Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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16. Kapitel

Der Sturm bricht los

Und jetzt begann die Wolke, die uns anfänglich nur wie ein Fleck am Horizont erschienen war – ich meine Sorais' Neigung zu Sir Henry – ein drohendes Aussehen anzunehmen. Ich sah den Sturm näher und näher kommen, und nicht minder auch Curtis.

Die reizende Nyleptha war nämlich ungemein eifersüchtig veranlagt und imstande, ihrem Unwillen über die ihrem Geliebten von ihrer Schwester erwiesene Gunst heftigen Ausdruck zu verleihen. Dann hielt die ihm zur Pflicht gemachte Geheimhaltung seines Verhältnisses zu Nyleptha Curtis ab, dieser verkehrten Sachlage ein Ende zu bereiten, indem er Sorais in vertraulicher Weise von seiner bevorstehenden Verbindung mit ihrer Schwester in Kenntnis setzte. Ein weiterer bitterer Tropfen in Sir Henrys Honig war auch Goods Liebe zu der eben so unnahbaren wie anziehenden Königin der Nacht. Der arme Bugwan magerte in der Tat zu einem Schatten seines früheren Selbst ab, und sein Gesicht wurde so dünn, daß sein Einglas kaum noch darin sitzen wollte, während Sorais ihn in nachlässiger Gefallsucht grade so weit ermutigte, daß er nicht alle Hoffnung aufgab. 262 Ich versuchte ihm einen zarten Wink zu geben, doch brauste er auf und wollte nichts hören, so daß ich schwieg, um die Sache nicht noch zu verschlimmern. Armer Good! Er erschien in seinem Kummer wirklich sehr lächerlich und beging in dem Glauben, seine Werbung dadurch zu befördern, alle möglichen Torheiten. So verfaßte er mit Hilfe eines unserer ernsten Lehrer auf Zu-Vendi ein nahezu endloses Liebesgedicht. Unter den Zu-Vendi-Jünglingen ist es eine sehr harmlose und häufig vorkommende Sitte, den Damen nachts Ständchen zu bringen. Good machte sich nun diese Sitte zunutze und brachte eines Abends Sorais, deren Privatgemächer, wie die ihrer Hofdamen, den unseren grade gegenüber lagen, ein Ständchen dar. Es war Mitternacht, die für solche Abenteuer übliche Stunde, und ich lag schon in festem Schlaf, als ich plötzlich durch den lauten Gesang von Good, der eine kolossale Stimme, aber keine Ahnung von Takt besitzt, und dazu das Spiel einer Zu-Vendi-Zither, auf der er Meister ist, vernahm. Ich eilte an mein Fenster, um zu sehen, was denn los sei, und erblickte gegenüber auf dem Vorhof, vom Mondschein hell beschienen, Good, der, einen ungeheuren Straußenfederputz auf dem Kopf und in ein langes, seidenes Gewand gekleidet, das von ihm gedichtete Lied nach der Melodie eines englischen Gassenhauers vortrug. Aus den Zimmern der Ehrendamen drang leises Kichern zu mir herüber, in den Gemächern von Sorais aber – die ich innig bedauerte, falls sie da war – herrschte tiefes Schweigen. Der schreckliche Gesang wollte gar kein Ende nehmen und zuletzt konnten weder ich noch Sir Henry, den ich 263 herbeigerufen, um sich an dem Schauspiel zu weiden, es länger aushalten. Ich steckte daher meinen Kopf zum Fenster heraus und rief: »Um Himmels willen, Good, singen Sie nicht, sondern lassen Sie uns schlafen!« Mein Zuruf brachte ihn ein wenig zur Vernunft und das Ständchen hörte auf.

Es war ein heiterer Zwischenfall in einem Trauerspiel. Wie dankbar sollten wir Menschen sein, daß selbst die ernstesten Angelegenheiten einen heitern Zug an sich tragen; wenn wir ihn nur immer sehen könnten. Das Verständnis für den Humor ist ein sehr wertvoller Besitz im Leben und sollte in den Volksschulen gepflegt werden.

Doch zur Sache! Je mehr Sir Henry sich zurückhielt, je mehr kam Sorais ihm entgegen, wie es ja in solchen Angelegenheiten häufig geht. Offenbar war sie infolge einer verkehrten Auffassung gegen die wahre Sachlage blind, und ich für meinen Teil fürchtete den Augenblick ihres Erwachens. Es war gefährlich, sich mit Sorais einzulassen, mochte dies nun freiwillig oder gezwungen geschehen. Endlich kam der böse, längst von mir vorhergesehene Augenblick. Eines schönen Tages – Good war grade auf die Falkenjagd gegangen – saßen Sir Henry und ich beieinander und unterhielten uns ruhig über die Lage, namentlich soweit Sorais in Betracht kam, als ein Bote von Hofe mit einem Schriftstück ankam, das wir mit einiger Mühe entzifferten und worin »die Königin Sorais die Gegenwart des Häuptlings Incubu in ihren Privatgemächern, wohin der Überbringer ihn führen sollte, befahl«. 264

»Eine schlimme Sache!« stöhnte Sir Henry. »Können Sie nicht an meiner Stelle gehen, alter Freund?«

»Ich danke schön,« entgegnete ich nachdrücklich, »lieber würde ich einem verwundeten Elefanten mit einem Schrotgewehr entgegentreten. Passen Sie wohl auf, mein Lieber, wie die Geschichte endet. Wenn man ein so großer Damenheld ist, muß man auch die Folgen mit in den Kauf nehmen. Nicht um die Welt möchte ich in Ihrer Haut stecken.«

»Sie erinnern mich an meine Schulzeit,« sagte er düster, »wenn ich Prügel bekommen sollte, und die anderen Jungens um mich herumstanden, um mich zu trösten. Welches Recht diese Königin wohl hat, mich zu sich zu befehlen, wenn es ihr paßt. Ich werde nicht gehen.«

»Aber Sie müssen. Sie sind einer ihrer Offiziere und verpflichtet, ihr zu gehorchen, das weiß sie sehr wohl. Und dann wird es ja auch nicht lange dauern.«

»Genau dasselbe pflegten mir meine Schulkameraden zu sagen,« entgegnete er wiederum. »Ich hoffe, daß sie mich wenigstens nicht erdolchen wird, fähig dazu ist sie schon.« Sehr kleinmütig machte er sich auf den Weg.

Ich blieb auf meinem Platz sitzen und wartete. Nach Verlauf von etwa fünfundvierzig Minuten kehrte er bleich und angegriffen aussehend zurück.

»Geben Sie mir etwas zu trinken,« sagte er heiser.

Ich brachte ihm einen Becher Wein und fragte, wie es mit ihm stände. 265

»Wie es mit mir steht? Schlecht. Wenn je, so sieht es jetzt böse um mich aus. Sie wissen, wann ich Sie verließ. Ich wurde direkt in ein wunderbares Zimmer, Sorais' Privatgemach, geführt. Dort saß sie ganz allein auf einem seidenen Ruhelager am Ende des Zimmers und spielte sanft auf ihrer Zither. Ich blieb vor ihr stehen, und eine Weile lang nahm sie keine Notiz von mir, sondern fuhr fort zu singen und zu spielen. Es war eine äußerst süße Melodie. Endlich blickte sie auf und lächelte.

›So bist du gekommen,‹ sagte sie, ›ich glaubte fast, daß du schon wieder im Dienste der Königin Nyleptha tätig seiest. Du bist ja immer um sie herum und zweifellos ein guter und treuer Diener.‹

Ich verbeugte mich hierauf nur und erwiderte, ich sei bereit, den Befehl der Königin zu empfangen.

›Ich bitte, setze dich; ich möchte mit dir plaudern, und es ermüdet mich, wenn ich so zu dir emporsehen muß.‹ Und sie machte mir Platz an ihrer Seite, doch so, daß sie mich im Auge behielt.

›Es schickt sich nicht,‹ entgegnete ich, ›daß ich mich der Königin gleichstellen sollte.‹

›Ich sage dir, setze dich,‹ gab sie zur Antwort.

So ließ ich mich nieder und sie begann mich aus ihren dunklen Augen anzublicken. Wie der fleischgewordene Geist der Schönheit saß sie da, sprach wenig und auch das Wenige nur mit leiser Stimme, sah mich aber während der ganzen Zeit an. Sie hatte eine weiße Blume in ihrem schwarzen Haar, und ich bemühte mich, diese im Auge zu behalten und ihre Blätter zu zählen. 266 Doch vergeblich. Zuletzt, mochte es nun die Folge ihres Blickes oder des Duftes ihres Haares oder einer andern Ursache sein, war mir zumute, als ob ich hypnotisiert würde. Endlich richtete sie sich auf.

›Incubu,‹ sagte sie, ›liebst du Macht?‹

Ich erwiderte, daß vermutlich alle Männer Macht der einen oder andern Art liebten.

›Du sollst sie haben,‹ sagte sie. ›Liebst du Reichtum?‹

Ich sagte, daß ich den Reichtum um des Guten willen liebte, das man damit stiften könne.

›Du sollst ihn haben,‹ sagte sie. ›Und liebst du Schönheit?‹

Darauf erwiderte ich, daß ich Bildsäulen und schöne Gebäude sehr gern hätte, worauf sie die Stirne runzelte und eine Pause machte. Meine Nerven waren jetzt so angespannt, daß ich wie ein Blatt zitterte. Ich wußte, daß sich etwas Entsetzliches zutragen würde, doch hielt sie mich wie unter einem Bann und ich konnte mich nicht losreißen.

›Incubu,‹ sagte sie schließlich, ›möchtest du ein König sein? Achte wohl auf meine Worte, möchtest du ein König sein? Siehe, Fremdling, ich bin geneigt, dich zum König von ganz Zu-Vendis, ja, und zum Gatten von Sorais, der Königin der Nacht, zu machen. Nein, schweige und höre mir zu. Keinem Mann aus meinem Volk hätte ich so mein innerstes Herz geöffnet, du jedoch bist ein Fremder, und daher rede ich zu dir, ohne mich zu schämen, weiß ich doch wohl, was ich dir zu bieten habe und wie schwer es dir gefallen wäre, zuerst zu mir zu reden. 267 Sieh, eine Krone liegt dir zu Füßen, mein Häuptling Incubu, und mit der Krone ein Weib, das schon mancher zu freien gewünscht hat. Nun, gib mir Antwort, o mein Auserwählter, und mögen deine Worte meinen Ohren angenehm sein.‹

›O Sorais,‹ entgegnete ich, ›ich bitte dich, sprich nicht also‹ – ich hatte keine Zeit, sorgfältig über meine Antwort nachzudenken – ›denn was du mir vorschlägst, ist unmöglich. Ich bin mit deiner Schwester Nyleptha verlobt, o Sorais, und ich liebe sie und sie allein.‹

Im nächsten Augenblick fiel es mir ein, daß ich etwas Schlimmes angerichtet hatte, und ich blickte auf, um die Wirkung zu sehen. Sorais richtete ihr Gesicht, das während meiner Rede in ihren Händen verborgen gewesen war, langsam in die Höhe, und ich schrak entsetzt zurück: es war aschfahl und ihre Augen flammten. Sie sprang auf und schien zu ersticken, doch blieb sie, und das war das Furchtbare, ruhig dabei. Einmal blickte sie nach einem Seitentisch, auf dem ein Dolch lag, und von ihm auf mich, als ob sie mich töten wolle. Sie ließ ihn aber liegen. Zuletzt sprach sie dieses einzige Wort –

Gehe!

Und ich ging und bin herzlich froh, daß ich wieder hier bin. Geben Sir mir noch einen Tropfen Wein, wenn Sie mein Freund sind, und sagen Sie mir, was zu tun ist.«

Ich schüttelte mein Haupt, denn die Angelegenheit war in der Tat ernst. Es gibt keine Wut, wie die Dichter sagen, die der des verschmähten Weibes gleichkäme, besonders wenn das Weib 268 eine Königin und eine Sorais ist. Ich befürchtete das Allerschlimmste, und nicht zum wenigsten auch für unsere persönliche Sicherheit.

»Nyleptha muß sofort hiervon Kenntnis erhalten,« sagte ich, »und vielleicht ist es besser, wenn ich es ihr erzähle. Sie könnte Ihren Bericht mit Argwohn aufnehmen.«

»Wer ist heute abend diensttuender Offizier der Leibwache?« fuhr ich weiter fort.

»Good.«

»Das paßt vortrefflich. Da ist Nyleptha wenigstens heute vor einem Überfall geschützt. Sehen Sie nicht so überrascht aus. Ich glaube nicht, daß ihre Schwester davor zurückschrecken würde. Wir müssen ferner auch Good von dem Vorfall unterrichten.«

»Müssen wir das wirklich?« fragte Sir Henry. »Es würde ihm sehr wehe tun, dem armen Jungen. Er hegt ein sehr tiefes Interesse für Sorais.«

»Das ist wahr, und vielleicht können wir ihm auch schließlich die Erzählung erlassen, da er die Wahrheit bald genug von selbst entdecken wird. Sorais wird nun, merken Sie auf meine Worte, gemeinschaftliche Sache mit Nasta machen, der oben im Norden trotzt, und es wird einen solchen Bürgerkrieg geben, wie die Zu-Vendi ihn vielleicht seit Jahrhunderten nicht gekannt haben. Schauen Sie dorthin!« Und ich deutete auf zwei Hofkuriere, die eben aus der Tür von Sorais' Privatgemächern herausstürmten. »Nun, folgen Sie mir,« und ich eilte mit ihm eine Treppe hinauf, die in einen Aussichtsturm auf dem Dach unseres 269 Quartiers führte. Das erste, was ich durch mein Fernglas sah, war einer der Kuriere, der nach dem Tempel eilte und zweifellos dem Hohenpriester Agon eine Botschaft der Königin brachte. Nach dem andern aber sah ich mich vergebens um. Plötzlich entdeckte ich jedoch einen Reiter, der mit wahnsinniger Geschwindigkeit durch das nördliche Tor der Stadt galoppierte, und in ihm erkannte ich den andern Kurier.

»Ah,« sagte ich, »Sorais ist ein energisches Weib, sie handelt sofort und holt gleich zum vernichtenden Schlage aus. Sie haben sie beleidigt, mein Lieber, und das Blut wird in Strömen fließen, ehe der Fleck weggewaschen ist, und das Ihrige vor allem, wenn sie sich Ihrer bemächtigen kann. Nun, ich will jetzt zu Nyleptha eilen. Sie bleiben, wo Sie sind, mein alter Freund und geben sich Mühe, sich ein wenig zu sammeln. Sie werden Ihre Nerven noch brauchen, das kann ich Ihnen sagen, oder ich müßte die menschliche Natur fünfzig Jahre lang umsonst studiert haben.«

Ich erhielt unschwer Audienz bei der Königin. Sie erwartete Curtis und war nicht grade angenehm überrascht, als sie statt seiner mein mahagonibraunes Gesicht sah.

»Ist meinem Häuptling Incubu etwas widerfahren, daß er mir nicht aufwartet? Sprich, ist er krank?«

Ich sagte, daß er wohl und munter wäre, und steuerte dann sofort ohne weitere Umschweife auf meine Geschichte los, die ich ihr von Anfang bis zu Ende ausführlich berichtete. O, in welche Empörung sie geriet! Sie sah in ihrem Zorn entzückend aus.

»Wie wagst du es, mit einer solchen Erzählung zu mir zu 270 kommen?« schrie sie. »Du lügst, wenn du sagst, daß mein Häuptling Incubu um die Liebe meiner Schwester Sorais geworben hat.«

»Vergebung, o Königin,« antwortete ich, »ich sagte, daß Sorais um seine Liebe geworben habe.«

»Deine Worte sind Spinnengewebe. Ist es nicht ein und dasselbe? Die eine gibt, der andere nimmt. Die Gabe wechselt dabei die Hände und von welchem Belang ist es, wer dabei die meiste Schuld trägt. Sorais, o, ich hasse sie – Sorais ist eine Königin und meine Schwester. Sie würde sich nicht so erniedrigt haben, hätte er ihr nicht den Weg gewiesen. O, mit Recht hat der Dichter gesagt, daß der Mann einer Schlange gleicht, deren Berührung giftig ist und die niemand festhalten kann.«

»Deine Bemerkung, o Königin, ist ausgezeichnet, mich dünkt aber, daß du den Dichter falsch aufgefaßt hast, Nyleptha,« fuhr ich fort, »du weißt sehr wohl, daß deine Worte töricht sind. Wir haben aber keine Zeit zu Narrheiten.«

»Wie wagst du es,« brauste sie auf und stampfte mit dem Fuß, »so zu mir, der Königin, zu sprechen? Hat mein falscher Häuptling dich ausgesandt, um mich zu beleidigen? Wer bist du, Fremdling, um dich einer solchen Sprache zu erkühnen?«

»Ich wage es. Gib wohl acht: Die Augenblicke, die du jetzt in leerem Zorn unbenutzt vorübergehen läßt, können dich die Krone und uns alle das Leben kosten. Schon hat Sorais Reiter ausgesandt, die das Volk zu den Waffen rufen. Binnen drei Tagen wird sich Nasta in seinen Vesten wie ein Löwe am Abend 271 erheben, und der ganze Norden wird von seinem Kampfruf widerhallen. Die Königin der Nacht hat eine süße Stimme und wird nicht vergebens singen. Ihr Banner wird von Berg zu Berg, von Tal zu Tal getragen werden, und die Krieger werden sich in seinem Gefolge wie der Staub bei einem Wirbelwind ansammeln. Die halbe Armee wird ihr Kriegsgeschrei wiederholen und in jeder Stadt, in jedem Dorfe dieses großen Landes werden die Priester gegen die Fremdlinge predigen und zum heiligen Kampfe gegen sie auffordern. Ich habe gesprochen, Königin!«

Nyleptha hatte sich beruhigt, ihr Eifersuchtsanfall war vorüber, und aus der halsstarrigen, liebenden Schönheit wurde mit großer Schnelligkeit die bedächtige Königin.

»Deine Worte sind weise, Macumazahn. Vergib mir meine Torheit. Ah, welche Königin würde ich sein, wenn ich nur kein Herz hätte! Herzlos sein – das heißt alles besiegen. Die Leidenschaft gleicht dem Blitz, sie ist schön und bildet ein Bindeglied zwischen Erde und Himmel, doch ach sie blendet auch!

Du denkst, daß meine Schwester Sorais Krieg mit mir führen will? So sei es. Sie soll nicht über mich triumphieren. Auch ich habe meine Freunde und meine Mannen. Viele, sage ich, werden Nyleptha! rufen, wenn meine Farben von Berg und Zinnen flattern und das Licht meiner Leuchtfeuer heute nacht auf den Höhen auflodert und weithin die Botschaft von meinem Kriege trägt. Ich werde ihre Stärke brechen und ihr Heer zerschmettern. Ewige Nacht soll das Los der ›Königin der Nacht‹ sein. Gib mir jenes Pergament und die Tinte. So. Nun rufe 272 mir den Offizier im Vorzimmer. Es ist ein zuverlässiger Mann.«

Ich tat, wie mir befohlen war, und der Mann, ein alter würdevoll aussehender Krieger ihrer Leibwache, namens Kara, trat mit tiefer Verneigung ein.

»Nimm dieses Pergament,« sagte Nyleptha, »es ist deine Vollmacht, und bewache alle Ein- und Ausgänge, die zu den Gemächern meiner Schwester Sorais, einer Königin der Zu-Vendi, führen. Lasse niemanden zu ihr ein- oder ausgehen, du haftest mir mit deinem Leben dafür.«

Der Mann sah verdutzt aus, sagte aber nichts weiter als »der Wille der Königin geschehe«, und verabschiedete sich. Dann sandte Nyleptha einen Boten zu Sir Henry, der gleich darauf in einer wenig angenehmen Gemütsverfassung erschien. Ich glaubte, daß ein neuer Ausbruch der Empörung folgen würde, allein die Wege der Schönen sind wunderbar. Sie sagte nicht ein einziges Wort von Sorais und seiner angeblichen Unbeständigkeit, sondern begrüßte ihn mit freundlichem Nicken und erklärte einfach, daß sie seinen Rat in wichtigen Staatsangelegenheiten erbitte. Ein gewisser Ausdruck in ihrem Auge und ein eigentümlich energisches Auftreten gegen ihn sagten mir jedoch, daß sie die Angelegenheit nicht vergessen, sondern sich für eine private Gelegenheit aufgehoben hatte.

Fast unmittelbar mit Curtis trat der ausgesandte Offizier wieder zu uns und berichtete, daß Sorais nicht mehr da sei. Der Vogel war nach dem Tempel geflogen, wo Sorais erklärt hatte, 273 die Nacht in frommer Betrachtung vor dem Altar verbringen zu wollen, wie dies häufig seitens hochgestellter Zu-Vendi-Damen vorkam. Wir sahen einander an. Der Schlag war gefallen.

Jetzt gingen wir ans Werk.

Vertrauenswerte Generäle wurden aus ihren Quartieren herbeigerufen und von dem Vorgefallenen, soweit es das Staatsinteresse gebot, in Kenntnis gesetzt. Sie erhielten den Befehl, alle verfügbaren Truppen zusammenzuziehen. Dieselbe Weisung erging auch an die Nyleptha ergebenen mächtigen Edelleute des Reiches, von denen einige noch an dem gleichen Tage nach entfernt gelegenen Bezirken in den Provinzen aufbrachen, um ihre Stammesangehörigen und Lehnsmannen zu sammeln. Versiegelte Befehle wurden an die Gouverneure ferner Städte versandt, und vor Anbruch der Nacht waren noch zwanzig Boten zu ebenso vielen Häuptlingen unterwegs. Auch viele Spione traten in Tätigkeit. Wir arbeiteten, unterstützt von einigen Vertrauensbeamten, den ganzen Nachmittag und Abend, wobei Nyleptha eine Energie und einen Ideenreichtum an den Tag legte, die mich in Erstaunen versetzten. Es war acht Uhr, als wir in unser Quartier zurückkehrten, wo wir von Alfons hörten (der über unsere Unpünktlichkeit höchst ungehalten war, weil das von ihm bereitete Mittagmahl verdorben war), daß Good von seinem Jagdausflug zurückgekehrt und auf seinen Posten gegangen sei. Da der Offizier der Außenwache bereits den Befehl erhalten hatte, die Schildwachen vor dem Tor zu verdoppeln, und wir mithin keine unmittelbare Gefahr zu befürchten brauchten, so glaubten wir, daß 274 Good die Vorgänge noch am nächsten Morgen frühzeitig genug erfahren würde, und begaben uns zu Bett, um, wenn möglich, einige Stunden der Ruhe zu pflegen, die uns sehr not tat. Zuvor jedoch beauftragte Curtis noch den alten Umslopogaas, einen scharfen Lugaus auf die Nachbarschaft von Nylepthas Privatgemächern zu halten. Umslopogaas war jetzt mit den Räumlichkeiten gut vertraut und hatte, auf Befehl der Königinnen, überall freien Zutritt, eine Erlaubnis, die er sich oft zunutze machte, um während der stillen Stunden der Nacht in dem Palast herumzuschlendern. Seine Gegenwart in den Korridoren konnte daher bei den Wachen kaum Verdacht erregen. Stumm nahm der Sulu seine Axt und verschwand, während wir uns zur Ruhe begaben.

Es schien mir, als ob ich erst wenige Minuten geschlafen hätte, als ein eigentümliches Gefühl der Unruhe mich wieder erweckte. Ich fühlte, daß jemand im Zimmer sei und mich ansähe, und richtete mich auf, um zu meiner Überraschung zu sehen, daß es schon dämmerte, und daß Umslopogaas, der bei dem grauen Licht ganz besonders grimmig und riesenhaft aussah, am Fuße meines Bettes stand.

»Wie lange stehst du schon dort?« fragte ich ärgerlich, denn es ist nicht angenehm, auf eine solche Art und Weise geweckt zu werden.

»Vielleicht eine halbe Stunde, Macumazahn. Ich habe dir ein Wort zu sagen.«

»Sprich es aus,« sagte ich, nun ganz wach geworden. 275

»Wie mir befohlen, ging ich gestern abend nach der Wohnung der ›Weißen Königin‹ und verbarg mich hinter einer Säule im zweiten Vorzimmer, das in das Schlafgemach der Königin führt. Bugwan war allein im ersten Vorzimmer, und vor dem Vorhang dieses Zimmers ging eine Schildwache auf und ab. Ich wollte sehen, ob ich unbemerkt hineinkommen könnte, und es gelang mir, indem ich mich an beiden vorüberschlich. Dort wartete ich viele Stunden, als plötzlich eine dunkle Gestalt verstohlen auf mich zukam. Es war die Gestalt eines Weibes, das einen Dolch in der Hand hielt. Hinter dieser Gestalt kroch, ungesehen von dem Weibe, eine zweite. Es war Bugwan, der ihrer Spur folgte. Er hatte seine Schuhe ausgezogen und folgte ihr, für einen so fetten Mann recht gut. Das Weib ging an mir vorüber und das Sternenlicht schien ihm ins Antlitz.«

»Wer war es?« fragte ich ungeduldig.

»Das Gesicht war das Gesicht der ›Königin der Nacht‹, und sie führt diesen Namen wahrlich mit Recht.

Ich wartete, und auch Bugwan ging an mir vorüber. Dann folgte ich. So schritten wir langsam und geräuschlos durch das lange Vorzimmer, zuerst das Weib, dann Bugwan und dann ich, und das Weib sah nicht Bugwan und Bugwan sah nicht mich. Endlich kam die ›Königin der Nacht‹ zu den Vorhängen, die das Schlafzimmer der ›Weißen Königin‹ abschließen und streckte ihre linke Hand aus, um sie zurückzuschlagen. Sie ging hinein, so auch Bugwan, so auch ich. Am äußersten Ende des Zimmers steht das Bett der Königin, auf dem sie in festem Schlaf ruhte. 276 Ich konnte ihren Atem hören und einen weißen Arm auf der Decke liegen sehen. Die ›Königin der Nacht‹ richtete sich auf und schlich mit erhobenem Messer auf das Bett zu. Ihr ganzes Denken war darauf gerichtet, so daß es ihr nicht einfiel, sich auch nur einmal umzusehen. Als sie dicht vor der Schläferin stand, berührte Bugwan ihren Arm. Sie wandte sich um, ich sah das Messer blitzen und hörte es niedersausen. Zum Glück für Bugwan trug er seine Eisenhaut, sonst hätte ihn der Stoß durchbohrt. Dann sah er zum erstenmal, wer das Weib war und trat, ohne ein Wort zu sagen, erstaunt und sprachlos einen Schritt zurück. Auch sie war erstaunt und sprach nichts, legte aber plötzlich ihren Finger auf die Lippen – so – und schritt zum Zimmer heraus, von Bugwan gefolgt. So dicht kam sie an mir vorüber, daß ihr Kleid mich berührte und ich sie fast erschlagen hätte. In dem ersten Vorzimmer flüsterte sie mit gefalteten Händen zu Bugwan und schien ihn um etwas zu bitten, was sie aber sagte, weiß ich nicht. So schritten sie in das zweite Vorzimmer, indem sie ihn noch immer bat und er seinen Kopf schüttelte und ›Nein, nein, nein‹ sagte. Und es schien mir, daß er die Wache zu rufen gedachte, als sie plötzlich mit ihrer Rede aufhörte und ihn aus ihren großen Augen anblickte – und ich sah, daß er von ihrer Schönheit bezaubert war. Dann reichte sie ihm ihre Hand und er küßte sie, worauf ich mich anschickte, hervorzutreten und sie gefangen zu nehmen, da Bugwan ein Weib geworden war und nicht länger das Gute vom Bösen unterscheiden konnte, als sie plötzlich verschwunden war.« 277

»Verschwunden!« stieß ich aus.

»Ja, verschwunden, und dort stand Bugwan und starrte die Wand an, wie wenn er träumte. Dann ging auch er weg und nach einer Weile ich gleichfalls.«

»Bist du sicher, Umslopogaas,« sagte ich, »daß du diese Nacht nicht geträumt hast?«

Statt jeder Antwort öffnete er seine linke Hand und zeigte mir den etwa drei Zoll langen Stumpf eines Dolches aus feinstem Stahl. »Wenn ich träumte, Macumazahn, siehe, was der Traum mir zurückgelassen hat. Das Messer zerbrach auf Bugwans Brust und im Vorüberschreiten nahm ich dies in dem Schlafzimmer der ›Weißen Königin‹ auf.« 278

 


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