Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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11. Kapitel

Die Felsenstadt

So wachte ich ganz allein, da auch Umslopogaas mittlerweile eingeschlafen war, etwa noch eine Stunde, bis es im Osten endlich graute und ungeheure Nebelmassen wie die Geister längst vergessener Dämmerungen über die Oberfläche des Wassers dahinschwebten. Es waren die Wasserdämpfe, die sich von ihrem feuchten Bett erhoben, um die Sonne zu begrüßen. Dann ging das Grau in Rosa und das Rosa in Rot über. Prachtvolle Lichtstreifen zeigten sich am östlichen Himmel und zwischen ihnen eilten die Boten der Dämmerung dahin, die die geisterhaften Dämpfe zerstreuten und von Gebirge zu Gebirge, von einem Längengrad zum andern flogen. Noch ein Augenblick, dann öffneten sich die goldenen Tore, die Sonne selbst erschien in all ihrer Pracht und in einem Glanze wie von zehn Millionen Speeren und verdrängte mit ihrem Licht die Nacht. Es war Tag.

Bis jetzt sah ich aber nichts als den schönen blauen Himmel über uns, denn auf dem Wasser lag eine dicke Nebelschicht, die alles um mich herum mit einem dichten grauen Schleier bedeckt hatte. Allmählich wich vor der Sonne auch dieser Nebel und dann entdeckte ich, daß wir auf einer lieblichen Fläche blauen 173 Wassers schwammen, dessen Küsten nicht zu erkennen waren. Etwa acht oder zehn Meilen hinter uns zog sich jedoch eine steile Bergkette hin, die eine Schutzmauer um den See bildete, und durch die der unterirdische Fluß wahrscheinlich seinen Ausfluß in das offene Wasser fand. Dies ist, wie ich später entdeckte, tatsächlich der Fall und es läßt sich aus dem Umstande, daß unser Kanu selbst noch in dieser Entfernung von der Strömung des geheimnisvollen Flusses vorwärts getrieben wurde, ein Schluß auf ihre außerordentliche Stärke ziehen. Plötzlich machte ich, oder richtiger gesagt, Umslopogaas, der grade erwacht war, eine andere und zwar höchst unangenehme Entdeckung. Umslopogaas sah nämlich einen grauen Gegenstand auf dem Wasser schwimmen, und brachte das Kanu mit einigen kräftigen Ruderschlägen bis an die Stelle, wo sich der Gegenstand als der Körper eines mit dem Gesicht nach unten schwimmenden Mannes entpuppte. War dies schon schlimm genug, so stelle man sich mein Entsetzen vor, als Umslopogaas die Leiche mit seinem Ruder umdrehte und wir in dem eingefallenen Gesicht die Züge – wessen meinen Sie – keines andern, als unseres armen Dieners entdeckten, der zwei Tage zuvor von den Wassern des unterirdischen Flusses verschlungen worden war. Es überlief mich kalt. Ich dachte, daß wir ihn für immer hinter uns zurückgelassen hätten und siehe da! von dem Strom getragen, hatte er die schaurige Reise gleichzeitig mit uns zurückgelegt und sie mit uns beendet. Sein Aussehen war ganz entsetzlich; offenbar war er der Feuersäule zu nahe gekommen, da ein Arm gänzlich zusammengeschrumpft und 174 sein Haar vollständig abgesengt war. Die Gesichtszüge waren, wie ich bereits bemerkte, eingefallen, und dennoch hatte sich auf ihnen jener entsetzliche Blick der Verzweiflung erhalten, den ich auf seinem lebenden Gesicht sah, als der arme Bursche von dem Strudel verschlungen wurde. Der Anblick gab meinen schon an und für sich erschütterten Nerven den Rest und ich war herzlich froh, als der Körper plötzlich ohne jedes vorherige Anzeichen zu sinken begann, grade wie wenn er sich nach Beendigung seiner vorher bestimmten Aufgabe zurückzöge, wenngleich der wahre Grund zweifellos der war, daß den im Leichnam enthaltenen Gasen durch die Veränderung der Lage ein freier Abzug gewährt wurde. Hinunter sank er in die durchsichtige Tiefe – Faden nach Faden konnten wir seinen Lauf verfolgen, bis endlich eine lange Reihe glänzender, einander schnell an die Oberfläche treibender Blasen allein die Stelle, wo er untergegangen war, andeutete. Endlich verschwanden auch sie, und das war das Ende unseres armen Dieners. Umslopogaas sah dem Verschwinden des Körpers nachdenklich zu.

»Warum ist er uns gefolgt?« fragte er. »Dies ist ein böses Vorzeichen für dich und mich, Macumazahn,« und er lachte.

Ärgerlich wandte ich mich nach ihm um, denn ich hasse derartige Bemerkungen. Grade jetzt erwachten auch die andern und freuten sich ungemein, daß wir den schrecklichen Fluß hinter uns und den blauen Himmel wieder über uns hatten. Dann folgte ein wahres Babel von Vorschlägen über die nächsten Schritte, die wir tun sollten, das in Erwägung unseres außerordentlichen 175 Hungers und unseres Mangels an Lebensmitteln – wir hatten ja außer wenigen Stücken Biltong (getrocknetes Fleisch) unsere ganzen Vorräte jenen abscheulichen Süßwasserkrebsen lassen müssen – mit dem Entschluß endete, auf die Küste loszusteuern. Jetzt erhob sich jedoch eine neue Schwierigkeit. Wir wußten nicht, wo die Küste lag, und konnten mit Ausnahme der Kliffe, zwischen denen der unterirdische Fluß hervorfloß, nichts als eine weite Fläche glänzenden blauen Wassers sehen. Wir bemerkten aber, daß die Wasservögel in langen Reihen von der linken Seite heranflogen und schlossen daraus, daß sie von ihren Nestern am Lande kamen, um den Tag auf dem See zu verbringen. Wir schlugen deshalb mit unserm Boot jene Richtung ein und begannen zu rudern. Es dauerte aber nicht lange, so sprang eine steife Brise auf, die uns unsere Fahrt sehr erleichterte. Wir setzten mit Hilfe einer Decke und der Stange ein Segel, das uns lustig vorwärts trieb. Dann verzehrten wir die Reste unseres Biltong, tranken dazu süßes Seewasser, zündeten unsere Pfeifen an und harrten der Dinge, die da kommen würden.

Als wir etwa eine Stunde lang gesegelt waren, kündigte Good, der den Horizont mit dem Fernrohr absuchte, uns freudig an, daß er Land erblicke, und nach der Veränderung in der Farbe des Wassers zu schließen, glaube, daß wir uns der Mündung eines Flusses näherten. In der nächsten Minute schon sahen wir einen großen, goldenen Dom, nicht unähnlich dem der Londoner St. Pauls-Kathedrale, aus den Morgennebeln emporragen und während wir uns noch wunderten, was in aller Welt es nur sein 176 könne, berichtete Good uns seine zweite noch wichtigere Entdeckung, daß nämlich ein kleines Segelboot auf uns zukäme. Diese letztere Meldung, von deren Wahrheit wir uns sehr bald mit unseren eigenen Augen überführten, versetzte uns in hochgradige Aufregung. Daß die Eingeborenen dieses unbekannten Sees zu segeln verstanden, schien darauf hinzudeuten, daß sie einen gewissen Grad von Zivilisation besaßen. Nach einigen wenigen Augenblicken schon zeigte es sich, daß auch der Insasse oder die Insassen des fremden Bootes uns bemerkt hatten. Einen kurzen Augenblick lavierte es im Winde und kam dann mit großer Geschwindigkeit auf uns zugeschossen. Nach weiteren zehn Minuten war es nur hundert Schritte von uns entfernt, und wir sahen, daß es ein zierliches kleines Boot – nicht ein ausgehöhltes Kanu, sondern mehr oder weniger nach europäischer Manier aus Planken gebaut – war und im Verhältnis zu seinem Umfang ein außerordentlich großes Segel führte. Bald wurde unsere Aufmerksamkeit aber von dem Boote auf seine aus einem Mann und einer Frau bestehende Mannschaft abgelenkt, die beinahe so weiß wie wir selbst waren.

Wir starrten einander erstaunt an und dachten, daß wir uns getäuscht hätten. Doch nein, es unterlag keinem Zweifel, die beiden Personen in dem Boot stammten von einem weißen Geschlecht, von einem Geschlecht, das so weiß war, wie z. B. die Spanier oder Italiener. Die Tatsache ließ sich nicht leugnen. So war es schließlich also doch wahr, und in geheimnisvoller Weise von einem seltsamen Zufall geleitet, hatten wir dieses 177 wunderbare Volk entdeckt. Ich hätte vor Freude laut jubeln können, als ich des Ruhms und des Wunders unserer Entdeckung gedachte. So erging es auch den andern, wir beschränkten uns aber darauf, uns die Hände zu drücken und einander zu dem wunderbaren Erfolg unseres wilden Unternehmens zu beglückwünschen. Mein ganzes Leben hindurch hatte ich Gerüchte vernommen, denen zufolge es ein weißes Volk in den Hochlanden des Herzens dieses ungeheuren Weltteiles gab, und danach verlangt, sie auf ihre Wahrheit hin zu prüfen. Jetzt sah ich den Beweis mit meinen eigenen Augen vor mir und war vor Überraschung fast sprachlos. Der alte Römer hatte, wie Sir Henry sagte, wahrlich recht, als er die Worte schrieb: »Ex Africa semper aliquid novi«, was, wie er mir sagt, bedeutet, daß aus Afrika immer etwas Neues kommt.

Der Mann im Boot war, wenn auch nicht besonders kräftig, doch wohlgestaltet, hatte dichtes schwarzes Haar, regelmäßige, scharfgeschnittene Züge und ein verständiges Gesicht. Er war in ein Gewand aus braunem Stoff gekleidet, das wie ein ärmelloses Flanellhemd aussah und trug dazu einen unverkennbaren Kilt oder schottischen Rock bis an die Knie. Beine und Füße waren nackt. Um den rechten Arm und linken Fuß trug er dicke Ringe aus gelbem Metall, das ich für Gold hielt. Das Weib hatte ein liebliches, wildscheues Gesicht, große Augen und lockiges blondes Haar. Ihr Anzug war aus demselben Stoff wie der des Mannes angefertigt und bestand, wie wir später erfuhren, aus einem leinenen Untergewand, das ihr bis auf die Knie herabfiel, 178 sowie aus einem einzigen langen Tuchstreifen, der, etwa vier Fuß breit und fünfzehn lang, in anmutigen Falten um den Körper geschlungen und schließlich derart über die linke Schulter geworfen war, daß das Ende, das je nach der gesellschaftlichen Stellung der Trägerin, blau, purpurrot oder in einer andern Farbe gefärbt war, vorn herabfiel, ohne aber den rechten Arm und die rechte Brust zu bedecken. Ein hübscheres Kostüm kann man sich nicht vorstellen, besonders wenn die Trägerin, wie in dem gegenwärtigen Falle, jung und hübsch ist. Good, der ein Kenner von solchen Dingen ist, drückte die lebhafteste Bewunderung aus, und ich pflichtete ihm bei. Die Tracht war sehr einfach und doch sehr wirkungsvoll.

Mittlerweile zeigte es sich, daß, wenn wir über das Aussehen von Mann und Frau erstaunt gewesen waren, unser eigenes Aussehen sie noch weit mehr in Verwunderung versetzte. Was den Mann anbetraf, so schien er von Furcht und Erstaunen überwältigt zu sein, da er geraume Zeit um unser Kanu herumfuhr, ohne sich uns zu nähern. Endlich kam er uns jedoch so nahe, daß eine mündliche Verständigung möglich war, und rief uns in einer Sprache an, die zwar weich und angenehm klang, von der wir aber nicht ein Wort verstanden. Wir antworteten daher auf Englisch, Französisch, Lateinisch, Griechisch, Deutsch, Sulu, Holländisch, Sisutu, Kukuana und in einigen andern mir bekannten Eingeborenenmundarten, die unserm Besucher aber ebenso unverständlich blieben wie uns die seine. Die Dame erwies uns unterdessen die Schmeichelei, eine scharfe Musterung 179 über uns abzuhalten, die Good erwiderte, indem er sie durch sein Einglas unverwandt anstarrte. Dies schien ihr aber keineswegs zu mißfallen. Da der Mann endlich die Fruchtlosigkeit seiner Verständigungsversuche einsah, kehrte er plötzlich um und hielt wieder auf die Küste zu, wobei sein kleines Boot wie eine Schwalbe vor dem Winde dahinschoß. Als es uns passierte, hatte der Mann grade mit dem großen Segel zu tun, eine Gelegenheit, die Good sofort benutzte, um der jungen Dame eine Kußhand zuzuwerfen. Ich war entsetzt über sein Benehmen, und zwar nicht allein aus allgemeinen moralischen Gründen, sondern auch weil ich fürchtete, daß sie an seiner Freiheit Anstoß nehmen könnte. Zu meinem Entzücken war dies aber nicht der Fall, denn nachdem sie sich schnell umgesehen und vergewissert hatte, daß ihr Gatte, Bruder oder was immer ihr Begleiter vorstellte, beschäftigt war, warf sie ihm gleichfalls Kußhände zurück.

»Ah,« sagte ich, »endlich haben wir eine Sprache gefunden, die die Bewohner dieses Landes verstehen.«

»Eine Sprache,« fügte Sir Henry hinzu, »durch deren Kenntnis Good uns ganz unschätzbare Dolmetscherdienste erweisen wird.«

Ich runzelte die Stirn, denn ich bin, wie Good auch weiß, kein Freund seines frivolen Wesens, und ging zu einem ernsteren Gegenstand über. »Es unterliegt für mich keinem Zweifel, daß der Mann in kurzer Zeit mit einem starken Gefolge anderer Boote zurückkehren wird, und es fragt sich daher, wie wir sie empfangen sollen.« 180

»Richtiger wäre es wohl zu fragen, wie sie uns empfangen werden,« entgegnete Sir Henry.

Good selbst nahm an dieser Erörterung nicht teil, sondern begann zwischen unserem Gepäck eine kleine viereckige Bleikiste herauszuziehen, die uns auf allen unseren Wanderungen begleitet hatte. Da ihr Transport uns häufig recht beschwerlich fiel, waren wir schon mehr als einmal in Good gedrungen, sie zurückzulassen, doch hatte er sich nie von ihr zu trennen vermocht und uns immer nur die geheimnisvolle Antwort gegeben, daß ihr Inhalt uns eines Tages von großem Nutzen sein dürfte.

»Was um Himmels willen haben Sie jetzt vor, Good?« fragte Sir Henry.

»Was ich vorhabe? Umkleiden will ich mich natürlich. Sie denken doch nicht, daß ich in einem neuen Lande in diesen alten Lumpen erscheinen will,« und er deutete auf das Gewand an seinem Leibe, das indes noch sehr sauber und wohlerhalten aussah.

Wir sagten weiter nichts, sondern sahen seinem Tun mit atemlosem Interesse zu. Zuerst rief er Alfons, der Meister in allen Verschönerungskünsten war, zu sich, und ließ sich von ihm sein Haar und seinen Bart nach Pariser Mode schneiden. Hätte er warmes Wasser und Rasierseife bei sich gehabt, so würde er seinen Bart wahrscheinlich abrasiert haben. So aber mußte er darauf verzichten. Damit fertig, schlug er uns vor, das Segel einzuziehen und ein Bad zu nehmen, was wir auch alle zu dem Entsetzen und Erstaunen von Alfons taten, der die Hände zusammenschlug und ausrief, daß die Engländer wirklich 181 unbegreifliche Leute wären. Auch Umslopogaas konnte sich, obwohl wie die meisten vornehmen Sulu am eigenen Körper peinlich rein, nicht dafür erwärmen, wie ein Fisch in einem See herumzuschwimmen, und sah uns mit schlecht unterdrückter Heiterkeit zu. Wir kehrten, von dem kalten Wasser sehr erfrischt, in das Kanu zurück und ließen uns von der Sonne trocknen, während Good seine Bleikiste öffnete und ein wunderschönes reines weißes Oberhemd, sowie einige Kleidungsstücke herausnahm, die zuerst in braunes, dann in weißes und zuletzt in Stanniolpapier gewickelt waren. Wir sahen diesem Auspacken mit der liebevollsten Teilnahme zu. Eine nach der andern legte Good die unscheinbaren Hüllen, die solchen Glanz verdeckten, zur Seite, und – vor uns lag in der ganzen Majestät ihrer goldenen Epauletten, Schnüre und Knöpfe, die Galauniform eines Kgl. Marinekommandeurs: Paradeschwert, dreieckiger Hut, glänzende Patentlederstiefel und was sonst noch dazu gehörte. Wir rangen buchstäblich nach Atem.

»Was?!« sagten wir, »was! Wollen Sie wirklich die Uniform anziehen?«

»Ganz gewiß,« antwortete er gelassen. »Sie wissen, es hängt in der Welt so viel von einem ersten Eindruck ab, und dann,« fügte er hinzu, »gibt es ja auch Damen hier. Wenigstens muß doch einer von uns anständig angezogen sein.«

Wir sagten kein Wort weiter und waren starr vor Staunen, besonders wenn wir daran dachten, wie hinterlistig uns Good den Inhalt seiner Kiste während all dieser langen Monate verborgen gehalten hatte. Wir gaben ihm nur einen guten Rat – nämlich 182 den, bei seiner Toilette sein Panzerhemd nicht zu vergessen. Er fürchte, so erwiderte er uns, daß das Hemd dem guten Sitz seines Rockes schaden könnte, den er jetzt zur Entfernung der Falten in die Sonne gelegt hatte, erklärte sich jedoch zu dieser Vorsichtsmaßregel bereit. Am interessantesten während des ganzen Auftrittes war des alten Umslopogaas Erstaunen und Alfons' Entzücken über Goods Verwandlung. Als er endlich in seiner ganzen Pracht und dem Schmucke seiner Denkmünzen dastand und sich in den stillen Wassern des Sees nach der Weise eines gewissen jungen Herrn aus der alten Geschichte bespiegelte, dessen Name mir grade nicht einfällt, der sich aber in seinen eigenen Schatten verliebte, konnte der alte Sulu seine Gefühle nicht länger zurückhalten.

»Oh, Bugwan!« sagte er. »Oh, Bugwan! Ich hielt dich immer für einen häßlichen kleinen Mann und fett wie eine Kuh, wenn sie kalben will. Jetzt aber bist du wie ein Pfau, der seinen Schwanz ausspreizt. Sicherlich, Bugwan, es tut meinen Augen weh, dich anzublicken.«

Diese Anspielung auf sein Fett war Good grade nicht angenehm, um so mehr, als sie nicht mehr ganz zutraf, da er in den letzten Monaten infolge der Anstrengungen drei Zoll von seinem Umfang verloren hatte. Im ganzen aber war er mit Umslopogaas' Bewunderung zufrieden. Alfons hingegen war ganz entzückt.

»Ah, Monsieur sieht wirklich schneidig aus – so schneidig wie ein Krieger. Das werden auch die Damen sagen, wenn wir ans 183 Land kommen. Monsieur ist jetzt vollkommen. Er erinnert mich an meinen heldenmütigen Groß –«

An dieser Stelle brachten wir Alfons zum Schweigen.

Während wir uns dergestalt die von Good enthüllten Herrlichkeiten anschauten, erwachte der Trieb in uns, es ihm so gut wie möglich nachzutun. Es war uns jedoch nichts anderes als ein Reserveanzug übrig geblieben, den wir alsdann über unser Panzerhemd anzogen. Was mein Aussehen anbelangt, so hätte ich die feinsten Kleider der Welt tragen können, ohne je anders als struppig und unbedeutend zu erscheinen. Sir Henry aber sah in seinem fast neuen Tweedanzug, seinen Stiefeln und Gamaschen so stattlich wie immer aus. Um seine Unwiderstehlichkeit noch zu erhöhen, drehte Alfons die Spitze seines Riesenschnurrbartes auf ganz besonders herausfordernde Weise in die Höhe. Selbst der alte Umslopogaas, der doch sonst kein Stutzer war, nahm Öl aus der Laterne, dazu etwas Werg und polierte damit seinen Kopfring, bis er wie Goods Patentlederstiefel glänzte. Dann zog er das ihm von Sir Henry geschenkte Kettenhemd und seine Mucha an und stand, nachdem er noch Inkosi-Kaas ein wenig geputzt hatte, in vollständigem Staat da.

Nach Beendigung unseres Bades hatten wir sofort wieder das Segel aufgesetzt und waren mittlerweile der Küste, oder richtiger gesagt, der Mündung eines großen Flusses immer näher gekommen. Plötzlich – es mochte etwa anderthalb Stunden her sein, seitdem das kleine Boot uns verlassen hatte – sahen wir aus dem Fluß oder Hafen eine stattliche Anzahl Boote 184 heraussteuern, deren Tragkraft bis zu zehn und zwölf Tonnen betrug. Eines von ihnen wurde von vierundzwanzig Ruderern vorwärts getrieben, während die übrigen meist segelten. Mit Hilfe unseres Fernrohrs erkannten wir bald, daß das Ruderboot ein amtliches Schiff war, dessen Mannschaft eine gleichmäßige Uniform trug. Vorn auf dem Halbdeck stand ein alter Mann von ehrwürdigem Aussehen mit einem lang herabwallenden weißen Bart und einem Schwert an der Seite, der offenbar der Kommandeur des Fahrzeuges war. In den andern Booten befanden sich meist Leute, die die Neugier herbeigeführt hatte, und die, so schnell es ging, auf uns zusegelten.

»Jetzt wird es sich entscheiden,« sagte ich. »Was gilt die Wette? Werden sie uns freundlich empfangen oder um einen Kopf kürzer machen?«

Keiner konnte diese Frage beantworten, und das kriegerische Aussehen des alten, schwertumgürteten Herrn stimmte uns alle ein wenig ängstlich.

Grade in jenem Augenblick erspähte Good etwa zweihundert Schritte von uns eine Herde Flußpferde und schlug uns vor, um den Eingeborenen einen Begriff von unserer Macht zu geben, einige von den Tieren zu töten. Leider erblickten wir hierin einen guten Gedanken, holten deshalb sofort unsere Achtkalibergewehre hervor und machten uns schußbereit. Es waren vier Tiere da, ein großer Bulle, eine Kuh und zwei Kälber, von denen eins beinahe ausgewachsen war. Wir kamen leicht an sie heran, ohne sie dadurch sonderlich zu erschrecken. Sie begnügten sich vielmehr damit, 185 unterzutauchen und einige wenige Schritte von uns wieder zum Vorschein zu kommen. Die Tiere erschienen mir merkwürdig zahm.

Als die fremden Boote noch etwa fünfhundert Schritte von uns entfernt waren, eröffnete Sir Henry den Tanz, indem er auf das größere der beiden Kälber feuerte. Die schwere Kugel traf das Tier grade zwischen den Augen, drang durch den Schädel und tötete es. Eine lange Blutspur hinter sich lassend, ging es unter. In demselben Augenblick feuerte ich auf die Kuh und Good auf den alten Bullen. Meine Kugel traf zwar ihr Ziel, war aber nicht tödlich. Das Flußpferd rührte das Wasser weit um sich herum auf und sank dann unter, um gleich darauf, wütend schnaubend und das Wasser blutig rot färbend, wieder zum Vorschein zu kommen, worauf ich es mit meiner linken Kugel tötete. Ein abscheulicher Schütze, hatte Good den alten Bullen ganz gefehlt und seine Kugel nur das Gesicht des Tieres gestreift. Als ich nach meinem zweiten Schuß um mich blickte, bemerkte ich, daß die Menschen, zu denen wir verschlagen waren, Feuerwaffen offenbar nicht kannten, denn unsere Schüsse und ihre Wirkung hatten riesige Bestürzung hervorgerufen. In einigen Booten begannen die Insassen vor Furcht laut zu schreien, andere kehrten um und eilten, so schnell sie nur konnten, zurück, und selbst der alte Herr mit dem Schwert sah nicht wenig verwundert und beunruhigt aus und ließ sein großes Boot halten. Zu dieser Beobachtung blieb uns indes nur wenig Zeit, da grade in diesem Augenblick der alte Bulle, wütend über die Wunde, die er empfangen, nur vierzig Schritte von uns auftauchte und uns wild 186 anstarrte. Wir feuerten nun alle gleichzeitig auf ihn und trafen ihn an verschiedenen Stellen, so daß er schwer verwundet wieder untertauchte. Jetzt begann die Neugierde der Zuschauer über ihre Furcht die Oberhand zu gewinnen und einige von ihnen, darunter auch der Mann und die Frau, die wir zuerst vor einigen Stunden gesehen hatten, segelten dicht bis zu uns heran. Plötzlich erhob sich das große Tier nur zehn Schritte von dem Boote des Paares und schwamm brüllend mit weitgeöffnetem Rachen darauf zu. Die Frau schrie laut auf, und der Mann versuchte zu entfliehen, aber vergeblich. In der nächsten Sekunde sah ich den ungeheuren roten Rachen und die glänzenden Elfenbeinreihen krachend in das gebrechliche Fahrzeug einschlagen, ein riesiges Stück aus der Seite reißen und es zum Kentern bringen. Hinunter sank das Boot, seine Insassen zappelnd im Wasser zurücklassend und ehe wir noch etwas zu ihrer Rettung unternehmen konnten, schwamm schon das ungeheure Tier mit weitgeöffnetem Rachen auf die arme Frau zu. Schnell wie ein Gedanke erhob ich da mein Gewehr und feuerte die Ladung, grade in dem Augenblick, wo die grinsenden Kinnbacken zuschnappen wollten, über ihren Kopf direkt in den Rachen des Flußpferdes hinein. Hinüber fiel es nach der andern Seite und begann sich im Kreise um und um zu drehen, indem es dabei laut schnaufte und rote Blutströme durch seine Nüstern blies. Ehe es sich aber wieder erholte, feuerte ich auch die zweite Kugel ab, die dem Tier durch den Hals drang und den Garaus bereitete. Es sank sogleich ohne den geringsten Todeskampf unter. Unsere nächste Anstrengung 187 galt der Rettung der Frau, deren Mann inzwischen von einem anderen Boote aufgenommen worden war. Glücklicherweise gelang es uns, sie gleichfalls aufzufischen und unter dem Geschrei der Zuschauer zwar bedeutend erschöpft und erschrocken, sonst aber keineswegs verletzt, aus dem Wasser herauszuziehen.

Mittlerweile hatten sich die Boote in einiger Entfernung von uns versammelt und wir sahen, daß ihre offenbar sehr in Unruhe versetzten Insassen miteinander berieten. Ohne ihnen Zeit zu laugen Besprechungen zu lassen, die möglicherweise ungünstig für uns enden konnten, griffen wir jetzt zu unseren Rudern und fuhren auf sie zu, wobei Good, der vorn am Bug stand, unter freundlichem Lächeln seinen dreieckigen Hut abnahm und sich nach jeder Richtung hin verbeugte. Zwar zogen sich die meisten Fahrzeuge zurück, als wir uns ihnen näherten, doch blieben einige wenige da, und das große Ruderboot fuhr uns sogar entgegen. Bald lagen wir nebeneinander und ich bemerkte, daß unsere Erscheinung, und besonders die von Good und Umslopogaas, den ehrwürdig aussehenden Kommandeur mit Erstaunen erfüllte, dem ein gutes Teil heimlicher Scheu beigemengt war. Er war ebenso gekleidet wie der Mann, dem wir zuerst begegnet waren, nur daß sein Hemd nicht aus braunem Stoff, sondern aus reiner, weißer, mit einem Purpurrand eingefaßter Leinwand bestand. Der Kilt war indessen derselbe und so auch die dicken Goldringe um den Arm und unter dem linken Knie. Die Ruderer trugen nur den Kilt und waren bis an die Hüften nackt. Mit einer Extraverbeugung zog Good seinen Hut vor dem alten Herrn 188 und erkundigte sich im reinsten Englisch nach seinem Befinden, worauf dieser die beiden ersten Finger seiner rechten Hand horizontal über die Lippen legte und sie dort einen Augenblick ruhen ließ. Zweifellos sollte das sein Gruß sein. Dann richtete auch er in denselben weichen Lauten, die uns schon an unserem ersten Bekannten aufgefallen waren, einige Bemerkungen an uns, die uns natürlich unverständlich blieben, wie wir ihm durch Kopfschütteln und Achselzucken zu verstehen gaben. Dieser letzteren Aufgabe unterzog sich Alfons mit angeborenem Geschick auf so höfliche Weise, daß niemand an seinen Gebärden Anstoß nehmen konnte. Dann geriet unsere Unterhaltung ins Stocken, bis ich, von außerordentlichem Hunger gepeinigt, es für angezeigt hielt, die Aufmerksamkeit des Fremden auf diese Tatsache zu lenken, indem ich meinen Mund öffnete, in ihn hinein deutete und dann meinen Magen rieb. Diese Zeichen verstand der alte Herr ganz gut, denn er nickte lebhaft mit dem Kopf und wies nach dem Hafen hin. Gleichzeitig warf uns ein Mann aus dem Boot eine Leine zu, mit der wir unser Kanu an ihrem Fahrzeug befestigten. Dieses nahm uns dann ins Schlepptau und fuhr, von allen andern Booten begleitet, mit großer Geschwindigkeit der Mündung des Flusses zu. In etwa zwanzig Minuten erreichten wir den Eingang zum Hafen, in dem es von Booten wimmelte, deren Insassen sämtlich gekommen waren, um uns zu sehen. Die Leute waren alle mehr oder weniger von demselben Typus, obwohl einige von ihnen eine hellere Haut als andere besaßen. Einige Damen nannten sogar eine Haut von schneeiger Weiße ihr eigen, 189 und die dunkelste von uns bemerkte Schattierung war nicht dunkler als die eines ziemlich von der Sonne verbrannten Spaniers. Jetzt beschrieb der Fluß eine Biegung und ein Schrei des Erstaunens und Entzückens entrang sich unsern Lippen, da sich unsern Augen der erste Anblick der Stadt darbot, die wir später als Milosis, die Felsenstadt, kennen lernten.

Etwa fünfhundert Schritte von dem Fluß erhob sich ein starrer zweihundert Fuß hoher Granitfelsen, der zweifellos in früheren Zeiten das Ufer gebildet hatte. Jetzt lag ein zu Werft- und Straßenanlagen benutzter Strich Land dazwischen, den man durch Dränierung, Vertiefung und Eindämmung des Stromes gewonnen hatte.

Auf der Spitze dieses Felsens stand ein großes, aus dem Granit des Berges errichtetes Gebäude, das einen umfangreichen Platz einnahm und auf der Rückseite durch eine mit Zinnen gekrönte niedrige Mauer umschlossen wurde. Wie wir später entdeckten, war der imposante Bau der Palast der Königin, oder richtiger gesagt, der Palast der Königinnen. Hinter dem Palast stieg die Stadt allmählich bis zu einem blitzenden Gebäude aus weißem Marmor empor, auf dem sich der bereits von uns bemerkte goldene Dom erhob. Mit Ausnahme dieses einen Gebäudes war die ganze Stadt aus rotem Granit erbaut und in regelmäßigen Vierecken angelegt, die durch prächtige Straßen miteinander in Verbindung standen. So weit wir sehen konnten, waren die Häuser sämtlich nur einstöckig, und ringsum von Gärten umgeben, die dem von dem Anblick des roten Granits müden Auge angenehme Abwechslung darboten. 190 Von der Rückseite des Palastes führte eine außerordentlich breite Straße eine Strecke von etwa anderthalb Meilen den Hügel hinauf und lief schließlich in einen großen offenen Platz vor dem glänzend weißen Gebäude aus. Grade vor uns aber stieg das Wunder und der Stolz von Milosis – die große Palasttreppe empor, bei deren Anblick uns fast schwindelig wurde. Der Leser möge sich, wenn er kann, eine prächtige, von einem bis zum andern Geländer fünfundsechzig Fuß breite Treppe vorstellen, die aus zwei Abteilungen von je einhundertfünfundzwanzig je acht Zoll hohen und drei Fuß tiefen Stufen bestand. Beide Abteilungen waren durch eine sechzig Fuß tiefe Plattform voneinander getrennt und führten von der Palastmauer am Rande des Felsens hinunter bis an einen in den Fluß mündenden Kanal. Diese wunderbare Treppe ruhte auf einem einzigen riesigen Granitbogen, dessen oberster Teil durch die Plattform zwischen den beiden Abteilungen der Treppe gebildet wurde. Von ihm ging ein zweiter Bogen aus, wie wir ihn in solcher Schönheit und Originalität noch nirgends gesehen haben oder überhaupt nur für möglich gehalten hätten.

Diese Treppe war sowohl ihrer großartigen Anlage als auch ihrer überwältigenden Schönheit wegen wirklich ein Werk, auf das unsere Baumeister hätten stolz sein können. Im grauen Altertum begonnen, war der Bau, wie wir später erfuhren, viermal mißlungen und dann in halbfertigem Zustande drei Jahrhunderte lang liegen geblieben, bis sich endlich ein junger Ingenieur, namens Rademas, das Werk erfolgreich zu 191 vollenden erbot. Falls ihm die Durchführung seiner Aufgabe nicht gelänge, sollte man ihn in den Abgrund, den zu überbrücken er sich vornahm, herabstürzen, im andern Falle aber mit der Hand der Königstochter belohnen. Zur Vollendung des Werkes wurden ihm fünf Jahre, sowie Arbeitskräfte und Baumaterialien in unbeschränktem Maße bewilligt. Dreimal stürzte sein Bogen ein, bis er endlich in der Überzeugung, daß ihm seine Aufgabe nicht gelingen würde, sich am Morgen nach dem dritten Einsturz das Leben zu nehmen beschloß. In der letzten Nacht erschien ihm jedoch ein schönes Weib im Traum und berührte seine Stirne: Plötzlich sah er in einer Vision das fertiggestellte Werk vor sich und erkannte auch, wie die Schwierigkeiten bei dem Bau des zweiten Bogens zu überwältigen waren. Dann erwachte er, und begann das Werk noch einmal, diesmal jedoch nach einem andern Plan. Er vollendete es glücklich und führte an dem letzten Tag des fünften Jahres die Prinzessin als seine Braut die Treppe zum Palast hinauf. Im Laufe der Zeit wurde er König und gründete die jetzt regierende Zu-Vendi-Dynastie, die noch bis auf den heutigen Tag »Das Geschlecht der Treppe« genannt wird. Seine Laufbahn liefert also ein weiteres Beispiel für die Wahrheit des Satzes, daß Energie und Talent die natürlichen Stufen zur Größe sind. Zur Erinnerung an seinen Triumph fertigte er ein Denkmal von sich an, das ihn in jenem Augenblick des Traumes darstellt, wo ihm das schöne Weib erscheint und die Stirn berührt. Er stellte es in dem großen Palastsaal auf, wo es noch heute steht. 192

 


 


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