Rider Haggard
Das unerforschte Land
Rider Haggard

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2. Kapitel

Die schwarze Hand

Nachdem wir alle Vorbereitungen getroffen hatten, verließen wir Lamu und fanden uns zehn Tage darauf an einer Stelle am Tanafluß, die Tscharra heißt. Wir hatten auf dem Wege viele Abenteuer erlebt, deren Aufzählung ich mir aber schenken will. Unter anderem besuchten wir eine Trümmerstadt, wie es deren so viele an dieser Küste gibt, und die, nach ihrem Umfang und den zahlreichen Überresten von Moscheen und Steinhäusern zu urteilen, einst sehr belebte Plätze gewesen sein müssen. Diese Trümmerstätten sind unendlich alt und waren, glaube ich, bereits in den alttestamentlichen Zeiten wichtige Niederlassungen, die den Handel mit Indien und noch weiter gelegenen Ländern vermittelten. Ihr Ruhm ist jedoch von ihnen gewichen – ihr Untergang ist eine Folge des Sklavenhandels – und wo einst reiche Kaufleute aus allen Teilen der damaligen zivilisierten Welt standen und auf überfüllten Marktplätzen miteinander feilschten, hält jetzt der Löwe des Nachts Hof, und statt des Geschwätzes der Sklaven und der eifrigen Stimmen der Käufer hallt es in den in Trümmern liegenden Säulenhallen von dem Donner seines Gebrülls wider. An dieser besonderen Stelle entdeckten wir auf 29 einem von Pflanzen und Kehricht bedeckten Hügel zwei der schönsten Steinportale, die man sich vorstellen kann. Die Bildhauerarbeit an ihnen war einfach köstlich und ich bedauere nur, daß uns keine Mittel zu Gebote standen, sie von dort fortzuschaffen. Zweifellos hatten sie einst den Eingang zu einem Palast gebildet, von dem wir vielleicht unter dem Hügel noch einige Spuren hätten auffinden können.

In Tscharra kam es zu einem heftigen Streit mit dem Anführer der Träger, die wir bis dorthin gemietet hatten und die jetzt eine bedeutende Sonderbezahlung von uns erpressen wollten. Schließlich drohte er damit, uns die Massai – von denen später mehr – auf den Hals zu hetzen. In der Nacht lief er mit allen Trägern davon, wobei sie auch das meiste unseres Gepäckes stahlen. Zum Glück ließen sie uns aber unsere Gewehre, die Munition und alle persönlichen Gebrauchsgegenstände zurück, nicht etwa aus zarter Rücksichtnahme auf unser Wohlergehen, sondern weil sich dieser Teil unserer Habe unter der Obhut der fünf Wakwafi befand. Wir hatten nun genug von Karawanen und Trägern gehabt und es war zudem wenig genug übrig geblieben, das eine Karawane hätte tragen können. Und doch, wie sollten wir unsern Weg weiter fortsetzen?

Good gebührte das Verdienst, diese Frage zu lösen. »Dort ist Wasser,« sagte er, indem er auf den Tana deutete, »und gestern sah ich eine Anzahl Eingeborene in ihren Kanus auf Flußpferde jagen. Liegt nicht Herrn Mackenzies Missionsstation am Tana? Verschaffen wir uns also Kanus und rudern wir hin zu ihm.« 30

Dieser herrliche Vorschlag fand, wie ich wohl kaum zu sagen brauche, eine beifällige Aufnahme, und ich ließ es mir sofort angelegen sein, von den Wilden in unserer Nähe geeignete Kanus zu kaufen. Nach einem Verzug von drei Tagen gelang es mir, zwei große Boote aufzutreiben, die aus dem Stamm einer leichten Holzart gehöhlt waren und je sechs Personen mit ihrem Gepäck aufzunehmen vermochten. Für diese beiden Kanus hatten wir nahezu den ganzen Rest unserer Tuchstoffe und viele andere Gegenstände obendrein zu zahlen.

Am nächsten Tag begann dann unsere Wasserfahrt. In dem ersten Kanu saßen Good, Sir Henry und drei von unsern Wakwafi-Dienern, im zweiten ich, Umslopogaas und die beiden andern Wakwafi. Da wir stromaufwärts fuhren, mußten in jedem Kanu beständig vier Ruder in Tätigkeit sein, womit ich sagen will, daß die ganze Gesellschaft, Good ausgenommen, wie Galeerensklaven zu arbeiten hatte. Good nahm hieran natürlich nicht teil, da er sich in dem Augenblick, in dem er seinen Fuß in ein Boot setzte, in seinem natürlichen Element fühlte und den Oberbefehl über uns alle übernahm. Und er ließ uns seine Überlegenheit nicht wenig entgelten. Auf dem Lande ist Good sanft, liebenswürdig und zu Scherzen aufgelegt, in einem Boot hingegen, wie wir auf unsere Kosten entdeckten, ein vollständiger Dämon. In allen nautischen Angelegenheiten, von den Torpedovorrichtungen eines Kriegsschiffes bis zu der Frage, wie man das Ruder eines afrikanischen Kanu am besten gebraucht, war er eine vollkommene Wissensgrube, wir dagegen nicht. Er hatte auch die strengsten 31 Ansichten über Disziplin und kehrte, gelinde gesagt, den Marineoffizier in ziemlich verletzender Weise gegen uns heraus. Kurz, er zahlte uns reichlich für die Hänseleien, denen er am Lande durch uns ausgesetzt war, aus. Gleichzeitig aber – zur Steuer der Wahrheit sei es gesagt – wußte er in bewunderungswerter Weise mit den Booten umzugehen.

Nach dem ersten Tage gelang es Good, mit Hilfe einiger Tücher und Stangen in jedem Kanu ein Segel anzubringen, das unsere Arbeit ganz bedeutend erleichterte. Der Strom lief aber sehr stark gegen uns, und im günstigsten Falle legten wir täglich nicht mehr als zwanzig Meilen zurück. Wir befolgten dabei die Regel, beim Morgengrauen aufzubrechen und bis zehneinhalb Uhr an den Rudern zu sitzen, nach welcher Zeit jede weitere körperliche Anstrengung infolge der Sonnenhitze unmöglich war. Dann zogen wir unsere Kanus ans Land, verzehrten unser bescheidenes Mahl und schliefen entweder oder unterhielten uns, bis wir um drei Uhr wieder zu den Rudern griffen, um eine Stunde vor Sonnenuntergang für die Nacht Halt zu machen. Waren wir abends gelandet, so ging Good sofort daran, mit Hilfe der Askari einen kleinen Scherm, d. h. eine von Dornenbüschen umschlossene Einfriedigung zu errichten und ein Feuer anzuzünden. Sir Henry, ich und Umslopogaas mußten dann etwas für die Abendmahlzeit schießen. Gewöhnlich war dies eine leichte Aufgabe, da es an den Ufern des Tana reichlich Wild von allen Arten gab. An einem Abend schoß Sir Henry ein junges Giraffenweibchen, dessen Markknochen ganz vorzüglich waren, an 32 einem andern erlegte ich ein Paar Springböcke und einmal brachte Umslopogaas (der wie die meisten Sulu ein sehr schlechter Schütze war) zu seiner größten Genugtuung mit meinem Martini-Gewehr ein schönes feistes Elen zu Fall. Manchmal auch schossen wir zur Abwechslung einige Perlhühner oder Buschtrappen, von denen es hier schwärmte, oder fingen einen Vorrat der schönen gelben Fische, die in den Wassern des Tana spielten und die, wie ich glaube, eine Lieblingsnahrung der Krokodile sind.

Drei Tage nach unserm Aufbruch trug sich ein bedenklicher Zwischenfall zu. Wir ruderten grade auf das Ufer zu, um dort wie gewöhnlich unser Nachtlager aufzuschlagen, als wir plötzlich, nicht vierzig Schritt von uns entfernt, auf einer unbedeutenden Anhöhe eine Gestalt stehen sahen, die uns mit äußerster Aufmerksamkeit in Augenschein nahm. Obwohl ich persönlich mit dem Stamm unbekannt war, so genügte doch ein Blick, um mir zu sagen, daß es ein Massai-Elmoran oder junger Krieger war. Hätte ich wirklich noch irgendwelche Zweifel gehegt, so würden sie schnell bei dem erschrockenen Ausruf: »Massai!« verschwunden sein, der sich gleichzeitig den Lippen unserer Wakwafi entrang.

Welche Figur er in seinem vollen Kriegsputz darbot! Obwohl ich mein ganzes Leben lang mit Wilden zu tun gehabt habe, glaube ich doch nicht, je zuvor etwas auch nur annähernd so Wildes oder Schreckenerregendes gesehen zu haben. Um mit der Beschreibung anzufangen: Der Mann war riesengroß, mindestens ebenso groß wie Umslopogaas, von schöner, wenn auch schwacher Gestalt, und hatte das Gesicht eines Teufels. In seiner 33 rechten Hand hielt er einen etwa fünfeinhalben Fuß langen Speer, dessen Klinge zweieinhalben Fuß lang und nahezu drei Zoll breit war und an dem Griffende in eine mehr als einen Fuß lange eiserne Spitze auslief. Auf seinem linken Arm trug er einen großen starken elliptischen Schild aus Büffelfell, auf den sonderbare wappenartige Zeichen gemalt waren. Ein Umhang aus Habichtsfedern umgab seine Schultern und um seinen Hals war ein »Naibere« oder Baumwollentuch von siebzehn Fuß Länge und anderthalb Fuß Breite mit einem farbigen Streifen in der Mitte geschlungen. Der Schurz aus gegerbtem Ziegenleder, der in Friedenszeiten seine gewöhnliche Kleidung bildet, war wie ein Gürtel um die Hüften gebunden, und in ihm steckten auf der rechten bzw. auf der linken Seite sein kurzes, wie eine Birne geformtes Schwert, das aus einem einzigen Stück Stahl angefertigt und in einer Holzscheide getragen wird, sowie eine ungeheure Wurfkeule. Das bemerkenswerteste Stück seines Kostüms bestand indes in einem Kopfputz aus Straußenfedern, der sich von dem Kinn aufwärts an den Ohren vorüber bis zur Stirn hinzog und, wie eine Ellipse geformt, das Gesicht vollständig einrahmte, so daß das teuflische Antlitz wie aus einem Ofenschirm hervorzuragen schien. Um die Fußknöchel trug er schwarze Haarfransen und an seinen Oberschenkeln lange spitze Sporen, von denen das lange schwarze Haar des Stummelaffen in Büscheln herabfiel.

Während wir noch unschlüssig überlegten, was wir tun sollten, richtete sich der Massai-Krieger würdevoll auf, schüttelte seinen 34 großen Speer drohend gegen uns und war bald darauf, die andere Seite des Hügels hinabschreitend, unserm Blick entschwunden.

»Halli!« rief uns Sir Henry von dem andern Boot zu. »Unser Freund, der Karawanenführer, hat also doch sein Wort gehalten, und die Massai auf uns gehetzt. Ob es unter solchen Umständen wohl geraten ist, ans Land zu gehen?«

Ich hielt es für durchaus nicht geraten, mußte aber in Anbetracht ziehen, daß wir in unsern Kanus nicht kochen konnten und auch nichts hatten, das sich roh essen ließ. Wir befanden uns in einer schwierigen Lage. Endlich vereinfachte Umslopogaas die Frage, indem er ans Land ging, wie eine Schlange ins Gebüsch kroch und die Umgebung sorgfältig auskundschaftete, während wir in unsern Booten auf ihn warteten. Nach einer halben Stunde kehrte er mit dem Bericht zurück, daß nirgends ein Massai zu sehen sei. Er habe aber eine Stelle entdeckt, wo sie erst kürzlich gelagert hätten, und aus verschiedenen Anzeichen zöge er den Schluß, daß sie etwa vor einer Stunde von dort aufgebrochen wären. Wahrscheinlich sei der von uns gesehene Mann als Posten zurückgeblieben, um auf unsere Bewegungen achtzugeben.

Wir landeten darauf und bereiteten, nachdem wir einen Wachtposten aufgestellt hatten, unsere Abendmahlzeit. Damit fertig, hielten wir einen ernstlichen Kriegsrat. Es war ganz gut möglich, daß das Erscheinen des Massai-Kriegers gar nichts mit uns zu tun hatte, und daß er einfach zu einer Bande gehörte, die auf einem Raubzuge gegen einen andern Stamm begriffen war. Daß solche Züge im Gange waren, hatten wir von unserm 35 Freund, dem Konsul, erfahren. Als wir uns jedoch die Drohung des Karawanenführers ins Gedächtnis zurückriefen und uns vergegenwärtigten, wie herausfordernd und trotzig der Krieger seinen Speer gegen uns geschüttelt hatte, erschien uns diese Ansicht nicht sehr wahrscheinlich. Im Gegenteil hatte die Annahme viel mehr für sich, daß die Bande hinter uns her sei und nur eine günstige Gelegenheit zum Angriff abwarte. Und wenn dem wirklich so war, blieb uns nur zweierlei übrig – entweder unsern Weg fortzusetzen oder den Rückmarsch anzutreten. Diesen letzteren Gedanken gaben wir natürlich sofort wieder auf, da uns auf dem Rückwege offenbar nicht weniger Gefahren als auf dem Hinwege bevorstanden und wir außerdem ja fest entschlossen waren, unsere Reise um jeden Preis fortzusetzen. Wir hielten es unter diesen Umständen aber nicht für sicher, an der Küste zu schlafen, begaben uns daher wieder in unsere Kanus und ruderten bis in die Mitte des an dieser Stelle nicht sehr breiten Stromes, wo wir vor Anker gingen, indem wir große, durch Stricke von Kokosnußfasern festgehaltene Steine in das Wasser warfen.

Hier aßen uns die Moskitos beinahe lebendig auf und ihre Stiche, wie die Besorgnis über unsere Lage waren Ursache, daß ich nicht wie die andern in Schlaf fiel. Wachend lag ich also da, rauchte und dachte über vielerlei nach, hauptsächlich aber, da ich von Natur aus praktisch veranlagt bin, über die Frage, wie wir diesen Massai-Schuften eine Nase drehen könnten. Es war eine schöne, mondhelle Nacht, und ungeachtet der Moskitos und der großen Gefahr, uns sämtlich durch das Schlafen an dieser Stelle 36 das Fieber zuzuziehen, ungeachtet des Krampfes, der sich infolge meiner zusammengepreßten Lage in dem Kanu heftig in meinem rechten Fuß einstellte, ungeachtet des schrecklichen, von dem neben mir schlafenden Wakwafi ausgehenden Geruches, begann ich mich recht behaglich zu fühlen. Die Mondstrahlen spielten auf der Oberfläche des Wassers, das unaufhörlich, wie die Menschenleben dem Grabe, der See zueilte, daß es wie eine ungeheure Silberfläche strahlte, natürlich nur im Freien, wo die Bäume keine Schatten warfen. In der Nähe des Ufers war es jedoch sehr dunkel und der Nachtwind zog klagend durch das Rohr. Etwas weiter auf der linken Seite befand sich eine kleine, von Bäumen freie Sandbucht, auf der ich deutlich die Formen zahlreicher Antilopen erkannte, die sich dem Wasser näherten, bis plötzlich ein furchtbares Gebrüll ertönte, das sie alle in die Flucht trieb. Nach einer Pause erblickte ich dann die mächtige Gestalt Seiner Majestät, des Löwen, der nach seiner Mahlzeit auch seinen Durst stillen wollte. Bald ging er wieder fort. Dann vernahm ich etwa fünfzig Schritte von uns in dem Schilf lautes Krachen und einige Minuten darauf erhob sich etwa zwanzig Schritte von mir schnaufend eine ungeheure schwarze Masse aus dem Wasser. Es war der Kopf eines Flußpferdes. Ohne Geräusch sank es aufs neue unter, aber nur um etwa fünf Schritt von meinem Boot wieder aufzutauchen. Diese Nähe kam mir denn doch ein wenig bedenklich vor, besonders da das Flußpferd von dem lebhaften Verlangen beseelt zu sein schien, nähere Bekanntschaft mit unsern Kanus zu schließen. Es öffnete seinen 37 riesigen Rachen, um zu gähnen, wie ich vermute, und gewährte mir dabei eine prächtige Gelegenheit, seine Elfenbeinmassen zu bewundern, wobei ich mich nicht des Gedankens erwehren konnte, wie leicht es ihm fallen würde, unser zerbrechliches Kanu mit einem einzigen Biß zu zertrümmern. Ich hatte wirklich schon Lust, ihm aus meinem Gewehr, Kaliber Acht, eine Kugel zu geben, hielt es aber bei weiterer Überlegung für weiser, es in Ruhe zu lassen, es sei denn, daß das Ungetüm zum Angriff überging. Jetzt sank es so geräuschlos wie zuvor unter und tauchte nicht wieder auf. Grade in jenem Augenblick kam es mir vor, als ob eine dunkle Gestalt zwischen den Baumstämmen am rechten Ufer hindurchhuschte. Ich habe sehr scharfe Augen und war fest überzeugt, ein lebendes Wesen gesehen zu haben; ob es aber Vogel, Tier oder Mensch gewesen, konnte ich nicht sagen. Jetzt verdeckte eine dunkle Wolke den Mond und ich sah nichts mehr davon. Gleichzeitig begann, obwohl im Wald alles andere Geräusch verstummt war, eine Horneule, deren Art mir nicht unbekannt war, mit großer Hartnäckigkeit zu heulen. Dann trat, nur durch das Rauschen der Bäume und des Schilfes unterbrochen, wiederum vollständiges Schweigen ein.

Plötzlich aber wurde ich auf ganz unerklärliche Weise aufgeregt. Außer den gewöhnlichen Gründen, mit denen der mittelafrikanische Reisende stets zu rechnen hat, war kein besonderer Anlaß dazu vorhanden, und dennoch ließ sich die Erregung nicht in Abrede stellen. Wenn es etwas gibt, das ich mehr als alles andere verspotte, so sind es Vorahnungen, und doch hatte ich jetzt 38 mit einem Mal das beklemmende Gefühl, daß uns Unheil, eine große Gefahr bevorstehe. Ich wehrte mich nach Kräften dagegen, wobei mir der kalte Schweiß auf die Stirn trat. Die andern wollte ich nicht wecken. Immer schlimmer wurde es, mein Puls schlug so rasch wie der eines Sterbenden, und meine Nerven zitterten in dem schrecklichen Gefühl hilfloser Furcht, das jeder, der an Alpdrücken leidet, kennen wird. Dennoch triumphierte meine Willenskraft über meine Furcht, und ruhig in dem Bug des Kanus liegen bleibend, veränderte ich die Haltung meines Gesichts nur derart, daß ich Umslopogaas und die beiden Wakwafi, die neben und vor mir lagen, nicht aus dem Auge verlor.

Plötzlich schien mir das Blut in den Adern zu erstarren und mein Herz still zu stehen. War es Einbildung oder bewegten wir uns? Ich blickte mich nach dem andern Kanu um, das neben uns liegen sollte. Ich sah es nicht, dafür aber bemerkte ich, wie sich eine hagere schwarze geballte Faust über den Rand des kleinen Bootes hob. Sicherlich war es nur ein Traum! In demselben Augenblick schien ein dunkles teuflisches Gesicht aus dem Wasser zu steigen, dann folgte eine Erschütterung des Kanus, der rasche Blitz eines Messers und ein schrecklicher Aufschrei von dem neben mir schlafenden Wakwafi (demselben armen Burschen, dessen Ausdünstung mich so arg belästigt hatte) und etwas Warmes spritzte mir ins Gesicht. In der nächsten Sekunde aber war schon der Bann gebrochen, ich wußte, daß es kein Traum war, sondern daß wir von schwimmenden Massai überfallen wurden. Ich griff nach der nächsten Waffe im Bereiche meiner Hand – es 39 war Umslopogaas' Streitaxt – und schlug mit aller Macht nach der Richtung, in der ich das Messer hatte aufblitzen sehen. Nieder sauste die Axt auf den Arm eines Mannes, der sich an den Rand des Bootes angeklammert hatte, und trennte seine Hand gerade oberhalb des Gelenkes von dem Arm ab. Ihr Eigentümer stieß nicht einen Laut aus. Wie ein Geist kam er, und wie ein Geist verschwand er, indem er eine blutige Hand zurückließ, die noch immer das große Messer, oder richtiger gesagt, das kurze Schwert umklammerte, das in dem Herzen unseres armen Dieners steckte.

Bei dem nun folgenden Tumult kam es mir vor, als ob verschiedene dunkle Gestalten dem rechten Ufer zuschwömmen, dem wir gleichfalls schnell zutrieben, da unser Ankertau durchschnitten worden war. Zur Einsicht dieser Tatsache gelangt, erkannte ich sofort, daß unsere Feinde die Absicht gehabt hatten, uns von der Strömung nach dem rechten Ufer treiben zu lassen, wo zweifellos schon eine Schar Massai bereitstand, um uns ihre Speere in den Leib zu jagen. Da der am Leben gebliebene Askari zu erschrocken und fassungslos war, um uns irgendwie von Nutzen zu sein, griffen Umslopogaas und ich zu den Rudern, und keinen Augenblick zu früh, denn in der nächsten Minute schon würden wir festgelaufen und unser aller Ende gekommen sein.

Wieder im freien Fahrwasser, gingen wir an die in der Dunkelheit recht schwere und gefährliche Aufgabe, unsern früheren Ankerplatz aufzusuchen, wobei uns nur Goods Zurufe, die er wie ein Nebelhorn in bestimmten Zwischenräumen mit seiner Stentorstimme hören ließ, leiteten. Endlich legten wir aber 40 neben dem andern Boot an und dankten dem Schöpfer, als wir entdeckten, das unsere Freunde nicht im mindesten behelligt worden waren. Zweifellos hatte dieselbe Hand, die unser Ankertau durchschnitt, auch das ihre durchschneiden sollen, sich aber durch unwiderstehliche Mordgier davon abhalten lassen, was uns zwar einen Mann und den Angreifer eine Hand kostete, dafür aber zweifellos uns alle vor einem blutigen Ende bewahrte. Hätte ich nicht jene unheimliche Erscheinung am Rande des Bootes auftauchen sehen – eine Erscheinung, die ich bis zu meiner Todesstunde nicht vergessen werde – so wäre das Kanu zweifelsohne, ehe ich überhaupt bemerkte, was sich zutrug, ans Land getrieben und diese Geschichte nie von mir geschrieben worden. 41

 


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