vendi, so gut es ging, 237 und ich hörte Good seine Lehrerin versichern, daß sie sich mit ihrem Liebreiz zu den Schönheiten Europas wie die Sonne zum Mond verhalte, worauf sie, den Kopf ein wenig zurückwerfend, erwiderte, sie sei eine einfache Lehrerin und weiter nichts, und es sei ganz und gar nicht nett von ihm, »ein armes Mädchen so zu hintergehen«. Dann hörten wir ein wenig Gesang, der wirklich reizend und dabei ganz natürlich und ungekünstelt war. Die Liebeslieder der Zu-Vendi sind äußerst rührend. Am dritten Tage waren wir schon ganz intim. Good erzählte seiner schönen Lehrerin einige seiner früheren Liebesabenteuer und rührte sie so, daß ihre Seufzer mit den feinen zusammenflossen. Ich unterhielt mich mit meiner Lehrerin, einem lustigen, blauäugigen Mädchen, über die Kunst der Zu-Vendi. In der Ecke schienen Sir Henry und seine Gouvernante, so weit ich urteilen konnte, ihre Lektion nach höchst praktischen pädagogischen Prinzipien durchzugehen. Die Dame wiederholte sanft das Zu-Vendi-Wort für »Hand«, und er ergriff sie, für »Augen«, und er blickte tief in ihre braunen Sterne, für »Lippen« und – da ging die Tür plötzlich auf, und Nyleptha, nur von zwei Soldaten begleitet, trat herein. Good hörte zu seufzen auf und begann mit lauter Stimme Zu-Vendi herzusagen, während Sir Henry pfiff und dabei ziemlich albern aussah. Die armen Mädchen selbst schienen vor Schreck die Sprache verloren zu haben.

Nyleptha richtete sich in ihrer ganzen Höhe auf, bis ihre Gestalt selbst die der hohen Soldaten zu überragen schien, und ihr Gesicht wurde erst rot und dann totenbleich. 238

»Soldaten,« sagte sie mit bebender Stimme, indem sie auf die schöne, aber leichtsinnige Lehrerin Sir Henrys deutete, »tötet mir jenes Weib.«

Die Männer zögerten, wie es sich kaum anders erwarten ließ.

»Wollt ihr meinen Befehl ausführen?« fragte sie wieder und mit derselben Stimme, »oder wollt ihr nicht?«

Da schritten sie mit gezücktem Speer auf das Mädchen ein. Jetzt hatte auch Sir Henry seine volle Geistesgegenwart wiedererlangt, er sah, daß das Lustspiel zum Trauerspiel zu werden drohte.

»Zurück!« rief er mit donnernder Stimme, indem er sich gleichzeitig vor das erschrockene Mädchen stellte. »Schande über dich, Nyleptha – Schande! Du sollst sie nicht töten.«

»Du hast gewiß deine guten Gründe, um sie zu beschützen, deine Ehre erheischt es, nicht wahr?« antwortete wütend die Königin. »Sie soll aber sterben – sie soll sterben.« Und sie stampfte mit dem kleinen Fuß.

»Gut,« antwortete er, »dann will ich mit ihr sterben. Ich bin dein Diener, o Königin, es geschehe mit mir, wie du willst.« Und er verneigte sich und richtete seine klaren Augen verächtlich auf ihr Gesicht.

»Fast wünsche ich, daß ich auch dich töten könnte,« antwortete sie, »denn du machst mich zum Gespött vor mir selbst.« Dann brach sie, da sie ihren Meister gefunden hatte und offenbar nicht wußte, was sie anders hätte tun sollen, in einen solchen Tränenstrom aus und sah in ihrem leidenschaftlichen Kummer so recht 239 königlich und lieblich aus, daß ich – trotz meines Alters gestehe ich es – Curtis darum beneidete, daß er sie mit seinen Armen stützte. Nach dem eben geschilderten Vorfall machte es übrigens einen ziemlich seltsamen Eindruck, sie in seinen Armen zu erblicken, ein Gedanke, der sich auch bei ihr einzustellen schien, denn sie entriß sich im nächsten Augenblick seiner Umarmung und schritt davon, uns alle in großer Unruhe zurücklassend.

Gleich darauf kehrte jedoch ein Soldat zurück und überbrachte den Mädchen den Befehl, sofort bei Todesstrafe die Stadt zu verlassen und in ihre Heimat auf das Land zurückzukehren. Es würde ihnen dann weiter kein Ungemach widerfahren. So gingen sie also von uns und eine von ihnen bemerkte philosophisch, es gewähre ihnen immerhin einige Genugtuung, uns in der Zu-Vendi-Sprache ein wenig weiter gebracht zu haben. Alsdann nahmen unsere früheren Lehrer zu meiner großen Beruhigung wieder ihren Unterricht auf.

Nyleptha fehlte an jenem Abend, wie es hieß, infolge eines bösen Kopfwehs, an der königlichen Tafel, zu der wir uns mit Furcht und Zagen eingestellt hatten. Dieses Kopfweh dauerte volle drei Tage, am vierten nahm sie aber wie gewöhnlich an dem Souper teil und reichte Sir Henry mit ihrem huldvollsten süßesten Lächeln die Hand, um sie zu Tisch zu führen. Sie spielte auf den kleinen Zwischenfall nicht weiter an, als daß sie mit höchst unschuldiger Miene bemerkte, sie sei, als sie uns kürzlich besuchte, um sich von unsern Studien zu überführen, von einem plötzlichen Ohnmachtsanfall erfaßt worden, von dem sie sich erst jetzt wieder 240 erholt hätte. Sie vermute, so fügte sie mit dem Humor, der sie nie verließ, hinzu, es sei der Anblick unserer angestrengten Tätigkeit gewesen, der sie so ergriffen hätte.

Sir Henry gab trocken zur Antwort, er hätte gedacht, sie sei an jenem Tage nicht ganz sie selbst gewesen, worauf sie ihm einen ihrer blitzartigen Blicke zuwarf, der sein Inneres wie ein Messer durchbohrt haben mußte. Dann ließen sie den Gegenstand fallen, und als die Tafel aufgehoben war, geruhte Nyleptha in höchst eigener Person eine Prüfung unserer bisher erworbenen Kenntnisse vorzunehmen und sich wohl zufrieden über das Ergebnis auszusprechen. Ja, sie trieb ihre Huld sogar so weit, daß sie uns, oder besser gesagt, Sir Henry, selbst eine Unterrichtsstunde gab, die wir höchst interessant fanden.

Und immer, während wir uns so unterhielten, oder richtiger gesagt, zu unterhalten versuchten, schaute uns Sorais von ihrem geschnitzten Elfenbeinstuhl zu und las uns alle wie ein Buch. Von Zeit zu Zeit nur sagte sie einige Worte und zeigte dabei jenes unheilverkündende Lächeln, das dem Wetterleuchten an einem Sommerabend glich. Und ihr so nahe, wie er es nur wagen konnte, saß Good und schaute sie ehrfurchtsvoll durch sein Einglas an, da er eine ernste Neigung zu dieser düsteren Schönheit zu empfinden begann, vor der ich mich, persönlich gesprochen, entsetzlich fürchtete. Ich beobachtete sie scharf und entdeckte bald, daß sie, trotz der äußerlich zur Schau getragenen Leidenschaftslosigkeit, im Grunde ihres Herzens bitter eifersüchtig auf Nyleptha war. Und noch etwas entdeckte ich, was mich mit trüben 241 Vorahnungen erfüllte, daß nämlich auch sie eine Neigung zu Sir Henry Curtis faßte.

So vergingen wiederum drei Monate, während welcher Zeit wir alle es zu einer ziemlich bedeutenden Fertigkeit in der Zu-Vendi-Sprache gebracht hatten, die übrigens gar nicht schwer zu erlernen ist. Wie die Zeit dahinschwand, wandte sich uns die Gunst des Volkes und selbst der Höflinge zu, die alle eine sehr hohe Meinung von unserer Intelligenz hegten, da Sir Henry, wie ich schon bei einer früheren Gelegenheit anführte, sie die Glasfabrikation zu lehren und mit Hilfe eines vor zwanzig Jahren erschienenen Kalenders, den wir zufällig bei uns hatten, den einheimischen Astronomen einige ganz unerwartete himmlische Erscheinungen vorherzusagen wußten. Es gelang uns sogar, vor einer Versammlung von Gelehrten das Prinzip der Dampfmaschine zu erklären, das sie mit Erstaunen erfüllte. So kam es, daß sich bei dem Volke der Gedanke festsetzte, daß wir unter keinen Umständen das Land verlassen dürften (was uns, selbst wenn wir es gewünscht hätten, wohl unmöglich gewesen wäre). Wir wurden daher mit Ehrenbezeugungen überhäuft, zu Offizieren der Leibwache der Schwester-Königinnen mit ständiger Wohnung im Palast ernannt, und unsere Meinung gab sogar in Fragen der Nationalpolitik häufig den Ausschlag.

So blau jedoch der Himmel zu sein schien, so gab es doch eine große Wolke am Horizont. Hatten wir zwar nichts mehr von jenen verwünschten Flußpferden gehört, so wolle man deswegen aber nicht denken, daß unser Verbrechen vergessen, oder die 242 Feindschaft der von Agon geführten mächtigen Priesterschaft beschwichtigt worden wäre. Im Gegenteil brannte das nur zeitweilig unterdrückte Feuer in der Stille nur um so heftiger fort, und der Aberglaube, der den Anstoß zu der Feindschaft gegen uns gegeben hatte, entwickelte sich, von Eifersucht geschürt, zu heftigem Haß. Bisher waren die Priester die Weisen des Landes gewesen und hatten sich aus diesem Grunde sowohl wie infolge des Aberglaubens besonderer Verehrung zu erfreuen gehabt. Dieser Zustand der Dinge änderte sich jedoch mit unserer Ankunft, da unsere ausländische Weisheit, unsere seltsamen Erfindungen und Andeutungen von bisher für unmöglich gehaltenen Sachen das priesterliche Ansehen bei den gebildeten Zu-Vendi nicht wenig erschütterten. Ein noch schlimmeres Verbrechen aber war es in ihren Augen, daß uns die allgemeine Gunst und das Vertrauen des Volkes zuteil wurde. All dies trug dazu bei, daß die Priesterschaft, die die mächtigste Körperschaft des Königreichs war, in uns ihre Todfeinde erblickte.

Auch noch von einer anderen Seite her drohte uns Gefahr. Es war die immer mehr zunehmende Eifersucht einiger hervorragender Edelleute mit Nasta an der Spitze, deren von Anfang an nur oberflächlich verhüllte Gegnerschaft jetzt in offenen Flammen auszubrechen drohte. Nasta hatte sich seit einigen Jahren um Nylepthas Hand beworben und seine Aussichten durften, als wir auf der Bildfläche erschienen, nach allem, was ich erfahren, keineswegs als aussichtslos gelten. Dies alles hatte sich jetzt aber geändert, die spröde Nyleptha hatte kein Lächeln mehr für ihn 243 übrig und er war gewitzigt genug, die Ursache zu erraten. Aufgebracht und unruhig, brachte er nun Sorais seine Huldigungen dar, doch nur um zu finden, daß er ebensogut hätte um einen Eisberg freien können. Mit einigen bitteren Scherzworten über seinen Wankelmut wurde ihm jene Tür auf immer verschlossen. Da gedachte Nasta der dreißigtausend wilden Schwertträger, die auf ein Wort von ihm durch die Bergpässe des Nordens hervordringen würden, und gelobte sich zweifellos, die Tore von Milosis mit unseren Köpfen zu schmücken.

Zuvor beschloß er jedoch, wie man uns mitteilte, einen letzten Versuch zu wagen und Nylepthas Hand vor dem versammelten Hofe zu verlangen, und zwar bei Gelegenheit des Jahresfestes, das zur Feier der Unterzeichnung der im Laufe des Jahres von den beiden Königinnen verkündeten Gesetze stattfand.

Nyleptha vernahm diese erstaunliche Nachricht mit scheinbarer Gleichgültigkeit und unterrichtete uns selbst, wenn auch mit zitternder Stimme, davon, als wir am Abend vor der großen Feierlichkeit bei Tische saßen.

Sir Henry biß sich auf die Lippen und verriet, so sehr er sich auch zu beherrschen suchte, deutlich seine Aufregung.

»Und welche Antwort wird die Königin dem großen Häuptling zu erteilen geruhen?« fragte ich in scherzendem Tone.

»Welche Antwort? Macumazahn,« (wir ließen uns in Zu-Vendis bei unsern Sulunamen rufen), sagte sie und zuckte ihre Schultern, »aufrichtig gesagt, ich weiß es nicht. Was soll ein armes Weib tun, wenn der Freier seine Werbung mit 244 dreißigtausend Schwertern unterstützen kann?« und unter ihren langen Augenwimpern blickte sie zu Curtis hinüber.

Grade in diesem Augenblick erhoben wir uns von der Tafel, um uns in ein anstoßendes Zimmer zu begeben. »Quatermain, rasch auf ein Wort,« sagte da Sir Henry zu mir. »Ich habe zwar nie zuvor davon mit Ihnen gesprochen, doch haben Sie es sicherlich erraten. Ich liebe Nyleptha, was soll ich tun?«

Zum Glück hatte ich bereits über die Frage nachgedacht und war daher imstande, ihm die Antwort zu erteilen, die ich unter den Umständen für die weiseste hielt.

»Sie müssen sich heute abend Nyleptha erklären,« entgegnete ich. »Jetzt ist der Zeitpunkt da, jetzt oder nie. Hören Sie mir zu. Nähern Sie sich ihr und bitten Sie sie leise, sie um Mitternacht vor dem Rademasdenkmal am Ende des großen Saals zu erwarten. Ich will dort Wache halten. Jetzt oder nie, Curtis.«

Wir schritten in das nächste Zimmer. Die Hände auf dem Schoß gefaltet, saß Nyleptha bereits dort und ihr liebliches Gesicht trug einen trüben, ängstlichen Ausdruck zur Schau. Einige Schritte von ihr unterhielt sich Sorais in ihrer langsamen, abgemessenen Weise mit Good. Nur eine Viertelstunde noch, und die Königinnen zogen sich, wie es die Sitte erheischte, zurück. Bis jetzt hatte Sir Henry Nyleptha noch kein einziges Wörtlein zu sagen vermocht. Es war, wenn wir die königlichen Schwestern auch oft sahen, keineswegs leicht, allein mit ihnen zu sprechen. Ich zermarterte mein Gehirn, und endlich kam mir ein Gedanke.

»Würde es der Königin gefallen,« sagte ich und verbeugte 245 mich tief vor Sorais, »ihren Dienern ein Lied zu singen? Unsere Herzen sind heute abend schwer. Erheitere uns darum, o Königin der Nacht (Sorais' Beiname unter dem Volk) durch deinen Gesang.«

»Meine Lieder, Macumazahn, sind nicht von der Art, die ein schweres Herz erleichtern. Dennoch will ich singen, wenn es dir gefällt,« antwortete sie und ging an einen Tisch, auf dem ein unserer Zither ähnliches Instrument lag, und schlug darauf einige Akkorde an.

Dann plötzlich erhob sich ihre mächtige Altstimme zu einem so wildsüßen und dabei so ergreifenden und schwermütigen Gesang, daß mir das Blut in den Adern still zu stehen schien. Empor, hoch empor stiegen die goldenen Töne, die in weiter Ferne zu schmelzen und dann wieder anzuschwellen und weiterzuschweben schienen, wie beladen mit der ganzen Sorge der Welt und der Verzweiflung der Verlorenen. Es war ein wunderbarer Gesang, doch fehlte mir leider die Zeit, ihn nach Gebühr zu würdigen. Ich erhielt jedoch den Text später und gebe nachstehend eine Übersetzung, so weit er sich überhaupt übersetzen läßt:

Sorais' Gesang
        Wie der Vogel, der im Dunkel seine Richtung sucht mit Not,
Wie die Hand, umsonst erhoben, wenn des Todes Sichel droht,
Ist das Leben! ja, das Leben, das zum Sange Kraft mir bot.
Wie das Lied der Nachtigallen, dessen Reiz den Sinn bestrickt,
Wie das Aug', das nur ein Weilchen durch das Tor des Himmels blickt,
Ist die Liebe! ja, die Liebe, deren Schwinge leicht zerknickt.
Wie der Schritt der Legionen, wenn die Kriegsdrommete klingt,
Wie des Sturmgotts Donnerstimme, die aus schwarzen Wettern dringt,
Ist die Obmacht! ja, die Obmacht, die zuletzt der Staub verschlingt.
Ach, so kurz ist unser Leben, doch zum Leiden lang genug,
Ist ein Träumen ohn' Erwachen, ist ein bittrer Selbstbetrug,
Bis am Morgen, bis am Abend uns die Todesstunde schlug!
Refrain
O, die Welt ist so schön in der Früh', in der Früh', und so labend;
Doch wie blutrot geht unter, wie blutrot die Sonne am Abend!

Ich wünsche nur, daß ich auch die Musik hätte niederschreiben können.

»Jetzt, Curtis, jetzt,« flüsterte ich ihm zu – als sie den zweiten Vers begann, und verdeckte ihn mit meinem Rücken.

»Nyleptha,« sagte er – meine Nerven waren so erregt, daß ich jedes Wort, so leise es auch gesprochen wurde, selbst durch Sorais' göttlichen Gesang hindurch vernehmen konnte –»Nyleptha, ich muß heute abend allein mit dir sprechen und koste es auch mein Leben. Antworte mir nicht nein, o antworte mir nicht nein!«

»Wie kann ich allein mit dir sprechen?« entgegnete sie, ohne die Augen aufzuschlagen. »Königinnen sind nicht wie andere Leute. Ich bin umgeben und bewacht.«

»Lausche meinen Worten, Nyleptha. Ich werde um Mitternacht vor dem Rademasdenkmal in dem großen Saale stehen. Ich kenne das Paßwort und habe daher Zutritt. Macumazahn 247 und der Sulu werden auch dort sein, um Wache zu halten. O komm', meine Königin, antworte nicht nein.«

»Es schickt sich nicht,« flüsterte sie, »und morgen –.« In diesem Augenblick verhallten die letzten Töne des Gesanges und Sorais wandte sich langsam nach uns um.

»Ich werde dort sein,« sagte Nyleptha schnell. »Bei deinem Leben – siehe zu, daß du mich nicht verfehlst.« 248

 


 

15. Kapitel

Vor dem Denkmal

Es war Nacht und tiefes Schweigen lag wie eine Wolke über der Felsenstadt.

Behutsam, wie Übeltäter, schlichen Sir Henry Curtis, Umslopogaas und ich uns durch die Wandelgänge einem Seiteneingang des großen Thronsaales zu. Einmal rief uns eine Schildwache mit lautem »Wer da« an. Ich gab das Paßwort und der Mann ließ uns, seinen Speer neigend, passieren. Wir waren ja Offiziere der königlichen Leibwache und hatten als solche das Recht, ungehindert zu kommen und zu gehen.

Unbemerkt erreichten wir den Saal. Es war so still darin, daß das Geräusch unserer Fußtritte von den hohen Wänden widerhallte und schwach und immer schwächer gegen die geschnitzte Decke schlug, wie wenn die Geister der Toten den Ort aufsuchten, den sie einst betreten hatten.

Es war ein unheimlicher, beklemmender Aufenthalt. Der Vollmond stand am Himmel und ließ durch die hohen, fensterlosen Öffnungen große Streifen Lichts in den Saal dringen, die sich rein und schön, wie weiße Blumen auf einem Sarge, von dem schwarzen Marmorboden abhoben. Ein solcher Silberpfeil 249 fiel auf das Denkmal des schlafenden Rademas und erleuchtete die über ihn gebeugte Göttin mit jenem sanften, hellen Licht, das man auf den Altären der katholischen Kathedralen findet.

Dicht bei dem Denkmal stellten wir uns auf und warteten, Sir Henry und ich dicht beieinander, Umslopogaas einige Schritte von uns entfernt, so daß ich in der Dunkelheit grade noch die Umrisse seiner auf die Axt gestützten langen Gestalt erkennen konnte.

So lange warteten wir, daß ich, gegen den kalten Marmor gelehnt, beinahe eingeschlafen wäre, wenn mich nicht ein plötzliches Räuspern von Curtis wieder wachgerufen hätte. Dann wurde, weit, weit vor uns ein leises Geräusch vernehmbar, wie wenn die Denkmäler an den Wänden einander eine Botschaft aus alten Zeiten zuflüsterten.

Es war das schwache Rauschen eines Frauengewandes. Näher kam es und immer näher. Wir konnten eine Gestalt sich von einem Streifen des Mondlichtes zum andern fortstehlen sehen und sogar den sanften Tritt von Füßen in Sandalen vernehmen. Noch eine Sekunde verging und ich sah den Schattenriß des alten Sulu den Arm zu stummem Gruß erheben: Nyleptha stand vor uns.

O, wie schön sie aussah, als sie einen Augenblick grade innerhalb des Mondlichts hielt. Ihre Hand war gegen ihr Herz gepreßt und ihr Busen hob und senkte sich stürmisch. Lose um ihren Kopf war ein gesticktes Tuch geworfen, das ihr vollkommenes Gesicht zum Teil verdeckte und es dadurch fast noch lieblicher 250 erscheinen ließ. Denn Schönheit, – bis zu einem gewissen Grade auf die Einbildung angewiesen – ist nie so schön, wie wenn sie sich in halber Verhüllung zeigt. Dort stand sie – strahlend aber doch furchtsam, imposant und doch süß. Es dauerte nur einen Augenblick, aber damals verliebte ich mich selbst in sie und liebe sie noch bis auf diese Stunde.

»Ich bin gekommen,« flüsterte sie dann, »es war aber sehr gefährlich. Ihr wißt nicht, wie scharf ich bewacht werde. Die Priester bewachen mich, Sorais mit ihren großen Augen bewacht mich und selbst meine Garden sind Spione. Auch Nasta bewacht mich. O, er möge sich in acht nehmen!« und sie stampfte mit dem Fuß. »Ich bin eine Königin und kann mich rächen. Er möge sich in acht nehmen, sage ich, damit er nicht, statt meine Hand zu bekommen, den Kopf verliere.« Leises Schluchzen beendete diesen Gefühlsausbruch und dann lächelte sie uns unter Tränen zu.

»Du gebotest mir hierherzukommen, mein Häuptling Incubu,« (Curtis hatte sie gelehrt, ihn bei diesem Namen zu rufen), »zweifellos handelt es sich um eine Staatsangelegenheit, denn ich weiß, daß du immer von großen Gedanken und Plänen zu meinem und meines Volkes Bestem erfüllt bist. Ich bin daher, wie es meine Pflicht als Königin gebot, gekommen, obwohl ich mich sehr fürchte, in der Dunkelheit allein zu gehen.«

Und sie lachte wiederum und blickte ihn aus ihren grauen Augen an.

Jetzt hielt ich es für angebracht, mich ein wenig seitwärts zu schlagen, da Staatsgeheimnisse bekanntlich nicht in die 251 Öffentlichkeit dringen dürfen. Sie wollte mich jedoch nicht weiter als fünf Schritte gehen lassen und hielt mich gebieterisch an, da sie sagte, daß sie eine Überraschung befürchte. So trug es sich zu, daß ich, wenn auch unfreiwillig, alles vernahm, was zwischen ihnen vorging.

»Du weißt, Nyleptha,« sagte Sir Henry, »daß Staatsangelegenheiten nichts mit dem Zwecke zu tun haben, um dessentwillen ich dich um die Zusammenkunft an diesem einsamen Ort bat. Nyleptha, laß uns die Zeit nicht mit Scherzen verschwenden, sondern höre mir zu, denn – ich liebe dich!«

Als er die Worte sagte, sah ich ihr Gesicht sich verändern. Der kokette Ausdruck verschwand und an seiner Stelle leuchtete das Licht der Liebe auf, das ihre Züge zu verherrlichen und denen der Göttin über ihrem Haupte ähnlich zu gestalten schien. Unwillkürlich kam mir der Gedanke, daß ein prophetisches Gefühl den seligen Rademas veranlaßt haben mußte, den Gesichtszügen des ihm im Traum erschienenen Engels eine so merkwürdige Ähnlichkeit mit seiner Urenkelin zu verleihen. Auch Sir Henry mußte die Ähnlichkeit bemerkt haben und von ihr betroffen worden sein; denn er blickte schnell von Nylepthas Antlitz auf die mondbeglänzte Bildsäule und dann wieder zurück auf die Geliebte.

»Du sagst, du liebst mich,« sagte sie mit leiser Stimme, »und deine Stimme klingt wahr. Wie aber soll ich wissen, ob du die Wahrheit sprichst? Wie kann ich wissen, daß du nur mich liebst? Wie kann ich wissen, daß du meiner nicht müde werden und 252 wieder deine Heimat aufsuchen wirst, wenn mir auch darüber das Herz bricht? Wer sagt mir, daß du nicht noch ein anderes Weib, ein schönes mir unbekanntes Weib liebst, das unter diesem selben Mond atmet, der heute nacht auf mich herableuchtet? Sage mir, wie ich Gewißheit erhalten kann?« Und sie faltete ihre Hände und streckte sie ihm entgegen, dabei flehend in sein Antlitz blickend.

»Nyleptha,« entgegnete Sir Henry in der Redeweise der Zu-Vendi, »ich habe dir gesagt, daß ich dich liebe. Wie aber soll ich dir sagen, wie sehr ich dich liebe? Gibt es ein Maß für Liebe? Ich sage dir, daß deine Stimme Musik in meinen Ohren und deine Berührung für mich wie Wasser für dürres Land ist, daß, wenn du da bist, die Welt schön ist, und daß, wenn ich dich nicht sehe, mir alles Licht erloschen ist. An deiner Seite will ich leben, Nyleptha, und an deiner Seite will ich sterben.«

Er hielt inne und schaute sie ernst an, doch ließ sie ihr Haupt wie eine Lilie hängen und sagte nicht ein einziges Wort.

»Siehe!« fuhr er fort und deutete auf das vom Mond beglänzte Denkmal, »du siehst jene Göttin, die ihre Hand auf die Stirn des Schläfers legt, du siehst, wie ihre Berührung seine Seele entflammt, so daß sie durch das Fleisch hindurchleuchtet – so auch ist es zwischen mir und dir, Nyleptha. Du hast meine Seele erweckt und aus sich herausgerufen, und nun, Nyleptha, ist sie nicht mehr mein, sondern dein und dein allein. Ich habe weiter nichts zu sagen, in deinen Händen ruht mein Leben.«

Und er lehnte sich gegen den Sockel des Denkmals zurück, 253 blaß zwar, aber leuchtenden Auges, und so stolz und schön wie ein Gott ausschauend.

Langsam, langsam richtete sie ihr Haupt auf und blickte mit ihren wunderbaren, von der Größe ihrer Leidenschaft beseelten Augen voll in sein Gesicht, wie wenn sie ihn bis auf den Grund der Seele erforschen wollte. Zuletzt sprach sie, leise zwar, aber so deutlich wie der Klang einer Silberglocke.

»Ich bin ein schwaches Weib und – ich glaube dir. Es wird ein schlimmer Tag für dich und auch für mich werden, sollte mein Schicksal es wollen, daß ich einer Lüge geglaubt habe. Und nun höre mir zu, o Mann, der du von weither gewandert bist, um mir mein Herz zu stehlen und mich ganz in Besitz zu nehmen. Ich lege meine Hand auf deine Hand und küsse dich, ich, deren Lippen nie zuvor geküßt haben, auf die Stirn und schwöre bei dieser meiner Hand und bei diesem meinem ersten heiligen Kuß, bei dem Wohle meines Volkes und bei meinem Thron, den ich aller Voraussicht nach um deinetwillen verlieren werde – bei dem Namen meines hohen Hauses, bei dem heiligen Stein und bei der ewigen Majestät der Sonne, daß ich für dich leben und sterben will. Und ich schwöre weiter, daß ich dich und dich allein bis zum Tode, ja und darüber hinaus, lieben werde, wenn es wie du sagst, noch ein Leben nach dem Tode gibt. Dein Wille soll mein Wille und deine Wege sollen meine Wege sein.«

Was sich dann noch zutrug, weiß ich wirklich nicht, da ich es nicht länger mitansehen konnte und den alten Umslopogaas aufsuchte, um mich ein wenig in seiner Gesellschaft zu erfrischen. 254 Mochten sie ihre Staatsangelegenheiten ohne Zeugen erledigen – und sie gebrauchten gehörige Zeit dazu.

Ich fand den alten Krieger, wie er, auf Inkosi-Kaas gelehnt, den Auftritt im Lichte des Mondscheins mit einem grimmen belustigten Lächeln betrachtete.

»Ah, Macumazahn,« sagte er, »ich werde alt, vermute aber, daß ich nie die Wege von euch Weißen verstehen lernen werde. Ich bitte dich, sieh' einmal dorthin, es ist gewiß ein hübsches Taubenpaar, wozu aber all der Unsinn, Macumazahn? Er sucht eine Frau und sie einen Mann, warum denn bezahlt er nicht seine Kühe und macht die Sache mit einemmal ab? Es würde beiden ein gutes Teil Mühe und Unannehmlichkeiten ersparen und wir wären nicht um unsern Schlaf gekommen. Dort aber gehen sie hin, schwatzen, schwatzen, schwatzen und küssen, küssen, küssen wie Irrsinnige. Puh!«

Etwa drei Viertelstunden darauf schlenderte das »Taubenpaar« auf uns zu. Curtis sah ein wenig albern aus und Nyleptha bemerkte kaltblütig, daß der Mondschein sehr hübsche malerische Effekte auf dem Marmorboden hervorbringe. Dann ergriff sie – denn sie war in sehr gnädiger Laune – meine Hand und sagte, ich sei »ihres Herrn« teurer Freund und daher auch ihr sehr teuer – wie man sieht, also nicht ein Wort, das mir um meinetwillen galt. Dann hob sie Umslopogaas' Axt empor, betrachtete sie neugierig und bemerkte bezeichnenderweise dazu, daß er vielleicht bald Gelegenheit haben werde, sie zu ihrer Verteidigung zu gebrauchen. 255

Darauf nickte sie uns allen freundlich zu, warf noch einen letzten zärtlichen Blick auf den Geliebten und verschwand in der Dunkelheit wie ein schönes Trugbild.

Am folgenden Morgen wurde Good von dem freudigen Ereignis in Kenntnis gesetzt, der die Nachricht glückstrahlenden Gesichtes, und zwar sowohl um der Sache selbst willen, als auch aus persönlichen Gründen, aufnahm. Er betete Sorais ebenso ernstlich an wie Sir Henry Nyleptha, ohne daß seine Anbetung indes den gewünschten Verlauf nehmen wollte. Es war ihm vielmehr – und auch mir – so vorgekommen, als ob die dunkle, an Kleopatra erinnernde Königin Curtis auf ihre eigene unerforschliche Weise weit mehr als Good bevorzuge. Es gewährte ihm daher eine nicht geringe Erleichterung, als er erfuhr, daß sein unfreiwilliger Nebenbuhler dauernd in einer andern Richtung gefesselt sei. Sein Gesicht verzog sich allerdings ein wenig über das Ersuchen, einstweilen gegen jedermann und besonders gegen Sorais das tiefste Schweigen über die Angelegenheit zu beobachten, da die politischen Zerwürfnisse, die einer übereilten Ankündigung folgen mußten, sich als zu groß erweisen und den Sturz Nylepthas von ihrem Thron nach sich ziehen konnten.

Wir fanden uns an jenem Morgen wiederum im Thronsaal ein, und ich vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken, als ich den Besuch mit unserem letzten verglich und mir sagte, daß, wenn Wände reden könnten, die Welt seltsame Geschichten vernehmen würde.

Was für Schauspielerinnen doch die Weiber sind! Dort oben 256 auf ihrem goldenen Thron saß in kostbarem Staatsgewand die schöne Nyleptha. Sie dankte Sir Henry, als dieser in der vollen Uniform eines Offiziers ihrer Leibgarde hereintrat und sich demütig vor ihr verneigte, nur mit nachlässigem Nicken und wandte sich dann kalt zur Seite. Es war eine sehr große Versammlung, denn nicht allein die Feierlichkeit des Unterzeichnens der Gesetze hatte viele Personen außer den Hofbeamten herbeigelockt, sondern es hatte auch das Gerücht, daß Nasta öffentlich um Nylepthas Hand anhalten werde, eine bedeutende Wirkung ausgeübt, so daß der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt war. Natürlich fehlte nicht das Aufgebot unserer priesterlichen Freunde mit Agon an der Spitze, der uns rachsüchtigen Auges betrachtete; in ihren langen weißen, gestickten, mit einer goldenen Kette umgürteten Gewändern boten sie einen äußerst imposanten Anblick dar. Auch eine Anzahl Häuptlinge, jeder mit einem Gefolge glänzend gekleideter Krieger, war erschienen, darunter in erster Reihe Nasta, der seinen schwarzen Bart nachdenklich strich und außergewöhnlich mürrisch aussah. Es war ein prächtiger eindrucksvoller Auftritt. Ein Offizier verlas laut jedes Gesetz und überreichte es dann den Königinnen zur Unterschrift, worauf die Trompeten schmetterten und die Soldaten krachend ihre Speere niederstießen. Dieses Vorlesen und Unterzeichnen der Gesetze dauerte geraume Zeit, ging aber endlich auch zu Ende, nachdem in dem letzten noch unserer Ankunft gedacht und verkündet worden war, daß es den Königinnen gefalle, uns dreien den Häuptlingsrang und im Verein damit bestimmte militärische Stellen 257 und große Güter zu verleihen. Als das Gesetz verlesen war, schmetterten die Trompeten und sausten die Speere wie gewöhnlich nieder. Einige Häuptlinge wandten sich jedoch zur Seite und flüsterten miteinander, während Nasta mit den Zähnen knirschte.

Dann folgte eine Pause, und Nasta trat vor, verneigte sich demütig, obwohl seine Augen seine Demut Lügen straften, und erbat sich eine Gunst von der Hand der Königin Nyleptha.

Nyleptha erbleichte ein wenig, verneigte sich aber gnädig und bat ihren »getreuen Häuptling«, seinen Wunsch zu äußern, worauf er wie ein Soldat grade auf sein Ziel losging und in wenigen Worten um ihre Hand anhielt.

Dann erhob sich, noch ehe Nyleptha Worte zu einer Erwiderung fand, der Hohepriester Agon und wies in einer Ansprache von wirklicher Beredsamkeit und Macht auf die vielen Vorteile des vorgeschlagenen Bundes hin. Wie die Ehe das Königreich befestigen würde – denn Nastas Besitzungen, in denen er tatsächlich als König gebot, waren den Zu-Vendi das, was Schottland einst den Engländern war – wie sie die wilden Bergbewohner befriedigen und den Beifall der Soldaten finden würde – denn Nasta war auch ein berühmter General – wie sie ihre Dynastie unerschütterlich fest auf den Thron setzen und die Billigung der »Sonne«, d. h. des Hohenpriesters, finden würde usw. Viele seiner Argumente konnten sich zweifellos hören lassen, und vom politischen Standpunkt sprach alles zugunsten der Heirat. Unglücklicherweise ist es jedoch schwer, mit jungen hübschen Königinnen Politik zu spielen, als ob sie nur Elfenbeinfiguren auf 258 einem Schachbrett seien. Nylepthas Antlitz war während Agons Rede ein vollständiges Studium wert. Sie lächelte, wurde aber unter dem Lächeln so hart wie ein Stein und ihre Augen zeigten ein drohendes Funkeln.

Endlich hörte er auf und sie schickte sich zur Antwort an. Zuvor jedoch beugte sich Sorais zu ihr hinüber und sagte mit halblauter, mir jedoch deutlich vernehmbarer Stimme: »Überlege wohl, meine Schwester, ehe du sprichst, denn mich dünkt, daß unser Thron von deinen Worten abhängt.«

Nyleptha gab keine Antwort, und achselzuckend und lächelnd lehnte sich Sorais wieder zurück und lauschte:

»Es ist mir wahrlich eine große Ehre widerfahren,« begann Nyleptha, »nicht nur dadurch, daß meine Hand zum Ehebund verlangt worden ist, sondern auch, weil Agon es so eilig hatte, den Segen der Sonne über meinen Bund auszusprechen. Mich dünkt, daß, hätte er noch eine Minute länger gesprochen, er uns aneinander geschmiedet haben würde, ehe noch die Braut ein einziges Wörtlein gesagt hätte. Nasta, ich danke dir, und will mich deiner Worte erinnern. Einstweilen habe ich jedoch noch keine Lust zur Heirat, die mir nur wie ein Trank erscheint, dessen Geschmack niemand kennt, bevor er ihn nicht kostet. Noch einmal, Nasta, ich danke dir,« und sie tat, als ob sie sich von ihrem Sitze erheben wolle.

Das Antlitz des großen Häuptlings wurde vor Wut fast so schwarz wie sein Bart, denn er wußte, daß ihre Antwort mit einer endgültigen Ablehnung seines Antrags gleichbedeutend war. 259

»Ich danke der Königin für ihre huldvollen Worte,« sagte er, indem er mit Mühe an sich hielt und dabei alles andere, nur nicht dankbar aussah. »Mein Herz wird sie gewiß zu würdigen wissen. Und nun bitte ich um eine andere Gunst, nämlich um die, die mir gehörigen armseligen Städte im Norden so lange aufsuchen zu dürfen, bis meine Königin ein Ja oder Nein auf meine Werbung bereit haben wird. Vielleicht,« fügte er mit schneidendem Hohn hinzu, »wird es der Königin belieben, mich dort zu besuchen und auch diese fremden Häuptlinge mitzubringen,« und er blickte gehässig zu uns hinüber. »Es ist zwar nur ein armes, rauhes Land, aber wir Bergbewohner sind ein zähes Geschlecht, und ich will dreißigtausend Krieger versammeln, um sie willkommen zu heißen.«

Diese Rede, die fast einer Kriegserklärung glich, wurde in tiefem Schweigen aufgenommen, Nyleptha aber erteilte darauf die folgende beherzte Antwort:

»Gewiß will ich kommen, o Nasta, und die fremden Häuptlinge in meinem Gefolge mitbringen, und auf jeden Mann aus deinem Hochland, der dich Prinz nennt, will ich zwei aus dem Flachland stellen, die mich Königin nennen. Dann wollen wir sehen, welches der kräftigere Schlag ist. Bis dahin – lebe wohl.«

Trompeten schmetterten, die Königinnen erhoben sich und die große Versammlung brach in lauter Verwirrung auf. Ich selbst ging mit schwerem Herzen nach Hause, da ich den Bürgerkrieg voraussah. 260

Dann herrschte wieder einige Wochen lang Ruhe. Curtis und die Königin kamen nicht oft zusammen und beobachteten die äußerste Vorsicht, um das wahre Verhältnis, in dem sie zueinander standen, geheim zu halten. Ungeachtet aller Vorsichtsmaßregeln aber begann das Gerücht sich mit ihnen zu beschäftigen und ihre Namen zuletzt ganz laut in Verbindung miteinander zu nennen. 261

 


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